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Österr. Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 154. Jg., Heft 7-9/2009 und Heft 10-12/2009 1 Das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ – Überblick und Langzeit- erfahrungen „Reinforced Earth“ – overview and long-term experience Von Marko Brüggemann, Seevetal bei Hamburg (D) Mit 26 Abbildungen und 1 Tabelle (Eingelangt am 19. Jänner 2010) Kurzfassung Das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ kann als eine der bedeutendsten Innovationen im Bereich der Geotech- nik angesehen werden. In den 1960- iger Jahren begann der Siegeszug und ist bis heute ungebremst. Dafür sprechen insgesamt mehr als 36 Mil- lionen Quadratmeter errichteter Be- wehrte-Erde-Konstruktionen weltweit und die 2 Millionen Quadratmeter, die jährlich hinzukommen. Zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten, darunter über 50 m hohe Wände, Wände in Erdbebengebieten und hoch belaste- te Wände wie z.B. Brückenwiderlager untermauern die positiven Erfahrungen mit der Bauweise. Nach nunmehr über 40 Jahre Erfahrung und zahlreichen positiven Er- kenntnissen bezüglich der Dauerhaftigkeit von Bewehrte-Erde- Konstruktionen sollte in Zukunft keine Skepsis bezüglich des Einsatzes des Bauverfahrens in Österreich und Deutschland bestehen. Abstract Reinforced Earth is one of the major geotechnical innovations. The triumphal procession begun in the 1960ies and is still con- tinuing. 36 million square meter of Reinforced Earth structures world wide and 2 million square meter a year are validating this in an impressing way. A huge variety of applications such as 50 m high walls, walls in seismic areas and highly loaded walls e.g. bridge abutments are backing up this experience. After more than 40 years of positive expertise regarding durability of Reinforced Earth structures there should be no longer any prejudices concerning the use of this technique in Austria and Germany. 1. Einleitung Bis heute wurden weltweit mehr als 36 Millionen Quadratme- ter Bewehrte-Erde-Konstruktionen errichtet. Jährlich kommen ca. 2 Mio. Quadratmeter hinzu. In Österreich und Deutschland stehen davon nur ca. 71.500 m² (ca. 0,2%). Mit dem Begriff „Bewehrte Erde“ werden meistens mit Geotextilien bewehrte Steilböschungen assoziiert. Historisch gesehen geht das Bau- verfahren jedoch auf das Prinzip „La Terre Armée“, ein mit Stahl- bändern bewehrten Reibungsboden zurück, mit dem haupt- sächlich vertikale Stützwände errichtet werden. Die Gründe für die offensichtliche Nichtwahrnehmung des Bauverfahrens bei den Bauherren, Planern und bauausführenden Firmen liegen offensichtlich in Bedenken bezüglich der Dauerhaftigkeit der Stahlbewehrungsbänder und der Anwendung eines für sie neu- en Verfahrens. Doch wo wären wir heute ohne den Pioniergeist vorangegangener Generation wie z.B. G. Wayss, A. Freytag und E. Freyssinet? Es gäbe wahrscheinlich keine Spannbeton- brücken, ohne welche heutige Brückenkonstruktionen kaum vorstellbar und kosteneffizient wären. Dieser Artikel soll dazu dienen, das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ erneut vorzustellen, Langzeiterfahrungen aufzuzeigen und vor allem die Angst vor dem Einsatz dieses Verfahrens zu nehmen. 2. Geschichte des Bauverfahrens Das Bauverfahren wurde von dem französischen Ingenieur Henry Vidal entwickelt und im Jahre 1963 patentiert. Es ist das Ergebnis von Intuition, langjähriger Forschung und folgt dabei einer einfachen Idee: die Schaffung eines äußerst festen Verbundkörpers durch die Kombination von Erdschüttungen und Bewehrungsbändern. Die Bewehrungsbänder nehmen die Zugkräfte auf und tragen diese über Reibung in den Boden ab. Sie bestehen aus verzinkten Stahlbändern mit aufgewalzten Querrippen. An der Luftseite wird der Bewehrte-Erde-Körper von einer Außenhaut abgeschlossen. Diese besteht wahlweise aus Stahlbetonfertigteilen, Stahlblechen oder Stahlgittermat- ten. Die Bewehrungsbänder werden kraftschlüssig mittels einer Dipl.-Ing. Marko Brüggemann Abb. 1.: Erste deutsche Bewehr- te-Erde-Stützwand in Raunheim (System TerraClass™, 1976)

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Österr. Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 154. Jg., Heft 7-9/2009 und Heft 10-12/2009 1

Das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ – Überblick und Langzeit- erfahrungen „Reinforced Earth“ – overview and long-term experience Von Marko Brüggemann, Seevetal bei Hamburg (D)

Mit 26 Abbildungen und 1 Tabelle (Eingelangt am 19. Jänner 2010)

Kurzfassung

Das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ kann als eine der bedeutendsten Innovationen im Bereich der Geotech-nik angesehen werden. In den 1960-iger Jahren begann der Siegeszug und ist bis heute ungebremst. Dafür sprechen insgesamt mehr als 36 Mil-lionen Quadratmeter errichteter Be-wehrte-Erde-Konstruktionen weltweit und die 2 Millionen Quadratmeter, die jährlich hinzukommen. Zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten, darunter über 50 m hohe Wände, Wände in Erdbebengebieten und hoch belaste-te Wände wie z.B. Brückenwiderlager

untermauern die positiven Erfahrungen mit der Bauweise. Nach nunmehr über 40 Jahre Erfahrung und zahlreichen positiven Er-kenntnissen bezüglich der Dauerhaftigkeit von Bewehrte-Erde-Konstruktionen sollte in Zukunft keine Skepsis bezüglich des Einsatzes des Bauverfahrens in Österreich und Deutschland bestehen.

Abstract

Reinforced Earth is one of the major geotechnical innovations. The triumphal procession begun in the 1960ies and is still con-tinuing. 36 million square meter of Reinforced Earth structures world wide and 2 million square meter a year are validating this in an impressing way. A huge variety of applications such as 50 m high walls, walls in seismic areas and highly loaded walls e.g. bridge abutments are backing up this experience. After more than 40 years of positive expertise regarding durability of Reinforced Earth structures there should be no longer any prejudices concerning the use of this technique in Austria and Germany.

1. Einleitung

Bis heute wurden weltweit mehr als 36 Millionen Quadratme-ter Bewehrte-Erde-Konstruktionen errichtet. Jährlich kommen ca. 2 Mio. Quadratmeter hinzu. In Österreich und Deutschland stehen davon nur ca. 71.500 m² (ca. 0,2%). Mit dem Begriff „Bewehrte Erde“ werden meistens mit Geotextilien bewehrte Steilböschungen assoziiert. Historisch gesehen geht das Bau-verfahren jedoch auf das Prinzip „La Terre Armée“, ein mit Stahl-bändern bewehrten Reibungsboden zurück, mit dem haupt-sächlich vertikale Stützwände errichtet werden. Die Gründe für die offensichtliche Nichtwahrnehmung des Bauverfahrens bei den Bauherren, Planern und bauausführenden Firmen liegen offensichtlich in Bedenken bezüglich der Dauerhaftigkeit der Stahlbewehrungsbänder und der Anwendung eines für sie neu-en Verfahrens. Doch wo wären wir heute ohne den Pioniergeist vorangegangener Generation wie z.B. G. Wayss, A. Freytag und E. Freyssinet? Es gäbe wahrscheinlich keine Spannbeton-brücken, ohne welche heutige Brückenkonstruktionen kaum vorstellbar und kosteneffizient wären. Dieser Artikel soll dazu dienen, das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ erneut vorzustellen, Langzeiterfahrungen aufzuzeigen und vor allem die Angst vor dem Einsatz dieses Verfahrens zu nehmen.

2. Geschichte des Bauverfahrens

Das Bauverfahren wurde von dem französischen Ingenieur Henry Vida l entwickelt und im Jahre 1963 patentiert. Es ist das Ergebnis von Intuition, langjähriger Forschung und folgt dabei einer einfachen Idee: die Schaffung eines äußerst festen Verbundkörpers durch die Kombination von Erdschüttungen und Bewehrungsbändern. Die Bewehrungsbänder nehmen die Zugkräfte auf und tragen diese über Reibung in den Boden ab. Sie bestehen aus verzinkten Stahlbändern mit aufgewalzten Querrippen. An der Luftseite wird der Bewehrte-Erde-Körper von einer Außenhaut abgeschlossen. Diese besteht wahlweise aus Stahlbetonfertigteilen, Stahlblechen oder Stahlgittermat-ten. Die Bewehrungsbänder werden kraftschlüssig mittels einer

Dipl.-Ing. Marko Brüggemann

Abb. 1.: Erste deutsche Bewehr-te-Erde-Stützwand in Raunheim (System TerraClass™, 1976)

Das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ – Überblick und Langzeiterfahrungen

2 Österr. Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 154. Jg., Heft 7-9/2009 und Heft 10-12/2009

Schraubverbindung mit der Außenhaut verbunden. Somit las-sen sich sehr hohe vertikale Stützwände errichten (57 m, Ehi-me Shikoku, Japan). V ida l stellte das Bauverfahren in diversen Veröffentlichungen [1,2] vor. Durch seine geringen Kosten, die geringe Errichtungszeit, hohe Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit verbreitete sich das Bauverfahren schnell weltweit und zählte innerhalb kürzester Zeit auch in vielen europäischen Ländern zur Standardbauweise.

Erste Bauwerke in Deutschland gab es ab 1976 [3, 4]. In diesem Jahr gründete sich auch die Bewehrte Erde Ingenieurgesell-schaft mbH. Nach Erfahrungen von bereits zehntausenden von Quadratmetern errichteter Bewehrte-Erde-Stützwände weltweit berichteten auch F loss und Thamm [5] sowie S te in fe ld [6] über dieses innovative Bauverfahren. Ma luche [7] stellte die Vorteile des Bauverfahrens zusammen und verglich die Kosten mit denjenigen von konventionellen Stützwänden. Nach ersten umfangreichen Messungen der Bundesanstalt für Straßenwe-sen (BASt) an einer Bewehrte-Erde-Stützwand unter der BAB A8 bei Fremersdorf [8] und den bis dato gesammelten Erfahrun-gen wurden im Januar 1977 die „Vorläufigen Richtlinien für die Anwendung des Bauverfahrens Bewehrte Erde“ [9] durch den deutschen Bundesminister für Verkehr veröffentlicht. Es dauerte weitere acht Jahre bis nach erneuter Überprüfung und Überar-beitung die „Bedingungen für die Anwendung des Bauverfah-rens Bewehrte Erde“ [10] durch ein allgemeines Rundschreiben Nr. 4/1985 vom Bundesminister für Verkehr für den Straßenbau eingeführt worden sind. Trotz positiver Erfahrungen aus mehr als 20 Jahren der Anwendung des Bauverfahrens wurde die Dauerhaftigkeit der verzinkten Stahlbewehrungsbänder ange-zweifelt. Dazu wurde ein mehrjähriges vom Verkehrsministerium finanziertes Forschungsprogramm initiiert. Bei diesem wurden sowohl unverzinkte als auch verzinkte Bewehrungsbandab-schnitte in verschieden aggressive Böden ausgelagert und der Verlauf der Korrosion untersucht. Über die Ergebnisse berichtet Nür nberger [11] erstmals im Jahr 1984. Trotz einer durchweg positiven Beurteilung des Korrosionsverhaltens, zahlreicher re-alisierter Bauwerke in Deutschland und bahnbrechender Erfolge im Ausland setzte sich das Bauverfahren in Deutschland und Österreich nicht richtig durch. Da der Wissensstand der Richt-linien nunmehr über 30 Jahre alt, das Tragverhalten sehr genau bekannt ist und aufgrund zahlreicher gewonnener Erkenntnisse und Erfahrungen, veranlasste die Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV) die alten „Bedingungen“ zu überarbeiten. In Kürze werden diese durch ein Merkblatt zum

Bauverfahren „Bewehrte Erde“ ersetzt. Die alten „Bedingungen“ sollen dann zurückgezogen werden. Einige Änderungen zu den alten Vorschriften sind in [23] bereits angekündigt worden.

3. Bemessung und Tragverhalten

Streng genommen erfolgt die Bemessung von Bewehrte- Erde-Stützwänden derzeit noch nach den „Bedingungen für die Anwendung des Bauverfahrens Bewehrte Erde“ [10]. Da diese Richtlinie weder auf dem neuen Teilsicherheitskonzept beruht, noch den aktuellen Stand der Technik repräsentiert, werden sämtliche Bewehrte-Erde-Stützwände in der Zeit bis zur vor-aussichtlichen Veröffentlichung des Merkblatts [18] im Frühjahr 2010 bereits nach den neuen Richtlinien bemessen. Das Tragverhalten und der innere Verformungsmechanismus von Bewehrte-Erde-Konstruktionen unterscheiden sich grund-legend von dem konventionell rückverankerter Stützwände. Bei letzteren wirkt der Erddruck auf die Rückseite der biegesteifen Wand und wird über die Anker bzw. das Fußauflager in den Un-tergrund abgetragen. Bei einer Bewehrte-Erde-Konstruktion entstehen die Kräfte in den Bewehrungselementen überwiegend durch Reibung zwi-schen den Bändern und dem Boden. Der Boden verschiebt sich in einem statisch aktiven Bereich hinter der Außenhaut nach außen, wird aber durch die nahezu dehnstarren Bewehrungs-elemente an dieser Verformung behindert. Auf diese Weise wer-den Reibungskräfte mobilisiert, die den Erddruck aufnehmen. Die Größe des verbleibenden Erddrucks an der Rückseite der Außenhaut ist kleiner als der aktive Erddruck. Sie hängt von der Steifigkeit der Außenhaut ab. Je flexibler die Außenhaut ist, des-to kleiner ist der verbleibende Erddruck.Form und Größe des statisch aktiven Bereichs hinter der Wand sind von der Dehnsteifigkeit der Bewehrungselemente abhän-gig. Für Stahlbänder wurde die Verbindungslinie der Orte, an denen die maximalen Zugkräfte in den Bändern wirken und den aktiven Bereich begrenzen, mit Hilfe zahlreicher Messungen ermittelt. Der Abstand von der Wandrückseite ändert sich mit der Tiefenlage des Bandes und geht am Wandfuß auf Null. Hier wirkt die Maximalzugkraft unmittelbar hinter der Wand. Verbin-det man die Orte, an denen die Maximalzugkraft wirkt, erhält man eine Linie Maximaler Zugkräfte (LMZ), die den aktiven vom passiven Bodenbereich trennt.Im statisch aktiven Bereich wird der Erddruck über Reibung von den Bändern aufgenommen; im passiven Bereich werden die Bandzugkräfte über Reibung in den Boden abgeleitet.

Füllboden Bewehrung

Hinterfüllboden

Überschüttboden

Außenhaut

Bewehrte-Erde-Körper

ggf. Abdichtungund Dränage

Montage-fundament

p g g

Hm

0,4 Hm

0,2 Hm

0,3 Hm

1 2

La Lp HeH1

H21

2

aktiver Bereich

passiver Bereich

Linie maximalerZugkräfte (LMZ)

t

D

Abb. 2.: Begriffsbestimmungen

Abb. 3.: Linie maximaler Zugkräfte als Grenze zwischen aktivem und passivem (widerstehendem) Bereich für gerippte Bewehrungsbänder, Definition der maßgebenden Höhe Hm

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3.1 . Äußere Stands icherhe i t

Der Bewehrte-Erde-Körper wird für die Nachweise der äußeren Standsicherheit als quasi starrer Verbundkörper behandelt. Für dieses Stützbauwerk können dann die Nachweise wie für ein konventionelles Stützbauwerk (z.B. Winkelstützwand aus Stahl-beton) erfolgen. Dabei sind gemäß deutscher Normung folgen-de Nachweise zu erbringen:

– Nachweis der Kippsicherheit (Nachweis, dass die Resultie-rende der am Bewehrte-Erde-Körper angreifenden Kräfte die Sohlfuge im Kern schneidet)

– Nachweis der Sicherheit gegen Gleiten nach DIN 1054– Nachweise der Sicherheit gegen Grundbruch nach DIN 4017– Nachweis der Sicherheit gegen Geländebruch nach

DIN 4084

3.2 Innere Stands icherhe i t

Die Nachweise der inneren Standsicherheit stellen die eigent-liche Bemessung der Bewehrte-Erde-Stützwände bzw. ihrer Bestandteile wie Außenhautplatten, Bewehrungsbandlängen, -querschnitte und -anzahl sowie deren Anschlüsse an die Au-ßenhaut dar. Es sind u.a. folgende Nachweise zu erbringen:

– Nachweis der Sicherheit gegen Herausziehen der Beweh-rungsbänder aus dem Füllboden

– Nachweis der Sicherheit gegen Bruch der Bewehrungsbän-der

– Nachweis der Sicherheit gegen Bruch der Bewehrungsbän-der am Anschluss an die Außenhaut

– Nachweis der Sicherheit gegen Ausbruch der Anschlussla-schen

– Stahlnachweise des Anschlusses der Bewehrungsbänder an die Anschlusslaschen (Abscheren, Lochleibung)

Die Außenhautelemente müssen entsprechend dimensioniert werden. Werden Stahlbetonfertigteile als Außenhaut verwendet, so sind diese gemäß jeweiliger Normung zu bemessen. In Ös-terreich gilt derzeit die OENORM EN 1992-1-1-Eurocode 2, in Deutschland die DIN 1045-1. Ausführlichere Informationen zu den Nachweisen der inneren und äußeren Standsicherheiten werden in [18] gegeben.

4. Dauerhaftigkeit

4.1 . Langze i tbeständ igke i t der Bänder

Wie bereits unter Abschnitt 2 erwähnt, führte Nür nberger Langzeituntersuchungen [11,12] an im Boden ausgelagerten Bewehrungsbändern durch. Auch zum Thema des Korrosions-schutzes der Bewehrung von Betonplatten für Bewehrte-Erde-Stützwände nimmt Nür nberger in [13] Stellung. Die Bänder wurden zwischen 4, 5 und 12 Jahren ausgelagert und dann an-schließend untersucht. Dabei kommt er zu folgendem Ergebnis: In Böden für „Bewehrte Erde“ werden feuerverzinkte Bänder im baupraktischen Sinne kaum durch Korrosion angegriffen. Nur wenn durch Störfälle (beispielsweise Flussüberschwemmungen) frühzeitig Salze in den Baukörper eingetragen werden und die-ser häufig bis ständig feucht ist, kann ein merklicher Zinkabtrag stattfinden, ohne dass jedoch in absehbarer Zeit ein Verlust der Schutzwirkung zu befürchten ist.In Abb. 4 ist der Stahl- bzw. Zinkabtrag von sowohl verzinkten als auch unverzinkten, in drei verschiedenen Böden ausgelager-ten Bewehrungsbändern dargestellt. Es ist deutlich erkennbar, dass der mittlere Stahlabtrag bei unverzinkten Bändern um ein Vielfaches höher ist, als der mittlere Abtrag einer Feuerverzin-kung. Eine Salzzugabe zu Versuchsbeginn setzt die Stahl- und Zinkkorrosion herauf. Speziell die Anfangskorrosion wird durch

eine frühe Salzzugabe nachteilig beeinflusst. Deshalb muss bei jungen Bewehrte-Erde-Stützwänden das Eindringen von Fremdsalzen vermieden werden. Hierzu wird im Allgemeinen eine Schutzfolie über dem Bewehrte-Erde-Körper angeordnet (siehe Abb. 2).

Nür nberger stellt fest, dass bei einer Zinkschichtdicke auf den Bewehrungsbändern von ca. 100 µm sich diese frühestens nach 90 Jahren (in überwiegend trockenen Böden) bzw. 45 Jahren (in häufig feuchten Böden) aufgelöst haben wird. Dann erst würde die Korrosion des Stahls beginnen. Bei den Nachweisen der in-neren Standsicherheit, speziell beim Nachweis der Sicherheit gegen Bruch der Bewehrungsbänder wird eine Korrosionszu-schlagsdicke es in Abhängigkeit der geplanten Gebrauchsdau-er definiert. Diese beträgt nach derzeitigem Wissensstand und Erfahrungen für Bewehrungsbänder in überwiegend trockenem Boden bei 100 Jahren Gebrauchsdauer 1,5 mm. Das bedeutet, dass der Querschnittsnachweis des jeweiligen Bewehrungs-bandes am reduzierten Querschnitt geführt wird. Bei einem heute weitestgehend üblichen Bewehrungsbandquerschnitt von 45 x 5 mm², bleiben dann 43,5 mm x 3,5 mm als anre-chenbare Querschnittsfläche für den Nachweis. Nür nberger schreibt außerdem: Bei feuerverzinkten Bändern wird nach ört-lichem Abtrag des Zinks (in unbelüfteten Böden und/oder bei extremem Salzgehalt) der Stahluntergrund kaum abgetragen. Die Zinkfreien Stellen werden durch das noch vorhandene Zink kathodisch geschützt. Nach dem vollständigen Abtrag der Zink-auflage ist der weitere Abtrag des Stahluntergrundes gleich-mäßig. Aufgrund der ausgewerteten Literaturangaben [179] ist für den Stahlabtrag dann maximal 5 µm/a anzusetzen. Bei Be-rücksichtigung eines Korrosionszuschlages von 2 mm kann man von einer Lebensdauer der feuerverzinkten Bänder ausgehen, die theoretisch bei mehreren 100 Jahren liegt. Eine mit konven-tionellen Bauverfahren vergleichbare Lebensdauer ist auf jeden Fall sichergestellt.

Nach den Erkenntnissen von Nür nberger, einem der angese-hensten Fachleuten für Korrosionsfragen in Deutschland, kann und sollte an der Dauerhaftigkeit von Bewehrte-Erde-Bauwerken nicht mehr gezweifelt werden. Auch im Ausland gibt es Lang-zeituntersuchungen von Bewehrungsbändern im Boden wie z.B. von Darb in , Ja i l l oux [14].

Abb. 4.: Mittlerer Stahl- bzw. Zinkabtrag (umgerechneter Massever-lust) bei unverzinkten und feuerverzinkten Platten nach Auslagerung in den Böden 1 bis 3 und unterschiedlicher Salzzugabe [11]

Das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ – Überblick und Langzeiterfahrungen

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In nahezu jede Bewehrte-Erde-Stützwand werden Testbänder eingebaut. Diese haben keine statische Wirkung, sondern er-möglichen es dem Bauherrn, die Dauerhaftigkeit der Beweh-rungsbänder in dem spezifischen Füllboden zu kontrollieren. Die Firma Bewehrte Erde Ingenieurgesellschaft mbH sammelt seit Jahrzehnten die Daten über viele in Bewehrte-Erde-Stützwände eingebaute Testbänder. Üblicherweise wird mit dem Ziehen der Testbänder 10 Jahre nach Fertigstellung des Bauwerkes begon-nen. Dann folgen Intervalle von 10 bis 20 Jahren. Es können jedoch nach Wunsch des Bauherrn jederzeit Bänder gezogen werden, um die Korrosion zu überprüfen bzw. die Restnutzungs-dauer des Bauwerkes zu bestimmen. Das Ziehen der Testbän-der ist nicht geregelt und notwendig, ist jedoch zur Ermittlung des Zustandes der Bewehrte-Erde-Konstruktion ratsam. Beim Ziehen und bei der Untersuchung der Testbandabschnitte kann die Firma Bewehrte Erde Ingenieurgesellschaft mbH sowohl be-ratend als auch in der Ausführung unterstützend tätig werden.

Bis dato wurden in Deutschland und weltweit fast ausschließ-lich positive Erfahrungen mit der Dauerhaftigkeit von verzinkten Bewehrungsbändern in Bewehrte-Erde-Bauwerken gemacht. Sofern Schadensfälle aufgetreten sind, spielten oftmals die Nichteinhaltung der bodenchemischen Anforderungen an den Füllboden und konstruktive Fehler (Dichtungsbahn, etc.) eine maßgebende Rolle. Etwaige Fälle sind in Deutschland nicht be-kannt. Die Füllböden müssen unter Anderem folgenden boden-chemischen Anforderungen genügen:

Tabelle 1: Bodenchemische Anforderungen

Wasserspiegel in Bewehrte-Erde-Körper

Eigenschaft des Füllbodens und erforderliche Tests

pH-WertMaximaler Chloridgehalt [Cl-] undmaximaler Sulfatgehalt [SO4

2-]

Mindestwert für den spezifischen Boden-widerstand (gesättigt)

min. max. ppm Ω cm

nicht vorhanden 5 10 5Cl + SO4 ≤ 1000 1000

vorhanden 5 10 5Cl + SO4 ≤ 500 3000

4.2 . Untersuchungen der Testbänder be i e iner Stü tzwand in Herborn-Burg

Bei Herborn-Burg wurde im Jahre 1977 eine der ersten Bewehr-te-Erde-Stützwände errichtet. Nach 20 Jahren (1997) wurden unter Anwesenheit einiger Mitarbeiter der Materialprüfungsan-stalt Universität Stuttgart (MPA – Otto-Graf-Institut) Blindbän-der, auch Testbänder genannt, entnommen und umfangreich

bezüglich des Fortschritts der Korrosion untersucht. Die Bän-der in Herborn-Burg waren damals mit nur 50 µm (350 g/m²) feuerverzinkt und hatten einen Querschnitt von 80 x 3 mm². Es wurden sowohl metallographische Dickenmessungen als auch magnetinduktive und gravimetrische Schichtdickenmessungen durchgeführt. Die Auswertung dieser Messungen in [15] ergab eine extrapolierte weitere Lebensdauer der Zinkschichten von 27 bis 44 Jahren. Bei dem nach Abtrag der Zinkschicht zu er-wartenden Stahlabtrag von maximal 5 µm/Jahr und unter der Annahme einer Korrosionszuschlagdicke von 1 mm ergab sich bei gleichmäßigem Abtrag eine aus korrosionstechnischer Sicht weitere Nutzung von über 200 Jahren. Unter einer realistische-ren Annahme eines eher muldenförmigen Abtrags halbiert sich dieser Wert. Somit ist eine ausreichende Gebrauchsdauer für dieses Bauwerk gewährleistet.

4 .3 . Untersuchungen der Testbänder be i e iner Stü tzwand in Bentwisch

Bei dem Projekt „Ortsumgehung Bentwisch im Zuge der B105“ nahe Rostock wurde im Jahr 1999/2000 eine Bewehrte-Erde-Stützwand mit Stahlgitterelementen als Außenhaut (System TerraTrel™) errichtet. Nach nunmehr fast zehnjähriger Einbau-zeit wurde der vorhandene Korrosionsschutz der Bewehrungs-bänder mit Hilfe der Entnahme der Testbänder von der Material-prüfungsanstalt Universität Stuttgart (MPA – Otto-Graf-Institut)überprüft [16].

Abb. 5.: Testbandentnahme bei der Stützwand in Herborn-Burg (System TerraClass™, Deutschland)

Abb. 6.: entnommenes Testband bei der Stützwand in Herborn-Burg (System TerraClass™, Deutschland)

Es wurde an zwei verschiedenen Stellen der ca. 5 m hohen, vertikalen Stützwand jeweils ein Testband entnommen. Bei den Testbändern handelt es sich um ca. 1 m lange, feuerver-zinkte, gerippte Bewehrungsbänder mit einem rechteckigen Querschnitt von 45 x 5 mm². Es wurden wieder sowohl magnet- induktive Schichtdickenmessungen als auch metallographische Schliffe angefertigt und im Lichtmikroskop untersucht. Beim Einbau waren die Testbänder, wie auch alle anderen statisch

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wirksamen Bewehrungsbänder mit einer Zinkschichtdicke von > 100 µm versehen. Die kleinste verbleibende Zinkschichtdicke wurde mit 59 µm ermittelt. Nach [17] wurden folgende Zinkab-tragsraten angesetzt:

– Mittlere Anfangskorrosionsgeschwindigkeit bis zu 2 Jahren: 5 µm/Jahr

– Mittlere Korrosionsgeschwindigkeit ab 2 Jahren: 1 µm/Jahr

Somit ergab sich eine weitere Lebensdauer der Zinkschicht von 59 Jahren. Unter Annahme einer Korrosionszuschlagsdicke von nur 1 mm ergibt sich bei einem gleichmäßigen Abtrag sowie unter der realistischeren Annahme eines eher muldenförmigen Abtrages aus korrosionstechnischer Sicht eine zu erwarten-de Lebensdauer von > 50 Jahren für das Stahlbewehrungs-band. Demzufolge ergibt sich eine weitere Nutzungsdauer von > 109 Jahren. Der theoretische Wert dürfte tatsächlich weitaus höher sein.

5. Typische Anwendungsmöglichkeiten

Im weitesten Sinne handelt es sich bei sämtlichen Bewehrte-Erde-Konstruktionen immer um vertikale Stützwände, selten um geneigte Stützkonstruktionen (Steilböschungen). Die vorwie-gend vertikalen Stützwände werden nach dem jeweiligen An-wendungsfall unterschieden und eingeordnet. Einige typische Anwendungsmöglichkeiten für das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ sollen im Folgenden vorgestellt werden.

5 .1 . Ver t ika le Stü tzwände

Vertikale Stützwände als Alternative zur Winkelstützwand aus Stahlbeton, zu einer Schwergewichtsmauer oder zu einer Spundwand stellen den Hauptanwendungsbereich für Bewehr-te-Erde-Konstruktionen dar. Der Einsatz muss sinnvoll sein und es müssen diverse Randparameter erfüllt sein. So wird i.A. ein Füllboden benötigt, der den bodenmechanischen sowie boden-chemischen Anforderungen genügt. Es können rollige Böden aber auch gebrochenes Material verwendet werden. Man be-nötigt ausreichend Platz für die Bewehrungsbänder hinter der Außenhaut (Faustformel: ca. 1,0 · H). Bei Dammverbreiterungen zum Beispiel kann man die Bewehrungsbänder in ihrer Länge auch staffeln. Aufgrund der größeren Auflast auf Bewehrungs-bänder der unteren Lagen, können diese unter Umständen kür-zer ausgebildet werden. Es können im Bauverfahren „Bewehrte Erde“ auch gering hohe Stützwände errichtet werden, seinen Vorteil spielt es allerdings erst ab einer Höhe von 3 bis 4 m rich-tig aus. Radien von R < 15 m sind technisch realisierbar. Dafür gibt es spezielle Fertigteile. Wünscht der Bauherr eine optische Gestaltung der Betonfertigteile, so ist dies unter Verwendung spezieller Strukturmatrizen bei der Herstellung der Betonfertig-teile möglich. Der obere Abschluss der Bewehrte-Erde-Stützwände bei Sys-temen mit Betonfertigteilen oder Stahlgitterelementen kann mit einem Kopfbalken erfolgen.

5 .2 . Rampen

Gerade im innerstädtischen Bereich fehlt oftmals der Platz für Böschungen bei Rampen zu Brückenbauwerken. Da bei einer Überführung der gesamte Rampenbereich neu geschüttet wer-den muss, lässt sich das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ hier sehr gut anwenden. Zum größten Teil besteht das Bauwerk aus geschüttetem und verdichtetem Füllboden, der lagenweise in Schüttlagen von 30 bis 40 cm einzubringen ist. Somit macht der reine Erdbau einen großen Teil der Arbeiten aus.

5 .3 . Brückenwider lager und F lüge lwände

Brückenwiderlager aus Bewehrter Erde sind prinzipiell auch vertikale Stützwände, die jedoch zusätzlich zu den üblicherwei-

Abb. 7.: Entnahme des Testbandes KD1 bei der Stützwand in Bent-wisch im Zuge der B105 (System TerraTrel™, Deutschland)

Abb. 8.: Testband KD1 im Anlieferungszustand, Vergrößerung eines Teilbereiches

Abb. 9.: Testband KD1, metallographischer Querschliff: Zinkschicht mit Weißrost, magnetinduktive Zinkschichtdicke: 110 µm

Abb. 10.: vertikale Stützwand unter der BAB A3, Breitscheider Kreuz bei Düsseldorf (System TerraClass™, Deutschland)

Abb. 11.: Projekt S-Bahn EXPO 2000, Hannover-Leinhausen (System TerraClass™, Deutschland)

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Abb. 12.: Rampe im Zuge der K19 in Ratingen bei Düsseldorf zur Überführung einer Bahnstrecke (System TerraClass™, Deutschland)

Abb. 13.: erstes Bewehrte-Erde-Brückenwiderlager in Strasbourg (System TerraMet, Frankreich 1969)

se vorwiegend vertikalen Einwirkungen auch große horizontale Lasten abtragen müssen. Die positiven Erfahrungen mit den ersten Bewehrte-Erde-Stützwänden in Frankreich führten zu der Überlegung, dass diese Bauweise auch für den Bau von Brückenwiderlagern ge-eignet sein muss. Im Zuge des Baus einer Betriebsstraße für das Elektrizitätswerk Electricité de France in Strasbourg (Frank-reich) im Jahre 1969 wurde der Bau einer Brückenüberführung notwendig. Die Widerlager wurden im Bauverfahren „Bewehrte Erde“ ausgeführt. Die Außenhaut bestand damals aus U-förmi-gen Stahlblechen (System TerraMet). Dieses System wird heute fast ausschließlich im Tagebau angewendet. Nach erfolgreicher Errichtung und positiven Erfahrungen beim Bau des ersten, folgen schnell weitere Brückenwiderlager in Frankreich, später auch im restlichen Europa und den USA. Die enormen Kosten- und Zeiteinsparungen bei der Errichtung von Brückenwiderlagern machten dieser Bauweise schnell zu einer Standardbauweise für Brückenwiderlager. Nach den Aussagen von Anderson [19] werden z.B. in den USA pro Jahr über 350 Brückenwiderlager in diesem Bauverfahren errichtet. Das rela-tiv schwer ist, Statistiken sämtlicher Niederlassungen der Terre Armée International (TAI) – Gruppe über bereits errichtete Be-wehrte-Erde-Brückenwiderlager zu erheben, kann man die An-zahl nur schätzen. So sind zwischen 1969 und 2009 „nur“ in den Niederlanden, Frankreich, Polen, Australien und den USA unge-fähr 4.000 Bewehrte-Erde-Brückenwiderlager errichtet worden. Diese haben eine Gesamtoberfläche von ca. 1.350.000 Qua-dratmeter. Über 40 Jahren Erfahrung bei der Berechnung und dem Bau der Widerlager sollten Grund genug dafür sein, auch in Österreich und Deutschland über diese Bauweise für Brücken-widerlager nachzudenken. Das Berechnungsverfahren für Bewehrte-Erde-Brückenwider-lager wurde aus dem der Stützwände abgeleitet und durch zahl-

reiche Modellversuche, FEM-Berechnungen und hauptsächlich durch Messungen an Bauwerken [20, 21] untermauert und stetig optimiert. Die Erforschung und Optimierung des Berechnungs-verfahrens erfolgte hauptsächlich in den 1970iger und 1980iger Jahren. Mehr hierzu erscheint in der Zeitschrift „Bautechnik“, herausgegeben vom Verlag Ernst & Sohn, voraussichtlich im Februar 2010 [22].

Abb. 14.: Messungen der Zugspannungen an einem Widerlager in Amersfoort, Niederlande

Der wesentliche Unterschied zum Berechnungsverfahren für Bewehrte-Erde-Stützwände besteht darin, dass mehrere Bruch-linien als die in Abb. 3 dargestellte untersucht werden. Für diese unterschiedlichen Bruchlinien werden dann die inneren Stand-sicherheitsnachweise, wie in Abschnitt 3.2 kurz dargestellt, ge-führt. Eine Definition der Lage dieser Bruchlinien in Abhängig-keit von der Geometrie der Stützwand und des Auflagerbalkens für den Brückenüberbau ist in [18] gegeben und wird in Abb. 15 dargestellt.Es gibt zwei geometrische Arten von Bewehrte-Erde-Brücken- widerlagern: geschlossene Widerlager mit Rücklaufwän-

12

12

12

1

6

Hm

Ht

H1

H2

C

D

0,5 H1

ziA

BF

E G

1Tiefe z

0 i0 1

(B)

Abb. 15.: maßgebende Höhe und mögliche Bruchlinien bei Brücken-widerlagern

Das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ – Überblick und Langzeiterfahrungen

Österr. Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 154. Jg., Heft 7-9/2009 und Heft 10-12/2009 7

den und offene Widerlager mit Flügelwänden. Welche Art des Widerlagers zur Anwendung kommt, hängt hauptsächlich von den örtlichen Begebenheiten wie Gelände, Geometrie, etc. und den dadurch bedingten Einschränkungen ab.

Abb. 16.: Kastenwiderlager (geschlossenes Widerlager) als „echtes“ Widerlager (System TerraClass™, USA)

Des Weiteren unterschiedet man zwischen kombinierten Wi-derlagern und den „echten“ Widerlagern. Bei den „echten“ Widerlagern liegt der Auflagerbalken direkt auf dem Bewehrte-Erde-Körper auf. Bei kombinierten Widerlagern werden die Ver-tikallasten über Pfeiler, vor dem oder im Bewehrte-Erde-Körper, abgetragen.

5 .4 . Sehr hohe, abget reppte Stützwände

Die derzeit höchste vertikale Bewehrte-Erde-Stützwand ist, wie unter Abschnitt 2 erwähnt, 57 m hoch. Auch die 46 m hohe Stützwand am SeaTac Seattle Airport in den USA ist sehr be-

Abb. 17.: kombiniertes Widerlager mit außen liegenden Pfeilern (Sys-tem TerraClass™, Polen)

eindruckend (siehe Abb. 21). Aus statischen und geometrischen Gründen werden in gewissen Höhen Bermen angeordnet. Die-se sollen mindestens so breit ausgebildet werden, dass ggf. notwendig werdende Instandhaltungs- und Überprüfungsmaß-nahmen (z.B. Ziehen der Testbänder) problemlos ausgeführt werden können. Die erste mit 22 m recht hohe, abgetreppte Stützwand wurde 1968 nahe Menton (Südfrankreich) unter der Küstenautobahn A8 errichtet. Seitdem wurden über 120 sehr hohe Stützwände von TAI geplant und von örtlichen Baufirmen errichtet. Dadurch wurden zahlreiche Erfahrungen gesammelt. Da diese innerhalb der TAI-Gruppe regelmäßig kommuniziert werden, kann das für die Planung neuer Projekte von großem Vorteil sein. In Abhängigkeit von der Breite der Berme werden die überein-anderliegenden Wände entweder als separate Wände, als Ge-samtkonstruktion oder als kombinierte Wand berechnet. Eine Abschätzung kann nach [18] mit folgenden Formeln erfolgen:

H1

H2

0,5

(H1+

H2)

BBerme

0,3 (H1+H2)

0,5

H2

0,3 H1

0,5

H2

0,3 H2 0,5

H1

0,5

H1

BBerme

H1

H2

0,3 R (H1+H2)

0,5

R(H

1+H

2)

BBerme

B'Berme

H1

H2

Abb. 18.: Gesamtkonstruktion

Berechnung als Gesamtkonstruktion:

1 2Berme

H HB20

(1) 1,kBerme 2B H tan 45

2(2) 1,k1 2

Berme 2H H

B H tan 4520 2

(3)

1Berme Berme

1 2

HB 2 B

H H(4)

1,k

1,k

R90

(5)

(1)

Abb.20.: kombinierte Wände

Berechnung als kombinierte Wände:

1 2Berme

H HB20

(1) 1,kBerme 2B H tan 45

2(2) 1,k1 2

Berme 2H H

B H tan 4520 2

(3)

1Berme Berme

1 2

HB 2 B

H H(4)

1,k

1,k

R90

(5)

(3)1 2

BermeH HB20

(1) 1,kBerme 2B H tan 45

2(2) 1,k1 2

Berme 2H H

B H tan 4520 2

(3)

1Berme Berme

1 2

HB 2 B

H H(4)

1,k

1,k

R90

(5)

(4)

1 2Berme

H HB20

(1) 1,kBerme 2B H tan 45

2(2) 1,k1 2

Berme 2H H

B H tan 4520 2

(3)

1Berme Berme

1 2

HB 2 B

H H(4)

1,k

1,k

R90

(5)

(5)

Abb. 19.: separate Wände

Berechnung als separate Wände:

1 2Berme

H HB

20(1) 1,k

Berme 2B H tan 452

(2) 1,k1 2Berme 2

H HB H tan 45

20 2(3)

1Berme Berme

1 2

HB 2 B

H H(4)

1,k

1,k

R90

(5)

(2)

H1

H2

0,5

(H1+

H2)

BBerme

0,3 (H1+H2)

0,5

H2

0,3 H1

0,5

H2

0,3 H2 0,5

H1

0,5

H1

BBerme

H1

H2

0,3 R (H1+H2)

0,5

R(H

1+H

2)BBerme

B'Berme

H1

H2

H1

H2

0,5

(H1+

H2)

BBerme

0,3 (H1+H2)

0,5

H2

0,3 H1

0,5

H2

0,3 H2 0,5

H1

0,5

H1

BBerme

H1

H2

0,3 R (H1+H2)

0,5

R(H

1+H

2)

BBerme

B'Berme

H1

H2

Das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ – Überblick und Langzeiterfahrungen

8 Österr. Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 154. Jg., Heft 7-9/2009 und Heft 10-12/2009

Abb. 21.: SeaTac, Seattle – 46 m hohe, abgetreppte Bewehrte-Erde-Stützwand (System TerraClass™, USA)

5.5 . Temporäre Bauwerke

Bewehrte-Erde-Konstruktionen können auch für temporäre Zwecke errichtet werden. Meistens kommt hier eine Außenhaut aus Stahlgitterelementen zum Einsatz. Da die Gebrauchsdauer meistens nur für 2 bis 5 Jahre ausgelegt ist, können geringere Korrosionszuschlagsdicken bei der Bemessung in Ansatz ge-bracht werden. In der Regel werden auch unverzinkte Beweh-rungsbänder und Stahlgitterelemente verwendet.

Abb. 22.: temporäres Brückenwiderlager im Zuge der BAB A3 bei Dettelbach (System TerraTrel™, Deutschland)

6. Vorteile, Neuerungen und Nachhaltigkeit

6.1 . A l lgemeine Vor te i le von Bewehr te-Erde-Stütz-wänden

Stützwände im Bauverfahren „Bewehrte Erde“ haben viele Vor-teile gegenüber konventionellen Stützbauwerken (Schwerge-wichtsmauer, Winkelstützmauer):

– Zeitersparnis (i.A. > 20%) durch Verwendung von Fertigteilen (Betonelemente, Stahlgitterelemente)

– Kostenersparnis durch einfachere Bauweise und Verwendung von wenigen großen Gerätschaften (i.A. 20 – 30%)

– architektonische Gestaltung der Außenhaut (Betonfertigteile mit unterschiedlicher Oberflächengestaltung, Stahlgittermat-ten mit Steinpacklage hinterlegt oder begrünbar, bepflanz-bare Betonfertigteile, u.v.m)

– gleichzeitiges Hochführen von Stützwand und Hinterfüllung, dadurch

– Wegfall von Schalung und Gerüsten

– Geringer Platzbedarf bei der Montage– gleichmäßigere Sohlspannungsverteilung, daher geringere

Setzungen und Setzungsdifferenzen → äußerst wirtschaft-liche Alternative zu tief gegründeten Stützbauwerken

– hoch belastbare Wände (Schüttrampen im Tagebau, Brücken-widerlager)

– Platzersparnis durch Wegfall von Böschungen

6.2 . GeoMega™ – d ie e rs te vo l l -synthet ische Verb in-dung

Nachdem sich verzinkte Stahlbewehrungsbänder in Kombina-tion mit verzinkten Anschlusslaschen seit 40 Jahren bewährt haben, wurde von der Forschungsabteilung SoilTech der TAI-Gruppe in Paris eine voll-synthetische Verbindung namens Geo-Mega™ entwickelt. Mit dieser Verbindung können hochzugfeste Kunststoffbänder sowohl aus polyethylenummantelten Poly-esterfasern (GeoStrap™) als auch aus Polyvinylalkohol (PVA, EcoStrap™) verwendet werden. Dieses System ergänzt die Pa-lette der bereits bestehenden Systeme und schafft ein größeres Anwendungsspektrum für Bewehrte-Erde-Konstruktionen.

Abb. 23.: Kunststoffverbindung GeoMega™

Die maximal zulässigen Ausbruchlasten aus den Betonfertig-teilen wurden in zahlreichen Tests ermittelt. Auch der Reibungs-beiwert zwischen Kunststoffband und umgebenden Füllboden wurde durch Versuchbauwerke und Ausziehversuche bei neu errichteten Bauwerken bestimmt.

6 .3 . „Bewehr te Erde“ – e in nachha l t iges System

Bewehrte-Erde-Stützwände sind nachhaltige Systeme, da sie hauptsächlich aus Füllboden bestehen und nur wenig Stahlbe-ton zum Einsatz kommt. Dies spart Unmengen an Kohlendioxid (CO2), das bei der Herstellung von Zement und Beton entsteht. Durch die Verwendung von Fertigteilen und die Einfachheit der Bauweise werden zur Errichtung nur wenige große Gerätschaf-ten benötigt. Dies trägt auch zur CO2-Einsparung bei. Das Ziel der Entwicklung einer Kunststoffverbindung und von hochzugfesten Kunststoffbändern, speziell des EcoStraps™ (PVA), ist die Erweiterung der Palette möglicher Füllböden für die Bewehrte-Erde-Stützwände. So können nun auch Beton-recycling mit hohen pH-Werten und mit Kalk oder Zement ver-besserte lokale Böden verwendet werden. Dies hilft Kosten für

Das Bauverfahren „Bewehrte Erde“ – Überblick und Langzeiterfahrungen

Österr. Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 154. Jg., Heft 7-9/2009 und Heft 10-12/2009 9

den Transport zu sparen und gleichzeitig den Ausstoß von CO2 zu reduzieren. Im Jahr 2007 wurde im Zuge der K20n in Haan-Gruiten im Kreis Mettmann (nahe Düsseldorf, Deutschland) eine ca. 11 m hohe Bewehrte-Erde-Stützwand im System TerraClass™ errichtet. Dabei wurde zusätzlich eine schallabsorbierende Schicht in die Fertigteile integriert, mit der 8 dB(A) absorbiert werden können. Das System gilt somit als hochabsorbierend. Es lässt sich sehr leicht mit dem NOxer®-System kombinieren. Dieses bindet mit-tels eines Katalysators Stickstoffoxide der Luft und reinigt sie

Abb. 24.: Ausziehversuche der Kunststoffbänder zur Ermittlung des Reibungsbeiwertes

Abb. 25.: bereits errichtete Außenhautelemente (System TerraClass™ mit GeoMega™ und GeoStrap™)

Abb. 26.: Hochabsorbierende Bewehrte-Erde-Stützwand im Zuge der K20n in Haan-Gruiten (System TerraClass™, Deutschland)

somit. Man erhält ein Gesamtsystem, dessen Konstruktions-weise zur Kosten- und Lärmreduzierung sowie zur Luftreinigung beiträgt und zusätzlich Errichtungszeit einspart – ideal für den Einsatz in unseren Städten.

7. Schlussbetrachtung

Die durchweg positiven Erfahrung der letzten 40 Jahre mit dem Bauverfahren „Bewehrte Erde“ sowie die Ergebnisse zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen bezüglich des Trag- und Verformungsverhaltens sowie der Dauerhaftigkeit rechtfertigen gegebenenfalls bestehende Vorurteile gegenüber der Bauweise nicht. Es bestehen keine technischen Gründe, dieses Verfahren nicht auch in Österreich und Deutschland häufiger einzusetzen, um deren Vorteile wie Kosten- und Zeitersparnisse für die Bau-herren und die Allgemeinheit zu nutzen.

Literatur[1] V ida l , H.: The principle of reinforced Earth, Highway Research record

no. 282, 1969[2] V ida l , H.: La Terre Armée, Annales de l’Institute Technique du Batiment et

des Travaux Publics, no. 223–229, 1972 [3] Bongar tz , W. : Erste deutsche Stützwand nach dem Bauverfahren „Be-

wehrte Erde“ bei Raunheim, Straße und Autobahn, 27. Jg. Heft 5, 1976[4] De inhard , J.-M.: Bewehrte Erde – Erfahrungsbericht über deutsche Bau-

werke, Straße und Autobahn, Heft 2, 1978[5] F loss , R.; Thamm, B.R.: Bewehrte Erde – ein neues Bauverfahren im

Erd- und Grundbau, Die Bautechnik, 53. Jg. Heft 7, 1976[6] S te in fe ld , K.: Über Stützwände in der Bauweise „Bewehrte Erde“ (La

Terre Armée), Straße und Autobahn, 27. Jg. Heft 4, 1976[7] Ma luche , E.: Was ist „Bewehrte Erde“?, Tiefbau, Hefte 8 und 9, 1976[8] Thamm, B.; Buseck , H.: Messungen an einer Stützwand der Bauweise

“Bewehrte Erde”, Bundesanstalt für Straßenwesen, Köln, Mai 1981[9] Vorläufige Richtlinien für die Anwendung des Bauverfahrens „Bewehrte

Erde“, Der Bundesminister für Verkehr, 1/1977[10] Bedingungen für die Anwendung des Bauverfahrens „Bewehrte Erde“, Der

Bundesminister für Verkehr, 1/1985[11] Nür nberger, U.: Korrosionsverhalten von Bewehrungsbändern in Bau-

werken aus Bewehrter Erde, Werkstoffe und Konstruktionen, Eigenverlag FMPA Baden-Württemberg, S. 198–218, 1984

[12] Nür nberger, U.: Korrosionsverhalten feuerverzinkter Baustähle in über-wiegend sandhaltigen Böden, Werkstoffe und Korrosion 40, S. 7–16, 1989

[13] Nür nberger, U.: Gutachterliche Stellungnahme zur Frage des Korro- sionsschutzes der Bewehrung von betonplatten für Bewehrte Erde, Bericht Nr. 34-22263 der Forschungs- und Materialprüfanstalt Baden- Württemberg (FMPA – Otto-Graf-Institut), Stuttgart 1996

[14] Darb in , M.; Ja i l l oux , J.M.; Montue l l e , J.: Durability of Reinforced Earth structures: The result of a long-term study conducted on galvanized steel, Proc. Instn. Civ. Engrs. 84, Part 1, S. 1029–1057, 1988

[15] Menze l , K.; Onuse i t , G.: Untersuchung von Blindbändern aus den Bewehrte Erde – Bauwerken Sinn-Fleisbach und Herborn-Burg, Bericht Nr. 34-24130 der Forschungs- und Materialprüfanstalt Baden-Württem-berg (FMPA – Otto-Graf-Institut), Stuttgart 1997

[16] Vo l land , G.; Beu l , W.: Untersuchungsbericht zur Überprüfung von 2 Testbändern aus einem Bewehrte Erde – Bauwerk (Bentwisch im Zuge der B 105), Bericht Nr. 901 8500 000/Beu der Materialprüfanstalt Baden-Württemberg (MPA – Otto-Graf-Institut), Stuttgart 2009

[17] Nür nberger, U.: Korrosion und Korrosionsschutz im Bauwesen, Band 2, Bauverlag GmbH, Wiesbaden und Berlin, 1995

[18] Merkblatt für den Entwurf und die Bemessung von stahlbewehrten Erdkör-pern, FGSV Verlag, Köln, vorr. April 2010

[19] Anderson , P.L.; B ranbant , K.: Increased use of MSE Abutments, The Reinforced Earth Company, June 2006

[20] Bas t ik , M.; Segres t in , P.; Sch losser, F.: Experimental reinforced Earth structure of Bourron Marlotte: Slender wall and abutment test

[21] Bas t ik , M.; Segres t in , P.; Ku ibboer, C.P.M.: Monitoring of a Reinforced Earth Bridge Abutment at Amersfoort, The Netherlands

[22] Brüggemann, M.: Langjährige Erfahrungen des Tragverhaltens von Be-wehrte-Erde-Brückenwiderlagern, Bautechnik, vorr. Februar 2010

[23] Wichte r, L.; B rüggemann, M.: Das Bauverfahren Bewehrte Erde – Eine Erfolgsgeschichte, Straße und Autobahn, Heft 3, 2007

Dipl.-Ing. Marko Brüggemann Bewehrte Erde Ingenieurgesellschaft mbH

Hittfelder Kirchweg 2D-21220 Seevetal bei Hamburg, Deutschland

[email protected]