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3 Eine eigene Zeitung nur für Kinder, das wär’s. Darin waren sich die Ende Februar 2006 beim Bundesver- band Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in Berlin zu- sammengekommenen Experten aus Wissenschaft und Verlagen einig. 1 Auf dem Weg dahin gäbe es aber auch so noch eine Menge zu verbessern, damit aus Kindern Leser werden, die ihre Nase gerne in Bücher, Zeitungen oder Zeitschriften stecken, forderte damals Roswitha Budeus-Budde, Kulturredakteurin der „Süd- deutschen Zeitung“ in München und dort zuständig für die Kinder-Literaturseite. Vor allem müsse viel mehr Geld als bisher in die vorschulische Erziehung gesteckt werden. So, wie es beispielsweise die Finnen vormachten. Hannelore Haufe, seit gut drei Jahr- zehnten Leiterin einer Berliner Kindertagesstätte, wünschte sich, in Zukunft endlich selbst für die Ein- stellung ihrer Mitarbeiter verantwortlich zu sein und diese nicht von vorgesetzten Dienststellen zugewie- sen zu erhalten. „Dann kann man auch ein gutes ge- meinsames Programm für die Kinder erarbeiten.“ Die Zahl der Nichtleser wird größer, bedauerte Hein- rich Kreibich, Leiter der Stiftung Lesen in Mainz. Und die Spirale des Nichtlesens beginne mir der man- gelnden Dialogfähigkeit der Eltern. Gleichzeitig legten die Kinderbuchverlage bei ihren Verkäufen aber Jahr für Jahr zu, darauf wies Paul Maar, Kinderbuchautor und unter anderem Vater des „Sams“, hin. Sein Fazit, dass nämlich die Kinder, die sowieso lesen, offen- sichtlich immer mehr lesen, wird auch von der im Jahr 2005 veröffentlichten Studie des Börsenvereins „Buch- käufer und Leser“ gestützt. 2 Mit dem Lesen können Kinder gar nicht früh genug anfangen, bestätigte Anna Katharina Braun, Profes- sorin für Zoologie/Entwicklungsneurobiologie an der Universität Magdeburg. Denn Lernen löse im kind- lichen Gehirn massive Veränderungen aus. In den ers- ten Jahren werde sozusagen die „Festplatte“ ausge- bildet. „Damit müssen wir dann später ein ganzes Leben lang zurechtkommen.“ Wenn allerdings zuhause nicht gelesen wird und das familiäre Vorbild von Eltern oder größeren Geschwis- tern fehlt, kann die Lektüre in der Schule ein wichti- ger Ersatz werden. Dies gilt gerade auch für den Um- gang mit Zeitungen. In den USA wurden beispielsweise in einer 2004 für die Newspaper Association of Ame- rica Foundation durchgeführten Studie 1.500 junge Leute im Alter zwischen 18 und 34 Jahren befragt, ob sie sich daran erinnern, während ihrer Schulzeit mit Zeitungen im Unterricht gearbeitet zu haben. Zentra- les Ergebnis: 62 Prozent derjenigen, die in der Schu- KAPITEL 1 KINDER UND ZEITUNG Damit aus Kindern Leser werden Von Anja Pasquay ZEITUNG UND SCHULE 1) BDZV-Fachtag „Kinder und Zeitung“ am 21. und 22. Februar 2006 in Berlin. 2) „Buchkäufer und Leser 2005 – Profile, Motive, Wünsche“, Studie des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Konsumforschung und Sinus Sociovision. „Im Sandkasten auf Leserfang“ – Podiums- diskussion im Berliner „Haus der Presse“

Damit aus Kindern Leser werden

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Eine eigene Zeitung nur für Kinder, das wär's. Darin waren sich die Ende Februar 2006 beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in Berlin zusammengekommenen Experten aus Wissenschaft und Verlagen einig.

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Page 1: Damit aus Kindern Leser werden

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Eine eigene Zeitung nur für Kinder, das wär’s. Darin

waren sich die Ende Februar 2006 beim Bundesver-

band Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in Berlin zu-

sammengekommenen Experten aus Wissenschaft

und Verlagen einig.1 Auf dem Weg dahin gäbe es aber

auch so noch eine Menge zu verbessern, damit aus

Kindern Leser werden, die ihre Nase gerne in Bücher,

Zeitungen oder Zeitschriften stecken, forderte damals

Roswitha Budeus-Budde, Kulturredakteurin der „Süd-

deutschen Zeitung“ in München und dort zuständig

für die Kinder-Literaturseite. Vor allem müsse viel

mehr Geld als bisher in die vorschulische Erziehung

gesteckt werden. So, wie es beispielsweise die Finnen

vormachten. Hannelore Haufe, seit gut drei Jahr-

zehnten Leiterin einer Berliner Kindertagesstätte,

wünschte sich, in Zukunft endlich selbst für die Ein-

stellung ihrer Mitarbeiter verantwortlich zu sein und

diese nicht von vorgesetzten Dienststellen zugewie-

sen zu erhalten. „Dann kann man auch ein gutes ge-

meinsames Programm für die Kinder erarbeiten.“

Die Zahl der Nichtleser wird größer, bedauerte Hein-

rich Kreibich, Leiter der Stiftung Lesen in Mainz. Und

die Spirale des Nichtlesens beginne mir der man-

gelnden Dialogfähigkeit der Eltern. Gleichzeitig legten

die Kinderbuchverlage bei ihren Verkäufen aber Jahr

für Jahr zu, darauf wies Paul Maar, Kinderbuchautor

und unter anderem Vater des „Sams“, hin. Sein Fazit,

dass nämlich die Kinder, die sowieso lesen, offen-

sichtlich immer mehr lesen, wird auch von der im Jahr

2005 veröffentlichten Studie des Börsenvereins „Buch-

käufer und Leser“ gestützt.2

Mit dem Lesen können Kinder gar nicht früh genug

anfangen, bestätigte Anna Katharina Braun, Profes-

sorin für Zoologie/Entwicklungsneurobiologie an der

Universität Magdeburg. Denn Lernen löse im kind-

lichen Gehirn massive Veränderungen aus. In den ers-

ten Jahren werde sozusagen die „Festplatte“ ausge-

bildet. „Damit müssen wir dann später ein ganzes

Leben lang zurechtkommen.“

Wenn allerdings zuhause nicht gelesen wird und das

familiäre Vorbild von Eltern oder größeren Geschwis-

tern fehlt, kann die Lektüre in der Schule ein wichti-

ger Ersatz werden. Dies gilt gerade auch für den Um-

gang mit Zeitungen. In den USA wurden beispielsweise

in einer 2004 für die Newspaper Association of Ame-

rica Foundation durchgeführten Studie 1.500 junge

Leute im Alter zwischen 18 und 34 Jahren befragt, ob

sie sich daran erinnern, während ihrer Schulzeit mit

Zeitungen im Unterricht gearbeitet zu haben. Zentra-

les Ergebnis: 62 Prozent derjenigen, die in der Schu-

KAPITEL 1 KINDER UND ZEITUNG

Damit aus Kindern Leser werden

Von Anja Pasquay

ZEITUNG UND SCHULE

1) BDZV-Fachtag „Kinder und Zeitung“ am 21. und 22. Februar 2006in Berlin.

2) „Buchkäufer und Leser 2005 – Profile, Motive, Wünsche“, Studiedes Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Zusammenarbeitmit der Gesellschaft für Konsumforschung und Sinus Sociovision.

„Im Sandkasten auf Leserfang“ – Podiums-diskussion im Berliner „Haus der Presse“

Page 2: Damit aus Kindern Leser werden

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le mit Zeitungen in Berührung gekommen waren, wur-

den später auch aktive Zeitungsleser. Von denen, die

sich nicht an Zeitungsprojekte in der Schule erinnern

konnten, waren es nur 38 Prozent.3

Medienpädagogische Schul- und Leseförderungspro-

jekte der Tagespresse, wie sie mittlerweile in Deutsch-

land bereits im 28. Jahr angeboten werden, sind aller-

dings nur die eine Seite der Medaille. Mindestens

ebenso wichtig sind individuelle redaktionelle Ange-

bote für die junge Zielgruppe. Neben den Jugendlichen

im „ersten Zeitungslesealter“ (14 bis 19 Jahre) rücken

dabei Kinder immer stärker in den Fokus. Und dies

keineswegs zum ersten Mal: „Das Kind wird ‚ent-

deckt’.“, formulierte etwa Gernot Facius bereits 1986

in der monatlich erscheinenden BDZV-Publikation „Die

Zeitung“. Schon damals wies der Autor warnend auf

sinkende Zeitungsreichweiten bei den Jugendlichen

hin, mahnte bei den Medienmachern an, sich Ge-

danken über die „informationelle Selbstbestimmung

für das Kind“ zu machen, und konstatierte: „Natürlich

können Kinder Zeitung lesen. Vor allem dann, wenn

diese für sie geschrieben sind.“

Tatsächlich gab es Mitte der 80er Jahre offensichtlich

eine Reihe von – zumindest in der Tendenz – tages-

aktuell-politisch orientierten Zeitungsangeboten, die

eigens für Kinder produziert wurden. So versuchten

Dortmunder Journalistik-Studenten, mit dem „kleinen

journal“ das Weltgeschehen begreifbar zu machen. In

Essen bereitete die Kinderzeitung „EsPress“ die Zeit-

läufte für die jüngste Zielgruppe auf und schreckte

auch vor Themen wie Tschernobyl, Waffenschiebe-

reien oder dem (Ersten) Golfkrieg nicht zurück. Eine

Schlagzeile von damals: „Streithähne am Golf: Der

Iran schickt sogar Kinder in den Krieg“. Andere längst

vom Markt verschwundene Titel hießen beispielsweise

„Klick“, „Die Kinderpresse“ oder „Kinder- und Jugend-

zeitung“.

Dass es bis heute ausgerechnet in Deutschland jen-

seits der Kinderseiten der Zeitungen keine eigene Zei-

tungstradition für Kinder gibt, ist umso erstaunlicher,

als hierzulande beim Thema Tagespresse im interna-

tionalen Vergleich lauter vordere Plätze belegt wer-

den: Nach Auflage ist der deutsche Zeitungsmarkt der

größte Europas und der fünftgrößte der Welt. Fast drei

Viertel (73,7 Prozent) der Bevölkerung über 14 Jahre

lesen regelmäßig eine Tageszeitung. Bei der Frage

nach der Glaubwürdigkeit des Mediums rangieren Zei-

tungen neben dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen

und dem DeutschlandRadio an erster Stelle. Die Druck-

qualität ist hoch und wird ständig weiter verbessert.

Als Grund für das Scheitern oder Gar-nicht-erst-Zu-

standekommen von Zeitungsprojekten für Kinder wird

regelmäßig auch der Faktor fehlender Werbeeinnah-

men ins Spiel gebracht. Kinder werden in der ge-

druckten Tagespresse als Konsumenten nicht wahr-

genommen; selbst bei der Anzeigenakquise mit Blick

auf die Zielgruppe der 14- bis 19-Jährigen tun sich die

Anzeigenabteilungen der Verlage meist schwer, wie

sich an den weitgehend werbefreien Jugendseiten der

Zeitungen ablesen lässt. Markenartikler bevorzugen

für ihre Produkte den Auftritt mit bundesweiter Ver-

breitung. Dabei wird leicht übersehen, dass nicht nur

Jugendliche, sondern auch Kinder bereits über er-

hebliche Summen Geldes frei verfügen können. Laut

der jüngsten KidsVerbraucherAnalyse besitzen die

Sechs- bis 13-Jährigen in Deutschland durchschnitt-

lich 1.006 Euro und konnten im Jahr 2006 1,44 Milli-

arden Euro an Taschengeld ausgeben.4

Ähnliche Verhältnisse herrschen offensichtlich in Groß-

britannien. Ernest Henry, Gründer und Verleger der

Wirtschaftszeitung für Kinder „Oink!“ – vergleichbar

dem deutschen „Qiek“ eines (Spar-) Schweinchens –,

hat sie sich zunutze gemacht. „Children know about

money“ (Kinder verstehen etwas vom Geld), lautet sei-

ne Devise. Henry setzt ganz auf Finanzthemen, auf

den Umgang mit Geld und nicht zuletzt aufs Geld-

ausgeben. Schwierige Begriffe und wesentliche öko-

nomische Zusammenhänge werden erklärt. Die The-

3) „Growing Lifelong Readers“, Studie von Clark, Martire & Bartolo-meo, Inc. im Auftrag der Newspaper Association of America Foun-dation. In einer Fortschreibung der Studie („Lifelong Readers: TheRole of Teen Content“) wurden im Jahr 2005 junge Erwachsene,die als Teenager im Verbreitungsgebiet einer Zeitung mit Jugend-seiten/ -inhalten aufgewachsen waren, nach ihren aktuellen Zei-tungslesegewohnheiten befragt. Das Ergebnis: 75 Prozent derjeni-

gen, die schon als Jugendliche die Jugendseiten in der Zeitung ge-lesen hatten, griffen auch als junge Erwachsene mindestens ein-mal pro Woche zur Tageszeitung; dagegen waren es von den anJugendseiten nicht Interessierten nur 44 Prozent.

4) KidsVerbraucherAnalyse 2006 der Egmont Ehapa Verlag GmbHvom 1. August 2006.

ERSTE BLÜTE IN DEN 80ER JAHREN

KINDER ALS KONSUMENTEN ERNST NEHMEN

Page 3: Damit aus Kindern Leser werden

men Inflation, Zinsen, Aktien und Wertpapiere kom-

men in dem grellbunt auf lachsrosafarbenem Papier

gedruckten Monatsblatt ebenso vor wie Beiträge über

Musik, Mode, Sicherheit in der Schule oder Werbung.

Die zwölf Seiten starke Zeitung wird kostenlos an

Schulen und anderen von Kindern aufgesuchten Or-

ten verteilt. Bis zu 600.000 Kinder lesen sie derzeit;

3,2 Millionen sollen es einmal werden – wenn genü-

gend Anzeigen hereinkommen. Denn „Oink!“, das es

zu einer eigenen Radioshow brachte und Fernseh-

auftritte plant, finanziert sich ausschließlich über Wer-

bung. Eine für Kinder womöglich ungute Vermischung

von Redaktionellem und Werbebotschaft will der Ver-

leger gleichwohl nicht erkennen. „Wir sind sehr stolz

darauf, dass die ‚Bank of England’ regelmäßig bei uns

inseriert“, sagt Henry.

Konkurrenz mag Henry mit der im Mai 2006 erstmals

erschienenen Wochenzeitung „First News“ aus dem

eigens gegründeten Verlag Newsbridge (London) er-

wachsen. Das von Piers Morgan verantwortete Blatt

im Tabloid-Format soll Kinder im Alter von neun bis

zwölf Jahren ansprechen, kostet ein Britisches Pfund

(rund 1,50 Euro) im Abonnement und ist laut Morgan

ausdrücklich dazu gedacht, neue Leser für die Zeitung

heranzuziehen. Nurmehr im Internet ist hingegen seit

März 2006 die „Funday Times“ zu lesen. Die Sonn-

tagsausgabe der „Sunday Times“ für junge Leser wur-

de in der gedruckten Form nach gut 16 Jahren und

weit über 800 Ausgaben eingestellt.

Seit ein, zwei Jahren wächst auch in Deutschland wie-

der das Interesse an individuellen Zeitungsprodukten

für Kinder, sei es lokal/regional oder auch bundes-

weit. Als erster in den Ring stieg der türkische Verle-

ger Turgay Yagan, der im Mai 2005 von Düsseldorf

aus „Meine Zeitung“ auf den Markt brachte. Das op-

tisch und inhaltlich bieder gemachte tägliche Blatt für

Acht- bis 13-Jährige hatte zwölf Seiten und kostete 40

Cent im Einzelverkauf. Nach dem Willen seines Ver-

legers sollte es bis Jahresende 100.000 Abnehmer

5

Lachsfarben wie das große Vorbild „Financial Times“: das monatlich erscheinen-de Wirtschaftsblatt „Oink!“ für Kinder inGroßbritannien.

Deutschland: Die von dem türkischen Ver-leger Turgay Yagan herausgebrachte Kinder-zeitung musste nach wenigen Monaten ihr Erscheinen einstellen.

MONATLICHE BEILAGE FÜR MITGLIEDER

Page 4: Damit aus Kindern Leser werden

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finden und deutschlandweit vertrieben werden, schei-

terte jedoch schon binnen weniger Monate an feh-

lendem Kapital. Auch ein Umzug nach Hamburg und

die Umwidmung in ein Wochenblatt konnten dem Pro-

jekt kein neues Leben mehr einhauchen.

Bereits 2005 hatte auch die Axel Springer AG, Ber-

lin/Hamburg, mitgeteilt, über die Veröffentlichung ei-

ner Tageszeitung für Kinder nachzudenken. Aktuell

produziert der Verband Deutscher Lokalzeitungen

(VDL), Berlin, eine monatliche Beilage für Sechs- bis

Zwölfjährige als Service für seine Mitglieder. Die 16-

seitige „Kinder-Zeitung“ im Tabloid-Format wird seit

Oktober 2006 gemeinsam mit einer Werbeagentur

vermarktet. Interessierte Verlage erhalten jeweils die

Daten, drucken müssen sie selbst. Dabei ist es auch

möglich, eigene lokale Themen zu berücksichtigen.

Dank Datenübertragung und Druck vor Ort braucht

der VDL sich keine Gedanken über den Vertrieb des

gedruckten Produkts quer durch Deutschland zu ma-

chen – ein Problem, dem sich ansonsten jeder Titel

mit überregionalen Ambitionen gegenüber sähe. Wo

keine eigene nationale Vertriebsorganisation vorhan-

den ist, müssten entweder Kooperationen mit regio-

nalen Partnern geschlossen, der Weg über Einzelver-

kauf am Kiosk und Presse-Grosso gesucht oder die

tägliche Kinderzeitung per Post an die Bezieher ver-

sandt werden.

Letzteres macht zum Beispiel das französische Unter-

nehmen Play Bac Presse, Verlag der seit 1995 erfolg-

reichen Kinder- und Jugendtitel „Quoti“, „Le Petit Quo-

tidien“, „Mon Quotidien“ und „L’actu“. Die vier bis acht

Seiten starken Tageszeitungen im Tabloid-Format wen-

den sich altersbezogen an Fünf- bis 17-Jährige und

begleiten im Idealfall die Kinder stufenweise von der

Vorschule bis zum Baccalauréat.5 Die Zeitungen kos-

ten – je nach Titel – zwischen 6,90 Euro und 9,40

Euro im Monat. Zusammen haben „Quoti“, „Le Petit

Quotidien“, „Mon Quotidien“ und „l’actu“ eine Aufla-

5) Vgl. Pasquay, Anja: Auf der Suche nach den Lesern von morgen –Jugend und Zeitung, in: BDZV-Jahrbuch „Zeitungen 2004“, S. 239 – 251.

Frankreich: Schreibschrift, Comics und Tier-geschichten für kleine Leser ab fünf Jahre.

Der Erste Weltkrieg – Geschichte in Geschichten für Siebenjährige.

Page 5: Damit aus Kindern Leser werden

7

ge von rund 200.000 Exemplaren und werden jeweils

Dienstags bis Samstags im Abonnement an die Adres-

sen der jugendlichen Bezieher geschickt. Eins zu eins

übertragbar wären die Verhältnisse etwa auf Deutsch-

land allerdings nicht, denn der Versand von Zeitun-

gen per Post wird in Frankreich noch stark subventio-

niert und kostet etwa ein Viertel der Gebühren, die ein

deutscher Verlag für die Beförderung eines ver-

gleichbaren Objekts aufwenden müsste.

Aber auch lokal und regional hat sich in jüngerer Zeit

etwas getan. Hier einige Beispiele: In der „Braun-

schweiger Zeitung“ erscheinen seit dem 1. Juni 2005

täglich für Kinder aufbereitete Nachrichten aus Poli-

tik, Wirtschaft, Sport, Kultur, Wissenschaft und Ge-

sellschaft. Bestandteil der „Kinder-Spalte“ auf der letz-

ten Lokalseite ist immer auch eine lokale Meldung.

Darüber hinaus können Kinder in der Rubrik „Meine

Meinung“ ihre Ansicht zu verschiedenen Themen ver-

treten. Samstags wird statt der Spalte im Lokalteil eine

ganze Kinderseite im Wochenendmagazin der „Braun-

schweiger Zeitung“ angeboten. Bei den überregiona-

len Kindernachrichten kooperiert die Zeitung mit GEO-

lino.de und tagesschau.de.

Bereits 2003 begann der „Südkurier“ in Konstanz da-

mit, Tag für Tag eine Nachricht für Kinder abzudrucken.

Sie ist regelmäßig auf der Seite „Leute! und Boulevard“

zu finden. Der Wiedererkennbarkeit und Leserbindung

dient die ungewöhnliche Berichterstatterin, „Kalles

Kuh“, die obendrein die Ereignisse aus einer häufig ra-

dikal subjektiven Perspektive schildert. Die gute Nach-

richt vom 30. August 2006 beispielsweise lautete: „Der

Papst bringt einen Ferientag mit“. Seit kurzem hat Kal-

les Kuh auch einen eigenen Internetauftritt, auf den

in den Artikeln nach Möglichkeit verwiesen wird.

Sogar täglich eine ganze Seite mit Nachrichten für Kin-

der bietet der „Hellweger Anzeiger“ (HA) in Unna seit

25. April 2006 an. Zielgruppe sind die Acht- bis Zwölf-

jährigen im Verbreitungsgebiet. Sie finden die wich-

tigsten Nachrichten aus aller Welt, aber auch aus ih-

rer Stadt immer auf der Schlussseite des ersten Zei-

tungsbuchs. Das Farbleitsystem des „Hellweger

Von Dienstag bis Samstag die eigene Zeitungper Post beziehen: „Mon Quotidien“ für Zehn-bis 14-Jährige

An Jugendliche ab 14 Jahre wendet sich „l’actu“, das umfangreichste Angebot für jun-ge Leser aus dem Verlag Play Bac Presse.

LOKALE NACHRICHTENANGEBOTE

Page 6: Damit aus Kindern Leser werden

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Anzeigers“ gilt auch für die jüngsten Leser: Der „gel-

be Klecks“ (gelb für Lokales) beinhaltet von dienstags

bis samstags Nachrichten aus Unna und Umgebung.

Immer rechts auf der Seite finden die Kinder Nach-

richten aus aller Welt. Für letztere arbeitet die „HA“-

Redaktion mit dem „Logo!“-Team des ZDF zusammen.

Montags wartet ein „grüner Klecks“ auf Lektüre – grün

signalisiert Neues vom „Sport“. Der besondere Clou:

Für Lehrer bietet der „HA“ einen täglichen Newsletter

an: Wer möchte, erhält bereits am Abend die Themen

der Ausgabe des nächsten Tages per E-Mail zuge-

schickt, um die Kinderseite in den Unterricht einbau-

en zu können.

Natürlich enthält auch die ganz normale Tageszeitung

gedruckt oder online reichlich Lesestoff, der für Kin-

der im Grundschulalter verständlich und interessant

sein kann, würden sie nur von Eltern, Geschwistern,

Freunden oder Lehrern an die Lektüre entsprechend

herangeführt. Leseförderungsprojekte der Zeitungen

machen sich diesen Umstand im Schulunterricht

erfolgreich zunutze. Hunderttausende Kinder und

Jugendliche kommen so Jahr für Jahr in Kontakt mit

„ihrer“ Zeitung.

Grund für Berührungsängste selbst bei den Lesean-

fängern gibt es nicht. „Schon ab der zweiten Klasse

kann ich Presseartikel im Schulunterricht empfehlen.

Die Kinder können in diesem Alter Texte lesen, ver-

stehen, darüber reden und sie reflektieren“, sagt etwa

Professor Wilfried Bos, Leiter des Instituts für Schul-

entwicklungsforschung an der Universität Dortmund

und wissenschaftlicher Leiter der „Internationalen

Grundschul-Lese-Untersuchung“ (IGLU) in Deutsch-

land. Der Professor rät eindringlich, Kinder weder zu

unterschätzen noch zu unterfordern. Bereits in der

Grundschule könnten sie beispielsweise mit literari-

schen und informativen Texten gleich gut umgehen.

Ein weiteres Resultat des IGLU-Vergleichs mit Schü-

lern aus 35 Nationen: Die deutschen Kinder schnit-

ten Ende der vierten Klasse in den Bereichen Lese-

kompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften im

oberen Leistungsdrittel ab - und damit sehr viel bes-

ser als bei einer Fortsetzung des Tests (PISA) in der

neunten Klasse. „Die Grundschule ist bisher die bes-

te schulische Bildungseinrichtung in Deutschland“,

urteilt Bos.

Folgt man Bos’ Einschätzung, können Zeitungen in

der Arbeit mit Grundschulkindern eigentlich nur alles

richtig machen. Denn Unterricht wird jetzt noch als

neu und aufregend empfunden, das Lernen selbst

nicht als mühselige tägliche Fron abgelehnt. Noch ei-

nen Schritt weiter geht seit zwei Jahren das Zei-

tungshaus Bauer in Marl (unter anderem „Reckling-

häuser Zeitung“). Hier wird, angestoßen durch Verle-

ger Kurt Bauer, in Zusammenarbeit mit einem

medienpädagogischen Dienstleister das Projekt „Zei-

tungstreff Vorschulkinder“ angeboten.

Das Zeitungshaus offeriert eine ganze Palette von

Leseförderungsprojekten für Kinder und Jugendliche

in der Region, aber „mit keinem anderen Werbemittel

erreichen wir die Eltern so gut. Je jünger die Kinder

sind, umso mehr wird in den Elternhäusern kommu-

niziert und um so größer ist auch das Interesse an ih-

rer Bildung“, erläutert Elke Jansen, Ressortleiterin Wo-

chenendjournal/Serviceseiten. Über drei Wochen wird

den teilnehmenden Kindergärten im Verbreitungsge-

biet der „Recklinghäuser Zeitung“ die originale Ta-

geszeitung zum Basteln, Rätseln und spielerischen

Entdecken unentgeltlich zugestellt. Das Gelingen des

gesamten Projekts hängt sehr vom Engagement der

Erzieher ab, macht Jansen deutlich. Denn „die Kinder

sollen nicht mit erhobenem Zeigefinger an das Lesen

und Sprechen herangeführt werden, sondern mit kre-

ativen Übungen.“ Erfreuliches Resultat für den Verlag:

Bei der ersten Tranche, an der 1.200 Kinder beteiligt

waren, entschieden sich im Anschluss 60 junge Fa-

milien für den Bezug eines Vollabonnements.

Tatsächlich gab es aufgrund privater Initiativen min-

destens zwei weitere lokale Zeitungsprojekte in Kin-

dergärten, und zwar im Verbreitungsgebiet der „Deis-

ter- und Weserzeitung“ in Hameln und der „Kölnischen

Rundschau“. Im Herbst 2006 wurde sogar eine über-

regionale Zeitung unter Vorschülern aktiv: Die „Frank-

furter Rundschau“ (FR) hat Kindertagesstätten im

Rhein-Main-Gebiet erstmals ein dreiwöchiges Zei-

tungsprojekt zur Frühförderung angeboten – „Friki -

Frankfurter Rundschau im Kindergarten“. „FR“-Ge-

ZEITUNG IM KINDERGARTEN

IGLU: KINDERN ETWAS ZUTRAUEN

Page 7: Damit aus Kindern Leser werden

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schäftsführer Sönke Reimers hofft, damit eine Markt-

lücke zu füllen. „Tageszeitungen haben Kinder nicht

im Fokus“, sagte er anlässlich der Ankündigung des

Projekts. „Wir sind überzeugt, dass unser Medium ein

kindgerechtes sein kann, auf alle Fälle kindgerechter

als die Power Rangers.“

Kurz: Mit der eigenen Tageszeitung für Kinder mag es

nun klappen oder nicht. Deutlicher noch als bisher

wenden sich viele Zeitungen der Zielgruppe Kinder im

ersten Lesealter zu und kreieren allein oder im Ver-

bund neue inhaltliche und pädagogische Angebote.

Stärker als bei Jugendlichen, die ihren Schulalltag weit-

gehend autark organisieren, ergibt sich hier obendrein

die Chance zum Kontakt mit den am Bildungsforschritt

ihrer Kinder interessierten Eltern.

Kontakt

Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV)

Anja Pasquay

Telefon: 030/726298-214

E-Mail: [email protected]

www.bdzv.de