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(Aus der Anstalt ,,Het Apeldoronsche Bosch Apeldoorn" Holland.) Das biologische Gesehehen w/~hrend derDauernarkose. II. Mitteilung. Von D. Sehrijver. (Eingegangen am 22. A~gril 1931.) Eine Untersuchung fiber das kolloidale Verhalten der Plasmaeiwei$. kSrper ergab, da$ w/~hrend der Dauernarkose KSrpereiweil~ in erhShtem MaBe zeff/~llt. Auf Grund dieser Tatsache stellte ieh die Hypothese auf, daft eine der Wirkungskomponenten der Dauernarkose die unspezifische ReizkSrperwirkung des einverleibten Somnifens (bzw. des dureh die allgemeintoxische Wirkung der Narkotika zerfallenden KSrpereiweil~) sei. Es wird diese Hypothese gestiitzt durch die Untersuehungen yon P/alz 1. Dieser Untersucher bestimmte die Konzentration der ImmunkSrper des Blutes mittels des baetericiden Index (Wright, Prauflnitz, Meiflner). Aus seinen Untersuchungen geht hervor, dab die Inhalationsnarkose ebenso wie die lokale An~sthesie einen deutlichen EinfluB auf die ImmunkSrperkonzentration des Blutes ausiibt. In allen Arten yon Narkose oder An/~sthesie zeigte sich eine enorme Zunahme des bacteri- ciden Index. Niihere Untersuchungen ergaben, dab diese Zunahme nicht auf im Blute kreisende Narkotika zuriiekzufiihren ist. Sie beruht auf einer unspezifisehen Leistungssteigerung der Abwehrfunktionen des Organismus, ausgelfst durch die injizierten oder inhalierten Chemikalien. Nach Pfalz tritt infolge der Resorption der Narkotika oder An~sthetika ~rimdir ein KSrpereiweiBabbau auf. Die auf dieser Weise abgespaltenen ,,aktivierenden EiweiSabbaukSrper" (Weichardt) ergeben sekunddir eine ErhShung des fermentativen Zellstoffwechsels, welche die Baeteri- cidiezunahme des Blutes verursacht. Diese yon P]alz festgestellte Tatsache der unspezifischen Reizwirkung w/~hrend der Narkose ist selbstverst/~ndlich eine wichtige Stfitze f fir die yon mir aufgestellte Hypothese der unspezifischen Reizwirkung der Dauernarkose. Sehr wichtig sind in dieser Beziehung die Erfahrungen mit dem Schlafmittel Nirvanol. Bekanntlieh gelang dieses Schlafmittel sehon vor l~ngerer Zeit in MiB- kredit wegen seiner groBen Giftigkeit. Rietschel 2 sah nach Verabreiehung dieses Mittels w~hrend l~ngerer Zeit bei Chorea minor eine auffallende Erseheinung. Nachdem das Mittel w~hrend etwa 10 Tage verabreicht war zeigten sich eigen- artige Intoxikationserscheinungen (Exanthem, Fieber). Auffallend war, dab in 1 P]alz: Klin. Wschr. 1930, 1343. Rietschel: Miinch. med. Wsehr. 1921, 160.

Das biologische Geschehen während der Danernarkose. II. Mitteilung

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Page 1: Das biologische Geschehen während der Danernarkose. II. Mitteilung

(Aus der Anstalt ,,Het Apeldoronsche Bosch Apeldoorn" Holland.)

Das biologische Gesehehen w/~hrend derDauernarkose. II. Mitteilung.

Von

D. Sehrijver.

(Eingegangen am 22. A~gril 1931.)

Eine Untersuchung fiber das kolloidale Verhalten der Plasmaeiwei$. kSrper ergab, da$ w/~hrend der Dauernarkose KSrpereiweil~ in erhShtem MaBe zeff/~llt. Auf Grund dieser Tatsache stellte ieh die Hypothese auf, daft eine der Wirkungskomponenten der Dauernarkose die unspezifische ReizkSrperwirkung des einverleibten Somnifens (bzw. des dureh die allgemeintoxische Wirkung der Narkot ika zerfallenden KSrpereiweil~) sei.

Es wird diese Hypothese gestiitzt durch die Untersuehungen yon P/alz 1. Dieser Untersucher bestimmte die Konzentration der ImmunkSrper des Blutes mittels des baetericiden Index (Wright, Prauflnitz, Meiflner). Aus seinen Untersuchungen geht hervor, dab die Inhalationsnarkose ebenso wie die lokale An~sthesie einen deutlichen EinfluB auf die ImmunkSrperkonzentration des Blutes ausiibt. In allen Arten yon Narkose oder An/~sthesie zeigte sich eine enorme Zunahme des bacteri- ciden Index. Niihere Untersuchungen ergaben, dab diese Zunahme nicht auf im Blute kreisende Narkotika zuriiekzufiihren ist. Sie beruht auf einer unspezifisehen Leistungssteigerung der Abwehrfunktionen des Organismus, ausgelfst durch die injizierten oder inhalierten Chemikalien. Nach Pfalz tritt infolge der Resorption der Narkotika oder An~sthetika ~rimdir ein KSrpereiweiBabbau auf. Die auf dieser Weise abgespaltenen ,,aktivierenden EiweiSabbaukSrper" (Weichardt) ergeben sekunddir eine ErhShung des fermentativen Zellstoffwechsels, welche die Baeteri- cidiezunahme des Blutes verursacht.

Diese yon P]alz festgestellte Tatsache der unspezifischen Reizwirkung w/~hrend der Narkose ist selbstverst/~ndlich eine wichtige Stfitze f fir die yon mir aufgestellte Hypothese der unspezifischen Reizwirkung der Dauernarkose.

Sehr wichtig sind in dieser Beziehung die Erfahrungen mit dem Schlafmittel Nirvanol. Bekanntlieh gelang dieses Schlafmittel sehon vor l~ngerer Zeit in MiB- kredit wegen seiner groBen Giftigkeit. Rietschel 2 sah nach Verabreiehung dieses Mittels w~hrend l~ngerer Zeit bei Chorea minor eine auffallende Erseheinung. Nachdem das Mittel w~hrend etwa 10 Tage verabreicht war zeigten sich eigen- artige Intoxikationserscheinungen (Exanthem, Fieber). Auffallend war, dab in

1 P]alz: Klin. Wschr. 1930, 1343. Rietschel: Miinch. med. Wsehr. 1921, 160.

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Das biologisehe Gesehehen w~hrend der Dauernarkose. II. 529

denjenigen FMIon wo sich diese Int~xikationsersehoinungen zeigten die Chorea minor zur Abheilung kam. Es sind diese Bofunde yon mehreren Autoren naehher best~tigt worden. Auffallend war noeh, dab Suhstituiertmg einer Acetylgruppe am Nirvanolmolektil die toxisehe Wirkung zusammen mit der artti-ehoreatisehen Wirkung versehwinden lielL

De Rudder z entdeekte die Ubereinstimmung yon ,,Nirvanolkrankheit" und Serumkranldaeit, namentlieh auf Grtmd der Inkubationszeit und des Verhaltens der Leukoeyten. Stets zeigte sich eine starke Linksverschiebung im Arneth-Schil- lingsehen Blutbilde, 5fters auch eine Eosinophilie und heim Ausbruch des Exan- thems Umsehlag yon Leukocytose in Leukopenie. Die ausfiihrlichen Untersu- chungen Stettners ~" heben diese Befunde best/~tigt. Auch V. Paaflen a sah wghrend der Nirvanolverabreichung eine starke Linksverschiebung.

Die allgemeine Auffassung geht dahin, dab die Nirvanoltherapie der Chorea minor eine unspezifische Reiztherapie ist. Das Nirvanol baut das KSrpereiweil3 ab. ])as auf diese Weise ,,kSrperfremd" gewordene KSrpereiweil3 gelangt in die Blutzirkulation und fibt eine unspezifische Reizwirkung aus, in der gleichen Weise wie eine Proteink6rperinjektion.

Nach r der Nirvanolkrankheit zeigt sich eine Ark Immunit/it . Erneute Verabreichung yon Nirvanol ruft nicht mehr die Erscheinungen der Nirvanolkrankheit hervor. Merkwiirdig ist in dieser Hinsicht der Fall 7 aus meiner ersten Mitteilung. Es wurden in diesem Falle zwei Dauernarkosen in kurzem Abstande gegeben. Zeigten sich w/ihrend der ersten Dauernarkose die Erscheinungen yon EiweiBabbau sehr deutlich, w/ihrend der zweiten Dauernarkose blieben diese Erschei- nungen aus, dies im Gegensatz zu den Befunden in allen iibrigen F/illen.

I m Hinblick auf die angeffihrten Tatsaehen kann man einen Ver- gleich ziehen zwischen der Dauernarkose und der Nirvanoltherapie. In beiden F/illen wird wiihrend 1/ingerer Zeit ein Narkot ikum verabreicht. Naeh Ablauf der Verabreichung zeigt sich - - 5fters nach einem Intervall yon einigen Tagen - - die Heilung oder eine Remission. I m Falle der Nirvanoltherapie ist die unspezifische Reizwirkung unzweideutig fest- gestellt, im Falle der Dauernarkose ist diese durch meine obengenannten Untersuchungen wahrscheinlich geworden. Ein Unterschied w/ire, dab im Falle der Dauernarkose die ,,narkotische Wirkungskomponente" aus- gepr/igter vorhanden ist. Umgekehrt ist im Falle der Nirvanoltherapie (tie unspezifische Reizwirkung deutlicher (Exanthem, Fieber u. dgl.).

I I .

Wenn das Wesen des biologischen Geschehens wiihrend der Dauer- narkose und w/ihrend der Nirvanolverabreichung ~bereinst immung zeigt, so ware es angebracht, das Blutbild, das, wie oben angefiihrt, wAhrend der Nirvanoltherapie charakteristisehe ~nderungen zeig~, w/ihrend der Dauernarkose zu untersuchen. Aber nicht nur aus der Analogie mit der

z De Rudder: Z. Kinderheilk. 42, 361 (1926). 2 Stettner: Z. Kinderheilk. 45, 445 (1928). a Paa[3en, v.: Nederl. Tijdschr. Geneesk. 1931} I, 3628.

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530 D. Schrijver:

Nirvanoltherapie ergab sich diese Notwendigkeit. Die Untersuchungen Hio/ /s 4 haben gezeigt, dab ganz im allgemeinen jede unspezifische Reizwirkung einhergeht mit morphologischen Blut~nderungen, die zum Teil fibereinstimmen mit den w~hrend der Nirvanoltherapie gefundenen Abweichungen. Kurz zusammengefaBt geht aus den Untersuchungen Ho//s c.s. hervor, dab die unspezifische Reizwirkung, wie diese z.B. nach ProteinkSrperinjektion eintritt, mit Iolgenden Erscheinungen ein- hergeht. W~hrend einer ersten Phase zeigt sich Fieber, EiweiBabbau, Verringerung der Alkalireserve, Leukocytose und Linksverschiebung. Nach einiger Zeit schl~gt diese erste Phase in die zweite um, wi~hrend welcher die KSrpertemperatur fiillt, die Alkalireserve sich erhSht, die Leukocytose ebenso wie die Linksverschiebung verschwindet und eine Lymphocytose einsetzt.

Auf Grund des Vorhergehenden ergab sich die Notwendigkeit das Blutbfld w~hrend der Dauernarkose zu untersuchen. Alle Untersuchungen fanden morgens frfih nfichtern statt. Die Verabreichung 4er Morgen- gabe des Narkotikums geschah nach Ablauf der Blutentnahme.

1. A.v.d.G. Der jetzt 23j~hrige Kr~nke wurde im Laufe einiger J~hre apathisch und autistisch. Gelegentlich traten Aufregungszust~nde auf. Er war dann sehr erregt, halluzinierte, ~uBerte allerhand Beziehungsgedanken. Juli 1930 wurde er in der hiesigen Anstalt aufgenommen. Er zeigte vielerlei Wahnideen und GrS~engedanken. Er glaubt Messias zu sein, bekommt seine ,,Eingebungen" vom Gott. Seit November 1930 wird das Zustandsbild beherrscht yon katatonen BewegungsstSrungen. Allm~hlich setzt ein heftiger psyehomotorischer Erregungs- zustand ein.

22. 1.31 wird die Dauernarkose mittels Somnifeninjektionen eingeleitet. 2.2.31 wird die Dauernarkose beendet. Irgendwelche Komplikationen haben sich w~hrend des Verlaufs der Dauernarkose nicht gezeigt.

16. 2.31. Die Behandlung hat keine Besserung zur Folge gehabt.

Tabelle 1.

Leuko- Segmentk. Datum cytenzahl Stabk. Eos. Baso. lVIono. Lympho.

2. 1~ 5.1. 6.1.

20. 1. 26. 1. 28.1. 2.2. 9.2.

11.2. 17.2. 23.2.

3250 4750 525O

4250 4500 8200 7250 4250 6750 4500

44 41 46 49 44 50 50 43 42 57 46

13 9

12 8

11 14 16 18 17 12 4

1,5 3 3 2 7 5 3 3 5 1 1

1 0,5 1

0,5

1 0,5

3 5 5 5

3,5

35 39,5 32 39 32,5 25 25 28 28 21 45

Die Tabelle ergibt, dab schon vor der Behandlung eine deutliche Linksverschiebung besteht. Eine Linksverschiebung auch ohne Leuko-

4 Ho/]: Unspezifisehe Therapie. Berlin: Julius Springer 1930.

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Das biologisehe Gesehehen w~hrend der Dauernarkose. II . 58][

cytose habe ieh 5fters in F/~llen yon Schizophrenie fes tges te l l t (unver- 5ffentl iehte Untersuehungen) . W/ihrend der Dauernarkose zeigt sieh bei gleiehbleibender Leukoey tenzah l eine L inksverseh iebung (Zunahme der Stabkernigen) w/ihrend die re la t ive L y m p h o e y t e n z a h l sich ver r inger t . Nach Beendigung der Dauernarkose verr inger t sich die Zahl der s tab- kernigen Leukocy ten sehr schnell, w/~hrend eine re la t ive L y m p h o e y t o s e deut l ich in Ersche inung t r i t t . Man beachte wei ter die w/~hren4 der Behand lung auf t r e t ende Eosinophil ie .

2. H . v . d . G . 31 Jahre alt, war immer etwas nervSs und sonderbar. Sehon vor 4 Jahren zeigten sieh Verfolgungsideen, er glaubte vergiftet zu sein, hfrte Stimmen. Juni 1930 wird er aufgenommen. Er ist vollst~ndig stupor(is, bewegt sieh nicht. Ein passiv erhobener Arm li~Bt er ohne Widerstand fallen. Auger eines stark positiven Chvostek und erhShter mechanischer Muskelerregbarkeit sind keine k(irperlichen Abweichungen festzustellen.

22. 9. 30 wird eine Dauernarkose eingeleitet. Die durchschnittliche Sehlaf- daner betr/igt 14 pro 24 Stunden. Auger einer unbedeutenden TemperaturerhShung am 25. 9. traten irgendwelche Komplikationen w~hrend des Verlaufs der Behandlung, welche am 12. 10. beendet wurde, nicht auf. Im ganzen wurden verabreieht 38 Am- pullen Somnifen, 6 mgr Hyosein, 2 g Veronal und 12 g Chloral.

14. 10. Patient schaut sich seine Umgebung an. Auf Fragen antwortet er fliisternd ,,ja" oder ,,nein". Redet Referent mit ,,Arzt" an.

16. 10. Ist viel regsamer. Beantwortet, wenn aueh monosyllabisch, alle Fragen. 17. 10. Ist heute wieder mutistisch. November 1930. Ist viel aktiver. Er verriehtet einige h~tusliche Arbeiten auf

der Abteilung. Allm/~hlich aber wird er wieder akinetisch.

Tabelle 2.

Leuko - Segmentk . D a t u m cytenzahl S tabk . Eos. Baso. Mono. L y m p h o .

22.9. 29.9. 13. 10. 20.10. 27.10.

7250 7250 6750 7750 7750

34 38 42 47 31

10 21 20 17 10

1,5

3

1

0,5

45,5 32 30 31 52,5

Tabel le 2 e rg ib t eine w~hrend der Dauernarkose e in t re tende s t a rke L inksverseh iebung und eine re la t ive Verr ingerung der L y m p h o e y t e n . zahl. 2 Woehen naeh Beendigung der Dauernarkose s ind s~mtl iche W e r t e wieder zur N o r m zur i ickgekehr t .

3. L. S.C. Der jetzt 17j/ihrige Kranke war sehon als Kind ungestiim und ungehorsam seinen Eltern gegeniiber. Immer schon war er sehr reizbar. Im 10. Lebensjahre trat ein Angstzustand auf dessen Ursachen man in Konflikten mit der Umgebung erbliekte. Ein P/idagoge erteilte den Rat, Patient in einer anderen :Familie untvrzubringen. Er blieb aber fortwahrend ,,nervSs", war nicht zu irgendeiner Arbeit zu bewegen. Im Sommer 1929 wurde er erregt, wurde sehr beweglich, lriiilte jede Frau die in seiner l~/~he kam. August 1929 wurde er im hiesigen Sanatorium aufgenommen, wo er anfi~nglich ruhig war. Es gelang jedoch nicht ihn w~hrend l~ngerer Zeit bei derselben Arbeit zu behalten.

Z. f. d. g. Neur . u. P sych . 135. 35

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582 D. Schrijver:

Oktober 1929 wird er wieder nach Hause entlassen. Es gelingt jedoch nicht ihn zur Arbeit zu bewegen. 0fters sail er tagelang unbeweglich und grfibelte fiber allerhand Weltprobleme, dann wieder wurde er plStzlich erregt, war mitteilsam, hatte neue Gedanken und ,,Erfindungen" auf dem Gebiete der Physik, der Philo- sophie, usw.

Mai 1930 wurde er wieder aufgenommen. Auf kfrperlichem Gebiete fanden sich, ausgenommen Cryptorchismus und ein auffallend groiler Penis, keine Besonder- heiten. Allmahlich nahm die Psyehose eine ungfinstige Wendung. Eine zunehmende Sprachverwirrtheit, Neologismen, Negativismus, Flexibilitas usw. s~tzten ein.

Die Dauernarkose wurde yore 25. 10. bis 10. 11. durchgefiihrt. D'e mittlere Schlafdauer war 9 pro 24 Stunden. Im ganzen wurden verabreieht 28 Ampullen Sonmifen, 9 g Veronal, 13 mgr Hyosein. Ab 3. 11. setzt eine leiehte Taehykardie und gelegentliehe subfebrile TemperaturerhShung ein. Die Dauemarkose zeitigte in diesem Falle keinen therapeutisehen Effekt. Der Patient war nach Beendigung der Behandlung womfglich noeh unruhiger und zerfahrener wie vorher.

Zell- Datum volumen

24. 10. 38 10.11. 30

Tabelle 3a.

S.R. F. E. Alb.

320 3,8 7,6 5,7 5,2 6,7 4,4

Glob. A.G.

1,9 3 2,3 1,9

Tabelle 3b.

Datum

24. 10. 25. 10. 26. 10. 27.10. 29. 10. 30. 10. 31.10.

1.11. 3.11. 4.11. 5.11. 6.11. 8.11.

10.11 11.11. 13.11. 26.11. 2.12.

Leuko- cytenzahl

9 500 8 250 6 000 7 750 7 250 7 500 6 000 7 750 9 000 9 000 8 250 8 500

11 250 6 250 8 750 8 000

14 500

SegInentk.

47 48 53 47 43 46 46 53 51 50 46 48 50 58 64 52 57 61

Stabk.

15,5 11,5 19 13 24 25 17 20 15,5 22 22 17 19,5 14 18 24 9

11

Eos.

D,5 1,5 11,5

1,5

1 2 1 1 1

1

1

0,5

]~aso,

1

1

0,5

1,5 0,5

i-

0,5

~OnO.

9 6 6 4 5 5,5 4,5 6 5 6 4 7 8 5 4,5 5 7 4

L y m p h o .

28 33 19,5 34 26,5 23,5 31,5 19 26 20 25,5 26,5 22,5 21 13,5 17,5 26 23

Tabelle 3a zeigt uns nockmals die S t ruk tur~nderungen der Plasma- eiweiBkSrper wie ich diese in meiner ersten Mittei lung in anderen F/fllen gezeigt babe 1. Ausgepr/~gt ist die Senkungsbeschleunigung (S. R.), die F ib r inezunahme (F). Die Hydr/~mie auBert sich in eine enorme Abnahme des Zellvolumens des Citratblutes und in eine Abnahme des Gesamt-

1 D. Schreijer. Z. Neur. Bd. 129. S. 280.

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Das biologische Gesehehen w~hrend der Dauernarkose. II. 588

eiweii~geh~ltes (E). Dann ist noch eine re la t ive Globul invermehrung deutl ich, welche sich in der Senkung des A lbumin -Globu l inquo t i en t en (A.-G.) s

Tabelle 3b zeigt eine schon vor Beginn der Dauernarkose bes tehende Linksverschiebung. W~hrend der Dauernarkose ve r s t~ rk t sich diese Linksverschiebung, w~hren4 die L y m p h o c y t e n z a h l zur A b n a h m e neigt . 16 Tage nach Beendigung der Dauernarkose is t die L inksversch iebung wieder verr inger t .

4. J .N. , geboren 1907. Er war bis zu seinem 21. Jahre immer normal, fleiBig, yon heiterem Temperament. 1928 trat ziemlieh akut eine psychische StSrung auf. Er begann sich ohne erkennbaxen Grund mit seinen Mitaxbeitern zu streiten, lief vonder Arbeit weg. Der schnell auftretende verwirrte Rededrang und die psycho- motorische Exzitation gingen nach kurzer Zeit voriiber, hinterlieBen aber eine defekte Pers6nlichkeit. Er klagte tiber Elektrizit~t mit der sein KSrper bewirkt wurde und zeigte katatone Motilit~tsst6rungen.

Vom 18. 9. bis 8. 10. wird eine Dauernarkose durehgefiihrt. Die mittlere Sehlaf- dauer war 14 pro 24 Stunden. Patient bekam 720 Tropfen und 30 Ampullen Som- nifen, 1 g Veronal, 14 mgr Hyoscin und 24 g Chloral. Nur am 23. und 24. 9. ist die K6rpertemperatur leicht erh6ht (rectal bis 380). Weitere Symptome werden nicht notiert. Naeh Beendigung der Behandlung ist er sehr beweglich und unruhig. Auch nachher zeigt sich im Zustandsbild keine J(nderung.

Tabelle 4.

Leuko - Segmentk. Das cytenzahl Stabk. Eos. Baso. Mono. Lympho.

18.9. 25.9.

2. 10. 9.10.

16. 10. 23.10.

10 500 1~ 125

25O 5OO 25O

9 500

35 33 36 41 36 40

131,5 15

6

6,5 12,5

6

0,5 0,5 1

,5

7 8

47 30,5 36 34,5 48,5 39

Tabel le 4 zeigt die w~hrend der Dauernarkose einsetzende ~usgepr~gte L inksversch iebung und gleichzeit ig eine Verr ingerung der anf~nglich z iemlich hohen Lymphocy tenzah l . Schon 7 Tage nach Ablauf de r Behand- lung sind diese Erscheinungen wieder verschwunden.

5. H.S. Dieser 30j~hrige Mann wurde schon 1925 in der hiesigen Anstalt aufgenommen. Sehon viele Jahre ist er erkrankt an einer chronisehen Psychose, welche mit ,,Gedankenbeeinflussung", Halluzinationen, Wahnideen, Impulsiv- handlungen, zunehmenden Autismus einhergeht.

Dauernarkose: 16. 9. bis 7.10. Mittlere Schlafdauer 12 pro 24 Stunden. Im ganzen wurde verabreicht 42 Ampullen Somnifen, 11 mgr Hyoscin und 6 g Chloral. Einige Wochen nach Ablauf der Dauernarkose setzt eine weitgehende Remission ein. Patient halluziniert nicht mehr, er ist weniger autistisch.

Sehr schSn zeigt Tabelle 5 wieder die w~hrend der Dauernarkose einsetzende Linksversch iebung und re la t ive A bna hme 4er L ympho- cytenzahl .

35*

Page 7: Das biologische Geschehen während der Danernarkose. II. Mitteilung

584 D. Schrijver:

Tabel~ 5.

Leuko- I Datum cytenzahl Segmentk. I Stabk. Eos. Baso. Mono. Lympho.

12.9. 16.9. 23.9. 30.9.

7 .10. 14. 10. 21. 10.

9 700 9 500

13 250 6 625 7 200 7 750 8 000

55 55,5 5O 43,5 46

4 5,5

13,5 19,5 12 4

0,5

0,5 0,5

38 31,5 26 28 29 39,5 39,5

6. W . V . Dieser 16j~hrige Knabe war immer ein fleil~iger begabter Schiller. Niemals aber konnte er mit anderen Kindern spielen. Einige Wochen vor Aufnahme wurde er sehr in sich gekehrt, war deprimiert, glaubte er habe schwer gesiindigt usw. Auch hier wax or sehr in sich gekehrt, autistisch, betete fortw~hrend still vor sieh hin.

Dauernarkose yore 23. 9. bis 14. 10. Die Behandlung wurde gut iiberstanden. W~hrend der Behandlung t r a t keine TemperaturerhShung auf. Naeh Ablauf der Behandlung besserte sich der Zustand viel. E r ist jetzt lebendiger, n immt an seiner Umgebung teil.

TabeUe 6.

Leuko - Datum cytenzahl Segmentk, Stabk. Eos. Baso. lYIono. Lympho.

11.9. 30.9. 10.10. 14. 10. 21.10.

5250 4750 6500 5250 5750

36 36 43 50 40

,5

10 11 12

1 0,5

5,5

1~ '5

47 33 25 23 38

Tabelle 6 ergibt eine Linksverschiebung und Abnahme der Lympho- cytenzahl w~hrend der Behandlung.

7. S .R . Es ist dies derselbe Kranke der in meiner ersten Mitteilung unter Nr. 7 beschrieben ist. Die damals durehgefilhrte zweite Somuifenbehandlung ergab eine weitgehende Remission. l~ach einem Monat muBte der Pa t ien t wieder mit den alton Besehwerden aufgenommen werden. Es wurde vom 17. 9. bis 7. 10. wieder eine Dauernarkose durchgefilhrt ohne Erfolg.

Tabelle 7.

L e u k o - Datum cytenzahl Segmentk. Stabk. Eos. Baso. Mono. Lympho.

17.9. 24. 9.

1.10. 8.10.

15.10. 22. 10. 24. 10.

7 400 8 000 6 500 8 750

10 0O0 12 000

7 500

47 48,5 42,5 44 52 56 47

7,5 22 12,5

8,5 8,5

,4,5 2,5

Ol,5 o,5

4,5 8,5 74,5 7

1

36,5 18,5 37 31,5 30 25 38,5

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Das biologische Geschehen w~hrend der Dauernarkose. II. 535

Tabelle 7 stellt die Resultate dar. Auck hier wieder eine deutliehe Linksverschiebung w~hrend der Dauernarkose.

Wir kSnnen auf Grund dieser Untersuehungen feststellen, dab wghrend der Dauernarkose eine deutliehe Linksverschiebung eintritt, dies in ]~bereinstimmung mit den Befunden bei der Nirvanoltherapie. Die fiir die Nirvanoltherapie eharakteristische Leukopenie und Eoainophilie zeigt sich aber wiihrend der Dauernarkose nieht. Da~ iibrigens Nirvanol ein Blutbild hervorruft, dab sieh in mancher Beziehung yore Blutbild der Dauernarkose unterscheidet, braueht uns nieht zu fiberrasehen. l~bt doch nach den Untersuehungen Leichten tr i t t s 1 das Nirvanol eine ausgesprochen toxische Wirkung auf das Knochenmark aus.

Wichtiger aber ist, dal] die unspezifische Reiztherapie einhergeht mit Vers des weiBen Blutbfldes, welehe vollst~ndig mit den yon mir w~hrend der Dauernarkose gefundenen iibereinstimmen. In einer ersten Phase Linksverschiebung, w~hrend der zweiten Phase zuriickgehen der Linksversehiebung und relative Zun~kme der Lympho- cyten.

Wir sehen also, da~ die Untersuchung des weiBen Blutbildes w~hrend der Dauernarkose uns zu derselben SchluBfolgerung zwingt wie die physiko-chemisehe Untersuehung der PlasmaeiweiBk6rper. Die Dauer- narkose fibt einen unspezifisch wirkenden Reiz aus. Unseres Eraehtens ist also der biologisehe Meehanismus der Dauernarkose ein komplizierter. Es steht in einigen Fgllen vielleicht eine psyehisehe Wirkung im Vorder- grund. In anderen F~llen iiberwiegt vielleieht die Wirkung im Sinno K l S s i s und Bleulers . Meine Untersuchungen machen neben diesen Wirkungsmechanismen der Dauernarkose eine unspezifische Reizwirkung sehr wahrseheinlich.

Zusammenfassung. In einer ersten Mitteilung wurde gezeigt, dab w~hrend der Dauer-

narkose ein erh6hter KSrpereiweiBabbau einsetzt der in vielen Fs mit einer deutlichen Hydr~mie einhergeht. Auf Grund der Tatsaehe, dal3 bei der unspezifisehen Reiztherapie gleichartige Erseheinungen beobachtet wurden, stellte ich die Hypothese auf dab wghrend der Dauernarkose eine unspezffiseh wirkende Reizkomponente auftritt.

Es finden sich in der Literatur mehrere Hinweise in dieser Riehtung. Die morphologisehe Untersuchung des weil~en Blutbildes best~tigt

die aufgestellte Hypothese.

1 Leichtentritt: ivied. Klin. 1928, Nr 20.