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Artemis im Artemishymnos des Kallimachos [M.A. Harder, R.F. Regtuit, G.C. Wakker (Hrsgg.): Callimachus II (Hellenistica Groningana 7) Leuven 2004, 161-171] Der Artemishymnos des Kallimachos weist eine auffällige, für viele Interpreten unbefriedigende Struktur auf: „The long third Hymn, to Artemis, is especially complex" (so G.O. HUTCHINSON): 1 „The first part of the poem (1-109) essen- tially presents a single line of narrative ...; the second part (110-268) is much less obvious in design, and moves much more giddily in tone ..." 2 Selbst Inter- preten wie P. BING und V. UHRMEISTER (1994), die in ihrem programmatischen Aufsatz 3 zu Recht eine Reihe von einheitsstiftenden Elementen in der Kompo- sition des Hymnus hervorheben, 4 stellen diese Einheit für die Schlußteile (V. 170-182; 183-224; 225-258) durch die Annahme eines „shift in focus" „from Artemis herself, to her environment" im Grunde wieder in Frage. 5 Die überraschende mehrfache Verlängerung des Hymnos nach V. 109 (Ende des ersten Teils) und über das, nach WILAMOWITZ, 6 mit V. 182 7 eigentlich schon erreichte Ziel hinaus („its extraordinary prolongation") sei, so M.W. HASLAM, eigentlich nur durch die von Kallimachos pointiert ausgespielte Konkurrenz zwischen Artemis und ihrem Bruder Apoll, dem Gegenstand des vorher- gehenden zweiten Hymnos zu erklären („Artemis would have been gratified that the hymn to her is so much longer than that to her brother"), 8 denn an sich biete Artemis weit weniger Stoff fur einen Hymnos als Apoll. 9 Der Hinweis auf den Apollonhymnos ist sicher relevant, doch muß (HASLAMS eigener Grundauf- fassung von der Einheit des ,Hymnensextetts' entsprechend) 10 zumindest auch der folgende vierte Hymnos auf die Insel Delos [162] einbezogen werden. HASLAMS Feststellung, „ Hymnus 3 and 4 form a structural pair by virtue of their length and their disjointed tail sections"," ist gerade im Hinblick auf das 1 G.O. HUTCHINSON, Hellenistic Poetry, Oxford 1988: 68. 2 Vgl. HUTCHINSON (1988: 69): „In the second part... wc have moved from easy narrative into a rigid, discontinous form, and a scholarly mode." S. ζ. B. auch M.W. HASLAM, Callima- chus' Hymns, in: M.A. Harder ct al. (Hrsgg.): Callimachus (Hcllenistica Groningana 1) Gro- ningen 1993: 114: „The Artemis hymn continues to slip and slide; it progressively disinte- grates, ..." 3 P. BING/V. UHRMEISTER, The Unity of Callimachus' Hymn to Artemis, JHS 114, 1994, 19- 34. 4 S. bcs. BLNG/UHRMEISTER (1994: 21) zum „dialogue between Artemis and Zeus" als „genera- tive nucleus which determines the rest of the poem". 5 BlNG/UHRMEISTER (1994: 31). 6 υ. v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Hellenistische Dichtung in der Zeit des Kallimachos, Berlin 1924: 58. 7 Helios verspätet sich bei der Bewunderung der Artemis inmitten ihres Nymphenchors. 8 HASLAM (1993: 115, vgl. 114), der auf//. 3,7 und 83 hinweist. 9 HASLAM (1993: 117): „Artemis offers less material for hymning than cither Zeus (?) or Apol- lo, and it is in line with Callimachus' modernist upsetting of the proper proportional relations of things that she gets more spacc." 10 HASLAM (1993: 1 15). I Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 10/31/13 5:37 PM

Darstellungsziele und Erzählstrategien in antiken Texten () || Artemis im Artemishymnos des Kallimachos

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Artemis im Artemishymnos des Kallimachos

[M.A. Harder, R.F. Regtuit, G.C. Wakker (Hrsgg.): Callimachus II (Hellenistica Groningana 7) Leuven 2004, 161-171]

Der Artemishymnos des Kallimachos weist eine auffällige, für viele Interpreten unbefriedigende Struktur auf: „The long third Hymn, to Artemis, is especially complex" (so G.O. HUTCHINSON):1 „The first part of the poem (1-109) essen-tially presents a single line of narrative ...; the second part (110-268) is much less obvious in design, and moves much more giddily in tone ..."2 Selbst Inter-preten wie P. BING und V. UHRMEISTER (1994), die in ihrem programmat ischen Aufsatz3 zu Recht eine Reihe von einheitsstiftenden Elementen in der Kompo-sition des Hymnus hervorheben,4 stellen diese Einheit für die Schlußteile (V. 170-182; 183-224; 225-258) durch die Annahme eines „shift in focus" „from Artemis herself, to her environment" im Grunde wieder in Frage.5 Die überraschende mehrfache Verlängerung des Hymnos nach V. 109 (Ende des ersten Teils) und über das, nach WILAMOWITZ,6 mit V. 1827 eigentlich schon erreichte Ziel hinaus („its extraordinary prolongation") sei, so M.W. HASLAM, eigentlich nur durch die von Kallimachos pointiert ausgespielte Konkurrenz zwischen Artemis und ihrem Bruder Apoll, dem Gegenstand des vorher-gehenden zweiten Hymnos zu erklären („Artemis would have been gratified that the hymn to her is so much longer than that to her brother"),8 denn an sich biete Artemis weit weniger Stoff fur einen Hymnos als Apoll.9 Der Hinweis auf den Apollonhymnos ist sicher relevant, doch muß (HASLAMS eigener Grundauf-fassung von der Einheit des ,Hymnensextetts' entsprechend)10 zumindest auch der folgende vierte Hymnos auf die Insel Delos [162] einbezogen werden. HASLAMS Feststellung, „Hymnus 3 and 4 form a structural pair by virtue of their length and their disjointed tail sections"," ist gerade im Hinblick auf das

1 G.O. HUTCHINSON, Hellenistic Poetry, Oxford 1988: 68. 2 Vgl. HUTCHINSON (1988: 69): „In the second par t . . . wc have moved from easy narrative into

a rigid, discontinous form, and a scholarly mode." S. ζ. B. auch M.W. HASLAM, Callima-chus ' Hymns, in: M.A. Harder ct al. (Hrsgg.): Callimachus (Hcllenistica Groningana 1) Gro-ningen 1993: 114: „The Artemis hymn continues to slip and slide; it progressively disinte-grates, ..."

3 P. BING/V. UHRMEISTER, The Unity of Call imachus' Hymn to Artemis, JHS 114, 1994, 19 -34.

4 S. bcs. BLNG/UHRMEISTER (1994: 21) zum „dialogue between Artemis and Zeus" als „genera-tive nucleus which determines the rest of the poem".

5 BlNG/UHRMEISTER (1994: 31). 6 υ . v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Hellenistische Dichtung in der Zeit des Kallimachos,

Berlin 1924: 58. 7 Helios verspätet sich bei der Bewunderung der Artemis inmitten ihres Nymphenchors. 8 HASLAM (1993: 115, vgl. 114), der a u f / / . 3,7 und 83 hinweist. 9 HASLAM (1993: 117): „Artemis offers less material for hymning than cither Zeus (?) or Apol-

lo, and it is in line with Call imachus ' modernist upsetting of the proper proportional relations of things that she gets more spacc."

10 HASLAM (1993: 1 15). I

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Artemis im Artemishymnos 193

Kriterium der Länge unvollständig: Die drei Hymnen 2, 3 und 4 auf Leto und ihre Kinder12 und, wenn man Hymnos 1 auf den , Vater Zeus' hinzunimmt, die ersten vier Hymnen gehören schon durch ihre aufsteigende Länge zusammen (96, 113, 268, 326 Verse), die sich umgekehrt proportional zur traditionellen Bedeutung der durch sie gefeierten Götter verhält (Zeus, Apoll, Artemis, Delos) und eine paradoxe Antiklimax ergibt.

Sind wir überdies berechtigt, die Hymnen 3 und 4 im Hinblick auf „their disjointed tail sections" enger zusammenzuordnen, und war das Stroffreservoir fur Artemis tatsächlich geringer als für Zeus oder Apoll?13 Welche Themenaus-wahl trifft Kallimachos zur Charakterisierung seiner Artemis, wodurch ist sie bedingt, und wie wird sie darstellungstechnisch umgesetzt? Nach B i N G / U H R -

MEISTER14 entwickelt sich das Gedicht nach drei einleitenden Versen, die „at first sight present a traditional hymnic opening ..." in zwei langen Schritten: „First, Callimachus takes over half of the poem to set out the development of the goddess Artemis from a little child to a fully fledged Olympic deity. Then, in the remainder of the poem, he details how the power of the divinity is reali-zed in its mythic/cultic environment." Wie weit aber hält sich Kallimachos the-matisch und strukturell an traditionelle Vorgaben (ζ. B. das enge Verhältnis der Artemis zu ihrem Bruder Apoll), und wie steht der Hymnos auf Artemis zum vorhergehenden Apollonhymnos?

Während die beiden kurzen homerischen Hymnen auf Artemis die Göttin vor allem als gleichgesinnte Schwester des großen Apoll feiern ("Αρτεμις ... έκατηβόλος ίοχέσιρα als weibliches Gegenstück zum Έ κ α τ ο ς ... άργυρότοξος Α π ό λ λ ω ν ) 1 5 und sie erst an zweiter Stelle als jungfräul iche Jägerin' präsentie-ren, deren bevorzugter Aufenthaltsort die Bergwälder sind,16 fehlen unter den vielen Epitheta der Artemis [163] im Artemishymnos des Kallimachos solche, die an Apoll erinnern ( Έ κ α τ ο ς , έκατηβόλος, έκηβόλος, έκηβολίη; vgl. dagegen Η. 5,112 έκαβολίαι) ebenso wie ihr eigenes homerisches Epitheton constans ίοχεαιρσ, und Bezugnahmen auf Apoll werden überhaupt auf sparsame Anspie-

11 HASLAM (1993: 1 15) mit Hinweis auf BING (198B: 126, Anm. 57), der annimmt, daß die Hymnen 3 und 4 „originally companion pieces" waren. Vgl. ζ. B . N . HOPKINSON, Callima-chus, Hymn to Demeter, ed. with an introd. and comm. (Cambridge classical texts and com-mentaries 27) Cambridge 1984: 13-17, der die sechs Hymnen in drei „pairs" einteilt und ge-rade die Hymnen 5 und 6 als „contrasting and complementary pieccs" ansieht (Detailanalyse ebd., mit weiterer Literatur).

12 Vgl. H. 3 ,138-139 τη ενι (sc. σοιδη) μέν Λητοΰξ γάμο; εσοεται, έν δε συ (sc. "Αρτεμι) πολλή, / έν δέ και Άττόλλωυ, ...

13 Vgl. ο. Anm. 9. 1 4 B I N G / U H R M E I S T E R ( 1 9 9 4 : 2 0 ) .

15 h.Hom. 9 ,5-6, vgl. 1-2; vgl. h.Hom. 27,3 und 13-14. 16 h.Hom. 27 ,4 -10 (rclativische Prädikation); im kurzen h.Hom. 9 ist von der Jagd nicht aus-

drücklich die Rede (s. ζ. B. auch Catull, C. 34,9-12, ,montium domina...' ohne ausdrückli-che Erwähnung der Jagd); vgl. auch Horn. Od. 6 ,151-152 (Artcmisgleichnis). I

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194 Hellenistische Dichtung: Klcinformen

lungen beschränkt.17 Es liegt nahe, diese , Aussparungen' auf eine planvolle Verteilung und Abstimmung der Themenschwerpunkte innerhalb des kallima-cheischen Hymnencorpus zurückzuführen: Artemis, die im homerischen Apol-lonhymnos mehrfach betont Apoll zur Seite gestellt wird,18 erscheint im Apol-lonhymnos des Kallimachos nur flüchtig ein einziges Mal19 (sie wird noch mehr zurückgedrängt als Apoll in dem ihr selbst gewidmeten Hymnos), und das häu-fige Hymnenelement ,Geburtsgeschichte', das im homerischen Apollonhymnos viel Platz einnimmt,20 wird im Apollon- (und Artemis-)hymnos des Kallima-chos offenbar deshalb ausgeblendet, weil ihm Kallimachos im 4. Hymnos (auf Delos) eine eigene Darstellung hat zukommen lassen.2 '

Die Themenauswahl muß also auch im Vergleich mit den übrigen Hymnen der Sammlung gesehen werden. Doch wie disponiert und kombiniert Kallima-chos die von ihm ausgewählten Themen im Verlauf seines Artemishymnos? Kann man mit BlNG/UHRMElSTER von einem Vorgehen „in two long steps" sprechen?

Die beiden Interpreten gliedern den Hymnos im Rahmen der von ihnen an-genommenen Zweiteilung in zehn Abschnitte: 1. „Artemis παις (4-40a)"; 2. „From παϊς to δαίμων (40b-86)"; 3. „From δαίμων to θεή (87-112)"; 4. „From θεή to άνασσα (113-137)": Soweit offenbar der erste Gedichtteil: „her step by step development (παΤς - δαίμων - θεή - άνασσα) into a fully fledged god-dess. Wird eine so gradlinige Entwicklung vom Kind zur machtvollen Herrin durch den Text bestätigt? Man müßte dann erwarten, daß die spätere Bezeich-nung jeweils die frühere ablöst, doch dies ist nicht der Fall: δαίμων heißt Arte-mis nicht nur bis V. 86 oder 112, sondern noch V. 173 (also als „fully fledged [164] goddess"), und als θεή wird Artemis nicht nur in den Abschnitten 87-112 und 113-137 bezeichnet, sondern auch V. 152 oder 186, als sie längst eine voll etablierte Gottheit ist: Kallimachos gebraucht die Begriffe δαίμων und θεή im Artemishymnos also doch eher synonym,23 so daß sie nicht zur Differenzierung verschiedener Entwicklungsstadien der Gottheit verwendet werden können.

Im zweiten Hymnenteil unterscheiden BlNG/UHRMElSTER die folgenden sechs Abschnitte: 5. „The Path to Olympus (138-141)"; 6. „On Olympus (142-

17 V. 7; 83 und 250 (Konkurrenz mit Apoll); V. 138-139 (im Lied auf Artemis haben auch Leto und Apoll ihren Platz); V. 142-146 (Apoll verliert seine Prärogative beim Empfang der Arte-mis im Olymp an Herakles); V. 169 (Artemis' Platz neben Apoll im Olymp).

18 h.Hoin. 3,14-18; 158-168; 197-199. 19 H. 2,60-61 (Artemis liefert die Hörner kynthischer Ziegen für Apolls Hörneraltar). 20 h.Hom. 3,13/14-126. Kallimachos' Verlagerung der .Geburtsgeschichte' in den 4. Hymnos

hat nichts mit der Frage der Einheit des homerischen Apollonhymnos zu tun (wie M. DEPEW, Delian Hymns and Callimachean Allusion, HSCPh 98, 1998: 155 mit Anm. 2, meint).

21 M. DEPEW (1998) läßt das Verhältnis des Deloshymnos zum Apollonhymnos des Kallima-chos außer Betracht, obwohl auch der Apollonhymnos bemerkenswerte Anspielungen auf Pindar (bes. Pi. P. 4; 5 und 9) aufweist.

22 S. 25, vgl. 20. I 23 Ebenso wie ζ. Β. H. 5,41; 65; 86 (δαίμων), Η. 5,95; 101; 138; 140 (θεά) für Athena.

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A r t e m i s i m A r t e m i s h y m n o s 195

169)"; 7. „The Chorus (170-182)"; 8. „Mythic Environment (183-224)"; 9. „Cultic Environment (225-258)"; 10. „The Finale (259-268)." Die Überschrif-ten erscheinen in sich merkwürdig disparat. Welche Kriterien liegen der Glie-derung zugrunde? Was haben die beiden ,olympischen' Abschnitte mit ,dem Chor' zu tun, und wieso wird „the Chorus" von den beiden Partien über das „Environment" abgegrenzt? Welcher Zusammenhang besteht überdies mit dem entwicklungsgeschichtlichen ersten Gedichtteil? Das vorliegende Gliederungs-schema scheint die o. g. Kritik am Aufbau des Hymnos eher zu bestätigen als zu widerlegen. Der im Kern berechtigte Interpretationsansatz muß also noch modifiziert und durch die Einbeziehung der traditionellen Hymnentypologie einerseits und durch Kallimachos-spezifische Überlegungen andererseits er-gänzt werden.

Unter den ersteren Punkt fallen seit den homerischen Hymnen und Hesiod (Theogonieprooimion) als „typische Teile" „in der typischen Reihenfolge: Auf-ruf, relativische Prädikation des Wesens (der Gottheit), Geburtsgeschichte, abermals Wesensschilderung, Einzug in den Olymp, Namen und Wirksamkeit, Abschied",24 Elemente, die, mit Ausnahme der ,Geburtsgeschichte', im Arte-mishymnos des Kallimachos, wenn auch in besonderer Ausformung und Erwei-terung und nicht unbedingt in der angegebenen Reihenfolge, durchaus vorlie-gen. Schwierigkeiten machen nicht die Themen als solche, sondern ihre eigen-artige Präsentation.25

Zwei Aspekte halte ich zu diesem letzteren Punkt für besonders beachtens-wert: (1) Die für Kallimachos auch sonst charakteristische Technik paradoxer Überraschungseffekte, wie sie besonders deutlich in den Aitia, aber ζ. B. auch im Zeushymnos vorliegt;26 (2) das strategische [165] Spiel mit intertextuellen Bezügen, wie es ζ. Β. M. D E P E W für die Anspielungen auf Pindar im 4. Hym-nos nachgewiesen hat (allerdings ohne Berücksichtigung des 2. und 3. Hym-nos).27

Ich greife zwei exemplarische Fälle im Artemishymnos heraus, die den ers-ten Hymnenteil bei B l N G / U H R M E l S T E R (V. 87-112 „From δαίμων to θεή") be-treffen.

In den Versen 87-97 besorgt sich Artemis bei Pan in Arkadien eine Meute von insgesamt 13 Hunden, die ausführlich nach ihren Merkmalen und nach ih-rer besonderen Eignung für die Jagd beschrieben werden (Kraft, Schnelligkeit, Spürsinn). Mit dieser Meute begibt sie sich auf die Jagd (V. 98 μετά και κύνες έσσεύοντο) und trifft auf eine Anzahl riesiger, goldgehörnter Hirschkühe (V. 99-102), die sie als lohnende erste Jagdbeute für sich beanspracht (V. 104

2 4 P. FRIEDLÄNDER, D a s P r o ö m i u m v o n H c s i o d s T h e o g o n i e , H e r m e s 4 9 , 1 9 1 4 , 1 - 1 6 = , H e s i -

o d ' , h r sg . v. E . HEITSCH, W d F 4 4 , 1 9 6 6 , 2 7 7 - 2 9 4 (Zi ta t S . 2 8 9 ) .

2 5 S . ζ. B . d a s E l e m e n t , E i n z u g in den O l y m p ' V. 1 4 1 - 1 6 9 , in d e m A r t e m i s k a u m m e h r a l s den

R a h m e n fur e i n e H e r a k l e s a n e k d o t e zu b i l d e n scheint .

2 6 S . ζ. Β . H. 1 , 4 - 9 ( u n e r w a r t e t e A n t w o r t a u f d ie F r a g e n a c h Z e u s ' G e b u r t s o r t ) . I

2 7 M . D E P E W ( 1 9 9 8 : 1 5 9 - 1 8 2 , b e s . 1 6 5 - 1 8 2 ) .

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196 Hel len is t i sche Dich tung : K l e i n f o r m c n

,τοΟτό κεν 'Αρτέμιδος π ρ ω τ ά γ ρ ι ο υ άξιον εϊη'). Nach dieser Vorbereitung er-wartet der Hörer oder Leser, daß die so nachdrücklich und vielversprechend eingeführten Hunde auch tätig werden und Artemis sich mit ihrer gerade für diesen Zweck erworbenen Hundemeute auf die Verfolgung begibt, und man könnte aus BlNG/UHRMEISTERs Darstellung auch den Eindruck gewinnen, daß diese Erwartung nicht enttäuscht wird.28

Tatsächlich aber ist im Text von den Hunden, die so detailliert vorgestellt worden waren, und auf die der Erzähler gerade noch nachdrücklich hingewie-sen hatte (Parenthese V. 98), plötzlich nicht mehr die Rede, und der verblüffte Leser wird obendrein ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß Artemis die Hunde eigentlich gar nicht nötig hatte (V. 105f. πίσυρας δ' ελες ώκα θεού-σα / νόσφι κυνοδρομίης, in Antithese zu V. 98 μετά και κύνες έσσεύοντο). F. BORNMANNS Kommentar:29 „Che le cerve siano catturate senza l 'aiuto dei cani, ..., non deve meravigliare. La loro presenza non serve che a far risaltare la pro-digiosa velocita della fanciulla ...", trifft nicht den Kern der Sache, weil er den zunächst einmal unbestreitbaren Verblüffungseffekt durch einen Versuch, ihn zu erklären, hinwegdiskutieren will. Der Erklärungsversuch ist zudem auch für sich genommen unvollständig und mißverständlich, weil Schnell igkei t ' nur ei-ne unter mehreren Eigenschaften der Hunde ist und die Ausführlichkeit der Vorstellung der Meute allein nicht rechtfertigen kann [166],

Die vorliegende Partie des Artemishymnos enttäuscht die Erwartung des Lesers jedoch noch in anderer Hinsicht: Artemis ist bei Kallimachos wie im ho-merischen Artemishymnos die έλαφηβόλος,30 und man erwartet deshalb, daß V. 104 π ρ ω τ ά γ ρ ι ο ν die erste Jagdbeute der Jagdgöttin ankündigt (Erlegung der gewaltigen Hirschkühe), doch der sich unmittelbar anschließende Finalsatz überrascht mit der Information, daß Artemis die Hirschkühe nur als Zugtiere für ihren schnellen Wagen braucht (V. 106 ϊυα τοι θοόν άρμα φέρωσι).

An dieser Stelle schließt Kallimachos den Bericht über die ,erste Jagd' der Göttin mit einer neuen unerwarteten Wendung: Von den fünf Hirschkühen, mit denen der Erzähler sie konfrontiert hatte, fängt Artemis nur vier. Die fünfte ent-kommt über den Keladon-Fluß in den π ά γ ο ς Κερύυειος (V. 109) und wird nach Heras Willen für Herakles reserviert (eine Anspielung auf die Kerynitische Hindin31 und zugleich ein Vorgriff auf den späteren Auftritt des Herakles in der olympischen Empfangsszene für Artemis V. 144-61). Die so vielversprechend eingeführten zahlreichen schnellen Hunde der Artemis (V. 90-98; vgl. auch V.

28 BING/UHRMEISTER (1994 : 23) : „It (sc. the h u n t i n g - p a c k ) lays the g r o u n d w o r k for the fol lo-w i n g scene , in wh ich she hun t s for the first t ime": daß die H u n d e gar n i c h t e ingese tz t w e r d e n , wird n ich t e rwähn t .

29 F. BORNMANN, Ca l l imach i H y m n u s in D i a n a m . Introd. Tes to cr i t ico e c o m m c n t o , F i rcnzc 1968: 49 . I

30 h.Hom. 27 ,2 ("Αρτεμιν ά ε ί δ ω . . . έλαφηβόλον ιοχέαιραν) ; vgl. Η. 3 ,17 (νύμφσς. αϊ ... όττπότε μηκέτι ... έλάφους βάλλοιμι, θοούς κύνας ευ κομέοιεν) und V. 262 (έλαψηβολίην) .

31 Vgl . P indar , Ο. 3 , 2 6 - 3 1 und BORNMANN (1968: 53).

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Artemis im A r t e m i s h y m n o s 197

17: s. Anm. 30) bleiben indessen von der Bildfläche verschwunden (obwohl sie auch noch in V. 140 als eigentlich geradezu selbstverständlicher Bestandteil eines Liedes auf Artemis herausgestellt werden).

Seit langem hat man beobachtet, daß Kallimachos Ablauf und Wortlaut von Artemis' ,erster Jagd' im Rückgriff auf eine pindarische Szene entworfen hat (Pi. N. 3,51-52).32 Dort bewundern Artemis und Athene den jungen Achill auf der Jagd, ,wie er ohne Hunde und Netze Hirsche tötete, denn er überwand sie allein durch die Schnelligkeit seiner Füße'. Bei Pindar wie bei Kallimachos geht es um die Jagd auf Hirsche/Hirschkühe (Pi. N. 3,51 und H. 3,100 έλά-φους), hier wie dort wird die exorbitante Schnelligkeit des/der Jagenden hervor-gehoben (Pi. N. 3,52 ττοσσ'ι ... κράτεσκε; Η. 3,105 ώκα θεούσα), die den Ver-zicht auf die eigentlich erforderlichen Jagdhunde ermöglicht (Pi. N. 3,51 άνευ κυνών; Η. 3,106 υόσφι κυνοδρομίης). Die Funktion des intertextuellen Rück-griffs aber wird durch zwei Abweichungen des Kallimachos vom pindarischen Hypotext deutlich: (1) der jugendliche Heros Achill bei Pindar ,tötet1 naturge-mäß die gejagten Tiere (Pi. N. 3,51 κτείνοντ' έλάφους), die jugendliche Göttin bei Kallimachos J'ängf sie (Η. 3,105 ελες). Die Abweichung bestätigt den von Kallimachos mit dem [167] ambivalenten π ρ ω τ ά γ ρ ι ο ν άξιον intendierten Überraschungseffekt: an die Stelle des Erwarteten tritt etwas gänzlich Unerwar-tetes; (2) Artemis/Athene bei Pindar und Artemis bei Kallimachos ,staunen' (Pi. N. 3,50 έθάμβεου; Η. 3,103 εταφες), doch die Objekte des ,Staunens' sind jeweils verschieden. Bei Pindar ,staunt' Artemis über den Jäger (Achill), bei Kallimachos über das Jagdziel (die Hirschkühe). Der Leser des Kallimachos aber staunt vor allem über Artemis selber, die schneller ist als ihre unvergleich-lich schnellen Hunde (V. 94 θάσσονα; αύράων; V. 94f. διώξαι ώκισται) und im Schnellauf (V. 105 ώκα θεούσα) noch die Hirschkühe übertrifft, die dazu bestimmt sind, ihren eigenen schnellen Wagen' (V. 106 θοόν αρμα) zu ziehen. Impliziert ist offenbar, daß Artemis bei ihrer ,ersten Tat ' den von ihr selbst be-staunten schnellen Achill' Pindars in den Schatten stellt: die Verschiebung ge-genüber dem Hypotext hat ihre besondere Pointe.

Intertextuell ist schließlich auch die von Pindar vorgegebene und auf den ersten Blick befremdliche Zusammenordnung von Artemis und Athene auf-schlußreich, weil sie auf eine Verbindung zwischen dem dritten (Artemis-) und dem fünften (Athene-) Hymnos des Kallimachos hinweist. Warum Pindar gerade diese beiden, sich sonst nicht nahestehenden Göttinnen zu Bewunderin-nen der Jagderfolge des noch ganz jungen Achill gemacht hat (Pi. N. 3,50 τόυ έθάμβεον "Αρτεμις τε και θρασε? Άθάνα), erklärt er im unmittelbar folgenden Vers (Pi. N. 3,51 κτείνοντ' έλάφους άνευ κυνών δολίων θ' έρκέων).33 Artemis

32 Μ . Τ . SMILEY, C a l l i m a c h u s ' Debt to P inda r and Others , H e r m a t h e n a 18, 1919: 55; vgl. BORNMANN (1968: 49) . I

33 Vgl . Η. ERBSE, P inda r s dr i t te N e m e i s c h e Ode , H e r m e s 97, 1969: 2 8 4 und W. RACE, Style and Rhe tor ic in P i n d a r ' s O d e s (APA, A m e r i c a n Class ica l S tudies 24) At lan ta 1990: 168, de r V. 51 n ich t be rücks i ch t ig t , abe r zu Rech t auf das At t r ibut θρασεΐ ' V. 50 h inweis t . I

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198 Hcl lcn is t i sche Dich tung : K l c i n f o r m e n

als Jagdgöttin staunt, weil Achill ohne die obligatorischen Jagdhunde aus-kommt, Athene als Göttin der Kunstfertigkeit, weil Achill keine technischen Hilfsmittel wie Schlingen und Netze braucht. Bei Pindar stehen die Göttinnen also für die von ihnen repräsentierten Funktionsbereiche. Kallimachos aber hat die beiden Göttinnen und die ihnen gewidmeten Hymnen durch eine Reihe von anderen Details zueinander in Beziehung gesetzt.

Artemis und Athene sind beide jungfräuliche Töchter des Zeus. Diese her-kömmlichen Gemeinsamkeiten spielen in Pindars dritter nemeischer Ode keine Rolle, Kallimachos jedoch macht die exklusive Beziehung der beiden Göttin-nen zum Vater Zeus im dritten wie im fünften Hymnos zu einem zentralen The-ma. Im Artemishymnos (3) schließt die lange, den Gedichtablauf bestimmende Anfangsszene (V. 4 -40 ) ,die kleine Artemis auf den Knien ihres Vaters Zeus' mit dem ihre Wünsche und seine eigenen Zusicherungen bestätigenden Kopf-nicken des Zeus (V. 39f. ώς ... ε ιπών / μϋθον έπεκρήηυε καρήατι; vgl. V. 28 π α τ ή ρ [168] δ' έπέυευσε); im Hymnos auf das Bad der Athene (5) schließt die Liste der Entschädigungen, mit denen Athene den geblendeten Teiresias und seine Mutter Chariklo zu trösten sucht, mit dem bestätigenden Kopfnicken der Göttin, das mit dem ihres Vaters Zeus gleichgesetzt wird (V. 131-133 cbs φαμέυα κατέυευσε. τ ό δ' εντελές, φ κ' έπινεύση / Παλλάς , έπει μώνα Ζευς τόγε θυγατέρων / δώκε ΆθαναΤα ...; vgl. V. 134-136). In beiden Fällen rückt der Erzähler durch das besiegelnde Kopfnicken die enge Verbindung von Vater und Tochter in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

In unserem Zusammenhang aufschlußreich ist weiter eine Besonderheit des kallimacheischen Athenahymnos, auf die schon WlLAMOWlTZ aufmerksam ge-macht hat: „Paßt es sich fur Athena im Walde zu spazieren und in einer Quelle zu baden oder für die Jägerin Artemis? Hat Athena wie jene einen Chor von Gespielen um sich? Und ist der Abklatsch" (d. h. die Abhängigkeit der Athe-ne/Teiresias- von der Artemis/Aktaion-Geschichte) „nicht deutlich, wenn Teire-sias auf die Jagd gehen muß?"34 A.W. B U L L O C H 3 5 hält „ W l L A M O W l T Z ' argu-ment that the Tiresias-Athena encounter is based on the Actaeon-Artemis story" für „weak, since the bath of Artemis is not mentioned before the Fifth Hymn i t s e l f . Er versucht, in einer ebenso langen wie spekulativen Argumenta-tion nachzuweisen, „that association of the Argive ritual and the Tiresias myth was no invention of Callimachus, but that most probably they were linked in Argive history or local legend itself ' .36 Auf die entscheidenden Punkte in W l L A M O W l T Z ' rhetorischen Fragen geht B U L L O C H jedoch überhaupt nicht ein: Athena ist keine Jägerin und Teiresias kein Jäger (anders als Artemis und Aktaion). Das Ambiente der Geschichte (Jagd in den Bergen, Chor von Gefähr-tinnen, Baden in einer Quelle) paßt nicht zum Wirkungsbereich der Athena, die

34 WlLAMOWlTZ (1924: II 23) . 35 A . W . BULLOCH, C a l l i m a c h u s , T h e Fif th H y m n . Ed . with Introd. A n d C o m m e n t a r y ( C a m -

br idge c lass ica l texts and c o m m e n t a r i e s 26) C a m b r i d g e 1985: 19). 36 BULLOCH (1985: 1 9 - 2 5 ; Zi ta t S. 24) .

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Artemis im Artemishymnos 199

auch Kallimachos selbst im 5. Hymnos als kriegerische und männliche Göttin und Stadtpatronin vorstellt.37 Die von W I L A M O W I T Z gestellten Fragen sind also durchaus berechtigt. Der Schlüssel aber fiir die auffällige Angleichung der Athena an Artemis im Hymnos auf das Bad der Pallas liegt offenbar im Artemishymnos einerseits, den B U L L O C H ebensowenig berücksichtigt wie WILAMOWITZ, und bei Pindar andererseits, der die beiden Göttinnen als bewundernde Zuschauer des jagenden Achill zusammengeordnet hatte. Diese Pindarstelle, auf die Kallimachos auch im Artemishymnos [169] zurückgegrif-fen hatte (s. o.), ist im fünften Hymnos die intertextuelle Voraussetzung für die Parallelisierung von Athena und Artemis im Kontext der Jagd (Bestrafung der Jäger Teiresias bzw. Aktaion). Berg und Quelle, Nymphen als Gefahrtinnen, Chortänze, Jagd und Jäger, der Vergleich Athenas mit Artemis dienen zur asso-ziierenden Verklammerung des fünften mit dem dritten Hymnos des Kallima-chos und sind weitere Indizien für die planvolle Anlage des ,Hymnensextetts ' .

Der Vergleich der beiden Hymnen zeigt schließlich auch, daß Kallimachos bei der Stoffauswahl für den Artemishymnos noch einen traditionell wesentli-chen Aspekt ,ausgeblendet' hat: die ambivalente Rolle männlicher Adepten der Jagdgöttin: Aktaion kommt im Artemishymnos ebensowenig vor wie ζ. B. Hip-polytos. Erneut wird deutlich, daß die sechs Hymnen sich thematisch ergän" zen.38

Berücksichtigt man also außer der Hymnentypologie auch die Bezugnah-men auf Artemis in den beiden ersten sowie im vierten und fünften Hymnos (im sechsten kommt Artemis nicht vor), so ergeben sich für die Analyse der Präsen-tation der Artemis im dritten Hymnos die folgenden Anhaltspunkte. Im Zeus-hymnos (1) erscheint Artemis als ,Chitone', der die Jäger zugeordnet sind (V. 76-78 ύδείομευ ... έπακτήρας ... Χιτώυης / 'Αρτέμιδος, vgl. Η. 3 ,11-12 und 225), im Apollonhymnos (2) unterstützt die ,Jägerin Artemis' (V. 60 "Αρτεμις άγρώσσουσα) auf Ortygia/Delos ihren vierjährigen Bruder Apoll durch die Hörner von ihr erjagter kynthischer Ziegen beim Bau eines Hörneraltars, im Hymnos auf Delos (4) wird Iris mit einer Jagdhündin der Artemis verglichen (V. 228-232 KUCÜV ώ ς / Αρτέμιδος), und im Hymnos auf das Bad der Pallas schließlich ist Aktaion in den Bergen ,Jagdgefährte der großen Artemis' (V. 110 μεγάλας σύνδρομος 'Αρτέμιδος, vgl. 112 ξυναι ... έκαβολίαι). In all diesen Parallelstellen ist Artemis übereinstimmend und ausschließlich die Göttin der Jagd. Diese traditionelle Funktion macht entsprechend auch den Kern des Arte-mishymnos aus, dem die übrigen Aufgaben und Eigenschaften der Göttin unter-geordnet werden. Schon in der einleitenden Themenangabe ist der Bogen ihr Attribut und die Jagd ihr bevorzugtes Betätigungsfeld (V. 2 in der relativischen Prädikation τη τόξα λαγωβολία ι τε μέλουται), zu denen der ,umfangreiche

37 S. ζ. Β. V. 4 3 - 4 4 (Anruf an die ,Städtezerstörerin ' ,mit dem goldenen He lm ' , ,dic den Lärm von Pferden und Schilden liebt ' , vgl. den Anfang V. 2 -12 ) ; s. auch V. 2 9 - 3 0 (Athena ge-braucht άρσεν ... ελαιον wie Kastor und Herakles); V. 53 (πολιοΰχοξ). I

38 Vgl. ο. S. 193f. I

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200 Hellenistische Dichtung: Kleinformen

Chor' (ihres weiblichen Gefolges) und die ,Berge als Spielfeld' ergänzend hin-zukommen (V. 3), und noch in der Erweiterung der traditionellen Abschiedsfor-mel am Schluß des Hymnos (V. 259 und 268 χαϊρε) durch einen Katalog von Warnungen vor den Folgen von Verstößen gegen die Prärogativen der mächti-gen Göttin nimmt der Aspekt der Jagd einen [170] bevorzugten Platz ein (V. 262 μηδ' έλαφηβολίηυ μηδ' εύστοχίηυ έριδαίυειυ, mit dem negativen Exempel der Hybris Agamemnons, V. 263): ergänzend werden hier die seit den home-rischen Hymnen für Artemis charakteristische Jungfräulichkeit' (V. 264 μηδέ τιυα μυασθαι τήυ παρθένου...) und, wie zu Beginn, ,der Chor' genannt (V. 266 μηδέ χορόν φεύγειυ έυιαύσιου...). Nur der erste Vers dieser Abschiedsfor-mel (V. 259) fügt mit der Adressierung der Artemis als Stadt- und Hafengöttin (Μουυιχίη λιμευοσκόπε) einen weiteren Einflußbereich hinzu.

Im Artemishymnos des Kallimachos ist also Artemis primär die jungfräuli-che Jägerin und Schützin, umgeben von gleichgearteten Nymphen (s. bes. V. 170-224) und Amazonen (V. 237-250), Stadtgöttin ist sie erst sekundär: vgl. ihre eigenen Wünsche und Präferenzen (V. 6-25) mit den Funktionsbereichen und Kompetenzen, die Vater Zeus ihr von sich aus dazugibt (V. 31-40, bes. V. 33 δέκα τοι πτολίεθρα κα'ι ούχ ένα πύργου όπάσσω ... Artemis selbst hatte dagegen dezidiert gesagt, V. 18-19 πόλιυ δέ μοι ήυτιυα υεΤμου / ήυτιυα λης. σπαρνόν γαρ δτ ' "Αρτεμις άστυ κάτεισιυ). Dazu paßt, daß Kallimachos die Gründung des Artemis-Tempels von Ephesos auf Amazonen zurückfuhrt, die in Ephesos ein ländliches Kultbild für die Göttin aufstellen und darum herum ei-nen Waffentanz auffuhren (V. 237-250, vgl. 248-250). Artemis' Funktion als Stadtgöttin wird aus dem ursprünglichen Kompetenzbereich einer Göttin der freien Natur abgeleitet.

Nimmt man die beiden Rahmenpartien (V. 1-3 und 259-268) als Ansatz-punkt für die Strukturanalyse im ganzen, so läßt sich der Artemishymnos in vier eng untereinander verzahnte Teile gliedern:

(1) V. 1-109: die disponierende Einleitungsszene ,Dialog der kleinen Arte-mis mit ihrem Vater Zeus' (ihre Wünsche und seine erweiternden Zusicherun-gen, V. l-40a), und die Umsetzung der geäußerten Wünsche durch Artemis (V. 40b-86). Dieser erste Teil schließt mit der Einlösung eines nur indirekt geäu-ßerten Wunsches (Jagdhunde: V. 87-97, vgl. V. 17), aus der sich die erste Jagd der neu etablierten Gottheit ergibt (V. 98-109);

(2) V. 110 (Apostrophe und Epiphanie) -182: die strahlende neue Gottheit im Verhältnis zu den Menschen (V. 121-135), zu den anderen Göttern (olympi-sche Empfangsszene, V. 138-169) und im Kreis ihrer Nymphen (V. 170-182: Chor). Der Teil schließt mit dem Staunen des Helios über die Pracht des Chors;

(3) V. 183 (apostrophierende Fragen an die Göttin) -224: Lieblingsorte und vor allem liebste Gefährtinnen (von Britomartis/Diktyna bis zu Atalante); [171]

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Artemis im Artemishymnos 201

(4) V. 225 (Apostrophe) -258 : Artemis' Kultorte und Städte, vor allem Kultbild (errichtet von Amazonen: Waffentanz des Chors der Amazonen um das Bild) und Tempel von Ephesos.

Berücksichtigt man also die Hymnentypologie, das Verhältnis von Ankün-digung und Ausführung und die markierenden Apostrophen an die Gottheit und stellt die gleitenden Übergänge zwischen den Gedichtteilen in Rechnung, so er-gibt sich für den dritten Hymnos auf Artemis eine klare, in sich geschlossene Struktur, die auf die Göttin als strahlenden Mittelpunkt hin angelegt ist: Das mehrfach wiederholte Bild vom Chor, dessen Mitte die Göttin bildet, hat also eine leitmotivische Funktion.

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