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ISSN 1430 - 6646 Verkaufspreis 2,30 € Das ÖDP-Journal Nr. 151 August 2011 Klaus Mrasek neuer ÖDP-Chef in Bayern Interview mit Niko Paech Alternativen zum Neoliberalismus Ökologie Politik Risikotechnologien

Das ÖDP-Journal ÖkologiePolitik · liche Debatte hinter sich hat, die dann nach Fukushima derart hochkochte, dass die Bundesregierung in Rekordzeit eine 180-Grad-Wende vollzog,

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ISSN 1430 - 6646Verkaufspreis 2,30 €

Das ÖDP-JournalNr. 151 August 2011

Klaus Mrasek neuer ÖDP-Chef in Bayern

Interview mit Niko Paech

Alternativen zum Neoliberalismus

ÖkologiePolitikRisikotechnologien

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. . . A K T U E L L . . . Termine

Hans Schwab

Der ÖDP-Kreisverband Ansbach trauert um sein langjährig aktives Mitglied, Herrn Hans Schwab, der im Alter von 64 Jahren verstor-ben ist.

Herr Schwab vertrat als Kreisrat mehr als 20 Jahre die Belange der Ökologie aus tiefer Überzeugung. Die Politik machte ihm einer-seits Spaß, andererseits große Sorgen. Seine Vorschläge beant-worteten nicht die Fragen von heute, sondern die von morgen. Ihm war es wichtig, seinen Kindern und Enkeln eine lebenswerte und gesunde Welt zu hinterlassen. Als Demeter-Landwirt galt seine Liebe der biologischen Landwirtschaft. Die Bewahrung der Schöpfung war ihm eine Herzensangelegenheit.

Was ihn besonders auszeichnete, war seine freundliche, beson-nene und ausgeglichene Art.

Die ÖDP Ansbach hat mit Hans Schwab eine ebenso engagier-te wie verlässliche Stütze verloren. Wir werden uns immer gerne an ihn, der viele Spuren hinterlassen hat, in Dankbarkeit und Re-spekt erinnern.

ÖDP-Kreisverband Ansbach

Christoph Rädler

Unser lieber Christoph Rädler ist von uns ge-gangen. Wir verlieren mit ihm einen liebens-werten Menschen, einen treuen Wegbegleiter, einen guten Freund und Ratgeber.

Als langjähriger Vorsitzender des ÖDP-Kreisverbandes Württembergisches Allgäu setzte er sich unermüdlich und mit großem Engagement für seine Ideale ein. Eine ökologisch fundierte, fami-lienfreundliche und demokratische Politik zum Wohl der Men-schen zu begründen, das sah er als eine seiner Lebensaufgaben.

Den Mitgliedern der ÖDP wird Christoph weiterhin Ansporn und Vorbild sein. Unser Mitgefühl gilt seiner trauernden Familie.

In tiefer Dankbarkeit,

Günther Heger und Joachim Heumos für den ÖDP-Kreisverband Württembergisches Allgäu,

Peter Schröder und Christa Gnann für den ÖDP-Kreisverband Ravensburg

Fr - Mo, 12. - 15.08.2011 ÖDP-Sommercamp (in Oberau bei Dresden)

So, 04.09.2011 Landesparteitag der ÖDP Hamburg

So, 04.09.2011 Landtagswahl in Mecklenburg- Vorpommern

So, 11.09.2011 Kommunalwahlen in Niedersachsen

So, 18.09.2011 Abgeordnetenhauswahl in Berlin

Sa - So, 08. - 09.10.2011 Landesparteitag der ÖDP Nordrhein- Westfalen (in Bad Driburg)

Sa, 15.10.2011 Bundeshauptausschuss der ÖDP

Sa, 12.11.2011 Bezirksparteitag der ÖDP Oberbayern (in Neufahrn bei Freising)

Di 06.03.2012 Jubiläum: 30 Jahre ÖDP !!!

Sa - So, 05. - 06.05.2012 Landesparteitag der ÖDP Baden- Württemberg

So, 06.05.2012 Landtagswahl in Schleswig-Holstein

Bürgerforum 2011 – eine neuartige Form des Bürger-Engagements?

ÖDP-Mitglied zu Gast beim Bundespräsidenten

das, was in Parteiprogrammen stünde. Im Zweifel bleiben sie leider auch genau so unverbind-lich. Am Ende fragte man sich, ob sich der Einsatz jenseits der Sonntagsreden und Hochglanz-broschüren wirklich gelohnt hat. Sicher, es hat Spaß gemacht, sich mal in einem neuen Rahmen an politische Fragestellungen zu begeben. So mancher Teilneh-mer hat sich hierdurch erstmals mit dem Politik-Virus infiziert. Aber letztlich war es nur ein Spiel, eine Art Politiksimulation. Echte Bürgerbeteiligung braucht ein klareres Konzept und grö-ßere Belohnungsanreize für die Teilnehmer – nämlich echte Beratungs- oder gar Entschei-dungsbefugnisse. Veranstaltun-gen wie das Bürgerforum 2011 sind somit keine Alternative zu bundesweiten Volksentscheiden oder kommunalen Bürgerbefra-gungen. Auch verstellen Sie den Blick auf die Tatsache, dass der größte Bremsklotz für eine bes-sere Bürgerbeteiligung nach wie vor im Wahlrecht liegt. Solange die 5 %-Klausel nicht durch eine Ersatzstimme flankiert wird, ha-ben Bürger keine fairen Partizi-pations-Chancen außerhalb der etablierten Parteien. Björn Benken

Unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten und organi-siert von Bertelsmann- und Nix-dorf-Stiftung fand von März bis Mai das Bürgerforum 2011 statt. Ein groß angelegtes Experiment zur Bürgerbeteiligung, bei dem insgesamt 10.000 Bürger in 25 ausgewählten Städten und Land-kreisen Lösungsvorschläge in den Bereichen Bildung, Familie, De-mografie, Solidarität, Integration sowie Demokratie erarbeiteten. Nach der Auftaktveranstaltung fand die Diskussion auf einer speziellen Online-Plattform statt, wo Bürgerredakteure die Beiträge der Teilnehmer in eine einheitliche Textform brachten. Nach mehreren Abstimmungs-runden kristallisierten sich am Ende 25 regionale Programme und ein bundesweites Bürgerpro-gramm heraus. Die Forderungs-kataloge der Bürger überraschten nicht wirklich: fast alle sprachen sich für ein bundeseinheitliches Bildungssystem, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, den Ausbau plebiszitärer Elemente und Mindestlöhne aus. Die Grünen-MdL Gabriele Heinen-Klajic brachte es treffend auf den Punkt, als sie meinte, die Ergebnisse seien „nicht besser, aber auch nicht schlechter“ als

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ÖDP-Mitglied Dr. Björn Benken überreicht das Braunschweiger Bür-gerprogramm an den Bundespräsidenten

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Politik aktuell (Auszug)

Proteste gegen Atomkraft ÖDP in Aktion 5

Die Bewohner der ÖDP-PyramideFundraising auf dem ÖDP-Bundesparteitag 6

Klaus Mrasek ist Bernhard Suttners NachfolgerÖDP-Landesparteitag in Bayern 8

„Die vier Stromriesen sind wie vier Besatzungsmächte” Anti-Atomkraft-Demos 9

Titelthema: Risikotechnologien

Was bedeutet Fukushima für uns?Atomkraft 10

Konfiszieren, manipulieren, patentieren, monopolisieren, globalisierenAgro-Gentechnik 12

Gentechnikfreie Nahrung ist einklagbarUN-Menschenrechtsausschuss 15

Unvorstellbar klein und mit ungeklärten RisikenNanotechnologie 16

„Urangeschosse gehören rigoros verboten!”Interview mit Prof. Dr. Dr. Edmund Lengfelder 19

Wirtschaftspolitik

Wege zu einer umwelt- und familiengerechten Wirtschaft?Über Heiner Flassbeck 20

„Flassbecks Konzept müssen wir sozialpolitisch ergänzen!”Interview mit Dr. Johannes Resch 23

Gelassen und entspannt in die Zukunft?Über Nico Paech 24

„Reduktion bis auf ein sehr geringes Niveau”Interview mit Prof. Dr. Nico Paech 25

ÖkologiePolitik intern (Auszug)

Brief an alle Mitglieder 31

Landesverbände 32

AK Christen und Ökologie 34

ÖDP in Aktion 35

Ökolumne 4Pressespiegel 27Leserbriefe 30Impressum 33

Titelfoto: Klaus Buchner

I N H A LT

Lieber Leserinnen und Leser,

die Reaktorkatastrophe von Fukushima zeigte: Es gibt keine absolute Sicherheit.

Immer bleibt ein Risiko übrig, das so lange heruntergespielt und verharmlost wird,

bis dann doch etwas passiert. Wenn die Schäden für die menschliche Gesundheit

und die Umwelt so hoch sind wie bei der Atomkraft, dann ist auch ein noch so

kleines Risiko völlig inakzeptabel. Die Folgen betreffen ja vor allem künftige Ge-

nerationen. Und deren Recht auf Gesundheit und eine lebenswerte Umwelt ist

genauso hoch wie das unsere. Deshalb dürfen wir ihnen nicht jahrtausendelange

Lasten aufbürden. Wir wissen heute nicht, wie und wozu die gewaltige Anlage von

Stonehenge errichtet wurde, schrieb schon 1979 der konservative Philosoph Robert

Spaemann und stellte dann die Frage: Wie dürfen wir dann annehmen, dass unsere

Nachfahren in 5000 Jahren Kenntnisse der Reaktortechnik besitzen und mit den

dann immer noch radioaktiven Brennelementen richtig umgehen können?

Es sollte nicht erst zu GAUs kommen müssen, damit ein Nachdenken über die

Gefahren und die moralische Legitimität von Technologien einsetzt! Das gilt auch

für die Gen- und die Nanotechnologie, mit denen sich dieses Heft auf den Seiten

12 bis 19 befasst. Während die Atomkraft eine lange und intensive gesellschaft-

liche Debatte hinter sich hat, die dann nach Fukushima derart hochkochte, dass

die Bundesregierung in Rekordzeit eine 180-Grad-Wende vollzog, sind die Gen-

und die Nanotechnologie noch eher Randthemen, die bei den Massenmedien kaum

Beachtung finden. Für die ÖkologiePolitik umso mehr ein Grund, sich damit zu

befassen.

Mit Risikotechnologien machen große Konzerne große Gewinne, während

eventuelle Schäden vor allem die Allgemeinheit tragen darf. Gerechtfertigt werden

sie mit einem angeblich hohen Nutzen für die Menschheit oder der wirtschaftlichen

Wettbewerbsfähigkeit samt Arbeitsplätzen. Es kann aber nicht Aufgabe der Politik

sein, jeden Arbeitsplatz zu sichern, denn Umstrukturierungen vernichten immer

Arbeitsplätze. Jedoch sollte sie – vor allem wenn sie Familien fördern möchte –

dafür sorgen, dass insgesamt genügend Arbeitsplätze vorhanden sind. Hier schöpft

sie seit langem ihre Handlungsmöglichkeiten nicht aus. Rot-grüne, schwarz-rote

und schwarz-gelbe Regierungen hielten sich entsprechend der neoliberalen Ideolo-

gie aus der Gestaltung wirtschaftlicher Prozesse weitgehend heraus. Wie es anders

ginge, zeigen z. B. die Ansätze von Heiner Flassbeck und von Niko Paech, die Sie auf

den Seiten 20 bis 26 finden. Was ist Ihre Meinung dazu? Schreiben Sie uns!

Ihre

Günther HartmannVerantwortlicher Redakteur

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� ÖkologiePolitik 151–August2011

P O L I T I K A K T U E L LÖ K O L U M N E

PRESSETICKER

einem insolventen Staat neue Kredite gegeben werden. Dabei muss auch Kapital von priva-ten Gläubigern verfügbar sein. Deshalb darf es keine Vorran-gigkeit für den Schuldendienst über Rettungsschirme geben. Sonst würden auch die lang-fristigen Anleihezinsen von pri-vaten Kreditgebern ansteigen und die Kreditkrise verschärft sich weiter.

Aber alle Hilfsmaßnahmen ändern nichts an dem Grund-problem der nicht konkur-renzfähigen Wirtschaft von Griechenland. Um die großen Produktivitätsunterschiede in der Euro-Zone auszugleichen, sollten gerade in den südlichen Euro-Ländern Investitionen ge-tätigt werden, die die Produk-tivität dort fördern. Insbeson-dere im Bereich der Erzeugung erneuerbarer Energien mit solarthermischen Kraftwerken. Diese Investitionen erhöhen die Produktivität und bleiben auch nach einem möglichen Schul-denschnitt erhalten. Investiti-onen in den Umweltschutz sind krisensicher.

Es stört viele Bürger, dass wichtige Entscheidungen von Institutionen wie dem IWF getroffen werden, die nicht demokratisch legitimiert sind. Nötig ist eine Ordnungspoli-tik, die von EU-Institutionen umgesetzt wird. Die EZB reicht dafür nicht aus. Diese neu zu errichtende Behörde muss im Euro-Raum die Staatsverschul-dung begrenzen, sich für den Ausgleich in der Entwicklung der Produktivität, des Lohn- und Preisniveaus im Eurogebiet einsetzen, die Marktmacht von systemrelevanten Großbanken durch Zerschlagung in Einzel-banken zurückdrängen und das Haftungsprinzip auf den Finanzmärkten konsequent durchsetzen.

ÖDP zur Reform des Wahlrechts„Es ist eine Schande für die De-mokratie, dass es noch kein neu-es Wahlgesetz gibt, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies bis 30. Juni angemahnt hat.“ Das sagt Sebastian Frankenberger, Bundesvorsitzender der ÖDP.

Hintergrund seiner Aussage ist ein Urteil der obersten Richter aus dem Jahr 2008, in dem das Parlament aufgefordert wurde, ein neues Wahlrecht zu schaffen, um das Problem der Überhang-mandate zu lösen. Bisher konn-ten sich die Bundestagsparteien nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen. „Da insbe-sondere die CDU von den Über-hangmandaten profitiert, ist es überhaupt nicht in ihrem Sinne, das Wahlgesetz zu ändern. Für mich ist dieses Verhalten ein Zei-chen von Arroganz der Mäch-tigen,“ so Frankenberger. (...)

ÖDP kritisiert schwarz-gelbe Atomausstiegspläne

„Die Pläne der Bundesregierung zum Atomausstieg sind ein Ge-schenk an die vier großen Strom-konzerne.“ Dieser Meinung ist Prof. Dr. Klaus Buchner, Atom-physiker und Sprecher der Bun-desprogrammkommission in der ÖDP. Er begründet seine Aussage mit der geplanten massiven För-derung von Windkraftanlagen im Meer (sog. Offshore-Anlagen), die so viel Geld kosteten, dass nur die großen Stormkonzerne Investitionen tätigen könnten. Für Offshore-Anlagen soll nach Medienberichten die staatliche KfW-Bank über 5 Milliarden Euro an Krediten zur Verfügung stellen. „Mit diesen Förderungen versucht die Kanzlerin, RWE und Co. wieder ins Boot zu ho-len. Leider bleibt so die sinnvolle dezentrale Energieversorgung vieler Kleinanbieter außen vor,“ bemängelt Buchner. Er kritisiert außerdem die Aussage von Bun-deskanzlerin Merkel, künftig den Braunkohle-Abbau fördern zu wollen. „Es kann ja nicht sein, dass eine gefährliche Technologie durch eine andere veraltete, kli-

maschädliche Art der Energiege-winnung ersetzt wird. Hier sieht man, wie wenig sich die Bundes-regierung mit Nachhaltigkeit und Erneuerbaren Energien ausein-andergesetzt hat,“ so ÖDP-Poli-tiker Buchner. (...)

ÖDP bereitet europa-weite Volksabstimmung über Atomenergie vor

Die ÖDP hat auf Ihrem Bundes-parteitag in Veitshöchheim be-schlossen, mit Anti-Atomkraft-Initiativen und Parteien innerhalb der Europäischen Union Kontakt aufzunehmen, um eine Europä-ische Bürgerinitiative (EBI) zu starten, die den europaweiten Atomausstieg zum Inhalt hat.

Dazu Sebastian Franken-berger, Bundesvorsitzender der ÖDP: „Da in vielen Ländern eine Abstimmung über Atomkraft verhindert wird, muss nun das europäische Volk entscheiden, welche Form der Energiegewin-nung es befürwortet.“ Die EBI ist im November vergangenen Jahres beschlossen worden. Da aber erst im Herbst diesen Jah-res Interneteintragungen erlaubt werden, biete es sich nun an, erste Vorbereitungen zu treffen. Bei der EBI müssen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes 1 Million Unterschriften aus sieben EU-Ländern gesammelt werden. Frankenberger sprach in seiner Parteitagsrede davon, dass rund 30.000 Unterschriften im Rahmen einer Petition für den Ausstieg Deutschlands aus dem Euratom-Vertrag eingegangen seien. Dies sei ein starkes Signal der Bürgerinnen und Bürger, der gefährlichen und teueren Atom-energie eine klare Absage zu ertei-len. Er warf den Unionsparteien vor, sich als Wolf im Schafspelz zu gerieren, da einige Politiker aus deren Reihen urplötzlich zu Atomkritikern mutierten. „Wir als ÖDP können uns nichts vor-werfen. Wir sind immer geradli-nig und konsequent unseren Weg gegangen,“ so Frankenberger. Weiter wies der ÖDP-Politiker darauf hin, dass es in Deutschland dringender Bildungsreformen bedarf, um die Gesellschaft zum Positiven zu verändern. (...).

Wirtschaftskrisen im Euro-Raum

von Ulrich Brehme

Man muss zwei Finanzkrisen auseinander halten, die im Moment im Eurogebiet zusam-menwirken.

In der Folge der Immobi- lien-Spekulationsblase 2003 in den USA kamen viele Groß-banken ins Taumeln. Die Märkte wurden immer weiter mit niedrigen Zinsen in Fahrt gebracht, statt den Brand über höhere Zinssätze der ameri- kanischen Notenbank zu lö-schen.

Viele Großbanken aus Deutschland haben sich über Tochtergesellschaften an der Spekulation beteiligt und dabei große Werte vernichtet. Unfass-bar ist bis heute: daran waren auch viele staatliche Banken aus Deutschland beteiligt. Auch Spanien kämpft noch immer mit den Folgen einer Immobi-lienkrise.

Systemrelevante Großban-ken sollten in Einzelbanken auf-geteilt werden, um der Politik im Krisenfall echte Handlungs-spielräume zu ermöglichen. Das Haftungsprinzip muss auf den Finanzmärkten wieder voll greifen. Dafür könnte auch das Gesellschaftsrecht für Anleger bei Kapitalgesellschaften geän-dert werden.

Eine andere Finanzkrise im Euroraum ist die hohe Staats-verschuldung in Griechenland. Schon beim Beitritt zum Euro fälschte Griechenland seine Statistiken, um die Beitrittskri-terien für den Euro zu erfüllen. Hinzu kommt eine subventio-nierte Misswirtschaft, die ihre Ursachen in einer massiven Korruption, einem nicht funkti-onierenden Steuersystem sowie in einer sehr niedrigen Produk-tivität haben. Ein großer Schul-denschnitt bei den griechischen Schulden auf die Hälfte ist nun wahrscheinlich. Erst nach einem Schuldenschnitt sollten

www.oekologiepolitik.deSchauen Sie doch mal ins Internet!

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P O L I T I K A K T U E L L

ÖDP in Aktion

Proteste gegen AtomkraftIn Gedenken an die Opfer der Atomkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986veranstalteten viele Kreis- und Landesverbände der ÖDP Aktionen und Infostände.

Altlandkreis Wasserburg

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Großen Anklang bei Mitgliedern und Interessenten fand die Aktion der Niedersachsen zum Tschernobyl-Tag.

Hannover

Auch die ÖDP Unterfranken war mit einem Infostand und großen Fahnen vertreten.

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Die ÖDP erinnerte am 26.04.2011 mit einem Informationsstand an die Atom-Katastrophe in Tscher-nobyl vor 25 Jahren. „Die noch immer und auf unabsehbare Zeit präsenten Folgen der Katas-trophe von Tschernobyl und die Ereignisse in Fukushima zeigen,

dass die Atomenergie im Falle eines Unfalles nicht kontrollier-bar ist. ‚Restrisiko‘ ist eben nicht nur ein Wort,“ konstatiert Thi-lo Haas, stellv. Vorsitzender des Kreisverbandes Hannover und Mitglied im Landesvorstand der ÖDP Niedersachsen.

GrafenrheinfeldGut besetzt war die Demons-tration und Aktion eines über-parteilichen Bündnisses gegen Atomkraft am 15. April im unter-

fränkischen Grafenrheinfeld. Mit über 15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern setzte dieser Tag ein Zeichen gegen Atom.

Neckarwestheim

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Gut besucht war auch der ÖDP-Infostand entlang der Demonstrati-onsstrecke nach Neckarwestheim

te Prof. Dr. Klaus Buchner, der Landesgeschäftsführer Ulrich Stein und der ehemalige Bundes-schatzmeister Dirk Uehlein.

Am 30. April demonstrierten Tausende in Wasserburg gegen Atomkraft. Organisiert hatte die Veranstaltung die ÖDP, federfüh-rend war Bundesvorstandsmit-glied Ludwig Maier. Besonders

stolz waren die Organisatoren, dass sie den bekannten Lieder-macher Hans Söllner für ein Live-Konzert bei der Abschluss-kundgebung gewinnen konnten.

Durch den beschaulichen Ort Wasserburg zog der Demonstrations-zug. Rechts im Bild Ludwig Maier, Mitglied im Bundesvorstand der ÖDP, links neben ihm Susann Mai, ebenfalls Mitglied im Bundesvor-stand.

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Viele ÖDP-Mitglieder aus ganz Baden-Württemberg demons-trierten am Tschernobyl-Tag vor dem AKW Neckarwestheim. Unter ihnen auch Atomexper-

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Spenden- und Mitgliederwerbung

Die Bewohner der ÖDP-PyramideAuf dem Bundesparteitag der ÖDP nahmen sich die Delegierten Zeit, um einen Vortrag zu hören, in dem Arbeitsmethoden vorgestellt wurden. Es ging um das Thema Spenden- und Mitgliedswerbung – auf Neudeutsch „Fundraising“ genannt.

von Ronald Pabst

Die Deutschen sprechen im Allgemeinen nicht gerne

über Geld. Aber ohne gezielte Spendenwerbung würden viele gute Projekte nicht umgesetzt. Deswegen ist es hilfreich, sich die Basis der gemeinsamen Arbeit zu betrachten, denn dies ist der ethische Maßstab für das Fund-raising.

Wenn sich Menschen in einer Organisation zusammenfinden, dann tun sie dies, um gemein-sam Ziele zu erreichen. Dies kann zum Beispiel der Kampf gegen Kinderarmut oder für Tierrechte sein. Die Mitglieder der ÖDP wollen die Politik in diesem Land verändern. Um dies erreichen zu können, braucht es eine starke Organisation – das ist der Ursprungsgedanke jeder Partei. Fundraising findet genau hier statt; das ist die Messlatte der Arbeit.

„Die Leute spenden – trotz Fundraising.“

Mit diesen Worten tritt Prof. Fritz-Rüdiger Volz all denjeni-gen entgegen, deren Sinnen und Trachten darauf ausgerichtet ist, mit geschickten Methoden und strategischen Kampagnen Geld für gute Dinge locker zu machen. Doch es gibt keine wundersame Geldvermehrung.

Fundraising ist der zielge-richtete Aufbau dauerhafter Be-ziehungen zwischen Menschen: denjenigen, die ihre Zeit und ihr Geld geben; und denjenigen, die damit politische oder kari-tative Arbeit bündeln oder erst möglich machen. Eine Spende oder eine Mitgliedschaft ist der Ausdruck der Bindung an eine Idee; der Ausdruck dafür, dass die begünstige Organisation und ihre Entscheider Sinnvolles zur Erreichung des Satzungszieles leisten.

Einfache Dinge gut machen

Es geht um Kommunikation; darum, viele Menschen für die eigene Arbeit zu begeistern. Und dabei dürfen wir sehr wohl Ideen sammeln, Ziele setzen, Maßnah-men überlegen und Erfolge mes-sen: mithin strategisch vorgehen.

Die Botschaft muss in der alltäglichen Arbeit einer Organi-sation ankommen. Wer Freunde gewinnen will, der muss erst ein-mal Kontakte machen. Für die

vielen Aktiven, Mandatsträger und Mitarbeiter der ÖDP heißt es, jeden(!) möglichen Interes-senten danach fragen, ob er oder sie weiter über die Arbeit in-formiert werden will. Das kann über einfache Dinge geschehen: Bei jeder Veranstaltung werden Interessentenlisten ausgelegt. Und alle, die den Newsletter be-kommen wollen, werden zeitnah in die Adressdatenbank einge-pflegt.

Das böse Wort: Adressmanagement

Zurecht scheuen viele Menschen, ihre Daten preis zu geben. Denn jeder weiß, was beispielsweise

nach der Teilnahme an einem Gewinnspiel droht: Altpapier, bis der Briefkasten platzt. Dennoch sind Firmen wie Wohltätigkeits-organisationen darauf angewie-sen, die Menschen zu erreichen, die das eigene Angebot gut fin-den. Außerdem verhindert eine gut geführte Datenbank, dass Menschen kontaktiert werden, die dies nicht wollen.

So gibt es durchaus Leute, die politisch sehr interessiert sind und heißblütig hinter den Zie-len einer Organisation stehen:

aber eben doch von Hartz4 leben müssen und sich beim Erhalt ei-ner Spendenmail schlecht fühlen, weil sie der Bitte nicht nachkom-men können. In einer guten Da-tenbank kann man dies markie-ren, so dass die Person weiterhin den Newsletter, nicht aber Spen-denbitten per Email bekommt. Und vielleicht sammelt genau diese Person im Vorfeld der nächsten Wahl fleißig Unter-schriften weil sie von der Arbeit überzeugt ist und mit Respekt behandelt und informiert wird.

Fundraising bei der ÖDP

Die ÖDP hat schon mehrere Volksentscheide gewonnen, mo-

bilisiert regelmäßig hunderttau-sende Wähler und hat über 6.500 Mitglieder. Dazu mobilisiert sie selbstverständlich ihre Unterstüt-zer und bittet um Unterstützung mithin betreibt sie Fundraising. Und tatsächlich braucht niemand allzu lange nach Beitrittsformu-laren in den Materialien oder den entsprechenden Buttons auf der Homepage suchen.

Die Bewohner der Fundraisingpyramide

Mit Hilfe der Fundraisingpyra-mide bekommt man einen Über-blick über die verschiedenen Gruppen von Interessenten und Förderern. Sie unterscheiden sich durch den Grad der Bindung an die Organisation. Naturgemäß nimmt die Zahl ab, je stärker die Bindung ist. Auf der anderen Sei-te spenden natürlich Menschen mehr und öfter, wenn sie eine enge Bindung haben.

Interessenten

Die Interessenten sind das breite Fundament: Bei der Bundestags-wahl 2009 hat die ÖDP 132.249 Wählerstimmen erhalten. Das ist ein deutlicher Beleg dafür, dass viele Menschen den Zielen der ÖDP verbunden sind.

Leider haben Wahlen aber aus Fundraisersicht einen Systemfeh-ler: Sie sind geheim. Das ist gut so; aber es ist eben wichtig mit diesen und anderen Menschen auch außerhalb und nach der Wahl zu kommunizieren. Dazu müssen wir die Menschen davon überzeugen, dass wir sie über die Arbeit informieren dürfen.

Dies geht persönlich: Auf den Unterschriftenlisten für poli-tische Aktionen ist ein Häkchen vorgesehen – wer unterschreibt, den fragen wir, ob er oder sie

FundraisingDer Begriff beschreibt im en-geren Sinne die Beschaffung von Spendenmitteln (engl. fund – Kapital, to raise – be-schaffen). Im weiteren Sinne meint er die strategische Aus-richtung einer Organisation, so dass genügend Spender und Mitglieder gewonnen werden, die eine konsequente Erfüllung des Satzungszieles möglich machen (frei nach Wikipedia, Artikel „Fundrai-sing“).

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mehr Informationen haben will. Nach einem guten Gespräch am Infostand bieten wir selbstver-ständlich an, dass wir die Person weiter informieren. Heutzutage sind Email-Adressen wichtiger als Postadressen. Sie werden zwar häufiger gewechselt, dafür ist es deutlich günstiger, einen großen Email-Verteiler anzuschreiben.

Nur: Wer liest das alles?

Wir müssen gute Texte erstellen, die spannend von der Arbeit be-richten – und den Leser da ab-holt, wo er steht. Dabei steht die Wirkung im Vordergrund. Was wurde erreicht? Solche Informa-tionen sollen regelmäßig ange-boten werden. Im Mittelpunkt können dabei die Geschichten von handelnden Personen ste-hen. 400 Mandatsträger der ÖDP sind ein großer Fundus, den es zu erschließen gilt.

Diese Nachrichten können über verschiedene Wege verbrei-tet werden: Zeitschrift, Webseite, Newsletter und im berüchtigten Web 2.0. Und sie dienen als Grundlage der Kommunikation mit allen Bewohnern der Pyra-mide.

Spender

Zusätzlich zur Information laden wir auch dazu ein, die Arbeit zu unterstützen. Dies geht klassisch mit Briefen. Wenn Sie zu den Personen gehören, die ab und an Spendenbriefe bekommen, sollten Sie sich diese einfach mal anschauen. Wie ist der Brief

aufgebaut? Wonach wird gefragt? Wel-che Notlage wird ge-schildert? Wie trägt die Spende zur Abhil-fe bei? Das ist wirklich spannend.

Im Onlinebereich sieht man, wie die Erreichung von poli-tischen Zielen mit dem Ausbau der Organisa-tion und Spendenbit-ten verknüpft sind. Sie können dies bei dem Aufruf „Wählen ohne Überhang“ von Mehr Demokratie verfol-gen. Dort unterschrei-ben die Interessenten im ersten Schritt für das politische Ziel: die Abschaffung der Überhangmandate.

Dann kommt eine Seite, auf sich der Verein für die Unter-schrift bedankt. Und die Mög-lichkeit bietet, die Organisation bei der Durchführung der Ab-schlussaktion zu unterstützen – mit einer Spende.

Mitglieder

Die wichtigste Art, eine Partei zu unterstützen, ist die Mitglied-schaft. Mit einer Mitgliedschaft bekennt sich eine Person zu den politischen Zielen.

Die Grünen sind hier sehr aktiv: Ich sehe dies als einen der Gründe, warum sie politisch so erfolgreich sind. Sie nutzen den

derzeitigen Aufwind für gute Mitgliedskampagnen; das führt zu einem Wachstum, was wieder-um dem politischen Aufschwung dient, ...

Doch Beiträge haben gegenü-ber Spenden einen weiteren Vor-teil: Das Spendenaufkommen ist planbar – weshalb ja auch für die karitativen Organisationen diese Form sehr attraktiv ist.

Das können wir in Fußgän-gerzonen beobachten, wo viele

Wohltätigkeitsorganisationen direkt nach Mitgliedschaften fra-gen – hiervon rate ich der ÖDP allerdings ab. Es ist dem Image sicher nicht förderlich und hätte allenfalls geringe Chancen auf Erfolg.

Großspender und Erbschaftspender

Auf der oberen Stufe der Fund-raisingpyramide finden sich die Großspender und die Erbschafts-spender. Hier ist eine individu-elle und angemessene Ansprache notwendig. Ein Großspender will etwas bewirken. So hat Mehr Demokratie eine Spende bekom-men, um ein Defizit zu decken. Aber dem Spender hat es nicht ausgereicht, eine Deckungslücke im Budget auszugleichen. Damit der Verein wächst, bekommt er

nur etwas von der großen Spen-de, wenn ein neues Mitglied ein-tritt. Dessen erster Jahresbeitrag wird verdoppelt. Das führt dazu, dass sich der Verein bei der Spen-denwerbung mehr anstrengt – zudem haben potentielle Neu-mitglieder einen Anreiz, jetzt einzutreten.

Manche Wohltätigkeitsor-ganisationen werden häufig in Testamenten berücksichtigt. Wer sich beispielsweise mit dem The-

ma Krebs auseinandersetzt, für den ist das schwierige Thema Tod eher im Blickfeld. Aber gera-de hier gilt es, angemessene und dezente Angebote zu machen. Spender sind durchaus fähig, selbst zu entscheiden, ob sie diese annehmen wollen.

Zusammenfassung

Die Bewohner unserer Pyramide wollen auf passende Art und Wei-se informiert werden. Grundlage dafür ist die Kenntnis der Men-schen und die Möglichkeit, sie zielgenau zu informieren. Dabei ist eine gut gepflegte Adressda-tenbank die Grundlage.

Alle, die für die ÖDP aktiv sind, können mithelfen, die Basis der Pyramide zu verbreitern. Es ist möglich, Menschen dauerhaft für Politik zu begeistern. n

Die wichtigste Art, eine Partei zu unterstützen, ist die Mitgliedschaft.

Ronald Pabst von Mehr Demokratie hielt einen Vortrag über Fundraising.

Ende Juni war ÖDP-Chef Sebastian Frankenberger zu Gast bei Maybrit Illner im ZDF. In der Polit-Talk-show ging es um die Themen Atomenergie und Steuern. Frankenberger mahnte einen schnelleren Atom-ausstieg an und die Verantwortung für die nachfolgenden Generationen. Weitere Gäste im Studio waren Philipp Rösler, der Bundesvorsitzende der FDP und Renate Künast, die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag.

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P O L I T I K A K T U E L L

ÖDP-Landesparteitag Bayern

Klaus Mrasek istBernhard Suttners NachfolgerBernhard Suttner in seiner Abschiedsrede: „Die Energiewende reicht nicht. Wir brauchen auch einen anderen Wohlstandsbegriff mit reduziertem Ener-gieverbrauch!“

von Urban Mangold

Biographie

Bernhard G. Suttner (Jg. 1949) ist Referent für Erwachsenenbil-dung, Politologe und Politiker. Er studierte Politikwissenschaft, Pädagogik und christliche Ge-sellschaftswissenschaften in Regensburg und München mit dem Abschluss M.A..

Im Jahr 1972 war Bernhard Suttner für kurze Zeit in der Jungen Union aktiv. Wenig spä-ter verließ er diese wieder; noch im selben Jahr war er Grün-dungsmitglied der Regensbur-ger Wählergemeinschaft Junge Alternative. 1978 war Bernhard Suttner an der Gründung der Grünen Aktion Zukunft (GAZ) sowie der bayerischen GRÜ-NEN beteiligt. 1980 verließ er – wie fast die gesamte GAZ – nach inhaltlichen Differenzen die GRÜNEN wieder, weil er beispielsweise gegen die Legali-sierung „weicher Drogen“ und

Die bayerische ÖDP hat einen neuen Landesvorsitzenden:

Klaus Mrasek (47), Polizeihaupt-kommissar aus Amberg in der Oberpfalz, tritt in die Fußstapfen des bisherigen Landesvorsitzen-den Bernhard Suttner (62), der die ÖDP Bayern 20 Jahre lang führte. Die rund 250 Delegierten wählten ihn mit 90 Prozent der Stimmen.

Mrasek wird die ÖDP in den Landtagswahlkampf 2013 führen und sieht „gute Chancen, weil die ÖDP in den Kommunalpar-lamenten hervorragend arbeitet und mit Volksbegehren gepunk-tet hat“. Viele Wähler seien auf der Suche nach einer ernsthaften Alternative. „Sie nehmen der CSU ihren Zickzackkurs in der Ener-giepolitik nicht ab und sind von der FDP und den müden Freien Wählern enttäuscht“, so Mrasek.

Der neue bayerische ÖDP-Chef führt in seiner Heimatstadt eine fünfköpfi ge Stadtratsfraktion, die dort drittstärkste politische Kraft ist.

Zu stellvertretenden Landes-vorsitzenden wählten die Dele-

gierten die angehende Tierärztin Agnes Becker (30) aus Wegscheid im Landkreis Passau und den Hauptschullehrer Stephan Treff-ler (45) aus Erding. Landesschatz-meister bleibt Gerhard Mai (55), Finanzbeamter aus Moosburg

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Bernhard Suttner (links) und sein Nachfolger im Amt des bayerischen ÖDP-Landesvorsitzenden, Klaus Mrasek (rechts)

(Kreis Freising). Zu Beisitzern wurden Manuela Forster (Nürn-berg), Stadtrat Franz Hofmaier (Ingolstadt), Karlheinz Binner (Landkreis Neustadt a.d.W.), Ul-rich Hoffmann (Landkreis Neu-Ulm) und Oswald Zöller (Land-kreis Deggendorf) gewählt.

Mit langen stehenden Ova-tionen bedankten sich die Dele-gierten beim scheidenden ÖDP-Landesvorsitzenden Bernhard Suttner für seine jahrzehntelange ehrenamtliche Arbeit. Suttner erklärte in seiner Abschiedsre-de, er sehe die Gesellschaft vor einem „dramatischen 85 Pro-zent-Problem”. „85 Prozent der Energieversorgung stammt aus fossilen und nuklearen Quellen. Und davon stammen wiederum 70 Prozent aus Importmaterial. Wir haben daher ein Generatio-nenproblem zu lösen. Gott sei Dank steht die Technik bereit. Aber das reicht nicht. Wir brau-chen auch die Bereitschaft, einen anderen Wohlstandsbegriff mit reduziertem Energieverbrauch zu akzeptieren, auch die Bereit-schaft zu mehr Teilzeittätigkeit und mehr individueller Freiheit und eine Bereitschaft zu weni-ger Konsumzwang. Ich rate der Partei bei den bewährten drei Säulen der ÖDP zu bleiben: eine strikte ökologische Ausrichtung der Wirtschaftspolitik, eine fami-lienorientierte Sozialpolitik und die Leidenschaft für die direktde-mokratische Teilhabe“.

Die hat der Parteitag auch gleich bewiesen: Die ÖDP Bay-ern wird ein Volksbegehren zur Abberufung des Landtags mit anschließender Neuwahl starten, falls nach dem dreimonatigen Moratorium Isar 1 nicht endgül-tig stillgelegt oder noch ein ent-sprechendes Hintertürchen auf-gehalten wird. Diesem Vorschlag des Landesvorstandes stimmte der Parteitag fast einstimmig zu. Mit der Landtagsoppositi-on soll diesbezüglich Kontakt aufgenommen, das Projekt aber notfalls auch ohne Unterstüt-zung anderer Parteien gestartet werden.

Die Rede von Bernhard Sutt-ner im Wortlaut und Videos vom Parteitag können im Pressemit-teilungsarchiv unter www.oedp-bayern.de abgerufen werden. Die Rede kann auch in der ÖDP-Landesgeschäftsstelle Bayern un-ter Tel. (08 51) 93 11 31 bestellt werden. n

gegen die Aufnahme weit links stehender Gruppierungen war. In der Folgezeit beteiligte er sich an der Bildung der ÖDP und wurde in Bayern zunächst stellvertre-tender Landesvorsitzender.

Auf dem Landesparteitag am3. Oktober 1991 in Landshut wur-de Bernhard Suttner als Nachfol-ger von Oswald Schönmüller zum bayerischen Landesvorsitzenden der ÖDP gewählt; dieses Amt be-kleidete er fast 20 Jahre. Seit 1990 ist er für die Wählergemein-schaft Aktive Windberger Bürger (AWB) Mitglied im Gemeinde-rat von Windberg und Mitglied des Kreistags für die ÖDP im Landkreis Straubing-Bogen, wo er seit 1996 Fraktionsvorsitzen-der seiner Partei ist. Landesweit bekannt wurde Bernhard Sutt-ner außerdem durch mehrere Volksbegehren, die die ÖDP in Bayern gestartet hatte, insbeson-dere durch das Volksbegehren„Schlanker Staat ohne Senat“.

Die 10 Gebote – eine Ethik für den Alltag im 21. Jahrhundert

Bernhard Suttners Ablehnung einer einseitig materialistischen Weltsicht korrespondiert mit seiner christlichen Orientie-rung. 1991 hielt er eine Ascher-mittwochsrede mit dem Titel „Die 10 Gebote – ökologisch gesehen“. Darin deutet er die zehn Gebote aus ökologischer Sicht. Sein Vortrag wurde 2007 unter dem Titel „Die 10 Gebo-te – Eine Ethik für den Alltag im 21. Jahrhundert“ als Büchlein mit 68 Seiten veröffentlicht.

Bernhard SuttnerDie 10 GeboteEine Ethik für den Alltag im21. JahrhundertMankau-Verlag 2007, 69 Seiten,

7.95 Euro, 978-3-938396-14-8

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Danke, Bernhard Suttner!

Anti-Atomkraft-Demos

„Die vier Stromriesen sind wie vier Besatzungsmächte“

25.000 Menschen demonstrier- ten am 28. Mai in München für einen schnellen Atomausstieg, 8500 in Landshut und 8000 in Fürth. Bei den drei bayerischen Demonstrationen sprachen für die ÖDP: Landesvorsitzender Klaus Mrasek in Fürth, stellver-tretender Landesvorsitzender Stephan Treffler in München und ÖDP-Landesgeschäftsführer Urban Mangold in Landshut.

Zitate aus den Reden der drei ÖDP-Politiker:

Klaus Mrasek in Fürth

„Wir denken an die von Tod, Krankheit und Verlust ihrer Heimat geschlagenen Menschen in Japan. Wir denken aber auch an all die Menschen, die seit Jahrzehnten an Leib und Leben geschädigt werden, weil sie in einem Uranabbaugebiet behei-matet sind. Dort ist der Krebs, der vorzeitige Tod, die Missbildung

von Neugeborenen grausamer Alltag. Wir Mitglieder der Öko-logisch-Demokratischen Partei rufen dazu auf, jetzt jedes legale Mittel anzuwenden, um den Atom-Spuk zu beenden: Deshalb bereiten wir ein Volksbegehren zur Auflösung des Landtags vor, falls das Atomkraftwerk Isar 1 wieder ans Netz geht.“

Stephan Treffler in München

„Der Atomausstieg ist problem-loser und schneller möglich als uns die Regierungsparteien in Bund und Bayern jetzt glauben

machen möchten. Und dieser Ausstieg aus einer Technik von vorgestern wird vor allen Dingen ein Einstieg sein müssen in ein neues Zeitalter der regenerativen Energieerzeugung, ein Einstieg in die dezentrale Energieerzeugung mit Kraft-Wärme-Kopplung, wo immer es möglich ist und ein Einstieg in eine ganz neue Effizi-enz im Umgang mit Energie. Da ist Hochtechnologie gefragt und da wird bewusstes Verbraucher-verhalten nötig sein. Da werden aber auch, und das hat v. a. die ÖDP nie verschwiegen, Abstriche dort nötig sein, wo wir bisher zu sorglos mit Energie umgehen.“

Urban Mangold in Landshut

„Wenn Minister Söder es wirk-lich ernst meint und einen Atom-ausstiegswettlauf mit Baden-Württemberg will, dann sollte Bayern eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Atomgesetzes

starten mit dem klaren Ziel, die volle Haftpflicht für die Atom-kraftwerksbetreiber durchzuset-zen. Dann wäre der Spuk schnell beendet ...

Der Atom-Manager Groß-mann von RWE hat laut SZ er-klärt, mit dem Atomausstieg dro- he eine Öko-Diktatur, Mir kom-men eher diese vier Energieriesen wie vier Besatzungsmächte vor. Und deshalb sage ich: Von dieser Demo geht das Signal aus: Wir sind der Souverän und wir lassen uns das Diktat dieser Atom-Kon-zerne nicht länger gefallen.“

Viele ÖDP-Mitglieder demonstrierten in München auf dem Königs-platz gegen Atomkraft

Der neu gewählte Landesvorstand: Oswald Zöller, Stephan Treffler, Agnes Becker, Landesvorsitzender Klaus Mrasek, Franz Hofmaier, Manuela Forster und Gerhard Mai. (Nicht im Bild: Ulrich Hoffmann und Karlheinz Binner.)

und die bayerische ÖDP gab und gibt es keine Zeit „vor Fukushima“ mit AKW-Lauf-zeitverlängerung und der Lüge von der Atomkraft als „Brü-ckentechnologie“ und „nach Fukushima“ mit Ethikkommis-sion und Moratorium, um die Landtagswahlen 2011 zu über-stehen. Ich freue mich und bin dankbar, dass ich die Arbeit an der Spitze der ÖDP Bayern in seinem Sinne fortsetzen kann.“

Urban Mangold, ÖDP-Landesgeschäftsführer„In unserem Landtagswahl-programm aus dem Jahr 1986 stand einmal unter der Auflis-tung von Großprojekten, die wir ablehnen, der Satz: So was passiert, wenn Leute am Werk sind, die nur die Vermehrung von Geld im Kopf haben.

Es ist bemerkenswert und bewundernswert, dass unse-re Gegenbewegung, die ÖDP, nun 20 Jahre von einem Mann geführt wurde, der genau das Gegenteil verkörpert, der das Land mit seinen mitreißenden Vorträgen gegen die totale Ökonomisierung des Lebens bereiste, der die Partei in Bay-ern führte und der seine Ar-beitskraft und Lebenszeit völlig unentgeltlich in die Bewahrung unserer Heimat investierte. So etwas gibt es, wenn Menschen am Werk sind, die nicht nur die Vermehrung von Geld im Kopf haben. Und für all das, lieber Bernhard, danken wir Dir alle von ganzem Herzen“.

Fast 20 Jahre, vom 3. Oktober 1991 bis zum 7. Mai 2011 stand Bernhard Suttner (62) als Lan-desvorsitzender ehrenamtlich an der Spitze der bayerischen ÖDP. Der ÖDP-Landesverband hat in dieser Zeit eine Vielzahl außerparlamentarischer Pro-jekte initiiert und erfolgreich bearbeitet. Die Delegierten des Landesparteitages am 7. Mai 2011 dankten es Bernhard Sutt-ner mit einem überwältigenden langen Applaus. Viele Delegier-te würdigten seine Arbeit mit Worten des Dankes.

Klaus Mrasek, ÖDP-Landesvorsitzen-der und Nachfolger von Bernhard Suttner

„29 Jahre in der ÖDP, 20 Jahre als Vorsitzender der bayerischen ÖDP – viel hat Bernhard Suttner in dieser Zeit angestoßen, be-wegt, vorangetrieben und zum Erfolg geführt. Da ist sein un-bedingtes Engagement für die direkte Demokratie zu nennen, das er mit zahlreichen Volksbe-gehren und Volksentscheiden unter Beweis gestellt hat: für die Menschenwürde, für Gesund-heitsvorsorge beim Mobilfunk, gegen neue AKW-Standorte in Bayern, für die Abschaffung des Senats und für echten Nicht-raucherschutz in Bayern. Die Ökologie, der Einsatz für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, war dabei der Leitfaden seiner politischen Arbeit. Für Bernhard Suttner

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T I T E LT H E M A : R I S I K O T E C H N O L O G I E N

Atomkraft

Was bedeutet Fukushima für uns?Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima vollzog die Bundesregierung eine 180-Grad-Wende. Wollte sie vorher noch die Laufzeiten verlängern, will sie nun bis 2022 stufenweise aussteigen. Fukushima brachte aber eigentlich keine neuen Erkenntnisse, denn schon vorher gab es zahlreiche Unfälle mit verheerenden Folgen. Der Atomausstieg hätte schon längst beschlossen gehört – und wäre mit mehr Entschlossenheit auch in deutlich kürzerer Zeit möglich.

von Prof. Dr. Klaus Buchner

Voll Entsetzen schauen wir nach Fukushima. Die Ka-

tastrophe dauert immer noch an, auch wenn wir in den Me-dien kaum noch etwas darüber erfahren. Immer noch fließt Radioaktivität ins Meer. Immer noch hausen 90.000 Evakuierte unter menschenunwürdigen Be-dingungen in Notunterkünften. Und auch über diejenigen, die verstrahlt wurden, weil sie sich zum Zeitpunkt der Katastrophe zu nah an den Reaktoren aufhiel-ten oder zu spät evakuiert wur-den, liest man nichts.

Fukushima ist nicht die erste Atomkatastrophe, nicht einmal die erste in Japan. Die schlimms-ten ereigneten sich 1957 im russischen Majak (bei Tschelja-binsk), wo nach offiziellen Anga-ben 450.000 Menschen verstrahlt wurden und heute noch 23.000 Personen einen Strahlenop-fer-Pass haben. Im selben Jahr brannte im britischen Sellafield ein Reaktor. Nach Regierungsun-terlagen führte dies zu 1.030 To-

ten. 1977 ging in der damaligen Tschechoslowakei der Reaktor Bohunice A1 durch. Die kom-munistische Regierung handelte schnell und füllte das Reaktorge-bäude mit Beton auf. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch ei-nige Techniker dort. Um Schlim-meres zu verhindern, wartete man nicht, bis sie das Gebäude verlassen hatten.

1979 ereignete sich eine teil-weise Kernschmelze im ameri-kanischen Harrisburg, 1986 die Katastrophe von Tschernobyl. Im selben Jahr gab es eine Explosi-on im schleswig-holsteinischen Atomforschungszentrum Geest-hacht neben dem Atomkraftwerk (AKW) Krümmel. Das hatte in der Elbmarsch das welt-größ-te Leukämie-Cluster zur Folge. 1993 entwichen nach einer un-kontrollierten Kettenreaktion im russischen Komplex Tomsk-7 (Sewersk) 500 g Plutonium als Feinststaub. Bereits 0,00003 g da-von wirken tödlich.

1999 kam es im japanischen

Tokaimura zu einer unkontrol-lierten Kettenreaktion. Und 2008 entwichen im belgischen Fleurus 45 Mrd. Bequerel an radioak-tivem Jod 121. Die Bevölkerung in der unmittelbaren Umgebung wurde erst sechs Tage später von der Polizei informiert und angewiesen, kein Wasser, Obst, Gemüse oder Milch aus der Um-gebung zu verwenden. – Das ist

nur eine Auswahl aus den Atom-katastrophen, die sich bisher er-eignet haben.

Auch deutsche Standorte sind unsicher

Die AKW in Fukushima wurden durch ein Erdbeben und den dadurch erzeugten Tsunami zer-stört. In Deutschland liegen die AKW Philippsburg und Biblis im Rheingraben, in dem sich

die Erde immer wieder bewegt. Sie sind nur sehr mangelhaft ge-gen Erdbeben geschützt. Das gilt übrigens auch für die schweizer AKW Gösgen, Beznau und Leib-stadt und für das französische Fessenheim.

Unter den beiden AKW-Blö-cken im baden-württember-gischen Neckarwestheim sackt laufend die Erde ab, wobei große unterirdische Hohlräume entste-hen. 1995 senkte sich der Kühl-turm um 14 cm. 2002 entstand in nur 4,5 km Entfernung ohne Vorwarnung plötzlich ein 18 m tiefes Loch. 2009 wurden neue unterirdische Hohlräume nach-gewiesen. Man goss sie mit Beton aus, doch damit ist das Problem nicht einmal annähernd gelöst. Trotzdem sollen nach dem Wil-len der Bundesregierung die Blöcke Neckarwestheim 2 und Philippsburg 2 noch viele Jahre am Netz bleiben.

Über 1 Million Todes- opfer durch Uranabbau

Die Probleme der Atomenergie sind aber nicht nur die Unfallge-fahren. Sie beginnen bereits bei der Gewinnung des Urans. Um ein deutsches AKW zu betreiben, muss in Uranminen jedes Jahr rund 0,5 Mio. Tonnen radio-aktives Material abgebaut und verarbeitet werden. Für den welt-weiten Bedarf sind es mindestens 150 Mio. Tonnen jährlich. Wegen dieser ungeheueren Menge ist ein wirksamer Umweltschutz nicht möglich. Entsprechend hoch ist die Radioaktivität, die dabei frei-gesetzt wird.

Da mit Ausnahme von Ti-bet der Abbau grundsätzlich in Gebieten erfolgt, in denen indi-gene Völker leben, lässt sich die Zahl der Todesopfer nur grob

abschätzen. Sie liegt bei min-destens 1 Mio. Menschen seit 1945. Das klingt so unglaublich, dass man die Zahl kaum nennen will. Um sie zu verstehen, muss man wissen, dass der radioak-tive Abfall auf den Abraumhal-den Wind und Wetter praktisch ungeschützt ausgesetzt ist. So entweicht das radioaktive Gas Radon ungehindert in die Luft. Die riesigen Mengen an Säuren,

Bereits 0,00003 Gramm Plutonium wirken tödlich.

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B U C H T I P Pmit denen das Uran aus dem Gestein ausgelöst wurde, werden meist einfach in die Landschaft gekippt. Sie versickern und ver-seuchen das Grundwasser.

In der Anfangszeit trugen in den USA die Indianer, die für die Sprengungen und das Abräumen des Gesteins eingesetzt wurden, nicht einmal einen Mundschutz oder eine Arbeitskleidung. Auch in den deutschen Uranminen, in denen nach 1945 Kriegs- und Strafgefangene arbeiten mussten, herrschten zeitweise unmensch-liche Bedingungen.

Kriegseinsatz mitverheerenden Spätfolgen

Die Atomkraftwerke arbeiten heute fast ausschließlich mit sog. „angereichertem Uran“. Hier-für wird in einem aufwändigen Prozess der Anteil des Spaltstoffs U235 erhöht. Dabei bleibt „abge-reichertes Uran“ als radioaktiver Abfall übrig. Um die Kosten für seine Zwischen- bzw. Endlage-rung zu sparen, und wegen seiner ausgezeichneten militärischen Eigenschaften wird es von eini-gen Armeen – z. B. von denen der USA und Großbritanniens –in panzerbrechenden Waffen eingesetzt. Seine Radioaktivität ist z. B. die Ursache für das sog. „Golfkriegssyndron“.

Schlimmer ist jedoch die Wirkung auf die Bevölkerung in den Kriegsgebieten. Denn die zerstörten Panzer werden von den Kindern oft als Spielplatz benutzt. Blindgänger liegen zu Tausenden im Boden, so dass das Uran in die Nahrungskette gelangt. Krebs, Immunschwäche

und missgebildete Kinder sind einige der Folgen. In manchen Gegenden des Irak fragen die Mütter nach der Geburt nicht zuerst: „Ist es ein Bub oder ein Mädchen?“, sondern „Ist es be-hindert oder nicht?“.

Endlagerfrage bis heute völlig ungelöst

Ein weiteres Problem der Atom-kraft ist natürlich die ungelöste Endlagerfrage. Schweden und Finnland planen zwar schon ihre Endlager. Dabei handelt es sich jedoch um ein unverantwort-liches Vorgehen: Diese Lager wer-den keinesfalls so lange dicht hal-ten, bis die gefährlichsten Stoffe wenigstens auf ein Zehntel ihrer ursprünglichen Menge zerfallen

sind. Plutonium 242 hat z. B. eine Halbwertszeit von 370.000 Jahren. – Es ist also höchste Zeit, die Atomkraftwerke so bald wie möglich abzuschalten. Wie schnell kann das geschehen?

Atomausstiegwäre in vier bis fünf

Jahren möglich

Als realistisches Ziel sollte man einen vollständigen Ausstieg aus der Atomenergie in vier bis fünf Jahren anstreben. Zurzeit stehen acht, manchmal sogar neun AKW still, ohne dass irgendwelche Engpässe entstehen oder Strom aus dem Ausland importiert wer-den muss. Für den Ausstieg muss also nur der Strom der übrigen acht AKW mit einer Leistung von rund 11,3 GW ersetzt wer-den. Das wäre mit den Erneu-erbaren Energien kein Problem, wenn man sie weiterhin so rasant ausbauen würde wie bisher.

Weil aber die Sonne nicht im-mer scheint und auch der Wind nicht immer weht, müssen Kraft-werke gebaut werden, die inner-halb von Minuten auf Höchstlast gefahren werden können. Am schnellsten und billigsten ist es, hierfür hochwirksame, mit Erd-gas betriebene Gas- und Dampf-kraftwerke zu errichten. Dazu reichen die oben genannten vier bis fünf Jahre völlig aus. Später können diese Kraftwerke mit Wasserstoff oder Methan betrie-ben werden, die mit überschüs-

sigem Strom aus Solarzellen und Windkraftwerken erzeugt wer-den. Pilotanlagen hierfür sind im Bau. Der Vorteil dieser Technik ist, dass das gesamte deutsche Erdgasnetz zur Verfügung steht. Seine Speicher in unterirdischen Kavernen sind so groß, dass man damit Deutschland ein ganzes Jahr lag mit Strom versorgen könnte.

Oft wird behauptet, für die Umstellung von Atomenergie auf erneuerbare Energien müssten rund 3.600 km neue Höchstspan-nungsleitungen errichtet werden. Das ist nur richtig, wenn man kei-ne dezentrale Energieversorgung in Bürgerhand, sondern stattdes-sen große Offshore-Windparks haben will. Außerdem werden

diese Höchstspannungsleitungen von der EU gefordert, um den internationalen Stromhandel zu erleichtern. Deshalb dürfen die Kosten hierfür nicht dem Atom-ausstieg angerechnet werden.

Aber wer soll in den nächsten vier bis fünf Jahren die 15 bis 20 Mrd. Euro für die Umstellung und für die Gaskraftwerke samt der zugehörigen Infrastruktur bezahlen? Zum Teil natürlich die Atomwirtschaft, die jährlich gut 3 Mrd. Euro an Forschungsgel-dern und Steuervergünstigungen erhält. Dazu kommen Einzelpro-jekte, z. B. Asse und Morsleben. Würde man alle diese Subven-tionen streichen und auch die Gelder aus der Brennelement-steuer zu diesem Zweck verwen-den, wäre nur eine recht mäßige Erhöhung des Strompreises nötig, um den Ausstieg aus der Atomenergie zu fi nanzieren.

Leider hat die Bundesregie-rung anders entschieden. Ihr Atomausstieg dauert doppelt so lang wie nötig. Selbst das Bundesumweltministerium ver-öffentlichte 2008 eine Studie, in der gezeigt wurde, dass damals ein vollständiger Ausstieg aus der Kohle- und Kernkraft bis 2020 möglich gewesen wäre.

Nicht nur das: Die Bundes-regierung will auch die alten Monopole der großen Strom-erzeuger erhalten und die de-zentrale Energieversorgung in Bürgerhand ausbremsen. Dazu

Prof. Dr. Klaus BuchnerJahrgang 1941, Atomphysiker, war von 1973 bis 2006 am Mathematischen Institut der TU München tätig und erhielt für

seine wissenschaftliche Arbeit zahlreiche Auszeichnungen. 1983 trat er in die ÖDP ein, war von 2003 bis 2010 ihr Bundesvorsitzender und ist seit 2010 Sprecher ihrer Bundespro-grammkommission.

Kontakt:[email protected]

Plutonium 242 hat eine Halbwertszeit von 370.000 Jahren.

Robert SpaemannNach unsdie KernschmelzeHybris imatomaren ZeitalterKlett-Cotta, Mai 2011107 Seiten, 12.95 Euro978-3-608-94754-0

Robert Spaemann, Jahrgang 1927, konservativer Philosoph und bekennender Katholik, veröffentlichte schon 1979 seinen ersten atomkraftkri-tischen Aufsatz: „Technische Eingriffe in die Natur als Pro-blem der politischen Ethik“. Dieser, zwei weitere Aufsätze und drei Interviews stellte der Verlag nun neu zusammen. Spaemann refl ektiert die Grenzen unserer Freiheit im Umgang mit der Natur und damit auch die Grenzen de-mokratischer Willensbildung. Seine Argumentation ist von zeitloser Gültigkeit.

FÖS-Studien zur EnergiepolitikDas Forum Ökologisch-So-ziale Marktwirtschaft erstell-

te im Auftrag von Greenpeace zwei Studien zur Ener-giepolitik, die 2011 erschienen: „Was Strom wirklich kostet“ und „Ener-giewende fi nanzie-ren durch Abbau umweltschädlicher

Subventionen“. Interessierte können sie als PDF im Inter-net kostenfrei herunterladen: www.foes.de

werden die Förderung von So-larzellen und Windkraft auf dem Land zurückgefahren, aber die Offshore-Windparks durch großzügige Kredite gefördert. Außerdem hat die schwarz-gelbe Regierung bereits zugestimmt, dass die Braunkohleverstromung weiter ausgebaut wird. Das ist die umweltschädlichste Form der Stromerzeugung, die wir zurzeit in Deutschland haben.

So bedient die Bundesregie-rung vor allem die Interessen einiger weniger Konzerne – auf Kosten und zum Schaden der Bürger. n

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Agro-Gentechnik

Konfiszieren, manipulieren, patentieren, monopolisieren, globalisierenDie Kontrolle über unsere Nahrung wollen große Chemiekonzerne erlangen, indem sie Saatgut gentechnisch verändern und als Patent schützen lassen. Weder für die Bauern noch für die Verbraucher ergeben sich daraus Vorteile. Dafür sind die Nebenwirkungen gravierend – sowohl für die natürliche Umwelt als auch für die menschliche Gesundheit.

von Andrea Dornisch

In der Patentanmeldung WO2004053055 des Agrar-

Chemie-Konzerns Monsanto für eine gentechnisch nicht verän-derte Pflanze steht: „Die Mög-lichkeiten, eine Pflanze durch gentechnische Veränderungen zu verbessern, sind gering. Dies ist einer Reihe von Ursachen ge-schuldet. So lassen sich Effekte eines spezifischen Gens auf das Wachstum der Pflanze, deren Entwicklung und Reaktionen auf die Umwelt nicht genau vorher-sagen. Dazu kommt die geringe Erfolgsrate bei der gentech-nischen Manipulation, der Man-gel an präziser Kontrolle über das Gen, sobald es in das Genom eingebaut worden ist, und andere ungewollte Effekte, die mit dem Geschehen bei der Gentransfor-mation und dem Verfahren der Zellkultur zusammenhängen.“

Allein das bestätigt das Ver-sagen der Gentechnik! Bis vor wenigen Jahren glaubten die Wissenschaftler, dass jedes Gen eine Funktion hat und dass die Anzahl der Gene im mensch-lichen Organismus 100.000 oder mehr beträgt. Heute weiß man, dass der menschliche Organis-mus nur etwa 30.000 Gene be-sitzt, die aber multifunktionell sind und als Netzwerk funktio-nieren. Das menschliche Genom ist zwar entschlüsselt, aber kein Wissenschaftler versteht bis heu-te die komplexen Vorgänge im Gesamtsystem.

„Wir befinden uns in einer kritischen Lage, denn wir kennen die Schwächen unserer theore-tischen Vorstellungen, aber wir haben keine Ahnung, wie wir die gentechnischen Verfahren mit einem umfassenden Verständ-nis in Einklang bringen können.

Monsanto weiß das. Du Pont weiß das. Novartis weiß das. Sie alle wissen, was ich weiß. Aber sie wollen sich nicht damit auseinan-dersetzen, weil es zu kompliziert ist und eine angemessene Lösung zu teuer wird“, meint Richard Strohman von der University of California in Berkley.

Viele Nebenwirkungen

Was hat uns die Industrie nicht alles versprochen: höhere Erträge, weniger Spritzmittel, die Lösung des Welthungerproblems. Nichts von alldem ist bisher eingetreten. Die Behauptung, die Agro-Gen-technik würde den Hunger in der Welt beseitigen, ist nicht nur eine Übertreibung, sondern eine fürchterliche Lüge, denn tatsäch-

lich bewirkt Agro-Gentechnik genau das Gegenteil. Das bestä-tigte auch der Weltagrarbericht 2008. Alle Erfahrungen zeigen, dass die Agro-Gentechnik eine Ursache von Hunger ist.

Bei den bisher hauptsächlich zugelassenen Gen-Pflanzen Soja, Mais, Baumwolle und Raps, han-delt es sich hauptsächlich um herbizid- und insektenresistente Pflanzen. Doch diese Pflanzen beinhalten überhaupt keine gen-technische Veränderung, die dar-auf ausgerichtet wäre, den Ertrag zu steigern. Belegt ist jedoch die Tatsache, dass gentechnisch ver-änderte Pflanzen anfälliger sind für Schädlinge und Krankheiten. So besitzt Soja mehr Holzanteil, was dazu führt, dass es mehr

Risse in ihrem Stamm und an ihren Wurzeln gibt, und darüber hinaus hat sie weniger Phytohor-mone. Seit Einführung der Gen-technik tauchen Probleme auf, die wir vorher nicht hatten.

Es ist auch eine rasante Zu-nahme von resistenten Pflanzen und Unkräutern festzustellen. Im „Baumwoll-Gürtel“ Südame-rikas etwa breiten sich die Super-unkräuter in beängstigendem Tempo aus. Insbesondere sog. Horseweed, Gigant Ragweed und Palmer Amaranth sind resistent gegen das Spritzmittel Glyphosat, bekannt unter dem Markenna-men „Roundup“ des Herstellers Monsanto. Während 2005 ledig-lich 200 ha Soja- und Baumwoll-flächen betroffen waren, waren

es 2009 bereits 400.000 ha – und die Fläche steigt weiter an. Der Spritzmitteleinsatz hat sich ver-doppelt bis verdreifacht.

In Brasilien wächst das sog. „Kanadische Berufskraut“. Um ihm Herr zu werden, steigerte man die Glyphosat-Dosis von ursprünglich erlaubten 1 L/ha auf 8 L/ha – ohne Erfolg. Des-halb kommt heute Agent Orange zum Einsatz, eines der giftigsten Chemikalien überhaupt. Auch in Argentinien gab es früher ein Gesetz, das vor der Aussaat von Soja maximal 1 L/ha Glyphosat erlaubte – heute dürfen vor, wäh-rend und nach der Ernte 14 L/ha gespritzt werden. Während ur-sprünglich die Menge der Rück-stände in Soja 0,2 mg/kg betra-

gen durfte, sind heute 33 mg/kg erlaubt, also das 165-Fache! 80 % der Soja landet in europäischen Futtermitteln, der Rest in Le-bensmitteln – unkontrolliert.

Ziele der Konzerne

Auf einem Gentechnikkongress im Jahr 1999 wurde den Teilneh-mern Monsantos Unternehmens-ziel vorgestellt: „Binnen 15 bis 20 Jahren soll sämtliches Saatgut auf der Welt gentechnisch verändert und damit patentiert sein. Die entscheidende Strategie, die der Konzern verfolgen soll, so die Empfehlung der Arthur Ander-son Consulting Group, sei die Einflussnahme auf die US-Re-gierung. Deren Rolle soll es sein, genmanipulierte Produkte auf die Märkte der Welt zu bringen, bevor sich Widerstand regt. Die Industrie hofft darauf, dass der Markt im Lauf der Zeit so über-schwemmt wird, dass man nichts mehr dagegen tun kann.“

Das erste Ziel ist Kontami-nation. Das zweite Ziel ist der Verkauf von Spritzmitteln und Saatgut im Doppelpack. Drit-tes Ziel ist das Einkassieren von Lizenzgebühren durch ihre Pa-tente. Das vierte Ziel formulierte einmal der frühere US-Außen-minister Henry Kissinger: „Be-herrsche die Energie und du be-herrschst die Nation, beherrsche die Nahrung und du beherrschst die Menschheit.“ Wer die Macht über die Nahrungserzeugung in Händen hält, verfügt über ein größeres Machtinstrument, als jede Kriegsmaschinerie es bieten würde.

Um die weltweite Vorherr-schaft über Landwirtschaft und Ernährung zu erlangen, sind 5 Schritte nötig. Es gilt, das Saat-gut zu n konfiszierenn manipulierenn patentierenn monopolisierenn globalisieren.

Wenn es uns nicht gelingt, diese Entwicklung zu stoppen, dann könnten eine Handvoll Agrochemiekonzerne in einigen Jahren in der Lage sein, die Le-bensmittelerzeugung weltweit zu kontrollieren.

Patente und Biopiraterie

Die Gründe für die Patentierung von Pflanzen und auch Tieren sind vielfältig. Hier einige Bei-spiele:

Alle Erfahrungen zeigen, dass die Agro-Gentechnik eine

Ursache von Hunger ist.

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13ÖkologiePolitik151–August2011

n Pflanzen mit Herbizidresis-tenz (ca. 75 % aller Patentanmel-dungen): Wird das dazugehörige Herbizid gespritzt, stirbt auf dem Acker alles andere ab.n Pflanzen mit Schädlingsresis-tenz (ca. 20 % aller Patentanmel-dungen): Die Pflanze erzeugt in allen Teilen ein Gift, das sowohl Schädlinge als auch Nützlinge tötet.n Pflanzen und Tiere mit art-fremden Genen: z. B. Lachsgene in Erdbeeren oder menschliche Wachstumsgene in Fische. n Terminatorsorten: Sterile Pflanzen – Patentinhaber sind zu 50 % Monsanto und zu 50 % die US-Regierung.n Pflanzen, die verschreibungs-pflichtige Medikamente und Impfstoffe erzeugen. (Was ge-schieht, wenn diese Pflanzen aus-kreuzen?)

Es gibt aber auch Patente auf Pflanzen und Tiere, die gentech-nisch nicht verändert wurden. Monsanto etwa erhielt im Mai 2011 ein Patent auf eine Melone (EP1962578), die eine natürliche Resistenz gegen eine bestimmte Viruskrankheit aufweist, aber gentechnisch nicht verändert wurde. Das Saatgut stammt ur-sprünglich aus Indien, wird nun aber von Monsanto als sein Ei-gentum beansprucht. Hier han-delt es sich um Biopiraterie und einen Missbrauch des Patent-rechtes!

In einem Präzedenzfall hat-te das Europäische Patentamt (EPA) im Dezember 2010 zwar entschieden, dass spezielle Ver-fahren zur herkömmlichen Züchtung von Pflanzen und Tieren nicht patentiert werden können, aber im Falle des Me-lonenpatents hat man die Pas-sage „Verfahren zur Züchtung“ einfach gestrichen und Samen, Pflanze und Früchte wurden trotzdem patentiert. Somit ist es anderen Züchtern nicht mehr erlaubt, mit diesem Saatgut wei-ter zu arbeiten. Äußerst dubios ist dabei, dass sich das EPA unter anderem über die Patente finan-ziert. Seit 1999 hat es rund 900 Patente auf Tiere und 1.800 Pa-tente auf Pflanzen erteilt.

Weltweite Zerstörungen

Die Auswirkungen der Agro-Gentechnik sind bisher vor allem außerhalb Europas katastrophal. Nicht nur, dass sie ihre Verspre-chungen nicht einhalten kann.

Weit schlimmer ist, dass sie sich immer mehr als Vernichtungs-feldzug gegen unsere Bauern, gegen unser Saatgut und gegen unsere Lebensmittel entpuppt:n In Indien haben sich bereits mehr als 200.000 Bauern das Le-ben genommen, weil nach Ein-satz des genmanipulierten Saat-guts die Ernten immer schlechter ausfielen und sie dadurch in eine

hoffnungslose Verschuldung ge-trieben wurden. n Im Irak wurde zu Kriegsbe-ginn die nationale Saatgutbank in Abu Ghraib zerstört. Die „Or-der 81“ der amerikanischen Be-satzer verbietet den Bauern, Teile ihrer eigenen Ernte zu säen, und zwingt sie, Gen-Saatgut der Kon-zerne zu verwenden. n Nach Mexiko lieferten die USA verbotenerweise nicht de-klarierten, genmanipulierten Mais und kontaminierten so die einheimischen Sorten. Die Bau-ern wurden dann aufgefordert, ihr Saatgut an Monsanto auszu-händigen und registrieren zu las-sen. n In Argentinien haben sich die Unkräuter an die Spritzmit-tel angepasst. Die Bauern setzen bis zur 15-fachen Menge Gift ein und mischen bis zu 30 teilweise verbotene Substanzen. Zahlreiche Bauernfamilien sind in der Folge schwer erkrankt. n In den USA werden Bauern, deren Felder durch den Wind oder durch Bienen mit genma-

nipulierten Organismen (GVOs) verunreinigt wurden, von Mon-santo auf Schadensersatzansprü-che in Millionenhöhe verklagt. n Für Deutschland kündigte Monsanto-Chef Hugh Grant schon an, dass zu dem Zeitpunkt, wo hier Genpflanzen angebaut würden, er seine firmeneigene „Genpolizei“ selbstverständlich auch auf deutsche Äcker schi-cken werde.

Internationaler Gentechnikfilz

In den USA wechseln Konzern-mitarbeiter oft in politisch ent-scheidungsrelevante Positionen und dann wieder zurück auf gut dotierte Aufsichtsratposten. Das betrifft sowohl die amerikanische Behörde für Lebensmittelsicher-heit (FDA) als auch den Obers-ten Amerikanischen Gerichtshof. Als es um die Grundsatzentschei-dung ging, ob GVO-Pflanzen überhaupt für die Nahrungsmit-telproduktion zugelassen wer-den dürfen, platzierte Monsanto eigene Anwälte in entscheidende Positionen dieser beiden Insti-tutionen – und erhielt „grünes Licht“.

Nicht viel besser schaut es in der Europäischen Lebensmittel-sicherheitsbehörde (EFSA) aus: Die Europäische Kommission verlässt sich auf deren Wissen-schaftler. Die sollen die ökolo-gischen und gesundheitlichen Risiken von GVO-Pflanzen objektiv beurteilen, doch viele kooperieren öffentlich mit Mon-santo, Bayer und BASF. Kritische Wissenschaftler wurden entlas-sen, Daten unabhängiger Wis-senschaftler nicht berücksichtigt, wissenschaftliche Bedenken vom Tisch gewischt. Kein einziges Mal

sind bisher Langzeitrisiken auf Mensch oder Umwelt untersucht worden, obwohl das eigentlich Vorschrift ist. Erst kürzlich wies die Antikorruptionsorganisation CEO auf die Missstände in der Behörde hin.

Eng verflochten ist die EFSA mit dem International Life Sci-ences Institute (ILSI), einer Orga-

nisation mit Sitz in den USA, die sich mit Themen der Lebensmit-telsicherheit und entsprechenden gesetzlichen Regelungen befasst. Das ILSI gibt sich als gemein-nütziges Institut aus, wird aber von Konzernen wie Monsanto, Bayer, Syngenta oder Dow Che-mical finanziert. Deshalb führt es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf ihrer Schwarzen Lis-te als „Lobbyist“. Viele hochran-gige Mitarbeiter des ILSI wech-seln nach Belieben in die EFSA und wieder zurück.

Lobbyarbeit ist so gar nicht mehr nötig, denn die Lobbyis-ten haben die entscheidenden Stellen im Zentrum der Macht inne. Die EFSA jedoch sieht keinen Anlass, ihre Richtlinien zu ändern, und behauptet, man verfüge über eine der strengsten Regeln bei Interessenkonflikten und die Wissenschaftler würden sich daran halten. Doch obwohl die skandalöse Besetzung dieser Behörde durch wiederholte Ver-öffentlichungen unabhängiger Verbände und zahlreicher Medi-en bekannt ist, betreibt sie weiter ihr Spiel und macht aus einem „Europa der Bürger“ ein „Europa der Konzerne“.

Auch das Bundesamt für Ver-braucherschutz und Lebensmit-telsicherheit (BVL) wurde bis vor kurzem von Hans-Jörg Buhk geleitet – bis 2010 Mitglied der EFSA. Auch sein Stellvertreter Detlev Bartsch ist Mitglied der EFSA. Beide hatten Pro-Gen-technik-Auftritte auf Messen und Kongressen, befürworten in einem Werbefilm den Anbau von gentechnisch verändertem Mais, arbeiten in zahlreichen Lob-byverbänden für die Gentechnik- industrie und unterzeichneten

ein Gentechnik-Manifest zum Abbau der Kontrollen. Die beiden obersten Verbraucherschützer fordern also, das zu unterlassen, was eigentlich ihre Kernaufgabe ist: uns Verbraucher zu schützen. Da verwundert die Quote der vom BVL genehmigten Anträge auf Freisetzungen nicht: sie be-trägt 100 %.

Genmanipulierte Nahrungsmittel verändern die Organe,

schwächen das Immunsystem und mindern die Fortpflanzungsfähigkeit.

Der Film „Gekaufte Wahrheit“ kam März 2011 in die Kinos. In-fos dazu gibt es auf der Website www.gekaufte-wahrheit.deEinen Überblick über weitere Filme gibt es z. B. auf der Website www.gentechnikfreie-regionen.de Aktiv werden Material Filme

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1� ÖkologiePolitik 151–August2011

Kontamination statt Schutz

Bei der sog. „Sicherheitsfor-schung“ handelt es sich in Deutschland in Wirklichkeit eher um ein „System der Kontaminati-on“. Die verantwortlichen Exper-ten lassen Genpflanzen fahrlässig auskreuzen, wie z. B. 2006 und 2007 am AgroBioTechnikum der Universität Gießen geschehen. Dort stand nach Versuchsende völlig frei sich ausbreitende Gen-Gerste ungesichert in der Gegend herum. „Diese Auskreu-zungen haben keine biologische Relevanz“, meinte der dafür ver-antwortliche Prof. Karl-Heinz Kogel.

Damit nicht genug. Die sog. „Freisetzungsversuche“ finden auch vor den jeweils dazugehö-rigen Saatgutbanken statt, in de-nen das konventionelle Saatgut aufbewahrt wird: n die Versuche mit genverän-dertem Weizen und genverän-derten Erbsen in Gatersleben, wo sich die Saatgutbank für Getreide und Hülsenfrüchte befindetn die Versuche mit genverän-dertem Raps in Malchow, wo sich die Saatgutbank für Ölpflanzen befindetn die Versuche mit genverän-derten Apfelsorten in Dresden Pillnitz, wo sich die Saatgutbank für alte Obstsorten befindetn die Freisetzungsversuche mit genveränderten Kartoffeln in Groß Lüsewitz, wo sich die Saat-gutbank für Kartoffeln befindet.

Gefährdung der Gesundheit

Arpad Pusztai, ein in den 1990er-Jahren weltweit führender Ex-

perte auf dem Gebiet der Lektine und der genetischen Modifikati-on der Pflanzen, untersuchte im Auftrag des Aberdeener Rowett Research Institute langfristige Auswirkungen genveränderter Futtermittel auf Tiere. Die Stu-die hatte ein Budget von 1,5 Mio. Dollar, begann 1995 und war auf 3 Jahre angelegt. Pusztai gehörte zu Beginn nicht zu den GVO-Skeptikern und er war sich sicher, die Sicherheit der GVO-Futtermittel bestätigen zu kön-nen. Doch es kam ganz anders. Seine Untersuchungen brachten vollkommen unerwartete und höchst alarmierende Ergebnisse. Seine Versuchsratten zeigtenn eine Schwächung des Immun-systemsn Schäden an Thymusdrüse und Milz, die in Bezug zum Im-munsystem stehenn eine kleineres Gehirn, eine kleinere Leber und kleinere Ho-den n Zellwucherungen im Magen und Darm, was ein erhöhtes Krebsrisiko bedeutet.

Pusztai konnte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, die Ergebnisse geheim zu halten. Er berichtete im öffentlichen Fern-sehen darüber und wurde dar-aufhin innerhalb von 48 Stunden entlassen. Sämtliche Unterlagen wurden ihm abgenommen und kamen unter Verschluss. Zudem wurde ihm untersagt, jemals wieder mit den Medien über seine Forschungen zu sprechen, ansonsten würde er seine Pen-sionsansprüche verlieren. Auch mit den Mitgliedern seines For-schungsteams, das aufgelöst wurde, durfte er nicht mehr spre-chen. Die Untersuchungen waren

in Großbritannien die ersten und letzten an lebenden Tieren.

Doch weltweit kommen Wis-senschaftler zu ähnlichen Ergeb-nissen: GVO-Nahrungsmittel verändern die Organe, schwä-chen das Immunsystem und mindern die Fortpflanzungsfä-higkeit. Die Gefahr geht dabei je-doch nicht nur von den Pflanzen selbst aus, sondern auch von den zwingend dazu vorgeschriebenen Spritzmitteln und Zusatzstoffen, wie z. B. Tallowamin, das zur Re-duzierung der Oberflächenspan-nung der Pflanzen eingesetzt wird.

Was zu tun ist

Im Jahre 1930 wollte die Kolo-nialmacht Großbritannien in Indien das Salz monopolisieren. Sie erließ ein Gesetz, das der einheimischen Bevölkerung die Salzgewinnung verbot. Mahat-ma Ghandi ging damals an den Strand, hob das Salz auf und sagte: „Die Natur gibt es um-sonst, wir brauchen es für unser Überleben, wir werden damit fortfahren, unser Salz herzustel-len. Wir werden eure Gesetze missachten.“ Es ist dieser zivile Ungehorsam, den wir wieder dringend brauchen.

Heute übernehmen interna-tionale Konzerne die Macht über Handel, Wirtschaft und über unsere Allgemeingüter. Sie ver-suchen nicht nur die ehemaligen Kolonialstaaten auszubeuten,

sondern sämtliche Staaten zu ko-lonialisieren. Unsere Demokratie verkommt immer mehr zu einer Diktatur der Konzerne. Sie ma-chen die Lebens- und Existenz-grundlagen der Menschen immer mehr zu ihrem Eigentum. Vanda-na Shiva, Trägerin des Friedens-nobelpreises, bezeichnete das als „Krebsgeschwür im Endstadium für unseren Planeten.“

Bei der Agro-Gentechnik tischten uns unsere Politiker das Märchen von der Koexistenz auf: vom angeblichen Nebeneinander natürlicher und genmanipulier-ter Pflanzen. Dabei entpuppten sie sich als Handlanger der Kon-zerne. Nun, wo dieses angeblich verträgliche Nebeneinander scheitert, weil der Wind weht und weil die Bienen fliegen, greifen sie zur nächsten tückischen List: Sie fordern die Legalisierung der Saatgutverunreinigung. Sie stel-len sich gegen Bauern und gegen Bürger, obwohl es ihre Pflicht wäre, zum Wohl des Volkes sofort ein rigoroses Verbot genverän-derter Organismen zu erlassen!

Die regierenden Parteien kümmern sich nicht mehr um unser Gemeinwohl. Deshalb muss umso mehr Widerstand von unten kommen. Wir müssen gegen die Herrschaft der Kon-zerne vorgehen, zusammen mit den Bauern einen Plan zur Ret-tung gentechnikfreien Saatguts entwickeln und den Diebstahl der Allgemeingüter bekämpfen. In seinem Buch „Empört Euch!“ schreibt Stéphane Hessel, im 2. Weltkrieg französischer Rési-stance-Kämpfer und Überleben-der des Konzentrationslagers Bu-chenwald: „Neues schaffen, heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten, heißt Neues schaffen.“ In diesem Sinne: Mischen wir uns ein! n

Andrea Dornischwar zunächst Fremdsprachen-

korrespondentin, machte dann eine Ausbildung zur Gesundheits-beraterin und ist seit Jahren in diesem Bereich

beruflich tätig. Gegen Agro-Gentechnik engagiert sie sich im Bund Naturschutz und in der Zivilcourage.

Kontakt: www. zivilcourage-roth-schwabach.de

Weitere Infosn Bund Naturschutz: www.bund-naturschutz.de/brennpunkte/ gentechnikn Gen-ethisches Netzwerk: www.gen-ethisches-netzwerk.den Gentechnikfreie Regionen in Deutschland: www.gentechnikfreie-regionen.den Greenpeace: www.greenpeace.de/themen/gentechnikn Informationsdienst Gentechnik: www.keine-gentechnik.den Infos zu Biotech-Seilschaften: www.biotech-seilschaften.de.vun Kein Patent auf Leben: www.keinpatent.den Netzwerk „Aktion GEN-Klage“: www.stopptgennahrunsmittel.den Public Eye on Science: www.publiceyeonscience.chn Save our Seeds (SOS): www.savwourseeds.orgn Umweltinstitut München: www.umweltinstitut.org Gentechnikn Zivil Courage: www.zivilcourage.ro

Die Broschüre „Organisierte Unverantwortlichkeit“ über den Filz zwischen Konzernen und Staat können Interessierte unter www.biotech-seilschaften.de.vu als PDF herunterladen oder bestellen, ebenso das 240 Sei-ten starke Buch „Monsanto auf Deutsch“.

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15ÖkologiePolitik151–August2011

UN-Menschenrechtsausschuss

Gentechnikfreie Nahrung ist einklagbarErstmals hat der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen von einer Staatsregierung eine Politik des Gesundheitsschutzes in Bezug auf Nahrungsmittel, die genetisch veränderte Organismen enthalten, gefordert: von der deutschen Regierung! Ein sensationeller Erfolg für den Widerstand gegen die Großkonzerne.

von Christiane Lüst

Die Klage vor dem UN-Men-schenrechtsausschuss in

Genf gegen die deutsche Regie-rung war die insgesamt sechs-te. Voraus gingen Klagen gegen Österreich, Kanada, Indien, Bra-silien und Kolumbien. Die kon-tinuierliche Berichterstattung über die weltweiten Folgen der Gentechnik in Landwirtschaft und Nahrung überzeugten den Ausschuss immer mehr.

Bei den ersten fünf Klagen hatte er schon die Regierungen aufgefordert, Saatgut und Bauern vor genmanipulierten Organis-men und der daraus folgenden Abhängigkeit von Konzernen zu schützen. Nun bestätigte er erst-mals auch die gesundheitlichen Folgen genmanipulierter Nah-rungsmittel als Menschenrechts-verletzungen und fordert gesund-heitsschützende Maßnahmen von der deutschen Regierung. Um diese Vorgabe in den nächs-ten 5 Jahren umzusetzen, sind folgende Maßnahmen nötig:n Verbot der Einführung von Gentechnik in Tierfütterung, Lebensmittelproduktion und Landwirtschaftn Kennzeichnungspflicht für alle genmanipulierten Lebens-mittel bis das Verbot gültig ist (auch für Tierfutter und Tierpro-dukte) n Einstellung sämtlicher Gen-Freilandversuche n Erhalt der Saatgutreinheit und ein Verbot von Gen-Anteilen.

Darüber hinaus rügte die UNO die deutsche Regierung, bei ihrer Agrar-, Handels- und Entwicklungshilfepolitik sowie in ihrer Unterstützung von Ak-tivitäten deutscher Konzerne in Entwicklungsländern die Men-schenrechte nicht ausreichend

zu achten. Künftig sollen mit deutschen Geldern keine Gen-Nahrungsmittel und kein Gen-Saatgut für Entwicklungsländer beschafft, transportiert oder ver-teilt werden.

Menschenrecht auf Nahrung

Grundlage der Zuständigkeit des UN-Menschenrechtsausschus- ses ist der „Internationale Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“, der u. a. die Menschenrechte auf Selbstbe-stimmung, Gesundheit und Nahrung beinhaltet. Über 150 Staaten haben diesen Pakt rati-fiziert und sich zu seiner Einhal-tung verpflichtet.

Das Recht auf Nahrung be-sagt, dass alle Menschen Zugang zu Nahrungsmitteln haben sol-len, ohne in Abhängigkeiten zu geraten. Die Staaten müssen „für einen angemessenen Schutz der

Verbraucher vor betrügerischen Marktpraktiken, Desinformation und gesundheitlich bedenkliche Nahrungsmitteln“ sorgen, eine Kontamination von Nahrungs-mitteln und den Rückgang pflan-zengenetischer Ressourcen ver-hindern sowie die Möglichkeiten

einer nachhaltigen Nahrungsmit-telerzeugung für jetzige und zu-künftige Generationen sichern.

Im Generell Comment No. 12, der offiziellen Auslegung des Rechts auf Nahrung, bekräftig-ten die Regierungschefs 1966 das Recht jedes Menschen auf Zugang zu gesundheitlich unbe-denklichen und nährstoffreichen Nahrungsmitteln. Die Staaten müssen demnach sicherstellen, dass Veränderungen in der Ver-fügbarkeit und beim Zugang von Nahrungsmitteln sich zumindest nicht nachteilig auf die Zusam-mensetzung der Nahrung aus-wirken. Das ist in Deutschland und in vielen anderen Staaten nicht mehr gewährleistet.

Die Rechte sind jedoch ein-klagbar. Alle 5 Jahre sind die Regierungen verpflichtet, dem UN-Menschenrechtsausschuss über die Lage der Menschen-rechte in ihrem Land zu berich-ten. Nichtregierungsorganisatio-nen (NGOs) dürfen dabei den Regierungen mit eigenen Be-richten widersprechen und ihre Sicht darlegen. Der Ausschuss hört beide Seiten an und prüft die Berichte. Nach einem rund dreiwöchigen Verfahren erlässt er die „Concluding Observations“: konkrete Aufforderungen an die

Regierungen, den Schutz ver-letzter Menschenrechte bis zum nächsten Bericht in 5 Jahren zu verbessern.

Klagen auch auf EU-Ebene

Es ist deutlich, dass Deutschland seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Natürlich ist die Entwicklung der Gentechnik stark abhängig von dem, was die Europäische Union (EU) be-schließt, doch hat eine staatliche Regierung durchaus Handlungs-möglichkeiten. Die griechische Regierung z. B. verbot nicht nur den Import und den Anbau gen-technischer Produkte, sondern sogar den Transport.

Dennoch: Parallel zu den Aktivitäten bei der UNO ver-sucht das von mir gegründete internationale Netzwerk „Aktion GEN-Klage“, die Einführung der Gentechnik in Europa bereits auf EU-Ebene juristisch zu stoppen. Rechtsexperten aus Österreich und Deutschland zeigten, dass es machbar ist. So läuft inzwischen eine Klage gegen die Amflora-Zulassung, die momentan beim Europäischen Gerichtshof zur Verhandlung ansteht. Weitere Klagen sind geplant, die nächste gegen die Wiederzulassung von MON 810. Wer kämpft kann verlieren, wer nicht mehr kämpft hat schon verloren! n

Christiane Lüst ist Dipl.-Sozialpädagogin (FH) und betreibt in Gauting bei München ein Umweltzentrum und Fair-Trade-Café. Seit 2001 arbeitet sie als Berichterstatterin dem UN-Menschenrechtsaus-schuss in Genf zu. Seit mehr als 20 Jahren ist sie ÖDP-Mitglied und momentan Vorsitzende im Kreisverband Starnberg.

Kontakt: www.oeko-und-fair.de

Netzwerk „Aktion GEN-Klage“Dem 2006 von Christiane Lüst gegründeten Netzwerk haben sich mittlerweile über 60 Organisationen aus Europa, Asien, Amerika und Afrika angeschlossen. Da die Klagen viel Geld kosten – die gegen Amflora wieder rund 25.000 Euro – braucht das Netzwerk dringend Spenden!

Kontakt: www.stopptgennahrungsmittel.de

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Die gesundheitlichen Folgen genmanipulierter Nahrung sind eine

Menschenrechtsverletzung.

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1� ÖkologiePolitik 151–August2011

Nanotechnologie

Unvorstellbar klein und mit ungeklärten RisikenEs ist knapp 30 Jahre her, dass das Rastertunnelmikroskop erstmals den Blick auf Teilchen und Strukturen freigab, deren Größe in Nanometern gemessen wird. Inzwischen haben vielfältige nanotechnologische Anwen-dungen längst Platz in unserem Alltag erobert. Die Diskussion um die Risiken und Gefahren steht dagegen noch am Anfang und beginnt gerade Fahrt aufzunehmen.

von Laura Gross

Um zu verstehen, worin der Kern der Nanotechnologien

liegt, beginnen wir mit dem alles entscheidenden Wortteil: Die un-scheinbare Vorsilbe „nano“ be-schreibt Größen, genauer gesagt: Längen. Ein Nanometer (1 nm) ist der milliardste Teil eines Me-ters, also 0,000.000.001 m. Das ist ungefähr die Länge einer Ket-te von fünf bis zehn einzelnen Atomen und damit so unvorstell-bar klein, dass nur Vergleiche uns eine Ahnung von der Größen-ordnung geben können: So klein wie ein Fußball im Vergleich zur Erde wäre ein Nanopartikel ne-ben diesem Fußball.

Nanostrukturen sind in der Natur gar nicht unüblich. Bio-logische Membranen, wie etwa die Wände unserer Körperzellen, sind oft nur wenige Nanometer dick. Einige Bakterien können sich mit so genannten Geißeln in wässriger Umgebung fortbewe-gen, die einen Durchmesser von etwa 20 nm haben. Der Fettanteil von Milch liegt in Form von Mi-cellen vor, Molekülzusammen-schlüssen, deren Durchmesser sich in Nanometern bemisst. Sie erlauben im menschlichen Verdauungssystem, fettlösliche Nährstoffe aufzunehmen und mit dem wässrigen Blut zu trans-portieren. Unsere Erbanlagen liegen in DNA-Strängen, die nur zwei Nanometer breit sind. Die Farbe der Schmetterlingsflügel entsteht durch Nanopartikel. Und auch Vulkanausbrüche set-zen Nanopartikel frei.

Was ist Nano- technologie genau?

Bisher gibt es noch keine inter-national anerkannte Definition dessen, was mit Nanotechnologie oder Nanomaterial gemeint ist,

die vorläufigen Begriffsbestim-mungen reichen aber allemal, um das weite Feld sinnvoll zu begren-zen: Ist heute von Nano-techno- logien die Rede, dann geht es um all jene Verfahren und Technolo-gien, mit deren Hilfe Strukturen und Materialien erforscht, bear-beitet oder produziert werden, die in mindestens einer Dimension – also Höhe, Breite oder Länge – kleiner als 100 nm sind.

Dabei wird nicht unterschie-den, ob im Nanokosmos geforscht oder industriell produziert wird. Wirklich entscheidend ist in die-

sem Zusammenhang zweierlei: Zum einen müssen die Materi-alien gezielt nanogroß hergestellt bzw. bearbeitet werden. Und zum anderen müssen diese Ma-terialien, gerade weil sie so un-wahrscheinlich klein sind, andere Eigenschaften aufweisen als ihre größeren Entsprechungen.

Ein Beispiel: Der charakteris-tische Glanz von Goldpartikeln verschwindet, wenn die Partikel eine bestimmte Größe unter-schreiten. Nano-Gold glänzt stattdessen rot. Andere Substan-zen verändern als Nanomateri-alien ihre Fähigkeit, elektrischen Strom zu leiten, weisen einen anderen Schmelzpunkt auf oder werden reaktionsfreudiger. Ein weiteres Merkmal nanoskaliger Verbindungen ist, dass sie im Verhältnis zu ihrer Masse eine riesige Oberfläche haben. Was der Laie schulterzuckend zur

Kenntnis nimmt, versetzt For-scher, Entwickler und zuneh-mend die kritische Öffentlichkeit in Aufregung, denn sie machen sich Gedanken über die schier zahllosen neuen Anwendungs-möglichkeiten.

Noch vor wenigen Jahren, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wa-ren Nanotechnologien in erster Linie Anwendungen für sehr spe-zielle Vorgänge in verschiedenen Industriezweigen. Heute kom-men längst auch Verbraucher mit Nanomaterialien in Kontakt, ja sie sind vielfach sogar der Grund

für Produkteigenschaften, die wir besonders schätzen: im Auto, in der Unterhaltungselektronik, in Textilien, in Kosmetika, in der Medizin, in Putzmitteln und bei Bauprodukten.

Einsatz in der Lebensmittelbranche

In Lebensmitteln werden Nano-partikel im Grunde nicht einge-setzt. Das mag überraschen, dre-hen sich doch viele der Visionen von der Nano-Zukunft gerade um Fragen des Food-Designs und Designer-Foods. Doch syn-thetische Nanopartikel mit neu-en Funktionen sucht man derzeit (noch) vergebens.

Nanokapseln spielen aller-dings eine Rolle. Im Augenblick werden sie vor allem in Nah-rungsergänzungsmitteln einge-setzt, um Vitamine und Mineral-stoffe geschützt bis in den Darm

zu transportieren. Auch für an-gereicherte Lebensmittel sowie die Verkapselung von Aromen und anderen Verbindungen be-dient man sich häufig Micellen, Liposomen oder Vesikeln. Diese natürlichen Transportbehälter haben einen Durchmesser von wenigen Nanometern und er-lauben unter anderem die Beför-derung von fettlöslichen Subs-tanzen in wässriger Umgebung. Diese Nanokapseln erfüllen zwei wichtige Merkmale der derzeit geltenden Definition für „Nano-partikel“ nicht: Sie sind weder künstlich erzeugt und beständig, noch haben sie auf der Nanoskala andere Eigenschaften als auf der Mikroskala. Das als Trägerstoff zugelassene und gekennzeich-nete Beta-Cyclodextrin (E 459) wird dafür ebenso eingesetzt, wie die seit langem bekannten Poly-sorbate (E 432 bis 436) und Leci-thin (E 322).

Während also in Lebensmit-teln im Grunde alles beim Alten ist, entwickeln sich die Verpa-ckungen mit Hilfe der Nanotech-nologien rasant weiter: Durch-sichtige Folien, die uns den Blick auf das darin verpackte Gemüse erlauben, dem frischevernichten-den UV-Licht jedoch den Durch-gang verwehren, sind eine sehr neue Entwicklung – nanoskalige Titandioxid-Teilchen in der Folie sind das ganze Geheimnis. Auch die leichten PET-Flaschen zur Lagerung von kohlesäurehaltigen Getränken sind nur möglich, weil Nano-Siliciumdioxid im Kunststoff den Luftaustausch unterbindet.

Fragen und Risiken

Nur wenige Jahrzehnte nachdem sie erstmals sichtbar gemacht werden konnten, sind Nano-materialien aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch es gibt Misstöne in der Zukunfts-musik. Denn nanotechnische Anwendungen sind nicht per se umwelt- und gesundheitsfreund-lich. Während die Anwendung schon Tatsachen geschaffen hat, hat die Risikoforschung noch einiges aufzuholen und steht un-ter anderem vor der schwierigen Aufgabe jedes Teilchen für sich zu beurteilen und doch das große Ganze im Blick zu behalten.

Die Potenziale, die Nanotech-nologien für Umwelt und Ge-sundheit entfalten könnten, sind gewaltig: Wo Beschichtungen mit

Je weiter die industrielle Anwendung voranschreitet, desto mehr von

diesen Teilchen gelangen in Luft, Böden und Gewässer.

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1�ÖkologiePolitik151–August2011

Nanopartikeln dünner werden, sinkt der Rohstoffeinsatz, wo Na-noteilchen das Gewicht von Ge-räten verringern oder ihre Funk-tionsweise verbessern, ließe sich künftig der Energieverbrauch senken. Mediziner erhoffen sich geringere Belastung des Körpers mit Medikamenten und ihren Abbauprodukten, wenn Nano-Transporter Wirkstoffe zielsicher in das richtige Organ brächten. So weit, so hoffnungsvoll.

Wer sich aber nicht von der allgemeinen Euphorie davon tra-gen lässt, wird schnell fragen, was denn synthetische Nanopartikel mit gigantischer, reaktionsfreu-diger Oberfläche in der Umwelt anrichten könnten. Und ob der enge Kontakt mit den zwergen-

haften Helfern vielleicht die Ge-sundheit sogar schädigen kann. Genauso steht die Fachwelt heute vor einer ganzen Reihe von Fra-gen – und ist in vielen Fällen weit von den Antworten entfernt.

Methodische Probleme

Eines steht schon heute fest: „die Nanoteilchen“ gibt es nicht. Zwar werden industriell genutzte Nanopartikel eigens für einen bestimmten Zweck hergestellt und sind deshalb, anders als die natürlicherweise auftretenden Partikel, je nach Anwendung in Form, Größe und Struktur ein-heitlich. Doch die Vielfalt der verschiedenen genutzten und möglichen Anwendungen erfor-dert dennoch eine sehr genaue Differenzierung.

Ob und wie so ein winziges Teilchen wirkt, hängt nämlich nicht nur davon ab, woraus es besteht. Entscheidend ist auch wie seine Oberfläche strukturiert ist und ob es mit anderen Teil-chen in Wechselwirkungen tritt. Nicht zuletzt entscheidet seine genaue Größe über die Wir-kungen: Obwohl vielleicht alle anderen Rahmenbedingungen gleich sind, wirkt ein 25 nm großer Partikel unter Umständen völlig anders als ein Teilchen von 80 nm. Schon das macht die Ri-sikoforschung schwierig.

Um belastbare Ergebnisse zu erhalten, braucht man Mess-

methoden und Testverfahren, die dazu geeignet sind, den ge-wünschten Sachverhalt wirklich zu erfassen, die bei Wiederholung des Tests zum gleichen Ergebnis kommen und einen Vergleich der Studien untereinander erlauben. Die Erforschung der verschie-denen Teilchen und ihrer jewei-ligen Anwendungen unter mög-lichst natürlichen Bedingungen setzt auch voraus, dass man die Teilchen nachweisen kann. Wie aber findet man beispielsweise in einem Lebensmittel, in dem es von winzigsten Teilchen nur so wimmelt, das gesuchte, men-schengemachte Nanoteilchen wieder?

Eine große Hürde hat man inzwischen schon überwunden,

an Standard-Leitlinien dafür, wie man ein mögliches Risiko durch Nanopartikel unter verschie-denen Gesichtspunkten unter-sucht, wird intensiv gearbeitet, in naher Zukunft werden also auch die vorgelegten Studien sinnvoll miteinander verglichen werden können.

Darüber hinaus fangen die Wissenschaftler bei ihren Fra-gen nach dem möglichen Ge-

fährdungspotenzial und den be-sonders kritisch zu beäugenden Aufnahmewegen meist nicht bei Null an. So weiß man zum Beispiel recht viel über die Wir-kungen von Feinstaub aus Rauch oder Abgasen. Feinstaub enthält auch Nanopartikel, aus den Er-kenntnissen über dieses lange be-kannte Problem lassen sich daher auch sinnvolle Thesen über reine Nanoteilchen ableiten, die das weitere Forschen erleichtern.

Fragen noch und noch

Anders als natürlich auftretende Nanopartikel werden industri-ell genutzte eigens für einen be-stimmten Zweck hergestellt und sind deshalb je nach Anwendung in Form, Größe und Struktur einheitlich. Je weiter die industri-elle Anwendung voranschreitet, desto mehr von diesen Teilchen gelangen in Luft, Böden und Ge-wässer.

Geht es um die Risiken, die sich daraus ergeben könnten, muss für jedes Teilchen in jeder Anwendung geklärt werden, wie es überhaupt in die Umwelt ge-langen kann. Wird es beispiels-weise aus einem Textil herausge-waschen oder bei Verrotten eines Werkstoffs aus einer ursprüng-lich festen Schicht gelöst? Wie stabil ist aber dieses Nanoteil-chen und wie langlebig? Bleibt es frei beweglich oder lagert es sich mit anderen zusammen? Ist es in

Wasser oder einem anderen Me-dium löslich? Wie groß sind dann diese Agglomerate und welchen Weg gehen sie? Gelangen sie in le-bende Organismen und wenn ja: Was passiert dann? Treten sie in Wechselwirkung mit dem Stoff-wechsel, lagern sie sich in Gewe-ben ab? Wie und unter welchen Umständen? Reichern sich auch ursprünglich verbraucherferne Partikel in der Nahrungskette an, um irgendwann wieder auf dem Teller anzukommen?

Für viele der derzeit im Fo-kus stehenden Teilchen sind diese Fragen bisher noch nicht abschließend beantwortet, die Ergebnisse der bisherigen Stu-dien lassen jedoch zur Vorsicht mahnen.

Titandioxid

Das Umweltbundesamt verweist auf Studien, in denen die Ver-suchstiere nanoskaliges Titandi-oxid in hohen Dosen als Pulver verabreicht wurde. Es ging um die Fragestellung, was diese Teil-chen in den Atemwegen bewir-ken und die Ergebnisse gaben Anlass zur Sorge: Starke Ent-zündungsreaktionen und sogar Krebserkrankungen waren die Folge. Die Aussagekraft für den Alltag war jedoch gering: Zum einen entstehen solche Entzün-dungsreaktionen immer, wenn die Lunge massiv mit Partikeln überlastet wird, egal ob nano-skalig oder größer. Diese traurige Folge ist also nicht charakteris-tisch für TiO2.

Zum anderen wird TiO2

in Sonnenschutzcremes, UV-Schutztextilien und Lebensmit-telverpackungen eingesetzt. Eine Aufnahme über die Lunge ist in diesen Fällen sehr unwahr-scheinlich, Haut und Mund sind hier die entscheidenden Ein-fallstore. Für beide Aufnahme-wege gibt es bislang keine Hin-weise auf eine Gefährdung. Nur Menschen, die direkt mit pulver-förmigem, nanoskaligem TiO2 in Kontakt kommen, etwa weil sie in der Kunststoffindustrie ar-beiten, müssen daher besonders vor Belastungen der Atemwege geschützt werden. Ein umfang-reiches Forschungsprojekt der Europäischen Union kam für den Aufnahmeweg „Haut“ zu dem Ergebnis, dass diese eine sehr gute Barriere darstellt und TiO2 in Kosmetika daher als si-cher gelten kann.

Von Fall zu Fall muss nach dem „ökologischen Rucksack“

der Nanoprodukte gefragt werden.

Zahlreiche Informationen und auch eine gute und aktuelle Linkliste zu kritischen Meldungen in der Fach- und Publikumspresse stehen auf der „Wissensplattform Nanomaterialien“ des Bundesministeri-ums für Bildung und Forschung: www.nanopartikel.info Presse

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Nanokapseln

Von organischen Micellen und Liposomen, die als Nanokap-seln beispielsweise in Nahrungs-ergänzungsmitteln eingesetzt werden, gehen nach derzeitigem Erkenntnisstand keine direkten Gefahren aus. Sie werden zwar über den Mund aufgenommen, doch die Nanotransporter sind aus Verbindungen aufgebaut, die sich auch im Körper von Men-schen und Tieren wiederfi nden, sie sind natürlich vorkommende Strukturen, die lediglich Nano-maße haben. Sie zeichnen sich weder durch neuartige Eigen-schaften oder eigene biologische Wirkungen aus, es ist ihr Behäl-ter-Charakter, der sie so interes-sant macht: Nanokapseln näm-lich erlauben es unter anderem, Vitamine, Mineralstoffe oder auch medizinische Wirkstoffe geschützt zu transportieren und so möglicherweise besser verfüg-bar zu machen.

Risikoforscher müssen daher in diesem Zusammenhang ermit-teln, ob vielleicht die Kapseln die Bioverfügbarkeit ihrer winzigen Fracht so verändern, dass sich daraus gesundheitliche Probleme ergeben könnten. Sie befassen

sich darüber hinaus mit den Wir-kungen von menschengemachten Micellen und Liposomen auf die Darmschleimhaut. Bisher gibt es jedoch auch unter diesem Ge-sichtspunkt keine Hinweise auf Risiken.

Nanosilber

Die antibakterielle Wirkung von Silber ist seit Jahrhunderten be-kannt, erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit werden jedoch nano-skalige Silberpartikel in Alltags-gegenständen verarbeitet. Noch gibt es keine konkreten Hinwei-se auf gesundheitliche Gefahren durch Nano-Silberpartikel, mit denen Menschen über den Mund oder durch die Haut in Kontakt kommen. Es gibt aber auch kei-ne Kenntnisse darüber, was das Nanosilber im Körper überhaupt macht. Angesichts seiner antibak-teriellen Wirkung und scheinbar weiten Verbreitung rät daher das Bundesinstitut für Risikobewer-tung davon ab, nanoskaliges Sil-ber in Textilien, Kosmetika oder Lebensmittelverpackungen ein-zusetzen.

Auch aus Gründen des Um-weltschutzes scheint der sorglose Umgang mit Nanosilber riskant: Partikel aus Textilien oder Wasch-

maschinen gelangen mit dem Abwasser in die Umwelt. Was dann passiert ist jedoch unklar. Zwar weiß man aus Kläranlagen, dass 90 % des eingetragenen Sil-bers als unlösliches Silbersulfi d ausfällt und zurück gewonnen werden kann. Was aber mit den restlichen 10 % passiert, ist noch im Dunkeln. Lagern sich Nano-silberpartikel zusammen zu grö-ßeren Einheiten, was richten sie unter den Mikroorganismen in Wasser und Boden an? Reichern sie sich an, fallen sie, vielleicht im Komplex mit anderen Stoffen, aus und gelangen sie ins Grund-wasser?

Ein Teilprojekt unter dem Dach des vom Bundesfor-schungsministerium initiierten Forschungsvorhabens NanoNa-ture befasst sich genau mit die-sen Fragen. Unabhängig stellt sich die Frage, wie sinnvoll und ökologisch der Einsatz des Edel-metalls in Verschleißprodukten des täglichen Bedarfs ist. Ein Rechenbeispiel aus Frankreich verdeutlicht das Problem: Wür-de jeder der 65 Mio. Franzosen in einem Jahr ein Paar Socken kaufen und nutzen, das mit Na-nosilber ausgerüstet ist, würden in diesem Jahr 18 Tonnen Silber in die Gewässer gespült.

Nanokohlenstoffröhrchen

Die so genannten Carbon Nano Tubes (CNT) sind hohle Fasern. Sie sind in ihrer Struktur den As-bestfasern recht ähnlich, so dass sie im Verdacht stehen, ebenfalls Entzündungen und Krebserkran-kungen der Lunge hervorzurufen. In Tierversuchen mit CNT einer bestimmten Länge bestätigte sich dieser Verdacht auch. Allerdings gelangen CNT nicht beim nor-malen Gebrauch in die Atemluft, da sie fest in andere Materialien eingebunden verarbeitet werden. Was aber passiert, wenn so ein Leichtbauteil oder Tennisschlä-ger auf dem Müll landet und langsam verrottet?

Das Umweltbundesamt emp-fi ehlt daher, beim Abschätzen der Gefahren durch CNT nicht nur die Phase der Nutzung zu betrachten, sondern den Ent-wicklungen nach der Entsorgung besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Ressourceneffi zienz?

Geht es um die Potenziale der Nanotechnologien, fehlt nie der

Laura Grossist Diplom-Oe-cotrophologin und leitet bei der Verbraucher Initiative e.V. den Fachbereich Ernährung. Zu ihren Schwer-

punktthemen gehören neben Nanotechnologien auch Lebens-mittelzusatzstoffe, Aromen und Fragen der Kennzeichnung.

Kontakt: [email protected]

Das 16-seitige Themenheft „Nanotechnologien im All-tag“ gibt einen Überblick über Geschichte und aktuellen Stand dieser be-sonderen Tech-nologien und beleuchtet ihre Verbreitung im Alltag. Den of-fenen Fragen zu Risiken und dem Umgang damit ist ebenso ein eigenes Kapitel gewidmet, wie dem derzeitigen Stand der ge-setzlichen Regulierung.

Bestellung per Post:Verbraucher Initiative e.V., Elsenstraße 106, 12435 Berlin (für 3.55 Euro inkl. Versand)

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Nanomaterialienn Nanopartikel sind Objekte, die in jeder Ausdehnung kleiner als 100 nm sind. Sie können sowohl aus einem einzigen Element bestehen (z. B. Kohlenstoff) als auch aus Molekülen (z. B. Titandi-oxid).

n Nanokugeln sind Partikel aus Kohlenstoffatomen, die wie ein Fußball angeordnet sind. Diese so genannten Fullerene oder bu-cky balls existieren nur auf Nanoebene.

n Nanokapseln sind in der Regel organische Strukturen, die eine Substanz „verpacken“, um ihn zu transportieren. Diese Transport-verpackungen werden der Natur entnommen, es handelt sich um Micellen oder Liposomen, die wenige bis einige hundert Nano-meter messen.

n Nanofasern sind zwar in Breite und Höhe nanoskalig, in der Länge aber nicht. Nanofasern können lang oder kurz, starr oder biegsam, elektrisch leitfähig oder nichtleitend sein.

n Nanodraht ist eine Nanofaser, die elektrischen Strom leiten kann.

n Nanoröhrchen sind Nanofasern, die innen hohl sind. Bis-her gibt es nur Kohlenstoffnanoröhrchen (Carbon Nano Tubes, CNT), deren Kohlenstoffatome auf charakteristische Weise ver-bunden sind.

n Nanoplättchen sind Nanoobjekte, die nur in einer Dimension nanoskalig, die kleinste Ausdehnung hat es in der Höhe. Die bei-den anderen Außenmaße können deutlich größer sein.

n Nanokomposite sind Nanomaterialien die im Verbund mit mikroskaligen verzweigten Molekülen oder Molekülketten vorlie-gen. In diesen Materialien sind die Nanoobjekte oder Strukturen verteilt und fest eingebunden.

Hinweis auf die Möglichkeiten, mit weniger Rohstoffen auszu-kommen und die Umwelt zu ent-lasten. Das ist durchaus möglich, aber nicht zwingend. Von Fall zu Fall muss stattdessen nach dem „ökologischen Rucksack“ der Nanoprodukte gefragt werden: Wie wirken sich nanotechnolo-gische Lösungen konkret auf den Rohstoff- und Energiebedarf für die Produktion aus, wie wirken sie während der Nutzung, wie nach seiner Entsorgung? Auch für seriöse Antworten auf diese Frage fehlen bisher meist schlicht die Daten. n

Dieser Artikel besteht aus Textpassagen der Broschüre „Nanotechnologie im All-tag“, die März 2011 von der Verbraucher Initiative e.V. herausgegeben wurde.

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L E S E -T I P P

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Interview mit Prof. Dr. Dr. Edmund Lengfelder

„Urangeschosse gehören rigoros verboten!“Prof. Dr. Dr. Edmund Lengfelder ist Arzt und einer der renommiertesten Strahlenbiologen in Deutschland. Bei der ÖDP München hielt er schon mehrere Vorträge über Risikotechnologien. ÖP-Chefredakteur Günther Hartmann wollte ihn zur Gefährlichkeit der Nanotechnologie befragen, doch schnell drehte sich das Gespräch vor allem um ein hochbrisantes Thema: Urangeschosse.

ÖkologiePolitik: Herr Prof. Lengfelder, wie gefährlich ist Na-notechnologie?

Prof. Edmund Lengfelder: Das ist verallgemeinernd schwer zu sagen, weil es darüber noch wenig wissenschaftliche For-

schungsergebnisse gibt. Außer-dem ist sie ein sehr weites The-menfeld, das sich wohl nicht pauschal bewerten lässt. Eines ist jedoch sicher: Urangeschosse und die dadurch entstehenden Nanopartikel haben verheerende gesundheitliche Auswirkungen und gehören deshalb rigoros ver-boten!

Was haben Urangeschosse mit Nanotechnologie zu tun?

Uran 238 eignet sich aufgrund seiner Dichte hervorragend zur Herstellung panzerbrechender Geschosse. Es ist relativ preiswert,

da ein Abfallprodukt der Kernin-dustrie, und äußerst wirksam. Ein Geschoss kostet weniger als 1.000 Euro und durchdringt problem-los 40 cm gehärteten Stahl. Beim Aufprall entstehen so hohe Tem-peraturen, dass ein Teil des Uran-geschosses verdampft und sich dadurch Nanopartikel bilden.

Und diese Nanopartikel sind dann tödlich?

Die Nanopartikel sind eher ein unbeabsichtigter Nebenef-fekt, der sich nicht verhindern lässt. Der Einschuss und die da-bei entstehenden hohen Tem-peraturen genügen schon, um den Panzer kampfuntauglich zu

machen und seine Besatzung sofort zu töten. Die Nanoparti-kel braucht es für den Erfolg der Kampfhandlung nicht, aber sie sind hochgiftig und schädigen lange danach die Gesundheit der Zivilbevölkerung. Nanopartikel dringen problemlos durch die Atmung, aber auch durch die Haut in den Organismus ein. Die Evolution kannte solche win-zigen Teilchen nicht und konnte deshalb keine Abwehrstrategien entwickeln. Die Nanopartikel dringen also in den Körper ein und strahlen dann dort.

Wie lange ist denn die Halb-wertszeit von Uran 238?

Mehrere Milliarden Jahre, also nach menschlichen Maßstä-ben: ewig.

Wie häufig kamen und kom-men Urangeschosse zur Anwen-dung?

Sehr häufig – eigentlich in al-len militärischen Konflikten der jüngsten Vergangenheit und Ge-

sehr gerne in den da noch her-umliegenden Panzerwracks und kommen dabei unweigerlich mit den hochgiftigen strahlenden Nanopartikeln in Kontakt.

Warum werden diese Gebiete nicht großflächig evakuiert?

Die Wahrheit über die Anwen-dung von Urangeschossen und deren Spätfolgen kommt kaum ans Licht und wird systematisch heruntergespielt. Dr. Keith Ba-verstock, Experte für Strahlung und Gesundheit bei der World Health Organisation (WHO), gab einmal öffentlich zu, dass ein von ihm vorgelegter Bericht über „Das Krebsrisiko für Zivi-listen im Irak durch Einatmen von kontaminiertem Uranstaub“ massiv unterdrückt wurde. Da stecken große militärische und große wirtschaftliche Interessen dahinter. Das zeigt aber auch: Die Verantwortlichen fürchten die Empörung der Öffentlichkeit.

Herr Prof. Lengfelder, herz-lichen Dank für das interessante Gespräch.

„Die Wahrheit über die Urangeschosse und deren Spätfolgen kommt

kaum ans Licht und wird systematisch heruntergespielt.“

„Die Halbwertszeit von Uran 238 beträgt mehrere Milliarden Jahre,

also nach menschlichen Maßstäben: ewig.“

Prof. Dr. Dr. Edmund Lengfelder, Jahrgang 1943, studierte von 1964 bis 1970 in München Medizin. 1971 promovierte er mit der Dissertati-on „Zur Strahlenbiochemie von Nukleotiden“, 1974 schloss er ein phy-sikalisches und elektronisches Ergänzungsstudium ab, 1979 habilitierte er sich für das Fachgebiet Strahlenbiologie. 1983 wurde er Professor am Strahlenbiologischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 begann er mit Hilfeleis-tungen in der Ukraine und in Weißrussland. Dafür gründete er 1991 das Otto-Hug-Strahleninstitut (OHSI), das er bis heute leitet, 1992 den Deutschen Verband für Tschernobyl-Hilfe (DVTH) und 1993 ein me-dizinisches Zentrum bei der weißrussischen Stadt Gomel, das bis heute mehr als 100.000 an der Schilddrüse Erkrankte behandelte.

Lengfelder verfasste mehr als 200 Publikationen über Radikalbioche-mie, molekulare und zelluläre Strahlenwirkung, Strahlenrisiken und die Folgen nuklearer Unfälle. 2006 initiierte er den internationalen Kon-gress „20 Jahre Leben mit Tschernobyl – Erfahrungen und Lehren für die Zukunft“, der gesundheitliche und andere Folgen der Katastrophe auswertete.

Kontakt: www.ohsi.de

T I T E LT H E M A : R I S I K O T E C H N O L O G I E N

genwart. Im Irakkrieg verschos-sen amerikanische Kampfflug-zeuge mehrere hundert Tonnen davon. Zuvor kamen sie auch schon im Jugoslawienkrieg mas-senhaft zum Einsatz.

Was sind die gesundheitlichen Folgen?

Vor allem bei Kindern, die in ehemaligen Kampfgebieten aufwachsen, haben wir auffällig viele Leukämieerkrankungen. Denn Kinder spielen natürlich

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W I R T S C H A F T S P O L I T I K

Über Heiner Flassbeck

Wege zu einer umwelt- und familiengerechten Wirtschaft?Wenn umweltschädliche Aktivitäten in Rechtfertigungsschwierigkeit geraten, wird meist auf die vielen Arbeitsplätze verwiesen, die angeblich davon abhängen. Das wirkt, denn gerade für Familien sind sichere Arbeits-plätze sehr wichtig. Dass Vollbeschäftigung jedoch von ganz anderen Faktoren abhängt, ist eine zentrale These des Wirtschaftswissenschaftlers Heiner Flassbeck.

von Günther Hartmann

Es sei absurd, die deutsche Lohnzurückhaltung hinter

den Schwierigkeiten in der Eu-rozone zu vermuten, behauptete Bundeskanzlerin Angela Merkel 2010 im Deutschen Bundestag. Und bei ihrem Amtsantritt 2009 hatte sie betont, ihre zentrale Auf-gabe sei das Wirtschaftswachs-tum anzukurbeln – mit zwei Maßnahmen: Steuersenkungen und Bürokratieabbau. Die Aus-sagen hängen zusammen, denn sie entstammen der gleichen wirtschaftswissenschaftlichen Theorie: dem Neoliberalismus. Dass der gar nicht schlüssig ist, sondern voller Ungereimtheiten, blinder Flecken und Widersprü-che, beschreibt Heiner Flassbeck, Chef-Volkswirt der UN-Organi-sation für Welthandel und Ent-wicklung (UNCTAD), in seinem Buch „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“.

Sucht man nach einem zen-tralen Begriff, der sein Denken

charakterisiert, dann kommt einem unweigerlich „Ganzheit-lichkeit“ in den Sinn. Doch der taucht in dem Buch nicht auf, denn Ausgangspunkt von Flass-becks Überlegungen ist nicht die Krise der Umwelt, sondern die Krise der Marktwirtschaft. Flass-beck sucht nach einem gang-baren Weg zwischen Neolibera-lismus und Planwirtschaft: nach einer sozialen Marktwirtschaft. Die bleibt bei ihm keine rheto-

rische Worthülse, sondern wird ein konkretes Regelwerk. Und sind die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen richtig de-finiert, dann lässt sich auch die Ökologie gut integrieren.

Ludwig Erhard als Vorbild

Eine gut funktionierende Volks-wirtschaft ist „mehr als die Summe einzelwirtschaftlicher Interessen und oft sogar den einzelwirtschaftlichen Interes-sen entgegengesetzt.“ Da aber die herrschende Politik orientie-rungslos ist, geschieht das Ge-genteil: Die Lobbyisten haben das Sagen. Genauer gesagt: die Lobbyisten finanzstarker Kon-zerne und Branchenverbände. So entstehen Ergebnisse, die als wirtschaftsfreundlich gelten, es aber bei genauem Hinsehen gar nicht sind: Nur eine kleine Min-derheit von Unternehmen profi-tiert davon. „Das, was wir in den

letzten Jahrzehnten sowohl von schwarz-gelber als auch von rot-grüner Seite gesehen haben, war auch für die Unternehmen keine gute Politik. Es war für die Mehr-zahl der Unternehmen sogar eine Katastrophe.“

Oft wird heute die Politik des legendären Wirtschaftsministers Ludwig Erhard beschworen – vor allem von der CDU, um sich mit einer angeblich langen Tradition wirtschaftspolitischer Kompe-

tenz zu schmücken. Flassbeck jedoch beschwört Erhards Politik nicht, sondern nimmt sie genau unter die Lupe und untersucht die Ursachen des damaligen Er-folgs: „Das deutsche und das in-ternationale Wirtschaftswunder waren Lohn- und Kaufkraftwun-der. Es war das Ergebnis einer starken Produktivitätsentwick-lung, die vollständig in den Löh-nen weitergegeben wurde.“

Von 1950 bis 1970 stiegen die Reallöhne jährlich um rund sieben Prozent und es herrschte nahezu Vollbeschäftigung. Dann gewannen die neoliberalen The-orien an Einfluss. Die Lohnzu-wächse sanken. Und damit auch Kaufkraft, Nachfrage und Ab-satz. Als Folge stieg die Arbeits-losigkeit. Das diente wiederum als Vorwand, die Lohnzuwächse noch „moderater“ ausfallen zu lassen. Seit Mitte der 1990er-Jah-re stagnieren die Reallöhne. Um die steigende Arbeitslosigkeit zu

kaschieren, sorgte die rot-grü-ne Regierung Gerhard Schröder für eine massive Ausweitung des Niedriglohnsektors – eine zy-nische Scheinlösung.

Flassbeck plädiert für ein entschlossenes Umdenken: „Wir müssen verstehen, dass wir in einer Wirtschaft leben und arbei-ten, die ganz anders funktioniert, als es 98 Prozent aller Ökonomen glauben. Die Löhne sind in Wirk-lichkeit der wichtigste Stabilisa-tor einer wachsenden Wirtschaft. Jede Wirtschaft muss voll darauf setzen, dass die Produkte, die sie mit immer besserer Technologie erzeugt, auch abgesetzt werden

„Wir müssen verstehen, dass wir in einer Wirtschaft leben, die ganz

anders funktioniert, als 98 Prozent aller Ökonomen das glauben.“

Heiner Flassbeck, Jahrgang 1950, studierte Volkswirtschaftslehre und arbeitete anschließend im Bundeswirtschaftsministerium und beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Seit dem Jahr 2000 ist er für die UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) tätig, seit 2003 als ihr Chef-Volkswirt. Die Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik ernannte ihn 2005 zum Honorarprofessor. Kontakt: www.flassbeck.de

können. Das geht nur auf einem einzigen Weg: Es geht nur mit Reallöhnen, die vollständig der Produktivität folgen.“

Umweltgerechtes Wachstum

Da schrillen natürlich die Alarm-glocken: Steht Wirtschaftswachs-tum nicht völlig im Widerspruch zur Ökologie? Nein, sagt Flass-beck und sieht darin nur einen Scheinkonflikt, „weil selbstver-ständlich auch der Schutz der natürlichen Umwelt Arbeitsplät-ze schafft und es ja keine fest-stehende Definition der Güter gibt, deren Produktion wir zum Wachstum zählen müssten oder nicht. Wachstum ist das, was die Gesellschaft wünscht. Wünscht sie mehr Umweltschutz, führte auch das zu mehr Wachstum und schafft Arbeitsplätze“.

Wachstum bedeutet für Flass-beck, dass die Wirtschaft Ziele anstrebt. Die können auch sein:

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mehr saubere Luft, mehr sau-beres Wasser und gesündere Lebensmittel. Dass viele Men-schen ein größeres Auto für wünschenswerter halten, ist das Problem. Und dessen Ursache ist massive Manipulation. Die Ver-braucher orientieren sich an von der Werbeindustrie propagierten Verhaltensmustern, Lebensstilen und Glücksversprechungen.

Es gilt, sich von Denkge-wohnheiten zu verabschieden: „Nur wenn man konsequent eine Wirtschaft analysiert, in der es weder Konsumentensouveränität gibt noch die Übereinstimmung von einzelwirtschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Zielen und Ergebnissen, kann man ein realistisches Bild von der Wirt-schaft entwerfen. Nur auf dieser Basis kann die Wirtschaftspolitik gezielt eingreifen, um das System den wohlverstandenen Wün-schen der Menschen und den von der Natur gesetzten Grenzen an-zupassen. Nur so wird die Markt-wirtschaft zu einem System, das den Menschen dient und das es ihnen erlaubt, neuen Heraus-forderungen zu begegnen, wie wir sie durch die Endlichkeit der Erde vor uns sehen.“

Der Staat muss für ökolo-gisches Konsumverhalten wer-ben und die Wirtschaft aktiv umstrukturieren. Eine gewaltige Aufgabe, die massive Kritik und Widerstände hervorrufen wird, „viel mehr, als wenn eine private Firma eine andere verdrängt. Niemand spricht darüber, wie viele Arbeitsplätze in anderen Sektoren die Umstellung der Wirtschaft auf Informations-technologie gekostet hat, und niemand versucht auch nur, die-se Kosten zu errechnen. Wenn es allerdings der Staat ist, der den Strukturwandel vorantreibt, schreien alle negativ Betroffenen Zeter und Mordio.“

Für ein Mehr an Ökologie gilt es, zunächst die ganz nor-malen wirtschaftlichen Probleme vernünftig zu lösen. Gelingt das nicht, „brauchen wir uns der Frage nach mehr Umweltschutz gar nicht erst zuzuwenden. Dann sind wir nämlich so sehr mit der Bewältigung der Folgen von im-mer neuen Schocks beschäftigt, dass für anderes weder Zeit noch Geld noch politische Energie üb-rig bleibt.“

Die Bevölkerung wird sichauf einen ökologischen Struktur-

wandel nur einlassen, wenn er ihre Lebensplanungen nicht völ-lig zerstört. „Selbst Menschen, die in ihrem Leben nie für eine poli-tische Sache auf die Straße gehen würden, bringt man von einer Stunde auf die andere genau dazu, wenn es um ihren Arbeitsplatz geht“, betont Flassbeck und for-

dert: „Das muss man ernst neh-men. Wer das nicht ernst nimmt, wird scheitern. Um den Struk-turwandel möglichst reibungslos über die Bühne zu bringen, ist ein festes soziales Netz unab-dingbar. Nichts aber ist wichtiger als eine Politik, die dafür sorgt, dass sich die Wirtschaft nahe der Vollbeschäftigung bewegt. Denn nur Vollbeschäftigung schafft die Voraussetzungen dafür, dass Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, sehr schnell wieder ei-nen neuen Arbeitsplatz fi nden.“ Ein entscheidender Punkt, den „keine einzige grüne Partei in Europa begriffen hat“.

Scharfe Kritik übt Flassbeck an den Hartz-Gesetzen der rot-grünen Regierung, die Arbeits-lose massiv unter Druck setzen, statt die Arbeitslosigkeit zu be-kämpfen. Bei einem Struktur-wandel würden selbstverständ-lich zahlreiche Arbeitsplätze wegfallen. Das ist ganz normal und unvermeidlich. Und nicht weiter tragisch, wenn die Betrof-fenen eine soziale Absicherung haben und relativ schnell einen neuen adäquaten Arbeitsplatz fi nden. Die rot-grüne Regierung aber belegte die Arbeitslosen mit dem Generalverdacht, gar nicht arbeiten, sondern das soziale Netz ausnutzen zu wollen. Seit-her droht vielen nach einem Ar-beitsplatzverlust das Abrutschen in den Niedriglohnsektor. Die Angst davor ist hoch.

Export ist keine Lösung

Als Begründung für das Nicht-Steigen der Löhne dient vor allem die Globalisierung. Und tatsäch-lich: Die deutsche Exportindus-trie profi tiert von niedrigen Löh-nen und sorgte schon kurz nach der Finanzkrise für einen unge-

ahnten Wirtschaftsaufschwung. Doch auf Dauer kann das nicht funktionieren, denn statt unse-re wirtschaftlichen Probleme zu lösen, wälzen wir sie auf andere Länder ab. Je höher der deutsche Exportüberschuss, desto höher die Exportdefi zite anderer Staa-ten, denn irgendwo muss ja eine

Gegenbuchung gemacht werden. Wer Exportweltmeister ist, muss auch Importweltmeister sein, sonst lebt er auf die Kosten an-derer.

Besonders innerhalb der Europäischen Währungsunion (EWU) geraten Staaten, die nicht die deutsche Strategie verfolgen wollen oder können, gewaltig unter Druck, denn sie können sich nicht durch eine Abwer-tung ihrer Währungen schützen. Flassbeck plädiert dafür, den EWU-Staaten das Verhältnis der Nominallöhne zur Produktivität

– die sog. „Lohnstückkosten“ –verbindlich vorzuschreiben, da-mit faire Preise entstehen. Wäre das 1999 vereinbart worden, „hätte man sich die übrigen Maa-strich-Kriterien sparen können“. So aber verschaffte sich Deutsch-land durch Lohndumping „auf Kosten der anderen Währungs-partner Marktvorteile, anstatt selbst ein angemessenes Binnen-wachstum durch eine produkti-vitätsorientierte Lohnpolitik zu generieren“.

Sind denn aber nicht zu hohe Staatsschulden das eigentliche Problem? Nein, sagt Flassbeck, das eigentliche Problem ist die sinkende Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften, denn da-durch sinken die Steuereinnah-men. Zum Erlangen fairer Wett-bewerbsbedingungen scheint es zwei Lösungsmöglichkeiten zu geben: Entweder senken die

schwachen Länder ihre Löhne, oder die starken Länder erhöhen ihre. Die Bundeskanzlerin will die erste durchsetzen. Flassbeck plädiert für die zweite, denn nur steigende Löhne durchbrechen den nationalen Teufelskreis aus sinkender Kaufkraft und stei-gender Arbeitslosigkeit.

Wenn innerhalb der EWU keine gleichen Wettbewerbs-bedingungen herrschen, gehen schwächere Volkswirtschaften zwangsläufi g zugrunde. Da aber Deutschland nicht nur wirt-schaftlicher Konkurrent, sondern auch Gläubiger ist, sind Staats-insolvenzen nicht in seinem Interesse. Die Milliardenhilfen dürfen dann wieder seine Bürger zahlen, wodurch deren Kauf-kraft weiter sinkt und sich der

Teufelskreis verstärkt. Flassbeck mahnt: „Wenn es nicht gelingt, den Wettkampf der Nationen zu beenden, um zurückzukehren zu einer Welt, in der Handel keine Einbahnstraße ist, dann können wir national tun und lassen, was wir wollen, es wird nichts nüt-zen.“

Flassbeck widerspricht ent-schieden der neoliberalen Theo-rie, wonach der freie Handel zu Wohlstand führt und ein Indi-kator dafür ist: „Wenn ein Land, weil es seine Wettbewerbsfähig-keit massiv durch Lohndumping erhöht, anderen in erheblichem Maße Produktion abnimmt, wird man natürlich in der Statistik mehr Handel als zuvor messen. Wenn Güter, die vorher in ande-ren Ländern produziert wurden, jetzt in Deutschland produziert, aber womöglich immer noch in Frankreich konsumiert werden,

„Wachstum ist das, was die Gesellschaft wünscht. Wünscht sie mehr

Umweltschutz, führt auch das zu mehr Wachstum und schafft Arbeitsplätze.“

„Falsche Preise, Blasen und teuereRettungsaktionen sind keine Ausrutscher

der modernen Finanzmärkte, sie sind ihre Funktionsbedingung.“

W I R T S C H A F T S P O L I T I K

B U C H T I P P

Heiner FlassbeckDie Marktwirtschaft des 21. JahrhundertsWestend-Verlag 2010256 Seiten22.95 Euro978-3-938060-54-4

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hat sich der Handel ausgeweitet, aber die gesamte Produktion na-türlich nicht.“ Handel erhöht vor allem den Transportaufwand.

Finanzmärkte verteilen nur um

Was geschah nun aber mit dem vielen Geld, das in Deutschland durch Lohndumping eingespart wurde? Die neoliberale Theorie geht davon aus, dass es für In-novationen investiert wird. Tat-sächlich aber landet der größte Teil in der Finanzwirtschaft, weil hier sehr viel höhere Renditen winken. 25 Prozent, wie sie die Deutsche Bank beschwört, las-sen sich nicht in einer Realwirt-schaft mit 2 Prozent Wachstum erzielen, sondern nur spekulativ:

Indem man von einem Dummen kauft, bevor die Preise steigen, und dann an einen Dummen verkauft, bevor die Preise fallen. Allgemeiner Wohlstand entsteht so nicht.

„Auf den Finanzmärkten werden keine Werte geschaffen, sondern nur umverteilt“, stellt Flassbeck fest. „Das Gerede vom Werteschaffen, das die Banker so gerne verbreiten, um ihr Tun zu tarnen, erweist sich als hohle Phrase.“ Wenn das Treiben auf den Finanzmärkten folgenlos bliebe, wäre es akzeptabel, doch es beeinflusst die Realwirtschaft massiv: Es verzerrt Preise und führt zu Überproduktionen und zu Versorgungsengpässen. Und während Anleger hohe Gewinne immer behalten dürfen, darf bei hohen Verlusten oft der Staat einspringen.

Die Logik der Finanzwirt-schaft funktioniert völlig entge-gengesetzt zur Logik der Real-wirtschaft: „ An einem normalen Markt wird ein Investor nur dann belohnt, wenn er sich abhebt von der Masse. Es muss ihm gelingen, ein Produkt anzubieten, das an-dere noch nicht haben, oder ein Produktionsverfahren zu entwi-ckeln, das besser als die vorhan-denen ist. An den Finanzmärk-ten ist es exakt umgekehrt: Dort gewinnt, wem es gelingt, recht-

zeitig auf den fahrenden Zug aufzuspringen und mit vielen anderen zusammen eine Blase zu erwischen, während sie sich noch aufpumpt.“

Am Finanzmarkt regiert der Herdentrieb: Alle laufen in eine Richtung – solange, bis es nicht mehr weitergeht. Statt besse-rer Technologien und besserer Produkte entstehen nur banale Wettrennen ums große Geld. Der marktwirtschaftliche Preisme-chanismus ist pervertiert: Stei-gende Preise sind das Signal mehr zu kaufen, statt weniger. „Weil es keine Vorstellung von einem richtigen Preis gibt und dieser Preis für die Zocker auch ohne Bedeutung ist, wirkt die Spekula-tion immer destabilisierend und

niemals stabilisierend“, analysiert Flassbeck. „Falsche Preise, Blasen und teuere Rettungsaktionen sind keine Ausrutscher der mo-dernen Finanzmärkte, sie sind ihre Funktionsbedingung.“

Ursachen des neoliberalen Erfolgs

Große Konzerne und reiche Pri-vatpersonen haben die Politik so massiv „beraten“, dass sie sich mit einer anderen Theorie als der neoliberalen gar nicht mehr befasst. Das Motiv der „Einflüste-rer“ ist klar: Der Neoliberalismus garantiert ihnen stark wachsende Einkünfte durch eine kontinu-ierliche Umverteilung des Wohl-stands nach oben.

Doch warum regt sich an den Hochschulen so wenig Kritik? Flassbeck beschreibt die Logik des dortigen Betriebs: „Es gibt für einen Ökonomieprofessor keinerlei Zwang, sich mit einer wirtschaftspolitisch relevanten Frage auseinanderzusetzen. Es ist sogar umgekehrt: Je irrelevanter seine Fragestellung, umso leich-ter fällt es ihm, in einem der an-erkannten Journals zu veröffent-lichen. Denn nur wer eine kleine Schraube in einer ganz kleinen Nische des akademischen Hauses der Ökonomik ändert, hat die Chance, überhaupt gehört zu werden. Wer sagt, das ganze Haus

sei schief und krumm, wer sagt, die Statik sei schon immer falsch gewesen, wird national wie inter-national ignoriert.“

Dass die Politik die Band-breite ihrer Handlungsmöglich-keiten nicht sieht, liegt auch am Einfluss der Juristen: „Ihre Do-minanz hat in den Ministerien und Verwaltungen den Aufstieg des einzelwirtschaftlich-unter-nehmerischen Denkens drama-tisch beschleunigt. Da Juristen überhaupt nicht dafür ausgebil-det sind, gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen und zu bewerten, neigen sie dazu, einzelwirtschaftliches Den-ken unmittelbar für jede Art der wirtschaftlichen Entscheidung zu verwenden. So gibt es bei Konf-likten für den Juristen nur den Ausgleich der unterschiedlichen Interessen, er wird aber niemals eine eigenständige Wertung der Interessen vor einem übergeord-neten Hintergrund vornehmen.“

Flassbeck kritisiert aber auch die Neoliberalismus-Kritiker: „Sie verzichten in der Regel auf eine explizite Auseinanderset-zung mit der Theorie und bekla-gen lieber, dass seine Ansichten unsozial sind, dass die Arbeits-losigkeit nicht sinkt und dass der soziale Ausgleich in der Gesell-schaft fehlt. Das aber spornt den neoklassischen Arbeitsmarkt-theoretiker eher an, als dass es ihn abschreckt. Der Vorwurf des Unsozialen, der den Standard-ökonomen regelmäßig trifft,

bestätigt ihn geradezu in seiner Auffassung, wissenschaftlich zu argumentieren. Sie bestärkt ihn darin, an seiner ‚tugendhaften’ Argumentation festzuhalten, weil er weiß, dass es nur ‚Gut-menschen’ sind, die ihn von sei-nem in der Wissenschaft veran-kerten Pfad abbringen wollen.“

Angemessene Antworten

Flassbeck liefert klare Diagnosen und klare Therapien. Seine vier Hauptforderungen lauten: n Beendigung des Wettkampfs der Nationen n Generelle Unterbindung von

Spekulation n Einbindung aller Menschen am Fortschritt n Rettung der natürlichen Welt.

Wichtig ist dabei Vollbeschäf-tigung, denn nur so lässt sich der Übergang von einem um-weltschädlichen zu einem um-weltfreundlichen Wirtschaften demokratisch durchsetzen. Die vielen, die dabei ihren Arbeits-platz verlieren, müssen schnell wieder einen neuen finden – und zwar nicht im Niedriglohn- und Zeitarbeitsektor. Ansonsten droht Gefahr: „Wenn die Demo-kratie nicht in der Lage ist, kom-plexe wirtschaftliche Probleme zu lösen, werden die Menschen beginnen Rattenfängern hinter-herzulaufen.“

Die Perspektive beim ökolo-gischen Strukturwandel muss eine volkswirtschaftliche sein. Die Kosten für Klimaschutz-maßnahmen z. B. dürfen nicht isoliert betrachtet werden, denn sie sind gleichzeitig auch immer Einkommen für die daran betei-ligten Unternehmen und deren Mitarbeiter. Einkommen, die wieder in den volkswirtschaft-lichen Kreislauf zurückfließen. Diese simple Tatsache wird von der Politik gar nicht mehr gese-hen. „Die natürliche Welt war verloren, wird man vielleicht in 100 Jahren sagen, weil die öko-nomischen Weltbilder zu einfach waren“, befürchtet Flassbeck.

Eine Partei, die das von Flass-beck Aufgezeigte propagiert, hät-

te ein Alleinstellungsmerkmal in der politischen Landschaft. Für die Linke ist es aber wohl zu marktorientiert. Und die Spit-zenpolitiker, die in rot-grünen, schwarz-roten und schwarz-gelb-en Regierungen das Sagen hat-ten, besitzen vermutlich nicht die charakterliche Größe, zuzugeben, dass sie sich in der Vergangenheit gewaltig irrten und Fehlentschei-dungen mit verheerenden Folgen trafen. Hinzu kommt der Druck von Lobbyisten, Parteispendern und Massenmedien. So bleibt es eine Aufgabe und Chance für po-litische Außenseiter. n

„Die natürliche Welt war verloren, wird man vielleicht in 100 Jahren sagen,

weil die ökonomischen Weltbilder zu einfach waren.“

„Wenn die Demokratie nicht in der Lage ist, komplexe wirtschaftliche

Probleme zu lösen, werden die Menschen Rattenfängern hinterherlaufen.“

W I R T S C H A F T S P O L I T I K

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Interview mit Dr. Johannes Resch

„Flassbecks Konzept müssen wir sozialpolitisch ergänzen!“Heiner Fassbeck betont die Notwendigkeit von stabilen und gerechten Verhältnissen auf der vertikalen Gesellschaftsachse, um einen ökologischen Umbau unserer Wirtschaft überhaupt in Angriff nehmen zu können. ÖP-Chefredakteur Günther Hartmann befragte Dr. Johannes Resch, Sprecher des ÖDP-Bundesarbeitskreises „Familie Soziales Gesundheit“, was er von Flassbecks Ausführungen hält.

ÖkologiePolitik: Herr Dr. Resch, wie finden Sie die Ausfüh-rungen von Heiner Flassbeck?

Dr. Johannes Resch: Denen kann ich weitgehend zustimmen – vor allem seiner Forderung, dass die Reallöhne der Produktivitäts-entwicklung folgen sollten. Das reicht aber aus sozialpolitischer

Sicht noch nicht aus. Flassbecks Überlegungen drehen sich vor allem um die vertikale Achse un-serer Gesellschaftsstruktur: um ein Gleichgewicht zwischen Ar-beitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Kapitalbesitz und Er-werbsarbeit, zwischen Angebot und Nachfrage. Die horizontale Achse zwischen Erwerbsarbeit und Erziehungsarbeit übersieht er dagegen.

Als Wirtschaftswissenschaftler geht es Flassbeck um eine krisen-sichere Wirtschaftsentwicklung mit Vollbeschäftigung.

Das ist völlig berechtigt. Wir sollten Wirtschafts- und Sozi-alpolitik aber nicht separat be-trachten, sondern als Einheit erkennen. Wenn – wie das in un-serem Sozialsystem der Fall ist – die Arbeit der Erziehenden vor allem den Erwerbstätigen zugute kommt, werden immer weniger Menschen Kinder erziehen und stattdessen lieber erwerbstätig sein wollen. Das führt heute zu einem Überangebot an Arbeits-suchenden und damit zu Arbeits-losigkeit – und morgen zu einem Mangel an Arbeitskräften, weil es zu wenig Nachwuchs gibt. Die-sen „marktwirtschaftlichen Vor-

gang“ ignorieren fast alle Markt-wirtschaftler. Eine krisensichere Wirtschaftsentwicklung lässt sich so nicht erreichen und soziale Gerechtigkeit erst recht nicht.

Warum wird die horizontale Achse so gerne übersehen?

Der Fehler wurzelt wohl in der Geschichte der modernen Wirt-

schaftswissenschaft, die ihre Ur- sprünge im frühen 19. Jahrhun- dert hat. Damals spielte die ho-rizontale Achse zwischen Er-werbs- und Erziehungsarbeit wirtschaftstheoretisch keine Rol-le, da Kosten und Ertrag der Kin-dererziehung Privatsache waren und keinen erkennbaren Einfluss auf die Wirtschaftsabläufe hatten – ähnlich wie der Gemüseanbau im eigenen Garten für den Ei-genbedarf. Diese Sichtweise hat die klassische Wirtschaftswis-senschaft auch dann beibehalten, als unser modernes Sozialsystem eingeführt wurde. Und auch die meisten Eltern pflegen die alte Sichtweise. Es widerstrebt ihnen, ihre Kinder unter einer ökono-mischen Perspektive wie „Pro-dukte“ zu betrachten. Das ist ja auch durchaus positiv, verstellt aber den Blick auf die destrukti-ven Mechanismen.

Wie sehen denn die destrukti-ven Mechanismen genau aus?

Seit der Einführung unseres Rentensystems wird Erwerbs-arbeit doppelt bezahlt: durch Lohn und durch Rente. Die Er-ziehungsarbeit jedoch erhält keinen Lohn und kaum Rente. Die Erziehenden sorgen dafür,

dass ihrer erwerbstätigen Alters-genossen später hohe Renten er-halten, ohne dass sie dann selbst vergleichbare Ansprüche hätten. Das hat der Familie nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die ideelle Grundlage entzogen. Die gesellschaftszerstörenden Folgen können wir heute schon beob-achten, z. B. in Form vermin-derter Erziehungsqualität. Vor diesem Hintergrund hat jede iso-lierte Erhöhung der Erwerbslöh-ne nicht nur die von Flassbeck beschriebene positive Wirkung auf der vertikalen Achse, sondern gleichzeitig eine negative auf der

horizontalen: Die „Gerechtig-keitslücke“ zwischen Familien und dem Rest der Gesellschaft verschärft sich. Auch höhere Mindestlöhne für Erwerbsarbeit würden sie verschärfen.

Warum verschärfen höhere Mindestlöhne die soziale Unge-rechtigkeit?

Höhere Mindestlöhne ver-schärfen die sozialen Gegensätze dann, wenn sie auf herkömm-liche Erwerbsarbeit beschränkt bleiben. Erst wenn wir den Ar-beitsbegriff auf die elterliche Er-ziehungsarbeit erweitern und in eine Mindestlohnregelung ein-beziehen, machen Mindestlöhne einen Sinn. – Im Bundesarbeits-kreis „Familie und Soziales“ ha-ben wir einmal durchgerechnet, wie sich die Einführung eines Mindestlohnes von 9 Euro für herkömmliche Erwerbsarbeit auswirken würde: Fast aus-schließlich kinderlose Geringver-

diener würden davon profitieren, denn im Niedriglohnsektor sind Familien mit mehreren Kindern auch bei einem Vollzeitjob und Alleinerziehende bei Teilzeitar-beit auf staatliche Unterstützung angewiesen: auf Hartz IV. Ein höherer Mindestlohn verringert dann nur den Hartz-IV-Anteil des Einkommens. – Die Famili-enarmut bliebe auch bei höheren Mindestlöhnen bestehen, weil in der Nichtbewertung der Erzie-hungsarbeit die eigentliche Ar-mutsursache liegt.

Eine Korrektur der horizonta-len Schieflage lässt sich aber gut in Flassbecks Wirtschaftskonzept integrieren?

Ja, das ist richtig. Im Prinzip ist sein Umweltschutzkonzept auch schon eine horizontale Korrek-tur: ein Strukturwandel weg von umweltschädlicher hin zu um-weltfreundlicher Arbeit. Analog sollten und können horizontale Korrekturen im sozialen Bereich erfolgen, um die Benachteiligung von Erziehungsarbeit gegenüber Erwerbsarbeit aufzuheben. Das ist nicht nur eine Forderung sozialer Gerechtigkeit, sondern auch Vor-aussetzung für ein stabiles Sozial-system und damit letztlich auch für eine stabile Volkswirtschaft.

– Wir brauchen heute nicht nur eine stabile und nachhaltige Be-ziehung zwischen Mensch und Natur, sondern ebenso zwischen den Menschen selbst.

Herr Dr. Resch, herzlichen Dank für das interessante Ge-spräch.

„Eine Korrektur der horizontalen Schieflage lässt sich gut

in Flassbecks Konzept integrieren.“

Dr. Johannes ReschJahrgang 1940, studierte Medi-zin und arbei-tete 20 Jahre als Leitender Arzt eines Versor-gungsamts. Seit 1998 ist er

Mitglied der Bundesprogramm-kommission und war von 2008 bis 2010 ihr Sprecher. Zurzeit ist er Sprecher des ÖDP-Bundes-arbeitskreises „Familie Soziales Gesundheit“.Kontakt: [email protected]

„Wir sollten Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht separat betrachten,

sondern als Einheit erkennen.“

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eigenes Können zu überlisten“. Als Bausteine für mehr Selbst-versorgung nennt Paech unter anderem handwerkliche Kom-petenz, Gemeinschaftsgärten, Tauschringe, Verschenkmärkte, Umsonstläden und Nachbar-schaftshilfe.

Ein optimistischer Blick ins Jahr 2050

In einem Beitrag für das Buch „Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung“ entwirft Paech ein Zukunftsszenario für das Jahr 2050: Der globale Güterverkehr hat sich halbiert. Autobahnen und Flughäfen wurden fast alle geschlossen. Die Bauindustrie ist vor allem damit beschäftigt, frühere Verkehrsflächen und In-dustriegebiete zurückzubauen. Jeder Bürger leistet nur noch 20 Stunden „monetär entgoltene Arbeitszeit“ pro Woche. Wer keinen Job hat, bekommt Tätig-keiten vermittelt und dafür ein angemessenes Bürgergeld be-zahlt.

Komplementärwährungen binden die Kaufkraft an die Re-gion. Sie besitzen eine zinslose Umlaufsicherung, die den zins-bedingten Wachstumszwang des globalen Geldsystems verhindert. Die auf globaler Spezialisierung beruhende Fremdversorgung ist auf eine maßvolle Restgröße im Rahmen individueller CO2-Kon-tingente reduziert.

Die Neuproduktion von Gü-tern spielt nur noch eine unter-geordnete Rolle. „Der Fokus liegt

auf dem Erhalt, der Um- und Aufwertung vorhandener Pro-duktbestände und Infrastruk-turen, etwas durch Renovati-on, Konversion, Optimierung, Nutzungsdauerverlängerung oder Nutzungsintensivierung“, schreibt Paech am Ende seiner Ausführungen. „Das gilt auch für den Gebäudebestand, der durch umfangreiche Sanierungspro-gramme inzwischen fast Passiv-hausstandard erreicht hat. Das spart Emissionen und Geld ... Es geht recht entspannt zu im Jahr 2050.“ n

„Eine Entkopplung von wirtschaftlichem, in Geld gemessenem Wachstum und Ressourcenverbrauch ist schlicht und

einfach nicht in Sicht.“

„Wer sich vor einer Flut kaum mehr überschaubarer Konsummöglichkeiten

zu schützen versucht, indem er Überflüs-siges über Bord wirft, verzichtet nicht.“

Über Niko Paech

Gelassen und entspannt in die Zukunft?Auf einem endlichen Planeten kann es kein unendliches Wachstum geben. Der Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech misstraut der Hoffnung auf eine Entkopplung des Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum und setzt stattdessen auf eine drastische Schrumpfung unserer Wirtschaft. Unter dem Begriff „Postwachstumsökonomie“ entwickelt er verblüffende Zukunftsszenarien.

von Günther Hartmann

Mit der Frage „Welche Reak-tion würde wohl die An-

kündigung eines Automobilher-stellers auslösen, demnächst ein Fahrzeug ohne Rückwärtsgang und Bremse produzieren zu wol-len?“ beginnt Niko Paech, einer der Pioniere der sog. „Postwachs-tumsökonomie“, einen Artikel

für das Greenpeace-Magazin und fährt fort: „Vermutlich Gelächter. Oder Kopfschütteln. Komisch, dass eine solche Reaktion nicht auch den meisten Ökonomen und Wirtschaftspolitikern entge-gengebracht wird. Denn dieselbe Absurdität liegt dem üblichen volkswirtschaftlichen Denken zugrunde.“

Paech misstraut der Hoffnung, unsere Wirtschaft ließe sich so umstrukturieren, dass sie unsere Umweltprobleme löst statt sie zu verschärfen. Statt auf umweltpo-litisch gesteuerte Innovationen setzt er auf eine Schrumpfung der Wirtschaft, denn „trotz enor- mer technischer Fortschritte so-wohl zur Steigerung der Ener-gieeffizienz als auch zur Nutzung regenerativer Energiequellen nimmt die globale CO2-Belas-tung rasant zu“. Eine Entkopp-lung von wirtschaftlichem, in Geld gemessenem Wachstum und Ressourcenverbrauch ist für Paech nicht in Sicht.

Glück braucht mehr Zeit statt mehr Geld

Mehr Wohlstand ist auch gar

nicht sinnvoll, meint Paech und führt ein ungewöhnliches Ar-gument an: „Die so genannte ‚Glücksforschung’ nährt die Ein-sicht, dass eine Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens ab einem bestimmten Niveau keinen wei-teren Zuwachs an subjektiv emp-fundenem Wohlbefinden stiftet.“

Viele Güter dienen nur dem sozialen Prestige – man könnte auch sagen: Eitelkeit und Stolz. Wer jedoch nach Zufriedenheit und Glück strebt, der braucht vor allem: mehr Zeit. Zeit, um den schon erreichten Wohlstand überhaupt richtig genießen zu können.

„Wer sich vor einer Flut kaum mehr überschaubarer Konsum-möglichkeiten zu schützen ver-sucht, indem er Überflüssiges über Bord wirft, verzichtet nicht“, betont Paech. „Damit Konsum-aktivitäten überhaupt Nutzen stiften können, muss ihnen ein Minimum an Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dies setzt ein Minimum an Zeitinput voraus.“ Zeit wird zum knappsten Gut. Es gilt, unser Leben zu entrümpeln, zu entschleunigen, und unsere Bedürfnisse auf ein Niveau zu bringen, das sich nachhaltig be-friedigen lässt.

Selbstversorgung erhöht die Krisensicherheit

Da es in den aufstrebenden Schwellenländern schon mehr als eine Milliarde neuer Konsu-

menten gibt, die den westlichen Lebensstil kopieren wollen, stößt der an seine natürlichen Grenzen. Unsere permanente Konsum- und Mobilitätssteigerung basiert auf billigem Rohöl und billigen Rohstoffen. Doch die werden immer knapper und teurer. „Der heftig diskutierte ‚Peak Oil’ weitet sich längst zum ‚Peak Everything’ aus“, stellt Peach fest und fol-gert daraus, dass auf Wachstum angewiesene Volkswirtschaften höchst instabil sind und mittel-fristig kollabieren.

„Vor diesem Hintergrund werden Lebens- und Versor-gungsstile, die unabhängig vom Wachstum und externer Res-sourcenzufuhr stabilisierbar sind – folglich nur auf einer reakti-vierten Balance zwischen lokaler Selbst- und industrieller Fremd-versorgung beruhen können –, zum reinen Selbstschutz.“ Die

Postwachstumsökonomie setzt auf Reduktion: auf eine Verrin-gerung der Wochenarbeitszeit und auf eine Verringerung des „industriellen Fremdversor-gungssystems“.

Wir sollen einer „reizüberflu-teten Konsumsphäre“ und den damit einhergehenden Erschöp-fungserscheinungen entfliehen und wieder mehr „Daseinsmäch-tigkeit“ erlangen. Statt einer „ver-zweifelten Suche nach weiteren Steigerungen von Güterwohl-stand und Bequemlichkeit“ gilt es „Konsumabhängigkeit durch

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Interview mit Prof. Dr. Niko Paech

„Reduktion bis auf ein sehr geringes Niveau“Ein Weg entsteht erst dadurch, dass man ihn geht. Liefert die Theorie der Postwachstumsökonomie Wege, die gehbar sind, oder sind das alles nur Gedankenspiele? Wo sind die Anknüpfungspunkte, bei denen heute zu beginnen ist? Welche Aufgaben hat dabei die Politik? ÖP-Chefredakteur Günther Hartmann stellte Prof. Dr. Niko Paech kritische Fragen.

ÖkologiePolitik: Herr Prof. Paech, die Tatsache, dass die tech-nischen Entwicklungen für mehr Energieeffizienz bisher meist durch quantitatives Wachstum kompensiert wurden, deuten Sie gleich als Scheitern dieses Wegs. Aber krankt der Weg nicht einfach daran, dass die Energiepreise bis-her viel zu niedrig waren und sich Energiesparen deshalb finanziell nicht richtig lohnte?

Prof. Niko Paech: Wenn die Ressourcenpreise konsequent so lange angehoben würden, bis es zur Einhaltung hinreichender ökologischer Obergrenzen käme, würde die Wirtschaft nicht nur nicht mehr wachsen, sondern gemessen am derzeitigen Brutto-inlandsprodukt (BIP) vermutlich eklatant schrumpfen. Stellen wir uns allein ein Bodenversieglungs-moratorium und ein CO2-Bud-get für Deutschland vor, das mit der Einhaltung des 2-Grad-Kli-maschutzzieles vereinbar wäre. Technischer Fortschritt, der da-für sorgen könnte, dass eine 80- bis 90-prozentige CO2-Senkung bei Aufrechterhaltung des bis-herigen BIP-Niveaus, geschweige denn bei weiterer BIP-Zunahme möglich wäre, entspräche einem alchemistischen Innovations-wunder. Und genau das ist ein Problem: Viele Darlegungen zur technischen Entkopplung lesen sich wie gute Science Fiction-Ro-mane.

In Ihrer „Zeitreise in eine Transition Town“ schildern Sie, dass der Gebäudebestand im Jahr 2050 fast gänzlich Passivhaus-standard erreicht haben wird. Momentan haben wir eine Mo-dernisierungsquote von rund 1 Prozent. Wenn wir bis 2050 alle Gebäude auf Passivhausstandard bringen wollen, muss sich die ver-dreifachen. Das hätte im arbeits-kräfteintensiven Bauhandwerk enormes Wachstum zur Folge. Stört Sie das?

Angenommen, ein längst überfälliges Bodenversiegelungs-moratorium träte in Kraft, dann verblieben für die Bauwirtschaft noch folgende Entwicklungs-potenziale: Der vorhandene Gebäudebestand könnte energe-

tisch optimiert, renoviert oder konvertiert werden, wobei der Passivhausstandard ein mög-liches Ziel wäre. Gebäude, de-ren weiterer Erhalt auch unter Ausschöpfung aller technischen Möglichkeiten wenig Sinn ergibt, könnten entweder vorsichtig ab-getragen oder durch Passivhäuser ersetzt werden. Auf diese Weise würde die Baubranche maximal noch den Bestand erhalten und umbauen, aber eben nicht mehr materiell expandieren. Dies wäre, abgesehen von kurzfristigen „Strohfeuereffekten“, nicht mit einem Wertschöpfungswachs-tum vereinbar, sondern ergäbe eine langfristige Reduktion bis auf ein sehr geringeres Niveau, das zwecks Bestandserhalt noch benötigt wird.

Sie schildern in Ihrem Zu-kunftsszenario auch, dass die Arbeitnehmer im Jahr 2050 nur noch 20 Stunden pro Woche ar-beiten. Wie passt das zusammen? Wenn die Bürger nur noch halb so viel arbeiten, verdienen sie auch nur halb so viel – und es bleibt kein Geld für so große Investiti-onen wie eine Gebäudemoderni-sierung auf Passivhausstandard.

Vor dem Hintergrund, dass der Gebäudebereich auf direkte und indirekte Weise für ca. 40 % der von Menschen verursachten CO2-Emissionen sorgt, gibt’s kei-ne andere Wahl: In diesem Bereich wird sich entscheiden, ob wir die

Wende zum Klimaschutz noch schaffen. Der Verkehrsbereich kann nur durch eine prägnante Nachfragereduktion angepasst werden und viele Konsumgüter-sparten können nur durch dras-tische Produktionssenkungen nachhaltig gestaltet werden, wobei der Übergang durch Kon-zepte der Nutzungsdauerverlän-gerung und Gemeinschaftsnut-zung abgefedert werden kann. Folglich werden Ressourcen und Kaufkraft frei, die sich auf die

Gebäudemodernisierung kon-zentrieren lassen. Das Interesse an Gebäudesanierung wird mit den Energiepreisen steigen, denn nach Peak Oil kommt Peak Gas. Weiterhin muss der Fiskus seinen ökologisch desaströsen Subven-tionsdschungel ausmisten und umwidmen, damit Mittel für die

Gebäudesanierung aktiviert wer-den können.

Heute rutschen immer mehr Arbeitnehmer in den Billiglohn-sektor ab und kommen trotz eines Vollzeitjobs mit 40 Stunden pro Woche finanziell nur mit staat-licher Unterstützung über die Runden. Gerade für Familien ist das fatal. Was soll mit ihnen ge-schehen, wenn sie nur noch halb so viel arbeiten dürfen? Sollen sie völlig verarmen?

Diese Befürchtung gilt inner-halb der Logik einer ausschließ-lichen Fremdversorgung. Das damit verbundene, allein auf Konsum basierende Wohlstands-modell ist so oder so nicht zu ret-ten. Nur eine Kombination aus monetär entlohnter Erwerbsar-

beit und modernen Formen der Subsistenz ist noch denkbar.

Was geschieht mit Selbst-ständigen und Führungskräften, die heute 50 bis 80 Stunden pro Woche arbeiten? Wollen Sie die zwingen, kürzer zu treten? Wenn ja: Mit welchen Mitteln? Wenn nein: Was wird das für Auswir-kungen auf die Gesellschafts-struktur haben?

Politik, Wirtschaft und Ge-werkschaften werden durch ent-sprechende Rahmenbedingungen

und Maßnahmen die Umvertei-lung einer verringerten Arbeits-zeit erleichtern müssen. Anders kann der fragile soziale Frieden in einer schrumpfenden Wirtschaft nicht gesichert werden. Jene, die sich vom schrumpfenden Ku-chen zu viel einheimsen wollen – was zusehends zulasten anderer

Niko Paech, Jahrgang 1960, studierte Volkswirtschafts-lehre, promovierte und machte anschließend vor allem eine akademische Karriere in Forschung und Lehre. Seit 2010 ist er Gastprofessor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt der Universität Oldenburg. Seine Schwer-punkte liegen dabei im Bereich der Umweltökonomik und Nachhaltigkeit. Neben seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit ist er unter anderem auch Mitbegründer des Oldenburg Center for Sustainability Economics and Management (CENTOS), Vorsitzender der Vereinigung für Ökologische Ökonomie (VÖÖ) und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac.Kontakt: postwachstumsoekonomie.org

„Gerechtigkeit wird sich künftig nicht allein an Einkommens-

und Vermögensgrößen festmachen lassen, sondern am Recht auf Nutzung

ökologischer Ressourcen.“

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erfolgt –, werden innerhalb ihres Umfeldes in Rechtfertigungsnöte kommen. Um eine Diskussion von Obergrenzen für Spitzenge-hälter kommen wir so oder so nicht herum.

Ihre Schilderungen lesen sich, als wenn es 2050 eine „klassen-lose Gesellschaft“ gäbe. Die heu-tige Realität ist aber eine ganz andere. Wie lassen sich die neo-liberalen Fehlentwicklungen –Umverteilung der Vermögen von unten nach oben, Zunahme des Niedriglohnsektors, der Arm-Reich-Schere und der Spekulation – wirkungsvoll korrigieren? Oder ist die Verarmung weiter Bevöl-kerungskreise etwas Positives?

Armut ist ein infl ationärer Begriff. In vornehmen Gesell-schaften gelten heute Menschen als arm, deren materielle Mög-lichkeiten für unsere Großeltern unvorstellbar gewesen wären. Zudem wird sich Gerechtigkeit zukünftig nicht allein an Ein-kommens- und Vermögensgrö-ßen festmachen lassen, sondern am Recht auf Nutzung knapper ökologischer Ressourcen. Wenn jeder Person pro Jahr zwei bis drei Tonnen an CO2-Konti-genten zustünden, ergäbe sich daraus ein Umverteilungseffekt, der zur Egalisierung individu-eller Freiheiten führt. Wenn ein Millionär mehr Emissionsrechte haben will, muss er sie anderen Personen abkaufen, folglich wohl oder übel Teile seines monetären Reichtums umverteilen.

Wie soll das Rentensystem im Jahr 2050 aussehen?

Neue Formen eines generatio-nenübergreifenden Zusammen-lebens, urbane Subsistenz sowie lokale Netze der gegenseitigen Hilfe werten die Rolle älterer Menschen auf. Sie werden wieder gebraucht, können in den Alltag integriert werden und erlangen somit ein würdigeres Dasein. Allzu hohe Renten werden zwar nicht realisierbar sein, aber ande-rerseits wird auch in einer Post-wachstumsökonomie weiterhin ein bescheidenes Rentensystem möglich sein. Das sich in letzter Zeit ausbreitende Phänomen der Luxus-Rentner, die ihren Lebens-abend als Abfolge von Fernreisen und Kreuzfahrten gestalten, ist ohnehin nicht tragfähig.

Wie lassen sich bei drastisch sinkender Wirtschaftsleistung die hohen Staatsschulden samt Zin-sen zurückzahlen?

Die meisten Subventionen dienen dazu, eine Wachstums-maschine in Gang zu halten, die aus eigener Kraft gar nicht mehr stabilisierbar wäre. Folglich lie-ßen sich durch das Streichen der vielen skandalösen Subventionen mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Entlastung der Umwelt, Entschuldung und ein Abbrem-sen des Wachstums.

Nachbarschaftshilfen, Tausch-börsen usw. gibt es ja heute schon zahlreich. Soll die Politik da ein-greifen und die jetzt schon künst-lich intensivieren? Wenn ja: War-um und mit welchen Mitteln?

Neben einer Reduktion und Umverteilung der Arbeitszeit wäre eine Umorientierung un-seres Bildungssystems vonnöten, um nicht weiter nur Konsum-deppen, sondern souveräne In-dividuen hervorzubringen, die neben akademischen Fähigkeiten auch punktuell als Handwer-ker und Selbstversorger aktiv sein können. Weiterhin sind kommunale Infrastrukturen für Reparaturstationen, eine Ge-brauchtgüternutzung und eine Gemeinschaftsnutzung sinn-voll. Nicht neue Großprojekte, sondern kleinteilige, lokale, auf Bürgermitwirkung beruhende Versorgungsstrukturen werden gebraucht. Anstelle von neuen Wohngebieten, Shopping-Cen-tern und Straßen wären es unter anderem Transition Towns und Gemeinschaftsgärten, die wir jetzt brauchen. Das kann die Po-litik nicht nur gut auf jeder Ent-scheidungsebene unterstützen

– wenn sie nur will –, sondern zieht damit zwei Trumpfkarten: Solche an Resilienz – also Sta-bilisierung auf bescheidenerem Niveau – angelehnten Maßnah-men kosten viel weniger Geld. Außerdem lassen sie weitaus bürgernäher gestalten, weil die Leute vor Ort eingebunden wer-den müssen.

Gesellschaftsstrukturen mit ausgeprägter Schattenwirtschaft gibt es ja schon seit langem in südländischen Städten wie Ne-apel oder in den Slums der Ent-wicklungs- und Schwellenländer. Diese interessanten Formen der Selbstorganisation entstehen dort aber von allein. Warum soll-te sie bei uns die Politik bewusst planen und steuern?

Es geht nicht um Schatten-wirtschaft, sondern um eine demokratisch auszuhandelnde Neujustierung der Balance zwi-schen deutlich reduzierter, aber gerecht verteilter „normaler“ Erwerbsarbeit und urbaner Sub-sistenz, also eigenen Beiträgen zur Versorgung, die nicht auf Geld, sondern auf einem sozialen Miteinander beruhen. Die Poli-tik hat langfristig keine andere Wahl, als diese Transformation zu unterstützen. Denn das alte Modell war nicht nur ein Irrweg in die Maßlosigkeit, sondern hat sich seiner eigenen Grundlage beraubt. Es ist nicht mehr fi nan-zierbar, entbehrt zunehmend ei-ner demokratischen Grundlage – denken wir an Stuttgart 21, die Küstenautobahn, Shopping-Cen-ter, EU-Subventionen etc. – und verstrickt sich in unlösbare Pro-bleme, wie die aussichtslose Lage unserer Sozialsysteme, insbeson-dere die Situation von Hartz-IV-Empfängern zeigt.

Was sind die wichtigsten Maßnahmen, welche die Politik kurzfristig einleiten sollte?

Ein Bodenversiegelungsmo-ratorium. Eine drastische Op-timierung des CO2-Zertifi kate-handels unter Einbeziehung des Flugverkehrs – oder andernfalls entsprechend hohe Kerosin-steuer. Die Versteigerung eines stetig zu reduzierenden CO2-Kontingentes. Eine Durchfors-tung aller Subventionshaushalte. Eine energetische Sanierung von Gebäuden. Ein Stopp baulicher Großprojekte. Ein Ausstieg aus der Atomenergie und – mindes-tens so wichtig! – ein Stein- und Braunkohlekraftwerksmorato-

rium. Die Einführung der To-bin-Tax im Sinne der Vorschläge von Attac. Eine Abfederung so-zialer Härten mittels eines Öko-logischen Grundeinkommens (ÖGE), das sich aus den Erlösen der CO2-Zertifi kate speist.

Welche mittelfristig? Die Stilllegung eines hin-

reichenden Anteils von Auto-bahnen, Flughäfen und Tiefsee-häfen. Die Umnutzung dieser Flächen für Anlagen zur Gewin-nung erneuerbarer Energien. Die Reduzierung der Arbeitszeit. Die Orientierung des Bildungssys-tems an Subsistenz sowie Befä-higung zu handwerklicher und künstlerischer Souveränität. Die Einführung einer Vorschrift für Unternehmen, den CO2-Fußab-druck aller Produkte und Dienst-leistungen kenntlich zu machen. Die Orientierung der Umwelt-politik an individuellen Öko- oder zumindest CO2-Bilanzen. Eine Geldreform gemäß Vollgeld bzw. 100 %-Money. Die Akzep-tanz von Regionalwährungen als Zahlungsmittel in den jeweiligen Kommunen. Die Durchführung einer Bodenreform. Eine Einfüh-rung von Lohnobergrenzen.

Welche langfristig?Die Entwicklung von Rück-

bau- und Entsiegelungspro-grammen, um Industrieanlagen, Verkehrsfl ächen und die Bau-werke der verheerenden Inten-sivlandwirtschaft vorsichtig zu entsorgen. Und eine anschlie-ßende Renaturierung dieser Flächen. – Das waren jetzt alles nur die Maßnahmen, die mir am wichtigsten erscheinen, ohne An-spruch auf Vollständigkeit.

Herr Prof. Paech, herzlichen Dank für das interessante Ge-spräch.

Niko PaechVom grünen Wachs-tumsmythos zur Post-wachstumsökonomiein: Harald Welzer, Klaus Wiegandt (Hrsg.)Perspektiven einernachhaltigen Entwicklung Wie sieht die Welt vonmorgen aus?Fischer Taschenbuch, 2011352 Seiten, 12.99 Euro978-3-596-18794-2

Kernbegriffe der Post-wachstumsökonomie

n Suffi zienz = Bemühen um einen möglichst gerin-gen Rohstoff- und Energie-verbrauch. Erreicht werden soll das durch eine geringe Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, insbeson-dere nach solchen, die einen hohen Ressourcenverbrauch erfordern.n Subsistenz = Bemühen um Selbstversorgung, indem materielle Bedürfnisse des täglichen Lebens (Essen, Trin-ken, Wohnen, etc.) großteils durch eigene Produkte und Tätigkeiten befriedigt werden, ohne auf am Markt Angebo-tenes zurückgreifen.

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Liebe ÖDP-lerinnen und ÖDP-ler!

Bitte beachten Sie bei Zusen-dungen für den Pressespiegel die folgenden Punkte:

1. Am besten sind Original-ausschnitte (speziell wenn Bilder enthalten sind).

2. Wenn Sie Ihre Originale nicht schicken möchten, ma-chen Sie bitte gute Kopien auf weißem Papier!

3. Vermerken Sie den vollen Namen und Erscheinungsort der Zeitung, nicht die Abkürzung. Geben Sie außerdem an, ob der Beitrag im Lokal-, Landes- oder im überregionalen Teil stand. Artikel, die wir nicht zuordnen können, werden nicht berück-sichtigt.

4. Bitte unterstreichen Sie nicht. Schreiben Sie auch den Namen der Zeitung nicht mit-ten durch den Text.

5. Keine Artikel faxen, sie werden häufig unleserlich oder zumindest nicht reprofähig.

Vielen Dank!

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L E S E R B R I E F E

Allgemeine Zuschriften

Alleinstellungs- merkmale der ÖDP

Auf dem letzten Bundesparteitag wurden in einer Podiumsdiskus-sion die Alleinstellungsmerkmale der ÖDP dargestellt. Dabei fehl-ten jedoch zwei Themen, die mir besonders wichtig sind: Keine der im Bundestag vertretenen Par-teien steht voll und ganz hinter dem Friedensgebot des Grundge-setzes. Denn alle Parteien außer der Linkspartei haben im Bun-destag dem Vertrag von Lissabon zugestimmt, in dem militärische „Missionen“ im Dienste der „In-teressen“ der EU (Art. 42 Abs. 5 EUV) ermöglicht werden. Dort wurde verklausuliert vereinbart, was zu Guttenberg und Köhler angekündigt haben und jetzt de Maizière mit dem Umbau der Bundeswehr verwirklicht: Unse-re Soldaten sollen in Auslands-einsätzen wichtige Handelswege und Rohstoffquellen sichern.

Die ÖDP hat gegen den Ver-trag von Lissabon vor dem Bun-desverfassungsgericht geklagt, aber die Richter ließen in der mündlichen Verhandlung eine Diskussion über diesen Punkt nicht zu. Auch die Linkspartei hat gegen die Kriege für die Interes-sen der EU geklagt. Trotzdem kann ihre Position nicht mit der der ÖDP gleichgesetzt werden. Denn in ihren Reihen sitzen viele Kommunisten, die den Einsatz von Waffengewalt zur Durchset-zung des Sozialismus nicht aus-schließen wollen. So ist die ÖDP die einzige Partei, die uneinge-schränkt hinter dem Friedensge-bot des Grundgesetzes steht.

Ein weiteres wichtiges Al-leinstellungsmerkmal ist die Ökologisch-Soziale Marktwirt-schaft. Alle Regierungen, egal ob Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot oder Rot-Grün haben mitgewirkt, dass die Netto-Einkommen aus Unternehmen und Vermögen sprunghaft angestiegen sind – im Gegensatz zu denen von abhän-gig Beschäftigten. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf. So gibt es im Bundestag nur noch Lippenbe-kenntnisse für die Soziale Markt-wirtschaft.

Diese beiden Alleinstellungs-merkmale sind für mich entschei-dend. Denn wenn wir immer

mehr in militärische Ausein-andersetzungen hineingezogen werden, und wenn die Einkom-men immer ungleicher verteilt werden, dann stehen Deutsch-land schwierige Zeiten bevor.

Prof. Dr. Klaus Buchner80809 München

Quo vadis, Anti-Atom-Bewegung?

Ende Mai hat die Bundesregie-rung beschlossen, bis spätestens 2022 alle AKW in Deutschland abzuschalten. Die Katastrophe im AKW Fukushima gab den ent-scheidenden Ausschlag. Jahrzehn-telang hatten Tausende Menschen der „Anti-Atom-Bewegung“ ge-gen die risikoreiche Nutzung der Atomkraft demonstriert. Doch was nun? Vielerorts ist nun zu hören, dass der schließlich er-rungene Erfolg dieser Bewegung zugleich ein Fluch für sie sei. Denn nun habe die Bewegung – und mit ihr auch die Grünen – ihr großes gemeinsames und identitätsstiftendes Ziel verloren. Ist deshalb eine massive Sinnkri-se und das jähe Ende des breiten bürgerlichen Umwelt-Engage-ments unausweichlich?

Nein. Eine weitere, noch grö-ßere umwelt- und wirtschaftspo-litische Herausforderung drängt sich seit Jahren stark auf: der Kli-maschutz. Obwohl dieses Thema schon länger – wie kaum ein an-deres – heiß und innig diskutiert wird, ist bislang seltsamerweise kaum politischer Druck von der Straße ausgegangen an die Adres-se der Politik. Das mag wohl an der Abstraktheit und zeitlichen Entferntheit des Klimaproblems liegen. An der Wichtigkeit und Dringlichkeit des globalen Kli-maschutzes jedoch kann kein ernsthafter Zweifel mehr beste-hen: Eine mittlere Erderwärmung von über 2 – 3 °C könnte bekannt-lich den Meeresspiegel langfristig massiv ansteigen lassen, Unwetter und Hitze könnten insbesondere die Armen in Afrika (Sahel) und Südostasien treffen, ganze Öko-systeme drohen zu kollabieren und die Erwärmung könnte so-gar „Kippschalter“ des empfind-lichen Erdsystems auslösen, was einem Organversagen beim Men-schen vergleichbar ist. Entgegen den Klimaskeptiker-Hoffnungen zeigen leider immer mehr Studi-en, dass das alles andere als blo-

ßer „Alarmismus“ ist. Aktuelle Zahlen zeigen zudem erschre-ckenderweise, dass die weltweiten Treibhausgas-Emissionen jüngst weiter stark angestiegen sind. Das 2 °C-Ziel, das in internationalen Verhandlungen immer wieder mit vielen Worten beschworen wird, gerät mehr und mehr zur Utopie, wenn nicht sehr bald der weltweite Umbau der Energie-versorgung (globaler Emissions-handel, etc.) sowie Waldschutz wirksam vollzogen werden. Mit den richtigen ökonomisch-po-litischen Instrumenten kann Klimaschutz zu relativ geringen Kosten gelingen und die extre-men Risiken für alles Leben auf der Erde stark reduzieren (...).

Martin Kowarsch M.A.80539 München

Zur ÖP 150

Zum Leserbrief von Werner Rother

Dem Leserbrief von Werner Ro-ther aus der ÖP vom Mai 2011 ist in nahezu allen Punkten zu wi-dersprechen: Erstens: Die Öko-logiePolitik krankt nicht daran, dass die Artikel zu kompliziert sind. Die meisten anderen Mas-senmedien kranken im Gegenteil daran, dass sie ihre Berichterstat-tung in unzulässiger und verfäl-schender Weise vereinfachen und verkürzen. Das Besondere der ÖDP ist nun gerade, dass sie die Komplexität der Probleme ernst nimmt und davon ausgehend auch differenzierte Lösungskon-zepte anzubieten hat. Dass dies daher nicht leicht zu vermitteln ist, wird in der Partei immer wie-der diskutiert. Nun aber damit zu beginnen, die Parteizeitschrift zu verflachen, ist mit Sicherheit die falsche Lösung.

Zudem möchte ich keine Zeitschrift lesen, in der jeder von einem Parteimitglied geschrie-bene Beitrag veröffentlicht wird. Genau das nämlich fordert Herr Rother. Wenn denn etwas ins In-ternet ausgelagert werden soll – Herr Rother würde dorthin ger-ne die tiefer gehenden Analysen ‚verbannen‘ – dann wären eben solche Mitgliederbeitrage und -artikel der geeignete Stoff da-für. Dort könnten die Vorschläge mit einer Kommentarfunktion zur Debatte gestellt und kontro-vers diskutiert werden. Und die

meistgelesenen und -kommen-tierten Beiträge dürfen dann na-türlich auch einmal den Weg in die Druckversion der ÖP finden.

Mit der Anerkennung der Komplexität der Gegenwart durch die ÖDP hängt zweitens auch zusammen, dass Probleme nicht nur von der vermeintlich parteipolitisch ‚richtigen‘ Sei-te zu betrachten sind, sondern möglichst neutral und umfas-send. Insofern kann ich die Kri-tik Rothers, der ‚Sozialist‘ Prof. Hartmann dürfe in der ÖP nicht zu Wort kommen, nicht nach-vollziehen. Scheuklappen haben politischen Diskussionen noch nie gut getan. Darüber hinaus kann ich als Soziologe beurtei-len, dass Prof. Hartmann und Prof. Hoffmann-Lange nun ein-mal die deutschen Eliteforscher sind. Soweit ich weiß, ist Herrn Hartmann noch nie vorgeworfen worden, unsaubere Forschung zu betreiben. Wenn er jedoch sein Interesse aufgrund persönlicher politischer Einstellungen vor-nehmlich auf bestimmte Bereiche der Gesellschaft richtet (auf Eli-ten) und diese nach wissenschaft-lichen Gütemaßstäben erforscht, ist dagegen nichts einzuwenden.

Ohne wissenschaftliche Er-kenntnisse verabsolutieren zu wollen, so tut man doch gut dar-an, sie zur Kenntnis zu nehmen. Rother scheint daran aber wenig Interesse zu haben. An der hane-büchenen inhaltlichen Gegenar-gumentation Rothers lässt sich vermutlich ablesen, wie er sich weniger tief gehende Artikel vor-stellt. Allein seine Erinnerung, dass „früher auch die Kinder der untersten Schichten in die-sem System ordentlich Lesen, Rechnen und andere Grundfer-tigkeiten gelernt“ hätten, spricht also gegen die Schuld der Schule und für den Einfluss der Eltern, wenn es um die Erklärung sozial ungleich verteilter Bildungschan-cen der Gegenwart geht. Und wieso man damit „gleich bei Sar-razin“ sein soll, erschließt sich auch nur sehr oberflächlich.

EsbleibtabschließendnureinPlädoyerfüreinWeiter-soderÖP.EinVerkommendiesernotwendiganspruchsvollenZeit-schriftzueinemrechts-konser-vativenPropagandablattschadetsowohlderParteialsauchdenLesern.

Sebastian Fischer �105�Erlangen

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ÖkologiePolitikintern

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Liebe Mitglieder, liebe Freundinnen und Freunde der ÖDP,

auch wenn die Atomkatastrophe von Fukushima offensichtlich vielen deutschen Politikern die Augen über die Risiken der Atom-kraft geöffnet hat – gebannt sind die Gefahren deshalb noch lange nicht. Bis im Jahr 2021 vermutlich das letzte AKW abgeschaltet wird, werden sich viele große und kleine Störfälle ereignet haben, werden Tonnen von Atommüll produziert und Milliarden Subventions-Euro in den Kassen der AKW-Betreiber verschwunden sein.

Wer in dieser Angelegenheit wieder einmal nicht gefragt wurde, sind die Bürgerinnen und Bürger. Zwar spricht sich in Umfragen im-mer eine große Mehrheit für den Ausstieg aus der Atomenergie aus, die Entscheidungen treffen aber andere. Und das, obwohl der Um-bau der Energieversorgung nur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

gelöst werden kann. Wie es anders geht, macht uns

Italien vor: Die Italiener hatten schon kurz nach der Atomkatas-trophe von Tschernobyl in einer landesweiten Volksabstimmung für den Ausstieg aus der Atomen-ergie votiert. Erst vor wenigen Wo-chen stellte Regierungschef Silvio Berlusconi die Atomfrage erneut, in der Hoffnung auf ein Votum pro Atom. Die Italiener machten ihm einen Strich durch die Rechnung, in dem mehr als die erforderlichen 50 Prozent der Bürger zur Wahl-urne gingen und über 90 Prozent gegen Atomenergie stimmten. Im Vorfeld der Abstimmung hatten sich Parteien, Gewerkschaften und sogar die Kirchen an die Bürger gewandt und sie zum Gang an die Wahlurne ermuntert. Das ist für mich ein gelungenes Beispiel da-für, wie sich eine Gesellschaft po-

sitiv gestalten lässt, wenn alle an einem Strang ziehen und auch alle für das Gelingen eines Pro-jekts Verantwortung tragen.

Da gerade wir als ÖDP-Mitglieder uns für unsere Umwelt und für unsere Mit-menschen besonders verantwortlich fühlen, haben die Delegierten des Bundesparteitages im Mai einen Antrag für eine Eu-ropäische Bürgerinitiative (EBI) auf den Weg gebracht. Inhalt der EBI ist der europaweite Ausstieg aus der Atomenergie. Zu diesem Zweck sollen alle gesellschaftlichen Kräfte gebündelt und für diese gute Sache gewonnen werden. Wir sind gerade dabei, erste Gespräche mit verschiedenen Verbänden zu or-

ganisieren. Um eine Europäische Bürger-initiative zum Erfolg zu führen, müssen in der gesamten EU eine Million Unter-schriften aus sieben EU-Ländern gesam-melt werden. Das ist viel Arbeit, die da auf uns zukommt. Wir hoffen natürlich auf

die Unterstützung jedes einzelnen ÖDP-Mitgliedes. Nur wenn wir alle an dieser großen Aufgabe ar-beiten, kann die Zukunft unserer Kinder atomfrei sein.

Es grüßt Sie herzlichIhr

Sebastian Frankenberger

Neues aus dem BundesverbandDr. Claudius Moseler,

ÖDP-General- sekretär

Kontakt:Tel. (0 61 31) 67 98-20,Fax (0 61 31) 67 98-15,

[email protected],www.oedp.de

Liebe Mitglieder der ÖDP,

sehr geehrte Damen und Herren,

bzw. deutlicher definieren wird. Dabei soll an den bisherigen De-batten angeknüpft werden, das Papier „Mut zum Wandel“ und möglicherweise auch das Grund-satzprogramm weiterentwickelt werden. Mit den Beratungser-gebnissen werden sich natürlich die ÖDP-Gremien beschäftigen müssen (Basis, Landesverbände, Bundeshauptausschuss, Bundes-parteitag).

Die Erneuerung des Internet-auftrittes ist einen guten Schritt voran gekommen. Der Bundes-verband ist mittlerweile online gegangen, ebenso wie der Lan-desverband Berlin. Es folgen nun nach und nach die übrigen Lan-desverbände (Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz sind bereits längere Zeit schon online) sowie die Kreisverbände. Dazu

werden die Unterverbände in der nächsten Zeit angesprochen. Eine Webseite soll im Jahr 50 Euro Be-triebs- und Wartungsgebühren für einen ÖDP-Verband kosten, spezielle Sonderwünsche kosten allerdings je nach Aufwand einen Zuschuss. Der Bundesverband verwaltet und betreut alle Web-seiten zentral über das Redakti-onssystem Typo3 und auf Ser-vern der Firma Hetzner.

Darüber hinaus muss der Bundesverband gemeinsam mit den Landesverbänden noch eine geregelte Linie für unser Design und unser Logo finden. Auch in dieser Angelegenheit werden wir auf Sie zukommen.

Ferner sollen Einsparmaß-nahmen im ÖDP-Haushalt umgesetzt werden. Daher ha-ben auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter getagt, um die hauptamtliche Arbeit im Bun-desverband zu analysieren. Diese

Ergebnisse müssen nun mit den Wünschen an Servicebedarf an der ÖDP-Basis und mit Blick auf die allgemeine Strategie bearbei-tet werden.

Die ÖDP hat eine Petition an den Deutschen Bundestag zum Ausstieg aus dem EURATOM-Vertrag erstellt – zeitlich schon weit vor der Atomkatastrophe in Fukushima. Diese Petition, erhielt immerhin 30.000 Unter-schriften, davon ca. 2/3 auf Un-terschriftenlisten. Vielen Dank an alle für die umfangreiche Un-terstützung – vor allem auf den Demos und an den Infoständen.

Für Rückfragen und Anre-gungen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

die Landtagswahlen der ÖDP in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind gelaufen. Die ÖDP konnte sich in beiden Bundesländern hinsichtlich ih-rer Stimmenzahl verdoppeln. Das Ergebnis ist jedoch immer noch zu gering. Die ÖDP muss sich angesichts der neuen poli-tischen Lage noch deutlicher mit ihren Alleinstellungsmerkmalen positionieren. Daher haben der Bundesvorstand und der letzte Bundesparteitag ein ganzes Bün-del an Maßnahmen auf den Weg gebracht, die in diesem Jahr noch umgesetzt und diskutiert werden müssen.

Der Bundesvorstand hat einen fünfköpfigen Arbeitskreis gebil-det, der sich mit der Parteiphilo-sophie und -identität beschäftigt und unseren Markenkern neu

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von 3,9 %, weil die dortige Kreis-tagsfraktion sehr rege ist und der Landtagskandidat Bernd Richter die Wähler(innen) mit seinem engagierten Einsatz für das Kreis-krankenhaus in Schramberg und in zahlreichen Demos im Land-kreis gegen Stuttgart 21 und für die Modernisierung des Stuttgar-ter Kopfbahnhofs (K 21) eintrat. In seiner Stadt Schramberg mit über 22.000 Einwohnern ent-schieden sich sagenhafte 9,3 % für die ÖDP. Der zweitbeste Wahlkreis „Württembergisches Allgäu“ kam auf 3,1 %.

Auch das landesweit beste Er-gebnis in einer Gemeinde lässt sich leicht erklären: In Grün-kraut (Wahlkreis Ravensburg), wo die ÖDP 10,1 % erreichte, war die Landtagswahlkandidatin Christa Gnann nicht nur sehr aktiv, sondern auch vor Ort als Gemeinderätin sehr bekannt. Kurz zuvor erreichte sie als Bür-germeisterkandidatin einen sehr schönen Achtungserfolg. In Aus-nahmefällen wurden aber auch hervorragende Ergebnisse im Wohnort eines Kandidaten oder einer Kandidatin erreicht, der/die nicht durch politische Aktivi-tät glänzte, sondern aus anderen Gründen bekannt und angese-hen ist. Das auffälligste Beispiel ist der kleine Ort Bubsheim im Wahlkreis Tuttlingen, wo der an-sässige Landtagskandidat Volker Kreuzberger ein Handwerksun-ternehmen führt und beachtliche 9,3 % der Stimmen einfuhr.

Sehr zufrieden stellend ist auch die Tatsache, dass wir dank des Wahlkampfs in den sechs Monaten vor der Landtagswahl einen erfreulichen Mitglieder-zuwachs durch über 50 Neuzu-gänge hatten und dass damit die Tausender-Marke im Landesver-

L A N D E S V E R B ä N D E

Baden-Württemberg

Vor allem in ländlichen Gebieten erfolgreich

In der Landtagswahl am 27. März 2011 verdoppelten wir fast die Stimmenzahl von 21.761 aus dem Jahr 2006 auf 42.539 und steigerten uns von 0,5 % auf 0,9 %. Das ist erfreulich, aber mit der 1 vor dem Komma hätten wir Wahlkampfkosten-Rückerstat-tung bekommen.

Viele Mitglieder waren mo-natelang sehr aktiv gewesen. Sie kandidierten, sammelten über 10.000 Unterstützungsunter-schriften, verteilten Faltblätter, plakatierten, organisierten In-

fostände und Veranstaltungen, schrieben Presseerklärungen und Leserbriefe. Ihnen allen und etlichen weiteren aus ande-ren Landesverbänden, die durch ihren Einsatz zur Verbesserung des Ergebnisses beigetragen ha-ben, danken wir an dieser Stelle nochmals ganz herzlich für ihre Mühe.

Landesvorstand, Landespar-teirat und Kreisverbände analy-sierten die Wahlergebnisse lokal und landesweit. Positiv hat sich ausgewirkt, dass wir in 63 von den 70 Wahlkreisen und nicht nur in 56 wie 2006 angetreten sind. Es gab eine ausgeprägte Wechselstimmung von schwarz-gelb („Mappus weg“) hin zu rot-grün bzw. grün-rot. Weil die heißen Wahlkampfthemen Stuttgart 21 und Atomausstieg überzeugend von den Grünen besetzt wurden, gab es für die ÖDP in diesem Bereich wenig zu holen. Dies zeigt insbesondere das Wahlergebnis im Großraum Stuttgart, wo die ÖDP aufgrund zahlreicher Aktivitäten durchaus

zulegte, aber in keinem Wahl-kreis über 0,8 % hinaus kam. Die Grünen dagegen erlebten einen wahren Boom und wurden u. a. in Stuttgart stärkste Partei.

Die Atomkatastrophe in Fu-kushima gab der ökologischen Bewegung insgesamt Rücken-wind. Das hat sich auch für die ÖDP positiv ausgewirkt, aller-dings eher in ländlichen, konser-vativ geprägten Gebieten. Hier wollten zwar viele Bürger(innen) schwarz-gelb nicht mehr wählen, konnten sich aber auch nicht für rot-grün oder grün-rot erwär-men. In dieser Dilemmasituation erschien die Wahl der ÖDP als Ausweg.

Besonders gute Ergebnisse in bestimmten Wahlkreisen las-sen sich allerdings nicht mit der Großwetterlage erklären, sondern

vielmehr mit ganz konkreten Ak-tivitäten vor Ort und mit Kan-didatinnen oder Kandidaten, die den Eindruck vermittelten, ihre Ziele auch wirklich durch-setzen zu können. So erreichte die ÖDP im Wahlkreis Rottweil das landesweite Spitzenergebnis

band übersprungen wurde.Für die ÖDP ergibt sich nach

der Landtagswahl eine gänzlich neue Ausgangslage: Erstmals sind die Grünen nicht nur in der Re-gierung vertreten, sondern stel-len darüber hinaus mit Winfried Kretschmann auch den Minis-terpräsidenten. Schon mit dem Regierungsantritt wird deutlich, dass sich die Grünen gerne als Umweltpartei profilieren wollen, die SPD als Koalitionspartnerin in Umweltbelangen dagegen auf die Bremse tritt. Dabei stehen sowohl die Grünen als auch die SPD vor dem Problem, dass sie einerseits gerne eine liberale und linke Politik durchsetzen wol-len, andererseits aber auch auf konservative Wählerschichten Rücksicht nehmen müssen. We-der wollen sie es sich mit der Bevölkerung im eigenen Land noch mit den anderen Landes-verbänden ihrer eigenen Partei verscherzen. Die Zukunft wird zeigen, ob den großen Worten auch große Taten folgen oder ob der grün-rote Tiger vor lau-ter Kompromissen einen Zahn nach dem anderen verliert und am Ende konturlos wird. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei auch die Schulpolitik, in der die neue Regierungskoalition – im Gegensatz zur ÖDP, die ein gegliedertes Schulsystem fordert – zwar Ganztagsschulen, Ein-heitsschulen und Gesamtschu-len durchsetzen will, sich aber vor dem Widerstand von Eltern und Lehrer(inne)n fürchtet. Als Kompromiss versucht sie nun die Wahl des Schulsystems den Schulen und Eltern frei zu stellen. Dieser eigentlich gut gedachte Ansatz birgt die Gefahr der Zer-splitterung des Schulsystems und läuft somit jedem Bestreben nach Vereinheitlichung entgegen. Der ÖDP als außerparlamentarischer Umweltpartei wird in den nächs-ten Jahren nicht nur die Rolle des Reißnagels im Hintern der etablierten Parteien zukommen, sondern auch die Rolle eines „Wachhundes“, der über die Umsetzung der ambitionierten umweltpolitischen Ziele insbe-sondere der Grünen wacht und zugleich darauf achtet, dass die Gesellschaftspolitik nicht immer weiter auf Abwege gerät.

Information: Matthias [email protected]

Spitzenergebnisse Wahlkreise und Veränderungen LTW 2011

Stimmenanteile der ÖDP (Gemeinden)Landtagswahl am 27. März 2011

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Nordrhein-Westfalen

Mandatswechsel bei der ÖDP in Münster

In der April-Sitzung des Rates der Stadt Münster hat der bisherige Kreisvorsitzende der ÖDP, Franz Pohlmann, das Ratsmandat vom ÖDP-Landeschef Gerd Kersting übernommen. Herr Kersting gab jetzt sein Ratsmandat nach mehr als sechs Jahren ab, da er sich als Landesvorsitzender ganz dem strukturellen Aufbau der ÖDP in NRW widmen will. Die ÖDP sei, wie er meint, seit der letzten Landtagswahl 2010 zwar programmatisch sehr gut auf-gestellt, allerdings muss sie sich strukturell verbessern, um auf den Eventualfall von Neuwahlen vorbereitet zu sein. „Meine Par-teifreunde im Land erwarten von mir das Gleiche, was ich 2004 hier in Münster geschafft habe, nämlich zur nächsten Wahl ei-nen flächendeckenden Antritt mit möglichst vielen Kandidaten in den Wahlbezirken“, so der ehemalige Ratsherr. Im Zuge der derzeitigen Diskussion um die Atomkraft rechnet sich die ÖDP gerade hier in NRW Chancen bei werteorientierten, eher kon-servativen Wählern aus, die die Atomkraft ablehnen.

Pohlmann konnte in den letz-ten Jahren nicht nur politische Erfahrungen als Kreisvorsitzen-der der ÖDP Münster sammeln, sondern auch als sog. sachkun-diger Bürger bzw. seit der letzten Kommunalwahl in 2009 als or-dentliches Mitglied im Umwelt- und Bauausschuss des Rates der Stadt Münster. „Ich möchte Herrn Kersting für seine Leistun-gen als Ratsherr danken und hof-fe, dass ich seine gute Arbeit fort-setzen kann.“, erklärte der neue ÖDP-Ratsherr Pohlmann seine Motivation zum Amtsantritt.

Neugründung

Im bevölkerungsreichsten Bun-desland NRW befindet sich die ÖDP im Aufwind. „Nicht nur dass wir einen leichten Mitglie-derzuwachs verzeichnen. Dar-über hinaus scheinen in NRW die kleinen ÖDP-Pflänzchen, die wir hegen und pflegen, langsam aufzublühen“, freut sich mit dem Landesvorstand NRW jetzt die Landesgeschäftsführerin Sieglin-de Kersting. Des Weiteren trägt die einjährige, finanzielle Unter-stützung des Bundesverbandes

und des Landesverbandes NRW für eine intensive Mitglieder- und Interessentenbetreuung durch einen täglich erreichbaren NRW-Kontakt-Knotenpunkt in der Ge-schäftsstelle in Münster die ers-ten Früchte. Dieses soll sich mit einem weit reichend angelegten Konzept in den nächsten Jahren selber tragen. „Wir sind hoch-motiviert und wollen unserem großen Bruder, den Landesver-band Bayern, gerne nacheifern“,

so Sieglinde Kersting weiter. Nun aber zu den erfreulichen

Ereignissen, denn seit Längerem zeichnet sich ab, dass sich z. B. in Bochum, Paderborn und in Rheine (Münsterland) etwas bewegt. In Rheine (unterstützt vom KV Münster) wird es zu-künftig einen ÖDP-Ortsverband geben, der zur nächsten Kom-munalwahl antreten will. Aus dem tiefschwarzen Paderborn gibt es auch positive Signale von Mitgliedern, die die ÖDP in der Öffentlichkeit vertreten wollen. Dort wird es hoffentlich in na-her Zukunft eine kommunale umweltbewusste Alternative, die ÖDP, geben.

Besonders erfreulich ist aber jetzt die Gründung des neuen Kreisverbands Bochum-Ruhr-Mitte. Kreisvorsitzender ist der 23jährige Bochumer Benjamin Jäger, Familienvater und von Be-ruf Erzieher.

Er hat sich zur Aufgabe ge-macht, die ÖDP in Bochum und im Herzen des Ruhrgebiets zu etablieren. Seine neuen Mitstrei-ter sind der 47jährige Udo Beh-rend und der 62jährige Horst Peltz (s. Foto). Die Grundlage dieser Kreisverbandsgründung war die kontinuierlich Arbeit

der beiden „Dienstältesten“ ÖDP-Aktiven in NRW, die fast 90 jährige Frau Dr. Streitlein-Habekost und Herr Dr. Kir-cher (71 Jahre). Per Treffen im sog. „Freundeskreis der ÖDP Bochum“ haben sie jahrelang Interessierte und Mitglieder der ÖDP zusammengehalten. Unterstützt wurden die beiden alten ÖDPler durch motivie-rende Kontakte der NRW-Lan-desgeschäftsführerin Sieglinde

Kersting. Die Aktivitäten der drei Letztgenannten brach-ten nun den neuen Bochumer Kreisvorsitzenden Jäger auf den Plan. Seine Initiative, alle Mit-glieder in Bochum und Umfeld zu einer Mitgliederversamm-lung einzuladen, fruchtete nun mit der Neugründung des Kreis-verbandes. Die Ernte dieser jah-relang geleisteten Arbeit konn-te nun der Landesvorsitzende Gerd Kersting einfahren. „Als Versammlungsleiter hatte ich das Vergnügen, diesem erfreu-lichen Ereignis beizuwohnen“, erklärte Gerd Kersting nach der Veranstaltung vor den zahlreich erschienenen Mitgliedern. Vor-ranginge Ziele des neuen Bochu-mer Kreisvorsitzenden Jäger sind eine offensive Öffentlichkeitsar-beit durch Infostände und De-mobeteiligung sowie eine neue Internetpräsenz und der damit verbundenen Mitgliederwer-bung. Die Landesgeschäftsstelle und der Landesvorstand NRW werden natürlich mit allen zur Verfügung stehenden Kräften die Bemühungen unterstützen.

Der Landesvorstand möchte hiermit alle NRW-Mitglieder anhalten, sich zu melden, die an diesem Aufwind aktiv mitwirken

v.l.n.r. Udo Behrend (Schatzmeister), Gerd Kersting (Landesvorsitzen-der), Benjamin Jäger (Kreisvorsitzender), Horst Peltz (Schriftführer)

wollen und selber einen Kreis-verband in Ihrer Stadt initiieren wollen. „Wir wollen etwas bewe-gen, bewegen Sie sich mit uns“, ruft Landeschef Gerd Kersting seine Mitglieder in NRW zu neu-en Taten auf.

Kontakt: [email protected]

I M P R E S S U MÖkologiePolitik erscheint viermal im Jahr: Februar, Mai, August, November. Nichtmitglieder und neue Mitglieder können das Journal für 12,- Euro im Jahr abonnieren. Die Online-Ausgabe ist im Mitglieds-beitrag enthalten. Redaktionsschluss der nächsten Aus-gabe ist der 1. September 2011.

HerausgeberÖkologisch-Demokratische ParteiPommergasse 197070 WürzburgTel. (09 31) 4 04 86-0Fax (09 31) 4 04 86-29www.oedp.de

Verantwortliche RedakteureGünther Hartmann (gh) Caroline-Herschel-Straße 23 81829 Mü[email protected]

Florence von Bodisco (fb) Erich-Weinert-Straße 13410409 [email protected]

Mitarbeiter dieser AusgabeUlrich BrehmeProf. Dr. Klaus BuchnerChristiane LüstUrban Mangold

GastautorenAndrea DornischLaura GrossWalter KonradRonald Pabst

InterviewpartnerProf. Dr. Edmund LengfelderProf. Dr. Niko PaechDr. Johannes Resch

Karikatur:Christiane Pfohlmann

Fotosatz und Anzeigenvertriebnaturnah – Agentur und Verlag für Natur und Qualität Inh.: Hans Amann Brahmsstr. 25 93053 Regensburg Tel. (09 41) 46 52 17-60Fax (09 41) 46 52 17-79

Anschrift der RedaktionÖkologiePolitik, Ökologisch-Demokratische ParteiErich-Weinert-Straße 134 10409 BerlinTel. (0 30) 49 85 40 [email protected]

BankverbindungVR-Bank WürzburgBLZ 790 900 00 KtoNr. 74 080

Die Redaktion behält sich die Kürzung eingesandter Beiträge vor. Mit Namen gekennzeichnete Artikel sind nicht unbedingt Meinung der ÖDP oder der Redaktion.

ÖkologiePolitik wird auf 100 % Recycling-Papier gedruckt.

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A K C H R I S T E N U N D Ö K O L O G I E

Evangelischer Kirchentag

Motto:„Da wird auchDein Herz sein”Bundesarbeitskreis „Christen und Ökologie“ der ÖDP auf dem Markt der Möglichkeiten des 33. Evangelischen Kirchentages in Dresden

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Auf positive Resonanz stieß die ÖDP in Dresden. Martin Kempf, Sprecher des Arbeitskreises Christen und Ökologie (links), mit Sebas-tian Frankenberger, ÖDP-Bundesvorsitzender (rechts).

Tipps für Infostände

Immer wieder sind ÖDP-Mitglieder mit dem Problem konfron-tiert, an Infoständen für die ÖDP zu werben. Damit das leichter fällt, ein paar Tipps, die Sie ohne Schwierigkeiten umsetzen kön-nen.1. Kleiden Sie sich ordentlich und bequem, denn nur wer sich wohl fühlt, kann gut auf andere wirken.

2. Achten Sie darauf, dass Sie in jeder Hinsicht angenehm auf andere wirken. Das kann bedeuten, dass sie noch mal kurz Ihre Schuhe putzen müssen, das Deo benutzen oder sich einen Pfeffer-minzkaugummi zwischen die Zähen schieben müssen.

3. Sprechen Sie die Interessenten an, aber unaufdringlich. Am besten mit einem Lächeln oder einem Angebot: „Darf ich Ihnen etwas über die ÖDP erzählen?“

4. Gehen Sie positiv auf Menschen zu und überlegen Sie sich, wie Sie gerne angesprochen werden würden.

5. Achten Sie auf Ihre Körperhaltung. Verschränkte Arme vor der Brust wirken nicht kommunikativ. Besser ist es, die Arme und Hände locker vor dem Körper zu halten und sich gegebenenfalls an einem Flugblatt festzuhalten.

6. Schauen Sie während des Gesprächs Ihrem Gesprächspartner in die Augen, das signalisiert Aufmerksamkeit.

7. Lassen Sie den anderen ausreden und suchen Sie Gemeinsam-keiten (z. B. können Sie an der Einkaufstüte aus dem Bioladen schon mal eine gemeinsame Gesinnung ablesen).

8. Wenn Sie merken, dass das Gespräch sinnlos wird und sich ihr Gegenüber in wirre Verschwörungstheorien verwickelt oder allge-mein auf die politische Lage schimpft, dann geben Sie ihm noch eine Flyer und bedanken sich höfl ich für das Gespräch.

9. Achten Sie auf Ihre Mitglieder am Infostand und „befreien“ Sie Ihren Mitstreiter im Zweifelsfall aus einem zermürbenden Ge-spräch, in dem Sie „ihn dringend etwas fragen müssen.“

10. Seien Sie ehrlich zu sich selbst: Mancher ist eine echte „Ram-pensau“ am Infostand, andere arbeiten lieber im Hintergrund oder kleben Plakate. Machen Sie einfach das, was Ihnen liegt. Nie-mand hat auf jedem Gebiet Talente. (fb)

Mehr Infos bekommen Sie von unserem Mitarbeiter Martin Eichler, der gerade an einem Leitfaden für Infostände arbeitet. ([email protected])

Die ÖDP hat sich am 33. Evangelischen Kirchentag

vom 01. – 05. Juni mit einem Stand auf dem Markt der Mög-lichkeiten beteiligt. Am Markt-stand ergaben sich sehr viele neue Kontakte und es gab Gelegenheit zu interessanten Gesprächen. Viele Besucher waren bereit, ihre Forderungen an die Politik per Videobotschaft aufnehmen zu

lassen und diese Beiträge auf der Homepage der ÖDP (www.oedp.de) zu veröffentlichen.

Der Vorstand des AK „Chris-ten und Ökologie“ war während der Öffnungszeiten am Stand präsent und wurde unterstützt von einigen Mitgliedern des Bundesvorstandes und haupt-amtlichen Mitarbeitern des Bundesverbandes sowie ÖDP-

Mitgliedern aus Sachsen und Ba-den-Württemberg.

Der ÖDP-Bundesvorsitzende, Sebastian Frankenberger, prä-sentierte am Freitagmittag ein szenisches Spiel zu den „Skla-vengleichnissen Jesu“ auf der Marktbühne des Marktbereiches 2. Er machte deutlich, dass sich die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Menschen leider nicht sehr verändert haben und es wei-terer Bemühungen bedarf, um

der Achtung der Menschenwür-de Geltung zu verschaffen. Lei-der war die Publikumsresonanz – wegen der ungünstigen Wit-terung – nicht so gut, wie es das Anliegen von Sebastian verdient hätte.

Die Resolution zum Ausstieg Deutschlands aus dem Euratom-Vertrag, für die am Marktstand Unterschriften gesammelt wur-de, fand leider nicht die notwen-dige Unterstützung von 3000 Personen, die notwendig gewe-sen wären, um sie als Resolution des Kirchentages an die Politik verabschieden zu lassen. Das An-liegen selbst bleibt aber unver-ändert aktuell und wird von der ÖDP weiter als EU-weites Bür-gerbegehren betrieben.

Walter KonradKontakt: [email protected]

B U C H T I P P

Wenn Sie mehr darüber wissen möchten, wie Sie eine positive Ausstrahlung bekommen können, empfehle ich Ihnen das Buch: Das Geheimnis der positiven Ausstrah-lung aus dem Mankau-Verlag. Die Autorinnen Carolin Lüdemann und Kathrin Emely Springer zeigen hier Schritt für Schritt auf, wie leicht es sein kann, auf andere positiv zu wirken. Es geht in diesem Buch weniger um äußere Schönheit, sondern vielmehr darum, wie innere Schönheit, Optimismus und Authentizität nach außen strahlen können. Ein Kapitel befasst sich auch mit den Tücken der verba-len und nonverbalen Kommunikation und eignet sich insbeson-dere für ÖDP-Mitglieder, die Verantwortung als Mandatsträger oder Vorsitzende tragen.

Carolin Lüdemann, Kathrin Emely SpringerDas Geheimnis der positiven AusstrahlungSympathisch, souverän und selbstbewusst in sieben SchrittenMankau-Verlag, 2011, 158 Seiten, 12.95 Euro, 978-3-938396-76-6

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35ÖkologiePolitik151–August2011

Ö D P I N A K T I O N

Junge Ökologen

Lassen Sie sich überraschen!

Nachdem die letzte Hauptver-sammlung sehr erfolgreich ver-lief, sind nun tiefgehende Um-wälzungen innerhalb der JÖ in Gange. Kurzfristig haben wir die nächste Hauptversammlung be-reits für Samstag den 30.07.2011 in Ingolstadt angesetzt. Dort sol-len die abschließenden Beschlüs-se getroffen werden.

Bitte gestatten Sie mir, dass ich Sie noch etwas auf die Folter spanne. In der vorliegenden Aus-gabe der ÖP finden Sie diesmal auch keine weiteren Artikel von der und über die JÖ.

Dafür kann ich Ihnen schon jetzt eine besondere Attraktion für das nächste Heft verspre-chen.

Die „Jungen Ökologen“ arbei-ten bereits fleißig daran, lassen Sie sich überraschen!

Martin Eichler

Kontakt: JÖ-BundesgeschäftsstelleKalteneggolsfeld 6 91332 Heiligenstadt Tel. (0 91 98) 99 76 88Fax (0 91 98) 99 76 [email protected]

Botulismus

Betriebe dürfen nicht allein gelassen werden

ÖDP-Chef Frankenberger beim Pressetermin.

Bei einem Pressetermin zum The-ma „Chronischer Botulismus“ am 24.05.2011 in Gerstetten, Landkreis Heidenheim, forderte Sebastian Frankenberger, Bun-desvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) endlich wirkungsvolle Unterstüt-zung für die vom chronischen Botulismus betroffenen landwirt-schaftlichen Betriebe ein. Fran-kenberger erneuerte damit, eine bereits im vergangenen Jahr vom ÖDP-Bundesarbeitskreis Land-wirtschaft, Tierschutz & Gen-technik geäußerte Kritik, wonach Behörden das mögliche Ausmaß dieser seuchenhaften Erkrankung noch nicht erkannt haben, nicht erkennen dürfen/wollen oder be-wusst verharmlosen.

Die ebenfalls an dieser Veran-staltung teilnehmenden Vertreter der Interessengemeinschaft Botu-lismus und die anderen Veranstal-tungsteilnehmer unterstrichen in

ihren Stellungnahmen die Bri-sanz dieses Themas. Auslöser für den chronischen Botulismus ist das Bakterium Clostridium Bo-tulinum. Weit über 1.000 Land-wirtschaftliche Betriebe seien vom chronischen Botulismus betroffen, mit stark steigender Tendenz. Gerade für bäuerliche Klein- und Mittelbetriebe bedeu-te die Krankheit in vielen Fällen das finanzielle Aus. Auch sind der Interessengemeinschaft Botulis-mus zwischenzeitlich eine ganze Reihe an Fällen bekannt, bei de-nen die Erkrankung sogar von den Tieren auf Menschen über-gangen ist. Gerade in Hinblick auf die gesundheitlichen Ge-fahren für Menschen und Tiere fordert ÖDP-Chef Frankenberger mehr Unterstützung seitens den Regierungen und Behörden: „Die Bauern dürfen mit dem Problem nicht länger allein auf sich gestellt bleiben“.

ÖDP-Landeschef Gerd Kersting bei der Initiative rauchfreie Sportler

Zum Weltnichtrauchertag am 31. Mai war der nordrhein-westfä-lische ÖDP-Landesvorsitzende Gerd Kersting zu Gast bei der Ini-tiative Sportler pro rauchfrei in Emsdetten. Er vertrat dort ÖDP-Chef Frankenberger, der ein Grußwort verlesen lies. Kersting und Frankenberger waren sich einig, wie wichtig es sei, gerade junge Menschen beim Nichtrau-chen zu unterstützen und damit zum Gesundheitsschutz aller bei-zutragen.

In eigener Sache: Umfrage zu ÖkologiePolitik

Liebe Leserinnen, liebe Leser,aus Platzgründen werden wir die ausführliche Auswertung der Umfrage erst im nächsten Heft veröffentlichen. An dieser Stelle möchten wir Ihnen jedoch einige Zitate von den Lesern präsen-tieren:

n „Ich lese einfach gerne die ÖP.“n „Ich wünsche mir mehr Mitgliederportraits.“n „Ich finde die Zeitung sehr gelungen und lese tagelang darin!“n „Ich wünsche mir eine Rubrik „Fakten“, in der kurz und knapp Themen erklärt werden.“n „Gute Aktionen von Kreisverbänden sollten veröffentlicht wer- den, damit auch andere davon profitieren können.“ n „Die Titelthemen sind meistens interessant und fundiert.“n „Bitte Texte nicht grau unterlegen, das ist schwer lesbar für Seh- schwache.“n „Ich wünsche mir mehr Offenheit und Ehrlichkeit auch bei Pro- blemthemen.“n „Herzlichen Dank, die ÖP ist insgesamt echt toll.“

ÖDP-Mitglieder demonstrieren für Tierschutz

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eff Mitte Mai demonstrierten zahl-

reiche ÖDP-Mitglieder in Köln für mehr Tierschutz. Mit origi-nellen Kostümen machte insbe-sondere der Bundesarbeitskreis Tierschutz, Gentechnik und Landwirtschaft auf sich auf-merksam. Hier rechts im Bild, Uta Maria Jürgens, die Spreche-rin des Arbeitskreises. Wer sich hinter den Kostümen verbirgt, ist der Redaktion leider nicht be-kannt.

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Page 36: Das ÖDP-Journal ÖkologiePolitik · liche Debatte hinter sich hat, die dann nach Fukushima derart hochkochte, dass die Bundesregierung in Rekordzeit eine 180-Grad-Wende vollzog,

Ökologisch-Demokratische Partei – Bundesgeschäftsstelle Pommergasse 1 – 97070 WürzburgPostvertriebsstück – Entgelt bezahlt – B 46795Bei Unzustellbarkeit, Mängel in der Anschrift und Umzug, Anschriftenberichtigungskarte!

B 46795V O R S C H A U

ÖkologiePolitikim November 2011

D I E L E T Z T E S E I T E

I N K Ü R Z E... von Ulrich Brehme

WahlrechtsreformAlle paar Jahre das gleiche Ritual: Die Bürger dürfen wählen ge-hen und geben dabei im wahrsten Sinne des Wortes ihre Stimme ab. Stuttgart 21 hat deutlich gezeigt, dass sich eine tiefe Unzufrie-denheit über den Zustand unseres politischen Systems entwickelt und angestaut hat. Die „Wut-Bürger“ sind nicht unpolitisch, aber sie sind tief enttäuscht vom politischen Establisment, von dessen Realitätsferne, Arroganz, Klüngelei und Selbstbedienungsmenta-lität. Die Wahlbeteiligung geht seit 25 Jahren immer weiter zu-rück, ebenso die Mitgliederzahlen in den Parteien. Nähert sich die Demokratie ihrem Ende? „Das Heil der Demokratie“, sagte der spanische Philosoph José Ortega y Gasset einmal, „hängt von einer geringfügigen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht.“ Was sollte sich an unserem Wahlrecht ändern? Was muss gesche-hen, damit sich unsere Demokratie neu belebt?

CO2-Ausstoß

auf RekordniveauNie zuvor hat es weltweit einen so hohen CO2-Ausstoß gegeben wie im Jahr 2010. Die Emissio-nen sind nach Berechnungen der Internationalen Energie- agentur (IEA) auf 30,6 Mrd. Ton-nen gestiegen – eine Zunahme um 5 % im Vergleich zum bis-herigen Rekordjahr 2008. Etwa 80 % der Emissionen stammen aus bestehenden oder im Bau befindlichen Kraftwerken: 44 % aus der Verbrennung von Koh-le, 36 % aus der von Erdöl und 20 % aus der von Erdgas. Die Erreichung des 2-Grad-Ziels bis zum Jahr 2050 ist damit massiv gefährdet.

Quelle: dpa 31.05.2011

Gentechnik verunreinigt SaatgutBereits 7 % des konventionellen Saatguts sind gentechnisch ver-unreinigt, soviel wie noch nie zu-vor. Die zuständigen Kontrolleure entdeckten in 29 von insgesamt 417 Maisproben gentechnisch veränderte Organismen. Damit ist der Anteil in relativ kurzer Zeit rasant gestiegen: 2008 lag er erst bei 2,1 %, 2010 schon bei 6,2 %. Diesmal wurde das verunreinigte Saatgut rechtzeitig aus dem Ver-kehr gezogen. Im vergangenen

Jahr war verunreinigter Mais in sieben Bundesländern ausgesät worden und musste vernichtet werden. Betroffen war eine Flä-che von fast 3.000 ha. Die meis-ten Verunreinigungen fanden die Kontrolleure in Bayern (7,9 %), Niedersachsen (10 %) und Schleswig-Holstein (55,6 %).

Quelle: AFP 03.05.2011

Ein Drittel aller Wälder vernichtetVon den 1,3 Mio. Tier- und Pflan-zenarten leben etwa zwei Drittel in Wäldern. In den vergangenen 8000 Jahren hat die Erde 35 % ihrer Waldfläche ein-gebüßt. Nach dem ak-tuellen Wald-Index der Naturschutzorganisa-tion World Wide Fund For Nature (WWF) be-tragen die bewaldeten Flächen heute 4 Mrd. ha. Der Waldverlust beträgt momentan 13 Mio. ha/Jahr, was der Fläche Griechenlands entspricht. Während in der Vergangenheit vor allem in den Gebieten der heutigen Industrie-nationen Wald mas-senhaft gerodet wurde, findet der Verlust heute nahezu ausschließlich in den tropischen Re-

gionen statt. Ursache ist vor allem die Nachfrage nach Holz, Agrargütern und Fleisch in den USA und Europa.

Quelle: sonnenseite.com 23.05.2011

Genpflanzen-Gift im Blut SchwangererEine Studie aus Kanada weist das Vorkommen eines Giftstoffs aus Gentechnik-Pflanzen im menschlichen Blut nach. Die Behauptung, das Gift würde im menschlichen Verdauungstrakt zersetzt, ist somit widerlegt. Die Gesundheitsrisiken beim Verzehr des Toxins sind wissenschaftlich nachgewiesen. Das Gift wirkt gegen bestimmte Insekten. Seine Produktion ist im Erbmaterial der Pflanzen angelegt. Über die Nahrungskette gelangt es in den menschlichen Körper. Bei den in der Studie untersuchten 69 Frau-en und Föten wurde es in 93 % aller Blutproben von schwange-ren Frauen und in 80 % aller Na-belschnurproben entdeckt.

Quellen: keine-gentechnik.de 20.05.2011, AZ 31.05.2011

Radioaktivität in und um Fukushima

Den Betreiberangaben zufolge dürfte in den Reaktoren 1, 2 und 3 der größte Teil der Brennstäbe bereits 60 bis 100 Stunden nach dem Beben am 11.03.2011 ge-schmolzen und auf den Boden der Druckbehälter gelaufen sein. Für die Präfektur Fukushima setzte die Nukleare Sicherheits-kommission (NSC) die Strah-lengrenzwerte für Kinder auf den Wert hoch, der in Deutschland für AKW-Mitarbeiter gilt, damit die Kinder nicht evakuiert wer-den müssen. Nahe der Meerwas-seraufnahme des AKW wurde ra-dioaktives Strontium gefunden, dessen Konzentration bis zum 240-fachen über der erlaubten Höchstgrenze liegt. In 1,7 km Entfernung wurde im Boden Plutonium nachgewiesen, hun-derte von Kilometern entfernt in dort angebautem Grünen Tee ra-dioaktive Strahlung gemessen.

Quellen: tagesschau.de 24.05.2011, Spiegel 21.04.2011, dpa 12.06.2011, Japan

Times 06.06.2011, dpa 04.06.2011

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