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V. Aspekte dramatischer Darstellung Vorbemerkungen Die beiden hier wieder vorgelegten Aufsätze zum Drama (Euripides, ,Hippoly- ten' und Aristophanes, ,Wolken') haben eigenartig formulierte Aussagen signi- fikanter , dramatis personae' und strukturelle Besonderheiten zum Thema, die für das Verständnis der jeweiligen Handlung aufschlußreich sind, aber auch noch in den jüngsten einschlägigen Veröffentlichungen wenig Aufmerksamkeit gefunden haben. Für den ,Hippolytos' ergeben sich aus der vergleichenden Analyse der Aus- sagen der korrespondierenden Rahmengötter (Aphrodite im Prolog, Artemis in der Schlußszene) mit dem Auftreten und der Selbstvorstellung der menschli- chen Protagonisten (Hippolytos und Phaidra) in den Anfangsszenen wesentli- che Kriterien für deren oft und kontrovers diskutierte Beurteilung. 1 Der Aufsatz hebt die Besonderheiten in der Struktur des Dramas gegenüber vergleichbaren Tragödien des Euripides hervor, weist auf die Ambivalenz der Leitbegriffe σεμ- υότης und σωφροσύνη hin und zeigt an signifikanten Details des Wortlauts, daß Hippolytos eigentlich erst durch die Aussagen der Rahmengötter für den 1 Vgl. ζ. B. den Überblick über das Drama und die verschiedenen Interpretationsansätze bei K. MATTHIESSEN, Die Tragödien des Euripides, 2002, 77-94 (Literatur zum ,Hippolytos' 93f.; vgl. DENS. .Euripides und sein Jahrhundert, 2004, 62f.). MATTHIESSEN selbst versteht Hippo- lytos S. 93 (vgl. 91) „einerseits als hcroischc Gestalt, ... einen der wenigen männlichen Tra- gödienhelden bei Euripides, der als Opfer der mit einer solchen Rolle verbundenen Einseitig- keit und Kompromißlosigkeit zugrundegeht und anderereits als Epheben, ... eine Gestalt des Übergangs von der Jugend zum Erwachscnsein...", zugleich aber sagt er (S. 92), „die Men- schen" meinen „in ihrer beschränkten Sicht... frei zu handeln ... In Wahrheit aber handeln sie nach den ihnen verborgenen ... Plänen der Götter..." Anders ζ. B. Chr. WILDBERG, Hyperesie und Epiphanic, 2002, 128-135, für den „die Epiphanic der Götter nicht losgelöst von der Ethopoiie ... des Titelhelden betrachtet... werden kann ... Zugespitzt formuliert: Die Aphrodi- te und die Artemis des ,Hippolytos' sind nichts anderes als die Aphrodite und die Artemis des Hippolytos." Zugleich aber schreibt er jedoch (S. 131), „wenn Euripides je eine Integri- tätsfigur erschaffen" habe, „die das göttliche Prinzip auf menschlicher Ebene perfekt" verkör- pere, dann „sei" es der Sohn des Theseus und der Amazone Hippolyte ... Artemis „bezeuge" mit ihrem Erscheinen nicht nur die Unschuld des Hippolytos, sondern „rechtfertige" „ihn in seinem ganzen Wesen". Wieder anders ζ. B. W. K.ULLMANN, Deutung und Bedeutung der Götter bei Euripides, Innsbrucker Btr. 5, 1987, 7-22, der S. 13 aus seiner Deutung des .Hip- polytos' folgert: „Bei Euripides stehen sich also die beiden unterschiedlichen theologischen Konzeptionen der beiden homerischen Epen: ,Die Götter als Urheber menschlichen Un- glücks' und ,Dic Götter als Garanten der Gerechtigkeit' in bewußter Antithese gegenüber." Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 11/4/13 10:49 AM

Darstellungsziele und Erzählstrategien in antiken Texten () || Vorbemerkungen

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Page 1: Darstellungsziele und Erzählstrategien in antiken Texten () || Vorbemerkungen

V. Aspekte dramatischer Darstellung

Vorbemerkungen

Die beiden hier wieder vorgelegten Aufsätze zum Drama (Euripides, ,Hippoly-ten' und Aristophanes, ,Wolken') haben eigenartig formulierte Aussagen signi-fikanter , dramatis personae' und strukturelle Besonderheiten zum Thema, die für das Verständnis der jeweiligen Handlung aufschlußreich sind, aber auch noch in den jüngsten einschlägigen Veröffentlichungen wenig Aufmerksamkeit gefunden haben.

Für den ,Hippolytos' ergeben sich aus der vergleichenden Analyse der Aus-sagen der korrespondierenden Rahmengötter (Aphrodite im Prolog, Artemis in der Schlußszene) mit dem Auftreten und der Selbstvorstellung der menschli-chen Protagonisten (Hippolytos und Phaidra) in den Anfangsszenen wesentli-che Kriterien für deren oft und kontrovers diskutierte Beurteilung.1 Der Aufsatz hebt die Besonderheiten in der Struktur des Dramas gegenüber vergleichbaren Tragödien des Euripides hervor, weist auf die Ambivalenz der Leitbegriffe σεμ-υότης und σωφροσύνη hin und zeigt an signifikanten Details des Wortlauts, daß Hippolytos eigentlich erst durch die Aussagen der Rahmengötter für den

1 Vgl . ζ. B. den Überb l i ck über das D r a m a und die ve r sch iedenen In te rp re ta t ionsansä tze bei K. MATTHIESSEN, Die T r a g ö d i e n des Eur ip ides , 2002 , 7 7 - 9 4 (Li tera tur z u m , H i p p o l y t o s ' 93f . ; vgl. DENS. .Eur ip ides u n d sein Jah rhunder t , 2004 , 62f.) . MATTHIESSEN selbs t vers teh t H i p p o -lytos S. 93 (vgl. 91) „e inerse i ts als hc ro i schc Gestal t , ... e inen der w e n i g e n m ä n n l i c h e n Tra-g ö d i e n h e l d e n bei Eur ip ides , de r als O p f e r der mi t e iner so lchen Rol le v e r b u n d e n e n Einse i t ig -keit und K o m p r o m i ß l o s i g k e i t zug rundegeh t und anderere i t s als E p h e b e n , ... e ine Ges ta l t des Ü b e r g a n g s von der J u g e n d z u m Erwachscnse in . . . " , zugle ich aber sag t er (S. 92), „die M e n -s c h e n " me inen „in ihrer be sch ränk ten S i c h t . . . frei zu hande ln ... In Wahr he i t aber hande ln sie nach den ihnen ve rbo rgenen ... P länen der Göt te r . . . " Ande r s ζ. B. Chr . WILDBERG, Hype re s i e und Ep iphan i c , 2 0 0 2 , 1 2 8 - 1 3 5 , f ü r den „die Ep i pha n i c der Göt te r n i ch t losgelös t von der E thopo i i e ... des T i t e lhe lden b e t r a c h t e t . . . werden k a n n ... Zugesp i t z t fo rmul ie r t : Die A p h r o d i -te und die A r t e m i s des , H i p p o l y t o s ' s ind n ich ts anderes als d ie A p h r o d i t e u n d die A r t e m i s des H i p p o l y t o s . " Zug le ich aber schre ib t er j e d o c h (S. 131), „ w e n n Eur ip ide s j e e ine Integri-t ä t s f igur e r s c h a f f e n " habe , „die das göt t l iche Pr inz ip auf m e n s c h l i c h e r E b e n e p e r f e k t " verkör -pere , dann „se i " es der Sohn des T h e s e u s und der A m a z o n e Hippo ly t e ... A r t e m i s „ b e z e u g e " mi t ih rem E r s c h e i n e n n ich t nur d ie U n s c h u l d des Hippo ly tos , sonde rn „ r ech t f e r t i ge" „ ihn in s e inem g a n z e n W e s e n " . W i e d e r anders ζ. B. W. K.ULLMANN, D e u t u n g u n d B e d e u t u n g der Göt te r bei Eur ip ides , I nnsb rucke r Btr. 5, 1987, 7 - 2 2 , der S. 13 aus se iner D e u t u n g des .Hip -po ly tos ' folger t : „Bei Eur ip ides s tehen sich also d ie be iden un t e r s ch i ed l i chen theo log i schen K o n z e p t i o n e n der be iden homer i s chen Epen : ,Die Göt te r als U r h e b e r m e n s c h l i c h e n U n -g l ü c k s ' und ,Dic Göt te r als Ga ran t en der Gerech t igke i t ' in b e w u ß t e r An t i t he se g e g e n ü b e r . "

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V o r b e m e r k u n g e n 389

Zuschauer zu einer in einem verhängnisvollen Irrtum befangenen tragischen Fi-gur wird.2

Für die ,Wolken' des Aristophanes fuhrt die Analyse des Wortlauts der ly-rischen Parodos des Wolkenchors und des sie kommentierenden .Orientie-rungsgesprächs' des Sokrates mit Strepsiades (V. 275-475) in Verbindung mit der Beachtung einer formalen Besonderheit der .enthüllenden' iambischen Ab-schiedsworte der .Wolken' an den betrogenen Betrüger Strepsiades (s. die fei-erliche Gleichmäßigkeit der Chorverse 1454f. und 1458—61 )3 zu einer von der communis opinio abweichenden Deutung ihrer .Substanz(losigkeit)' und Funk-tion, die im Einklang mit ihrem charakteristischen Wesen und ihrer spezifi-schen Erscheinung in dieser nach ihnen benannten Komödie steht.

Ihrer Rolle liegt ihre Wechselhaftigkeit und ihr von Natur aus trügerischer Aspekt zugrunde („since they look like steam or smoke (καπνός: cf. 330) they suggest what is vain, empty, deceptive, and insubstantial...").4 Diese raison d ' etre, die auch den von M . S I L K 5 beobachteten pretentiösen pseudo-feierlichen Stil der Parodos erklärt, muß jede Interpretation der Funktion des Wolkenchors methodisch im Auge behalten.6 Da Aristophanes zudem ausdrücklich sagt, daß seine Wolken ihre Erscheinungsform immer nach dem Charakter dessen rich-ten, mit dem sie es gerade zu tun bekommen (V. 348ff.) und jetzt ζ. B. zu ,Frauen' geworden seien, weil sie den weibischen Kleisthenes gesehen hätten (V. 355), dann können ihre auffälligen ,Nasen', auf die der auf Betrug an seinen Gläubigern sinnende Strepsiades verblüfft hinweist (V. 344), nur auf die Be-gegnung mit diesem und seinem Mentor Sokrates zurückgeführt werden (V. 358ff.).7

2 Die in der vor igen A n m . zi t ier ten Interpreten gehen auf d ie g e n a n n t e n Le i tbeg r i f f e u n d ihre A m b i v a l e n z n ich t ein und sagen ü b e r h a u p t wen ig über die au f fä l l igen Deta i l s in den Aussa -gen der R a h m e n g ö t t e r . MATTHIESSEN weis t zwar , ähnl ich wie ζ. Β. M. LEFKOWITZ, C Q 39, 1989, 76f . , mit der B e m e r k u n g „Hippo ly tos ist noch ims tande , de r Gö t t in (Ar temis ) e inen recht b i t te ren G r u ß n a c h z u r u f e n " (S. 91) au f d ie Absch i cdsve r se 1440f . h in , n i m m t aber zu deren B e d e u t u n g fü r d ie Beur t e i l ung der t rag ischen Si tua t ion des H ippo ly to s n ich t S te l lung (gar n i ch t b e a c h t e t w e r d e n die Verse ζ. B. von S. MILLS, Eur ip ides : H ippo ly tu s , 2 0 0 2 , 45f . o d e r 51) : s. dazu m e i n e n Aufsa t z , un ten 391 ff.

3 S. un t en S. 409 f . u n d 4 1 7 f . (vgl . 413 mi t A n m . 34). 4 K.J . DOVER, Ar i s tophanes : C louds , 1968, LXVIII . In ü b e r r a s c h e n d e m W i d e r s p r u c h zu dieser

Fes t s te l lung sagt DOVER j e d o c h zugle ich, ebd. L X X , „. . . they reveal t hemse lves at the end (1454 f f . ) as true dei t ies ... r epresenta t ives and agents of the t rue d iv ine h ie ra rchy . . . " W i e kön -nen die W o l k e n . insubs tan t ie l l ' und .substant ie l l ' zug le ich se in?

5 A r i s t o p h a n e s as a lyric poet , Y C l S t 26, 1980, 1 0 6 - 1 2 . 6 Ve rnach lä s s ig t ζ. Β. n e u e r d i n g s auch von J.F. GAERTNER, Der W o l k e n - C h o r des Ar i s topha -

nes , R h M 142, 1999, 2 7 2 - 7 9 in seiner Argumen ta t i on (bes. S. 273f . ) gegen m e i n e Interpreta-tion (und ζ. T. auch die von A . M . BOWIES, Ar i s tophanes . Myth , Ri tua l , and C o m e d y , 1993, 1 2 4 - 3 0 9 ) des im Text , w ie GAERTNER selbst e in räumt , au f fä l l ig h e r v o r g e h o b e n e n . t rügeri-schen Ä u ß e r e n ' der W o l k e n .

7 S. m e i n e n Aufsa t z , un t en S. 4 0 6 - 4 1 0 (zu den , N a s e n ' ) , 4 1 1 - 4 1 3 (zu P indar , P. 2: , Ι χ ίοη ' als Hypo tex t ) u n d 4 1 3 - 4 1 7 (zur S c h l u ß a u s e i n a n d c r s e t z u n g des W o l k e n c h o r s mi t S t reps iades , V. 1454ff . ) ; vgl. a u c h H J . NEWIGER, L ' i n t eg raz ionc del le f o r m e t rad iz iona l i ne l l ' az ionc , Dion i -so 57, 1987, 2 3 - 2 6 . — N u . 344 αύτα ι δε ρ ίυα; εχουσιν he iß t n i ch t ,diese Frauen h a b e n

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390 Aspek te d rama t i sche r Dars t e l lung

In beiden Fällen (dem , H i p p o l y t o s ' ebenso wie den ,Wolken') führt die Beach-tung auffälliger sprachlicher Details in Verbindung mit einer funktionalen Ana-lyse der Dramenstruktur und der Art der Präsentierang der Titelfiguren zu einer Neubewertung der jeweiligen (^tragischen' bzw. ,komischen') Darstellungs-ziele.

N a s e n 1 (vgl. GAERTNER, O. A n m . 6, 275 : „. . .kl ingt , als w ä r e der ( se lbs tve r s t änd l i che ) Bes i t z von N a s e n e ine Besonde rhe i t von Frauen") , sondern ,diese ( W o l k e n ) h a b e n N a s e n ' , sc. im Unte r sch ied z u m üb l i chen E r sche inungsb i l d von Wolken (vgl. S t reps iades V. 343f . ) . Alle f ü n f E i n w ä n d e GAERTNERs (O. A n m . 4, 275f . ) gegen m e i n e Interpre ta t ion v e r s u c h e n die Be-d e u t s a m k e i t der im Text vo rgegebenen ,Nasen ' , au f d ie schon die Schol ien h i n w i e s e n (DO-VER, C o m m . 147 zu V. 344) , zu relat ivieren oder zu bagate l l i s ieren, o h n e die Frage nach ih-rer Funk t i on im K o n t e x t der k o m i s c h e n H a n d l u n g zu stellen: W a r u m hat A r i s t o p h a n e s als mai t re de j e u ge rade S t reps iades und gerade an dieser Stelle e r s taunt au f d ie , N a s e n ' der . W o l k e n ' a u f m e r k s a m m a c h e n lassen?

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