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Das Erdbeben in Chili ist eine Novelle von Heinrich von Kleist , die er vermutlich im Jahr 1806 verfasst hat. Sie wurde zunächst 1807 in Cottas Morgenblatt für gebildete Stände unter dem Titel Jeronimo und Josephe. Eine Szene aus dem Erdbeben zu Chili, vom Jahr 1647 veröffentlicht. 1810 erschien sie erneut unter dem nun bekannten Titel im ersten Band der Erzählungen Hintergrund Während das Erdbeben von 1647 in Santiago de Chile (bei Kleist „St. Jago, [die] Hauptstadt des Königreichs Chili“) die historische Vorlage für den Text bietet, ist ideengeschichtlich vor allem das Lissabonner Erdbeben von 1755 für Kleist Anlass gewesen. [2] [3] Auch andere zeitgenössische Philosophen und Dichter, wie Poe , Voltaire , Rousseau und Kant , verwendeten dieses Thema, um unter anderem das Theodizeeproblem zu diskutieren. Die Theodizee, die Frage also nach einem allmächtigen und guten Gott angesichts von Leid und Ungerechtigkeit in der Welt, wurde in der Aufklärung prominent von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) behandelt, der zum Schluss kam, die existierende Welt sei die bestmögliche Welt. Das Erdbeben von Lissabon stellte diese Formulierung erneut stark in Zweifel. Neben der Theodizee-Debatte ist auch noch der Diskurs über den Naturzustand bedeutsam für Kleists Gedankengang. Rousseaus These, dass in einer ursprünglichen, eigentumslosen Urgesellschaft der Mensch edel und gut sei, forderte die traditionelle Auffassung des von Geburt an bösen Menschen (Erbsünde ) heraus: „Die Menschen sind böse; eine traurige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis; jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben; […] Man bewundere die menschliche Gesellschaft, soviel man will, es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass sie die Menschen notwendigerweise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreuzen, außerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu erweisen und in Wirklichkeit sich alle vorstellbaren Übel zuzufügen.“ [4] Rousseaus These war, dass der Mensch, wenn er in den Naturzustand zurückkehre, wieder moralisch gesunden werde. Dies wurde kontrovers debattiert und heftig von kirchlicher

Das Erdbeben in Chili Ist Eine Novelle Von Heinrich Von Kleist

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Heinrich von Kleists - Erzaehlungen

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Das Erdbeben in Chili ist eine Novelle von Heinrich von Kleist, die er vermutlich im Jahr 1806 verfasst hat

Das Erdbeben in Chili ist eine Novelle von Heinrich von Kleist, die er vermutlich im Jahr 1806 verfasst hat. Sie wurde zunchst 1807 in Cottas Morgenblatt fr gebildete Stnde unter dem Titel Jeronimo und Josephe. Eine Szene aus dem Erdbeben zu Chili, vom Jahr 1647 verffentlicht. 1810 erschien sie erneut unter dem nun bekannten Titel im ersten Band der Erzhlungen

HintergrundWhrend das Erdbeben von 1647 in Santiago de Chile (bei Kleist St. Jago, [die] Hauptstadt des Knigreichs Chili) die historische Vorlage fr den Text bietet, ist ideengeschichtlich vor allem das Lissabonner Erdbeben von 1755 fr Kleist Anlass gewesen.[2]

HYPERLINK "http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Erdbeben_in_Chili" \l "cite_note-3" [3] Auch andere zeitgenssische Philosophen und Dichter, wie Poe, Voltaire, Rousseau und Kant, verwendeten dieses Thema, um unter anderem das Theodizeeproblem zu diskutieren. Die Theodizee, die Frage also nach einem allmchtigen und guten Gott angesichts von Leid und Ungerechtigkeit in der Welt, wurde in der Aufklrung prominent von Gottfried Wilhelm Leibniz (16461716) behandelt, der zum Schluss kam, die existierende Welt sei die bestmgliche Welt. Das Erdbeben von Lissabon stellte diese Formulierung erneut stark in Zweifel. Neben der Theodizee-Debatte ist auch noch der Diskurs ber den Naturzustand bedeutsam fr Kleists Gedankengang. Rousseaus These, dass in einer ursprnglichen, eigentumslosen Urgesellschaft der Mensch edel und gut sei, forderte die traditionelle Auffassung des von Geburt an bsen Menschen (Erbsnde) heraus:

Die Menschen sind bse; eine traurige und fortdauernde Erfahrung erbrigt den Beweis; jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben; [] Man bewundere die menschliche Gesellschaft, soviel man will, es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass sie die Menschen notwendigerweise dazu bringt, sich in dem Mae zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreuzen, auerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu erweisen und in Wirklichkeit sich alle vorstellbaren bel zuzufgen.[4]Rousseaus These war, dass der Mensch, wenn er in den Naturzustand zurckkehre, wieder moralisch gesunden werde. Dies wurde kontrovers debattiert und heftig von kirchlicher und konservativer Seite abgelehnt. Kleists Erzhlung ist sowohl eine Antwort auf die Frage nach der Theodizee als auch auf die Frage nach dem natrlichen Gut-Sein des Menschen.

Konkreter auf die Biographie Kleists bezogen war der Hintergrund die Niederlage Preuens im Krieg gegen Frankreich 1806 (Schlacht von Jena und Auerstedt), verbunden mit einer katastrophalen, kurzzeitigen Auerkraftsetzung der gesellschaftlichen Verhltnisse. Kleist verfasste die Arbeit wahrscheinlich in seiner Knigsberger Zeit (Mai 1805 bis August 1806). Er war von Januar bis Juli 1807 in franzsischer Kriegsgefangenschaft; whrend dieser Zeit vermittelte sein Freund Otto August Rhle von Lilienstern (17801847) das Werk an den Verleger Cotta. Das Erdbeben in Chili war die erste gedruckte Erzhlung Kleists.[5]Man hat auch versucht, die Novelle als Geschichtsphilosophie des Poetischen zu lesen, die auf die politische Verarbeitung der Revolution [von 1789] antwortet.[6]Literarische VorlageDas Grundgerst der Handlung geht auf den Roman Les Incas. Ou la Destruction de l'Empire du Prou (1777) von Jean-Franois Marmontel zurck; dort ist es Alonzo Molina, ein spanischer Konquistador, der eine eingeborene, der Sonnengottheit geweihte Jungfrau, Cora, begehrt. Molina will in Peru die Indios zum Christentum bekehren und sie vor Plnderungen seitens der Konquistadoren schtzen; aber erst durch ein Erdbeben, das den Tempel, in dem Cora festgehalten wird, zerstrt, kommen beide zusammen. Cora wird schwanger; als dies erkannt wird, soll sie hingerichtet werden, denn sie hat gegen das Keuschheitsgelbde verstoen. Molina stellt sich dem Gericht und hlt ein Pldoyer fr christliche Vergebung und die Gestattung von natrlichen Gefhlen, wie der Liebe zu Cora. Die Indios werden davon berzeugt, Alonzo und Cora heiraten; doch bei einem berfall der Konquistadoren unter Pizarro fllt Alonzo, Cora stirbt mit ihrem Kind auf dem Grab ihres Mannes vor Gram.[7]Die Konfiguration weist Jeronimo und Josephe sowie die Figuren um Don Fernando als Protagonisten und die Vertreter der Institutionen Kirche, Staat, Familie und des Volkszornes als Antagonisten aus. Bei den Protagonisten findet allerdings vom ersten zum dritten Hauptteil eine Verschiebung statt: Jeronimo und Josephe, die beherrschenden Hauptfiguren des ersten Teils, treten hinter der Gestalt Don Fernandos zurck, der zum gttlichen Helden aufgebaut wird.[8]Handlung[9]Der Hauslehrer Jeronimo verliebt sich in seine Schlerin Josephe. Diese erwidert seine Liebe und beide befinden sich in einem zrtlichen Einverstndnis (Seite 679, Z. 10). Die Warnungen des Vaters beachten die beiden nicht, und Jeronimo wird daraufhin entlassen und die Tochter in ein Kloster gesteckt. Obwohl Jeronimo ohne Beschftigung und Einkommen ist, bricht er den Kontakt zu Josephe nicht ab, und es kommt im Klostergarten zur krperlichen Vereinigung, die Kleist mit vollen Glckes (Seite 679, Z. 17f.) umschreibt. Das hierbei gezeugte Kind wird am Fronleichnamsfest geboren. Josephe wird ins Gefngnis eingeliefert und ihr wird trotz sonst untadelhaften Betragens (Seite 679, Z. 31) auf Befehl des Erzbischofs der Prozess gemacht. Durch den Machtspruch des Vizeknigs wird sie zum Tode durch Enthaupten verurteilt. Auch Jeronimo wird ins Gefngnis gesteckt; die Nachricht ber das Todesurteil fr seine Geliebte lsst ihn fast die Besinnung verlieren (Seite 679, Z. 42). Sein folgender Fluchtversuch bleibt erfolglos. Gottesglubig bittet er die heilige Mutter Gottes um Rettung fr die zur Todesstrafe Verurteilte. In der vlligen Hoffnungslosigkeit seiner Lage (Seite 680, Z. 8) beschliet er verzweifelt, am Hinrichtungstag der Geliebten sein Leben durch Erhngen zu beenden. Hierbei wird er jedoch durch das Erdbeben berrascht und ist starr vor Entsetzen (Seite 680, Z. 18). Die Mauern des Gefngnisses strzten ein, und er kann flchten. Er luft durch die zerstrte Stadt, und berall begegnen ihm Zerstrung und Tod. Auerhalb der Stadt hlt er an und bricht ohnmchtig aufgrund des Leides und der Anstrengung zusammen. Als er wieder erwacht, fhlt er sich zufrieden und dankt Gott fr seine wunderbare Errettung (Seite 681, Z. 13). Erst danach fllt ihm wieder Josephe ein, und er geht zurck in die Stadt, um sie zu suchen. Dort fragt er die Leute, ob die Hinrichtung vollzogen worden sei. Nachdem er die Antwort erhlt, dass dies der Fall sei, berlie (er) sich seinem vollen Schmerz (vgl. S. 681, Z. 33) und begreift nicht, warum gerade er gerettet wurde. Er wnscht, dass die zerstrende Gewalt der Natur (Seite 681, Z. 34f.) von neuem ber ihn einbrechen mchte. Da dies aber nicht geschieht, setzt er seine Suche fort und findet auerhalb der Stadt in einem lieblichen Tal Josephe und ihr gemeinsames Kind an einer Quelle. Selig umarmen sich die Liebenden und danken Maria fr das Wunder der Errettung.

Josephe erzhlt Jeronimo, dass auch ihr durch den Einsturz der Gebude die Flucht gelang und sie danach zum Kloster ging, wo ihr Knabe war, und dort rettete sie unverschrocken durch den Dampf (Seite 682, Z. 2, 21) das Kind aus dem zusammenfallenden Gebude. Mit diesem lief sie dann zum Gefngnis, doch auch dieses war zerstrt und Jeronimo nicht zu finden. So hetzte sie weiter durch die Stadt. Dort sah sie die Leiche des Erzbischofs und dass der Palast des Vizeknigs und das Gerichtsgebude in Flammen standen. Sie ging weiter, bis sie in das Tal auerhalb der Stadt kam und dort nun wieder mit ihrem Geliebten zusammentraf.

Die beiden fhlten sich an diesem Orte als ob es das Tal von Eden (Seite 683, Z. 10) wre. Wieviel Elend mute ber die Welt kommen, (vgl. S. 683, Z. 34) damit sie endlich glcklich wurden? Unter vielen Kssen schlafen sie ein. Am nchsten Morgen tritt ein junger Mann, Don Fernando, mit einem Kleinkind zu ihnen und bittet Josephe, ob sie dem Kind nicht kurz die Brust geben knne, da die Mutter schwer verletzt sei. Josephe erfllt den Wunsch, und als Gegenleistung werden sie von der Familie des jungen Mannes zum Frhstck eingeladen. Von allen werden sie mit so vieler Vertraulichkeit und Gte behandelt (Seite 684, Z. 24), dass sie nicht mehr wissen, ob sie von der schrecklichen Vergangenheit nur getrumt haben. Es wird von den schlimmen Zustnden in der Stadt erzhlt, und dass durch das groe Unglck die Standesunterschiede verschwunden seien, da alle das Gleiche durchgemacht htten. Jeronimo und Josephe entschlieen sich, beim Vizeknig um ihr Leben zu bitten.

Als sich die Nachricht verbreitet, dass in der einzig erhaltenen Kirche eine Dankmesse gefeiert werden soll, entschlieen sich auch Josephe und Jeronimo, entgegen der Warnungen von Donna Elisabeth, daran teilzunehmen. In der Kirche predigt der lteste der Chorherren und sieht das Erdbeben als Strafe Gottes fr das Sittenverderbnis der Stadt (Seite 687, Z. 40). Auch erwhnt er den Frevel, der im Klostergarten stattgefunden hat. Weiterhin bergibt er die Seelen der Tter allen Frsten der Hlle (Seite 688, Z. 2). Die Kirchenbesucher erkennen die Schuldigen und fordern ihre Bestrafung. Hierbei kommt es zu einem Tumult, und Don Fernando wird mit Jeronimo verwechselt; sein Tod wird gefordert. Daraufhin gibt sich Jeronimo mutig zu erkennen. Es gelingt ihm und Josephe sowie der Familie Don Fernandos, die Kirche mit den Kindern wieder zu verlassen. Doch davor wartet bereits der Mob, und Jeronimo wird von seinem eigenen Vater mit einer Keule erschlagen. Auch die Schwgerin von Don Fernando, Donna Constanze, wird ein Opfer der Masse. Josephe strzt sich mit den Worten: hier mordet mich, ihr blutdrstenden Tiger! (Seite 689, Z. 38) in die Menge. Don Fernando verteidigt sich mit einem Schwert und ttet einige Angreifer. Doch es gelingt dem Anfhrer, Meister Pedrillo, den kleinen Sohn von Don Fernando an sich zu reien und ihn an eines Kirchpfeilers Ecke (Seite 690, Z. 2f.) zu schmettern. Daraufhin ziehen sich alle zurck und entfernen sich. Die Leichen werden fortgeschafft; Don Fernando und seine Frau Donna Elvira nehmen, da ihr Sohn gettet wurde, den Sohn von Josephe und Jeronimo als Pflegesohn an.

AufbauDie Erzhlung besteht aus drei Teilen:

Die Vorgeschichte bis zum Tag der geplanten Hinrichtung und der Naturkatastrophe

Das idyllische Tal, Gemeinschaft der Menschen ber Klassengrenzen hinweg

Dankgottesdienst und Lynchmorde

Doch diese Struktur ist nur vordergrndig klar und einfach aufgebaut. Kleists zentrale Denkfigur ist nicht dialektisch, im Sinne von These Antithese Synthese, sondern antagonistisch. Jede Schilderung in der Erzhlung findet ihre berfhrung ins Gegenteil: So wird der Selbstmord Jeronimos durch ein todbringendes Erdbeben verhindert, der Dankgottesdienst wird zu einer Hassorgie. Die Erzhlung ist geprgt von Kippfiguren und einem Ineinander von Rettung und Vernichtung. Dieses Ineinanderfallen von Widersprchen, Gegenstzen prgt das kleistsche Denken seit seiner Studienzeit, wird aber ausformuliert vor allem in der Schrift Allerneuester Erziehungsplan aus den Berliner Abendblttern, die Kleist 1810 verffentlichte. Ein durchgngig beibehaltenes Deutungsmuster ist so fr den Leser nicht mglich, vielmehr bricht Kleist mehrfach mit den Erwartungen an den Text und den literarischen Konventionen, ein Grund, warum der Text bis heute, und vor allem in der aktuellen Forschung, eine derartig groe Rezeption erfhrt.

Bei genauerer Lektre jedoch erkennt man in der groben Dreiteilung der Handlung den klassischen fnfteiligen Aufbau des Regeldramas: I. Vorgeschichte und Vorbereitung der Hinrichtung bzw. des Selbstmordes, II. Peripetie, in der die zerstrerische Gesellschaft durch die hereinberechende Naturkatastrophe nun selbst zerstrt wird, whrend ihre geschundenen Opfer Rettung finden, III. der Mittelteil, der Ausgleich und Vershnung anzukndigen scheint, IV. eine erneute Wendung, aber diesmal eine Peripetie zum Schlimmen, der Aufbruch zur Kirche, und V. die Katastrophe mit der infernalischen Hapredigt [und der anschlieenden] mrderischen Massenhysterie.[10]Sprache und ErzhlweiseCharakteristisch fr Kleist ist der Anfangssatz, der nchtern-sachlich einen dramatischen Zustand umschreibt und dabei aus erzhlerischer Sicht keine emotionale Beteiligung erkennen lsst. Dieser Stil kennzeichnet Kleists Werk seit der Knigsberger Zeit, als er als Beamter zu Gericht in Akten hufig eine solche klare und raffende Schreibart lesen und selbst gebrauchen musste. In der gesamten Erzhlung bleibt der Erzhler ohne Deutung oder emotionaler Ergriffenheit, selbst bei grausamen Szenen. Hingegen wird die chaotische Situation, etwa bei der Ermordung durch den Mob, sprachlich virtuos umgesetzt: Don Fernando, als er Constanzens Leichnam erblickte, glhte vor Zorn; er zog und schwang das Schwert, und hieb, da er ihn gespalten htte, den fanatischen Mordknecht, der diese Gruel veranlate, wenn derselbe nicht, durch eine Wendung, dem wtenden Schlag entwichen wre. Der turbulenten Situation des Kampfes entspricht hier die wilde Abfolge von Haupt- und Nebenstzen in zum Teil groangelegten Konstruktionen. Des Weiteren sind scheinbar lapidare Nebenbemerkungen wichtig, die Signalwirkung fr den Leser haben und daher bei einer Deutung von immenser Bedeutung sind: Etwa wenn es zur Einleitung des zweiten Teils der Erzhlung heit, als die Nacht hereinbricht: wie nur ein Dichter davon trumen mag, dann ist das eine konkrete Infragestellung der geschilderten Realitt. Kleist schreibt hufig hintersinnig und ironisch, eine Tatsache, die bei der Interpretation seiner Werke nie zu vernachlssigen ist .

DeutungAlle Interpretationen sind wegen der fehlenden Deutung durch einen Erzhler an die Perspektive der Figuren gebunden, was die Komplexitt der Deutungsmglichkeiten erhht. Die Erzhlung ist eine Reaktion auf das Erdbeben von Lissabon 1755, das eine Debatte der Theodizee auslste und insbesondere den Optimismus der Aufklrung und den Deismus in Frage stellte. Vor allem Voltaire und Rousseau fhrten einen Diskurs ber die Katastrophe. Kleists Standpunkt ist radikal anders als bisherige Stellungnahmen, indem er nicht versucht, Gott zu rechtfertigen oder die Naturkatastrophe zu erklren, sondern auf einer Metaebene die Deutungen der Katastrophe selbst kritisiert. Die Menschen, die die Katastrophe nur auf die beiden unglcklich Liebenden als Auslser reduzieren und sich anmaen, Gottes Willen erkennen zu knnen, sind im Text als fanatische Mrder entlarvt. Gott ist nicht rational erklrbar laut Kleist, und alle Deutungen von Naturkatastrophen als Strafe fr individuelles Fehlverhalten decken nur die menschliche Hybris auf, und nicht mehr. Die Frage nach einem gerechten und guten Gott angesichts des Leidens der Menschen nach dem Erdbeben lsst Kleist in Aporie enden. Fr ihn ist die Deutung des Erdbebens metaphysisch nicht mglich, und die sich neu formierende Gesellschaft in der Kirche, die versucht, einen Schuldigen zu finden und Gott einer Erklrung zu unterwerfen, endet in Wahnsinn und Irrationalitt. Fr Kleist ist Gott nicht erklrbar, nicht begreifbar und nicht fassbar. Gott und Aufklrung, so muss man im Sinne dieses Werkes folgern, sind nicht zusammen denkbar.

Gnter Blamberger schreibt in seiner Biographie ber Kleist zu Das Erdbeben in Chili: Trgerisch ist es, an den Bestand des Programms von Freiheit, Gleichheit und Brderlichkeit zu glauben. Die Gemeinschaft der Erdbebenopfer im idyllischen Tal hlt nicht lnger als die Gesellschaftsutopie der Franzsischen Revolution, danach ist der Mensch wieder ein Wolf.[11] Das heit, folgt man der Interpretation Blambergers, dass der Umsturz der Verhltnisse laut Kleist keine Rckkehr zum Naturzustand mglich macht, sondern nur eine kurze Unterbrechung der Unterdrckung des Menschen durch den Menschen darstellt. Einerseits scheint durch das egalitre Nachtlager wie in Hlderlins Archipelagus [...] eine Basisutopie einer egalitren As-Sociation auf, das Modell einer neuen As-Sociation, die neue gesellschaftliche Regeln begrnden kann.[12] Diese Utopie wird aber durch den Gang der Ereignisse dementiert und allenfalls am Ende der Erzhlung in einem Detail rehabilitiert: Die Adoption des natrlichen Kindes statt des verlorenen eigenen lt [die Novelle] vershnlich, viele haben gemeint: utopisch, ausklingen. Darin knnte man in der Tat ein Versprechen auf Bewahrung dessen sehen, was in der idyllischen Vision aufgegangen war.[13]Einen anderen Interpretationsansatz liefert Friedrich Kittler: Der schon erwhnte dreiteilige Aufbau der Novelle fhrt von einer Anfangskatastrophe, die etwa beim Zusammenbruch der Kerkermauern mit ingenieursmiger Przision beschrieben wird, ber ein Arkadien, das seinen Kindern keine psychischen Gefhle und philosophischen Deutungen gestattet, zu einer Schlukatastrophe, die mit dem kalten Blick des Kriegstechnikers gesehen ist.[14] Danach enthlt die Erzhlung eine Kritik am brgerlichen Bildungsdiskurs um 1800 mit den Konzepten von Familie als der heiligen Familie aus Kind, Mutter, Vater[15], Familialismus und Mtterlichkeit und fokussiert schlielich die Techniken und Waffen des Todes bzw. des Volkskrieges, fr die es ein historisches Pendant im 1813 durch den Knig von Preuen erlassenen Landsturmedikt gibt.[16]Eine weitere, autoreflexive Bedeutungskomponente wird angesprochen, wenn wie oben erwhnt eine Geschichtsphilosophie des Poetischen ausgemacht wird. Eine Reihe von Substitutionen charakterisiert die Novelle, die Zufall durch Deutung, Kontingenz durch Kohrenz, Ereignis durch Sprache und Geschehen durch Geschichte ersetzt und diese Ersetzung zugleich scheitern lt.[17]Verffentlichung und GattungsfrageKleist schrieb seine Erzhlung 1806 in Knigsberg, verffentlicht wurde sie im darauf folgenden Jahr in der prominenten Zeitung Morgenblatt fr die gebildeten Stnde, die mehrfach pro Woche erschien und groe Wirkung auf die literarische Kultur Deutschlands hatte, von Johann Friedrich Cotta. 1810 wurde die Erzhlung in dem Band Erzhlungen verffentlicht. Ursprnglich sollte dieser Band Moralische Erzhlungen betitelt werden. Kleists Text sollte damit in eine bestimmte literarische Traditionslinie gestellt werden, nmlich die der franzsischen Moralisten. Diese Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts beschrieben die Sitten (morales) der Zeitgenossen, um ein kritisches Bild der Umwelt zu zeichnen, nicht um eine besondere normative Ethik zu propagieren. Kleists Intention ist also die Moralistik. Kleist schildert ein bestimmtes Menschenbild und das Ringen um eine religise Deutung in einer irrationalen Welt, die sich jeder Deutung entzieht. Kleists Text ist der Gattung der Novelle zuzuordnen, allerdings sind die kleistschen Novellen von eigener Art und nicht vorgeprgt durch eine starke Verregelung, wie spter geschehen bei Theodor Storm und Paul Heyse. Kleists Novellen sind auf ihre Weise Vorlufer der modernen Kurzgeschichte. Die Novelle ist keine Gattung aus der Antike, sondern entwickelte sich erst ab der Renaissance heraus, eminent bei Giovanni Boccaccio (13131375) und seinem Werk Decamerone. Wie bei Kleist haben die Novellen Boccaccios ihren Ursprung und ihren Ausgangspunkt in der Katastrophe. Im Decamerone ist es die Pest, bei Kleist das Erdbeben. Beide Katastrophen lsen die gesellschaftlichen Zwnge und fhren zu einer sittlichen Enthemmung. Kleist nutzt diese Extremsituationen immer wieder, um in ihnen wie unter einem Brennglas die Bedingungen menschlicher Sitten zu sezieren.

Interpretation:Am 13. Mai 1647 fand in Santiago tatschlich ein schweres Erdbeben statt. Kleists Novelle erinnert vor allem an ein groes Erdbeben in Lissabon (1755), das den Ansto zu einer philosophischen, theologischen und literarischen Auseinandersetzung gab, an der sich Voltaire, Rousseau und Kant beteiligten. Hierbei wurde die Frage diskutiert, wie sich die Vorstellung von Gottes Allmchtigkeit und Gte mit der zerstrerischen Naturkatastrophe und dem Tod zahlloser Menschen vereinbaren lasse (Quelle: Das Erdbeben in Chili, Universal-Bibliothek Nr. 8002, Verlag Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart, 1984,1993).Kleist folgt in dieser Novelle dem Determinismus der klassischen Tragdien. So lsst sich zu Beginn schon das Ende und mit ihm der Tod der beiden Hauptfiguren, die das Schicksal herausforderten, ahnen. hnlich wie in seiner Novelle Michael Kohlhaas entrinnen auch Jeronimo und Josephe nicht ihrem vorgezeichneten Schicksal (Michael Kohlhaas ist die Geschichte eines durch Gewalt und Unrecht aus der Lebensbahn geworfenen Rosshndlers, der sein Menschenrecht mit allen, auch ungesetzlichen Mitteln zu erlangen sucht und tragisch scheitert). Anders als in diesem Werk scheint in Das Erdbeben in Chili jedoch die Dummheit und mangelnde Aufgeklrtheit des einfachen Volkes (Meister Pedrillo) letztendliche Ursache des Scheiterns zu sein. Die Geschichte handelt in einem Land im spanischem Einflussbereich und wird vor allem durch die Auslegung der Lehren Christi durch die Kirche (Dominikaner, die wesentlichen Trger der Inquisition) in Gang gesetzt. Unter dieser Voraussetzung kann man sich vorstellen, was die Tat der beiden Hauptprotagonisten bedeutet. Die Frau wird wegen ihrer Tat im Klostergarten zum Tode verurteilt, der Mann aber nur mit Gefngnis bestraft, damit die Hauptverantwortlichkeit der Frau zugeteilt. Das Volk erwartet mit heiligem Eifer die Hinrichtung Josephes. Da gibt Gott (oder das Schicksal) den beiden eine Chance, das Erdbeben befreit beide. Im Chaos der Naturkatastrophe ergibt sich eine neue Gesellschaft, in der Anteilnahme, Hilfsbereitschaft und Liebe (im Sinne der christlichen Nchstenliebe) herrschen, die von einer nun ausfhrlich geschilderten anheimelnden Natur noch verstrkt werden. Zurckgekehrt in das Gefge der von der Kirche geprgten Zivilisation ereilt die beiden doch noch ihr Schicksal, als das Volk vermeint, Gottes Arm sein zu mssen. Gott gibt den Menschen durch seine Priester Orientierung und sie meinen in der Tat im Klostergarten den Grund der Katastrophe zu erkennen. Wenn auch unter anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen sind hier eindeutige Parallelen in der Geschichte zu erkennen (Juden, Zigeuner, Auslnder sind an Missstnden schuld). Die Motive der Handlungen des Volkes und der Worte des Predigers sind darin zu finden, dass es leichter ist, die Schuld an der Katastrophe Menschen zuzuschreiben, als die Gerechtigkeit Gottes in Zweifel zu ziehen und damit eine Weltanschauung in Frage zu stellen. Schuldige sind gefunden und die Welt kann ohne weitere Infragestellung weiter existieren. Trotzdem darf der Leser sich nach so einer philosophischen Erkenntnis nicht wohl- und selbstgefllig zurcklehnen. Nicht Verachtung sollte einer solchen Einsicht folgen, sondern eher Mitleid, auch mit den Ttern. Bei einem Schuldspruch fr das zum Mrder gewordene Volk oder fr die Kirche in der Novelle, beginge man die gleiche Tat, die man verurteilt, da diese Menschen nur ihrer Wahrheit gehorchten. Wenn es auch noch so schwer oder sogar unmglich erscheint, der Mensch sollte zu der Erkenntnis gelangen, seine eigenen Erkenntnisse immerfort zu berprfen und nicht zu versuchen, die fr ihn ersichtlichen Wahrheiten auch fr andere bindend zu erachten.Aus Kleists Novelle ist nicht eindeutig zu erkennen, wem die Sympathien des Autors gehren,*) da er als Erzhler auftritt und die Handlung unkommentiert und ohne Schlussfolgerung einer Moral fortluft. Kleist scheint uns aber mit dieser Erzhlung den Auftrag zu geben, nicht vorgegebenen Orientierungshilfen jedenfalls zu folgen, sondern selbst zu denken und Kants Philosophie des Kategorischen Imperativs zu beachten.In dieser Novelle ist sicherlich auch die Aufarbeitung persnlicher Probleme Kleists zu erkennen, die sich aus dem Zusammensto seiner am Rationalismus orientierten Weltanschauung und der Philosophie Kants ergeben mussten. Kant forderte die Kritik der reinen Vernunft, die eine Eingrenzung der menschlichen Erkenntnis bedeutete und eine absolute Erkenntnis unmglich machte. Unterbleibt die Erkenntniskritik, so verfllt nach Kant die Philosophie entweder dem Dogmatismus oder dem Skeptizismus.Heinrich von Kleists Novelle "Die Verlobung in St. Domingo" sowie die Novelle "Das Erdebeben in Chili" gleichen sich in verschiedenen Elementen. In der "Verlobung in St. Domingo" liegt der Schwerpunkt auf dem Konflikt der verschiedenen Hautfarben. Dagegen handelt die Novelle "Das Erdbeben in Chili" von dem Egoismus, der die Menschen soweit fhrt, dass si e sich erst zur Brderlichkeit einlassen, nachdem ihnen die zerstrerische Kraft der Natu r die Augen geffnet hat. Die Liebe der beiden Protagonisten ist ei n wichtiger Bestandteil beider Werke. Die Gesellschaft hingegen bereitet den Liebespaaren groe Probleme: In "Der Verlobung in St. Domingo" werden sie in den Konflikt zwischen Schwarz und Wei miteinbezogen und kommen durch Missverstndnisse zu Tode. Ebenso kommt das Liebespaar im "Erbeben in Chili" durch falsche Schlussfolgerungen und Missverstndnisse ums Leben. In beiden Prosageschichten wenden sich di e weiblichen Hauptdarstellerinnen gegen ihre Familie und kehren dadurch ihrer Heimat den Rcken zu.Auerdem sind beide Frauen keine ange sehenen Personen in der Gesellschaft. Ein weiterer wichtiger Bestandteil in den Novellen ist unter anderem auch die Religion. Die Mitwirkenden sind uerst glubig und versuchen diesen Glauben mit allen Krften nicht zu verletzen. Unschwer zu erkennen ist auch Kleists ei gene Meinung und seine erzhltechnische Eigenart, die er in beiden Stcken zur Geltu ng bringt. Die Gesellsch aft wird in beiden Werken schwer kritisiert. Sie ist meist auch urschlich fr die Unsicherheit und die Ratlosigkeit der Protagonisten. Alle Fragen und Unschlssigkeiten klren sich zum Schluss, auerdem gibt der erste Satz in den Prosastcken viel Informationen her. Kleist tut dies bewusst und stellt somit eine Klammer auf, die die ganze Novelle umrahmt. In beiden Stcken sterben die Prot agonisten und es entsteht eine furchtbare Situation. Doch trotzdem stellt Kleist alles wieder so hin, dass es zum Schluss so etwas wie ein "Happy End" gibt und man das Gefh l bekommt, dass alles nicht ganz so schlimm sei. Ein weiterer Zusammenhang zwischen den beid en Werken ist auch darin zu sehen, dass Kleist seinen eigenen Stil des Schreibens immer wied er zum Vorschein bringt. Diese Werke gleichen sich auch in den verschiedenen Naturparallelismen, die Kleist zum Ausdruck von dramatischen, lieblichen oder traurigen Situation verwendet. Auf dem Deckblatt beider Stcke ist eine Frau sowie ein Mann zu erkennen. Im Mittelpunkt des Bildes steht das, wodurch der Konflikt der Prosastcke entstanden ist. Auf dem Deckblatt von Kleists Werk "Die Verlobung in St. Domingo" ist das Licht im Mittelpunkt, das im gesamten Werk eine wichti ge Rolle spielt, da es Toni in einem so schnen Licht erstrahlen lsst, dass Gustav sich in sie verliebt und die Verwirrungen ihren Anfang nehmen. Das Deckblatt der Novelle "Das Erdebeben in Chili" zeigt im Mittelpunkt das Baby in den Armen seiner Mutter. Das Baby spielt auch ei ne wichtige Ro lle, da die Situation in der Kathedrale durch dieses kl eine Geschpf eskaliert.Natur und Religion in der Novelle "Das Erdbeben in Chili" von Jakob Berthoud "Jeronimo hatte [...] in einer verschwiegen en Nacht den Klostergarten zum Schauplatze seines vollen Glckes gemacht." (S.1, Z.16ff.) "Er [Jeronimo, Anm. d. Au tors] wnschte, dass die zerstrende Gewalt der Natur von neuem ber ihn einbrechen mchte."(S.4, Z.3f.) An diesen beiden Zitaten lsst sich schon erahnen, welche Bedeutung die literarischen Grundmotive "Natur" und "Religion" in der Novelle "Erdbeben in Chili" von Heinrich von Kleist haben. Sie begleiten die Handlung de r Protagonisten die ganze Erzhlung hindurch bis zum Ende. Sie beschreib en die Gemtsbewegungen der Personen und ziehen Vergleiche ihrer Handlungen zur Natur oder Religion. Auerdem verdeutlichen sie innere Seelenzustnde und beziehen so das subjektive Denken des Lesers besonders gut in die Situation mit ein. Nicht zuletzt verstrken sie die Handlung. So wird z.B. das uneheliche Kind Josephes an einem der hchsten kirchlichen Feiertage, nmlich am Fronleichnamsfest, auf den Treppen der Kathed rale geboren, wo se ine Eltern am Ende auch umgebracht werden. Die Natur dient vo r allem zur Kontrastverstrkung der in der Novelle auftretenden Schaupltze. Auf die eine Seite wird das liebliche Tal (locus amoenus) gestellt, auf der an deren steht die brennende und zerstrte Stadt. Im Tal herrscht eine soziale, hilfsb ereite Atmosphre, wie sie de n ethischen Grundstzen des Christentums entspricht. In diesem Zusammenhang wird da s Tal sogar mit dem heiligen Garten Eden in der Bibel verglichen. In de r Stadt herrscht auf den Straen Gewalt, Elend und Tod. Allgemein wird die Gesellschaft, aber vor allem die Kirche, in kein gutes Licht gestellt. "Man vermietete in den Straen [...] Fens ter [...] und die frommen Tchter der Stadt luden ihre Freundinnen ein, um dem Scha uspiele, das der gttlichen Rache gegeben wurde, an ihrer schwesterlichen Seite beizuwohnen." (S.1-2, Z.39ff u.1f.) Am Ende werden Josephe und Jeronimo vor der Ka thedrale von den Gottesdienstbesuchern gettet. Und Mord ist nach den 10 Geboten eine der grten Snden berhaupt.Die Verlobung in St. Domingo ist eine 1811 erschienene Novelle von Heinrich von Kleist.

In der Novelle, die um 1800 im heutigen Haiti (frher Santo Domingo) spielt, geht es um zwei Einzelschicksale in den Wirren des damaligen Befreiungskriegs.

Geschichtlicher HintergrundHauptartikel: HispaniolaAm 6. Dezember 1492 landete Christoph Kolumbus an der Sdostkste von Haiti, das seine spanischen Seefahrer zunchst Hispaniola nannten. Aufgrund der brutalen Behandlung durch die Spanier und durch eingeschleppte Krankheiten wurde die einheimische Bevlkerung binnen weniger Jahrzehnte beinahe ausgelscht. Daher begannen die Spanier schon bald, schwarze Sklaven aus Afrika einzufhren. Bereits im Jahre 1503 gelangte die erste Schiffsladung mit Sklaven nach Santo Domingo.

Wenige Jahrzehnte spter verlieen viele der spanischen Siedler die von ihnen ausgeplnderte Insel und folgten den Konquistadoren in die neueroberten Reiche Mexiko und Peru. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts landeten franzsische Seeruber, die den auf dem Weg von Mittel- und Sdamerika nach Europa vorbeifahrenden, mit Silber und Gold beladenen spanischen Beuteschiffen auflauerten. Diese franzsischen Seeruber verwandelten die spanische Kolonie Santo Domingo in eine franzsische Niederlassung, die fortan Saint Domingue hie. Um die Bevlkerung zu vermehren, schickte die franzsische Regierung Auswanderer und deportierte auch Kriminelle auf die ferne Insel. Als im Jahr 1644 das Zuckerrohr aus Java eingefhrt wurde, begann ein enormer konomischer Aufschwung. Es entstanden daraufhin riesige Zuckerrohrplantagen, aber auch Kaffee-, Kakao-, und Baumwollpflanzungen. 1697 trat Spanien im Frieden von Rijswijk den Westteil von Hispaniola an Frankreich ab. In der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts war St. Domingue die reichste Kolonie Frankreichs, die nicht weniger als ein Viertel des franzsischen Handelsvolumen bestritt. Fr ihre ausgedehnte Plantagenwirtschaft fhrten die Franzosen jhrlich 30 000 schwarze Sklaven ein. Am Vorabend der franzsischen Revolution betrug das Zahlenverhltnis der Rassen, welches in Kleists Erzhlung so wichtig ist, 450 000 Schwarze zu 40 000 Weien und 30 000 Mulatten.

ber die Behandlung der Schwarzen durch die Weien gibt das franzsische Sklavengesetz, der Code noir von 1685, Auskunft. Die hufigste Strafe waren Peitschenhiebe, die mit schweren geknoteten Riemen ausgefhrt wurden, und von denen jeder das blutige Fleisch blolegte. In die Wunden wurden Salz und Pfeffer gestreut oder sogar glhende Kohlen gelegt. Der Spezialausdruck der franzsischen Pflanzer fr diese Art der Strafe war tailler un ngre einen Neger schnitzen. In Kleists Erzhlungen wird Babekan Opfer einer solchen Strafe.

HandlungVorgeschichteIn Port au Prince lebt zum Anfang des 19. Jahrhunderts auf der Pflanzung eines Weien namens Guillaume von Villeneuve, welche der Schauplatz dieser Geschichte ist, ein frchterlicher alter Neger mit Namen Congo Hoango. Dieser von der Goldkste Afrikas stammende Mann, der in seiner Jugend von treuer und rechtschaffener Gemtsart schien, war von seinem Herrn, weil er ihm einst auf einer berfahrt nach Kuba das Leben gerettet hatte, mit unendlichen Wohltaten berhuft worden. Guillaume hat ihm nicht nur auf der Stelle seine Freiheit geschenkt und ihm, bei seiner Rckkehr nach St. Domingo, Haus und Hof angewiesen, sondern machte ihn einige Jahre darauf sogar, gegen die Gewohnheit des Landes, zum Aufseher seiner betrchtlichen Besitzung und gab ihm, weil er nicht wieder heiraten wollte, zu seiner Hilfe eine alte Mulattin namens Babekan bei, mit welcher er durch seine erste verstorbene Frau weitluftig verwandt war. Als Congo Hoango sein sechzigstes Lebensjahr erreicht hatte, versetzte Guillaume ihn mit einem ansehnlichen Gehalt in den Ruhestand und krnte seine Wohltaten noch damit, dass er ihm in seinem Vermchtnis sogar ein Legat auswarf. Diese Beweise von Dankbarkeit konnten ihn aber nicht vor all der Wut dieses grimmigen Menschen schtzen: Congo Hoango war nmlich einer der Ersten, der zur Bchse griff und seinem ehemaligen Herrn eine Kugel durch den Kopf jagte, um die "weie Tyrannei" auf der Insel zu bekmpfen zusammen mit seiner Lebensgefhrtin Babekan und der jungen Toni, Babekans Tochter aus einem Verhltnis mit einem franzsischen Kaufmann. Congo Hoango fordert Babekan und ihre Tochter auf, Weie, die auf der Flucht vor den schwarzen Trupps in das Haus kommen, so zu behandeln, als ob sie ihnen helfen wrden und sie so lange im Haus zu behalten, bis Congo Hoango mit den Negertruppen wieder von seinen Streifzgen zurckkommt.

HauptgeschichteZurzeit ist Congo Hoango wieder einmal auf Kriegszug und zu Hause klopft ein junger Weier an die Tre und bittet um Unterschlupf. Toni nimmt ihn auf und zeigt ihm ihr Zimmer. Er ist fasziniert von der anmutigen Schnheit des fnfzehnjhrigen Mischlingsmdchens und erzhlt ihr seine Geschichte: Sein Name ist Gustav von Ried und er kommt ursprnglich aus der Schweiz. Seine Familie ist auf der Flucht und versteckt sich zurzeit an einem geheimen Ort, und er bittet um Nahrung und Hilfe. Noch in derselben Nacht lernen die beiden sich besser kennen, verlieben und verloben sich. Als jedoch Tonis Mutter Babekan verlangt, den Mann zu verraten und seine Reisegruppe Congo Hoango auszuliefern, ist Toni zuerst entsetzt. Auf Druck ihrer Mutter stimmt sie schlielich zu; in letzter Sekunde zgert sie jedoch und schmiedet einen Plan: Sie versucht die Familie des Mannes ins Haus zu holen und ihn dort, whrend er in Fesseln liegt, zu befreien. Als Gustavs Familie mit Toni ins Haus eindringt und dort gegen die Negertrupps von Congo Hoango kmpft und den jungen Mann befreien will, kommt es zum Showdown. Im Glauben, Toni habe ihn verraten, erschiet Gustav seine Verlobte. Als er seinen Irrtum bemerkt, richtet er auch sich selber. Congo Hoango und Herr Strmli, der Vetter Gustavs und zugleich das Familienoberhaupt der Strmlis, treffen ein Abkommen, und so gelingt es den Strmlis, unversehrt zu entkommen.

THEMEN UND KONFLIKTEEinmal wird der Konflikt zwischen Sklaven und ihren Herrn beschrieben.Die meisten Sklaven hassen ihre Herrn und alle Weien, egal ob sie vonihnen nun gut oder schlecht behandelt werden. Friedliche Lsungen gibtes nicht, die Sklaven machen meist einen Aufstand, erschieen ihreHerrn, verwsten deren Pflanzung usw.. In der Novelle werden dieseSklaven durch einen ehemaligen Sklaven namens Congo Hoango vertreten.Alternative Lsungen, wie Gleiche Rechte fr Schwarze und Weien gbe estheoretisch genug, doch so etwas liee sich in der Situation in der mansich befand gewiss nicht umsetzen, denn beide Fronten hassten sich zu

sehr, als das es eine friedliche Lsung htte geben knnen. Die Weienhassten die Schwarzen erst richtig als die Schwarzen anfingen Rechte frsich einzufordern. In ihre Augen waren Schwarze eine Art Untermenschen,die es gewohnt seien zu arbeiten und kaum Rechte brauchten. Hoango waraufgrund der Tatsache das er seinem ehemaligen Herrn einmal das Lebenrettete, ein freier Mann. Doch dies konnte seinen Zorn nichtbesnftigen.Der nchste Konflikt ist ein innerer Konflikt Gustavs, der, als ererfhrt dass das Haus Hoangos sei in dem er Zuflucht suchen will, amliebsten weglaufen wrde. Doch die Erscheinung Tonis, der fasthellhutigen Tochter der Gefhrtin Hoangos, beruhigt ihn. Sie, die ihnins Haus zieht erinnert ihn an seine fr ihn gestorbene Verlobte. Deralten Babekan gegenber ist er misstrauischer. Warum sollte sie, alsGefhrtin von Hoango, ihn, einen Weien, aufnehmen und Zuflucht gewhren? Doch die Anwesenheit von Toni beruhigt ihn. Als er sich am Abend inseinem Zimmer umguckt bemerkt er den schnen Baustil des Gebudes, ihmwird klar, dass dies einmal das Haus eines Pflanzers gewesen sein muund dieser hat seinem Sklaven das Haus bestimmt nicht freiwilligberlassenEr ist sich nicht sicher, wem er trauen soll, denn Tonigehrt ja eigentlich zu Hoango und Babekan. Die Situation spitzt sichzu, als Gustav, wegen der unerwarteten Rckkehr Hoangos, von Toni ansein Bett gefesselt wird und glaubt, sie habe ihn verraten. Gustav erschiet die vermeintliche Verrterin Toni, die alles getan hatum ihn zu retten. Als Gustav erfhrt, dass Toni unschuldig war, begehter Selbstmord. Er hatte ihr zu sehr misstraut.Eine alternative Lsung wre gewesen, wenn er nicht so schnell gehandelthtte, dann wre ihm klar geworden, dass sie nicht seine Verrterin,sondern seine Retterin war. Der letzte Konflikt ist Tonis innerer Konflikt. Sie hat sich in Gustavverliebt, wei aber welches Schicksal ihm blht und will ihn retten. Alssie ihre Mutter fragt, ob sie nicht gndiger sein knne, sie habe sichnun genug an den Weien gercht, stellt ihre Mutter auf stur. Die Weienhaben ihre Strafe verdient. Sie, Toni knne Gustav ja retten, aber siewisse welche Strafe sie erwarte, wenn Hoango davon erfhre. So stehtToni zwischen ihrer Pflicht und dem Gedanken an Gustavs Rettung,zwischen ihrer Familie und ihrer Zukunft. Sie entscheidet sich frGustavs Rettung, muss aber, als Hoango pltzlich auftaucht, zu Mittelngreifen, die ihren Geliebten an Verrat glauben lassen. Fr dieses Problem gibt es eine Lsung, Toni entscheidet sich. Damit istdas Problem nicht ganz beseitigt. Toni wird nach der Befreiung vonGustav als angebliche Verrterin erschossen. Die heilige Ccilie oder die Gewalt der Musik ist eine Erzhlung von Heinrich von Kleist. Sie wurde zuerst in den Berliner Abendblttern vom 15. und 16. November 1810 verffentlicht, und zwar mit der Widmung Zum Taufangebinde fr CcilieM.. Gemeint ist die Ccilie Mller, die lteste Tochter von Adam Mller.

InhaltDen historischen Hintergrund fr die Erzhlung bietet ein Bildersturm in den Niederlanden, bei dem radikale Calvinisten im August 1566 ber 400 Kirchen verwsteten.

Kleist beschreibt das Vorhaben von vier Brdern aus Holland, als Bilderstrmer den Dom von Aachen zu verwsten. Die Erzhlung wird als Sage ausgegeben, da in der Erzhlung ein Wunder, das im Aachener Dom im 16. Jahrhundert stattfand, beschrieben wird: trotz der Kenntnis ber das Vorhaben der Bilderstrmer lassen die Nonnen nicht davon ab, das Fronleichnamfest im Dom zu feiern. Das Wunder besteht darin, dass die Brder von der Musik derart bezaubert werden, dass sie von ihrem Vorhaben ablassen und die Kirche nicht verwsten. Sie schwenken ins andere Extrem, denn sie werden extrem glubig. Als die Mutter der vier Brder spter bei der btissin nachfragt, erfhrt sie, dass Schwester Antonia, die Kantorin der Nonnen, an diesem Tag unter Zeugen auf ihrem Zimmer war. Dem Glauben der Nonnen nach hatte die heilige Ccilia, die Patronin der Kirchenmusik, statt der erkrankten Kantorin den Gottesdienst geleitet.

1. Schicksal und Subjektivitt

Als man noch einen Sinn dafr besa, wurde das Unerklrbare durch uere Gewalt zu deuten versucht. Dabei durfte um der Sinnhaftigkeit des Bedingten (Dasein) willen, das Bestimmende uere kein Zuflliges sein. Seine Deutung geschah daher in der Form der Notwendigkeit, wie sie sich u.a. im Schicksalsbegriff erhalten hat.

Schicksal ist ursprnglich das die menschliche Freiheit begrenzende Verhngnis, das unserer Macht nie restlos Verfgbare. Die griechische Mythologie bringt dieses Verhngnis zum Ausdruck in der Gegenberstellung von tyche (Schicksal) und techn (Technik). Dabei wird das Schicksal, der von den Moiren gewirkte Lebensfaden, als Ma von techn aufgefat. Im Einklang beider verwirklicht sich Freiheit. Jemehr jedoch die Macht der Technik wchst, indem sie die Grenzen des Erklrbaren erweitert, desto massiver wird auch ihr Anspruch, jegliche Abhngigkeit zu berwinden. Beide Tendenzen, die Unterordnung unter ein hheres Prinzip wie auch das Aufbegehren gegen diese Unterordnung, sind in die christliche Weltauffassung eingegangen. Das Christentum enthlt so von Anbeginn den Widerstreit, der nach Hegel im Protestantismus offen zu Tage tritt.

Hegel deutet die Reformation als "Rckkehr" aus dem "Jenseits der Autoritt" zur Gttlichkeit der Vernunft. In ihr werde erkannt, "da das Religise im Geist des Menschen seine Stelle haben mu und..., da seine Heiligung seine eigene Sache ist." (Werke 1971, Bd. 20, 49) Vorsehung und Subjektivitt verpflichten einander nicht mehr wechselweise, sondern die Subjektivitt tritt allein in den Mittelpunkt der Weltdeutung. Der Kultus der Religion dient nurmehr zur Heiligung des neuen Prinzips. Das Vertrauen in die menschlichen Mglichkeiten beginnt grenzenlos zu werden. - Die in allen unbegrenzten Potenzen liegende Unwirklichkeit wird freilich bersehen. Denn wirkliche Subjektivitt bedarf der Begrenzung, wie sie u.a. in der Anerkennung jenseitiger Autoritten geschieht. Am vollkommensten sollte dies - nach katholischer Lehre - den Heiligen gelingen. Ihr in "Legenden" mitgeteiltes Leben galt als Beispiel unmittelbarer Identitt mit dem gttlichen Willen.

Eine solche Heiligenlegende greift Heinrich von Kleist auf, als er im November 1810 seine Ccilien-Erzhlung verfat. Anla ist die Taufe der Tochter des Freundes Adam Mller. Jedoch handelt es sich - zumindest bei der berarbeiteten zweiten Fassung - keineswegs um eine bloe Gelegenheitsdichtung. (vgl. R. Puschmann 1988) Vielmehr entfaltet Kleist, wie in allen seinen Erzhlungen, Grundprobleme des Daseins betreffende Fragen. Einem dieser Probleme, dem Verhltnis von Schicksal und Subjektivitt, soll im Folgenden nachgegangen werden.

Schicksalhafte Zusammenhnge begegnen uns in Kleists Erzhlung in unterschiedlichen Varianten und Bedeutungen. Sie bilden, insgesamt gesehen, einen ebenso komplexen wie differenzierten Schicksalsbegriff. - Da wre zunchst, bereits im Titel genannt, die der heiligen Ccilie komplementr beigeordnete Gewalt; wobei das, weil unentscheidbare, unendliche Oszillieren zwischen konjuktiver und disjunktiver Komplementaritt eine besondere Spannung erzeugt. (vgl. B. Fischer 1988, 91) Gewalt steht fr ueren Zwang, absolute Notwendigkeit. Ihr Gegenteil wre die gnzliche Ungezwungenheit des sich selbst berhebenden Willens, wie er sich beispielhaft im Ansinnen der Brder offenbart, ein Heiligtum zu zerstren. Der ueren Gewalt wird indes nicht die innere (Willkr), sondern eine Heiligenfigur gegenbergestellt. Und da die Heilige im Handlungsverlauf selbst als Person auftritt, verknpft Kleist etwas prinzipiell Unvergleichbares (Person und Sachverhalt), das sich zudem durch seine Attribute (Heiligkeit und Gewaltttigkeit) auszuschlieen scheint. So kommt schon dem Ansatz nach das ironische Eingestndnis des Ungewissen zum Ausdruck. Durch die Art und Weise ihrer Einbindung in den Titel der Erzhlung erhlt die mit Gewalt assoziierte Abhngigkeit eine weitere, fr die Schicksalserfahrung konstitutive Bedeutung. Die Gewalt des Schicksals kann nicht erklrt werden. Sie verschliet sich dem Wissen und bedarf, als Wunder, des Glaubens. Doch auch dieser vermag nur zu begreifen, was er auf einen vorausgesetzten verbindlichen Zusammenhang der Weltdeutung beziehen kann. Diese Voraussetzung des Begreifens der Vorsehung eben ist in Form (religiser) berlieferungen (als Sage oder Legende) gegeben.

Kleist schreibt nicht nur eine Legende, sondern spielt in ihr zugleich mit der berlieferung. Auch diese Konstituente des Schicksals stellt er sowohl in einen weltlichrationalen wie religisen Kontext. Die erste Perspektive erffnet sich im Zweck des Zusammentreffens der Brder, der im "Erheben einer Erbschaft" besteht. (Werke 1952, Bd. 2, 231) Dieser allgemeine Zweck erfllt sich jedoch - wie der Handlungsverlauf zeigt - in eigentmlicher, keinesfalls ursprnglich intendierter Weise. Denn das den Brdern zufallende Erbe wird nicht die weltliche Hinterlassenschaft des "ihnen allen unbekannten Oheims" sein. (ebd.) Entgegen ihrer unglubig ahnungslosen Erwartung, ist die sie erhebende berlieferung ganz und gar geistlicher Art. Eine "uralte italienische Messe" (gleichfalls "von einem unbekannten Meister") erlangt fr die Brder schicksalsschwere Bedeutung. (ebd. 232 f.) - Offenkundige Ironie des Schicksals konterkariert die Handlungsintention. Zugleich wird als Indiz fr die "Schuld" der Brder ihre Miachtung des Unbekannten (dessen, was Novalis treffend das heilige Nichts nennt) vorgefhrt. Ehrfurcht vor dem Unbekannten scheint gefordert, will man der Ironie des Schicksals entgehen.

2. Fest und Gttlichkeit

Nicht zufllig ereignet sich das Wunder der Luterung der von Hybris ergriffenen Brder in Kleists Erzhlung am Tage des Fronleichnamsfestes, das 1246 auf Veranlassung des Bischofs von Lttich zum Zeichen der Widerlegung der Ketzer eingefhrt wurde. In der Erinnerung an den heiligen (vrn) lebenden Leib (lchnam) des Herrn sollte Shne gebt werden fr die Vernachlssigung des heiligen Eingedenkens der gttlichen Allmacht. Darin offenbart sich die ursprngliche Auffassung von Festlichkeit, wonach Feste die alltgliche Lebensweise des Menschen "so zurechtrcken, da die tragenden Orientierungen in Erinnerung gerufen werden." (R. Bubner in W. Haug/R. Warning 1989, 652) Vermittels einer sthetisierung der Lebenswelt geschieht im Fest die Rckbindung des Alltagsbewutseins an den eigentlichen Sinn. Das "Aussetzen der blichen Belastungen erffnet einen Wechselverkehr... mit den Gttern." (ebd.) Feste tragen so ihren Zweck nicht unmittelbar in sich, sondern dienen der Aufrechterhaltung einer gttlichharmonischen Weltordnung. Dazu mu jedoch der Gegenstand der Erinnerung in seiner Bestimmtheit vorausgesetzt sein, da sonst die im Fest offenbare Freiheit nicht zum Gefallen Gottes ergriffen werden knnte. "Gegenstandslose" Freiheit verfehlte den gttlichen Willen (Schicksal) und wrde ihn also nurmehr als Zwang erfahren.

Zwang (Gewalt) bezeichnet die Art und Weise, in der das Schicksal den (sie kamen aus Wittenberg und Holland) vom Protestantismus "verketzerten" Brdern vordergrndig entgegentritt. Gttlicher Zwang fhrt aber - als Zwang zu Gott - sein Gegenteil, das Heil, immer schon mit sich. So erscheint die "Strafe" der Brder uerst ambivalent.

Der Betrachter kann sich des "entsetzlichen" Eindrucks der von dem Wunder gttlicher Luterung heimgesuchten Brder nicht erwehren. Was - als festliches Eingedenken Gottes - lediglich "Moratorium des Alltags" (O. Marquard) sein sollte, erfllt ihr Dasein ganz und gar. Ein immerwhrendes Fest verfehlt indes seinen Zweck, die Ermglichung sinnhaften alltglichen Lebens, dadurch, da es zur Normalitt nicht zurckfindet. Dieser Verlust des Alltags vermittelt ein "uerst trbseliges und melancholisches" Bild vom Dasein der Brder. (Werke a.a.O. 235) Mehrfach bezeichnet es Kleist als "unglcklich", "jammervoll"... Etwas "Schreckliches, fhig, ihr innerstes Gemt... umzukehren", sei ihnen "zugestoen". (ebd. 238) Ihr diesseitiges Leben ist nun vollstndig dem Jenseits zugewandt. Sie fhren ein "des, gespensterartiges Klosterleben," dessen einzige lebendige uerung das allmitternchtliche Intonieren des "gloria in excelsis" aus jener "uralten italienischen Messe" bildet. (ebd. 240) Paradoxerweise aber milingt gerade diese Inszenierung gttlicher Offenbarung. Der eigentliche Sinn des Festes geht verloren. Der Gesang der Brder hrt sich "entsetzlich", "grlich" an (ebd. 239); wohingegen ihrem "gespensterartigen Treiben" eine "sehr ernste und feierliche Heiterkeit" eignet. (ebd. 235)

So scheinen die Brder das Gttliche, das ihnen am Fronleichnamstag "zugestoen" war, spter vergeblich zu erneuern zu suchen. Die Erde lt sich post festum nicht wieder zum Paradies machen. Doch kann auch das einmal Offenbare schwerlich aus dem Bewutsein getilgt werden. Da also die Brder einmal, vermittels der "Gewalt" gttlicher Musik, mit dem Hchsten, alles irdische Dasein Niederschlagenden, in Verbindung gestanden hatten, vermgen sie diese ihre irdische Existenz nurmehr als GottesDienst zu begreifen. Alles andere, nicht unmittelbar auf Gott gerichtete, erscheint ihnen als unwahr... Daher ihr "Mitleid" mit der Auenwelt. (ebd. 236)

Freilich jedoch knnen die Brder ihre Begrenztheit (Menschlichkeit) nicht aufheben. Ihr GottesDienst versagt vor dem Hchsten und bleibt Versuch. Damit erhlt die Heiligkeit der Brder groteske Zge und steht so im krassen Gegensatz zur echten Heiligkeit, wie sie whrend des kirchlichen Festes geschah.

Dieser Gegensatz wird durch die Charakterisierung der unter "Direktion" Schwester Antonias aufgefhrten Musik evident. - Sie fhrt "die Seelen... durch allen Himmel des Wohlklangs." (ebd. 234) Irdisches und Himmlisches verschmelzen - wenn auch nur fr Augenblicke - miteinander. Das irdische Dasein wird gleichsam aufgehoben. Beim Erklingen des "gloria in excelsis" ist es, "als ob die ganze Bevlkerung der Kirche tot sei." (ebd.)

Nach ihrer Lhmung durch die Wunderkraft der Musik werden die "vier gottverdammten Brder" als jene "grotesken Heiligen" wiedergeboren, die sich vergeblich darum bemhen, ihre Seelen erneut in den Himmel zu erheben. Auch hier scheitert die Subjektivitt an der gttlichen Ordnung der Welt. Das Gttliche auf Dauer festhalten zu wollen, wr eine ebenso lsterliche Selbstberhebung, wie es zu ignorieren. Jedoch tritt die Selbstberhebung als "radikale Selbstaufhebung" in Erscheinung. (vgl. B. Fischer a.a.O. 98) Das eigene Dasein verliert jegliche Bedeutung. "In Freuden" nehmen die Brder ihr Schicksal hin. Hinnahme wird gleichsam zur Hingabe. - Ohne Opfer scheint keine gttliche Offenbarung auf Erden mglich. Auch Schwester Antonia wird dem Wunder, das mehr mit ihr als durch sie geschieht, geopfert. Ihre "pltzliche" Erholung von einem Nervenfieber, so da sie die "Direktion" der Messe bernehmen kann, ist nur uerlichkeit, Schein. Was sie zu vollbringen scheint, geschieht nicht kraft ihrer selbst, sondern - wie man spter vermutet - durch Wirkung der heiligen Ccilie. Denn es lt sich erweisen, da Schwester Antonia "whrend des ganzen Zeitraums" der Auffhrung der Messe "krank, bewutlos, ihrer Glieder schlechthin unmchtig, im Winkel ihrer Klosterzelle darniedergelegen habe." (Werke a.a.O. 243) - Eine ganz andere Antonia tritt im Dom auf. Im Gegensatz zur ohnmchtigen bloen Leiblichkeit der kranken Schwester Antonia "glht" jene vor Begeisterung, ist nichts anderes als GeistesErscheinung; nicht aber vermge der eigenen Geisteskraft, sondern begeistert vom "heiligen Geist" der Ccilie...

Das Motiv der Opferung entspricht einem ursprnglichen Fronleichnamsbrauch. Indem Kleist dieses Motiv aufgreift und die Erfahrung Gottes konsequent von ihm abhngig macht, ironisiert er alles Streben nach dem Absoluten (Gott). Opfern heit bei ihm immer, sich selbst zu opfern. Gott fordert nicht nur Opferbereitschaft, sondern tatschliche berwindung der eigenen irdischen Existenz. Die Selbstopferung kann durch kein Zeichen ersetzt werden. Ritus und Realitt koinzidieren.

Was in der Inszenierung des Festes erreicht wird, ist dagegen stets nur ein Surrogat Gottes in der Idee. Als KunstWelt erreicht das Fest lediglich unsere Ideen, nicht das Sein Gottes. Das Fest ist bloe Erinnerung. Die Offenbarung Gottes liegt allein in seiner Gnade und kommt wundersam unberufen ber uns. Doch wenn uns diese gttliche Gnade zuteil wird, besitzen wir uns selbst nicht mehr. Wir befinden uns dann in einem somnambulen Zustand auer uns, auf der anderen Seite und sind also gleichsam tod.

Das Wissen von einem Hchsten erweist sich so als paradox. Gegenstand und Inhalt (Intention) des Wissens sind verschieden. Als Inhalt ist das Hchste nicht zugleich Gegenstand. Die Gestalt des Absoluten bleibt dem Wissen ewig verborgen. Es mte sich in seiner Bedingtheit als Wissen aufheben, um diesem Paradox zu entkommen. Da aber alles Wissen am Selbst hngt, ist also - mit Novalis gesprochen - die Selbsttdtung der chtphilosophische Akt. Und so knnen die vier Brder schlielich "eines heiteren und vergngten Todes" sterben. (ebd. 244)

3. Begreifbares und Unbegreifbares

Feste sind Ausnahmesituationen vom Alltag. In ihnen gelten eigene Gesetze, und umso schwerer fllt es, die Ereignisse eines Festes aus dem Alltag heraus zu verstehen. Das gilt erst recht, wenn es sich beim Fest nicht nur um eine subjektive Inszenierung (Kunst) handelt, sondern die zu erinnernde uere hhere Macht sich selbst in Szene setzt. Dementsprechend mssen in der Begegnung mit dem Schicksal (als ererbter Gewalt) prinzipiell zwei Perspektiven der Wahrnehmung unterschieden werden. Die Innenperspektive des unmittelbaren Miterlebens und die, sowohl rumlich als auch zeitlich, uere Betrachtung der Szenerie. Jene erlebt den Einfall des Schicksals (als Gott) durchweg positiv. "Tiefe, unaussprechliche Rhrung" erfat die Brder in der bestndigen Ausbung ihres "GottesDienstes" - wie auch die "ganze Bevlkerung der Kirche" an dem Verhngnisvollen Fronleichnamstag. Ganz anders dagegen die Wahrnehmung derselben Ereignisse in der Auenperspektive. Nicht nur die Verwandlung der Brder wird mit Bedauern und Schrecken registriert; auch der einstige Schauplatz gttlicher Offenbarung erscheint der Mutter der Brder sechs Jahre spter "entsetzlich". (ebd. 240) Allerdings vermischen sich in der Wahrnehmung der Mutter Auen- und Innenperspektive. In diesem von Kleist luzide dargestellten Wechsel offenbart sich der entscheidende Unterschied beider Perspektiven. Whrend die Auenperspektive von rationaler Erwartung und begrifflich organisierter Weltdeutung dominiert wird, erweist sich die Innenperspektive gegenber aller Vormeinung als naiv. In dieser Naivitt grndet ihre Autonomie. Keine subjektiven Konstrukte verstellen ihren Blick. Ergriffen vom Ereignis bleibt der Betrachter im Zustand der epoch.

Um den als "entsetzlich" begriffenen Schauplatz des ZuGrundeGehens ihrer Shne nicht nur in Augenschein zu nehmen, sondern dem Grund selbst nher zu kommen, wendet die Mutter sich dem Dom zu. Doch dessen "Eingang" ist "versperrt". Hineinzusehen, der unverstellten Wahrheit inne zu sein, erfordert Anstrengung. "Mhsam" mu sie sich erheben, "durch die ffnung" der den Blick verstellenden Bretter das "Innere" der Kirche wahrzunehmen. Darin sieht sie "eine prchtig funkelnde Rose im Hintergrund" - Symbol der Schnheit wie auch der Leiden des Zugrundegehens zu Gott. Und ganz hingegeben an die Arbeit (ihr weltliches Geschft) singen - am selben Ort, wo sich durch "himmlische Musik" die Verurteilung zu "grlichem" Gesang vollzog - Handwerker "frhliche Lieder". (ebd. 244) Paradoxer, ironischer knnte das Schicksal sich kaum uern. So kommt der Perspektivenwechsel in der Wahrnehmung der Mutter nicht wirklich zustande. Ihr Standort bleibt uerlich (auerhalb des Doms), whrend ihr Blick nach innen sich richtet. Leib und Blick befinden sich gegeneinander im Widerspruch; wobei der Leib den Blick bestimmt, indem er ihm eine Perspektive gibt. Ein hnlicher Widerspruch eignet auch dem Geist fr sich in seiner schwebenden Haltung zwischen Begreifbarem und Unbegreifbarem.

Aus dem Unbekannten und Unbegreilichen entstammen sowohl das von den Brdern "erwartete" Erbe als auch die sie tatschlich ereilende Gewalt der Musik. Die Metaphern des Schicksals bezeichnen ebenso Unbegreifbares wie Grundlegendes. Der Grund, was aus der Tiefe rhrt, ist unaussprechlich. (vgl. "wie in tiefer, unaussprechlicher Rhrung", ebd. 237) Dabei kann er doch, wenn irgendein Sinn des Geschehens bestehen soll, nicht bloe Fiktion sein. Und so mu der Grund, als unbegreifbare Realitt, geglaubt werden. Der Glaube also vermittelt den realen Grund des Begreifbaren, das nun erst im Grunde begriffen ist.

Kraft ihres Glaubens lsen sich der btissin sowie dem Erzbischof die "unbegreifbaren Geschehnisse" des Fronleichnamstages auf; beide begreifen, "da die heilige Ccilie selbst dieses zu gleicher Zeit schreckliche und herrliche Wunder vollbracht habe." (ebd. 243 f.) - Dennoch wird die Distanz zwischen irdischen (natrlichen) Erklrungen und himmlischem Begreifen nicht aufgehoben. Gemessen an irdischen Mastben bleibt das Wunder als solches bestehen.

Die Geltung der Naturgesetze vorausgesetzt, htte weder die heilige Ccilie noch die todkranke Schwester Antonia die Auffhrung der Messe leiten knnen. Die Ereignisse erschienen unter dieser Voraussetzung als bloe Tuschung. Nun sind aber die Auffhrung der Messe, ebenso wie ihre wundersame Wirkung auch nach wissenschaftlichen Mastben unbezweifelbare Realitten. Die reine Wissenschaft fhrte in eine Aporie.

Auch die Mutter der vier "schwerverirrten" Brder ist auf dem Wege, das Geschehen als Wunder zu begreifen. Wie schon am Eingang des Doms wandelt sich aber ihre Auenperspektive bei Annherung an das Wunder nicht vollends. Zwar steht sie nun nicht mehr auerhalb des Gotteshauses; die btissin lt sie ins "klsterliche Wohngebude" zu sich "herauf" bringen. Doch auch im Innern des Hauses seiner Dienerinnen findet die Mutter nicht unmittelbar zu Gott. Die Vermittlung scheitert an der Differenz des Glaubens. - Weil die Mutter Protestantin ist, knne sie die Mittel, derer sich Gott zur Vollbringung seines Wunders bedient hat, nur "schwerlich begreifen", obgleich die "frstliche Dame" (die btissin) ihr manches "darber sagen knnte." Und da sie die Mittel nicht begreift, kommt die Mutter auch diesmal ber ihre mittlere Position zwischen Irdischem und Gttlichem nicht hinaus. Sie hat das Gttliche im Sinn, ohne da es begriffen wrde. Dennoch gelangt sie am Tag ihrer Einkehr in die Heimstatt Gottes zur "unendlichen Regung von Demut und Unterwerfung unter die gttliche Allmacht", bevor sie schlielich ein Jahr spter "in den Scho der katholischen Kirche zurckkehrt." (ebd. 241 ff.)

4. Wissen und Vergessen. Die Ironie des Schicksals

Die Ironie des Schicksals besteht darin, da man es ohne Selbstaufgabe nicht meistern kann. Subjektivitt und Schicksal lassen einander nie vollkommen vereinigen. Obwohl das Ich um seine grndende Abhngigkeit von einer hheren Macht als es selbst ist wei, entzieht sich diese Macht seinem Bewutsein. Es kann daher das Schicksal nicht wissend ergreifen, was fatale Folgen fr die Selbstbestimmung hat, die dadurch ganz im Virtuellen verhaftet bleibt. Diese Virtualitt des Subjekts findet ihren Ausdruck in den modernen Szenerien der KunstWelten, denen die Illusion absoluter Freiheit zugrunde liegt. Eigentlicher Ort der Illusion ist der Alltag, whrend die gleichfalls knstliche Welt der Feste gerade darin ihren Sinn hat, an ein Hheres zu erinnern. Doch die Erinnerung vermittelt den intendierten grundlegenden Zusammenhang nur mittelbar, in Sagen oder Legenden, die das Wissen - seit sie "Gegenstand" der Literaturwissenschaften wurden - gleichfalls nur als Kunstprodukte erfat. Wer keinen Glaubensvorschu aufzubringen vermag, fr den verliert die Legende ihre sinnstiftende Kraft; sie wird zur "bloen Legende" und die "Entstehung einer Legende" ihrerseits als Legende erkannt. (vgl. B. Fischer a.a.O. 91) In diese Ironie mischt indes Kleist - Selbstironie. Als "Legende einer Legende" hebt er zwar die ursprngliche Legende ironisch auf. Allerdings handelt es sich dabei um eine wesentlich bewahrende Aufhebung, die selbst wieder Legende ist. Die krisis schwankt zwischen BesserWissen und NichtWissen.

Als vorrangiges Ziel der zweifelnden Ironie Kleists erweist sich immer wieder die Frage nach dem Verhltnis von Gott und menschlichem Glck. Eine echte Heiligenlegende wrde diesbezglich keine Zweifel aufkommen lassen. Ganz anders bei Kleist. - Wenn Gottes nicht nur gedacht wird, sondern er sich direkt in Erinnerung bringt, so doch in einer verwirrenden Auffhrung. - Vor allem in Bezug auf die Brder fehlt jede Eideutigkeit von Gottes Gericht, so da selbst die frstliche Mittlerin Gottes (die btissin) nicht umhin kann, das ereignete Wunder "zu gleicher Zeit" herrlich und schrecklich zu nennen. Die Schwerverirrten werden einerseits gelutert. Aber ihre Luterung erfolgt nicht direkt bei Gott, sondern "vor" dem Dom... wenngleich sie von dessen Innerem ausgeht. Da diese rtliche Differenz nicht ohne Gewicht ist, wird spter beim Gewitter deutlich, das sich gleichfalls auerhalb der Kirche abspielt, jedoch in seiner Beschreibung durchaus fr das Bewirken ambivalenter Wunder in Frage kommt. Indem es "kraftlose Blitze" gegen den Dom "schleudert" assoziiert es Widerstand gegen Gott, whrend seine "vergoldeten Rnder" ikonographisch als Sinnbild der Luterung und des Heils gelten. (vgl. F. Schlegel, KFSA IV, 266) Auch uert sich das Heil der Brder (ihre Heiligung) als Krankheit. Eine Krankheit, die Todsnde Superbia, wird lediglich durch eine andere ersetzt. Als "durchdrungen von heiligen Liebesflammen und himmlischem Mitleiden" wren die Brder wirkliche Heilige. Ihnen fehlt jedoch deren "liebevolle Teilnahme... an dem irdischen Streben nach dem Gttlichen." (ebd. 265) Ihre irdische Existenz, die sie gleichwohl nicht zu berwinden vermgen, gilt den Brdern nurmehr als Gegenteil der absoluten gttlichen Welt. Sie heben daher jene Welt radikal auf, ohne sich ber wie erheben zu knnen.

Worin man wesenhaft grndet, das lt sich allein in Selbstvergessenheit tilgen. Damit erweist sich die mit den Brder vollzogene Erhebung selbst von ihrer heiligenden Seite her als regressiv. Menschliche Unvollkommenheit wird nicht in einer Synthesis mit dem Absoluten wirklich bereinigt. Reinigung geschieht als Auslschung. Die Selbstvergessenheit bedeutet einen "Rckfall" in die "mechanische Bewutlosigkeit des Tierhaften", die allerdings die selben Symptome aufweist wie ein gttliches Bewutsein. (vgl. B. Fischer a.a.O. 98) Von der Spaltung des Selbst scheint nur ein Weg zur Identitt zu fhren. Der aber fordert Vergessenheit und kann daher nicht bewut gegangen werden. Seine unbewute Verfolgung hingegen unterdrckte die Seele und wre insofern gleichfalls ungeeignet, den Widerspruch von Leib und Seele zu harmonisieren. Die Identitt wrde lediglich unter Absehung von der Problemsituation errungen.