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Daniel Barenboim Wird 70 - Jeder Moment Des Lebens_ Musik -- Sueddeutsche

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Kultur 

Daniel Barenboim wird 70

Jeder Moment des Lebens: Musik15.11.2012, 11:03

Von Wolfgang Schreiber 

Beim Dirigenten Daniel Barenboim schließen sich Nonchalance, Künstlertum

und politisches Engagement nicht aus. Der Schüler Wilhelm Furtwänglers hat

gerade in Berlin eine Akademie für Nachwuchsmusiker aus dem Nahen Osten

ins Leben gerufen. Nun wird der Kosmopolit siebzig.

Daniel Barenboim im Januar 2009 in der Staatsoper in Berlin (© dapd)

Wenn Daniel Barenboim sich mit Hut und Zigarre im Hollywood-Stil der Vierzigerjahre

ablichten lässt, auf dem Cover des Saisonbuchs seiner Berliner Staatsoper, dann will er 

mit dieser Art von Selbstinszenierung der Musikwelt nicht ohne Ironie und einen Schuss

Eitelkeit vermitteln: Auch ich schätze, wie der Filmheld, Statussymbole von Männlichkeit,Unerschrockenheit, Genussfreude - nur dass Humphrey Bogart lieber nervös an der 

Zigarette zog.

Bei Barenboim schließen sich Nonchalance, Künstlertum und politisches Engagement

nicht aus, der Mann hat viele Neigungen. Einerseits: Dass er ein glückliches Wunderkind

am Klavier gewesen ist, spürt man an der Zwanglosigkeit seines Auftretens, auf dem

Podium musizierend oder vor Kameras redend. Andererseits: Wenn er in der Knesset in

Jerusalem 2004 in seiner Dankesrede für den Wolf-Preis den Staat Israel angreift, weil

die Kontrolle und Besetzung der Palästinenser gegen die in der Unabhängigkeitserklärung geforderte Gleichberechtigung aller israelischen Bürger und

Volksgruppen verstoße, entfacht er den Eklat, wörtlich: "Wie steht es um die

Unabhängigkeit eines Volkes, wenn der Preis dafür ein Schlag gegen die fundamentalen

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Rechte eines anderen Volkes ist?"

 Auch Barenboim kann sagen, er sei ein Berliner: Der in Buenos Aires geborene, dort

und in Israel aufgewachsene Dirigent und Pianist russischer Abstammung ist seit 1991

Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden, Vertrag bis 2022, dazu

Dirigent der Staatskapelle Berlin mit ihrer alten Klangkultur. Musikchef der Mailänder 

Scala, Gründer und Leiter des hochsymbolischen, israelische und arabische Musiker 

vereinenden Jugendprojekts West-Eastern-Divan-Orchestra, mit dem er in der Weltgastiert. Barenboims musikalische und musikpolitische Betätigungslust bis in die

Verausgabung hinein scheint keine Grenzen zu kennen.

Ein Empfehlungsschreiben für die nächsten zwanzig Jahre

 Aber sein musikalisches Ohr hört, es fühlt "deutsch". Das hat er früh in sich

aufgenommen, das stand mal für Gründlichkeit, Gelehrsamkeit, Ernsthaftigkeit des

Musizierens aus einer dichten und tiefen Klangvorstellung heraus, kaum vereinbar mit

den Erfolgskriterien Perfektion oder Virtuosität. Die altväterischen Orchester Leipzigs

und Dresdens sowie Barenboims Staatskapelle im alten Ostberlin haben, durch kulturelle Abgeschiedenheit der DDR, sich den historischen Klang und Geist erhalten. Barenboim

pflegt ihn, wenn er Beethoven und Bruckner dirigiert.

 Als Kind gelangt er mit den Eltern an die Quelle musikalischer Klassik, zu Kursen nach

Salzburg. Dort dirigiert Wilhelm Furtwängler seinen letzten "Don Giovanni", der Knabe

sitzt in den Proben, er darf ihm vorspielen. "Der elfjährige Barenboim ist ein Phänomen .

. .", der Satz Furtwänglers sichert dem Jungen die Zukunft: "Dieser Brief wurde für die

nächsten zwanzig Jahre mein Empfehlungsschreiben", so Barenboim im Buch "Die Musik

- mein Leben".

Barenboims musikalische Genealogie bestimmt seine Gestaltung, sie orientiert sich in

der Tat an Furtwängler und schließt dessen Adepten Celibidache mit ein. Viele Jahre

hindurch kommt er als Pianist nach München, um mit Celibidaches Philharmonikern

Klavierkonzerte von Mozart, Beethoven und Schumann, Brahms und Tschaikowsky zu

spielen, in sorgfältig artikulierten, durchreflektierten Wiedergaben. Nie habe er München

nach solchen Begegnungen verlassen, "ohne neuen Stoff zum Nachdenken gehabt

zu haben".

Sein Repertoire als Pianist wie als Dirigent zeigt die klassisch-romantische Verwurzelung: Auf Bachs Fundament des "Wohltemperirten Claviers" erheben sich die Solo-Konzerte

und Sonaten Mozarts, der ganze Beethoven, darauf ist Schubert, Brahms und

Mendelssohn gebaut, ausgewählter Chopin, Debussy - nicht immer hat er heutzutage

Zeit zum Üben, Kritikerschelte erschüttert ihn kaum.

Zum symphonischen Beethoven, Brahms und Bruckner tritt erst spät Mahler hinzu, in der 

Oper dominieren Mozart und Wagner, er liebt Kunstlied und Kammermusik - ein

Universalist der Musik. Bei der avancierten Moderne handelt Barenboim vorsichtiger:

Boulez und der soeben gestorbene Elliott Carter sind die Favoriten. Aber wenn der mitGrammy's und Ehrungen überschüttete Kosmopolit Barenboim zu Freunden nach

 Argentinien fährt, taucht er gleich ein in die Tangos und Lieder Piazzollas und Gardels -

und katapultiert alles auf die CD.

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Barenboims Musizieren bewahrt das Altmeisterliche, sogar Altmodische, im Kontrast zur 

 jüngeren, antigenialischen Dirigentengeneration oder zum "historisch informierten"

Darstellen. Er liebt den vollen, dunklen, emotional hochgefahrenen Orchesterklang, er 

lässt die klassisch-romantischen Symphonien und die Wagner-Dramen, jahrelang in

Bayreuth, in seelischer Emphase breit dahinfließen.

Jeder Moment seines Lebens: Musik. So begeht er den Geburtstag in der Berliner 

Philharmonie mit Beethoven, Tschaikowsky und Freund Zubin Mehta am Pult der Staatskapelle. Das Zwanzig-Millionen-Geschenk besorgte der Bund, vor zwei Tagen: Die

Gründung einer Akademie zur Ausbildung junger Musiker aus Nahost. In Berlin.

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Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH

(SZ vom 15.11.2012/ihe)

 

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