51

Das Ende von Yarden

Embed Size (px)

Citation preview

Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 216

Das Ende von Yarden

Vargo zerstört seine Schöpfung -die Eisige Sphäre vergeht

von H. G. Ewers

Im Großen Imperium der Arkoniden steht es nicht zum Besten, denn es muß sichsowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren.

Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Im-periums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Fein-de Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Impera-tor Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemein-wohl völlig außer acht lassen.

Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßigeThronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver-schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge-gangen.

Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen denUsurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen, denn durch dieEinwirkung einer Geheimwaffe der Maahks ist er erneut in den Mikrokosmos gelangt,wo Ischtar, die Goldene Göttin, und seine alten Kampfgefährten Fartuloon, Corpkorund Eiskralle auf der Suche nach ihm ebenfalls eingetroffen sind.

Der Gesuchte und die Suchenden treffen als Gefangene in Yarden, der EisigenSphäre, zusammen, Vargos künstlicher Schöpfung, die den Angelpunkt zwischen Mi-kro- und Makrokosmos darstellt.

Atlan und seine Gefährten kämpfen um ihre Freiheit – und sie erleben DAS ENDEVON YARDEN …

Die Hautpersonen des Romans:Atlan, Fartuloon, Corpkor, Eiskralle, Ischtar, Crysalgira und Chapat - Gefangene der EisigenSphäre.Vargo - Ein Erfinder wird zum Zerstörer.Magantilliken - Der Henker läuft Amok.Rinecco - Ein Valtor.

1.

Der Grundriß des Raumes war quadra-tisch, die Wände bestanden aus massivemStahl und das Mobiliar war so dürftig undprimitiv, daß ein sensibles Lebewesen beilängerem Aufenthalt allmählich den Ver-stand verlieren würde.

Fartuloon, Eiskralle und Ischtar saßen aufharten Stühlen um den einzigen Tisch herumund beobachteten Corpkor, der einer seltsa-men Beschäftigung nachging.

Der Tiermeister und ehemalige Kopfjägerkauerte vor einem Lüftungsgitter der Klima-anlage, aus dem beständig ein kühler Luft-zug strich. Seit einiger Zeit war durch dasLüftungsgitter außerdem ein Rascheln undPfeifen gekommen, das sich in unregelmäßi-gen Abständen wiederholte und einmal nä-her kam und sich dann wieder entfernte.

Corpkor hatte nur ahnen können, daß die-se Geräusche von Tieren verursacht wurden,die sich gegen den Willen der Bewohner desPulks in den Raumschiffen und Gängen ein-genistet hatten und ein Schmarotzerdaseinführten.

Seine Vermutung war erst vor wenigenAugenblicken bestätigt worden, als einesdieser Tiere seine spitze Schnauze durch dasGitter gesteckt und ihn aus schwarzenKnopfaugen gemustert hatte. In dem Halb-dunkel hinter dem Gitter waren der unter-armlange, mit dunkelgrauem Fell bedeckteKörper und der lange nackte Schwanz nurundeutlich zu sehen.

Aber das erschien dem Tiermeister halbso wichtig. Für ihn war es bedeutungsvoll,daß er den Vertreter einer Tierart vor sichsah, die anscheinend ungehinderten Zugangzu allen Korridoren, Lagerräumen, Verbin-

dungsröhren und sonstigen Örtlichkeiten desriesigen Pulks in der Eisigen Sphäre hatte.

Eine Weile musterten sich das Tier undder Mann, während sie in Schweigen undRatlosigkeit verharrten. Dann spitzte Corp-kor die Lippen und stieß einen leisen Pfiffaus, der große Ähnlichkeit mit den Pfiffenhatte, die lange vorher aus dem Schacht derKlimaanlage zu hören gewesen waren, derin dem Gefängnis der vier Personen münde-te.

Das Tier zuckte zusammen. Sein nackter,rosafarbener Schwanz wischte einmal vonrechts nach links über den Boden. Doch esergriff nicht die Flucht, was der Tiermeisterals ersten Erfolg für sich verbuchte.

Er besaß große Erfahrung im Umgang mitTieren aller Art, angefangen von giganti-schen Raubechsen und behäbigen Pflanzen-fressern, bis zu Schlangen, Insekten, Na-gern, Vögeln und Würmern. Das Wichtigste,um das Vertrauen eines beliebigen Tieres zugewinnen und damit die Basis für kooperati-ves Verhalten zu schaffen, war, sich auf sei-ne Psyche einzustellen und anschließend dienatürliche Fluchtdistanz nach und nach ab-zubauen.

Da Corpkor es bei diesen Nagern – dennNager waren es, wie er an den Zähnen er-kannte – mit Tieren zu tun hatte, die sichmittels akustischer Signale verständigten,versetzte er sich in völlige Reglosigkeit,schloß dadurch optische Reize bei seinemGegenüber aus und probierte die akustischaufgenommene Skala der artspezifischenVerständigungssignale durch.

Schon nach kurzer Zeit erwiderte das Tiereinen von Corpkors Pfiffen. Damit war derAnfang einer Rückkoppelung gemacht, derVorbedingung einer Zusammenarbeit zwi-schen zwei verschiedenartigen Lebewesen

Das Ende von Yarden 3

mit sehr unterschiedlicher Intelligenz, wobeidie Unterschiede in der Intelligenz nachCorpkors Überzeugung nicht absolut quali-tativ gesehen werden durften, sondern im-mer auf die jeweilige Umwelt bezogen wer-den mußten.

Vielleicht war es diese Überzeugung, diees dem Tiermeister erst ermöglichte, sich indie Psyche artfremder Lebewesen einzufüh-len und Zutrauen und Bereitschaft zur Ko-operation zu ernten.

Es dauerte ungefähr zwei Stunden, bisCorpkor die Skala der Verständigungssigna-le der Nager so gut beherrschte, daß er aufihr wie auf einer Computertastatur spielenund die von ihm gewünschten Ergebnisse er-zielen konnte. Inzwischen hatten sich jen-seits des Lüftungsgitters mehr und mehr derTiere versammelt und wären nacheinanderin das Rückkopplungssystem einbezogenworden.

Der Tiermeister wollte gerade dazu über-gehen, das Ergebnis seiner Bemühungen inpraxisbezogene Aktionen umzusetzen, alsdie Tür des Gefängnisses sich öffnete. So-fort huschten die Nager davon.

Corpkor drehte sich unwillig um – undstand auf, als er sah, daß der Vargane, derihr Gefängnis betreten hatte, in einer ver-schwörerischen Geste einen Finger an seineLippen legte. Außerdem trug er ein dick ver-mummtes Bündel unter dem Arm.

Ischtar war beim Eintritt des Varganenund beim Anblick des Bündels wie elektri-siert hochgefahren und hatte den Mund zueinem Schrei geöffnet. Angesichts der ver-schwörerischen Geste des Mannes unter-drückte sie ihren Aufschrei jedoch.

Der Vargane schloß die Tür hinter sich,lächelte und reichte Ischtar das Bündel.

Sie nahm es und wickelte es teilweise auf.Als das Gesicht ihres Sohnes sie anblickte,drückte sie das Bündel an sich und bedecktedas kleine Gesicht mit Küssen.

Dann wandte sie sich an ihre Gefährten.»Chapat! Es ist Chapat, mein Sohn!«

stammelte sie.

*

Fartuloon erhob sich ebenfalls, trat nebenIschtar und musterte das Gesicht des Säug-lings.

»Er ist seinem Vater wie aus dem Gesichtgeschnitten«, bemerkte er. Dann musterte erden Varganen, der Chapat gebracht hatte.»Woher hast du den Kleinen – und werschickt dich?« fragte er.

»Vargo hat mir Chapat übergeben undmich beauftragt, ihn zu seiner Mutter zubringen«, antwortete der Mann. »Ich soll Ih-nen ausrichten, daß Vargo auch mit AtlanKontakt aufgenommen hat und daß es demArkoniden gut geht.«

»Wo ist Atlan?« fragte Ischtar.»Er befindet sich ebenfalls in einem

Schiff des Pulks«, berichtete der Vargane.»Und zwar zusammen mit einer arkonidi-schen Prinzessin. Ich glaube, Crysalgiraheißt sie.«

Die Augen der Goldenen Göttin funkel-ten.

»Zusammen mit einer arkonidischen Prin-zessin?« Ihre Stimme bebte vor Eifersucht.»Wenn dieses Weib ihn verführt hat, kratzeich ihr die Augen aus!«

»Aber Crysalgira ist sehr nett«, teilte Cha-pat ihr auf telepathischem Wege mit.

»Um so schlimmer!« brauste Ischtar auf,die im ersten Moment glaubte, ihr Sohn hät-te akustisch zu ihr gesprochen.

»Was ist um so schlimmer?« erkundigtesich der Bote verwirrt.

»Daß diese Crysalgira sehr nett sein soll«,erwiderte Ischtar. Im nächsten Moment be-griff sie, daß außer ihr niemand gehört hatte,was Chapat ihr übermittelte. Sie preßte dieLippen zusammen.

»Aber niemand hat behauptet, die Prin-zessin wäre sehr nett«, meinte der Vargane.

»Schon gut!« sagte Ischtar. »Ich habeeben nur laut gedacht.« Sie ignorierte dieprüfenden Blicke ihrer Gefährten, wiegteChapat auf ihren Armen und ging zumTisch, um den Säugling auszuwickeln und

4 H. G. Ewers

eventuell trockenzulegen.Fartuloon nahm unterdessen dem Boten

einen Beutel mit Babynahrung und frischenWindeln ab, dann fragte er:

»Warum hat Vargo uns keine Waffen be-sorgt? Er hatte versprochen, uns unsere Aus-rüstung wiederzubeschaffen.«

»Vargo hat selbst mit Schwierigkeiten zukämpfen«, antwortete der Vargane. »Er läßtIhnen jedoch ausrichten, daß er sich bemüht,Sie zu unterstützen. Darf ich jetzt wieder ge-hen?«

»Einen Augenblick noch!« rief Eiskralle.Der Vargane wandte sich nur zögernd zu

Eiskralle um. Der Anblick dieses seltsamenWesens schien Urängste in ihm zu wecken.Als Eiskralle mit seinen eisartigen Händenauf ihn zeigte, erschauderte er.

»Wenn Sie mit dem Baby hereingekom-men sind, dann stehen doch sicher Wachendraußen, die mit Vargo sympathisieren«,sagte Eiskralle. »Warum kann dann nicht je-mand von uns mit Ihnen hinausgehen?«

»Es stimmt zwar, daß die Wachen mitVargo befreundet sind«, gab der Bote zu-rück. »Aber sie würden niemanden von Ih-nen hinauslassen, denn sie fürchten einegrausame Bestrafung, falls durch ihreSchuld ein Gefangener entkäme.«

»Wenn wir unsere Ausrüstung bekämenund Vargo unterstützten, brauchten die Wa-chen keine Bestrafung zu fürchten«, erklärteEiskralle grimmig. »Ich möchte mit ihnenreden.«

»Ich denke, das wäre sinnlos«, mischtesich Corpkor ein, der bisher geschwiegenhatte. »Außerdem habe ich andere Pläne.«Er wandte sich an den Boten. »Wie heißendie Nagetiere, die überall in den Schiffenund Verbindungsgängen des Pulks herum-wimmeln?«

»Wir nennen sie die Valtoren«, antworteteder Vargane. »Sie sind eine schrecklichePlage für uns, denn sie vernichten immerwieder kostbare Vorräte, nagen die Isolatio-nen von Leitungen durch und verschmutzendie Wassertanks mit ihrem Kot.«

Corpkor lächelte befriedigt.

»Sie sind also tatsächlich überall im Pulkanzutreffen – und ihre Bekämpfung ist bis-her gescheitert?«

»Na, ja«, meinte der Vargane. »Eigentlichwurden sie nie richtig bekämpft. Wir habenuns eben damit abgefunden, daß es sie gibt.«

»Danke, das genügt«, sagte der Tiermei-ster. »Richten Sie Vargo unsere Grüße ausund sagen Sie ihm, er möchte Waffen undAusrüstung bereit halten, für den Fall, daßeinem von uns der Ausbruch gelingt.«

Der Bote schaute ihn verwundert an.»Aber Ihr Gefängnis ist absolut ausbruch-

sicher.«»Es gibt kein absolut sicheres Gefängnis«,

entgegnete Corpkor. »Werden Sie veranlas-sen, daß Vargo unsere Wünsche erfüllt?«

»Selbstverständlich«, sagte der Vargane.Als er gegangen war, richteten sich die

Blicke von Fartuloon, Eiskralle und Ischtarauf den Tiermeister.

»Du willst die Valtoren zu deinen Helfernmachen, nicht wahr?« fragte Fartuloonschließlich.

Corpkor nickte.»Das will ich – und ich denke, daß es mir

gelingt. Du und Eiskralle, ihr solltet dieelektronischen Wachsysteme unseres Ge-fängnisses, falls welche vorhanden sind, su-chen, lokalisieren und definieren. Ich hoffe,meine Valtoren dazu bewegen zu können,diese Anlagen lahmzulegen.«

*

Ischtar fütterte ihren Sohn und beobachte-te dabei ihre Gefährten, die ihre Aktionensystematisch vorbereiteten.

Corpkor kümmerte sich weder um Ischtarnoch um Fartuloon und Eiskralle. Er riefdurch Pfeifsignale die Valtoren herbei, mitdenen er bereits Kontakt gehabt hatte. DerValtor, der sich zuerst hinter dem Lüftungs-gitter bemerkbar gemacht hatte, schien eineführende Stellung unter seinesgleichen ein-zunehmen. Der Tiermeister nannte ihn Ri-necco, nach einer alten arkonidischen Tier-sage.

Das Ende von Yarden 5

Nach einiger Zeit hatte er Rinecco darangewöhnt, auf seinen Namen zu hören. Ri-necco seinerseits sorgte dafür, daß seine Art-genossen ihre Scheu vor dem riesigen zwei-beinigen Lebewesen verloren und vermittel-te zwischen dem Tiermeister und ihnen.Zweifellos übernahm er die Rolle des Ver-mittlers nicht aus uneigennützigen Motiven.Er wollte seinen Rang als Anführer nicht anCorpkor abtreten; deshalb sorgte er dafür,daß seine Artgenossen ihre Befehle nichtvon Corpkor direkt erhielten, sondern überihn.

Corpkor seinerseits respektierte den Wil-len Rineccos zur Behauptung seines Ranges.Das sicherte ihm nicht nur die Freundschaftdes Anführers, sondern es war für ihn auchleichter, sich dem intelligentesten Tier derGruppe verständlich zu machen als jedemeinzelnen Valtor.

Nachdem er soweit war, fing für ihn derschwierigste Teil seiner Aufgabe an. Es galt,den Valtoren begreiflich zu machen, daß eretwas von ihnen wollte, was er ihnen nichtdirekt zeigen konnte. Bei Lebewesen, dieganz auf Anschaulichkeit angelegt sind unddenen abstraktes Denken völlig fremd ist,stellt das immer ein schwieriges Problemdar.

Da auch der Tiermeister keine Wundervollbringen konnte, mußte er Schritt fürSchritt vorgehen. Zuerst besorgte er sich einKleidungsstück Chapats, von dem er an-nahm, daß Atlan es irgendwann in den Hän-den gehabt hatte. Dieses Kleidungsstückhielt er Rinecco vor.

Rinecco schnupperte daran, dann stieß erseine Schnauze durch das Gitter und beweg-te die Nase heftig schnüffelnd, während ersie auf Chapat richtete.

Corpkor gab durch zwei Pfiffe eine Beja-hung und eine Verneinung bekannt. Das ver-wirrte den Valtor erwartungsgemäß, abernach und nach gelang es dem Tiermeister,dem Valtor beizubringen, daß er die Quelledes gleichartigen Geruchs nicht bei Chapat,sondern in einer weit entfernten Gegend auf-spüren sollte.

Was Corpkor vollbrachte, war eine Mei-sterleistung der Dressur, aber es ließ sichnicht nur mit Dressur allein erklären. Tierezu dressieren, ist eine Sache unendlicher Ge-duld und vieler Tage, Wochen oder gar Mo-nate. Corpkor schaffte das, wozu ein anderervielleicht sechs Wochen intensiver Arbeitgebraucht hätte, nur deshalb in wenigenStunden, weil er eine geniale Begabung be-saß, auf ein Tier einzugehen und in ihm Ko-operationsbereitschaft in höchstem Maße zuaktivieren.

Vielleicht spielte sogar eine Art Telepa-thie mit, aber darüber äußerte sich der Tier-meister nie. Wahrscheinlich war es auch kei-ne Telepathie im Sinne von Gedankenüber-tragung, sondern nur eine Fähigkeit, sich aufden sechsten Sinn eines Tieres einzustim-men, der fast allen technisch orientierten In-telligenzen verschlossen bleibt.

Jedenfalls schaffte Corpkor es, den Valto-ren beizubringen, daß sie sich in immer wei-teren Kreisen auf die Suche nach jemandemmachen sollten, dem der übermittelte Ge-ruch anhaftete. Aber das war längst nicht al-les. Er brachte es sogar fertig, daß die Tieresich anfassen ließen, so daß er ihnen anHalsbändern, die er aus zerrissenen Plastik-tüchern anfertigte, schriftliche Botschaftenan Atlan mitgeben konnte.

Rinecco unterstützte den Tiermeister da-bei, indem er seine Artgenossen dicht genugans Lüftungsgitter drängte und sie anfauch-te, wenn sie vor Corpkors Hand zurückwei-chen wollten.

Nachdem drei der Valtoren mit einerNachricht versehen worden waren, trieb ihrAnführer sie auf den Weg. Danach kehrte erzum Lüftungsgitter zurück, schob seineSchnauze hindurch und stieß mit ihr vertrau-ensvoll an Corpkors Hand.

Der Tiermeister lächelte.»Braver Bursche!« lobte er. »Sobald die

Wächter die nächste Mahlzeit gebracht ha-ben, sollst du meine Ration bekommen. An-schließend ruhen wir uns aus. Aber späterhabe ich noch weitere, größere Pläne mitdir.«

6 H. G. Ewers

2.

Als die Videoprojektion des Himmelseinen Sonnenuntergang simulierte, begabenCrysalgira und ich uns zu einer der Hütten,die in der paradiesischen Landschaft stan-den.

Die Varganinnen und Varganen, die sichbereithielten, um uns als Fortpflanzungspart-ner zu dienen, sobald wir dazu bereit waren,schauten uns nach. Doch sie waren tatsäch-lich gut erzogen beziehungsweise geschultworden. Sie waren niemals aufdringlich,sondern hielten sich zurück.

Natürlich hatten sowohl Crysalgira alsauch ich zahlreiche glutvolle Blicke vonFrauen und Männern aufgefangen. Doch daswar ganz natürlich. Immerhin war die Prin-zessin eine außergewöhnlich schöne Frau,und ich wußte aus einigen Erfahrungen, daßFrauen beim Anblick eines hochgewachse-nen durchtrainierten Mannes, dessen Gesichtund Bewegungen den Abenteurer verrieten,sehr schnell schwach zu werden pflegten. Sogesehen, mußten wir die betreffenden Blickeals Komplimente auffassen.

Mir gelang das, vielleicht, weil Männerdas Umschwärmtsein brauchten, auch wennsie eine feste Bindung eingegangen sind undgar nicht beabsichtigen, sie zu brechen.Frauen haben größtenteils auch nichts gegenbewundernde Blicke, aber wenn sie sich ge-fühlsmäßig bei einem Mann stark engagierthaben, empfinden sie zu intensives Augen-flirten schon als aufdringlich.

Jedenfalls fauchte Crysalgira wie eineKatze, als wir die Hütte betraten.

»Diese lüsternen Kerle haben sich ver-rechnet!« schimpfte sie. »Wenn mir einer zunahe tritt, werde ich ihm jeden Knochen imLeib einzeln brechen.«

Ich legte einen Arm um ihre Taille und lä-chelte sie beruhigend an.

»Du tust diesen Männern Unrecht, Klei-nes. Sicher, sie begehren dich, aber aus ihrenBlicken haben eher Verehrung und Werbunggesprochen, nicht plumpe Lüsternheit. Wo-

mit ich nicht sagen möchte, daß du ihremWerben nachgeben sollst. Im Gegenteil, ichwerde alles tun, um dich davor zu bewahren,Zuchtmutter eines neuen Varganenge-schlechts zu werden.«

Crysalgira drückte ihren Kopf an meineBrust.

»Du bist so gut, Atlan. Ich weiß nicht,was aus mir würde, wenn ich dich nicht hät-te. Wahrscheinlich hätte ich mir aus Ver-zweiflung längst das Leben genommen.«

»So etwas darfst du nicht sagen!« Ichstrich ihr übers Haar. »Ein Leben ist schnellausgelöscht, aber wenn es entflohen ist, läßtes sich nicht mehr zurückholen – durch kei-ne Macht des Universums. Das solltest duimmer bedenken, bevor du so dumme Ge-danken äußerst.«

Wir setzten uns an den Tisch, der in derMitte des einzigen Raumes der Hütte stand.Es war ein Automatbedienungstisch, vondem man auf Knopfdruck alle gewünschtenSpeisen und Getränke erhielt. Wir tasteteneine Flasche Wein, eine Schüssel Salat undein Gericht aus gegrilltem Fleisch und lufti-gen Fladen, die in Öl gebacken waren.

Während wir aßen, dachte ich an Chapat.Vargo hatte meinen Sohn mitgenommen undversprochen, ihn zu Ischtar zu bringen. Ichhoffte, daß ihm das gelungen war. Aber ei-gentlich machte ich mir um Chapat wenigerSorgen als um Ischtar. Die Varganen desMikrokosmos würden meinem Sohn keinLeid antun, weil sie mich nicht unnötig ge-gen sie aufbringen wollten.

Anders sah es mit Ischtar aus.Ich wußte, daß meine Goldene Göttin von

den Varganen des Mikrokosmos wegen an-geblichen Verrats zum Tode verurteilt wor-den war. Mehrmals war sie nur mit Müheund Not den Mordanschlägen Magantilli-kens, des Henkers der Varganen, entkom-men. Innerhalb der Eisigen Sphäre aber wa-ren die Varganen nicht darauf angewiesen,daß Magantilliken selbst das Urteil voll-streckte; hier hatten sie jederzeit die Mög-lichkeit, Ischtar umzubringen.

Ich spielte mit dem Gedanken, mich

Das Ende von Yarden 7

selbst den Varganen als Preis für das LebenIschtars anzubieten und mich bereit zu erklä-ren, mit Varganinnen Kinder zu zeugen,wenn man mir dafür garantierte, Ischtarnicht anzutasten.

Andererseits würde ein solches Angebotdie Varganen vielleicht verleiten, Ischtarauch als Druckmittel gegenüber Crysalgiraeinzusetzen. Deshalb beschloß ich, die Ent-wicklung abzuwarten. Solange Fartuloon,Eiskralle und Corpkor bei Ischtar waren,drohte ihr wahrscheinlich keine unmittelbareGefahr.

Ich schreckte aus meinen Gedanken auf,als die nur angelehnte Tür knarrte. Als ichhinausschaute, sah ich sie zurückschwingen.Aber es war niemand da, der sie bewegt ha-ben könnte. Außerdem konnte sie nur einkleines Stück aufgeschwungen sein, zu we-nig, um einen Varganen hindurchzulassen.

Die Prinzessin hatte überhaupt nichts be-merkt. Sie kaute geistesabwesend und blick-te auf eine Stelle des Tisches, als könnte siedort ihre Zukunft ablesen.

Ich widmete mich erneut der Mahlzeit.Kurz darauf knarrte die Tür abermals.

Diesmal stand ich auf und ging hin, dennich konnte mir nicht vorstellen, was die Türbewegt haben sollte. Die Umgebung derHütte war zwar wie eine Freilandschaft ge-staltet, aber sie befand sich trotzdem inner-halb eines Raumschiffs, in dem es keinenWind geben konnte, schon gar keine Wind-böen, die eine Tür aufstießen. »Was ist los,Atlan?« fragte Crysalgira.

»Nichts«, antwortete ich. »Ich will mirnur die Füße ein wenig vertreten.«

»Gehst du etwa auf Brautschau?« erkun-digte sich die Prinzessin argwöhnisch.

Ich wandte mich um und sah sie vor-wurfsvoll an.

»Du solltest mich eigentlich gut genugkennen, um solche dummen Fragen zu un-terlassen. Wenn mich innerhalb der EisigenSphäre außer dir eine Frau interessiert, so istdas Ischtar – und Ischtar ist zur Zeit uner-reichbar für mich.«

»Aber du wärst gern bei ihr, nicht wahr?«

Ich wandte mich brüsk ab. CrysalgirasBenehmen enttäuschte mich. Sie hatteschließlich von Anfang an gewußt, daß ichIschtar liebte. Schließlich galt für sie das imgleichen Maße mit dem Sonnenträger Cher-gost. Unsere Beziehungen waren nur des-halb hin und wieder besonders eng gewesen,weil wir uns durch gemeinsam überstandeneStrapazen und Gefahren naturgemäß zuein-ander hingezogen fühlten und ganz einfachmanchmal beieinander so etwas wie Zu-flucht gesucht hatten.

Als ich vor die Hütte trat, sah ich, daß dersimulierte Sonnenuntergang einem simulier-ten Sternenhimmel Platz gemacht hatte. Hin-ter den Fenstern der Hütten, in denen dieVarganinnen und Varganen lebten, leuchteteLicht.

Ansonsten war es unnatürlich ruhig, waswiederum nur natürlich war, denn in einerkünstlichen Landschaft gibt es, auch wenndie Pflanzen lebten, keine Tiere, seien esFalter, Grillen, Nachtvögel oder Raubkat-zen, die der Szenerie die Belebtheit der ech-ten Natur einzuhauchen vermögen. Es gabnicht einmal Wind, der die Blätter der Bü-sche und Bäume zum Rascheln brachte oderdas Gras in jene wellenförmige Bewegungversetzte, die erst den Reiz großer Grasflä-chen ausmacht.

Doch dann stutzte ich.Links von mir war eine huschende Bewe-

gung erkennbar gewesen. Ich blickte genau-er hin, konnte aber nicht mehr sehen. Wahr-scheinlich hatten meine überreizten Nervenmir einen Streich gespielt.

Ich wollte in die Hütte zurückkehren, dabemerkte ich aus den Augenwinkeln einlanggestrecktes graues Etwas, das im Lichtder simulierten Sterne von einem Gebüschzum anderen huschte. Unwillkürlich sah ichmich nach einem Stein um, den ich nachdem Tier werfen konnte, denn ich erkanntees als eines jener widerwärtigen Schmarot-zer, die ich bei meinem Versuch, zu Ischtarzu gelangen, in einem der Varganenschiffekennengelernt hatte.

Da ich nirgends einen Stein oder ein an-

8 H. G. Ewers

deres Wurfgeschoß entdecken konnte, kehr-te ich in die Hütte zurück. Diesmal zog ichdie Tür hinter mir ins Schloß, damit das Un-geziefer draußen blieb.

Erst dann sah ich, daß Crysalgira auf demAutomattisch stand und aus Augen, in denenFurcht und Zorn miteinander wetteiferten,auf ein anderes graues Nagetier blickte, dasauf meinem Stuhl hockte und seine Nasewitternd hin und her drehte.

Das ist zuviel! dachte ich, während ichden leeren Waffengurt abschnallte, um dierechte Hand wickelte und das freie Ende mitdem schweren Gürtelschloß langsam hinund her schwingen ließ …

*

Die Tür flog auf und prallte krachend ge-gen die Wand. Ein Vargane mit einem Anti-gravtablett voller Speisen trat ein, begleitetvon vier schwerbewaffneten Männern.

Fartuloon hackte die Daumen hinter sei-nen Gürtel und blickte die Varganen dro-hend an.

»Das nächstemal treten Sie gefälligst wiezivilisierte Leute ein und nicht wie eine Hor-de Barbaren!« sagte er. »Schließlich ist eineDame hier.«

Der Vargane mit dem Antigravtablett unddrei seiner Begleiter schauten verlegen weg.Nur der vierte Vargane blickte Fartuloonherausfordernd an.

»Wo ist eine Dame?« fragte er frech. »Ichkann keine …«

Der Schluß seines Satzes blieb unausge-sprochen, da der Kopf des Mannes unter ei-ner Ohrfeige Fartuloons zur Seite flog.

»Chaib!« grollte Fartuloon. »Ich werdedir noch Manieren beibringen!«

Der Gezüchtigte hatte seine Waffe fallenlassen und war halb ohnmächtig gegen dieWand gesunken. Als er die Benommenheitabgeschüttelt hatte, zog er einen Handstrah-ler aus seinem Gürtelhalfter und wollte aufFartuloon anlegen.

Corpkor pfiff schrill.Im nächsten Augenblick huschten mehre-

re graue Schatten durch die weiten Maschendes Lüftungsgitters, schnellten an dem Var-ganen hoch und gruben ihre messerscharfenZähne in seine Unterarme. Der Mann schriegellend auf, ließ den Handstrahler fallen undwich zur Tür zurück.

Bevor die übrigen Bewaffneten wußten,wie sie sich verhalten sollten, pfiff der Tier-meister erneut. Die Valtoren verschwandenso schnell, wie sie gekommen waren.

Fartuloon trat zwei Schritte zurück, umdamit zu demonstrieren, daß er es nicht aufdie Waffen des Verletzten abgesehen hatte.

»Nehmt ihn und seine Waffen und geht!«befahl er den anderen Varganen. »Und ver-geßt nicht, daß Fartuloon es nicht zuläßt,daß eine Dame in seiner Gegenwart belei-digt wird.«

Schweigend verließen die Varganen dasGefängnis. Das Antigravtablett blieb aufdem Tisch zurück.

Als die Tür sich schloß, drehte Ischtar, diedas Baby vor den Blicken der Besucher ver-borgen hatte, indem sie sich halb der Rück-wand zudrehte, sich wieder herum undmeinte besorgt:

»Das hättest du nicht tun sollen, Fartu-loon. Möglicherweise zieht das Repressaliennach sich, die wir gerade jetzt, da Chapat beiuns ist, nicht gebrauchen können.«

Corpkor erklärte lächelnd:»Das hat unser Bauchaufschneider auf

meine Bitte hin getan, Ischtar. Ich mußte te-sten, ob meine Valtoren sich von mir zu ei-nem Angriff auf Varganen benutzen lassen.«

»Unglaublich!« erwiderte die GoldeneGöttin. »Wenn ich es nicht mit eigenen Au-gen gesehen hätte, ich würde es für Lügehalten. Diese Nager dürften den Herren desPulks normalerweise aus dem Weg gehen,und hier haben sie einen Varganen todesmu-tig angegriffen.«

Corpkor nickte.»Ich brauchte den Beweis dafür, daß sie

sich dazu überwinden können«, erläuterte er.»Die Valtoren sollen nämlich die Phase zweiunserer nächsten Aktion vorbereiten, indemsie die Wächter überfallen.«

Das Ende von Yarden 9

»Und worin besteht Phase eins?« fragteEiskralle.

»Darin, die elektronischen Wachsystemelahmzulegen«, antwortete der Tiermeister.»Ich sagte es schon einmal.«

»Was heißt eigentlich ›Chaib‹?« erkun-digte sich die Varganin beim Bauchauf-schneider.

Fartuloon lächelte breit.»Das ist der Schimpfname für Söldner

vom Planeten Badensiark«, antwortete er.»Diese Söldner zeichneten sich im Aufstandder Nordregion dadurch aus, daß sie beimSturm auf Bodenforts mit lautstarkem Ge-brüll losgingen, aber vor Erreichen derfeindlichen Schußdistanz wieder kehrtmach-ten.«

Corpkor lachte.»Dann haben sie meine Sympathie, alter

Bauchaufschlitzer. Ich bewundere alle Leu-te, die sich nicht für fremde Interessen ver-heizen lassen, sondern soviel Tapferkeit auf-bringen, um feige zu sein.«

»Na, ja«, meinte Fartuloon. »So kann manes natürlich auch sehen. Auf jeden Fall istder Schimpfname ›Chaib‹ von Anfang anhalb scherzhaft gemeint gewesen.«

Er wurde wieder ernst.»Kommt, setzen wir uns an den Tisch und

essen. Dabei können wir unsere Ausbruch-spläne durchsprechen. Es wird höchste Zeit,daß wir etwas unternehmen.«

Sie nahmen alle rund um den Tisch Platz.Nur Corpkor blieb stehen. Er füllte seinenTeller mit den verschiedenen Speisen, dannging er zum Lüftungsgitter, hockte sich hinund fütterte Rinecco und die anderen Valto-ren, wie er es versprochen hatte.

Seine Gefährten sahen ihm eine Weile zu,bevor sie ihre Teller füllten. Sie verständig-ten sich durch Blicke und ließen von allemsoviel zurück, daß der Tiermeister nicht leerausging.

Als Corpkor die Fütterung der Valtorenbeendet hatte, kehrte er an den Tisch zurück.

»Vielen Dank, Freunde«, sagte er, als ersah, daß seine Gefährten ihm ein Viertel al-ler Speisen übriggelassen hatten. »Ich habe

die Valtoren auf Phase zwei vorbereitet. So-bald der nächste Wachwechsel vollzogen ist,werden die Tiere die Wächter angreifen undso lange beschäftigen, bis wir ausgebrochensind und sie überwältigt haben. Ein andererTeil der Valtoren arbeitet bereits daran, dieWachsysteme unseres Gefängnisses und diedes ganzen Schiffes lahmzulegen. Ich denke,daß unsere Erfolgschancen recht gut sind.«

»Und was wird mit Chapat?« fragte Ischt-ar.

»Du bleibst selbstverständlich mit ihmhier zurück«, antwortete der Tiermeister.»Wir dürfen Chapat nicht den Gefahren aus-setzen, die bei Kampfhandlungen nun ein-mal unvermeidlich entstehen. Sobald wir un-sere Ausrüstung und Waffen wiederbekom-men haben, kehrt einer von uns zurück undbringt dich in ein Versteck. Die anderen sto-ßen bis zu dem Schiff vor, in dem Atlan unddie Prinzessin gefangengehalten werden. Al-les andere wird sich dann aus den Umstän-den ergeben.«

»Einverstanden«, erwiderte Fartuloon.»Ich werde erst wieder ganz ich selbst sein,wenn ich mein Skarg wieder habe.«

*

Ich holte aus, um die Gürtelschnalle mitvoller Kraft auf den Schmarotzer niedersau-sen zu lassen.

Im letzten Augenblick hielt ich inne undließ die erhobene Hand wieder sinken. Eswar die Passivität, mit der das Tier auf sei-nem Platz ausharrte, die mich zögern ließ.Gewiß, es handelte sich um einen Schädling,aber ich brachte es einfach nicht fertig, einTier zu erschlagen, das weder angriff nochsich wehrte.

Im Gegenteil, das Tier blickte mich ausseinen feuchten runden Knopfaugen so treu-herzig an, daß ich mir plötzlich abgrundtiefschlecht vorkam, weil ich es hatte erschla-gen wollen. Ich fragte mich, woher ich ei-gentlich das Recht nahm, eine fremde Krea-tur als nutzlos oder schädlich einzustufen.

»Schaff das Ungeheuer fort!« kreischte

10 H. G. Ewers

Crysalgira.Ich wunderte mich nicht über ihre Reakti-

on, obwohl sie eigentlich keine hysterischeNatur war, sondern im Gegenteil oft genuggezeigt hatte, daß sie ihre Todesfurcht über-winden konnte, wenn es die Lage erforderte.Aber Frauen werden meist durch den An-blick kleinerer Tiere in Panik versetzt, auchwenn sie keine Scheu haben, bei Großwild-jagden ganz allein wahren Mordbestien ge-genüberzutreten. Die Mentalität der Frau istund bleibt eben unergründlich.

»Es tut dir doch gar nichts, Kleines«, sag-te ich beruhigend.

»Aber ich mag es nicht«, entgegnete diePrinzessin, diesmal allerdings schon ohneHysterie.

In diesem Augenblick bemerkte ich dasschmale Plastikband, das dem Tier um denHals geschlungen worden war. Zuerst dachteich nur, daß es sich offenbar um ein ge-zähmtes Tier handelte, das von einem Var-ganen als Haustier gehalten wurde. Dochdann mußte ich an Corpkor denken, und mirkam die Ahnung, daß der Tiermeister dieseSchmarotzer vielleicht für seine Zwecke ein-gespannt haben könnte.

»Ich möchte, daß du stillstehst, wenn dudich schon nicht traust, den Tisch zu verlas-sen, Crysalgira«, sagte ich. »Möglicherweisehat Corpkor das Tier mit einer Botschaft zuuns geschickt. Also, bitte sei vernünftig!«

Ich schnallte meinen Gürtel wieder um,dann näherte ich mich langsam dem Tier,um es nicht zu erschrecken. Zwar konnte esnicht aus der Hütte entkommen, da ich dieTür geschlossen hatte, aber ich wußte, daßdiese Nager große und starke Zähne hatten,mit denen sie glatt einen Finger durchbeißenkonnten. Und wenn ich es erschreckte, wür-de ich mich nicht zu wundern brauchen,wenn es sich gegen einen vermeintlichenAngriff verteidigte.

Der Nager schaute mich unverwandt an.Seine kleine schwarze Nase schnüffelte un-entwegt in meine Richtung. Plötzlich spranger von dem Stuhl, auf dem er bis dahin ge-hockt hatte, lief auf mich zu und legte sich

vor meine Füße, wobei er sich auf denRücken drehte und mir in typischer Unter-werfungsgeste seine Kehle darbot.

Da war ich endgültig sicher, daß Corpkoruns das Tier geschickt hatte.

Ich bückte mich und löste den Knoten,mit dem das Plastikband befestigt und zu-sammengebunden war. Das Tier verhieltsich dabei still, obwohl deutlich zu sehenwar, wie heftig sein kleines Herz schlug.Natürlich fürchtete es sich, aber CorpkorsDressur wirkte stärker als die kreatürlicheFurcht.

Das Band erwies sich als ein zusammen-gerollter Plastikstreifen, der dicht mit arko-nidischen Schriftzeichen bedeckt war. Ichrollte ihn auseinander.

Unterdessen war Crysalgira vom Tischgestiegen, aber noch in respektvoller Entfer-nung stehengeblieben. Erst, als ich denStreifen auseinandergerollt hatte, näherte siesich zögernd.

Ich las vor.»Lieber Atlan, Verehrte Prinzessin! Deine

Ischtar und deine Freunde Fartuloon, Eis-kralle und Corpkor grüßen dich und diePrinzessin, die es uns sicher nicht übel-nimmt, wenn wir sie nachfolgend, ebenfallsduzen. Chapat ist gut hier angekommen, undauch uns geht es gut. Wir haben die Valto-ren, von denen drei mit gleichlautenden Bot-schaften zu euch geschickt wurden, für unsgewinnen können. Sie werden uns helfen,aus unserem Gefängnis auszubrechen, undzwar so, daß die Varganen bis zur nächstenWachablösung nichts davon bemerken. Var-go wird uns hoffentlich danach mit der nöti-gen Ausrüstung versorgen, so daß zwei vonuns zu euch durchkommen können und euchbefreien.

Bitte, schickt die Valtoren, die mit ihrenBotschaften zu euch gekommen sind, mitAntworten zu uns zurück, damit wir wissen,daß ihr unsere Botschaft erhalten habt. Wirhoffen, bald wieder vereint zu sein. Mit At-lan für Arkon!«

»Oh!« brachte Crysalgira nur heraus.Ich machte mich lächelnd daran, eine

Das Ende von Yarden 11

Antwort niederzuschreiben, wozu ich mei-nen Kohlendioxid-Laserschreibstift und dieRückseite des Plastikbands benutzte. Da-nach kauerte ich mich nieder und befestigtedas Band behutsam wieder am Hals des Val-tors.

Als das Tier sich noch immer nicht rührte,strich ich ihm sanft mit zwei Fingern überden Bauch. Es streckte sich genüßlich, undals ich meine Hand fortnahm, rollte es sichherum.

»Komm gut zurück!« sagte ich, öffnetedie Tür und ließ das Tier hinaus.

Es zögerte nur kurz, dann eilte es lautlosdurch die Öffnung und tauchte im Gras un-ter.

Diesmal ließ ich die Tür geöffnet, damitauch die übrigen beiden Valtoren hereinkonnten, sobald sie eintrafen. Endlich wardie Zeit des untätigen Wartens vorbei.

3.

Fartuloon legte das Ohr an die Tür ihresGefängnisses und lauschte. Deutlich ver-nahm er den Marschtritt der Wachablösung.

»Sie kommen!« flüsterte er seinen Ge-fährten zu.

Durch das dicke Material der Tür hin-durch hörte er die Geräusche vom Korridornur gedämpft. Aber die martialische Art derZeremonie kam ihm zugute. Er hörte genau,wie die Wachablösung vor der abzulösendenWache stillstand, wie die zeremonielle Mel-dung lautstark erstattet wurde und wie dieabgelöste Wache mit knallendem Stech-schritt abmarschierte.

»Ich möchte wissen, wozu das Theatergut sein soll«, bemerkte Fartuloon spöttisch.»Wenn arkonidische Raumlandesoldaten vordem Hügel der Weisen im Stechschritt para-dieren, um die Abgesandten fremder Völkerzu beeindrucken, sehe ich noch einen Sinndarin. Aber die Varganen können doch unsnicht ernsthaft beeindrucken wollen. Washätten sie schon davon!«

»Vielleicht wissen sie, wie arkonidischeBonbonsoldaten paradieren und wollen uns

zeigen, daß sie es ebenso gut können«, warfIschtar ein.

»Bonbonsoldaten ist gut«, meinte. Eis-kralle.

Fartuloon lächelte, dann wurde er wiederernst.

»Nein, es ist nicht gut, wenn die Disziplinarkonidischer Soldaten verspottet wird. Fürdas arkonidische Volk ist es – leider – le-bensnotwendig, daß es ganz im Sinne einesnormalerweise verwerflichen Militarismuserzogen wird. Aber wenn das Große Imperi-um nicht zweckentsprechend auf eine be-drohliche Umwelt reagierte, wäre es genau-so, als würde ein Tier sich seinen Feindenausliefern, indem es beispielsweise auf seineTarnfärbung, sein Stachelkleid oder seineWarntracht verzichtete.«

»Ich gebe dir ja recht, alter Bauchauf-schlitzer«, warf Corpkor ein, »aber ich wür-de es begrüßen, wenn du mir verrietest, obdie abgelöste Wache den Korridor schonverlassen hat.«

Fartuloon preßte abermals das Ohr gegendie Tür, dann nickte er und trat einen Schrittzurück.

»Sie ist fort. Wir können anfangen, Corp-kor.«

»Aber wir haben noch keine Bestätigung,daß Atlan unsere Botschaft erhalten hat«,protestierte Ischtar.

»Darauf dürfen wir nicht warten, sonstvertun wir wertvolle Zeit«, entgegnete Far-tuloon. »Fang an, Corpkor!«

Der Tiermeister hockte sich erneut vordas Lüftungsgitter, durch das Rinecco nachwie vor seine feuchte Schnauze steckte. Cor-pkor teilte dem Valtor durch Pfiffe und ge-flüsterte Laute mit, daß der Zeitpunkt fürden Angriff auf die Wachtposten gekommenwar.

Rinecco bestätigte durch mehrere durch-dringende Pfiffe, dann wandte er sich seinenArtgenossen zu und erteilte ihnen den An-griffsbefehl.

Die drei Männer warteten, bis vom Korri-dor ein lauter Schrei ertönte, dann ergriffensie die stählerne Tischplatte, die sie schon

12 H. G. Ewers

vorher von ihren Tragbeinen gelöst hatten.Sie benutzten die schwere Platte als Ramm-bock.

Natürlich wußten sie, daß die starkwandi-ge Stahltür selbst nicht nachgeben würde.Sie richteten deshalb ihre Rammstöße gegendie Stelle, unter der sich die Verriegelungs-elektronik verbarg. Kompliziertes elektroni-sches Gerät war gegen starke Erschütterun-gen empfindlich. Die Frage war nur, ob dieTür sich öffnen ließ, wenn die Verriege-lungselektronik sich in einen Haufen Schrottverwandelt hatte.

Nach dem fünften Rammstoß klirrte undklapperte es hinter dem inneren Türblatt.Die drei Männer setzten die Tischplatte ab,dann zog Fartuloon am Türknauf. »Sie sitztfest«, gab er bekannt.

Er versuchte es noch einmal, stellte sichbreitbeinig hin und setzte seinen Griff so an,daß er seine Körperkraft voll anwendenkonnte.

Diesmal gab die Tür nach.Fartuloon taumelte zurück. Seine Gefähr-

ten stürmten an ihm vorbei in den Korridor.Als der Bauchaufschneider ihnen folgte,

sah er die vier Wachtposten am Boden lie-gen und verzweifelt gegen die Valtorenkämpfen, die sich auf sie gestürzt und sichin Armen, Beinen, Gesichtern und Ohrenverbissen hatten. Entsprechend den Weisun-gen, die Corpkor ihnen übermittelt hatte,brachten sie keine tödlichen Bisse an, son-dern sorgten nur dafür, daß die Varganenweder fliehen noch zu ihren Energiewaffengreifen konnten.

Nacheinander befreite der Tiermeister dieWachen von ihren Quälgeistern – und so,wie sie von den Tieren freigegeben wurden,so wurden die Varganen von den drei Freun-den entwaffnet, gefesselt und geknebelt.

Als es geschafft war, lobte Corpkor dieTiere und schickte sie wieder fort. Danachschafften die drei Freunde die Wachen in ei-ne leere Kabine, fesselten sie zur doppeltenSicherheit an die festgeschraubten Bettge-stelle und aktivierten von draußen die elek-tronische Verriegelung.

»Das wäre es«, sagte Fartuloon. »MeineAnerkennung, Corpkor.«

Der Tiermeister winkte ab.»Jeder setzt seine Fähigkeiten nach besten

Kräften im Sinne der Gemeinschaft ein. Dakommt übrigens einer der Valtoren, die ichzu Atlan geschickt hatte.«

Er bückte sich, als ein einzelner Valtoraus einem Seitengang auf ihn zulief. DasTier hielt still, während Corpkor das Plastik-band von seinem Hals entfernte.

Der Tiermeister nickte zufrieden, als erAtlans Schrift erkannte, richtete sich auf undlas vor.

»Meine geliebte Ischtar, meine liebenFreunde. Mit großer Freude habe ich eureNachricht gelesen. Der Prinzessin und mirgeht es gut. Wir befinden uns noch im glei-chen Doppelpyramidenschiff, wurden aberin die andere Schiffshälfte umquartiert undleben in einem künstlich angelegten Garten.Die Zugänge werden schwer bewacht, alsoseid vorsichtig. Wir erwarten euch und wer-den eingreifen, sobald wir eure Ankunft be-merken. Nieder mit Orbanaschol! Es lebeArkon! Es lebe das Große Imperium!«

Fartuloons Augen strahlten, als er dieBotschaft seines Pflegesohnes vernommenhatte.

»Laßt uns nicht länger warten!« rief er.»Vorwärts für Atlan und für Arkon!«

*

Bald sollte sich zeigen, daß große Worteund persönliche Tapferkeit allein nicht ge-nügten, wenn man einer technisch überlegenausgerüsteten Übermacht gegenüberstand.

Die drei Freunde unterrichteten Ischtardavon, daß ihr Handstreich gegen dieWachtposten erfolgreich verlaufen war,dann eilten sie zum Bug ihres Doppelpyra-midenschiffs, um durch den Verbindungs-stollen das nächste Raumschiff zu erreichenund Kontakt mit den Helfern Vargos aufzu-nehmen.

Sie kamen allerdings nicht weiter als biszur Schleusenkammer. Als das Innenschott

Das Ende von Yarden 13

sich vor ihnen öffnete, sahen sie sich gänz-lich unvermutet einer starken Gruppe Varga-nen gegenüber, die in goldfarbene Rauman-züge gekleidet waren.

Die Varganen waren über die Konfrontie-rung ebenso überrascht wie die drei Freun-de. Demnach hatten die Valtoren die Wach-und Warnsysteme des gesamten Schiffesgründlich sabotiert.

Doch es nützte den drei Freunden wenig,daß sie ihre Überraschung als erste überwan-den und das Feuer auf den Gegner eröffne-ten. Zwar schieden sofort drei Varganen aus,aber die anderen aktivierten Schutzschirme,die sie wirkungsvoll vor den weiterenStrahlschüssen der Ausbrecher schützten.Dann erwiderten sie das Feuer.

Fartuloon sah ein, daß sie gegen die hochüberlegen ausgerüstete Übermacht nichtsausrichten konnten. Er gab den Befehl zumRückzug. Ständig feuernd und die Deckun-gen wechselnd, die im Hauptkorridor ausden zahlreichen Wandnischen bestanden,zogen sich die Freunde zurück.

Beim ersten Quergang bogen sie nachrechts ab und eilten zu dem Antigrav-schacht, der sich am Ende des Quergangsbefand. Sie stürzten sich in den Schacht undschwangen sich drei Decks höher wiederhinaus.

Schweratmend blickten sie sich an.»Wir haben nicht mehr gewonnen als eine

kleine Atempause«, meinte Fartuloon.»Inzwischen werden weitere Varganen alsVerstärkung unterwegs hierher sein, und mitunseren unzureichenden Waffen können wiruns nicht einmal wirkungsvoll verteidigen,geschweige denn angreifen und durchbre-chen.«

»Willst du etwa, daß wir aufgeben?« frag-te Eiskralle.

Fartuloon runzelte die Stirn.»Wir müssen die Realitäten sehen«, erwi-

derte er zögernd. »Leider sind sie so, daß essinnlos wäre, uns durch die Gänge desSchiffes hetzen zu lassen, wenn wir wissen,daß wir schlußendlich doch unterlägen.«

»Vielleicht gelingt uns doch der Durch-

bruch, wenn wir es nur immer wieder versu-chen«, erklärte Eiskralle.

»Nein!« sagte Corpkor. »Für uns bestehtkeine reale Chance mehr, dieses Schiff zuverlassen. Dennoch möchte ich nicht gänz-lich aufgeben. Deshalb schlage ich vor, daßzwei von uns die Varganen laufend beschäf-tigen, während der dritte sich eine Weile stillverhält und dann versucht, im Rücken derVarganen aus dem Schiff zu schleichen.«

»Der Vorschlag ist brauchbar«, meinteEiskralle und wandte sich an Fartuloon.»Was hältst du davon?«

»Wir werden es so machen, wie Corpkorvorgeschlagen hat«, antwortete Atlans Pfle-gevater. »Und zwar wird Corpkor der Mannsein, der sich hinter dem Rücken der Varga-nen aus dem Schiff schleicht.«

»Ich hatte an dich gedacht«, widersprachder Tiermeister. »Mit Atlan zusammen er-gibt sich ein Gespann, das sich schon so oftbewährt hat, daß es auch in der EisigenSphäre optimale Erfolgsaussichten habendürfte.«

Fartuloon lächelte.»Möglich, aber dazu müßte ich erst ein-

mal zu Atlan stoßen. Ich mache mir aberkeine Illusionen, daß mir das im Alleinganggelingen könnte. Du dagegen kannst unter-wegs immer wieder die Valtoren als deineBundesgenossen einsetzen. Aus diesemGrund stehen deine Aussichten, das Ziel zuerreichen, besser als meine oder die von Eis-kralle – und deshalb übernimmst du denPart.«

»Das sehe ich ein«, gab Corpkor wider-strebend zu. »Obwohl ich nicht gern fortge-he und euch eurem Schicksal überlasse.«

»Das laß nur unsere Sorge sein«, erwider-te Fartuloon. »Wir wollen uns schließlichnicht opfern.«

»Wir müssen uns beeilen!« drängte Eis-kralle. »Ich höre die Varganen näher kom-men.«

»Schnell, dort hinein!« sagte Fartuloonund deutete auf das Schott einer Kabine.

Corpkor winkte seinen Freunden zu undeilte zu dem betreffenden Schott. Es öffnete

14 H. G. Ewers

sich automatisch vor ihm. Die Kabine ent-hielt die Standardausrüstung varganischerSchiffskabinen, was für arkonidische Begrif-fe allen nur denkbaren Luxus bedeutete.

Der Tiermeister verzichtete darauf, dasSchott von innen zu verriegeln. Das hätte beieiner flüchtigen Routineüberprüfung denVarganen sofort verraten, daß sich einer derGesuchten hier versteckte. Statt dessen öff-nete er die Wartungsklappe am Sockel desgroßen Pneumobetts, zwängte sich in denengen Hohlraum der Gasfederung und ver-hinderte durch ein Dazwischenklemmen sei-ner Gürtelschnalle, daß sich die Öffnungvollständig schloß. Das war lebensnotwen-dig, denn bei geschlossener Wartungsklappewäre er von dem einströmenden Stickstoffder Gasfederung getötet worden. War dieWartungsklappe dagegen nicht voll ge-schlossen, blieb der Einfüllmechanismusdesaktiviert.

Dennoch fühlte sich Corpkor nicht wohlin seiner Haut, und das nicht in erster Linie,weil er in der Enge nur mühsam atmenkonnte. Vielmehr bangte er um das Lebender Freunde. Ein kurzer Feuerwechsel aufdem nahen Korridorstück verriet ihm, daßFartuloon und Eiskralle in Gefechtsberüh-rung mit den Varganen blieben, um sie hin-ter sich herzulocken.

Der Gefechtslärm ebbte ab, klang weiterentfernt wieder auf und verstummte erneut.

Wir haben die Varganen unterschätzt,weil sie dekadent sind! überlegte der Tier-meister. Aber hier geht es für sie darum, daßdie Eisige Sphäre, ihre Heimat, sicher bleibt,und bei der Verteidigung des eigenen Nestesentwickelt sogar ein scheuer Vogel oftmalstodesverachtenden Mut.

Corpkor verhielt sich still, bis er keinenGefechtslärm mehr hören konnte. Danachverließ er sein Versteck, ließ das Schott auf-gleiten und spähte vorsichtig auf den Ganghinaus.

Nur einige Schmelzstellen an den Wän-den und auf dem Boden verrieten, daß hiernoch vor kurzer Zeit gekämpft worden war.Ansonsten war alles ruhig.

Der Tiermeister schätzte ab, welcher Teildes Doppelpyramidenschiffs inzwischen vonVarganen entblößt sein müßte, wenn sich al-le Varganen an der Verfolgung der Ausbre-cher beteiligten. Dann huschte er nachrechts, schwang sich in den Antigravlift undschwebte fünf Decks tiefer.

Als er ausstieg, entdeckte er schräg linksvor sich einen einzelnen Varganen. Unwill-kürlich riß er seinen Handstrahler hoch, ließihn aber wieder sinken, da der Vargane seineWaffe im Gürtelhalfter trug.

»Wer bist du?« fragte er.»Ich bin Jretak, ein Freund Vargos«, ant-

wortete der Vargane. »Folge mir! Ich bringedich in Sicherheit.«

*

Corpkor wollte entgegnen, daß es bessergewesen wäre, auch seine Freunde in Si-cherheit zu bringen.

Er unterließ es, weil er einsah, daß Jretakerst dann aus seinem Versteck hatte auftau-chen können, als die Verfolger dieseSchiffssektion verlassen hatten.

Mit einer Handbewegung veranlaßte erJretak, vorauszugehen. Er behielt seine Waf-fe schußbereit in der Hand, da er nicht sichersein konnte, ob Jretak tatsächlich ein Freundwar oder ein Gegenspieler Vargos, der ihn ineine Falle locken wollte.

Der Vargane schritt unbekümmert voraus.Er schien Corpkors Waffe nicht als Bedro-hung anzusehen. Beim nächsten Quergangbog er nach rechts ab, schwebte in einemAntigravlift zwei Decks höher und blieb voreiner Wandnische stehen.

Seine Finger glitten wie spielerisch überdie Rückwand der Nische. Plötzlich verwan-delte sich ein Teil der Rückwand in grauenNebel, der wie unter einem Windstoß zer-flatterte. Eine Öffnung wurde erkennbar.Schwaches bläuliches Licht fiel aus der Öff-nung nach draußen.

Jretak trat hindurch.Der Tiermeister hob vorsichtshalber die

Waffe in Hüfthöhe, bevor er dem Varganen

Das Ende von Yarden 15

folgte. Er gelangte in einen engen Gang, deroffenbar in eine Wand eingelassen war. Hin-ter ihm schloß sich die Rückwand der Ni-sche wieder.

Nachdem die beiden Männer innerhalbdes Geheimgangs mehrere Treppen hinaufund hinab gestiegen waren, aktivierte derVargane eine zweite Öffnung.

Diesmal schien das Ziel erreicht zu sein,denn als Corpkor folgte, gelangte er in einenHohlraum mit transparenten Wänden, dersich ganz offensichtlich innerhalb der Bord-positronik des Schiffes befand, denn hinterden Wänden war ein wohlgeordneterDschungel positronischer Schaltelemente zusehen.

Drei weitere Varganen erwarteten denTiermeister. Ihr Anführer stellte sich mitdem Namen Konzelk vor.

»Wir bedauern, daß wir nur Sie und nichtauch Ihre Freunde retten konnten«, sagteKonzelk. »Aber der Rat scheint mit Aktivi-täten Vargos zugunsten der Gefangenen ge-rechnet zu haben und hat einen Teil seinerLeibwache in diesem Schiff stationiert.«

»Wir können nichts mehr ändern«, erwi-derte der Tiermeister. »Mein Name ist Corp-kor. Ich hoffe, Sie kennen einen Weg, aufdem ich dieses Schiff verlassen und zu demSchiff kommen kann, in dem Atlan und diearkonidische Prinzessin festgehalten wer-den.«

»Die Verbindungsröhren sind durchWachkommandos blockiert«, erklärte Kon-zelk. »Es gibt nur einen Weg, von diesemRaumschiff zu einem anderen zu gelangen:den Flug durch den freien Raum.«

»Das macht nichts«, sagte Corpkor. »Gebtmir ein Beiboot, und ich wage es.«

»Sie verstehen nicht«, entgegnete derVargane. »Wir haben nur drei schwereRaumanzüge mit Flugaggregaten auftreibenkönnen. Innerhalb der Eisigen Sphäre aberist es lebensgefährlich, sich nur im Schutzeines Raumanzugs zu bewegen.«

Der Tiermeister preßte die Lippen zusam-men.

Er wußte, daß die Kältestrahlung inner-

halb der Eisigen Sphäre jedes Lebewesenbedrohte, das es wagte, die Raumschiffe zuverlassen. Er wußte aber auch, daß die Ge-fahr, in der seine Freunde schwebten, nichtweniger groß war. Da Fartuloon und Eis-kralle keine Schutzschirmprojektoren besa-ßen, konnten sie von einem einzigen Trefferaus einer varganischen Energiewaffe getötetwerden.

Er straffte die Schultern.»Ich nehme das Risiko auf mich!« erklär-

te er fest.Die Varganen öffneten einen Behälter.

Corpkor sah darin drei goldfarbene Schutz-anzüge. Es waren Anzüge von der Art, wiedie Leibwache des Rates sie trug. Aber et-was fehlte im Unterschied zu diesen.

»Ein Keruhm konnten wir leider nicht be-schaffen«, erklärte Konzelk auf CorpkorsFrage. »Es wäre auch zwecklos gewesen, daein Keruhm von einer stationären Energie-versorgungsanlage abhängt, und diese Anla-gen werden allesamt von Ratsleuten kontrol-liert. Aber dieser Schutzanzug ist besser alsdie Schutzanzüge, die Sie bei Ihrer Gefan-gennahme trugen – mit Ausnahme desSchutzanzugs von Ischtar.«

Der Tiermeister mußte die Erklärung ak-zeptieren. Er ließ sich in einen der Anzügehelfen. Anschließend führten die Varganenihn über einen anderen Geheimgang zu ei-nem Notschott in der Außenhülle des Dop-pelpyramidenschiffs.

Als das Innenschott der kleinen Schleusesich öffnete, winkte er den Varganen zu,dann trat er entschlossen vor das Außen-schott und wartete. Es öffnete sich, kurznachdem das Innenschott sich wieder ge-schlossen hatte.

Corpkor stieß sich ab und schaltete seinFlugaggregat ein. Er kannte die Richtung, indie er steuern mußte, um zu Atlans Schiff zukommen. Die Varganen hatten sie ihm be-schrieben.

Aber er war noch keine Minute unter-wegs, als die Kältestrahlung der EisigenSphäre bereits durch seinen Schutzanzugdrang und seinen Körper wie mit Eisnadeln

16 H. G. Ewers

bombardierte.Verbissen erhöhte Corpkor seine Flugge-

schwindigkeit …

4.

Fartuloon feuerte auf den Kopf eines Var-ganen, der um die nächste Gangbiegungspähte.

Wie erwartet, richtete der Strahlschuß kei-nen Schaden an. Die Energieschirme dergoldfarbenen varganischen Schutzanzügewaren mit Handstrahlern offenbar nicht zuknacken. Immerhin erzielte er den Effekt,daß der Vargane erschrocken zurückwich.

Eiskralle, der sich dicht hinter Fartuloonbefand, schob ein neues Energiemagazin indas lange Griffstück seiner Waffe.

»Das letzte!« kommentierte er erbittert.»Wir brauchen nicht mehr lange durchzu-

halten«, erwiderte Fartuloon. »Corpkormüßte eigentlich das Schiff schon verlassenhaben.«

Er zuckte zurück, als ein Energiestrahl sodicht an seinem Kopf vorbeifuhr, daß sichseine Gesichtshaut rötete. Schnell schob erdie Waffe aus der Deckung und feuerte dreiSchüsse ab. Beim viertenmal versagte dieWaffe.

Wütend zog er das leergeschossene Ener-giemagazin heraus und ersetzte es durch einneues, ebenfalls sein letztes. Mehr Magazinehatten die vier überwältigten Posten nichtbei sich gehabt.

Unterdessen hatten die Verfolger die Bie-gung, hinter der Fartuloon und EiskralleDeckung gesucht hatten, unter massiertesFeuer genommen. Das Material löste sichunter den Strahlschüssen in glutflüssigesMagma auf. Auf dem Boden entstand einGlutsee, über dem die erhitzte Luft flimmer-te.

Den beiden Männern wurde höllisch heiß.Sie wandten sich nach rechts, in eineSchiffssektion, in der sie schon einmal in einGefecht mit Varganen verwickelt gewesenwaren. Die erstarrte Schmelze auf dem Bo-den und die Schmelztrichter in den Wänden

und der Decke zeugten von der Erbitterung,mit der hier gekämpft worden war.

Diesmal ließen sich keine Varganen se-hen.

Das änderte sich, als die Männer eineVerteilerhalle erreichten. Sie liefen den Var-ganen nur deshalb nicht in die Arme, weilsie die weitaus größere Kampferfahrung be-saßen und deshalb gewitzter waren als dieElitesoldaten des Rates.

Die Verteilerhalle bot sich einem Gegnerals ideale Falle an, denn in sie mündetenacht Gänge, aus denen praktisch überallplötzlich Varganen auftauchen und das Feu-er eröffnen konnten.

Deshalb gaben Fartuloon und Eiskralleaus relativ sicherer Entfernung einige Schüs-se auf die sichtbaren Gangmündungen ab.

Im nächsten Moment stachen die Energie-bahnen aus mindestens dreißig Strahlwaffenaus den Gangmündungen. Da die Varganenihre Gegner noch nicht gesehen hatten, feu-erten sie blind, wodurch mindestens zehndas Opfer des Übereifers ihrer Kameradenwurden.

Die Freunde kümmerten sich nicht um dasChaos aus Strahlschüssen, Wut- undSchmerzensschreien, sondern kehrten sofortum. Niemand folgte ihnen. Offenbar war derAnführer der Gruppe, die sich auf die Lauergelegt hatte, ausgefallen, und niemand warda, der den Befehl zur allgemeinen Feuer-einstellung gab. Solange aber auch nur einVargane blindlings in die Verteilerhalleschoß, konnten sich die übrigen nicht hin-auswagen, um die Verfolgung der Ausbre-cher aufzunehmen.

Das gab den Freunden einen gewissenVorsprung. Sie fanden Zeit, sich nach einemWeg umzusehen, auf dem sie aus der Um-klammerung ausbrechen konnten. Die Anti-gravlifts schieden aus, denn sie waren vorkurzer Zeit desaktiviert worden. Fartuloonund Eiskralle versuchten es bei einem Ma-gnetschacht, der normalerweise Transport-kapseln vorbehalten war.

Sie kamen gut voran und legten rund drei-hundert Meter zurück, bevor sie merkten,

Das Ende von Yarden 17

daß sie sich in eine hoffnungslose Lage be-geben hatten. Von beiden Seiten schossenschwere Transportkapseln heran, ließen kei-nen Raum, der einem Insekt ein Durch-schlüpfen gestattet hätte.

Fartuloon und Eiskralle eröffneten dasFeuer. Es gelang ihnen tatsächlich, die bei-den Transportkapseln bewegungsunfähig zuschießen, doch erreichten sie damit nur, daßsie nicht zwischen ihnen zerquetscht wur-den. Die glühenden Wracks stellten unüber-windliche Hindernisse dar.

Als sie kurz darauf über Rundruflautspre-cher aufgefordert wurden, sich zu ergeben,gehorchten die Freunde. In ihrer Lage hättensie mit weiterem Widerstand niemandemmehr geholfen, sondern praktisch Selbst-mord begangen.

Die Varganen warteten, bis die Wracksabgekühlt waren, dann kamen Arbeitstrupps,zerschnitten sie und schafften sie fort. Zu-letzt erschienen etwa zwanzig schwerbe-waffnete Varganen und führten die Freundeab.

Fartuloons und Eiskralles Hoffnung, we-nigstens wieder zu Ischtar gebracht zu wer-den, erfüllte sich allerdings nicht. Sie wur-den in das benachbarte Doppelpyramiden-schiff gebracht und in einem Raum einge-schlossen, der nicht nur durch dicke Stahl-wände gegen Ausbruchsversuche gesichertwar, sondern zusätzlich durch fest in denWänden installierte Beobachtungsgeräte undLähmwaffen.

»Diesmal sitzen wir endgültig fest«,meinte Fartuloon grimmig.

Wegen der Beobachtungsgeräte wagte ernicht, Corpkor zu erwähnen. Er hoffte, daßdem Tiermeister die Flucht gelungen warund daß er mit Atlan und Crysalgira – undentsprechend schwerer Ausrüstung – zu-rückkehren und sie befreien würde.

Fartuloon konnte ebensowenig wie Eis-kralle ahnen, daß Corpkor zu dieser Zeitmehr tot als lebendig war.

*

Als Corpkor das Gefühl hatte, in einenBlock aus Trockeneis eingemauert zu sein,wußte er, daß er umkehren mußte, wenn ernicht im freien Raum der Eisigen Sphäreumkommen wollte.

Sein Gehirn schickte über die entspre-chenden Nerven einen Befehl an die Hände,den Kurs zu ändern. Der Befehl erreichte dieSehnen und Muskeln auch, aber die Kälte-strahlung hatte die Moleküle des Gewebeseines großen Teils ihrer kinetischen Energieberaubt, so daß die Molekularbewegungstark verlangsamt war. Entsprechend trägereagierten die Muskel- und Sehnenzellen.

Corpkor merkte, daß das Rückkopplungs-system zwischen seinem Gehirn und seinenExtremitäten nicht mehr zweckentsprechendfunktionierte. Immer wieder glitten seinesteifen Finger an den Schaltungen der Gür-telschnalle vorbei.

Dazu kam, daß die Schmerzen, die dieKältestrahlung ihm verursachte, sich auf einfast unerträgliches Ausmaß steigerten. DieWirkung der Kälte verwandelte sich in sei-nem Zentralnervensystem in die Wirkungvon flüssigem Feuer, das seine Haut ver-brannte und aufplatzen ließ.

Außerdem reagierte sein Geist langsamerals zuvor. Corpkor schob das auf die in derKälte allmählich zäher werdende Gehirn-flüssigkeit. Das war ein Alarmzeichen, dasihm bewies, wie nahe der Tod ihm schon ge-kommen war. Er erinnerte sich an eine Ex-pedition auf einen eisigen Planeten, bei demmehrere Teilnehmer wie vom Blitz getroffentot umgefallen waren, weil ihre Gehirnflüs-sigkeit gefroren war.

Diese Gedanken befähigten ihn zu einerletzten Willensanstrengung, zu einem Auf-bäumen des gesamten Organismus. Plötzlichkonnte er seine Finger wieder bewegen underreichte die lebensnotwendigen Schaltun-gen.

Er bremste ab und wendete. Durch diewinzigen Eiskristalle hindurch, die seineAugäpfel bedeckten, konnte Corpkor dasDoppelpyramidenschiff sehen, aus dem ergekommen war. Er hoffte jedenfalls, daß es

18 H. G. Ewers

sich um das betreffende Schiff handelte,denn wenn er an ein anderes Schiff geriet,würde niemand da sein, der ihm die Schleu-se öffnete.

Der Tiermeister hatte jedoch weder dieZeit noch die Kraft, eine Positionsmessungdurchzuführen. Er konnte nur noch den Kurshalten und beschleunigen, während die Käl-testrahlung seinen Körper völlig durchdrangund ihm bis ins Mark kroch.

Als das Doppelpyramidenschiff gleich ei-ner gigantischen Stahlwand vor ihm aufrag-te, besann Corpkor sich praktisch im letztenAugenblick darauf, daß er verzögern mußte,wollte er nicht mit hoher Geschwindigkeitaufprallen und dabei umkommen.

Wieder befähigte ihn nur die verzweifelteTodesangst dazu, die entsprechenden Schal-tungen durchzuführen. Im nächsten Moment– oder eine halbe Ewigkeit später, denn jeg-liches Zeitgefühl war ihm abhanden gekom-men – stieß der Tiermeister gegen die Au-ßenwand des Varganenschiffs.

Er prallte ab, wurde von den Flugaggrega-ten wieder gegen die Wandung gedrückt undschabte hilflos an ihr entlang. Diesmal halfihm auch die Todesangst nicht, seine Händedazu zu zwingen, den Feldanker zu aktivie-ren.

Corpkor wäre an der Wandung entlangge-glitten und schließlich im freien Raum zwi-schen den Schiffen des Pulks verschwunden,wenn sich in seiner Nähe nicht eine Schleu-se geöffnet hätte. Ein Magnetanker flog aneinem Seil heraus, traf auf den halbtotenMann und hielt ihn fest.

Der Tiermeister verlor das Bewußtseinnicht. Aber er nahm die Varganen, die ihn indie Schleusenkammer zogen und sein Flug-aggregat ausschalteten, nicht mehr als Gebil-de der Realität war, sondern als Traumfigu-ren.

Auch der Transport in den Hohlraum derBordpositronik verlief für ihn wie etwas, daskeinerlei Bezug zur Realität besaß.

Erst als der Frost allmählich aus seinenGliedern wich und diejenigen Zellen, derenFlüssigkeit gefroren war, unter der plötzli-

chen Ausdehnung platzten, wurde Corpkorunsanft aus dem scheinbaren Traum geris-sen.

Er schrie sich vor Schmerzen beinahe dieSeele aus dem Leib – und diesmal verlor erdas Bewußtsein.

Als er wieder zu sich kam, waren dieSchmerzen bis auf ein Ziehen und Kribbelnabgeklungen. Zwei Varganen standen nebenihm und musterten ihn mit besorgtenBlicken. Corpkor versuchte zu lächeln undhatte das Gefühl, seine Gesichtshaut würdevon glühenden Klingen zerschnitten. Eindumpfes Stöhnen entrang sich seiner Kehle.

»Bitte, bleiben Sie ruhig liegen!« sagte ei-ner der Varganen. »Sie sind in Sicherheit,aber noch lange nicht gesund. Die Kälte-strahlung hat Ihre Haut irreparabel geschä-digt. Wahrscheinlich werden Sie bis zu Ih-rem Tode die Narben tragen müssen, die dieEisige Sphäre Ihnen zugefügt hat.«

»Besser Narben in der Haut als in derSeele«, flüsterte der Tiermeister mit sparsa-men Mundbewegungen. »Liegen Nachrich-ten über meine Freunde vor?«

»Sie mußten ihren Widerstand aufgeben,wurden gefangengenommen und in dem be-nachbarten Schiff untergebracht«, antworte-te der Vargane, den Corpkor als Konzelkwiedererkannte.

»Hauptsache, sie leben noch«, flüsterteCorpkor erleichtert. »Haben Sie etwas überIschtar gehört?«

Als beide Varganen auf die letzte Fragenicht reagierten, wurde der Tiermeister un-ruhig.

»Antworten Sie!« stieß er unvorsichtiger-weise laut hervor und hatte gleich daraufwieder das Gefühl, seine Gesichtshaut wür-de von glühenden Messerklingen zerfetzt.

Konzelk räusperte sich.»Sie befindet sich noch in ihrem Gefäng-

nis, und sie lebt noch«, erklärte er.»Was heißt, sie lebt noch?« drängte Corp-

kor. »Meinen Sie, ich könnte die Wahrheitnicht vertragen, wenn sie schlimm ist! Re-den Sie endlich!«

»Wir haben erfahren, daß Magantilliken,

Das Ende von Yarden 19

der Henker, auf dem Weg zu Ischtar ist«,antwortete der Vargane tonlos.

Corpkor lag eine Weile still. Er fühlte sichso hilflos, wie nie zuvor in seinem Leben.Magantilliken, der Henker der Varganen,war unterwegs zu Ischtar. Er würde siezweifellos töten – und alle, die hätten versu-chen können, das zu verhindern, waren aus-geschaltet: er selbst, Fartuloon und auch Eis-kralle.

Aber Atlan lebte!Doch Atlan konnte nicht ahnen, daß der

Henker bereits unterwegs war, um das Urteilan seiner Geliebten zu vollstrecken.

Mit unsäglicher Mühe richtete der Tier-meister sich auf, ohne auf die Schmerzen zuachten, die seinen Körper erneut durchtob-ten.

»Bringt mir einen Valtor!« stieß er mitheiserer Stimme hervor. »Und etwas zuschreiben! Ich muß Atlan davon unterrich-ten, welche Gefahr Ischtar droht.«

*

Hilflos hatte Ischtar mitanhören müssen,wie das Schiff sich mit Gefechtslärm füllte.

Anfangs konnte sie durch die angelehnteStahltür auf den Flur sehen und die schwer-bewaffneten Varganen beobachten, diedurch den Hauptkorridor stürmten.

Sie wußte, als sie die Ausrüstung der Var-ganen sah, daß ihre Freunde keine Chancehatten, aus dem Schiff zu entkommen. DieKämpfer in den goldfarbenen Schutzanzü-gen trugen allesamt auf dem Rücken jenesschildbuckelähnliche Aggregat, das allge-mein als Keruhm bezeichnet wurde, inWirklichkeit aber nur das Steuergerät desKeruhms war, das zu groß und schwer war,um von einem Mann getragen zu werdenund deshalb in einem sogenannten Keruhm-raum fest installiert war.

Das Rückenaggregat wurde vom Keruhmje nach Bedarf aufgeladen und konnte einenEnergieschirm erzeugen, der sowohl alsraumtüchtige Sphäre wie auch als eng anlie-gender Schutzschirm dienen konnte, als ein

Schutzschirm, der so stark war, daß er sogardie Gewalt einer kleinen nuklearen Explosi-on von seinem Träger fernhielt.

Mit den Waffen, die den Freunden zurVerfügung standen, vermochten sie keinenKeruhm-Schutzschirm zu durchdringen. Siewaren der überlegenen varganischen Tech-nik hilflos ausgeliefert. Die varganischenKämpfer wußten das natürlich. Deshalbkonnten sie ohne Furcht um ihr eigenes Le-ben vorgehen.

Ischtar hoffte nur noch, daß ihre Freundedie Aussichtslosigkeit ihrer Lage bald genugbegreifen und den Kampf aufgeben würden.

Aber der Kampflärm, der einmal hier undeinmal dort anschwoll und wieder verebbte,bewies ihr, daß Fartuloon, Eiskralle undCorpkor nicht daran dachten, aufzugeben.

Ischtar wußte, daß ihre Freunde tapfereKämpfer waren, die auch vor großen Risi-ken nicht zurückschreckten. Aber sie wußteauch, daß sie Gegner sinnloser Heldentatenwaren. Sie ahnte deshalb, daß die Freundeirgendeinen Plan verfolgten, um zu retten,was noch zu retten war.

Dennoch bangte sie um ihr Leben, dennes bestand die akute Gefahr, daß die dreiMänner bei ihren Manövern in einen Hinter-halt gerieten und zusammengeschossen wur-den.

Als der Gefechtslärm nach einiger Zeitschlagartig verstummte, kehrte Ischtar in ihrGefängnis zurück. Sie wußte nicht, ob dieFreunde den Kampf aufgegeben hatten oderob sie tot waren. Wäre Chapat nicht bei ihrgewesen, hätte sie sich auf den Weg ge-macht und versucht, etwas über das Schick-sal der drei Männer zu erfahren. So abermußte sie an die Sicherheit ihres Sohnesdenken.

Nachdem sie Chapat gewaschen und ge-füttert hatte, nahm sie ihn auf die Arme,setzte sich auf einen Stuhl und wiegte ihnsanft, damit er einschliefe. Das Baby ver-hielt sich sehr ruhig für einen Säugling,schaute seine Mutter nur aus großen Augenan und schmatzte ab und zu genießerisch.

Lächelnd betrachtete die Varganin ihr

20 H. G. Ewers

Kind. Deshalb bemerkte sie auch, wie esplötzlich zusammenzuckte und wie seineAugen dunkel vor Furcht wurden.

Im nächsten Augenblick empfing sieeinen starken telepathischen Ruf.

»Magantilliken!«Sie erschrak heftig.»Was ist mit Magantilliken?« fragte sie

laut.»Er ist auf dem Weg hierher«, antwortete

Chapat telepathisch.Ischtar fühlte, wie kalte Todesfurcht in ih-

re Glieder fuhr. Eine Zeitlang saß sie wiegelähmt da, unfähig, etwas von dem, wasringsum geschah, bewußt wahrzunehmen.Dann erwachte sie zu hektischer Betrieb-samkeit.

Sie lief los, hob ächzend die schwereStahlplatte auf, schaffte es aber nicht, sie zuhalten. Deshalb ließ sie sie fallen und schobsie auf dem Boden bis an die Tür. Dortstemmte sie sie hoch und lehnte sie an dieTür. Danach schleppte sie alle Gegenstände,die sie bewegen konnte, ebenfalls zur Türund häufte sie dort zu einer Barrikade auf.

Zuletzt nahm sie eine Matratze und legtesie in den Waschraum. Dann bettete sie Cha-pat darauf.

»Er will uns beide umbringen!« teilteChapat ihr mit.

»Ich werde ihn schon aufhalten«, erwider-te Ischtar, konnte aber nicht verhindern, daßsie dachte: »Lange wird die Barrikade demHenker nicht widerstehen.«

»Du mußt ihn töten!« forderte Chapat sieauf. »Wenn er in seinem eigenen Körperstirbt, ist er für immer tot.«

»Ja!« sagte Ischtar. »Ich will es versu-chen!«

Sie lief in den Raum zurück, rüttelte aneinem der im Boden verankerten Tischbeine.

Als sie von draußen Schritte hörte, verliehdie Furcht ihr neue Kräfte. Sie zog unddrückte an dem Tischbein, bis es aus derVerankerung brach. Es war genau wie dieTischplatte aus Stahl und entsprechendschwer. Aber wenn die Varganin es in beideHände nahm, ließ es sich als Hiebwaffe ver-

wenden.Ischtar stellte sich in der Nähe der Barri-

kade an die Wand. Ihr Herz schlug so heftig,daß sie es zu hören glaubte.

Die Schritte kamen näher – und hieltenvor der Tür an. Dann drückte jemand vonaußen gegen die Tür. Sie gab nur einen Fin-gerbreit nach.

Draußen lachte jemand, eine Männerstim-me.

»Damit hältst du mich nicht auf, Ischtar!«Die Varganin mußte sich mit aller Wil-

lenskraft beherrschen, um nicht laut zuschreien. Sie zitterte, wußte aber nicht, ob esvor Furcht oder vor Zorn war.

Magantilliken warf sich gegen die Tür.Die Barrikade schwankte, hielt aber stand.Noch einmal warf sich der Henker kraftvollgegen die Tür. Wieder erfolglos.

»Ischtar?« rief Magantilliken.Die Varganin preßte die Lippen zusam-

men und schwieg.»Ich weiß, daß du da drin bist, Ischtar!«

rief der Henker. »Wenn du schlau bist, gehstdu von der Barrikade weg. Ich sprenge dasHindernis mit meinem Detonator weg.«

Eine Weile blieb es still. Wahrscheinlichwartete Magantilliken auf eine Reaktion.Aber Ischtar schwieg beharrlich. Plötzlichkrachte es laut. Eine imaginäre Riesenfaustknüllte die Tür zusammen und verwandeltedie Barrikade in einen Haufen verbogenerund zerschmetterter Trümmer, das Werk ei-nes Detonators, der im Zielgebiet ein starkesImplosionsfeld erzeugte.

Ischtar wagte kaum zu atmen. Schritt fürSchritt schob sie sich an der Wand entlang,bis auf die Bresche zu, die MagantillikensDetonator gerissen hatte. Als sie die Brescheerreicht hatte, packte sie das Tischbein festerund hob es über ihren Kopf.

Aber sie reagierte viel zu langsam, als derHenker pfeilgleich durch die Öffnung schoß,sich mitten im Zimmer über die Schulter ab-rollte und wieder auf die Füße kam. IhreHiebwaffe traf ins Leere.

Magantilliken stand breitbeinig im Zim-mer, den Detonator in der Hand, und lächel-

Das Ende von Yarden 21

te grausam.»Diesmal entkommst du mir nicht, Ischt-

ar!« versprach er. Dann kam er langsam aufdie Varganin zu …

5.

Die künstliche Morgendämmerung wirkteverblüffend echt. Genau wie in der freienNatur eines Planeten vom Arkontyp verblaß-te das Leuchten der Sterne, während sich aufeiner Seite des künstlichen Horizonts einleuchtender blauer Streifen bildete.

Bald darauf zuckten hellere Strahlenbün-del über den künstlichen Himmel. Der obereRand einer blauweißen Sonne erschien, stieghöher und höher und enthüllte einen strah-lend blauen Himmel, der einen trockenenund warmen Tag versprach.

Ich bewunderte das imitierte Naturschau-spiel nur kurz, denn ich mußte meine Auf-merksamkeit der Seite des künstlichen Para-dieses widmen, von der die Freunde kom-men konnten.

Ich lag in einer grasbedeckten Bodenmul-de in der Nähe eines Baches, dessen Uferge-strüpp mich gegen die Blicke neugierigerVarganen schützte. Crysalgira hatte sicheinen Beobachtungsplatz auf der gegenüber-liegenden Seite des Paradieses gesucht. DieFreunde mußten entweder auf ihrer oder aufmeiner Seite auftauchen. Wir hatten verein-bart, daß derjenige, der sie zuerst entdeckteoder der auf seiner Seite Kampflärm hörte,den anderen mit einem Pfeifsignal verständi-gen sollte.

Aber inzwischen war die künstliche Nachtverstrichen, ohne daß Fartuloon, Corpkorund Eiskralle aufgetaucht wären. Allmählichwurde ich unruhig.

Ich kannte zwar die ungeheuren Strapa-zen, die mit einem Marsch durch die Schiffeund Verbindungsröhren des Pulks verbun-den waren. Vor allem die Verbindungsröh-ren stellten ernsthafte Schwierigkeiten dar,denn in ihnen war es erheblich kälter als inden Doppelpyramidenschiffen. Wer durchmehr als dreißig solche Röhren ging, der

konnte durchaus Erfrierungen erleiden, auchwenn er einen Schutzanzug trug.

Dennoch hätte nach meinen Berechnun-gen die Nacht ausreichen müssen, um dieFreunde zu uns kommen zu lassen. Es seidenn, sie hatten Umwege wählen müssen –oder sie waren in Kämpfe verwickelt unddadurch aufgehalten worden.

Ich hob den Kopf, als ich weit vor mir einGeräusch hörte. Aber es waren nur drei Var-ganinnen, die unbekleidet aus ihrer Hütteliefen und sich in einen winzigen See stürz-ten, um zu baden. Als ich mich dabei ertapp-te, wie ich den Anblick der makellos gebau-ten Körper genoß, sank ich verärgert übermich wieder in mein Versteck zurück.

Allmählich steigerte sich meine Unruhezu der Furcht, meinen Freunden könnte et-was zugestoßen sein. Ich erinnerte michnoch lebhaft an meinen vergeblichen Vor-stoß und an das, was ich dabei durchge-macht hatte.

Was sollte ich unternehmen, wenn dieFreunde nicht kamen?

Nichts! erklärte mir der Logiksektor mei-nes Extrahirns.

Das war zwar logisch, aber wenn ichnichts unternahm, was sollte dann aus Crys-algira werden? Meine ursprüngliche Vermu-tung, daß in das künstliche Himmelsgewölbemehrere Emotiostrahler eingebettet waren,die Crysalgira und mich im Sinne der Var-ganen beeinflussen sollten, hatte sich wäh-rend der nächtlichen Wache zur Gewißheiterhärtet. In der Finsternis zwischen denkünstlichen Sternen waren die kreisrundenflimmernden Flecken der Abstrahlfelderdeutlicher zu sehen gewesen als am Tage.

Während ich hoffen durfte, daß mein zu-sätzlich aktivierter Gehirnsektor die Wir-kung der Emotiostrahlung kompensierenoder wenigstens dämpfen konnte, gab es fürdie Prinzessin diese Hoffnung nicht. Ichschätzte, daß sie nach weiteren drei bis vierTagen der Beeinflussung erliegen würde.

Sie würde dann nichts mehr dabei empfin-den, sich den Varganen als Gebärmaschinezur Verfügung zu stellen, denn die Emotio-

22 H. G. Ewers

strahlung würde ihre Gefühle so konditio-nieren, daß die Vereinigung mit VarganenGlücksgefühle auslöste. Das aber würdenden späteren seelischen Konflikt nicht ver-hindern, sondern nur verschlimmern.

Wieder hörte ich ein Geräusch, und wie-der hob ich den Kopf aus der Deckung.

Ich atmete auf, als ich den Valtor erblick-te, der sich nahe bei mir ins Gras duckte. Alser mich entdeckte, richtete er sich auf denHinterbeinen auf.

Ich sah, daß er einen Plastikstreifen umden Hals trug. Demnach schickten meineFreunde mir eine neue Nachricht. Wenig-stens würde ich endlich erfahren, ob undwann ich mit ihnen rechnen durfte.

»Komm zu mir!« flüsterte ich.Der Valtor spitzte die Ohren. Seine

schwarze Nase sog meinen Geruch ein.Dann ließ er sich wieder auf alle viere fallenund eilte zu mir, wo er sich auf den Rückenwälzte.

Aufgeregt knüpfte ich das Plastikband losund entrollte es. Mein Blick fiel auf die ar-konidischen Schriftzeichen, und bevor ichdie neue Nachricht gelesen hatte, ahnte ichschon, daß es keine gute sein würde. DieSchriftzeichen waren derart verworren undunregelmäßig, als hätte ein Geisteskrankersie hingeworfen.

Mühsam entzifferte ich die Botschaft.»An Atlan! Dringend! Ausbruch geschei-

tert, können nicht helfen. Magantilliken aufdem Wege zu Ischtar. Gefahr! Versuche, siezu retten! Corpkor.«

Die Schrift verschwamm vor meinen Au-gen infolge der erhöhten Sekretion meinerTränendrüsen, die bei Erregung stets so rea-gierten.

Wenn Magantilliken unterwegs zu Ischtarwar, dann drohte der Geliebten tatsächlichgrößte Gefahr. Der Henker würde nicht zö-gern, sie umzubringen – und niemand warbei ihr, der ihr beistehen konnte.

Niemand?Du kannst ihr nicht helfen! teilte mir mein

Logiksektor mit.Wütend auf meine innere Stimme und auf

mich selbst richtete ich mich auf. Der Valtorsprang erschrocken hoch und floh. Ich zer-knüllte den Plastikstreifen in meiner Hand.

»Ich werde Ischtar helfen, und wenn ichdabei umkomme!« stieß ich halblaut hervor.

Die drei Varganinnen, die in der Nähe ba-deten, erblickten mich und kreischten in ty-pisch weiblicher Reaktion auf, obwohl siedoch eigentlich dankbar für den Zufall seinsollten, der mir ihre Reize enthüllte.

Drei sind sowieso zuviel! übermitteltemein Logiksektor. Das war charakteristischfür ihn. Er brachte seine streng logischenAnalysen auch dann noch an, wenn sie auf-grund des Aufruhrs meines Gefühlslebenswirkungslos bleiben mußten.

Dennoch konnte ich nicht verhindern, daßmir die Äußerung meines Extrahirns durchden Kopf ging.

Und dabei kam mir plötzlich eine Idee,wie ich es trotz aller Widrigkeiten anstellenkönnte, Ischtar dennoch zu Hilfe zu eilen …

*

Mein Plan war zuerst noch vage, aber aufdem Wege zu Crysalgira reifte er allmählichund nahm feste Umrisse an.

Selbstverständlich durfte ich erst dannhandeln, wenn ich die Prinzessin informierthatte. Sie würde sonst völlig ratlos sein,wenn sie nach mir suchte und mich nichtfand.

Aber ich hatte es eilig. Deshalb legte ichdie Entfernung zur gegenüberliegenden Sei-te des künstlichen Paradieses im Laufschrittzurück.

Crysalgira bemerkte mich, als ich nochzirka zweihundert Meter von ihrem Beob-achtungsplatz entfernt war. Sie schien ausmeinem Verhalten zu schließen, daß etwasUngewöhnliches vorgefallen war, denn siegab ihre Deckung auf und lief mir entgegen.

»Du hast kein Pfeifsignal gegeben!« riefsie mir zu. »Was ist passiert, Atlan?«

Ich blieb wenige Schritte vor ihr stehen.»Der Ausbruch ist gescheitert!« stieß ich

atemlos hervor. »Ischtar befindet sich in Ge-

Das Ende von Yarden 23

fahr. Magantilliken ist auf dem Wege zuihr.«

Crysalgira wurde blaß.»Und wir können ihr nicht helfen«, flü-

sterte sie.»Doch, vielleicht kann ich ihr helfen«,

entgegnete ich. Danach erläuterte ich ihrmeinen Plan.

Die Prinzessin hörte aufmerksam zu. Anihren Augen sah ich allerdings, daß ihreSkepsis wuchs, je weiter ich kam. Als ichmeine Erläuterungen beendet hatte, meintesie:

»Ich zweifle nicht daran, daß der ersteTeil deines Planes funktionieren wird, Atlan.Aber der zweite Teil ist so schwierig undbirgt so viele Gefahren, daß ich nicht weiß,ob du das alles tatsächlich auf dich nehmensolltest, obwohl du wahrscheinlich sowiesozu spät kommen wirst.«

Die letzte Bemerkung stürzte mich beina-he in Panik, denn ich wußte, daß Crysalgirarecht hatte. Aber ich wußte auch, daß ich esdennoch versuchen würde.

»Ich muß es einfach schaffen, Kleines«,erklärte ich. »Du bleibst auf jeden Fall hier,egal, was geschieht. Ich muß jederzeit wis-sen, wo ich dich wiederfinden kann. AllesGute, Crysalgira!«

Ich drehte mich um und ging.»Viel Glück, Atlan!« rief die Prinzessin

mir nach.Ich blickte nicht zurück, sondern ging mit

weitausgreifenden Schritten zur anderen Sei-te des Paradieses zurück. Wie ich erhoffthatte, waren die drei Varganinnen noch amSee. Sie hatten zwar das Wasser verlassen,standen aber noch am Ufer und rieben sichmit großen Tüchern gegenseitig trocken.

Ich versuchte, unbekümmert und fröhlichdreinzuschauen und ging zielstrebig auf dieGruppe zu. Ich war sicher, daß ich nach au-ßen Sicherheit ausstrahlte. Innerlich war ichziemlich verunsichert, denn das, was ichvorhatte, war nicht mehr und nicht weniger,als einen Vorgang, der normalerweise vielZeit brauchte, innerhalb einer Zeitspanne ab-zuwickeln, der sonst gerade für das Vorge-

plänkel ausgereicht hätte.Die mittlere Varganin war mir, wenn auch

nicht bewußt, sofort aufgefallen. Sie steuerteich an.

Die Varganinnen blickten mir neugierigund verwundert entgegen. Sie waren un-sterblich und mochten in ihrem langen Le-ben schon zahlreiche Liebschaften gehabthaben. Dennoch mußte es ihnen ungewöhn-lich erscheinen, daß ein Mann sich ihnennahte, wenn sie nackt in einer Gruppe bei-sammenstanden.

Wenige Schritte vor den Varganinnenblieb ich stehen, neigte den Kopf und sagte:

»Bitte, verzeihen Sie mir die ungewöhnli-che Annäherung, meine Damen. Aber ichkann nicht zulassen, daß Sie mir wieder ausden Augen geraten.«

Danach wandte ich mich der Varganin zu,die ich als Zielobjekt erwählt hatte.

»Ist es sehr ungehörig, wenn ich Sie umein Gespräch unter vier Augen bitte?« fragteich scheinheilig.

Die Varganin warf mir einen kokettenBlick zu.

»So, wie ich bin?« erkundigte sie sichverschämt. Aber ihre Verschämtheit war ge-spielt, erkannte ich.

Sie wird sich die Gelegenheit nicht entge-hen lassen, ihre Rivalinnen aus dem Feldezu schlagen! teilte mir mein Logiksektormit. Dazu ist die Konkurrenz für sie viel zugroß.

»Sie können sich ja ein Tuch umhängen«,erwiderte ich.

»O ja, das ist ein guter Gedanke!« flötetesie.

Aber bevor sie ihn in die Tat umsetzte,gab sie mir noch ausführlich Gelegenheit,ihren gutgebauten Körper zu bewundern.

Dann warf sie ihren Rivalinnen einen tri-umphierenden Blick zu und näherte sichmir. Die beiden anderen Varganinnenschickten ihr giftige Blicke nach.

Da ich mir keine lange Vorbereitung er-lauben durfte, legte ich ihr sofort einen Armum die Hüften und führte sie aus der Hör-weite ihrer Rivalinnen.

24 H. G. Ewers

Unter einem blühenden Baum hielt ich an.Ich legte auch den anderen Arm um sie,blickte ihr tief in die Augen und hoffte, daßmein Charme genügend Überzeugungskraftbesaß.

»Ich bewundere Sie!« flüsterte ich mit ge-spielter Erregung. »Als ich Sie vorhin imWasser sah, wurde mir klar, daß Sie dieSchönste hier sind. Zwar habe ich noch im-mer Bedenken, mich als Zuchtobjekt herzu-geben, aber das betrifft Sie nicht mehr. BeiIhnen ist es etwas anderes.«

Vielleicht kamen ihr Zweifel, aber meineWorte gingen ihr einfach zu leicht hinunter,als daß sie sich ihrer Wirkung entziehenkonnte. Außerdem wußte sie, daß die Kon-kurrenz nur darauf lauerte, mich ihr wiederabzujagen. Es war klar, daß sie mir unterdiesen Umständen nichts abschlagen würde.

»Ich liebe dich, Atlan!« hauchte sie.Beinahe hätte ich laut und sarkastisch ge-

lacht. Ihr Geständnis war zu banal, als daßich es für bare Münze genommen hätte.Aber es kam meinen Absichten entgegen.

»Ich liebe dich auch«, versicherte ich ihrtreuherzig. »Aber unsere Liebe kann hierkeine Erfüllung finden. Ich würde immerdenken, daß Hunderte von Augen zusehenund Hunderte von Ohren zuhören würden.Gibt es nicht einen Platz außerhalb diesesOrtes, wo wir ungestört zusammen sein kön-nen?«

Einen Augenblick lang überlegte sie, dannsagte sie:

»Ja, meine Privatgemächer. Dort würdenwir ungestört sein. Aber ich weiß nicht, obdie Posten uns hinauslassen werden.«

»Es kommt auf einen Versuch an«, erwi-derte ich. »Du mußt ihnen klarmachen, daßdu deine Pflicht nur dann erfüllen kannst,wenn du auf meine Wünsche eingehst,Komm!«

*

Die Wachtposten am Ausgang des Para-dieses wollten uns zurückweisen. Aber dieVarganin schaffte es tatsächlich, ihnen über-

zeugend klarzumachen, daß man im Interes-se der Sache des varganischen Volkes Rück-sicht auf meine Wünsche nehmen müsse.

Als wir die Posten passiert hatten, führtedie Varganin mich zu einem Antigravlift inder anderen Schiffshälfte und schwebte mitmir neunzehn Decks höher. Sie hielt dabeimeine Hand fest in der ihren, als fürchtetesie, mich zu verlieren.

Niemand begegnete uns unterwegs, wasich als günstigen Umstand registrierte. Voreinem Schott blieb die Frau stehen, drückteeinen Kodeimpulsgeber dagegen und zogmich durch die Öffnung, als es aufgeglittenwar.

Wir kamen in eine luxuriös eingerichtetePrivatkabine, die groß genug und so kon-struiert war, daß man von einem Punkt ausimmer nur jeweils ein Drittel des Raumesüberschauen konnte. Ich sah eine erstklassi-ge Automatbar, einen Speiseautomaten,einen Fiktivspiegel, bequeme niedrige Ses-sel und Tischchen und ein riesiges Bett.

»Da wären wir, Atlan!« sagte die Varga-nin. Ihr Busen hob und senkte sich, und ihrGesicht glühte.

Sie tat mir beinahe leid. Ich fühlte michschuldbewußt, weil ich mit ihren Gefühlenspielte, ohne sie zu erwidern. Das ist immereine schlimme Sache, und ich konnte sie tat-sächlich nur damit rechtfertigen, daß ich fürIschtar in Notwehr handelte.

»Wie heißt du eigentlich?« fragte ich.»Alkyara«, antwortete die Schöne. Ihre

Hände glitten liebkosend durch mein Haar,fuhren über den Nacken und den Rückenhinab.

»Bist du eine aktive Raumfahrerin?« er-kundigte ich mich.

»Selbstverständlich«, antwortete Alkyara.Dann runzelte sie die Stirn. »Warum bist duplötzlich so kalt, Atlan?«

Ich befreite mich von ihr.»Es tut mir leid, Alkyara«, erwiderte ich.

»Aber ich liebe dich nicht. Ich habe dich nurbenutzt, um aus dem künstlichen Paradies zukommen, da meine Freundin Ischtar vonMagantilliken bedroht wird.«

Das Ende von Yarden 25

»Oh!« entfuhr es ihr. Sie wich zurück undstarrte mich aus großen feuchten Augen an.

Ich seufzte.»Du bist schön und begehrenswert – und

das ist die Wahrheit, Alkyara. Aber ich kannnicht einmal an Liebe denken, wenn Ischtarin Lebensgefahr schwebt. Verzeih mir, aberich muß dich fesseln, damit du nicht die Wa-chen alarmierst.«

Ich sah an ihrem Gesicht, daß sich in ih-rem Innern ein heftiger Kampf abspielte. Ih-re Augen spiegelten zuerst tiefe Enttäu-schung, dann die blinde Wut der Ver-schmähten. Danach setzte sich Resignationdurch, gefolgt von einem Glitzern der Be-rechnung.

Ich wußte genau, was sie dachte, auchwenn sie es nicht offen aussprach.

»Ich verstehe dich, Atlan«, erklärte sie.»Und ich verspreche dir, daß ich die Wa-chen nicht alarmieren werde. Du brauchstmich nicht zu fesseln. Ich werde dir sogarhelfen und dir verraten, auf welchem Wegedu unbehelligt in das Schiff kommst, in demIschtar gefangengehalten wird.«

Im Klartext hieß das, daß sie alles unter-lassen wollte, was einer denkbaren späterenRomanze zwischen uns hinderlich gewesenwäre. Indem sie großzügig verzichtete undmir weiterhalf, hoffte sie, mich ihr gegen-über dankbar zu stimmen, so daß ich michihr verpflichtet fühlen würde.

Die Situation gestattete mir keine Skrupel.»Ich werde dir ewig dankbar sein, Alkya-

ra«, versicherte ich. »Wie komme ich anWaffen?«

Alkyara ging zu einem unsichtbar instal-lierten Einbauschrank und aktivierte denÖffnungsmechanismus. Ich folgte ihr vor-sichtshalber, denn ich konnte es mir nicht er-lauben, mich überrumpeln zu lassen.

In dem Schrank erblickte ich zwei gold-farbene Schutzanzüge, die zweifellos Alkya-ra gehörten. Ein Aggregattornister lag dar-unter, und in den Halftern eines Waffengür-tels steckten je eine Lähm- und eine tödlicheEnergiewaffe.

Aber es war auch ein Schutzanzug da, der

nur einem männlichen Varganen gehörenkonnte.

»Er gehörte Vytron, einem ehemaligenLebensgefährten«, erklärte die Varganin.»Er kam bei einem Unfall ums Leben.«

»Tut mir leid«, sagte ich und strich ihrdankbar übers Haar.

»Er war ein Scheusal«, gab Alkyara zu-rück. »Bitte, bediene dich!«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ichstreifte den Schutzanzug von Alkyaras Ver-blichenem über und schnallte mir auch dasdazugehörige Flugaggregat, den Schutz-schirmprojektor und den Waffengurt um.Die Gürtelhalfter enthielten eine Lähmwaffeund einen Detonator. In einer Beintasche desSchutzanzugs entdeckte ich außerdem dreiWurfmesser – Waffen, die von Varganennormalerweise nicht benutzt wurden. Wahr-scheinlich hatte Alkyaras Verblichener sieirgendwann auf einem Primitivplaneten er-beutet.

Die übrigen Beintaschen füllte ich mitEnergiemagazinen, die reichlich herumla-gen. Nach kurzem Überlegen steckte ichauch Alkyaras Waffen zu mir.

Anschließend erklärte und beschrieb dieVarganin mir den Weg, wie sie es verspro-chen hatte. Ich erfuhr erstmals, daß es soge-nannte Kurzstreckenverbindungen gab,Langröhren, die jeweils fünf Doppelpyrami-denschiffe »übersprangen«, so daß man, be-nutzte man sie, durch jede Röhre zehnDurchschleusungsvorgänge vermeidenkonnte.

»Ich danke dir, Alkyara«, sagte ich, nach-dem ich die gewünschte Information besaß.

»Was soll das?« fragte sie, als ich ihreLähmwaffe aus meinem Gürtel zog.

»Nur zur Sicherheit – auch zu deiner«,antwortete ich und schoß.

Alkyara fiel stocksteif auf ihr breites Bett.Ich hoffte, daß sie meine Handlungsweiseverstehen würde. Schließlich war es auch zuihrem Besten, wenn sie nicht beschuldigtwerden konnte, meine Flucht begünstigt zuhaben. Niemand konnte ihr das vorwerfen,wenn sie nachwies, daß sie gelähmt gewesen

26 H. G. Ewers

und deshalb an der Meldung meiner Fluchtgehindert war.

Anschließend verließ ich ihre Kabine.Niemand war draußen zu sehen. Ich schalte-te das Flugaggregat an und steuerte auf dieSchiffssektion zu, in der sich der Anfang derersten Kurzstreckenverbindung befindensollte.

6.

Das Flugaggregat erlaubte mir nicht nur,die Langstreckenröhren optimal zu nutzen,es machte mich auch so schnell, daß die inden langen Röhren herrschende Kälte nichtsanhaben konnte.

Es kam nur einmal zu einem Zwischen-fall. Das war, als ich die dritte Lang-streckenröhre betrat und mich zwei Varga-nen gegenübersah, die die gleichen goldfar-benen Schutzanzüge trugen, wie ich einenanhatte. Zuerst hielten sie mich offenbar füreinen der ihren, doch dann sahen sie meinGesicht und merkten, daß ich kein Varganewar.

Ohne zu zögern, zog ich eine Lähmwaffeund schoß sie nieder: Natürlich konnte ichsie nicht liegen lassen, denn wurden sie ent-deckt, würde es nicht lange dauern, bis dieVarganen den richtigen Schluß daraus zo-gen.

Deshalb aktivierte ich die Antigravprojek-toren ihrer Tornisteraggregate, klemmte siemir unter die Arme und schleppte sie insnächste Schiff. Dort verstaute ich sie in ei-nem leeren Lagerraum, aktivierte von außendie Schottverriegelung und setzte meinenWeg fort.

Da die letzte Langstreckenröhre auf mei-nem Wege nicht direkt in dem Schiff mün-dete, in dem Ischtar gefangengehalten wur-de, mußte ich ein Schiff früher aussteigen.

Meine Befürchtung, in dem Schiff aufVarganen zu stoßen, bewahrheitete sichglücklicherweise nicht. Ich durchquerte denHauptkorridor fliegend, verließ das Schiffdurch die entgegengesetzte Schleuse undflog durch die letzte Verbindungsröhre.

Als sich das Außenschott meines Ziel-schiffs vor mir öffnete, erblickte ich sechsbewaffnete Varganen. Ich hatte mit Wacht-posten gerechnet und deshalb vorher denDruckhelm meines Schutzanzugs geschlos-sen, so daß mein Gesicht durch die Spiegel-reflexe der Klarsichtscheibe undeutlich ge-macht wurde.

Die Varganen schauten nur flüchtig zumir. Von dieser Seite erwarteten sie offenbarkeinen Gegner. Bevor sie ihres Irrtums ge-wahr werden konnten, hielt ich in jederHand einen Lähmstrahler und schoß.

Ich wußte, daß ich verloren war, wenn esnur einem der Männer gelang, seinen Ke-ruhm-Schutzschirm zu aktivieren. Und Isch-tars wegen durfte ich nicht unterliegen.

Vier Varganen kippten sofort steif um, diebeiden anderen griffen zu meinem Glück zu-erst nach ihren Waffen, bevor sie an dieSchaltungen ihrer Schutzschirme dachten.Damit war der Kampf auch schon entschie-den, denn bevor sie die Waffen aus den Gür-telhalftern gezogen hatten, wurden sie vonder Lähmschockenergie meiner beiden Waf-fen getroffen.

Vielleicht hätte ich mir das Keruhm-Ag-gregat eines der Männer umschnallen sollen,aber ich wollte keine Zeit damit verschwen-den. Vielleicht befand sich Magantillikenbereits bei Ischtar. Jede Verzögerung konnteihr zum Verhängnis werden. Deshalb öffneteich das Innenschott und flog mit voll akti-viertem Flugaggregat in den Hauptkorridorein.

Bevor ich ein Drittel der Strecke bis zurMittelteileinschnürung des Doppelpyrami-denschiffs zurückgelegt hatte, hörte ich we-nige Türen weiter ein lautes Poltern und ent-deckte eine offene Tür.

Ich hielt darauf zu.Kurz darauf sagte eine Männerstimme auf

Varganisch:»Diesmal entkommst du mir nicht, Ischt-

ar!«Magantilliken!Ich wußte aus Erfahrung, daß der Henker

der Varganen mir kämpferisch überlegen

Das Ende von Yarden 27

war. Normalerweise wäre ich ihm aus demWeg gegangen, denn ich bin kein Selbst-mörder. Aber jetzt und hier bedrohte Ma-gantilliken das Leben Ischtars. Da gab es fürmich kein Halten mehr.

Ich riß den Detonator aus dem Gürtelhalf-ter, landete dicht vor der Türöffnung – undstand im nächsten. Augenblick dem Henkergegenüber.

Leider konnte ich nicht schießen, dennzwischen mir und Magantilliken stand Ischt-ar. Meine Geliebte hielt mit beiden Händeneine Stahlstange umklammert und war of-fenbar entschlossen, ihr Leben so teuer wiemöglich zu verkaufen. Aber ich wußte, daßsie gegen den Henker keine Chance hatte,zudem Magantilliken ebenfalls mit einemDetonator bewaffnet war.

Als Magantilliken mich sah, weiteten sichseine Augen vor Verwunderung.

Ischtar bemerkte es und zog offenbar denrichtigen Schluß daraus. Jedenfalls warf siesich zur Seite, so daß ich freies Schußfeldbekam. Aber der Überraschungseffekt, dermir vielleicht zu einem schnellen Sieg hätteverhelfen können, war dahin.

Magantilliken und ich feuerten gleichzei-tig, während wir aus der Feuerlinie des Geg-ners sprangen. Hinter mir zerfiel ein Teil derKorridorwand, während in Ischtars Gefäng-nis drei stählerne Tischbeine zerbröckelten.

Die Angst um Ischtar gab mir Mut genug,um sofort wieder hochzuschnellen und michaus einer halben Drehung heraus ins Zimmerzu werfen, anstatt im Korridor eine Deckungzu suchen.

Damit hatte Magantilliken offenbar nichtgerechnet, denn sein nächster Schuß entludsich wieder im Korridor.

Ich rollte mich herum und legte im Liegenauf den Henker der Varganen an. Magantil-liken stand, gegen Beschuß aus dem Haupt-korridor gedeckt, hinter der Seitenwand ei-nes Stahlschranks. Natürlich bemerkte ermich, aber er hätte es nicht mehr geschafft,seine Waffe auf mich zu richten und vor mirabzudrücken.

Deshalb warf er sich blitzschnell zu Bo-

den. Mein Detonatorschuß entlud sich imStahlschrank, der sich in lauter kleine Trüm-merstücke auflöste. Bevor ich die Schuß-richtung verändern konnte, war Magantilli-ken aufgesprungen und hatte sich durch dieTüröffnung geworfen. Er rollte so schnellaußer Sichtweite, daß der Schuß, den ichihm nachschickte, nur ein kraterähnlichesLoch in den Boden riß.

»Atlan!« rief Ischtar weinend.Sie wollte zu mir kommen, aber ich wink-

te sie mit einer herrischen Geste zurück. Ma-gantilliken war ein Gegner, der jede Blößeund jeden Fehler eines Gegners mit tödlicherPräzision für sich nutzte.

Ich warf Ischtar eine meiner Lähmwaffenzu, dann ging ich zu einem zweiten Stahl-schrank, zwängte mich zwischen ihn und dieWand und stemmte mich dagegen, bis erumkippte und polternd aufschlug. Ich lagbereits hinter ihm in Deckung, als Magantil-likens Detonator die Wand hoch über mirzertrümmerte.

Der Henker hatte gefeuert, während einweiter Satz ihn an der Türöffnung vorbei-trug. Ich schnellte vorwärts und erreichte dieÖffnung, als Magantilliken zwar schon wie-der gelandet war, die Waffe aber noch nichtin meine Richtung gedreht hatte.

Er war gezwungen, sich erst einmal eineDeckung zu suchen. Deshalb schoß ich nichtauf ihn, sondern auf die nächste Wandnis-che. Aber der Henker war so raffiniert gewe-sen, das vorauszusehen. Er sprang nicht et-wa in die betreffende Nische, sondern an diegegenüberliegende Korridorwand. Dort gabes zwar keine Deckung für ihn, aber erkonnte auf mich schießen, bevor ich meineZielrichtung geändert hatte.

Mir blieb weiter nichts übrig, als schleu-nigst wieder in Ischtars Gefängnis unterzut-auchen. Dadurch geriet Magantilliken ausmeinem Blickfeld. Ich konnte es nicht wa-gen, den Kopf in den Korridor zu stecken,wenn ich ihn nicht verlieren wollte.

Damit stand die Auseinandersetzung un-entschieden, denn auch Magantilliken konn-te es nicht wagen, zu mir hereinzuschauen.

28 H. G. Ewers

Und ein zweitesmal würde ihm der Trickmit dem Schuß aus dem Vorbeiflug nichtgelingen, das wußte er.

Im ersten Moment war ich erleichtert überdie Lage, denn ich dachte, daß derjenige denKampf gewinnen würde, der die besserenNerven besaß und in seiner Deckung aus-harrte, bis der Gegner einen Fehler beging.Ich wußte, daß ich die Nerven nicht verlie-ren würde. Fartuloon hatte mich in dieserBeziehung unerbittlich trainiert.

Doch dann vernahm ich die Rufe andererVarganen und wußte, daß meine Rechnungnicht aufging. Die Detonatorentladungenhatten offenbar die übrigen Varganen imSchiff alarmiert. Sie waren gekommen undwürden zweifellos Magantilliken unterstüt-zen.

Ich brauchte sie allerdings nicht gleich zufürchten, denn sie konnten nicht durch dieTüröffnung hereinkommen; die ließ sich voneinem Mann gegen eine ganze Hundert-schaft verteidigen. Aber früher oder späterwürden sie sich dazu entschließen, von meh-reren Seiten gleichzeitig durch die Wände zubrechen.

Wie der Kampf dann für Ischtar und michausgehen würde, daran gab es nicht den ge-ringsten Zweifel. Wir waren schon jetzt sogut wie tot, aber wir würden wenigstens zu-sammen sterben.

Nur Chapats Schicksal bereitete mirKopfzerbrechen.

*

Mittels Zeichensprache gab ich Ischtar zuverstehen, daß sie unseren Sohn holen sollte.Sie begriff und entfernte sich in einen Ne-benraum, der ein Waschraum zu sein schien.

Ich hatte vor, sobald Ischtar und Chapatwieder bei mir waren, mit dem Detonatorein Loch in den Fußboden zu schießen, sodaß wir in das Deck unter uns entkommenkonnten.

Aber Magantilliken vermutete offensicht-lich, auf welchen Ausweg ich verfallen wür-de. Kaum waren Ischtar und Chapat bei mir,

da meldete er sich von draußen.»Es wäre sinnlos, durch eine Wand oder

durch den Boden ausbrechen zu wollen!«rief er. »Ich habe das Gefängnis einschlie-ßen lassen. Niemand kann entkommen.«

Ich überlegte, ob der Henker die Wahrheitsprach. Stimmte es, was er sagte, so mußteer meine Absicht sehr früh durchschaut ha-ben. Ebensogut aber konnte er bluffen. Ichentschloß mich, es darauf ankommen zu las-sen.

Mein Detonator riß ein klaffendes Loch inden Fußboden des Gefängnisses.

Sofort nach dem Schuß sprang ich beisei-te. Keinen Augenblick zu früh, denn dort,wo ich eben noch gestanden hatte, löste sichein Teil des Fußbodens in einem Trümmer-regen auf.

Jemand hatte von unten mit einem Deto-nator geschossen. Damit stand es fest, daßMagantilliken nicht geblufft hatte. UnserSchicksal war besiegelt. Dennoch lächelteich Ischtar aufmunternd zu.

»Kommen Sie heraus!« ertönte wiederMagantillikens Stimme. »Oder ich lasse vonallen Seiten gleichzeitig das Feuer eröff-nen.«

Ich lachte grimmig.»Was hätten wir davon, herauszukom-

men?«»Ich würde Ihr Leben schonen, Atlan«,

antwortete Magantilliken.»Vielen Dank!« erwiderte ich sarkastisch.

»Leider muß ich Sie enttäuschen. Sie wer-den mich nicht lebend bekommen.«

»Ich verstehe Sie«, sagte der Henker. »AnIhrer Stelle würde ich genauso handeln. Ichhoffe, Sie haben einen schnellen Tod.«

Seine Stimme veränderte sich, als erschrie:

»Angriff von allen Seiten!«Ich schloß mit meinem Leben ab und be-

reitete mich darauf vor, möglichst vieleGegner mit in den Tod zu nehmen.

Im nächsten Moment brach die Hölle los.Ich wußte zuerst nicht, was überhaupt ge-

schah, denn das, was ich hörte und sah, ent-sprach nicht meiner Vorstellung von einem

Das Ende von Yarden 29

Großangriff der Varganen.Ein Knirschen, Knacken und Krachen er-

scholl von überall zugleich, schwoll zu ei-nem infernalischen Lärm an. Dann schwank-te der Boden. Ich sah, wie Ischtar mit Cha-pat in die Knie ging, hörte ein berstendesGeräusch und konnte gerade noch zur Seitespringen, um einer hereinbrechenden Stahl-wand zu entgehen.

Plötzlich lag der Boden schief. Ich stürzteund rollte zu Ischtar und Chapat. Wir griffenbeide nach unserem Sohn, hielten ihn festund versuchten, ihn gleichzeitig mit unserenKörpern zu decken.

Durch das Krachen, Knirschen und Ber-sten ertönten gellende Entsetzensschreie undHilferufe. Die Beleuchtung erlosch, danntrat Schwerelosigkeit ein.

Ischtar, Chapat und ich schwebten plötz-lich in der Luft. Zuerst hielt ich diesen Zu-stand für das Vorstadium des unvermeidlicherscheinenden Endes, doch dann merkte ich,daß der Ausfall der künstlichen Schwerkraftdie Rettung war – jedenfalls fürs erste.

Als kurz darauf die Notbeleuchtung an-ging, entdeckte ich, daß die Decke des Ge-fängnisses sich gelöst hatte und nur noch aneinem zirka meterlangen Streifen hing. Ohneden Ausfall der Schwerkraft wäre sie zwei-fellos herabgestürzt und hätte Ischtar, Cha-pat und mich erschlagen.

Ischtar blickte mich aus großen Augen an.»Was ist geschehen, Atlan?« fragte sie.»Keine Ahnung«, antwortete ich, schalte-

te mein Flugaggregat ein und brachte uns si-cher zu Boden. »Aber was auch immer ge-schehen ist, es hat uns vorerst vor Magantil-liken und seinen Helfern gerettet. Ich denke,sie haben zur Zeit Wichtigeres vor, als sichum uns zu kümmern. Wir schauen uns drau-ßen um.«

Ischtar hatte sich wieder gefaßt und fiel indie Rolle der geistig Überlegenen zurück,die sie mir gegenüber früher so gern gespielthatte.

»Du hättest viel früher kommen sollen«,erklärte sie. »Warum hast du so lange ge-wartet?«

Ich lachte humorlos.»Noch eine so dumme Frage, und du

kannst allein sehen, wie du zurechtkommst.Wenn du vernünftig bist, dann hältst du miteiner Hand Chapat und mit der andereneinen Tragriemen meines Aggregattorni-sters. Dadurch würdest du mir nämlich mehrBewegungsfreiheit geben – für den Fall, daßwir angegriffen werden sollten.«

»Du vergißt, wer ich bin!« fuhr Ischtarhoch.

Aber sie befolgte meinen Rat. Als ichmerkte, daß sie sich festhielt, steuerte ichauf den Korridor hinaus – oder vielmehrdorthin, wo früher ein durchgehender Haupt-korridor gewesen war.

Jetzt herrschte dort ein chaotischesDurcheinander von herabgesunkenenDeckensegmenten, umgestürzten Wändenund schwerelos umherschwebenden Ener-giewaffen. Die Männer, denen die Waffengehört hatten, lagen wahrscheinlich tot unterden Trümmern.

Ich fragte mich, was diese Katastropheverursacht haben könnte. Zielstrebig steuerteich, den Trümmern ausweichend oder siemit dem Detonator beseitigend, auf dieSchleuse zu, durch die ich gekommen war.

Als wir das Innenschott erreichten, forder-te ich Ischtar auf, mit Chapat auf mich zuwarten. Dann betätigte ich den Öffnungsme-chanismus des Schotts. Er funktionierte, wasmich allerdings nicht wunderte, denn die au-ßen liegenden Schotte waren diejenigenRaumschiffsteile, die energiestark und amstabilsten gebaut wurden.

Die sechs Varganen, die ich überwältigthatte, lebten noch. Sie waren allerdings nochimmer gelähmt und schwebten mitten in derSchleusenkammer.

Ich flog zu einem der drei Bullaugen ausdurchsichtigen Metallplastik und warf einenBlick nach draußen.

Was ich sah, verschlug mir im ersten Mo-ment den Atem.

Der gesamte Pulk war in Unordnung gera-ten. Verbindungsröhren hingen abgebro-chen, zusammengeknickt und verdreht her-

30 H. G. Ewers

um. Zwei Doppelpyramidenschiffe hattensich aus dem Pulk gelöst und trieben steuer-los auf ein anderes Schiff zu, hinter dessenBullaugen die Flammen von Brändenflackerten.

Weit entfernt mußte ein Schiff explodiertsein. Jedenfalls gab es dort eine riesigeLücke, und in dem angrenzenden Gewirrvon Schiffen und Röhren hingen ausgeglüh-te Trümmerstücke.

Ich konnte mir nicht erklären, wie es zueiner derart verheerenden Katastrophe ge-kommen war. Doch das kümmerte mich amallerwenigsten. Ich verspürte plötzlich heißeWellen der Angst, der Angst um Crysalgiraund meine Freunde. Ebenso gut, wie offen-bar zahlreiche Varganen umgekommen wa-ren, konnte Crysalgira und meinen Freundenetwas, zugestoßen sein.

Ich kehrte zu Ischtar zurück und machteihr klar, daß wir unser Schiff verlassen muß-ten, um nach der Prinzessin, nach Fartuloon,Eiskralle und Corpkor zu suchen.

Darüber, wie gering die Chancen waren,in dem chaotischen Durcheinander eine be-stimmte Person zu finden, sprach ich nicht.

*

»Meinst du nicht, daß unsere Freundenoch irgendwo in diesem Schiff sind?« frag-te Ischtar.

»Wissen kann ich es natürlich nicht«, er-widerte ich. »Aber wenn sie hier wären undüberlebt haben, dann hätten sie das Chaosbestimmt genutzt, um sich Waffen zu be-schaffen. In dem Fall wären sie zuerst zu dirund Chapat gekommen. Da sie bisher nichtaufgetaucht sind, müssen die Varganen siein ein anderes Schiff gebracht haben.«

Ich kehrte noch einmal in die Schleusen-kammer zurück, nahm einem der Gelähmtendas Flugaggregat ab und schnallte es aufIschtars Rücken. Dadurch wurden wir be-weglicher. Da Ischtar noch ihren goldfarbe-nen Raumanzug trug, würden wir uns auchdurch Räume bewegen können, die ihre At-mosphäre verloren hatten. Es war schon ein

kleines Wunder, daß unser Schiff trotz dergroßen Verwüstungen nach außen hin dichtgeblieben war.

Da die Schleusenkontrollen ausgefallenwaren, zog ich die sechs Varganen vor-sichtshalber in den Hauptkorridor und ließdas Innenschott zugleiten.

Danach war das Problem zu lösen, wiewir Chapat gegen einen eventuellen Druck-abfall schützten. Ischtar bewies mir, daß ichnoch längst nicht alle technischen Detailsder varganischen Raumanzüge kannte. Alsich mich nach ihr umdrehte, um das Problemmit ihr zu erörtern, hatte sie es bereits gelöst.Chapat befand sich in einer transparentenAusbuchtung ihres Raumanzugs.

»Eine Hermetikblase«, erklärte Ischtar.»Sie dient eigentlich dazu, Lebensprobenvon fremden Planeten aufzunehmen und da-bei einen Austausch von Keimen zu verhin-dern.«

»Ist die Sauerstoffversorgung gesichert?«erkundigte ich mich, während wir unsereDruckhelme schlossen.

Als Ischtar bestätigte, aktivierte ich denÖffnungsmechanismus des Außenschotts.Wir hielten uns vorsichtshalber an Wand-griffen fest, um nicht in die Verbindungs-röhre gerissen zu werden, falls dort ein Va-kuum herrschte.

Es gab tatsächlich einen starken Luftzug.Doch er hörte bald wieder auf, und die Kon-trollen an meinen Schutzanzug bewiesenmir, daß der Luftdruck in der Röhre nur umein Drittel unter den Normalwert abgesun-ken war. Offenbar war Luft durch einen Rißentwichen, und eine Reparaturautomatikhatte den Riß schnell wieder verschlossen.

Wir schalteten unsere Flugaggregate einund flogen zum anderen Ende der Verbin-dungsröhre. Auch dort funktionierte derSchleusenmechanismus noch. Das Nachbar-schiff hatte keinen Druckabfall erlebt. Ischt-ar und ich klappten unsere Helme zurück.Sie rollten sich sofort wieder zu einer Artvon Kragenwulst zusammen.

Wir standen im Hauptkorridor des Schif-fes und lauschten. Aus mehreren Richtungen

Das Ende von Yarden 31

waren Geräusche zu hören: Knacken undKnirschen, ein dumpfes Rumoren und plötz-lich auch die Entladungen von Energiewaf-fen.

Ischtar streckte einen Arm aus.»Dort wird offenbar gekämpft«, sagte sie.

»Sehen wir nach?«»Selbstverständlich«, antwortete ich.

»Das könnten unsere Freunde sein, die sichmit Varganen herumschlagen.«

Wir flogen etwa hundert Meter durch denHauptkorridor, der in diesem Schiff frei vonTrümmern war. Danach bogen wir nachrechts ab. Aber der Quergang, in den wir ka-men, war teilweise durch Trümmerblockiert: eingestürzte Deckenteile mischtensich mit nach außen gefallenen Wandseg-menten.

Ich mußte mehrmals den Detonator benut-zen, um die Hindernisse so zu zerkleinern,daß wir darüber hinwegfliegen konnten. Da-durch kamen wir langsamer voran, als wirgehofft hatten. Ich wurde unruhig, denn ausder Richtung, in die wir uns bewegten, er-tönten immer wieder die Entladungen vonEnergiewaffen. Vielleicht befanden, sich un-sere Freunde in höchster Gefahr. Falls ihnenVarganen gegenüberstanden, die mit Ke-ruhms ausgerüstet waren, mußten sie unwei-gerlich den kürzeren ziehen.

Die Angst um unsere Freunde ließ michmeinen Detonator rücksichtslos mit maxi-maler Leistung einsetzen, auch wenn dabeiSeitenwände zerpulvert wurden und mögli-cherweise Varganen in Gefahr gerieten, dieverletzt in Kabinen lagen. Aber wenn dieVarganen keine Rücksicht auf uns nahmen,durfte ich auch keine Rücksicht auf sie neh-men.

Dadurch kamen wir wieder schneller vor-an. Ein Stück des Ganges war sogar frei vonTrümmern, aber dann stießen wir auf eineVerteilerhalle, deren Decke von herabstür-zenden Aggregaten zerschmettert wordenwar. Die Aggregate mußten aus einem Ma-schinenraum gekommen sein. Sie hatten sichin der Verteilerhalle gestaut und ineinanderverkeilt.

Es hätte zu lange gedauert, alle dieseschweren und massiven Maschinen mit demDetonator zu zerstören. Deshalb feuerte ichauf den Boden, soweit er freilag. Es währtenicht lange, da gab er nach. Das Gewicht derAggregate unterstützte den Vorgang noch.Polternd und krachend stürzte der Bodenmitsamt den schweren Maschinen in die Tie-fe. Ich hörte, wie er weitere Decks durch-schlug und dann irgendwo zur Ruhe kam.

Wir wollten unseren Flug fortsetzen, dabemerkte ich ungefähr zweihundert Metervoraus einen weiteren Trümmerhaufen. Imnächsten Augenblick krachte es dort. DerTrümmerhaufen wurde erschüttert. Aber-mals krachte es.

Ich winkte Ischtar und bedeutete ihr da-mit, nach links in Deckung zu gehen. Dannstellte ich mich an der rechten Wand auf,zielte mit dem Detonator auf den Trümmer-haufen und rief auf Varganisch den Befehl,sich mit Namen zu melden.

Eine Weile blieb es still, dann antworteteeine Stimme auf Arkonidisch – eine Stim-me, die ich sogleich als die Fartuloons er-kannte: »Ich habe dich an der Stimme er-kannt, Atlan. Bist du allein?«

»Nein!« rief ich, grenzenlos erleichtert,zurück. »Ischtar und Chapat sind bei mir.Sind Corpkor und Eiskralle auch dort?«

»Nur Eiskralle«, antwortete mein Pflege-vater. »Corpkor hat als einziger von uns aus-brechen können. Ich dachte, er wäre zu dirdurchgekommen.«

»Er muß verletzt sein«, gab er zurück. »Erschickte mir eine Nachricht, daß Ischtar inGefahr sei. Wir müssen ihn suchen.«

»Klar, mein Junge«, erwiderte Fartuloon.»Haltet euch in Deckung. Wir werden denletzten Trümmerhaufen wegblasen. Freutmich, daß du heil und gesund bist, Atlan.«

»Alles klar!« bestätigte ich. »Fangt an!«Erneut krachten hinter dem Trümmerhau-

fen die Entladungen von Detonatoren. Mirwurde klar, daß es diese Geräusche gewesenwaren, die Ischtar und ich für Gefechtslärmgehalten hatten.

Wenig später war der Weg frei. Wir konn-

32 H. G. Ewers

ten Fartuloon und Eiskralle begrüßen. Aberdie Freude über das Wiedersehen hielt nichtlange an, denn noch wußten wir nicht, wasaus Corpkor und Crysalgira geworden war.

»Wir haben keine Ahnung, wo Corpkorsich aufhält«, meinte mein Pflegevater. »Eswäre sinnlos, jedes Schiff nach ihm durchsu-chen zu wollen. Deshalb schlage ich vor, wirbegeben uns zuerst dorthin, wo du die Prin-zessin verlassen hast, mein Junge.«

Ich nickte.Um Crysalgira machte ich mir tatsächlich

die meisten Sorgen. Corpkor würde sicheher allein helfen können. Ich nahm an, daßer uns durch die Valtoren irgendwann eineBotschaft schicken würde.

»Gehen wir!« sagte ich.

7.

Vargo hockte hinter den Kontrollen desSchiffes und drückte immer wieder eine be-stimmte Reihe von Schaltplatten.

Die Triebwerke des Raumschiffs arbeite-ten in kurzen, aber starken Schüben und ver-setzten die Doppelpyramide in halbkreisför-mige horizontale Schwingungen. Da diesesSchiff aus einem bestimmten Grund beson-ders fest mit den übrigen Schiffen des Pulksverbunden war, teilten seine Schwingungensich dem gesamten Pulk mit.

Vargo kümmerte sich nicht um die Fol-gen, auch dann nicht, als eines der weit ent-fernten Doppelpyramidenschiffe aus unge-klärter Ursache explodierte. Verbissen setzteer seine Arbeit an den Schaltungen fort.

»Ich fange Notrufe auf«, meldete einerseiner Helfer, der vor dem Funkgerät saß.»In Schiff vierhunderteins und in Nummerzweihundertneunundsiebzig sind durch Hül-lenrisse und Druckverluste wahrscheinlichrund fünfhundert Personen umgekommen.«

»Dann werden die anderen sich jetzt vor-sehen«, erwiderte Vargo. Sein Gesicht warschweißbedeckt, und die Augen strahlten inirrem Glanz.

Erneut schwang das schwere Schiff nachBackbord aus. Auf den Bildschirmen der

Rundsichtgalerie war zu sehen, wie sichdraußen eine mehrere Meter starke Zusatz-Verankerungsstrebe korkenzieherartig dreh-te, mehr und mehr zusammengeschobenwurde und plötzlich auseinanderflog.

»Endlich!« stieß Vargo hervor.»Allmählich lösen wir uns aus dem Pulk!«

»Die Opfer sind zu groß, Vargo«, warfein anderer seiner Freunde ein. Er stieg überdie sterblichen Überreste dreier Varganen,die beim Kampf um die Zentrale gefallenwaren und blieb neben Vargo stehen.»Wenn ich gewußt hätte, welches Chaos wirauslösen, hätte ich dir abgeraten.«

»Der Umsetzer ist für unser Volk viel be-drohlicher als das Chaos, das wir anrichten,Apton«, entgegnete Vargo. »Wenn wir dafürsorgen, daß er nie wieder als Verbindungzwischen dem Mikrokosmos und dem Ma-krokosmos mißbraucht wird, können dieVarganen endlich daran gehen, sich eineneue Zukunft aufzubauen. Bisher haben siees unterlassen, weil sie sich einbildeten, indem Gerät eine Rückversicherung zu ha-ben.«

»Wirst du den Umsetzer zerstören?« er-kundigte sich Apton.

»Selbstverständlich«, antwortete Vargo.»Aber ich will ihn nicht innerhalb der Eisi-gen Sphäre zerstören, weil ich nicht weiß,welche Folgen die Explosion für den Pulkhaben würde. Möglicherweise bräche die Ei-sige Sphäre zusammen. Deshalb werden wirihn nach draußen bringen – und deshalbmüssen wir dieses Schiff vom Pulk lösen.«

Das Schiff schwang nach Steuerbord zu-rück. Wieder brach eine Verankerungsstrebeweg. Die beiden Verbindungsröhren, die dasSchiff mit den beiden Nachbarschiffen ver-bunden hatten, waren gleich am Anfang derAktion weggebrochen.

»Da treiben zwei Schiffe auf ein dritteszu, in dem offenbar Feuer ausgebrochenist!« rief ein anderer Helfer.

Vargo richtete sich halb auf und blickteauf den Bildschirm, auf den der Mann deute-te. Seine Lippen preßten sich zusammen, alser sah, daß eine Kollision unvermeidlich

Das Ende von Yarden 33

war. Wie gebannt verfolgte er, wie sich diebeiden Doppelpyramidenschiffe mit denBugspitzen in die Backbordflanke des drit-ten Schiffes bohrten. Der Luftschwall, deraus der zerrissenen Außenhülle schoß, ge-fror sofort und verwandelte sich in Wolkenleuchtender Eiskristalle.

Das gerammte Schiff brach wie im Zeitlu-pentempo in zwei Teile. Aus den Bruchstel-len schossen mehrere Gestalten, wirbeltenumeinander und trieben dann nach allenRichtungen davon. Die drei Schiffe bliebennicht lange ineinander verkeilt. Sie drehtensich umeinander, dann lösten sie sich wiederund trieben auf andere Raumschiffe bezie-hungsweise Verbindungsröhren zu.

»Wir müssen etwas unternehmen, um dieLeute in den Schiffen zu bergen«, sagte Ap-ton.

»Wir können nichts unternehmen, ohneunsere Kräfte zu verzetteln«, widersprachVargo. »Früher oder später werden Kretonund Kandro genug Männer sammeln, umden Umsetzer zurückzuerobern. Außerdemglaube ich, daß die Schiffe bereits verlassensind. Die Leute darin werden ihre Körperverlassen und sich die Körper konservierterTropoythers irgendwo im Mikrokosmos an-geeignet haben.«

Wieder schaltete er – und wiederschwenkte das Schiff nach Backbord herum.Doch diesmal brach keine Verankerung. Daänderte Vargo sein Vorgehen. Er wartete dasEnde der Backbordbewegung ab und schal-tete dann auf einen Vertikalschwenk.

Diesmal rissen gleich drei Verankerun-gen. Das Schiff pendelte nur noch an zweibesonders starken und elastischen Streben,die es von oben und unten faßten und mitzwei riesigen Speichenkränzen von Röhrenverbanden, an denen insgesamt achtzehnweitere Doppelpyramidenschiffe verankertwaren.

Vargo schaltete unermüdlich weiter. Erwußte, daß er gegen die Zeit kämpfte. Vorseiner Aktion gegen das Umsetzerschiff hat-te er erfahren, daß Kreton und Kandro, diebeiden Räte der Varganen, nach ihm fahnde-

ten, weil sie ihn für die Unruhen im Gefan-genenschiff verantwortlich machten.

Vargo hatte den Ausbruchsversuch derGefangenen geschickt genutzt, indem er diekurze Zeitspanne, während der Kretons undKandros Aufmerksamkeit auf das Gefange-nenschiff konzentriert war, für seinen Hand-streich gegen das Umsetzerschiff nutzte.

Inzwischen würden die beiden Räte wis-sen, daß er den Umsetzer in seine Gewaltgebracht hatte. Sobald sich die allgemeineLage in der Eisigen Sphäre stabilisierte,würden sie gegen ihn vorgehen. Bis dahinmußte er verschwunden sein.

Und er mußte vorher sein Versprecheneinlösen und die Gefangenen durch den Um-setzer in den Makrokosmos schicken …

*

Nachdem wir eine der Langröhren unan-gefochten passiert hatten, mußten wir fest-stellen, daß uns der weitere Gang über dieKurzstreckenverbindungen versperrt war.

Die nächste Langröhre wies einen klaf-fenden Riß auf, der sich über ihre gesamteLänge hinzog. In ihrem Innern herrschtendadurch Weltraumbedingungen, die für unstrotz der Raumanzüge absolut tödlich waren.

»Wir müssen den Weg durch die Schiffeund ihre kurzen Verbindungsröhren neh-men«, teilte ich meinen Gefährten mit.

»Hoffentlich finden wir genug intakteRöhren«, Warf Eiskralle ein.

»Notfalls müssen wir eben Umwege ma-chen«, erklärte Fartuloon.

»Ich bin nicht dafür, weiter blindlings los-zustürmen«, meinte Ischtar. »Wir wissenimmer noch nicht, wodurch das Chaos aus-gelöst wurde. Ich schlage vor, daß wir in dieFunkzentrale des nächsten Schiffes gehenund den Funkverkehr im Pulk abhören, da-mit wir endlich erfahren, was überhaupt ge-spielt wird.«

»Wenn die Funkzentrale von Varganenbesetzt ist, müssen wir kämpfen«, wandteFartuloon ein. »Dann merken die Varganen,daß wir noch leben und aktiv sind.«

34 H. G. Ewers

»Meine Leute werden nichts unterneh-men, solange das Chaos anhält«, entgegneteIschtar. »Ich kann das behaupten, weil ichihre Mentalität besser kenne als ihr.«

Fartuloon sah mich fragend an. Ich nickte.»Also gut«, sagte mein Pflegevater.

»Bringen wir es hinter uns.«Wir drangen in das nächste Schiff ein.

Der Hauptkorridor lag verlassen vor uns.Auch hier gab es Beschädigungen, aber siewaren im Vergleich zu dem Schiff, in demich gegen Magantilliken gekämpft hatte, mi-nimal.

Da Fartuloon und Eiskralle keine Flugag-gregate besaßen, mußten wir alle zu Fuß ge-hen. Wir traten so leise wie möglich auf,denn wir hatten kein Interesse daran, vonVarganen entdeckt zu werden. Die Schwie-rigkeiten waren auch so groß genug.

Vor dem Schott der Funkzentrale stelltenFartuloon und ich uns mit gezückten Waffenauf. Eiskralle betätigte den Öffnungsmecha-nismus. Als die beiden Schotthälften zurSeite glitten, marschierte er seelenruhigdurch die Öffnung.

Dadurch wurden die beiden Varganen, diean den Funkgeräten saßen, geistig überfor-dert. Sie starrten die – zugegebenermaßen –seltsame Erscheinung Eiskralles noch immermit offenen Mündern an, als die Schüsse ausFartuloons und meiner Lähmwaffe sie trafenund paralysierten.

Wir gingen in die Funkzentrale. Eiskrallepostierte sich innen neben dem Schott, umzufällig hereinkommende Varganen sofortmit seinem Lähmstrahler unschädlich zumachen.

Ischtar begab sich zielstrebig an eines derFunkgeräte. Wir ließen sie gewähren, dennes war die Technik ihres eigenen Volkes,mit der sie sich natürlich besser auskannteals wir.

Nach wenigen Schaltungen ertönte klarund deutlich die Stimme eines Varganen.

»… sind festzunehmen oder zu töten«,sagte sie. »Ich wiederhole: Der Rebell Var-go hat zusammen mit einigen Verrätern dasSchiff besetzt, in dem der Umsetzer unterge-

bracht ist. Dadurch, daß Vargo versuchte,das betreffende Schiff durch Schwenkmanö-ver aus dem Pulk herauszubrechen, versetzteer alle Schiffe und Verbindungsröhren instarke Schwingungen und löste eine Kata-strophe aus, der bereits viele Varganen zumOpfer fielen.

Ich fordere alle Varganen auf, mit vollerEnergie an der Beseitigung der Schäden zuarbeiten, die an ihren Schiffen aufgetretensind. Wo die Schäden zu groß sind, müssendie Schiffe verlassen werden. Ausgebroche-ne Schiffe müssen auf jeden Fall wieder un-ter Kontrolle gebracht werden, damit esnicht noch mehr Zusammenstöße gibt. Aufkeinen Fall dürfen noch mehr Varganen, diesich in Gefahr glauben, ihre Körper verlas-sen und Zuflucht in den Körpern gestorbenerund konservierter Tropoythers suchen. Ichgebe zu bedenken, daß es für sie keineRückkehr gibt, wenn ihre eigenen Körpermit ihrem Schiff untergehen.

Da anzunehmen ist, daß sich die gefange-nen Fremden und die Verräterin Ischtar mitVargo verbündet haben, ordne ich an, daßauch gegen diesen Personenkreis vorzuge-hen ist. Ischtar, Crysalgira, Atlan, Fartuloon,Eiskralle und Corpkor sind festzunehmenoder zu töten. Hier sprach Kreton. Ich werdemich bald wieder melden.«

Ischtar schaltete das Funkgerät aus undblickte uns triumphierend an.

»Was habe ich gesagt!« rief sie. »Jetzt ha-ben wir die Informationen, die wir so drin-gend brauchen.«

»Jedenfalls wissen wir, daß Vargo dasChaos ausgelöst hat«, sagte Fartuloon be-dächtig. »Wahrscheinlich will er mit demUmsetzerschiff aus der Eisigen Sphäre flie-hen. Ich frage mich, was dann aus uns wer-den soll. Wir sind auf den Umsetzer ange-wiesen, wenn wir in den Makrokosmos zu-rückkehren wollen.«

»Atlan kehrte schon einmal aus dem Mi-krokosmos in den Makrokosmos zurück«,warf Eiskralle ein. »Ohne einen Umsetzer zubenutzen.«

»Ich bin nicht sicher, daß ich damals in

Das Ende von Yarden 35

dem gleichen Mikrokosmos war wie heute«,erwiderte ich. »Außerdem denke ich, daß ichdamals nur deshalb in den Makrokosmos zu-rückgeschleudert wurde, weil ich trotz desVerkleinerungsvorgangs meine ursprüngli-che Masse behielt. Dadurch blieb ich einFremdkörper in dem betreffenden Kontinu-um. Diesmal aber ist die Anpassung an denMikrokosmos total. Ich fürchte, ohne Um-setzer geht es nicht.«

»Das denke ich auch«, sagte Ischtar. »Ichschlage vor, wir ändern unsere Marschrich-tung und versuchen, das Umsetzerschiff zuerreichen, bevor es ausbricht.«

»Nein!« erwiderte ich schroff. »Zu erstmüssen wir alles tun, um die Prinzessin zufinden. Ohne sie gehe ich nicht durch denUmsetzer.«

Ischtars Augen funkelten mich zornig an.»Geh doch allein zu deiner Prinzessin,

wenn sie dir mehr bedeutet als ich!« fuhr siemich an.

»Wenn sie mir mehr bedeutete als du, hät-te ich sie dann verlassen, um dich vor Ma-gantilliken zu schützen?« fragte ich ruhig.

Ich blickte Ischtar fest in die Augen, undnach einiger Zeit senkte sie beschämt denKopf.

»Verzeih mir, Atlan!« bat sie leise.»Selbstverständlich müssen wir die Prinzes-sin suchen.«

»Danke«, erwiderte ich. »Vergessen wirdas.«

*

Kreton schaltete das Funkgerät aus undwandte sich an Kandro.

»Hoffentlich werden meine Anordnungenund Ratschläge befolgt. Was meinst du?«

Kandro wiegte den Kopf.»Ich weiß nicht, Kreton. In fast allen

Schiffen herrschen Panik und Hysterie.Wenn wir nicht bald entschlossen gegenVargo vorgehen, bekommen wir die Lagenicht in den Griff.«

»Sollen vielleicht wir beide allein dasUmsetzerschiff stürmen?« fragte Kreton bit-

ter. »Bis jetzt hat sich nicht ein einzigerMann unserer Leibwache zurückgemeldet,und wir brauchen mindestens fünfzig Mann,um das Umsetzerschiff zurückzuerobern.«

Die beiden alten Männer saßen allein inder Funkzentrale ihres frei beweglichenFlaggschiffs. In der Steuerzentrale befandsich nur der Kommandant des Schiffes, einVargane mit dem Namen Naikondro, derfrüher – als noch alle Varganen im Makro-kosmos gelebt hatten – Oberbefehlshaberder varganischen Flotten gewesen war. Ergalt noch immer als fähigster Raumpilot.Kreton und Kandro vertrauten darauf, daß erihr Schiff vor Kollisionen bewahrte.

Als der Interkommelder ansprach, schal-tete Kandro das Gerät ein und meldete sich.Auf dem Bildschirm erschien das schmale,asketisch wirkende Gesicht Naikondros.

»Fünf Männer Ihrer Leibwache habensich bei mir zurückgemeldet«, berichteteNaikondro. »Möchten Sie mit den Leutensprechen? Sie wirken allerdings erschöpft.«

»Nein, danke«, entschied Kandro. »DieMänner sollen ihre Kabinen aufsuchen undsich ausruhen, damit sie frisch sind, wennwir gegen Vargo losschlagen.«

»In Ordnung«, erwiderte Naikondroknapp und schaltete ab.

Kreton setzte zum Sprechen an, schwiegaber, weil in diesem Moment eine Kontrol-lampe an einem Funkgerät aufblinkte. Er ak-tivierte das Gerät. Auf dem Bildschirm warder Oberkörper eines Varganen in mittleremAlter zu sehen.

»Hier spricht Lunkrin«, sagte der Varga-ne. »Schiff dreiundachtzig mit einer Besat-zung von fünfzehn Frauen und sieben Män-nern ist unter Kontrolle. Haben Sie Befehlefür uns, Kreton?«

»Ja«, antwortete Kreton. »ManövrierenSie Ihr Schiff an unser Flaggschiff heran!Aber passen Sie auf, daß Sie nicht mit steu-erlos treibenden Schiffen kollidieren! Unddanke, daß Sie so umsichtig gehandelt ha-ben.«

»Wir haben nur unsere Pflicht getan«, er-widerte Lunkrin. »Befehl verstanden; wir

36 H. G. Ewers

kommen.«Kreton schaltete das Funkgerät aus. Auf

sein Gesicht stahl sich ein flüchtiges Lä-cheln.

»Allmählich fangen sich die Leute wie-der«, meinte er. »Vielleicht wird durch dieKatastrophe der alte Kampfgeist wieder ge-weckt.«

»Hoffentlich«, sagte Kandro und deuteteauf einen der Bildschirme, die die Umge-bung des Flaggschiffs zeigten. »Bisher rea-gieren die Leute noch ziemlich kopflos. Im-mer mehr Schiffe reißen sich los.«

Erneut flammte die Kontrollampe an Kre-tons Funkgerät auf. Diesmal meldete sichSchiff achthundertneunzehn mit einer Besat-zung von insgesamt hundertsechsundfünfzigVarganen, die die Kontrolle über ihr Schiffzurückgewonnen hatten. Kreton befahl ih-nen, ebenfalls das Flaggschiff anzufliegen.

Danach wandte er sich wieder Kandro zu.»Jetzt bin ich sicher, daß wir bald genug

Schiffe beisammen haben, um gegen Vargovorzugehen. Es ist nicht weiter schlimm,wenn die Schiffe sich losreißen. Die Haupt-sache ist, daß ihre Besatzungen die Paniküberwinden und die Schiffe unter ihre Kon-trolle bringen.«

Diesmal war es wieder der Interkommel-der, der ansprach. Kandro schaltete das Ge-rät sofort ein.

»Haben sich noch mehr Männer bei Ihnengemeldet?« erkundigte er sich, als Naikon-dros Oberkörper auf dem Bildschirm zu se-hen war.

»Noch nicht«, antwortete Naikondro ton-los. »Und ich fürchte, das wird keine Rollemehr spielen, Kandro. Die Automatortunghat angesprochen. Ich habe die Ergebnissevon der Positronik auswerten lassen. Offen-bar hat dieses Mal der Masseausgleich zwi-schen Mikro- und Makrokosmos nicht rich-tig funktioniert.«

»Was bedeutet das?« schrie Kandro auf-gebracht. »Drücken Sie sich deutlicher aus!«

»Die Ortung hat neue starke Einbrücheaus dem Makrokosmos angemessen«, er-klärte Naikondro mit unbewegtem Gesicht.

»Wahrscheinlich müssen wir die Ursachedarin suchen, daß diesmal nicht die volleZahl von zehntausend Kreuzfahrerschiffenerreicht wurde. Sollten die Einbrüche stärkerwerden, würde die Eisige Sphäre in Gefahrgeraten.«

»Auch das haben wir nur Ischtar und die-sem Arkoniden zu verdanken!« tobte Kan-dro. »Wir hätten sie sofort auslöschen lassensollen, als wir erfuhren, daß sie in den Mi-krokosmos gekommen waren.«

»Wir waren eben zu tolerant«, erwiderteKreton. »Außerdem hofften wir, Atlan undCrysalgira für ein neues Aufleben unseresVolkes verwenden zu können. Damit ist esnun wahrscheinlich vorbei.«

»Neue starke Einbrüche!« meldete sichNaikondro aus dem Interkom. »Es scheint,als würde die Grenze zwischen Makro- undMikrokosmos bald endgültig zusammenbre-chen.«

»Was können wir tun?« fragte Kandro rat-los.

»Sie müssen die Besatzungen aller Schif-fe auffordern, sich aus dem Pulk zu lösenund die Eisige Sphäre zu verlassen«, ant-wortete der Kommandant. »Falls die EisigeSphäre verschlungen wird, können wir im-mer noch Planeten besiedeln.«

»Nein!« entschied Kandro. »Ich brauchedie Schiffe noch, um den Umsetzer zurück-zuerobern. Wir warten ab, Naikondro.«

»Wie Sie befehlen!« erwiderte der Mannund schaltete ab.

8.

Nach vielen Umwegen erreichten wirendlich das Schiff, in dem Crysalgira undich auf die Aufgabe, die die Varganen unszugedacht hatten, vorbereitet worden waren.

Wir hatten großes Glück gehabt, denn dasSchiff war nur noch durch eine einzige Röh-re mit dem Pulk verbunden. Wäre die letzteRöhre auch abgebrochen, hätten wir es nie-mals betreten können, denn der Flug durchden freien Raum innerhalb der EisigenSphäre wäre gleichbedeutend mit Selbst-

Das Ende von Yarden 37

mord gewesen.Das Innere des Schiffes bot einen schlim-

men Anblick. Überall lagen Ausrüstungstei-le und Aggregate herum. Zwei Varganinnenlagen ineinander verkrallt vor dem Innen-schott der Schleuse. Sie waren tot. Aus derArt ihrer Verletzungen schloß ich, daß es indem Schiff eine kurze Phase der Schwerelo-sigkeit gegeben hatte, in der Varganen undGegenstände durch die Gänge und Räumegesegelt waren. Als dann die Schwerkraftschlagartig wieder einsetzte, war alles hartzu Boden gerissen worden. Dabei hatten diebeiden Varganinnen sich zu Tode gestürzt.

Als wir tiefer ins Schiff eindrangen, fan-den wir noch mehr Tote, vor allem aberzahlreiche Verletzte. Es handelte sich aus-nahmslos um junge Varganinnen und Varga-nen, wahrscheinlich solche, die als Partnerfür Crysalgira und mich ausersehen gewesenwaren. Diejenigen, die unverletzt gebliebenoder nur leicht verletzt waren, irrten ziel-und planlos umher.

Sie bedeuteten keine Gefahr für uns, des-halb lähmten wir sie nicht, sondern fordertensie nur energisch auf, sich um die Verletztenzu kümmern, die sich nicht selbst helfenkonnten. Zuerst reagierten sie nicht, aber alswir damit drohten, alle Widerspenstigen zuerschießen, änderte sich das.

Selbstverständlich hätten wir niemandengetötet. Aber die Varganen standen unterSchockeinwirkung, und dagegen halfen nuneinmal drastische Maßnahmen am schnell-sten.

Ich schickte Ischtar und Eiskralle zurFunkzentrale. Sie sollten sie besetzen unddafür sorgen, daß niemand über Funk aus-strahlen konnte, daß wir hier auf getauchtwaren.

Fartuloon und ich eilten weiter in Rich-tung des künstlichen Paradieses, das sich inder anderen Schiffshälfte befand. Als wirdas Verbindungsschott öffneten, stürzte unseine Flut aus Schlamm, Pflanzenteilen undGeröll entgegen und begrub uns beinahe un-ter sich.

Wir wichen zurück, warteten, bis die Flut

zur Ruhe gekommen war und drangen dannin das ehemalige Paradies ein.

Der Anblick übertraf meine schlimmstenBefürchtungen. Das Schiff mußte sich in derPhase der Schwerelosigkeit mindestens ein-mal um seine Längsachse gedreht haben.Diese Bewegung konnten den drehbar gela-gerten Anschlüssen der Verbindungsgängenichts ausmachen. Hier hatte es dazu ge-führt, daß der gesamte künstlich aufgetrage-ne Boden mit allem darin verankerten Pflan-zenmaterial sowie alle Hütten und das Was-ser der Bäche und Seen in die Höhe ge-schwebt war.

Als dann die künstliche Schwerkraft wie-der einsetzte, war alles aus ziemlicher Höhezurückgefallen. Es gab keine einzige Hüttemehr, keinen Baum und keinen Strauch, nurein unbeschreibliches Konglomerat vonPflanzenteilen, Wasser, Erdreich, zersplitter-ten Holzteilen und den Leichen der Vargan-innen und Varganen, die sich zum Zeitpunktder Katastrophe hier befunden hatten.

Aus dem Paradies war für sie eine Höllegeworden, die wahrscheinlich niemandüberlebt hatte.

Auch Crysalgira nicht.Erschüttert stand ich vor dieser Kulisse

des Grauens. Meine Augen füllten sich mitTränen. Ich machte mir Vorwürfe, weil ichdie Prinzessin nicht mitgenommen hatte, ob-wohl ich wußte, daß ich sie nicht an denWachtposten vorbeigebracht hätte.

Wie lange ich so dastand, weiß ich nicht.Ich kehrte erst dann ins bewußte Leben zu-rück, als Fartuloon mir seine Hand auf dielinke Schulter legte und fest zudrückte.

»Es tut mir leid, mein Junge«, sagte er mitbelegter Stimme. »Aber du darfst dir keineVorwürfe machen. Du darfst auch über dei-ner Trauer nicht die Lebenden vergessen.Wir alle brauchen dich, vor allem aber deinSohn Chapat. Noch mehr aber braucht dichdas Volk des Großen Imperiums. Du hastPflichten, die schwerer wiegen als alle deineGefühle.«

»Ich weiß, Fartuloon«, erwiderte ich miteiner Stimme, die mir fremd vorkam. »Aber

38 H. G. Ewers

ein Mann muß wenigstens für kurze Zeittrauern dürfen. Crysalgira da Quertamaginwar eine gute und tapfere Frau, die alle Stra-pazen und Gefahren ertragen hat, ohne zuklagen und manchmal noch Kraft erübrigte,um mich wieder aufzurichten, wenn ich ver-zweifeln wollte. Sie möge in Frieden ruhen.Laß uns gehen.«

Ich wandte mich dem Ausgang zu undwollte gerade den ersten Schritt tun, als ichmeinen Namen rufen hörte.

Es durchfuhr mich wie ein starker elektri-scher Schlag, denn die Stimme, die meinenNamen gerufen hatte, war die Stimme Crys-algiras gewesen. Ich erstarrte und spürte,wie das Blut aus meinem Gesicht wich.

Hatten wir alle, die wir uns für aufgeklärtund wissenschaftlich gebildet gehalten hat-ten, uns geirrt? War mit dem Tode des Kör-pers doch nicht alles vorbei? Lebte die Seeleauf irgendeiner höheren Ebene weiter – undkonnte sie von dort aus mit jemandem Ver-bindung aufnehmen, mit dem sie zu Zeitenihrer körperlichen Existenz besonders engverbunden gewesen war?

Das ist unlogisch! meldete sich mein Lo-giksektor. Vielleicht existiert nach dem Todeso etwas wie eine Seele weiter, aber sie kannsich niemals akustisch bemerkbar machen.

»Aber vielleicht telepathisch«, erwiderteich unwillkürlich laut.

»Wovon sprichst du?« fragte Fartuloon.Seine Frage drang gar nicht richtig in

mein Bewußtsein, weil mein Logiksektormir im gleichen Augenblick mitteilte, es hät-te sich nicht um Gedankenübertragung ge-handelt, sondern um das Hören einer wirkli-chen Stimme, die er Crysalgira zuordnete.

Da die Mitteilung von meinem Logiksek-tor kam, mußte ich sie glauben, so schwermir das auch fiel. Im nächsten Moment hörteich wieder meinen Namen rufen.

Ich umklammerte Fartuloons Arm.»Hast du sie gehört?« stammelte ich.Mein Pflegevater schluckte trocken.»Jemand hat deinen Namen gerufen«, er-

widerte er. »Eine Frauenstimme.«»Das war Crysalgira!« schrie ich.

»Crysalgira, wo bist du?«»Oben, über dir, Atlan!« kam die Ant-

wort.Ich legte den Kopf in den Nacken. Im

nächsten Augenblick hatte ich mein Flugag-gregat aktiviert und schoß förmlich auf dieStelle des ehemaligen Kunsthimmels zu, woich zwischen den Haltestreben für die Pro-jektoren eine weibliche Gestalt entdeckt hat-te. Im letzten Moment bremste ich ab, lande-te auf einer benachbarten Strebe und rißCrysalgira in meine Arme.

»Du zerdrückst mich ja!« protestierte diePrinzessin schweratmend, als ich meine Um-armung lockerte.

»Wie hast du es nur geschafft, die Kata-strophe zu überleben?« erkundigte ich mich.

Crysalgiras Augen verdunkelten sich,wahrscheinlich in der Erinnerung an dasSchreckliche, das sich hier abgespielt hatte.

»Als die künstliche Schwerkraft ausfiel,rechnete ich mir aus, was passieren mußte,wenn sie plötzlich wieder einsetzte«, ant-wortete sie leise. »Ich stieß mich mit denFüßen von einer schwebenden Hütte ab undsegelte hier herauf. Hier brauchte ich michnur noch festzuhalten, um nicht in die Tiefezu stürzen, als die Schwerkraft wiederkam.Aber ich fürchtete schon, niemand käme, ummich aus meiner Lage zu befreien.«

Ich strich ihr übers Haar, während ich siemit der anderen Hand festhielt, damit sienicht doch noch in die Tiefe stürzte.

»Du wußtest, daß ich kommen würde«,erklärte ich.

»Ja, Atlan«, erwiderte sie und lächelteplötzlich. »Und ich war gerührt über denNachruf, den du für mich gesprochen hast.«

»Schamlose!« sagte ich scherzhaft dro-hend. »Ich war in tiefer Trauer, und du hasthier oben gesessen und dich über meineGrabrede amüsiert!«

»Da konnte ich mich noch nicht darüberamüsieren«, entgegnete die Prinzessin ernst.»Der Schock hatte mir die Stimme verschla-gen, und ich kämpfte die ganze Zeit überdarum, sie zurückzuerhalten, bevor ihr dieHalle verließet. Es war schrecklich.«

Das Ende von Yarden 39

»Aber jetzt ist alles wieder gut«, sagteich. »Halte dich an den Gurten meines Flug-aggregats fest! Ich bringe dich auf festenBoden zurück.«

*

Corpkor erwachte, weil eine nasseSchnauze ihm übers Gesicht fuhr. Er lächel-te, denn er erkannte sofort den Valtor Rinec-co.

»Hast du mich gefunden, alter Freund«,flüsterte er. »Wie geht es dir?«

Er runzelte die Stirn, als ihm etwas ein-fiel. Der Valtor hätte sich bestimmt nicht zuihm gewagt, wenn die Varganen, die ihn ausdem eisigen Weltraum geborgen hatten, beiihm gewesen wären.

Er strich dem Tier behutsam mit der Handüber den Kopf. Dabei entdeckte er auf demHandrücken die furchtbaren Eisnarben, diedie Kältestrahlung der Eisigen Sphäre ihmzugefügt hatte.

»Wenn ich am ganzen Körper so entstelltbin, wird jede Frau bei meinem Anblickschreiend das Weite suchen«, stellte er mitironischem Lächeln fest.

Danach wollte er sich aufrichten. Dochdas ging nicht. Corpkor tastete um sich undbemerkte, daß er mit breiten Riemen an einPneumobett gefesselt war. Erst danach saher, daß der Raum, in dem er sich befand, inwüster Unordnung war. Zwei Schränke la-gen halbzertrümmert auf dem Boden. EineWand des Raumes war völlig verschwun-den, und in der Zimmerdecke klaffte einbreiter Spalt.

»Was hat sich hier abgespielt?« dachteder Tiermeister laut.

Er löste die Gurte, die seinen Oberkörperans Bett fesselten. Dann beugte er sich weitvor und löste die um die Beine gelegtenGurte. Der Valtor hüpfte vom Bett auf denBoden, turnte auf einem der Schränke herumund kehrte aufs Bett zurück.

»Willst du mir irgend etwas mitteilen?«fragte Corpkor.

Er schwang sich behutsam aus dem Bett

und entdeckte, daß er nur leichtes Unterzeugtrug. Wieder sprang Rinecco auf den umge-stürzten Schrank, kehrte zu Corpkor zurückund blickte ihn aus seinen schwarzenKnopfaugen an.

Der Tiermeister ging zu dem Schrank,bückte sich und packte die Oberkante. Erwollte das Möbel aufrichten aber in halberHöhe brach es vollends auseinander. Da-durch kam der Raumanzug zum Vorschein,den Corpkor bei seinem selbstmörderischenAusflug in die Eisige Sphäre getragen hatte.

Er erschauderte bei der Erinnerung an diegrauenhafte Kälte.

»Immerhin hat mir der Anzug das Lebengerettet«, meinte er. »Offenkundig willst du,daß ich ihn wieder anziehe, mein kleinerFreund. Ich werde nicht den Fehler begehen,deine Intelligenz zu unterschätzen.«

Er barg den Raumanzug vollends aus denSchranktrümmern und streifte ihn sich über.Ein kurzer Check-up bewies ihm, daß alleSysteme einwandfrei funktionierten. »Wasnun?« wandte er sich an den Valtor.

Rinecco eilte zum Schott, richtete sichdort auf und blickte zu Corpkor zurück.

»Ich soll also diese Kabine verlassen«,dachte der Tiermeister laut. »Wenn ich nurwüßte, was sich hier abgespielt hat. Es siehtaus, als wäre etwas mit unserem Schiff pas-siert, wie?«

Rinecco gab einen schrillen Pfeiflaut vonsich.

Corpkor lächelte, ging zum Schott undbetätigte den Öffnungsmechanismus. Diebeiden Schotthälften öffneten sich knir-schend einen Spalt breit, dann blieben siestecken.

»Unser Schiffchen hat ganz schön was ab-bekommen«, sagte Corpkor und spähte hin-aus auf den Korridor.

Er sah, daß es sich um einen schmalenNebenkorridor handelte, dessen Decke sichso weit gesenkt hatte, daß sie nur nochknapp einen Meter über dem Boden hing.Hinter ihm pfiff Rinecco. Kurz darauf tauch-ten acht Valtoren im Korridor auf. IhreSchnauzen waren rot verschmiert. Corpkor

40 H. G. Ewers

mußte gegen eine Übelkeit ankämpfen, alser ahnte, was das bedeutete. Aber er dachteniemals daran, Zorn über Tiere zu empfin-den, die doch nur ihrer Natur gehorcht hat-ten.

Dennoch dauerte es eine Weile, bis er sei-ne Stimme wiederfand.

»Schauen wir uns also draußen um, Ri-necco!« sagte er und zwängte sich durch denSpalt.

Die Valtoren setzten sich unter RineccosFührung in Bewegung. Sie liefen nach links,also wandte sich der Tiermeister ebenfallsnach links. Als er in einen Quergang einbog,änderte sich das Bild. Hier war die Decketeilweise ganz eingestürzt. Außerdem wirkteder ganze Gang irgendwie verdreht.

Corpkor schaute weg, als er unter denTrümmern die sterblichen Überreste zweierVarganen erblickte. Er kam jedoch nichtumhin, über die Trümmer zu steigen, denndie Valtoren hielten nicht an.

Nach ungefähr einer halben Stunde müh-seligen Kletterns blieben die Tiere vor ei-nem Schott stehen, dessen farbige Symbolees als Zugangsschott zu einem Schleusen-hangar auswiesen.

»Was soll ich hier?« fragte sich Corpkor.»Vargos Helfer hätten mich doch nicht imRaumanzug hinausgeschickt, wenn es imSchiff ein Beiboot gegeben hätte.«

Dennoch öffnete er das Schott. Es funk-tionierte besser als das der Kabine.

Sprachlos starrte der Tiermeister auf daskleine tropfenförmige Beiboot, das zwischenden abgebrochenen Magnetankern auf derBackbordseite lag. Die Steuerkanzel war ge-öffnet, und im vorderen der beiden Sitzehing die schlaffe Gestalt eines Varganen inden Anschnallgurten.

Corpkor eilte zu dem Mann und sah, daßer bei Bewußtsein war. Er schien jedoch in-nere Verletzungen davongetragen zu haben,denn ein Blutsturz hatte das gesamte Vor-derteil seiner Raumkombination rot gefärbt.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« er-kundigte sich Corpkor.

Die blutleeren Lippen des Mannes beweg-

ten sich, aber er brachte keinen Ton heraus.Der Tiermeister wußte, daß der Pilot ein

Todgeweihter war. Er überlegte, wie er ihmdie letzten Minuten etwas erleichtern konn-te. Doch völlig ohne medizinische Hilfsmit-tel war das nicht möglich, und wenn er denVerletzten bewegte, bereitete er ihm nurweitere Qualen.

Der Sterbende hob eine zitternde Handund deutete nach vorn, wo die Instrumentedes Beiboots waren. Bevor Corpkor sehenkonnte, wohin der Vargane zeigte, fiel dieHand wieder herab.

Der Tiermeister beugte sich über den Pi-loten und sah, daß er tot war. Er drückte ihmdie Augen zu, dann versuchte er, die letzteHandbewegung zu rekonstruieren. Er kamzu keinem konkreten Ergebnis. Aber unge-fähr in der Gegend, in die der Mann zu zei-gen versucht hatte, befanden sich die Schal-tung und das Multikontrollinstrument desAutopiloten.

Corpkor überschlug die Wahrscheinlich-keit, daß der Vargane ihm hatte mitteilenwollen, der Autopilot sei auf ein bestimmtesZiel eingestellt. Er kam zu dem Resultat,daß er eigentlich nichts anderes gemeint ha-ben konnte.

Der Tiermeister beschloß, es zu riskieren.Er zog den Toten aus dem Sitz und schloß

ihn in einem Ausrüstungsschrank ein, damitdie Valtoren nicht an ihn heran konnten. Da-nach bedeutete er seinen kleinen Begleiterndurch Pfiffe und Gesten, den Hangar zu ver-lassen.

»Vielleicht sehen wir uns irgendwannwieder«, sagte er, obwohl er es für unwahr-scheinlich hielt.

Nachdem das Innenschott des Hangarssich geschlossen hatte, kletterte Corpkor inden Pilotensitz, schloß das Kanzeldach undcheckte die Systeme des Beiboots durch. Siewaren im großen und ganzen in Ordnung.Corpkor öffnete das Außenschott mit dereingebauten Fernsteuerungsanlage, dannschaltete er die Triebwerke ein.

Das Beiboot glitt schlingernd über denBoden, richtete sich in die normale Lage auf

Das Ende von Yarden 41

und schoß hinaus in die Eisige Sphäre …

*

Wir hatten das Schiff mit dem zur Höllegewordenen Paradies beinahe überstürztwieder verlassen, weil die Gefahr bestand,daß mit der letzten intakten Verbindungs-röhre die letzte Verbindung zum Pulk abriß.

Nachdem wir drei Schiffe durchquert hat-ten, die schwerste Verwüstungen aufwiesenund in denen sich offenkundig niemand auf-hielt, gerieten wir in ein fast unbeschädigtesDoppelpyramidenschiff. Wir mußten sofortin einen Nebengang ausweichen, weil esweiter vorn im Hauptkorridor von Varganenwimmelte.

Hinter der Biegung hob Ischtar die Hand.»Halt!« sagte sie.Wir blieben stehen und blickten die Var-

ganin fragend an. Crysalgira beherrschtesich gut, dennoch konnte sie vor mir ihre Ei-fersucht auf Ischtar nicht ganz verbergen.Ich fragte mich, warum Crysalgira eifer-süchtig war, denn sie liebte ja den Sonnen-träger Chergost. Doch dann verdrängte ichdiesen Gedanken wieder.

»Im Schiff herrscht Alarmzustand«, er-klärte Ischtar. »Die Besatzung sucht ihreStationen auf. Das bedeutet meiner Meinungnach, daß das Schiff sich mit voller Absichtaus der Verbindung mit dem Pulk löst undvielleicht die Eisige Sphäre verlassen will.«

»Dann kämen wir nicht an den Umsetzerheran«, stellte Fartuloon trocken fest.

»So ist es«, erwiderte Ischtar. »Deshalbmüssen wir die Kontrolle über das Schiff anuns reißen. Wir warten, bis sich alle Besat-zungsmitglieder auf ihren Stationen befin-den, dann besetzen wir die Zentrale und ak-tivieren die Notverriegelungen für alleSchotte, so daß die Besatzung in ihren Sta-tionen gefangen ist.«

Der Vorschlag war gut und logisch durch-dacht, so daß sich eine Debatte erübrigte.Wir stimmten einhellig zu. Dann wartetenwir, bis es im Schiff still geworden war.

Als wir in den Hauptkorridor zurückkehr-

ten, lag er verlassen vor uns. Wir eilten indie Richtung, in der sich die Hauptzentralebefand. Auf halbem Wege verriet uns dasRumoren der Triebwerke, daß das Schiff da-bei war, von den Verbindungen zum Pulkabzulegen. Der Boden erzitterte unter derKraftentfaltung, die sich vollzog.

»Ich gehe zuerst hinein!« erklärte Ischtar,als wir vor dem Panzerschott der Zentralestanden.

»Aber nicht mit Chapat!« widersprach ichund deutete auf die Aufwölbung der Herme-tikblase, unter der mein Sohn friedlichschlummerte.

»Ich kann Chapat ja solange nehmen«,sagte Crysalgira.

Ischtar warf der Prinzessin einen Blick zu,in dem ungezügelte Mordlust funkelte.

»Niemals!« fauchte sie.»Dann nehme ich Chapat«, warf Eiskralle

ein, der ebenfalls merkte, wieviel Zündstoffin der Luft schwebte.

»Einverstanden«, sagte Ischtar.Sie öffnete die Hermetikblase, nahm Cha-

pat heraus und reichte ihn Eiskralle, der dasKind zärtlich auf die Arme nahm. Es warschon ein eigenartiger Anblick, wie derMann, dessen Griff andere Lebewesen in Eisverwandeln konnte, meinen Sohn behutsamauf den Armen trug. Aber ich bangte keinenAugenblick um Chapat, und auch Chapatschien sich bei Eiskralle wohl zu fühlen.

Wir verteilten uns schweigend.Während Eiskralle sich notgedrungen im

Hintergrund hielt, stellten Fartuloon und ichuns links und rechts des Schotts auf. Ischtarstellte sich genau vor die Mittelfuge, undCrysalgira kniete mit schußbereitem Lähm-strahler schräg hinter ihr.

Als Ischtar den Öffnungsmechanismusbetätigte, hielt ich den Atem an. Es konnteimmerhin sein, daß die Zentralebesatzungden Mechanismus von innen gesperrt hatte.

Aber das Schott öffnete sich sofort.Hochaufgerichtet schritt Ischtar in die

Zentrale, ganz die stolze und arrogante Gol-dene Göttin, als die sie mir zuerst begegnetwar.

42 H. G. Ewers

Ich nickte meinem Pflegevater zu. Wirfolgten ihr und sicherten Ischtar nach linksund rechts ab. Crysalgira übernahm dieRückendeckung, während Eiskralle draußendie Entwicklung abwartete.

Die acht Varganen in der Zentrale warenso überrascht, daß keiner von ihnen nach derWaffe griff. Drei von ihnen bemerkten unserst, als Ischtar mit befehlsgewohnter Stim-me erklärte, daß sie das Kommando über dasSchiff übernähme.

»Nehmen Sie die Hände über die Köpfe,verlassen Sie Ihre Plätze, ohne die Schalt-pulte zu berühren und legen Sie sich flachauf den Boden, Gesicht nach unten!« befahlich.

Die Varganen gehorchten. Crysalgira undich paßten scharf auf, als Fartuloon ihnendie Waffen abnahm. Als sie flach auf demBoden lagen, traten unsere Lähmstrahler inAktion. Es war die einfachste Lösung desProblems, uns gegen unerwünschte Aktivitä-ten abzusichern.

Ischtar saß bereits vor dem Hauptkontroll-pult und aktivierte die Notverriegelungen,als Eiskralle mit Chapat die Zentrale betrat.Auch das Zentraleschott verriegelte sichelektronisch.

Ischtar aktivierte die Interkomverbindun-gen zu allen Stationen. Auf den kleinen Mo-nitoren waren die Mitglieder der Besatzungzu sehen. Da sie auf ihren Bildschirmen nurIschtar, also eine Varganin, sehen konnten,drückten ihre Mienen größtenteils Verständ-nislosigkeit und Verwunderung aus.

»An alle!« sagte Ischtar. »Ich bin Ischtar,und ich habe das Kommando über diesesSchiff übernommen. Jeder bleibt auf seinerStation. Selbstverständlich habe ich sämtli-che Stationskontrollen auf die Zentrale ge-schaltet. Betrachten Sie sich als unter Arreststehend. Niemandem wird ein Leid gesche-hen, es sei denn, er würde unvernünftig han-deln.«

»Darf ich etwas sagen, Kommandantin?«fragte ein Vargane. Ich sah ihn sprechen. Eswar ein Mann mittleren Alters, der sich inder Ortungszentrale befand und dort offen-

bar der Chef war.»Sprechen Sie!« forderte Ischtar ihn auf.»Die Grenze zwischen Makro- und Mi-

krokosmos ist erneut aufgebrochen«, erklär-te der Vargane. »Es hat starke Energieein-brüche von drüben gegeben. Die EisigeSphäre ist in Gefahr. Deshalb wollten wir,wie viele andere auch, fliehen. Es wäre auchim Interesse Ihrer eigenen Sicherheit, wennSie die Eisige Sphäre so schnell wie möglichverlassen würden.«

»Ich danke Ihnen«, erwiderte Ischtar.»Wir können zwar die Eisige Sphäre nichtsofort verlassen, da wir noch etwas zu erle-digen haben. Aber ich verspreche Ihnen, daßSie, sobald unsere Aufgabe erfüllt ist, dieKontrolle über das Schiff zurückerhaltenwerden und daß es Ihnen dann freistehenwird, wohin Sie fliegen.«

Sie schaltete die Sprechverbindung ab.Nur die Bildschirme blieben eingeschaltet.Dadurch konnten wir ständig sehen, was dieeingeschlossenen Besatzungsmitglieder ta-ten.

Ischtar wandte sich um und blickte unsan.

»Das war keine gute Nachricht«, sagte sieleise. »Wenn wir Vargo und den Umsetzernicht bald finden, werden wir für immer imMikrokosmos bleiben müssen, fürchte ich.«

»Es gibt nur eine Möglichkeit, Vargoschnell zu finden«, erklärte Fartuloon undging auf das Funkgerät der Zentrale zu.»Wir müssen einen Funkspruch aussenden,der so verschlüsselt ist, daß nur Vargo weiß,daß er von uns kommt.«

Ischtar überlegte nur kurz, dann erwidertesie:

»Einverstanden, Fartuloon. Bitte, fassenSie den Funkspruch ab.«

9.

Corpkor hatte den Druckhelm seinesRaumanzugs geschlossen, denn die Kälte-strahlung der Eisigen Sphäre machte sichschon wieder unangenehm bemerkbar. Einkleines Beiboot isolierte eben nicht so gut

Das Ende von Yarden 43

wie ein großes Raumschiff.Aufmerksam verfolgte der Tiermeister

den Kurs, den der Autopilot steuerte. Es warkein gerader Kurs, denn immer wiedertauchten Doppelpyramidenschiffe auf, denendie Antikollisionsautomatik des Autopilotenausweichen mußte.

Nach einiger Zeit stellte Corpkor trotz al-ler Ausweichmanöver fest, daß das Beibootungefähr zur Mitte des Pulks flog. Er hoffte,daß es sein Ziel erreichte, bevor er erfrorenwar.

Immer mehr frei bewegliche Doppelpyra-midenschiffe begegneten dem Tiermeister.Sie taumelten nicht steuerlos durch die Eisi-ge Sphäre wie die ersten Schiffe, denen dasBeiboot ausgewichen war. Vielmehr schie-nen sie von ihren Besatzungen zielstrebigauf die leuchtende nebelhafte Hülle vonYarden gesteuert zu werden. Es sah aus, alswollten sie die Eisige Sphäre verlassen.

Corpkor konnte sich das nicht erklären –bis sein Beiboot einen Sektor erreichte, indem die Lücke im Pulk bis an die gegen-überliegende Grenze des Pulks reichte.Durch die Lücke hindurch erblickte Corpkorden Ausschnitt einer gezackten, sich ständigverformenden Linie, aus der ein rötlichesGlühen brach.

Der Tiermeister wußte nicht, worum essich handelte, aber er ahnte, daß das Phäno-men ein Kontinuumsriß war, durch denEnergien aus einer anderen Existenzebene inden Mikrokosmos brachen. Er besaß keineErfahrung mit solchen Dingen, aber er konn-te sich vorstellen, daß jeder Kontinuumsrißbedrohliche Folgen für alles hatte, was sichin seiner Nähe befand.

Die Beobachtung des Phänomens be-schäftigte ihn so stark, daß er erst merkte,daß das Ziel erreicht war, als sein Beiboot ineinen erleuchteten Schiffshangar schwebte.Hinter ihm schloß sich das Außenschott.

Corpkor öffnete das Kanzeldach, klettertehinaus und zog seine Waffe. Er wußte nicht,ob ihn in diesem Schiff Freunde oder Feindeerwarteten, und er wollte nicht in eine Fallestolpern.

Nach kurzer Zeit glitt das Innenschott auf.Ein einzelner Vargane war davor zu sehen.Er hielt keine Waffe in den Händen undblickte sich suchend um.

»Vinlan?« rief er fragend.Corpkor trat aus seiner Deckung. Die

Waffe behielt er in der Hand, aber er hieltdie Hand gesenkt.

»Wenn Vinlan der Name des Piloten war,dann ist Vinlan tot«, sagte er auf Varga-nisch.

Der Vargane musterte Corpkor argwöh-nisch.

»Haben Sie ihn getötet?«»Es war ein Unfall«, erklärte der Tiermei-

ster. »Ich kam erst dazu, als der Pilot schonim Sterben lag. Mein Name ist Corpkor.«

»Ich weiß«, erwiderte der Vargane. »Mansagte mir, daß Sie an den Eisnarben zu er-kennen sind. Ich heiße Apton. Vargo erwar-tet Sie in der Zentrale. Er hatte Vinlan mitdem Beiboot geschickt, um Sie zu holen.«

Corpkor schob seine Waffe ins Gürtel-halfter zurück und folgte Apton in dieHauptzentrale des Schiffes.

Vargo drehte sich mit seinem Sessel her-um, als Corpkor die Zentrale betrat.

»Ich bin froh, daß ich wenigstens Sie anBord holen konnte«, sagte er. »Die EisigeSphäre ist vom Untergang bedroht. Entwe-der finden wir Ihre Freunde schnell oderüberhaupt nicht mehr.«

»Ich habe den Kontinuumsriß gesehen«,erwiderte Corpkor. »Außerdem konnte ichbeobachten, daß viele Schiffe den Pulk ver-lassen.«

»Sie fliehen aus der Eisigen Sphäre«, er-klärte Vargo.

Er runzelte die Stirn, als der Interkom anseinem Schaltpult ansprach. Als er das Geräteinschaltete, tauchte auf dem Bildschirm derOberkörper eines anderen Varganen auf.

»Was gibt es, Kyldron?« fragte Vargo un-gehalten.

»Die Strukturschleuse ist zusammenge-brochen, Vargo«, teilte Kyldron mit unbe-wegtem Gesicht mit. »Kein Schiff kann dieEisige Sphäre mehr verlassen.«

44 H. G. Ewers

Vargo brauchte einige Zeit, um diese Mit-teilung geistig zu verarbeiten.

»Das ist schlimm«, sagte er tonlos. »Istdie Ursache bekannt?«

»Nein«, antwortete Kyldron.»Möglicherweise brach die Strukturschleusezusammen, weil sehr viele Schiffe siegleichzeitig passierten. Es kann aber auchsein, daß Einwirkungen aus dem Makrokos-mos den Zusammenbruch verursachten.«

»Danke!« sagte Vargo und schaltete denInterkom ab.

»Bedeutet das, daß alle Varganen, die sichnoch innerhalb der Eisigen Sphäre befinden,in ihr gefangen und mit ihr zum Untergangverurteilt sind?« erkundigte sich Corpkor.

»Nein«, antwortete Vargo. »Wir Varga-nen können unsere Körper verlassen und un-seren Geist in anderen Körpern ansiedeln,die auf den Planeten des Mikrokosmos le-ben. Dennoch ist es schlimm. Unser Volkwird aufhören, ein Volk zu sein.«

Wieder meldete sich Kyldron über Inter-kom.

»Ich habe eine Funkbotschaft aufgefan-gen, die vielleicht für uns bestimmt ist«, be-richtete er.

»Lesen Sie vor!« befahl Vargo.»Diejenigen, die einem Freund etwas an-

vertrauten, was er zu Freunden brachte, sindbeweglich und warten auf den Ruf, der ih-nen ihr Ziel nennt«, las Kyldron vor.

»Das sind die Gefangenen!« rief Vargo.»Kyldron, haben Sie das Schiff angepeilt,das die Funkbotschaft ausstrahlte?«

»Ich habe es angepeilt und halte es im Su-cher fest«, antwortete Kyldron.

»Fliegen Sie unser Schiff hin und koppelnSie es mit dem anderen Schiff!« befahl Var-go. »Aber beeilen Sie sich. Wenn Kretonund Kandro merken, daß wir unsere Positionverändern, werden sie vermutlich nicht län-ger zögern und losschlagen.«

»Ich werde mich beeilen, Vargo«, erwi-derte Kyldron und schaltete ab.

*

»Das Umsetzerschiff nimmt Fahrt auf!«rief Kreton. »Vargo will offenbar fliehen!«

»Er kann nicht fliehen, denn die einzigeVerbindung zur Außenwelt, die Struktur-schleuse, ist zusammengebrochen«, erwider-te Kandro. »Wenn Vargo das noch nichtweiß, wird er es spätestens dann bemerken,wenn er vergeblich nach der Strukturschleu-se sucht.«

»Vargo muß etwas anderes vorhaben«,meinte Kreton. »Er entfernt sich nicht aufdem kürzesten Wege aus dem Pulk, sondernsteuert sein Schiff tiefer in den Pulk hinein.Ich fürchte, er hat Kontakt zu den ausgebro-chenen Gefangenen aufgenommen und willsie an Bord nehmen.«

Der Interkommelder summte.Kandro schaltete das Gerät ein und er-

blickte auf dem Bildschirm das Gesicht desSchiffskommandanten.

»Gibt es etwas Neues, Naikondro?« fragteer.

»Allerdings«, antwortete der Komman-dant. »Die Kommandanten der elf Schiffe,die wir inzwischen um uns sammeln konn-ten, haben angefragt, wie lange sie nochhierbleiben müssen. Ihre Besatzungen for-dern die Genehmigung, ihre Körper und dieEisige Sphäre verlassen zu dürfen.«

»Abgelehnt!« entgegnete Kandro schroff.»Das habe ich bereits erklärt«, erwiderte

Naikondro. »Aber falls die Leute durch neuestärkere Einbrüche aus dem Makrokosmosin Panik geraten sollten, werden sie eigen-mächtig handeln. Sie wissen genauso wieich, daß wir nicht in der Lage sind, Bewußt-seinsinhalte aufzuhalten.«

»Das ist mir klar«, gab Kandro zu.»Wir müssen den Leuten etwas zu tun ge-

ben, damit sie nicht auf dumme Gedankenkommen«, warf Kreton ein. »Ich denke, wirhaben inzwischen genug Schiffe und Män-ner, um das Umsetzerschiff angreifen zukönnen.«

Kandro überlegte nur kurz, dann meinteer:

»Ich sehe ein, daß wir handeln müssen.Naikondro, ich übergebe Ihnen hiermit den

Das Ende von Yarden 45

Oberbefehl über unseren Verband. Veranlas-sen Sie alles Nötige, damit das Umsetzer-schiff wieder in unsere Gewalt kommt.«

»In Ordnung, Kandro«, erwiderte Naikon-dro. »Ich melde mich wieder, sobald wir unsdem Umsetzerschiff auf Gefechtsdistanz ge-nähert haben.«

Kandro schaltete den Interkom aus undwandte sich wieder an seinen Kollegen.

»Ich verspüre wenig Lust, meinen Körperaufzugeben«, sagte er gedehnt.

Kreton lächelte verstehend.»Ich auch nicht, Kandro. Aber die einzige

Alternative dazu wäre, mit Hilfe des Umset-zers in den Makrokosmos zu gehen. Ichwundere mich eigentlich, daß noch keinerder übrigen Varganen auf den gleichen Ge-danken gekommen ist und die Benutzungdes Umsetzers gefordert hat.«

»Darüber bin ich froh«, entgegnete Kan-dro. »Wenn wir das ganze Volk mitnehmenwürden, würden auch alle Probleme mit inden Makrokosmos kommen. Das aber würdeunseren persönlichen Interessen zuwiderlau-fen. Ich bin dafür, nur den Rest unsererLeibgarde mitzunehmen.«

»Einverstanden«, sagte Kreton.»Vielleicht sollten wir auch Naikondro mit-nehmen.«

Kandro hob die Hände in einer abwehren-den Geste.

»Nein, das nicht! Naikondro ist ein guterMann und hat uns immer treu gedient. Aberwenn ich ihn mit unserer kleinen Gruppe inden Makrokosmos mitnehmen würde, ergä-be sich eine völlig andere Situation als hier.Naikondro würde uns sehr bald entmachtenund die Führung der Gruppe übernehmen.«

»Das ist nicht sicher«, entgegnete Kreton.»Aber das Gegenteil ist auch nicht si-

cher«, erklärte Kandro.»Akzeptiert«, sagte Kreton. »Aber wir

müssen wachsam sein, denn wenn Naikon-dro etwas merkt, läßt er vielleicht uns zu-rück und geht allein in den Makrokosmos.«

Unwillig blickte Kandro auf den Inter-kom, der sich erneut meldete. Nur zögerndschaltete er das Gerät ein.

»In Sektion acht sind zwei Tote gefundenworden«, meldete Naikondro. »Beide wur-den mit einem Nadelstrahler erschossen.«

»Ein Mord in unserem Schiff?« fragteKandro entsetzt. »Haben Sie eine Ahnung,wer der Mörder sein könnte?«

»Nein«, antwortete Naikondro.Plötzlich weiteten sich seine Augen. Die

Lippen bewegten sich, brachten aber nur einpaar gurgelnde Laute hervor. Dann kippteNaikondro aus dem Aufnahmebereich.

An seine Stelle trat wenig später ein ande-rer Vargane.

»Magantilliken!« rief Kandro.Der Henker der Varganen blickte finster

in das Aufnahmegerät.»Tod allen Varganen!« sagte er. Dann

schaltete er den Interkom aus.

*

Magantilliken nahm die Hand vom Inter-kom, drehte sich um und musterte Naikon-dros Leichnam.

»Es war ein schneller und schmerzloserTod«, flüsterte er heiser. »Ich begreife nicht,daß ich mich nicht früher an den Auftrag er-innert habe, alle Varganen hinzurichten.Viel zu lange bin ich nur einer kleinen Grup-pe nachgejagt. Doch jetzt kenne ich meinenwahren Auftrag, und ich werde nicht eherruhen, als bis er erfüllt ist.«

Er lächelte kalt, als die Alarmsirenen imSchiff aufheulten.

»Das wird euch auch nicht retten«, flü-sterte er.

Mit federnden Schritten verließ er dieSteuerzentrale und blickte sich auf demHauptkorridor um. Niemand ließ sichblicken.

Magantilliken eilte zu den Unterkünftender Leibwache des Rates. Er wußte, daß erzuerst die erfahrenen Kämpfer ausschaltenmußte, bevor er zur Hinrichtung von Kandround Kreton schreiten konnte. Die beiden Rä-te konnten ihm nicht gefährlich werden.Aber im Grunde genommen konnte niemandihm gefährlich werden, denn er war der

46 H. G. Ewers

Henker, vor dem alle zitterten.Er öffnete das erste Kabinenschott und

war aus dem Blickfeld der Insassen ver-schwunden, bevor die beiden Schotthälftenauseinandergeglitten waren.

»Wer ist das?« rief jemand von drinnen.Magantilliken wartete geduldig ab. Als

ein Mann auf den Korridor trat, hob er dieWaffe, aber er schoß noch nicht.

Der Mann erblickte ihn und wurde blaß.»Was soll das, Magantilliken?« fragte er

gepreßt.»Sag deinem Kameraden, er soll heraus-

kommen!« befahl der Henker.»Ich bin schon da!« sagte der zweite Ka-

binenbewohner, trat auf den Korridor undschoß.

Doch da hatte Magantilliken schon seinePosition gewechselt. Der Schuß des Leibgar-disten traf nur die Korridorwand. Aber Ma-gantillikens Schuß traf den Mann mitten insHerz. Bevor er zusammenbrach, lebte auchder andere Gardist nicht mehr.

Magantilliken wandte sich ungerührt abund öffnete die nächste Kabinentür. Diesmaltrat er nicht beiseite, sondern feuerte, sobaldsich die beiden Schotthälften einen schma-len Spalt breit geöffnet hatten.

Sein Instinkt hatte ihn nicht getrogen. Diebeiden Bewohner hatten ihn mit schußberei-ten Waffen hinter dem Schott erwartet. Nurwaren sie nicht so skrupellos wie er gewe-sen, sondern hatten offenbar gehofft, ihnzum Aufgeben zwingen zu können. Sie star-ben, bevor sie Zeit fanden, ihren Irrtum zuerkennen.

Magantilliken wirbelte herum, als er hör-te, daß sich links von ihm ein anderes Schottöffnete. Er lag flach auf dem Boden, als je-mand aus der betreffenden Kabine blind inden Korridor schoß. Dann sprang ein Leib-wächter in weitem Satz aus der Kabine aufden Flur. Er starb, bevor seine Füße den Bo-den berührten. Gleichzeitig mit ihm war derzweite Kabinenbewohner in den Flur getre-ten. Er feuerte auf Magantilliken, verfehlteihn aber knapp, weil der Henker nach vorngesprungen war. Bevor er ein zweites Mal

schießen konnte, starb auch er.Die übrigen Leibwächter handelten end-

lich gemeinsam. Sämtliche Schotte der be-wohnten Kabinen öffneten sich, und aus denÖffnungen schlug dem Henker ein wahrerFeuersturm entgegen.

Aber Magantilliken hatte sich dicht an dielinke Korridorwandung gepreßt. Von dortaus feuerte er schräg in die offenen Kabinenhinein, während er sich vorwärts schob. Dadie Leibwächter nicht wagten, ihre Kabinenzu verlassen, konnten sie nicht gezielt aufihn feuern. Magantilliken dagegen traf wie-der und wieder. Das Feuer der Leibgardistenwurde schwächer.

Der Henker bemerkte nicht, daß sich weithinter ihm das Schott der Funkzentrale ge-öffnet hatte. Er hätte sich auch nicht darumgekümmert, denn er wußte, daß sich in derFunkzentrale nur Kandro und Kreton befan-den, und er hielt die beiden Männer für zusenil, als daß er sie als ernstzunehmendeGegner betrachten konnte.

Zweifellos stimmte seine Einschätzung.Er hatte nur nicht daran gedacht, daß pani-sche Furcht alle Hemmungen über den Hau-fen werfen kann.

Kandro und Kreton zögerten nicht einenAugenblick, dazu waren sie viel zu veräng-stigt. Sie schalteten ihre Energiestrahler aufDauerfeuer und schossen pausenlos in dieRichtung, in der Magantilliken stand.

Ihre Hände zitterten zwar, aber da Magan-tilliken sich ungedeckt in ihrer Schußliniebefand, besagt das bei der enormen Energie-entfaltung ihrer Waffen überhaupt nichts.Als sie ihr Feuer einstellten, herrschte imhinteren Drittel des Korridors eine wahreHöllenglut.

Vom Henker der Varganen blieb nichteinmal ein Häufchen Asche übrig …

*

»Einzelnes Schiff nähert sich uns vonBackbord«, meldete Fartuloon, der die Or-tungskontrollen des erbeuteten Schiffes be-setzt hatte.

Das Ende von Yarden 47

»Das könnte das Schiff mit dem Umsetzersein«, meinte Ischtar. »Ich werde dennochvorsichtshalber den Schutzschirm aktivie-ren.«

Ich sagte nichts dazu. Zwar wußte ich,daß der Schutzschirm eines Varganenschiffsso stark war, daß wir Arkoniden nur davonträumen konnten, gleichwertige Schutzschir-me zu besitzen. Aber ich konnte mir vorstel-len, daß die Angriffswaffen varganischerRaumschiffe der arkonidischen Technologiegleich weit voraus waren. Inwieweit derSchutzschirm eines Varganenschiffs vor ih-nen schützte, war mir unbekannt. Wahr-scheinlich aber bot er nur bedingt Schutz ge-gen das Feuer mehrerer Einheiten.

Ich hatte das Funkgerät besetzt und sahdeshalb als erster, daß uns jemand anfunkte.Die Kontrollen zeigten, daß es mittels starkgebündeltem Richtstrahl geschah. Für michwar das der Beweis, daß wir von Freundenangerufen wurden, die nicht wollten, daß ihrFunkspruch von anderen Schiffen aufgefan-gen wurde.

Ich schaltete das Funkgerät ein und richte-te die Sendeantenne genau auf den Sektordes anfliegenden Schiffes, in dem sich – wiebei allen Varganenschiffen – die Funkzen-trale befand.

Auf dem Bildschirm des Geräts tauchteder Oberkörper eines Varganen auf. Am Ge-sicht erkannte ich Vargo. Aber der alte Var-gane zeigte keine Spur mehr von der ruhigenGelassenheit, die er bei unserem ersten Ge-spräch zur Schau getragen hatte. Seine Ge-sichtszüge waren verzerrt, und die Augenflackerten.

»Sie sind es also doch!« stieß er hervor.»Wir befinden uns alle hier, und das

Schiff ist unter unserer Kontrolle«, erwiderteich. »Aber was ist mit Ihnen los? Sie zitternja.«

»Die Eisige Sphäre ist verloren!« stießVargo hervor. »Immer mehr Varganen las-sen ihre Körper im Stich und wechseln inandere Körper auf Planeten des Mikrokos-mos über, weil die Strukturschleuse Yardenszusammengebrochen ist.«

Ich brauchte einen Augenblick, um dieseNachricht zu verdauen. Das Schicksal, dasden Varganen bevorstand, erschütterte mich,obwohl sie uns gegenüber keine Skrupel ge-kannt hatten.

»Aber es gibt doch den Umsetzer«, sagteich schließlich. »Er böte den Varganen dochdie Möglichkeit, in den Makrokosmos über-zuwechseln.«

»Das ist es ja, was ich fürchte«, erwiderteVargo. »Die anderen Varganen könnten ver-suchen, den Umsetzer zurückzuerobern. Dasaber muß verhindert werden. Niemals wie-der dürfen Varganen in den Makrokosmosgelangen.«

Ischtar war herangekommen und stelltesich neben mich, so daß Vargo sie sehenkonnte.

»Auch ich nicht?« fragte sie.»Sie sind eine Ausnahme, denn Sie gehö-

ren zu den Varganen, die sich schon vor lan-ger Zeit entschlossen hatten, im Makrokos-mos zu bleiben«, antwortete der alte Wis-senschaftler. »Ich bitte Sie, Ihren Schutz-schirm auszuschalten, damit wir ankoppelnkönnen. Uns bleibt nicht viel Zeit, Sie durchden Umsetzer zu schicken. Wahrscheinlichbereiten Kreton und Kandro bereits den An-griff vor. Sie haben elf andere Schiffe umihr Flaggschiff versammelt.«

»Ich desaktiviere unseren Schutzschirm«,erklärte Ischtar und ging zu ihrem Platz zu-rück.

»Kommen Sie sofort herüber, wenn wirangelegt haben«, sagte Vargo noch, bevor erdie Verbindung unterbrach.

Nachdem Ischtar unseren Schutzschirmausgeschaltet hatte, ging alles sehr schnell.Das Umsetzerschiff legte an und fuhr eineRöhre aus, die sich gegen unsere Haupt-schleuse preßte.

Ischtar setzte sich mit dem Varganen ausder Ortungszentrale in Verbindung. Sie un-terrichtete ihn über den neuesten Stand derDinge und versprach ihm, die Notverriege-lung so auf Automatik zu schalten, daß sienach einer Zeitspanne rückgängig gemachtwurde, die ich als eine Stunde Arkonzeit er-

48 H. G. Ewers

rechnete.Anschließend verließen wir das Beute-

schiff. Es gab nichts, was uns hier hätte hal-ten können. Außerdem brannte ich darauf,endlich wieder in mein normales Universumzurückzukehren und meinen Kampf gegenOrbanaschol wieder aufzunehmen.

Als wir die Zentrale des Umsetzerschiffsbetraten, hatte es sich bereits von unseremBeuteschiff gelöst. Aber Vargo und seineHelfer wirkten so aufgeregt, daß wir beinahevergaßen, Corpkor zu begrüßen.

Ich sah, daß der Tiermeister furchtbareNarben an den sichtbaren Körperstellen hat-te, kam aber nicht dazu, nach der Ursache zufragen, denn Vargo erklärte, wir wären vonzwölf Raumschiffen eingekreist worden.

Kurz darauf sprach das Funkgerät an.Vargo schaltete es erst ein, nachdem mei-

ne Freunde und ich aus dem Bereich der Bil-derfassung getreten waren. Dennoch konn-ten wir auf dem Bildschirm den VarganenKandro sehen und seine Stimme hören.

»Sie werden bemerkt haben, daß IhrSchiff umzingelt ist, Vargo«, sagte Kandro.»Es gibt keine Möglichkeit für Sie, zu ent-kommen. Aber wenn Sie mir Ihr Schiff undden Umsetzer innerhalb einer Zeiteinheit un-beschädigt übergeben, werde ich auf eineBestrafung verzichten. Antworten Sie!«

»Ich sehe ein, daß meine Lage aussichts-los ist«, erwiderte Vargo. »Die Übergabekann in einer Zeiteinheit in der Zentrale desUmsetzerschiffes stattfinden.«

»Es ist gut, daß Sie so vernünftig sind,Vargo«, meinte Kandro. »Kreton und ichwerden pünktlich zur Stelle sein.«

Vargo schaltete das Funkgerät ab undwandte sich wieder an uns.

»Kommen Sie!« sagte er. »Der Umsetzerist auf Personendurchgang geschaltet. Siewerden im Makrokosmos herauskommen,das verspreche ich Ihnen.«

Wir folgten ihm schweigend.In mir tobten die unterschiedlichsten Ge-

fühle. Ich hatte in diesem Mikrokosmos soviele Abenteuer erlebt, daß mir bei dem Ge-danken, ihn sang- und klanglos zu verlassen,

ganz eigentümlich zumute war. Aber Vargodrängte.

Wir kamen nicht einmal dazu, den Umset-zer selbst zu sehen. Vargo führte uns ledig-lich in eine Halle, auf die der Projektor desGeräts justiert war, wie er erklärte.

Kaum hatten wir uns in dem markiertenWirkungskreis aufgestellt, als der alte Var-gane auch schon in eine Nische trat, in dereine Schaltkonsole zu sehen war.

»Leben Sie wohl!« sagte er und drückteeinige Tasten.

Ich wollte mich bedanken, doch da setztedie Wirkung des Umsetzers bereits ein. DieKonturen der Halle und Vargos verschwam-men. Ich spürte Ischtars Hand in meiner unddachte noch, was uns wohl drüben erwartete,dann wurden wir in einen Strudel dimensio-nal übergeordneter Energien gezogen …

*

Vargo beobachtete mit unbewegtem Ge-sicht, wie die Frauen und Männer in derHallenmitte in dem Energiewirbel versan-ken, den der Umsetzer projizierte.

Er unterdrückte einen Anflug von Weh-mut und richtete seine Aufmerksamkeit aufdas was er als nächstes zu tun gedachte.Vargo beabsichtigte nicht, ebenfalls in denMakrokosmos zu gehen. Er wollte abwarten,bis er sicher sein konnte, daß der Umsetzerniemals mehr mißbraucht werden würde.

Zielstrebig ging er zum Kraftwerksteil desGeräts, das er einst konstruiert hatte, umForschungsexpeditionen in den Makrokos-mos zu ermöglichen. Er hatte nie geglaubt,daß sein Umsetzer mißbraucht werden konn-te, bis es dann geschehen war. Von diesemZeitpunkt an war es mit dem Volk der Var-ganen abwärts gegangen. Aber auch überandere Völker war viel Unheil gebracht wor-den.

Das sollte ein für allemal ein Ende haben.Vargo schloß die Geräte, die er beim Kraft-werksteil bereitgestellt hatte, an die Energie-versorgung an und gab dem Aktivator einenKode ein. Danach kehrte er in die Zentrale

Das Ende von Yarden 49

des Schiffes zurück.»Ich werde den Umsetzer zerstören, so-

bald das Ultimatum der Räte abgelaufenist«, teilte er seinen Helfern mit. »Bitte,bringen Sie sich vorher in Sicherheit.«

»Was wird aus Ihnen, Vargo?« erkundigtesich Apton. »Werden Sie ebenfalls in einenKörper außerhalb der Eisigen Sphäre über-wechseln? Werden wir uns irgendwann wie-der begegnen?«

»Das weiß ich noch nicht«, antwortete derWissenschaftler. »Ich werde mich erst imletzten Augenblick entscheiden. Viel Glück,meine Freunde.«

Nacheinander verabschiedeten sich seineHelfer. Anschließend suchten sie Kabinenauf, um sich in völliger Abgeschiedenheitauf die Übernahme fremder Körper vorbe-reiten zu können.

Vargo aber blieb vor dem Funkgerät sit-zen. Kurz bevor das Ultimatum abgelaufenwar, schaltete er es ein.

*

»Können wir kommen, Vargo?« fragteKandro, leicht verwundert darüber, daß derWissenschaftler sich vor Ablauf des Ultima-tums noch einmal über Funk gemeldet hatte.

Vargo lächelte undefinierbar.»Sie können kommen«, antwortete er.

»Allerdings werden Sie dann sterben, dennich habe vor, den Umsetzer zur Explosion zubringen. Dabei wird das Schiff zweifellosauch zerstört werden.«

Kandro fuhr zusammen.»Das können Sie nicht tun, Vargo!« rief

er beschwörend. »Wir werden gemeinsam inden Makrokosmos gehen. Dort bauen wiruns eine neue Zukunft auf. Wir werden Ih-nen jeden Wunsch erfüllen, den Sie äußern.«

»Das ist nicht nötig«, erwiderte Vargo.»Ich bin in der glücklichen Lage, mir mei-nen größten Wunsch selbst erfüllen zu kön-nen. Das Gerät, das ich einst konstruierteund das soviel Unheil über uns und andereVölker brachte, wird aufhören zu existie-ren.«

Fassungslos starrten Kandro und Kretonauf den Bildschirm des Funkgeräts, der dun-kel geworden war.

»Er hat einfach abgeschaltet«, sagte Kan-dro.

»Rufen Sie ihn an!« drängte Kreton. »Wirmüssen ihn von seinem verrückten Plan ab-bringen!«

»Ich fürchte, er wird sich durch uns nichtbeeinflussen lassen«, erwiderte Kandro.Dennoch schaltete er am Funkgerät.

»Dann schicken wir ein Enterkommandohinüber!« erklärte Kreton.

»Zu spät!« sagte Kandro tonlos.Kreton sah, daß sein Kollege auf den

Steuerbordbildschirm blickte. Als er seinemBlick mit den Augen folgte, packte ihn eisi-ges Entsetzen.

Die Außenhülle des Umsetzerschiffs bläh-te sich auf, riß an unzähligen Stellen. Blau-weiße Glut schlug von innen durch die Risseund verschlang das Umsetzerschiff inner-halb weniger Augenblicke.

Als Kreton sich nach Kandro umwandte,sah er nur noch den leblosen Körper im Ses-sel hocken. Er beugte sich zu ihm hinüberund erkannte an den wohlbekannten Anzei-chen, daß Kandros Körper sich in jenem Zu-stand der Starre befand, der sich einstellte,wenn ein Vargane eine Bewußtseinstelepor-tation in einen fremden Körper unternahm.

Der eigene Körper blieb dabei am Leben.Nur wurden seine Lebensfunktionen auf einkaum noch meßbares Minimum reduziert,aber immerhin nur soweit, daß der Besitzer,wenn er zurückkehrte, sein normales Lebenwieder aufnehmen konnte.

Aber diesmal würde Kandros Bewußtseinnicht zurückkehren, wußte Kreton.

Er lehnte sich in seinem Sessel zurückund musterte nacheinander die Bildschirmeder Rundsichtgalerie. Kreton erschrak nicht,als er entdeckte, daß der Strukturriß an derGrenze zum Makrokosmos sich rasendschnell vergrößerte und daß die aus ihm her-vorbrechende rötliche Glut die Eisige Sphä-re fast erreicht hatte.

Yarden würde untergehen – und mit Yar-

50 H. G. Ewers

den würde auch die Macht der Tropoythersinnerhalb des Mikrokosmos erlöschen. Wasmit der Grenze zwischen Mikro- und Ma-krokosmos geschehen würde, wußte Kretonnicht. Er wußte nur, daß es niemals wiederjene Kreuzzüge nach Yarden geben konnte.

Als die Ausläufer, der fremdartigen Glutdie Eisige Sphäre erreichten, flammte dienebelartige Hülle grell auf. Das Leuchtenspiegelte sich auf den Hüllen zahlloserRaumschiffe, die verlassen durch den Raumtrieben. Inzwischen mußten alle Varganenaus ihren Körpern geflohen sein.

Kreton dachte daran, daß es für ihn höch-ste Zeit wurde, sich ebenfalls in einen Kör-

per außerhalb von Yarden zu flüchten. Aberer tat es nicht. Es erschien ihm sinnlos, wei-terzuleben, wenn das Volk der Varganenzerstreut und die Macht der Tropoythers füralle Zeiten gebrochen war.

Als die Eisige Sphäre unter dem Ansturmder fremden Energie zerriß, traf ein Schwalltödlicher Kältestrahlung das Schiff Kretons.Der letzte Bewohner der Eisigen Sphärestarb im gleichen Augenblick wie Yarden.

ENDE

E N D E

Das Ende von Yarden 51