56
Klinikum Nürnberg Das Ethik-Projekt im Klinikum Nürnberg

Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

Klinikum Nürnberg

Das Ethik-Projektim Klinikum Nürnberg

Page 2: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

Impressum:Herausgeber: Klinikum NürnbergKoordination: Bernd SieglerRedaktion: Axel Bredehöft, Roland Fichtner, Bernd SieglerFotos: Rudi OttSatz, Layout, Grafik: Jo MeyerDruck: RumpelAuflage: 2.500, Januar 2007www.klinikum-nuernberg.deSchutzgebühr: 5.- Euro

Page 3: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

Inhaltsverzeichnis:

2 Vorworte

5 Ethik in der Medizin: Ethik-Projekte sind notwendiger, denn je

7 Medizinethische Prinzipien: Helfende Instrumente in Grenzsituationen

11 Ethik als Aufgabe der Unternehmensentwicklung

15 Entwicklung des Ethik-Projekts im Klinikum Nürnberg: Schritt für Schritt nach vorne und in die Breite

21 Ethik-Berater im Gespräch: „Ich erlebe häufig eine tiefe Dankbarkeit“

25 „Neurologische Intensivmedizin“, Prof. Frank Erbguth, Chefarzt der Neurologie im Klinikum Nürnberg und Mitglied im Ethik-Forum

31 Evaluationsstudie zum Ethik-Projekt: Hohes Interesse an Beratungen

Materialien zum Ethik-Projekt:

33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg

36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg

38 Konfliktvermeidung und Konfliktbewältigung im Klinikum Nürnberg

41 Empfehlungen zum ethischen Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden, Patientenverfügungen und Vollmachten

43 Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung

46 Konzeption der Zentralen Mobilen Ethikberatung im Klinikum Nürnberg

48 Fragenkatalog zur Anforderung der mobilen Ethikberatung

49 Konzeption der Ethik-Zirkel im Klinikum Nürnberg

50 Umgang mit Entscheidungen zum Reanimationsverzicht im Krankenhaus

1

Page 4: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

Sehr geehrte Damen und Herren,während Ethikberatungen in anderen Ländern längst zu den verpflichtenden Merkmalen

eines jeden Krankenhauses gehören, besteht in Deutschland in dieser Hinsicht noch Nach-

holbedarf. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung und

insbesondere mit Blick auf gravierende Veränderungen im deutschen Gesundheitswesen

sind die Krankenhäuser jedoch weit mehr als bisher mit Fragestellungen konfrontiert,

die auch ethische Aspekte berühren. Es geht dabei um Therapieabbruch auf Intensiv-

stationen, um die Anwendung von Sonden bei hochbetagten und multimorbiden Pa-

tienten, um den Umgang mit Patientenverfügungen oder um den Einsatz teurer Thera-

pien bei begrenzten Ressourcen. Und es geht um die Weiterentwicklung von Kommuni-

kation, Identität und Kultur in einem Krankenhaus. Die ethische Positionierung eines Kli-

nikums ist daher ein wichtiger Eckpunkt für seine weitere Entwicklung.

Deshalb hat sich das Klinikum Nürnberg als eines der ersten Häuser in Deutschland um

den Aufbau eines breit angelegten, strukturell verankerten Ethik-Projekts bemüht. Im

Sommer 1999 fiel der Startschuss des bisher überaus erfolgreichen Projekts. Kernstück

davon ist ein im Einvernehmen mit dem Personalrat beschlossener Ethik-Code als gene-

relle Richtschnur des gesamten Handelns im Klinikum Nürnberg. Daraus wurde ein Ver-

haltenskodex für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und eine Vereinbarung zur Kon-

fliktvermeidung und -regulierung getroffen. Detaillierte Regelungen sollen helfen, in un-

serem Haus eine faire Streitkultur entstehen zu lassen. Es erfüllt uns mit Stolz, dass das

Klinikum Nürnberg damit das erste große Krankenhaus der Bundesrepublik war, das

schriftlich niedergelegt hat, wie in Zukunft Konflikte vermieden und bewältigt werden

sollen.

Zur Weiterentwicklung des Projekts etablierten wir im Klinikum ein ständiges unabhän-

giges, interdisziplinär zusammengesetztes Ethik-Forum. Ein wichtiger Schritt, denn für

ein Ethikprojekt gibt es keinen Abschluss, es ist ein ständiger Prozess. Zahlreiche de-

zentrale Ethik-Komitees in einzelnen Kliniken und Stationen sowie eigens qualifizierte

und damit professionelle mobile Ethikberater nehmen sich heute der konkreten Einzel-

fälle aus dem klinischen Alltag an. Empfehlungen zum ethischen Umgang mit Schwerst-

kranken und Sterbenden, Patientenverfügungen und Vollmachten geben den Mitarbei-

tern wertvolle Orientierungen. Mit einem in unserem Haus entwickelten Fernlehrgang für

angewandte Ethik geben wir unsere Erfahrungen und Kompetenzen auch an andere Häu-

ser weiter.

Das Ethik-Projekt hat sich im Klinikum Nürnberg hervorragend entwickelt. Die Ergebnis-

se internationaler wissenschaftlicher Studien über die positiven Auswirkungen von Ethik-

Projekten decken sich mit unseren Erfahrungen. Ein funktionierendes Ethik-Projekt führt

nicht nur zu einer ethischen Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, son-

dern trägt zu einer transparenten, vertrauensvollen Kommunikation im Krankenhaus bei,

verbessert die berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit und fördert die Fehlerkul-

tur und damit die Qualitätsentwicklung. Auf diesem Wege wollen wir weitergehen.

Klaus WambachVorstand des Klinikums Nürnberg

2

Page 5: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

Wie der Begriff schon besagt: Das Ethik-Projekt versteht sich als etwas Vorausschauen-

des, was auf einem ethischen Grundverständnis aufbaut. Als 1999 das Ethik-Projekt am

Klinkum Nürnberg gestartet wurde, hat dennoch wohl kaum jemand antizipiert, wie rasch

dieses Pflänzchen dank guter „Düngung“ durch engagierte Mitarbeiterinnen und Mitar-

beiter aussprossen würde und die Jahresringe im Sinne des botanischen Kambiums sich

zum Guten verbreitern würden. Um bildlich zu bleiben, dürfen wir weiter feststellen, dass

dieser Baum nicht nur regelmäßig erblüht, sondern auch erfreuliche Ernten einfahren

lässt.

So können wir heute über ein breit gefächertes Angebot von Strukturen im Klinikum Nürn-

berg zurückgreifen, die sich mit medizin-ethischen Fragen im engeren und weiteren Sinne

befassen. Dazu gehören neben den regelmäßigen Treffen des Ethik-Forums die mobile

Ethikberatung vor Ort im gesamten Klinikum Nürnberg, die regelmäßigen Ethik-Zirkel in

ausgewählten Kliniken, die verschiedenen allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu-

gänglichen Empfehlungen im Umgang mit ethischen Grundsatzfragen, der für Deutsch-

land einzige Fernlehrgang „Berater/in für Ethik im Gesundheitswesen“ sowie als neues-

tes Kind die „Ethik-Cafés“.

Als Vorsitzender des Ethik-Forums darf ich stellvertretend für meine Kolleginnen und Kol-

legen sagen, dass es uns ganz speziell mit Freude erfüllt, wie gerade jüngere Mitarbei-

terinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg - viele Absolventen des Fernlehrgan-

ges „Berater/in für Ethik im Gesundheitswesen“ - sich für solche Themata interessieren

und sich engagiert und fachlich kompetent engagieren. Dies darf wohl auch als Garant

dafür gesehen werden, dass das Ethik-Projekt zwar Projekt im Sinne des Innovativen blei-

ben darf, aber nicht dem Schicksal erliegen wird wie viele Projekte, nämlich nach einer

Projektphase in die Welt des Vergessenen zu versinken. Die heutige Zeit braucht mehr

denn je Engagement zur kritischen Auseinandersetzung mit moralischen und medizin-

ethischen Fragen, oder wie Michael Ignatieff es sagt: „Wir leben in einer Welt, die wirt-

schaftlich globalisiert ist. Menschenrechte, Globalisierung der Moral, das ist die nächs-

te große Debatte.“

So hoffe ich, dass diese Broschüre, die die verschiedenen Facetten des Ethik-Projekts im

Klinikum Nürnberg anschaulich beschreibt, möglichst viele Menschen interessieren und

motivierend ansprechen möge.

Prof. Dr. Cornel Sieber

Vorsitzender Ethik-ForumChefarzt der Geriatrie im Klinikum Nürnberg

3

Page 6: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

4

Page 7: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

5

Ethik in der Medizin

Ethik-Projekte sind notwendiger, denn je

Was tun bei lebensbedrohlichen Gehirnerkrankungen oder dau-

erhaften Komazuständen? Lebensverlängerung durch künstli-

che Beatmung? Beendigung der Beatmung bei einer ungüns-

tigen Entwicklung? Ist das Nicht-Beginnen einer Beatmung mo-

ralisch etwas anderes als der Abbruch einer bereits eingeleite-

ten Beatmung? Wer trifft die Entscheidung über lebenserhal-

tende Maßnahmen, wenn Angehörige sich nicht einigen kön-

nen und keine eindeutige Patientenverfügung existiert?

Der medizinische Fortschritt schreitet unaufhörlich voran. Doch

nicht alles, was machbar erscheint, ist auch für den Patienten

nützlich. Wann aber wird aus einer sinnvollen Therapie ein sinn-

loses medizinisches Ritual? Wann wird aus dem Helfen wollen

ein Verursachen von Leid und Schmerzen?

Aus den immer größeren Möglichkeiten der Intensivmedizin er-

geben sich automatisch Fragen nach ihren Grenzen. Wann han-

delt es um eine unmenschliche Apparatemedizin, die Leiden

unnötig verlängert, wann um eine segensreiche Technologie,

die Leben rettet? Und wer entscheidet dies?

Viele Fragen, jedoch Fehlanzeige bei eindeutigen Antworten.

Dieses Dilemma verschärft sich noch durch den zunehmenden

Druck der Wirtschaftlichkeit, der auf allen Institutionen des Ge-

sundheitswesens lastet. Forderungen nach Begrenzung medi-

zinischer Leistungen ab einem bestimmten Alter werden

immer häufiger laut.

Die Ausweitung medizinischer Eingriffe, die Probleme am Le-

bensende, das Sterben im Krankenhaus, die zunehmenden wirt-

schaftlichen Zwänge, denen ein Krankenhaus unterliegt, aber

auch die verstärkte Wahrnehmung von ethischen Konflikten

durch die Sensibilisierung von Pflegepersonal und Ärzten ver-

langen zunehmend qualifizierte Antworten auf ethische Fra-

gestellungen. Das Team, das den Patienten betreut, ist dabei

oft überfordert, wenn es zum Beispiel darum geht, den ei-

gentlichen Willen des Patienten zu erforschen oder zu klären,

was zu tun sei, wenn sich der Patient der Behandlung ver-

weigert.

Ethische Fragen, die sich aus der Arbeit und dem Umgang mit

Patienten und Angehörigen ergeben, dulden keinen langen

Aufschub. Bleiben sie ungelöst, kann Unzufriedenheit und sin-

kende Motivation die Folge sein, Konflikte können sich hoch-

schaukeln oder auch erst daraus entstehen. Ethik gewinnt

daher nicht nur in der Medizin zunehmend an Gewicht, sondern

auch in allen Unternehmen im Gesundheitswesen. Das zeigt

schon deutliche Konsequenzen: Ethik und ärztliche Ge-

sprächsführung sind künftig Bestandteil des Medizinstudiums,

Ethik-Komitees und mobile Ethikberatungen werden Teil des

Qualitätsmanagement-Systems von Krankenhäusern.

Längst gelten die Diskussionen in den Ethik-Foren der Kran-

kenhäuser auch nicht mehr als theoretisches Geschwätz aus den

Elfenbeintürmen der Wissenschaft. „Medizinethik ist kein Pri-

vileg pensionierter Ärzte“, unterstreicht zum Beispiel Prof. Dr.

Stella Reiter-Theil, Inhaberin der Anne-Frank-Stiftungsprofes-

sur am Institut für Angewandte Ethik und Medizinethik der Uni-

versität Basel, die wachsende Bedeutung ihrer Disziplin. Sie er-

teilt Spekulationen, Ethik-Foren seien Luxusobjekte wohlha-

bender Kliniken, eine entschiedene Absage.

Trotzdem verfügen in Deutschland nur sehr wenige Kranken-

häuser über aktive Ethik-Komitees. In anderen Ländern wie z.B.

in der Schweiz oder in Österreich ist man da bedeutend wei-

ter. Als eines der ersten Krankenhäuser in Deutschland hat das

Klinikum Nürnberg seit 1999 ein breit angelegtes Ethik-Projekt

entwickelt, das nicht nur ein Ethik-Forum, sondern auch mo-

bile Ethikberater, regelmäßige kleine Ethik-Zirkel in einzelnen

Kliniken und Stationen und eine umfassende ethische Fortbil-

dung umfasst. Gerade die Breite eines solchen Projekts ist für

die Medizinethik-Expertin aus Basel, Reiter-Theil, denn auch

entscheidend: „Medizinethik braucht alle Generationen und

einen starken Rückhalt bei den Aktiven in Pflege und Medizin.“

Page 8: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

6

Page 9: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

7

Eine 73-jährige Frau mit einer unaufhaltsam fortschreitenden

Demenz vom Alzheimer-Typ erkrankt an einer schweren Lun-

genentzündung. Ihre Tochter besteht darauf, dass eine statio-

näre Antibiotika-Therapie „sinnlos“ sei: Ihre Mutter würde sol-

che Maßnahmen in ihrem jetzigen Zustand sicher ablehnen.

Eine schwierige Situation und ein ethisches Problem: Ist es

ethisch legitim oder vielleicht sogar geboten, die voraussicht-

lich lebensrettende Behandlung der Lungenentzündung zu un-

terlassen?

Das medizinische Wissen sagt nur, was getan werden kann -

nicht aber, was getan werden soll. Das Behandlungsteam steckt

in einem Dilemma, denn streng genommen gibt es nicht rich-

tig oder falsch. Vielmehr bewegen sich alle Beteiligten in einer

Grauzone, in der eine Entscheidung zu treffen ist, die möglichst

für alle passen sollte.

Immer wieder kommt es für Ärzte und Pflegekräfte wie auch An-

gehörige und Betreuer zu Entscheidungskonflikten, weil mo-

ralische Überzeugungen unsicher oder widersprüchlich sind. In

diesen Fällen ist die ethische Theorie gefordert. Sie versucht,

allgemeine Kriterien für richtig und falsch, gut und schlecht

oder gerecht und ungerecht aufzustellen. Das Problem ist, dass

mehrere ethische Theorien mit dem Anspruch, die allein gülti-

ge Begründung moralisch richtigen Handelns zu liefern, kon-

kurrieren.

In der Ethik-Beratung hat es sich als sehr hilfreich erwiesen,

den Konflikt durch die Betrachtung der vier so genannten me-

dizin-ethischen Prinzipien zu entschärfen.

1. Prinzip des Respekts vor der Autonomie bzw. Selbst-

bestimmung des Patienten

2. Prinzip der Schadensvermeidung

3. Prinzip der Fürsorge

4. Prinzip der Gerechtigkeit

Der Respekt vor der Autonomie bzw. Selbstbestimmung des Pa-

tienten gebietet, dass jede diagnostische oder therapeutische

Maßnahme durch die ausdrückliche Einwilligung des Patienten

legitimiert werden muss, am Besten durch eine detaillierte und

aktuelle schriftlich fixierte Patientenverfügung.

Gemäß dem Prinzip der Schadensvermeidung soll das Behand-

lungsteam dem Patienten keinen Schaden zufügen. Dies klingt

zunächst selbstverständlich, aber bei einer unheilbaren Krebs-

erkrankung im fortgeschrittenen Stadium kann die Frage auf-

tauchen, ob eine weitere Chemotherapie dem Patienten nicht

eher schadet als nützt und damit unterlassen werden sollte.

Dieses Prinzip gerät häufig in Konflikt mit dem Prinzip der Für-

sorge. Demnach soll der Arzt das Wohl des Patienten fördern

und dem Patienten nützen. Dies umfasst die Verpflichtung des

Arztes, Krankheiten zu behandeln oder präventiv zu vermeiden,

Beschwerden zu lindern und das Wohlergehen des Patienten zu

befördern. Während das Prinzip des Nichtschadens fordert,

schädigende Eingriffe zu unterlassen, verpflichtet das Fürsor-

geprinzip den Arzt zu aktivem Handeln. Doch oft kann der Arzt

dem Patienten nur nützen, also eine effektive Therapie anbie-

ten, wenn er gleichzeitig ein Schadensrisiko in Form uner-

wünschter Nebenwirkungen in Kauf nimmt.

Das Prinzip der Gerechtigkeit besagt eine faire Verteilung von

Gesundheitsleistungen. Gleiche Fälle sollten also gleich be-

handelt werden, ungleiche Fälle sollten nur insofern ungleich

behandelt werden, als sie moralisch relevante Unterschiede

aufweisen. Doch worin können diese moralisch relevanten Un-

terschiede bestehen? Welche Kriterien sind für eine gerechte

Verteilung von Gesundheitsleistungen ausschlaggebend?

Fallbezogene Interpretation

Wie lassen sich die vier Prinzipien auf den eingangs geschil-

derten Fall anwenden? Nach dem Prinzip der Selbstbestimmung

sollte sich die Entscheidung über die stationäre Antibiotika-

Therapie am Willen der Patientin orientieren. Da die Patientin

jedoch an einer fortgeschrittenen Demenz leidet, steht das Be-

handlungsteam vor dem Problem, die Situation deuten zu müs-

sen. Aber wann ist es gerechtfertigt, der Patientin - zu ihrem

eigenen Wohl - die Entscheidung abzunehmen? Oder sollen

dann die Angehörigen - in diesem Fall die Tochter - stellver-

tretend für die Patientin entscheiden? Steht außer Zweifel, dass

die Tochter im besten Interesse der kranken Mutter entschei-

det und nicht im - vielleicht verständlichen – Eigeninteresse

auf ein baldiges Ende der belastenden Betreuung?

Medizinethische Prinzipien

Hilfreiche Instrumente in Grenzsituationen

Page 10: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

8

Im Hinblick auf die Prinzipien der Schadensvermeidung und

Fürsorge erfordert die ärztliche Fürsorgepflicht generell die vo-

raussichtlich lebensrettende Antibiotika-Therapie. Doch trifft

dies auch bei einer ausgeprägten Demenz zu? Würde nicht die

Therapie unter Umständen die Leiden der Patientin nur ver-

längern und ihr damit mehr schaden als nützen? In diesem Fall

würde das Prinzip der Schadensvermeidung erfordern, die Lun-

genentzündung nicht weiter zu behandeln. Es wäre aber auch

denkbar, dass die Patientin trotz ihrer Demenz ein relativ zu-

friedenes Leben führen kann und damit durchaus einen Nut-

zen von der Antibiotika-Behandlung hätte.

Die Überlegungen machen deutlich, wie sehr die Interpretati-

on der Prinzipien vom jeweiligen Einzelfall abhängt. Es ist der

Einstieg mitten in eine ethische Falldiskussion und damit häu-

fig schon ein gutes Stück geleisteter Arbeit für die Lösung eines

Entscheidungsproblems. Denn zwei wichtige ethische Frage-

stellungen stehen jetzt fest: Wie kann der Selbstbestimmung

der Patientin unter der Bedingung der fortgeschrittenen De-

menz am besten gerecht werden? Wird eine stationäre Anti-

biotikatherapie der Patientin eher nutzen oder schaden?

Gewichtung im Konfliktfall

Zunächst mag es enttäuschen, dass aus den medizinethischen

Prinzipien keine Konfliktlösung abzuleiten ist. Dies ist aller-

dings auch nicht ihr Sinn und Zweck. Vielmehr liefern sie eine

allgemeine ethische Orientierung: Gerade wenn sich ethische

Konflikte nicht vollständig auflösen lassen, ist es wichtig, die

gefällte Entscheidung mit Gründen und Argumenten für Ande-

re transparent zu machen. Dafür sind die Prinzipien gut be-

gründet gegeneinander abzuwägen. Im vorliegenden Fall

könnte man beispielsweise argumentieren, dass angesichts der

weit fortgeschrittenen Demenz ohne Aussicht auf Besserung

und angesichts verlässlicher Hinweise auf den mutmaßlichen

Willen der Patientin (Patientenverfügung) die Selbstbestim-

mung höher zu gewichten sei als die Fürsorgepflicht. Die Ab-

wägung könnte aber auch anders ausfallen: Angenommen, es

würde die Auffassung vorherrschen, menschliches Leben sei

unter allen Bedingungen zu erhalten, so wäre die weitere Be-

handlung durchzuführen, zumal sich der aktuelle Wille der Pa-

tientin aufgrund der Demenz nicht eindeutig bestimmen lässt.

Hilfreiches Instrument in medizinischen Grenzsituationen

Wie der Fall beispielhaft zeigt, lassen sich mit dem Ansatz der

medizinethischen Prinzipien selbst oft keine definitiven Kon-

fliktlösungen ableiten. Doch sie sind in der Ethik-Beratung ein

wertvolles Instrument: Sie helfen bei der Suche nach dem ei-

gentlichen ethischen Konflikt, schaffen Transparenz in einer

zunächst komplex erscheinenden Situation, strukturieren die

Arbeit am Problem und führen häufig genug zu einem Konsens

zwischen allen Beteiligten.

Page 11: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

9

Page 12: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

10

Page 13: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

11

Finanzierung, Organisation und Arbeitsbedingungen in Unter-

nehmen im Gesundheitswesen haben sich in den letzten Jah-

ren massiv verändert und werden sich auch zukünftig verän-

dern müssen. Krankenhäuser stehen im Wettbewerb, viele Kran-

kenhäuser mussten bereits schließen oder stehen vor der Über-

nahme durch private Klinikbetreiber mit einschneidenden Kon-

sequenzen.

Die Anwendung von wirtschaftlichen Kriterien bei Therapie-

entscheidungen fordern Ärzte, Pflegende und Therapeuten zu-

nehmend heraus. Daraus ergeben sich Fragestellungen, deren

Beantwortung ethischen Sprengstoff beinhaltet: Welche Qua-

lität der Versorgung von Patienten wollen wir? Welche können

wir uns noch leisten? Wer macht die Vorgaben? Nach welchen

Kriterien wird letztlich entschieden?

Entscheidungen am Krankenbett und Entscheidungen in Ma-

nagement und Verwaltung sind stets „Teil des Ganzen“. Wer

kann aber zwischen den Interessen vermitteln? Und sind Un-

terschiede überbrückbar?

Eines ist klar: Die Kultur und das Ethos der Heilberufe und die

Kultur eines ökonomisch denkenden und handelnden Manage-

ments erzeugen Interessensunterschiede mit ethischen Aus-

wirkungen. Ethik braucht daher eine Verankerung im Alltag: In

den klinischen Abläufen und in den Entscheidungs- und Ver-

änderungsprozessen des Gesamtunternehmens

Aufgaben von Ethikprojekten

Im Rahmen eines im Alltag verankerten Ethik-Projekts können

zentrale ethische Regeln im Unternehmen entwickelt werden.

Dazu gehört ein Ethik-Code als generelle Richtschnur des ge-

samten Handelns im Unternehmen. Jede Entscheidung, ob me-

dizinisch, pflegerisch oder ökonomisch, muss sich an diesem

Ethik-Code messen lassen. Dazu gehören aber auch ein für alle

Führungskräfte und Mitarbeiter verbindlicher Verhaltenskodex,

der Regeln für den Umgang untereinander, mit den Patienten

und den Einrichtungen des Unternehmens enthält, eine be-

triebliche Vereinbarungen zur Vermeidung und Regelung von

Konflikten und ethische Orientierungshilfen für den Umgang

mit „schwierigen“ Situationen bei der Behandlung von Patien-

ten.

Ein Ethik-Projekt hat die Förderung ethischer Qualität im be-

ruflichen Handeln zum Ziel. Dies geschieht durch eine mög-

lichst konkrete ethische Hilfestellung bei „Grenzsituationen“

und schwierigen Entscheidungsprozessen im Umgang mit Pa-

tienten und Angehörigen sowie durch Diskussion von und Fort-

bildung zu aktuellen und relevanten ethischen Themen (z. B.

Sterben und Tod, Patientenautonomie, künstliche Ernährung)

Ethikprojekte fungieren aber immer auch als „Agenten des Kul-

turwandels“ im Unternehmen – und zwar eines notwendigen

Kulturwandels: weg vom paternalistischen Modell („Der Arzt

trifft in Anwesenheit des Patienten alleine lebenswichtige Ent-

scheidungen“) hin zu einer Partnerschaft der Fachdisziplinen

mit Patienten und Angehörigen. Aber auch weg vom Einzel-

falldenken und hin zu einem systemisch vernetzten Blick. Ar-

beitsteiligkeit, Kostenverantwortung, Behandlungsverantwor-

tung und Qualität sind Teil des Gesamtsystems. Sie hängen je-

weils voneinander ab und sind nicht isoliert zu betrachten.

Und auch weg von der vorrangigen Technologieorientierung hin

zu mehr Qualität in der Kommunikation. Beziehungs- und Pro-

blemlösungskompetenz stehen dabei im Vordergrund.

Ethik als Aufgabe der Unternehmensentwicklung

Page 14: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

12

Etablierung und Professio-nalisierung von Ethik-Projekten

Die Etablierung und Professionalisierung von Ethik im Unter-

nehmen geschieht auf mehreren Ebenen. Zunächst gilt es

„Ethik-Institutionen“ zu gründen und Strukturen aufzubauen,

die mit Unternehmensleitung, Management und Mitarbeitern

gleichermaßen verwoben sind.

Damit ein Ethik-Projekt keine Eintagsfliege bleibt, müssen pro-

fessionelle Ressourcen und ehrenamtliches Engagement ver-

netzt und gepflegt werden. Um Verbindlichkeit für alle Mitar-

beiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens herzustellen

müssen Positionen formuliert werden, auf die sich die Mitar-

beiter jederzeit berufen können. Persönlichkeiten des Unter-

nehmens, so genannte Opinion leaders, vertreten diese Posi-

tionen. Eine gezielte Personalentwicklung ist ebenso unab-

dingbar wie eine professionelle Kommunikation nach innen und

nach außen. Die Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens muss

die Inhalte des Ethik-Projekts nach außen tragen. Veranstal-

tungen für Interessierte und Mitarbeiter, wie z.B. ein Ethik-Café

oder ein Ethik-Salon, tragen zum Informationsaustausch sowie

zur Vermittlung und zur Vertiefung der Inhalte bei.

Ethische Institutionen und Handlungsansätze

Im Zentrum eines Ethik-Projekts in einem Unternehmen des Ge-

sundheitswesens steht ein Klinisches Ethikkomitee, das das

Ethik-Projekt weiter vorantreiben soll. Es soll für alle Aktivitä-

ten, die sich aus dem Ethik-Projekt heraus entwickeln, helfend,

anhörend und motivierend tätig sein und neue Aktivitäten an-

stoßen.

Eine mobile Ethikberatung soll flexible Hilfe vor Ort in kon-

kreten Entscheidungssituationen bieten, in denen nicht allen

Beteiligten klar ist und Einigkeit darüber herrscht, welche Be-

handlung für den betroffenen Patienten die Beste ist. Beispiele

für solche konkreten Entscheidungssituationen sind Fragen zu

Therapiebegrenzung, unklare Situationen in Bezug auf den Wil-

len eines Patienten, der Umgang mit Sterbeprozessen oder der

Einsatz von PEG-Sonden (perkutane endoskopische Gastrosto-

mie). Die Ethikberatung will bei der Suche nach einer ethisch

begründeten und für alle Beteiligten nachvollziehbaren Ent-

scheidung helfen und durch Moderation von Gesprächen sowie

Analyse des ethischen Konfliktes zur Lösung im konkreten Ein-

zelfall beitragen. Die wesentlichen ethischen Aspekte und Ent-

scheidungsaspekte der Diskussion werden dokumentiert und

den Patientenakten beigefügt.

Ethik-Zirkel in den einzelnen Kliniken oder auf den Stationen

sollen vor Ort die Diskussion von ethischen Themen ermögli-

chen, die sich aus der Kooperation mit Patienten und Ange-

hörigen ergeben. Ethische Fallbesprechungen stehen dabei im

Mittelpunkt. Die ethische Reflexion der praktischen Arbeit in

den Kliniken trägt damit auch zur Steigerung der Behand-

lungsqualität und der besseren Patientenorientierung bei, denn

aus der Besprechung von solchen (auch nicht aktuellen) Fäl-

len können die Behandlungsteams Erkenntnisse und Vereinba-

rungen für ihre weitere Arbeit gewinnen.

Page 15: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

13

Page 16: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

14

Page 17: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

15

„Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Ent-

wicklung und hierbei insbesondere mit Blick auf einschnei-

dende Veränderungen im deutschen Gesundheitswesen sind die

Krankenhäuser – weit mehr als bisher – mit Fragestellungen

konfrontiert, die auch ethische Aspekte berühren“, betont

Klaus Wambach, Vorstand des Klinikums Nürnberg. Als Kran-

kenhaus der maximalen Leistungsstufe mit rund 5.500 Mitar-

beitern, 90.000 stationären und knapp 60.000 ambulanten Pa-

tientinnen und Patienten im Jahr und 38 Kliniken und Institu-

ten ist das Klinikum Nürnberg hierbei in besonderer Weise ge-

fragt. Die ethische Positionierung des Klinikums, eines der

größten kommunalen Krankenhäuser in Europa, ist, so Wam-

bach, „ein wichtiger Eckpunkt für seine weitere Entwicklung –

und sie betrifft nicht nur die klassischen Fragen der Medizin-

und Pflegeethik, sondern auch Aspekte der Unternehmenskul-

tur also der Führung, Kommunikation und Transparenz“.

Der Start und erste Schritte

Im Sommer 1999 startete deshalb im Klinikum Nürnberg auf

Initiative von Prof. Dr. Walter M. Gallmeier ein breit angeleg-

tes Ethikprojekt. „Eine öffentliche Selbstverpflichtung zum Bes-

serwerden“ nannte der langjährige Chefarzt der Onkologie und

damalige Ressortleiter Kliniken das schon kurz nach seinem

Start bundesweit stark beachtete Projekt im Klinikum. Als Be-

rater wurde Prof. Karl-Heinz Wehkamp von der Hochschule für

Angewandte Wissenschaften in Hamburg gewonnen. Der So-

ziologe, Facharzt für Gynäkologie, Geburtshilfe und Psycho-

therapie sowie Experte für Medizin- und Organisationsethik an

Krankenhäusern erarbeitete eine erste Analyse zur Einschät-

zung der ethischen Fragestellungen im Klinikum Nürnberg. Bis-

weilen hitzige Diskussionen, zahlreiche Veranstaltungen und

Lehrgänge schlossen sich an.

Aus dieser ersten Bestandsaufnahme folgten eine ganze Reihe

von konkreten Maßnahmen, die vom Verwaltungsrat des Klini-

kums beschlossen wurden. Kernstück dieses Maßnahmenpakets

war ein zentraler Ethikcode (Dokument siehe S. 33). In einem

offenen und mitunter auch sehr kontrovers geführten Diskus-

sionsprozess hatte man die ethischen Grundsätze des Klinikums

erarbeitet. Der Code beschränkte sich dabei nicht nur auf die

klassische Arzt-Patient-Konstellation in einem Krankenhaus.

Entsprechend dem Ärztekodex von 1947 steht „der Patient im

Mittelpunkt aller Dienstleistungen“. Ziel ist demnach „eine Me-

dizin nach Maß, die dem Patienten nützt und seiner individu-

ellen Krankheits- und Lebenssituation gerecht wird“. Im Stile

eines unternehmerischen Leitbildes sind in diesem zentralen

Papier auch die „Führungsgrundsätze“ des Hauses verankert.

Demnach müssen Führungskräfte in der Lage sein, „auch von

nachgeordneten Mitarbeitern konstruktiv geäußerte Kritik

empfangen zu können“.

„Papier ist zwar geduldig, aber diese Regelungen sind wichtig,

um ein Bewusstsein zu schaffen, nach welchen Werten wir

unser Handeln ausrichten wollen“, betont Klinikum-Vorstand

Klaus Wambach. Der Ethik-Code ist für ihn „eine verbindliche

Grundlage für alle Entscheidungsprozesse im Haus, egal ob me-

dizinisch, pflegerisch oder ökonomisch“ und damit eine „öf-

fentliche Selbstverpflichtung, die sicherlich einer gewissen Dy-

namik unterzogen ist“. Also keine endgültige Festlegung, son-

dern stets „einer lebendigen Überprüfung und Weiterentwick-

lung zugänglich“. Dieser Prozesscharakter eines Ethik-Projekts

war auch Prof. Wehkamp besonders wichtig. „Ein Ethik-Projekt

muss im Alltag eines Krankenhauses von allen Beteiligten ge-

tragen und weiter entwickelt werden.“

Zusätzlich zum zentralen Ethik-Code wurde ein Verhaltensko-

dex für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt, der

Bestandteil des Arbeitsvertrags ist (siehe S. 36). Er legt den

Umgang mit den Patienten, den Umgang untereinander und mit

Einrichtungen des Klinikums verbindlich fest. „Respekt vorei-

nander und Fairness untereinander“ sind das oberste Gebot im

Umgang der Mitarbeiter miteinander. Jeder Patient muss von

Die Entwicklung des Ethikprojekts im Klinikum Nürnberg

Schritt für Schritt nach vorne und in die Breite

Page 18: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

16

Page 19: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

17

jedem Mitarbeiter als eigenständige Persönlichkeit betrachtet

werden, „die in ihrer Individualität, Autonomie und Würde von

der Aufnahme bis zum Verlassen des Klinikums zu achten ist“.

Zudem haben Vorstand und Personalvertretung eine Vereinba-

rung zur Konfliktvermeidung und Konfliktbewältigung (siehe S.

38) getroffen – ein bis zu diesem Zeitpunkt bundesweit ein-

maliger Vorgang. „Damit haben wir eine Vorreiterrolle für an-

dere Krankenhäuser übernommen“, berichtet Personalratsvor-

sitzender Peter Schuh. Mit dieser Vereinbarung soll sicherge-

stellt werden, dass Konflikte „fair, tolerant und sachlich aus-

getragen werden“. Mit der Entwicklung einer fairen Streitkul-

tur soll „die Eskalation von Konflikten möglichst vermieden

werden“. Ein berufsübergreifender Führungskräftelehrgang und

ein regelmäßiges Bildungsangebot unterstützen seit 1999 die

Umsetzung von Verhaltenskodex und Konfliktvereinbarung. Der

Bereich Consulting & Training im Centrum für Kommunikation,

Information, Bildung (CeKIB) begleitet seit 2002 Abteilungen

und Führungskräfte mit Coaching, Supervision und Teament-

wicklung.

Kontinuierliches Ethik Forum

Nach diesen ersten Schritten berief der Vorstand des Klinikums

Nürnberg im Oktober 2002 ein klinikübergreifendes Ethik-Ko-

mitee, das so genannte Ethik-Forum. Das unabhängige, aus 15

Mitgliedern bestehende Gremium begleitet und fördert seit-

her die Entwicklung der Unternehmensethik. Diese „Ethik-Zen-

trale“ ist interdisziplinär zusammengesetzt und wird unter Vor-

sitz von Prof. Dr. Cornel Sieber, dem Chefarzt der Geriatrie,

durch einen Geschäftsführer unterstützt. Die Mitglieder werden

nach Empfehlung des Forums vom Vorstand berufen. Viel Wert

wird dabei auf die interdisziplinäre Zusammensetzung gelegt,

um möglichst viele Sichtweisen berücksichtigen zu können. So

treffen in diesem Gremium einmal im Monat Ärzte, Pfleger,

Seelsorger, aber auch Juristen und Vertreter von Krankenkas-

sen aufeinander. Das Ethik-Forum hat sich zudem eine Ge-

schäftsordnung gegeben.

Das Ethik-Forum hat alle Hände voll zu tun. Das ist auch kein

Wunder, liegen doch die Themen im Klinikum quasi auf der Stra-

ße. Ob es um die Dienstanweisung für das Vorgehen bei frei-

heitsentziehenden Maßnahmen geht, um Probleme bei der

künstlichen Ernährung von Patienten über Sonden oder aber

um den Umgang mit Engagement und Motivation von Mitar-

beitern, um Machtstrukturen oder die Transparenz von Ent-

scheidungen - bei all diesen Fragen ist das Ethik-Projekt ge-

fordert. „Es geht darum, die ethischen Hotspots im Haus zu er-

kennen und Handlungsempfehlungen zu formulieren“, erläutert

Prof. Sieber, der Vorsitzende des Forums.

Das Gremium greift auch Problemstellungen auf, die von au-

ßerhalb des Klinikums an das Ethik-Forum herangetragen wer-

den und einen Bezug zur Arbeit des Klinikums haben. Ein Bei-

spiel dafür war der Umgang mit PEG-Sonden. Bei der perkuta-

nen endoskopischen Gastrostomie (PEG) wird eine Ernäh-

rungssonde mit Hilfe eines Endoskops durch die Bauchwand in

den Magen eingeführt. Niedergelassene Ärzte hatten sich über

einen zu schnellen Einsatz der Sonden im Klinikalltag beklagt

und das Forum mit dieser Fragestellung konfrontiert. Die wirt-

schaftlichen Zwänge und der Effizienzdruck, die den Arbeits-

alltag in einem Krankenhaus bestimmen, lassen in der Regel

nur minimale Zeitfenster für den einzelnen Patienten. Oft wird

daher aus den Sachzwängen heraus der Weg des geringsten Wi-

derstands und Zeitaufwands gewählt und für die Ernährung

kommen Sonden zum Einsatz.

Zentrale mobile Ethikberatung

Ein Forum allein jedoch ist für Vielzahl und Variationsbreite der

ethischen Fragestellungen in einem Krankenhaus der Maxi-

malversorgung überfordert. Deswegen sollte künftig ein Netz-

werk aus Ethik-Forum, aus dezentralen Ethik-Komitees in den

einzelnen Kliniken und Stationen sowie aus einer „mobilen“

Ethikberatung die ethischen Fragen angehen.

Mit dem Aufbau dieser Zentralen Mobilen Ethikberatung (ZME)

(Konzept siehe S. 46) wurde im März 2003 begonnen – ein wei-

terer wichtiger Meilenstein im Ethik-Projekt des Klinikums. Die

Ethikberater sollten konsiliarisch tätig sein und zwar genau

dort, wo es „brennt“. Sie sollten Ansprechpartner für die Lö-

sung akuter ethischer Fragen in den Kliniken und Instituten

sein. „Durch Moderation und Analyse sollen sie zur Lösung des

ethischen Konfliktes im konkreten Einzelfall beitragen“, betont

Roland Fichtner, langjähriger Geschäftsführer des Ethik-Fo-

rums. Die Förderung der ethischen Qualität von Entscheidun-

gen im Rahmen medizinischer und pflegerischer Dienstleistung

ist das Hauptanliegen dieses Dienstes.

Seit Februar 2004 steht nun ein 16-köpfiges Beratungsteam aus

Medizin, Pflege und Seelsorge für alle Behandlungsteams in

den 38 Kliniken und Instituten des Klinikums Nürnberg zur Ver-

fügung. Geschult wurden sie für ihre anspruchsvolle Aufgabe

von Prof. Dr. Stella Reiter-Theil von der Medizinischen Fakultät

der Universität Basel und weiteren Trainern.

Page 20: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

18

Seitdem können Ärzte, Pflegepersonal, Patienten, Angehörige

und Klinikums-Mitarbeiter die Ethikberatung anfragen. Der

diensthabende Ethikberater ist über ein Piepser-System er-

reichbar. Er nimmt die Anfrage entgegen. Ist der Sachverhalt

grob geklärt und die Anfrage akzeptiert, ruft er das Berater-

team zusammen und übergibt einen konkreten Auftrag für eine

Ethikberatung, die dann in der Regel als fallbezogene Bespre-

chung vor Ort stattfindet. Oft reicht es aus, die wesentlichen

ethischen Konflikte zu erheben und zu verdeutlichen, um das

Problem zu lösen oder eine Lösung voranzutreiben. Die Ethik-

beratung dient jedoch ausdrücklich nicht dazu, so das Konzept,

„über die Behandlung des Patienten zu urteilen, bestehende

Verantwortlichkeiten aufzuheben und eventuell anhaltende

Teamprobleme zu lösen“. Es geht darum, „bei der Suche nach

einer ethisch begründeten und für alle Beteiligten nachvoll-

ziehbaren Entscheidung zu helfen“.

Die Ethikberater, die für die Zeit der Beratung und auch danach

der Schweigepflicht unterliegen, dokumentieren die wesentli-

chen ethischen Aspekte und Blickwinkel der Entscheidung und

fügen sie den Patientenakten bei.

Im Zeitraum von März 2004 bis Mai 2006 hat die ZME 25 große,

dokumentierte Ethikberatungen durchgeführt. In zahlreichen

Einzelgesprächen wurden zudem Angehörige, Patienten und

Mitarbeiter in schwierigen Entscheidungssituationen unter-

stützt.

Regelmäßige Ethik-Zirkel

Parallel dazu moderieren die Mitglieder des Beratungsteams

bereits elf Ethikzirkel z.B. auf einer Intensivstation, der Pal-

liativstation, der Allgemeinstation der Geriatrie oder in der

Mund-Kiefer- und plastischen Gesichtschirurgie. Dort treffen

sich Ärzte und Pflegekräfte, die an ethischen Fragen interes-

siert sind. Ethische Fallbesprechungen stehen dabei im Mittel-

punkt. Auch die Teilnehmer der Ethik-Zirkel setzen sich inter-

disziplinär zusammen. Es besteht wie bei den Ethikberatern

Schweigepflicht (Konzeption siehe S. 49).

Vorbild war hier der Ethikzirkel der Nephrologie, der schon seit

1997 besteht und Erfahrungen in vielen Beratungen sammeln

konnte. Er versteht sich als „ethisches Beratungsteam für pa-

tientenzentrierte Konfliktlösungen“. An den Kreis können sich

Klinikmitarbeiter wenden, wenn es um den Behandlungsab-

bruch von Dialysepatienten, die Klärung des Patientenwillens,

die Auseinandersetzung mit schwierigen Patienten und Ange-

hörigen, die patientenorientierte Konfliktlösung oder um Fall-

besprechungen geht.

Seit seiner Gründung hat der Ethikkreis der Nephrologie über

120 Fälle beraten und betreut. Der Schwerpunkt liegt auf dem

Erkennen von Behandlungsgrenze, -verzicht und -abbruch. Als

Ergebnis seiner Arbeit verfasste der Ethikkreis eine Patienten-

verfügung, auf die viele Patienten dankbar zurückgreifen.

„Damit wurde das Thema ‚Tod und Sterben' aus der Verschwie-

genheit geholt und auch im Klinikalltag präsenter“, verdeut-

licht Dr. Perdita Dobe-Tauchert, Mitarbeiterin der Klinik für Psy-

chosomatik und Psychotherapeutische Medizin im Klinikum und

des Ethikkreises. Intensiv diskutierte der Ethikkreis das Thema

„Verzicht auf Wiederbelebung“ und setzte die Überlegungen in

der Klinik um. Mit eigenen Fortbildungen in der Nephrologie

versucht man darüber hinaus, solche Themen immer wieder ins

Bewusstsein zu rufen und eine erhöhte Sensibilität dafür zu

schaffen.

Empfehlungen zur ethischen Orientierung

Mit der Entwicklung von Empfehlungen zum ethischen Umgang

mit Schwerstkranken und Sterbenden, Patientenverfügungen

und Vollmachten (siehe S. 41) hat das Klinikum Nürnberg 2004

einen weiteren wichtigen Schritt getan. Eine Befragung bei 118

ärztlichen und pflegerischen Mitarbeitern in verschiedenen Kli-

niken hatte ergeben, dass Orientierungshilfen z. B. für den Um-

gang mit Schwerstkranken und Sterbenden als wesentliche Un-

terstützung gesehen würden.

Das Ethik-Forum erarbeitete daraufhin gemeinsam mit der

Nürnberger Hospizakademie und der Klinikseelsorge eine Vor-

lage, die mit den ärztlichen und pflegerischen Leitungsgremien

abgestimmt wurde. Grundlage waren die Empfehlungen der

Bundesärztekammer vom 7. Mai 2004 (siehe S. 43). Der Ver-

waltungsrat des Klinikums verabschiedete diese Empfehlungen

Ende Oktober 2004.

Die Empfehlungen gelten für das gesamte Klinikum Nürnberg.

Sie sind eine Reaktion auf die - falls überhaupt vorhanden -

doch meist vagen Patientenverfügungen. „Wenn es mir einmal

ganz schlecht gehen sollte, möchte ich keine lebensverlän-

gernden Maßnahmen haben.“ So oder so ähnlich lauten viele

Patientenverfügungen. Es bleibt unklar, was „ganz schlecht

gehen“ bedeutet und was der Unterzeichner unter „lebensver-

längernden Maßnahmen“ versteht. Das stellt Familienangehö-

rige, Ärzte und Pflegepersonal vor neue Probleme.

Page 21: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

19

„Das Vorliegen einer Patientenverfügung bedeutet zwar immer,

dass sich der Betreffende mindestens einmal mit seiner End-

lichkeit auseinandergesetzt hat“, betont Prof. Cornel Sieber,

Chefarzt der Geriatrie und Vorsitzender des Ethik-Forums des

Klinikums. Er mahnt aber gleichzeitig an, die Patientenverfü-

gung möglichst konkret zu fassen, jedes Jahr erneut zu unter-

schreiben und sie mit einer Betreuungsvollmacht zu verbinden.

„Dann sind Patientenverfügungen für uns eine Riesenhilfe bei

schwierigen Entscheidungen.“

In den Empfehlungen ist festgelegt, dass es Aufgabe der Mit-

glieder des Behandlungsteams sei, „unter Beachtung des

Selbstbestimmungsrechts des Patienten Leben zu erhalten, Ge-

sundheit zu schützen und wieder herzustellen sowie Leiden zu

lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die Ver-

pflichtung zur Lebenserhaltung besteht nicht unter allen Um-

ständen.“ Die Entscheidung über lebenserhaltende Therapien

dürfe „nicht von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig ge-

macht werden“.

Bundesweit ist das Klinikum eines der wenigen Krankenhäuser,

die solche „ethischen Empfehlungen“ als Orientierungshilfen

haben. Im November 2004 wurden die Empfehlungen (und

Standards) den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Klini-

kums und der Öffentlichkeit vorgestellt. Seit 2005 bietet das

Centrum für Kommunikation, Information und Bildung (CeKIB)

Fortbildungen zur Umsetzung der Empfehlungen für ärztliche

und pflegerische Mitarbeiter an.

Die Erfahrungen der Ethikberater zeigen inzwischen, dass im

Zusammenwirken von Ethikberatung und ethischen Orientie-

rungshilfen eine Qualitätssteigerung bei der Entscheidungs-

findung in schwierigen Situationen erreicht werden kann.

Bundesweiter Fernlehrgang für angewandte Ethik

Die Kompetenzen, die das Klinikum Nürnberg bei seinen Ethik-

Aktivitäten im Lauf der Jahre erworben hat, gibt man seit März

2005 mit einem Fernlehrgang mit dem Qualifizierungsziel „Be-

rater/in für Ethik im Gesundheitswesen“ auch an andere Häu-

ser weiter. Der vom Centrum Kommunikation, Information und

Bildung (CeKIB) des Klinikums angebotene Lehrgang umfasst

30 Lehrbriefe und vier Praxistrainingstage. Kooperationspart-

ner sind die Akademie für Ethik in der Medizin (Göttingen), das

Institut für angewandte Ethik in der Medizin der Medizinischen

Fakultät der Universität Basel und das Institut für Geschichte

und Ethik in der Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg.

125 Teilnehmer aus dem gesamten deutschsprachigen Raum

haben den ersten Fernlehrgang, der im Januar 2006 mit einem

dreitägigen Präsenzseminar zu Ende ging, erfolgreich absol-

viert. Der zweite Fernlehrgang startete im März 2006. Neben

der Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem

Gesundheitswesen ist es das interne Ziel des Klinikums, damit

weitere Ethikkompetenz in den Kliniken und Instituten des Kli-

nikums Nürnberg zu fördern und zusätzliche Ethikzirkel zu im-

plementieren.

Fortbildungen und Ethik-Café

Um die Sensibilität für ethische Fragestellungen bei den Mit-

arbeitern im Gesundheitsbereich zu erhöhen, veranstaltete das

Ethik-Forum des Klinikums Nürnberg im Januar 2005 eine Fach-

tagung zum Thema „Ethik - Ein Lotsendienst für Medizin und

Pflege?“. Rund 80 Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten aus dem

gesamten süddeutschen Raum nahmen daran teil.

Der Umgang mit ethischen Grenzsituationen in der Medizin und

Pflege stand dabei im Mittelpunkt, zum Beispiel folgender Fall:

Ein Kleinkind leidet unter massiven Krampfanfällen, Organe

versagen, doch ein Überleben – so die behandelnden Ärzte -

ist für die nächsten Jahre durchaus möglich. Das Kind würde

aber vermutlich nie gehen, sitzen oder greifen können, eine

Sprachentwicklung ist unwahrscheinlich. Nach Monaten zwi-

schen Hoffen und Bangen sind die Eltern am Rande ihrer Be-

lastbarkeit und fordern schließlich, alles zu unterlassen, was

dem Kind helfen könnte. Ist eine weitere Behandlung gegen

den Willen der Eltern ethisch gerechtfertigt?

Die tägliche Arbeit am Patientenbett stellt Ärzte und Pflege-

kräfte, aber auch Angehörige und Betreuer, immer wieder vor

solch schwierige Entscheidungen. Führende Vertreter der Me-

dizinethik aus Deutschland und der Schweiz zeigten auf der

Fachtagung konkrete Lösungswege in ethischen Grenzsituatio-

nen auf, berichteten über ihre Erfahrungen mit verschiedenen

Ethik-Projekten und plädierten für Ethik als Aufgabe der Un-

ternehmensentwicklung. In ihren Erfahrungen waren sich die

Experten darin einig, dass es im Zusammenspiel von behan-

delnden Ärzten, Pflegekräften und Angehörigen eher zu für alle

tragfähigen Lösungen kommt. Auch für die Eltern des schwer

erkrankten Kleinkindes war es sehr hilfreich, sich an eine Ethik-

Kommission im Krankenhaus wenden zu können.

Um die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter des Klinikums auf ethi-

sche Fragestellungen und Probleme zu lenken, wird das Ethik-

Forum ab Frühjahr 2007 rund zehn so genannte „Ethik-Cafés“

in den beiden Standorten Nord und Süd durchführen – Ethik

vor Ort, greifbar und regelmäßig.

Page 22: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

20

Page 23: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

21

Ethik-Berater im Gespräch

„Ich erlebe häufig eine tiefe Dankbarkeit“

„Ich habe ein ungutes Gefühl. Ich glaube, der Patient will die

PEG-Sonde nicht mehr.“ Sätze wie diese machen deutlich, dass

die tägliche Arbeit am Patientenbett manchmal schwierige Ent-

scheidungen von Ärzten und Pflegekräf-

ten erfordert. Soll die künstliche Ernäh-

rung fortgeführt werden? Vielleicht

möchte der schwerkranke Patient keinen

Schlauch schlucken, sondern nur, dass je-

mand bei ihm ist, ihm Musik vorspielt und

ihn manchmal in den Arm nimmt. Ist eine

weitere Therapie noch sinnvoll? Muss

einem Patientenwillen entsprochen wer-

den, der vor fünf Jahren verfasst worden

ist? Und was ist mit den Wünschen der

Angehörigen oder Betreuer?

Um Angehörige und Behandlungsteams

bei ihren schwierigen Entscheidungen zu unterstützen, sind im

Klinikum Nürnberg ausgebildete mobile Ethik-Berater vor Ort

im Einsatz. Häufig sind es Gespräche auf den Stationen der In-

tensivmedizin, Geriatrie, Onkologie oder der Palliativmedizin.

Bereiche also, in denen es meist um ältere und sehr kranke Pa-

tienten geht, die am Lebensende stehen. Ob im Konsil oder

Ethik-Zirkel, immer sind es Grenzsituationen, in denen beraten

und Wege aufgezeigt werden, um mög-

lichst eine gemeinsame Entscheidung

verantwortlich tragen zu können.

Dr. Gerda Hofmann-Wackersreuther (lei-

tende Oberärztin in der Palliativstation

der Onkologie im Klinikum Nord), Dr. Til-

man Rentel (Assistenzarzt in der Kinder-

und Jugendpsychiatrie im Klinikum

Nord), Adriane Yiannouris (Kranken-

schwester und stellvertretende Stations-

leitung der kardiologischen Station

B.01.2 im Klinikum Süd), Bertram Lin-

senmeyer (Theologe und Seelsorger im

Klinikum Süd) und Ulrike Klein (Pfarrerin und Seelsorgerin im

Klinikum Nord) sind fünf von 16 ausgebildeten Ethik-Beratern

im Klinikum Nürnberg und berichten über ihre Erfahrungen:

Das Ethik-Projekt klingt zunächst sehr abstrakt. Sie arbeiten an

konkreten Problemen, ob in der mobilen Ethik-Beratung oder im

Ethik-Zirkel. Welche Fälle sind das?

Ulrike Klein: Manchmal sind es Notsi-

tuationen, weil eine Entscheidung an-

steht, in der es um Leben und Tod eines

Patienten geht. So kann bei einer un-

heilbaren Krebserkrankung im fortge-

schrittenen Stadium die Frage auftau-

chen, ob eine weitere Chemotherapie

dem Patienten nicht eher schadet als

nützt und damit unterlassen werden soll-

te. Die Situation kann sich dann noch zu-

spitzen, wenn die Angehörigen vor Ort

darauf drängen, jede weitere Maßnahme

zu unterlassen.

Dr. Gerda Hofmann-Wackersreuther: Es kann aber auch sein,

dass Stationen einen Ethik-Zirkel wünschen, weil ethische Fra-

gen zu aktuellen Fällen, aber auch zu Fällen aus der Vergan-

genheit bestehen. Zwei Mitglieder aus unserer mobilen Ethik-

Beratung moderieren dann das Gespräch. Wichtig ist uns dabei,

dass sich der Kreis aus den verschiedenen Berufsgruppen zu-

sammensetzt, um damit die gemeinsame Verantwortung zu un-

terstreichen und eine möglichst gute

Kommunikation untereinander zu ermög-

lichen. Aus den Gesprächen können die

Behandlungsteams dann wichtige Er-

kenntnisse für ihre weitere Arbeit gewin-

nen.

Adriane Yiannouris: In den Gesprächen

wird häufig deutlich, dass manche

Schwierigkeiten in der fehlenden Kom-

munikation liegen, dass Informationen

nicht fließen oder dass es im Team nicht

stimmt. Diese Fälle sind dann allerdings

eher geeignet für eine Supervision und

kein ethisches Problem.

Ulrike Klein

Dr. Gerda Hofmann-Wackersreuther

Page 24: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

22

Welche ethischen Probleme haben Sie erfahren? An welche Kon-

flikte erinnern Sie sich?

Dr. Gerda Hofmann-Wackersreuther:

Eine 85-jährige Frau rief bei uns auf der

Palliativstation an und sagte, dass ihre

Herzerkrankung unerträglich sei und sie

nicht mehr leben wolle. Sie hätte so un-

erträgliche Beschwerden und wolle die

Medikamente absetzen, um zu sterben.

Wir vereinbarten einen Aufnahmetermin,

um über mögliche Therapien oder deren

Begrenzung zu sprechen. Zu unserem Er-

staunen kam die Patientin zu Fuß auf die

Station. In Gesprächen wurde deutlich,

dass nicht die Herzerkrankung mit den Einschränkungen im All-

tag der Grund für den Wunsch war zu sterben, sondern die un-

zureichende Versorgung durch ihren über 90-jährigen Mann zu

Hause. Hierin lag die eigentliche Ursache für ihre Verzweiflung.

Nach einer Woche in unserer Klinik ist die Frau richtig aufge-

blüht. Der ethische Konflikt kam dadurch zustande, dass der

Sohn uns vorwarf, dass die Autonomie der Mutter und ihr

Wunsch zu sterben von uns nicht akzeptiert würde. Schließlich

hätte sie doch eine Verfügung aufgesetzt, laut der sie im Krank-

heitsfall keine lebensverlängernde Therapie wolle. Hier stehen

also der schriftlich niederlegte Wille der Patientin, ihr subjek-

tives Leiden aufgrund der schwierigen Versorgungslage zu

Hause, ihre aktuelle Lebensfreude und das Bemühen des Soh-

nes, den Willen der Mutter umzusetzen, in einem komplizier-

ten Spannungsverhältnis.

Bertram Linsenmeyer: Ich erinnere mich

an einen Fall, in dem ein Patient nicht

entlassen werden wollte: Durch einen Un-

fall querschnittsgelähmt, litt der Patient

unter dekubitalen Geschwüren, die im

Krankenhaus behandelt wurden. Er lag

schon recht lange auf der Station, und

nach Aussage der Ärzte war eine statio-

näre Versorgung nicht mehr erforderlich.

Der Patient dagegen meinte, die Be-

handlung sei daran schuld, dass er sich

nicht besser fühle. Und nach Hause wolle

er nicht. Mit seiner Einwilligung sprachen

wir mit den beteiligten Pflegekräften und

Ärzten über die Situation. Mit der Krankenkasse konnten wir

uns zunächst auf eine weitere vierwöchige stationäre Versor-

gung verständigen. In dieser Zeit entschied sich der Patient

dann für eine weitere Betreuung in einem Pflegeheim.

In einem anderen Fall ging es um eine stark demente Patien-

tin der Psychiatrie, die durch eine Sepsis

bereits ein Bein verloren hatte. Nun droh-

te erneut eine Blutvergiftung und damit

die Entscheidung, auch das zweite Bein

zu amputieren oder einen künstlichen

Darmausgang zu legen. Für letzteres

hatte sich die für die geistig verwirrte

Frau zuständige Betreuerin entschieden,

doch wollte sie noch einmal ein Gespräch

führen, um in der Entscheidung auch

alles sorgfältig abzuwägen.

In welcher Form können sie Unterstützung

bieten?

Dr. Tilman Rentel: Unsere Aufgabe liegt zunächst in der Mo-

deration: Alle Berufsgruppen - auf eigenen Wunsch auch Pa-

tienten, Angehörige und Betreuer - kommen zusammen und

sprechen über ihre Sicht der Dinge. Wir versuchen dabei, das

ethische Problem genau zu erfassen und die verschiedenen Per-

spektiven darzulegen. Da geht es um das sorgfältige Abwägen

verschiedener Prinzipien wie Selbstbestimmung, Fürsorge, aber

auch Schadensvermeidung des Patienten. Prinzipien, die sich

durchaus widersprechen können.

Bertram Linsenmeyer: Ganz wichtig dabei ist: Wir beraten und

zeigen Wege auf, aber wir entscheiden nicht. Wir suchen nach

einem Weg, der möglichst für alle tragbar ist.

Bei den Entscheidungen für oder gegen eine weitere Behandlung

spielen Gefühle bei allen Beteiligten sicher eine große Rolle.

Wie erleben Sie das?

Dr. Tilman Rentel: Ich erlebe häufig eine

tiefe Dankbarkeit. Eine Dankbarkeit für

die Unterstützung in Situationen, die

immer sehr viel Kraft kosten. Ganz be-

sonders sind auch Angehörige dankbar,

denn sie sehen: Da ist jemand, an den ich

mich in meiner Unsicherheit und mit mei-

nen Ängsten wenden kann.

Ulrike Klein: Bei uns in der Seelsorge

sind Leben und Tod ein Teil unserer täg-

lichen Arbeit in der Sterbebegleitung.

Dennoch ist es in der Ethik-Beratung

manchmal sehr schwierig, in medizini-

schen Grenzsituationen Entscheidungen zu treffen. Man weiß

eben nicht sicher, ob beispielweise eine längere oder verkürz-

te medizinische Behandlung der richtige oder falsche Weg im

Sinne des Patienten ist, wenn er nicht mehr ansprechbar oder

sehr dement ist.

Adriane Yiannouris

Bertram Linsenmeyer

Page 25: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

23

Dr. Gerda Hofmann-Wackersreuther: Häufig kommt bei den

Angehörigen die Angst dazu, die Verantwortung für die Ent-

scheidung übernehmen zu müssen. Schuldgefühle können sich

einstellen. Da kann es sehr hilfreich sein, gemeinsam zu einer

Entscheidung zu kommen. Wobei aus juristischer Sicht, die Ver-

antwortung immer beim Arzt verbleibt.

Worin sehen Sie über den konkreten Einzelfall hinaus die Chan-

cen für die Ethik-Beratung?

Adriane Yiannouris: Die Ethik-Beratung bietet die Möglichkeit,

eine bessere Gesprächskultur zu entwickeln und klarer und frü-

her miteinander zu reden. Kommunikation ist alles – erst recht

in schwierigen Situationen. Ich erinnere mich an Gespräche

von Behandlungsteams, in denen spontan die Rückmeldung

kam: Wenn ich das gewusst hätte, jetzt begreife ich das!

In jedem Fall fördert die Ethikberatung die Zusammenarbeit

der verschiedenen Berufsgruppen und er-

möglicht einen kontinuierlichen Behand-

lungs- und Pflegeprozess. Sie dient somit

auch der Qualitätssicherung, denn letzt-

endlich müssen Entscheidungen von

allen Mitarbeitern des Behandlungs-

teams getragen und umgesetzt werden

können, insbesondere auch von Pflegen-

den, die oft einen Großteil ihrer Arbeits-

zeit im direkten Patientenkontakt zu-

bringen. So kann vermieden werden,

dass einmal getroffene Entscheidungen

bereits in der nächsten Schicht wieder re-

vidiert werden.

Bertram Linsenmeyer: Es wäre schön, wenn die Ethik-Bera-

tung dazu beitragen könnte, die Hemmschwelle abzubauen,

sich in einem helfenden Beruf - ob in der Medizin oder in der

Pflege – selbst Rat und Hilfe zu holen.

Dr. Tilman Rentel: In der Auseinandersetzung mit ethischen

Fragen liegt grundsätzlich die Chance, in der täglichen Arbeit

einfach mal den Kopf zu heben und zu reflektieren: Wie tref-

fen wir Entscheidungen? Welche Werte stecken dahinter?

Ulrike Klein: Die Ethik-Beratung ist im Klinikalltag ja noch ein

zartes Pflänzchen, das allmählich wächst. Und es wäre schön,

wenn wir nicht nur gerufen werden, falls es schwierig wird,

sondern vielmehr auch dann, wenn der Wunsch besteht, auf

den Stationen über medizinische Fragen im Grenzbereich in-

tensiver und gemeinsam nachzudenken.

Dr. Tilman Rentel

Page 26: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

24

Page 27: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

25

Einleitung

Man könnte das Thema auch etwas plakativer formulieren, wenn

man fragt: „Welche Position kann man als Neurologe beziehen

in den aktuellen Falldiskussionen, die die Medien und damit die

Öffentlichkeit bewegen zu den Fragen von Medizin und Krank-

heit am Ende des Lebens?“ Da sehen, lesen und hören wir über

das Endstadium der Parkinsonerkrankung von Johannes Paul

II, die Beendigung der Sondenernährung bei der „Wachkoma“-

Patientin Terry Schiavo und die Zukunft des an ALS erkrankten

Künstlers Jörg Immendorf. Im Kino läuft der exzellente oscar-

prämierte spanische Film „Mar adentro“ – die Aufarbeitung

eines authentischen Schicksals eines Mannes mit einer hohen

Querschnittslähmung, der assistierten Suizid eingefordert hat.

Was hat das alles mit Neurologie zu tun? Es sind offensichtlich

die neurologischen Erkrankungen und Krankheitsschicksale, die

die öffentliche Diskussion prägen und auch die wegweisende

deutsche und internationale Rechtsprechung in Fragen am Ende

des Lebens bezieht sich fast ausschließlich auf Menschen mit

neurologischen Erkrankungen: in den USA die Fälle Ann Quin-

lan 1975, Nancy Cruzan 1983 und jetzt Terry Schiavo; in

Deutschland das Kemptener Urteil von 1994, der Frankfurter

OLG-Fall von 1998 und 2003 der Fall eines Wachkomapatien-

ten, über den der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ein

vieldiskutiertes Urteil fällte und die Bedeutung von Patien-

tenverfügungen hervorhob.

Interessant ist, dass diese heiß diskutierten Fälle ganz wenig

mit neurologischer High-Tech-Intensivmedizin zu tun haben -

sondern es geht eigentlich um ganz simple medizinische Be-

handlungsverfahren wie künstliche Ernährung oder Beatmung.

Allerdings macht neurologische Intensivmedizin Verläufe wie

die des sogenannten Wachkomas erst möglich. Außerdem ist

sie durch die ständige Justierung ihres Handelns auf Fragen

von Leben und Tod der Schrittmacher der entsprechenden fach-

lichen Diskussionen und schließlich wirkt die Diskussion über

Patientenverfügungen bereits in die frühe intensivmedizinische

Behandlung hinein, weil mittlerweile dort schon bei Einliefe-

rung eines schwerkranken Bewusstlosen von Angehörigen ge-

fragt wird, ob denn die Behandlung überhaupt begonnen wer-

den solle, da der Betroffene doch einen möglichen Zustand der

Pflegebedürftigkeit gar nicht gewollt habe. Die Chancen der

neurologischen Intensivmedizin sollten gar nicht genutzt wer-

den, weil das Risiko nicht auszuschließen sei, dass ein vom Pa-

tienten nicht gewollter Behinderungsgrad entstehe.

Als Neurologe ist man irritiert, wenn in der grundsätzlich not-

wendigen Debatte Begriffe z.T. abenteuerlich falsch verwendet

werden: Da ist beispielsweise der Papst schon hirntot, obwohl

er nicht beatmet wird und noch „Amen“ sagen kann; da meint

der Vorsitzende der Bundesärztekammer, ein Vorgehen wie bei

Terry Schiavo sei in Deutschland nicht denkbar, obwohl im

Kemptener Urteil des BGH bei einer Wachkoma-Patientin in

gleicher Weise wie in den USA entscheiden wurde, und da setzt

der Marburger-Bund-Vorsitzende die Beendigung einer Son-

denernährung pauschal mit Verhungern und Verdursten gleich.

Auch der Wachkoma-Begriff als solcher ist problematisch: Ein

Betroffener ist weder „wach“ noch „komatös“; allerdings ist der

im angloamerikanischen Raum gebrauchte Ausdruck „persistent

vegetative state (PVS)“ nicht wesentlich besser.

Es scheint also dringend nötig, trotz der bleibenden und not-

wendigen Kontroversen in der bewertenden Diskussion um die

Probleme am Lebensende wenigstens die Fakten korrekt zu be-

nennen und zu verstehen – diese Ausführungen mögen ein

Stück dazu beitragen. Wo liegen die Probleme in der Debatte?

Es geht um

die ärztliche Rolle

die Angst vor zu viel oder zu wenig Medizin

die mangelhafte Ethikkompetenz vieler Ärzte

Fragen von Tun oder Unterlassen am Lebensende

eine unscharfe und verwirrenden Terminologe

Inkonsistenzen der Rechtsprechung

Neurologische Intensivmedizin zwischen medizinischen Möglichkeiten, ethischen Ansprüchen und rechtlichen Normen

von Prof. Frank Erbguth, NürnbergChefarzt der Neurologie im Klinikum Nürnberg und Mitglied des Ethik-Forums

Page 28: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

26

Zu den Schwierigkeiten der ärztlichen Rolle

Ging man früher davon aus, dass der Arzt wisse, was zum Wohle

des Patienten richtig sei („salus aegroti suprema lex“), so ist

heute der Wille des Patienten ausschlaggebend – „voluntas ae-

groti suprema lex“. Allerdings fällt es Ärzten und Pflegenden

oft schwer, die rechtliche Bewertung ihres mit hohem morali-

schen Gewicht praktizierten Heilauftrages als „potenzielle Kör-

perverletzung“ zu verstehen und zu akzeptieren. Die traditio-

nelle ärztliche Pflichtethik („deontologische Ethik“), nämlich

immer alles für den Lebenserhalt zu tun, ist heute obsolet ge-

worden. Christoph Wilhelm Hufeland hatte sie 1806 so formu-

liert:

„Der Arzt soll und darf nichts anderes tun, als Leben erhalten,

ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Wert habe oder nicht,

dies geht ihn nichts an. Und maßt er sich einmal an, diese

Rücksicht in sein Geschäft mit aufzunehmen, so sind die Fol-

gen unabsehbar und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im

Staate.“

Heutzutage wird auf eine solche Pflichtethik des Lebenserhalts

um jeden Preis vor allem dann zurückgegriffen, wenn Ärzte eine

vermeintliche juristische Bedrohung fürchten, weil sie sich der

unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht hätten. Damit

aber legen wir selbst unserem ärztlichen Entscheidungs- und

Handlungsspielraum ein unangemessenes Korsett an. Vor allem

bei der Beendigung einer zuvor begonnenen Therapie herrscht

bei Ärzten die Angst vor, man begehe – da man ja handele –

aktive Sterbehilfe, die ethisch inakzeptabel und rechtlich ver-

boten sei. Dazu aber unten mehr.

Meiner Ansicht nach kann der vordergründig duale Paradig-

menwechsel Paternalismus vs. Autonomie uns Ärzte nicht aus

dem Fürsorgegebot entlassen. Will der umfassend aufgeklärte

Patient – oder auch sein Angehöriger –, wenn es um eine po-

tentiell tödliche Krankheit geht, nur auf sich selbst gestellt

sein? Erlebt er sich in dieser Situation noch als mündig oder

nicht doch zuallererst als hilfsbedürftig. Selbstbestimmtheit

darf nicht in ein Sich-Selbst-Überlassenwerden umschlagen -

letzteres wäre eine zynische Interpretation von Patientenau-

tonomie. Die ärztliche Haltung kann sich nicht auf eine allge-

meine distanziert deskriptiv-fachliche Ebene zurückziehen. Wir

bieten nicht nur eine unverbindliche Pluralität an medizini-

schen Möglichkeiten feil, es geht um mehr als um die Bezie-

hung von Kunde und Anbieter. Wir brauchen auch normative

Elemente im Sinne einer wohlmeinenden Bevormundung nicht

verbergen. Die vom Nürnberger Onkologen Prof. Walter M. Gall-

meier vorgeschlagene Analogie der Arzt-Patient-Beziehung zur

Beziehung Bergtourist und Bergführer trifft meiner Ansicht

nach ganz gut. In diesem Sinne ist eine Ethik der Fürsorge ge-

fordert, die natürlich nicht ohne eine Berücksichtigung des Wil-

lens des Patienten auskommt.

Angst vor zu viel oder zu wenig Medizin

Mehr Patientenautonomie bedeutet auch, dass die Frage des

„Wohls“ für den Patienten plural geworden ist: Was der eine Pa-

tient noch als zu seinem Wohle geschehend empfindet, beur-

teilt der andere bereits als Zufügen von Schaden und Leid. Das

spiegelt sich wider in Holland, wo die einen Ausweise für Eu-

thanasie mit sich führen und die anderen eine Credo Card mit

der Bitte „Doktor töte mich nicht“.

In Deutschland wird gerade auch beim Thema „Intensivmedi-

zin“ entsprechend ambivalent und kontrovers diskutiert: Ei-

nerseits wird mit hohem Anspruch „alles Machbare“ eingefor-

dert und Angehörige von Koma- oder Wachkoma-Patienten

fürchten oft, dass „zu wenig“ getan werde und zu früh sterben

gelassen werde – bestärkt durch Presseberichte von angeblich

nach mehrjährigem Koma erwachten Patienten. Auch wird be-

fürchtet, man werde vielleicht aus Mitleid zu Tode gespritzt. Auf

der anderen Seite – und da in höherem Maß – bestehen Ängs-

te vor einer grenzüberschreitenden „seelenlosen Apparateme-

dizin“. Neurologische Intensivmedizin vollzieht sich also zwi-

schen den zwei Ängsten: es werde zu viel oder zu wenig getan.

Zur ärztlichen „Ethikkompetenz“

Der vorhin erwähnte defensive Verzicht der Ärzte auf Ent-

scheidungs- und Handlungsspielräume unter Verweis auf po-

tenziell drohende juristische Sanktionen gründet auf man-

gelnde Informiertheit und mangelnde Kompetenz. Da werden

Sanktionen und Verbote vermutet oder erwartet, wo gar keine

sind, zum Beispiel in der angesprochenen Frage, ob es grund-

sätzlich erlaubt sei, eine invasive medizinische Maßnahme in

der neurologischen Intensivmedizin zu beenden, weil sie sich

als medizinisch sinnlos erwiesen hat oder weil sie vom Patien-

ten nicht mehr gewollt wird.

Belegen lässt sich diese mangelnde Informiertheit an Befra-

gungsergebnissen. Von immerhin onkologisch und palliativ-

medizinisch ausgebildeten Ärzten hielten fälschlicherweise 23

Prozent die Beendigung einer Beatmung bei Sterbenden aus ju-

ristischen Gründen für grundsätzlich nicht durchführbar und 49

Prozent bewerteten irrtümlich das Abstellen einer Beatmung

in jedem Fall als „aktive“ – und damit verbotene – Sterbe-

hilfe.

Page 29: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

27

Die Kompetenz neurologischer Chefärzte ist auch nicht besser:

Unzutreffenderweise halten 32 Prozent die Gabe von atemde-

pressiven Analgetika in einer Palliativsituation für illegal und

45 Prozent meinen, eine Morphingabe bei terminaler Dyspnoe

sei mit Euthanasie gleichzusetzen.

Völlig ratlos ist man, wenn man zur Kenntnis nehmen muss,

dass auch deutsche Vormundschaftrichter, denen ja eine wich-

tige Rolle in diesen Fragen zugefallen ist, über die Rechtspre-

chungslage in ihrem Aufgabengebiet miserabel informiert sind.

So halten 35 Prozent die Beendigung einer Beatmung für „ak-

tive Sterbehilfe“ und selbst der Verzicht auf einen Beat-

mungsbeginn wird von 8 Prozent als aktive Sterbehilfe fehlbe-

wertet.

Beendigung von Therapien: Tun oder Unterlassen

Wie sich in den Umfragen zeigt, wird oft befürchtet, der Ab-

bruch einer invasiven Maßnahme (insbesondere einer Beat-

mung) in einer ausweglosen Situation – wenn sie also nicht

mehr indiziert ist – oder wenn sie dem Willen eines Patienten

nicht oder nicht mehr entspricht, stelle „aktive Sterbehilfe“ dar.

Für unproblematischer wird das „Nicht-Beginnen“ gehalten –

weil es „passiv“ erscheint. Eine medizinische Maßnahme legi-

timiert sich aber aus zwei Gründen: (1) der medizinischen In-

dikation und (2) der Zustimmung des Patienten. Ist eine der

beiden Voraussetzungen nicht oder nicht mehr gegeben, ist die

Maßnahme nicht mehr legal – und da ist es gleich, ob diese

Maßnahme nicht begonnen wurde oder ob sie beendet wird.

Auch kann es diesbezüglich keinen moralischen Unterschied

geben: „Passiv werden“ in einer ausweglosen oder einer vom

Patienten nicht mehr gewollten Situation kann nicht anders be-

wertet werden, als „passiv bleiben“. Es geht – ethisch gespro-

chen – um „Unterlassen durch Tun“ bzw. um „Geschehenlassen

durch Handeln“. Die Rechtsprechung hat bisher die prinzipiell

gleiche Sichtweise. Wichtig ist die Intention der Handlung: Sie

muss als Verzicht auf das eigene Eingreifen verstanden werden

und nicht als gewollte Herbeiführung des Todes. Im Übrigen bin

ich mir aus Erfahrung sicher: Wer einen moralischen und recht-

lichen Unterschied sieht zwischen dem Nicht-Beginnen – was

er für „legitim“ hält – und dem Abbrechen – was er für „ver-

boten“ ansieht –, wird manche Therapie in einer noch unent-

schiedenen Lage gar nicht erst anfangen, weil er glaubt, bei

einer Wendung zum Schlechten dürfe er das einmal Begonne-

ne dann nicht mehr beenden. Dies führt zum unangemessenen

Therapieverzicht.

Missverständliche Terminologie

Ein viel strapazierter Begriff in ethischen Diskussionen ist der

der „Würde“. Es gibt – abgesehen von den grundgesetzlich ga-

rantierten Rechten – nicht „die Würde“ oder „Nicht-Würde“ als

ein von außen beurteilbarer Standard in einer bestimmten Er-

krankungs- oder Sterbephase. Würde kann allenfalls vom Be-

troffenen selbst als vorhanden oder nicht-vorhanden wahrge-

nommen werden. In der öffentlichen Diskussion – z.B. um Terry

Schiavo – werden quasi Standards der Un-Zumutbarkeit von

Krankheit und Leid erstellt und dem Einzelnen wird als un-

würdig suggeriert z.B. dement, komatös oder unheilbar krank

zu sein. Würdelos bei Terry Schiavo wurde von den einen der

Zustand des Wachkomas bezeichnet, den anderen erschien die

Entfernung der PEG als würdelos.

Auch der Begriff des Sterbens „in Würde“ muss hinterfragt wer-

den. Dieser Begriff wird meist in der Öffentlichkeit so ver-

standen, dass Würde im Sterben erst dort entstehen könne, wo

keine Mediziner mehr agieren, keine Maschinen mehr laufen,

keine Schläuche mehr von Infusionen durchflossen werden. An-

genommen wird, Sterben in Würde sei „natürliches“ und damit

„friedliches Sterben“ und dieses sei irgendwie ein schöner Tod

– was angesichts quälender natürlicher Sterbeverläufe als zy-

nischer Fehlschluss erscheinen muss. Leicht wird aus dieser

Fehlvermutung auch der falsche Umkehrschluss: Intensivme-

dizin – auch neurologische Intensivmedizin – sei per se un-

würdige Medizin. „Ich will nicht zwischen Maschinen und

Schläuchen sterben“ heißt es dann pauschal in der einen oder

anderen Patientenverfügung.

Eine moralisch „hoch aufgeladene“ Terminologie ist die des Ver-

durstens und Verhungerns, die vor allem dann ins Feld geführt

wird, wenn es um den Eingriff der PEG geht. Auch dieses Thema

ist einen eigenen Vortrag wert, ich meine allerdings, dass es

inzwischen genug wissenschaftliche Evidenz und palliativme-

dizinische Empirie dafür gibt, dass zumindest in Sterbephasen

das Ausbleiben von Flüssigkeit und Nahrung kein Hunger- und

Durstgefühl beim Patienten verursacht. Bei der terminalen Ras-

selatmung muss man eine Flüssigkeitsgabe sogar als Kunst-

fehler werten.

Semantisch entlarvend ist auch unsere medizinische Alltags-

sprache: Wie oft wird im Krankenhaus gesprochen von „aus-

therapiert“, „Therapieabbruch“, „Therapia minima“ und „Man

kann nichts mehr tun!“. Wir müssen es endlich auch als unse-

re therapeutische Aufgabe akzeptieren, das Therapieziel vom

Kurativen zum Palliativen zu ändern – so wie es auch in den

Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebe-

gleitung beschrieben ist.

Page 30: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

28

Ich halte auch die in der deutschen Sprache verwendete Ter-

minologie der Sterbehilfe - nämlich „aktiv“, „passiv“ und „in-

direkt aktiv“ für sehr missverständlich; sie ist Ausgangspunkt

mancher ethischer Fehlbewertung. Durch konkrete Benennung

des Gemeinten könnte die Diskussion an Klarheit gewinnen. Ge-

redet werden sollte dann

anstatt von „aktiver Sterbehilfe“ von „gezielter Tötung“

anstatt von „passiver Sterbehilfe“ von „Unterlassung

oder Beendigung kurativer Therapien, die nicht mehr

indiziert oder gewollt werden“ und

anstatt von „indirekt aktiver“ Sterbehilfe von „Palliativ-

therapie z.B. Schmerzlinderung unter Inkaufnahme einer

ungewollten Lebens- und Sterbeverkürzung“.

(In-) Konsistenz der deutschen Rechtsprechung

Ein weiteres brisantes Thema ist die Frage der Konsistenz oder

Inkonsistenz der Rechtsprechung; wir haben in Deutschland ja

keine Gesetzeslage sondern eine Rechtsprechungslage. Im

Kemptener Urteil von 1994 hat der 1. Strafsenat des Bundes-

gerichtshofs erstmals bei einer Wachkoma-Patientin entschie-

den, dass der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme

auch dann zulässig sein kann, wenn der Sterbevorgang noch

nicht eingesetzt hat. Entscheidend für einen solchen Verzicht

ist der Wille des Kranken. Wenn dieser nicht als Patientenver-

fügung vorliegt, kann gemäß dem Urteil auch auf den „mut-

maßlichen“ Willen zurückgegriffen werden, der sich aus münd-

lichen Äußerungen des Patienten, seiner religiösen Überzeu-

gung oder seiner Wertewelt rekonstruieren lassen soll. Ob und

mit welcher Sicherheit das möglich ist, bleibt natürlich ein

Streitthema.

Kontrovers diskutiert wird auch die Frage, wie verbindlich eine

schriftliche Patientenverfügung sein kann. Gegen die unkriti-

sche Gültigkeit von schriftlichen Verfügungen zugunsten einer

Therapiebegrenzung wird auch von Ärzten eingewandt, dass

Betroffene ihre „wahre“ Entscheidung in kritischen Lebenssi-

tuationen nicht vorhersehen könnten und beispielsweise viel-

leicht in der konkreten Situation doch eine bestimmte Be-

handlung zum Überleben gewollt hätten. Wir erleben das bei

ALS-Patienten ja immer wieder, dass sich die Entscheidung än-

dert. Solche Änderungen sind also unbestreitbar und der krebs-

kranke Francois Mitterand hat einmal gesagt: „Leiden, das man

sich vorstellt ist unerträglich – das Leiden, das man erlebt, ist

erträglich.“

Allerdings ist der Bundesgerichtshof 2003 diesen relativie-

renden Einwänden insofern entgegengetreten, in dem er die

Verbindlichkeit der Patientenverfügung im Fall eines Wachko-

mapatienten gestärkt hat: Nach Ansicht des BGH darf eine Ver-

fügung nicht unterlaufen werden „unter spekulativer Berufung

darauf, [...] dass der Patient vielleicht in der konkreten Situa-

tion doch etwas anderes gewollt hätte“.

Damit wird dem Patienten zugunsten seiner Selbstbestimmung

durch Antizipation ein Irrtumsrisiko zugestanden und aufer-

legt, welches er im Falle des späteren Verzichts auf lebensver-

längernde Maßnahmen meist nicht überleben wird. Verfügun-

gen sollen umso bindender sein, je konkreter sie auf eine be-

stimmte gesundheitliche Situation Bezug nehmen. Damit be-

steht in der Praxis die Frage wie genau und detailliert denn eine

Patientenverfügung formuliert sein muss, um hohen Verbind-

lichkeitscharakter zu erlangen. Eine Lösung dürfte in der Kom-

bination einer so detailliert wie möglich verfassten Patienten-

verfügung mit einer Vorsorgevollmacht liegen. Dabei wird für

den Fall der Entscheidungsunfähigkeit eine vertraute Person

benannt, die Entscheidungen treffen und durchsetzen kann und

die Inhalte einer Patientenverfügung an die aktuelle Situation

justieren kann.

In der BGH-Entscheidung von 2003 ist allerdings eine große

Unklarheit enthalten: Obwohl es um einen stabilen Wachkoma-

Patienten ging, wird im Urteil gesagt, dass eine Abbruchsent-

scheidung nur auf irreversible Sterbevorgänge begrenzt sein

dürfte. Die aber liegt bei einem stabilen Wachkoma-Patienten

doch eigentlich gar nicht vor. Weil das niemand verstanden hat,

hat die Vorsitzende Richterin des 12. Zivilsenats in einem FAZ-

Interview gemeint, irreversible Sterbevorgänge seien all jene,

in denen ein Patient – so wörtlich – „bei einem natürlichen Ver-

lauf seiner Krankheit ohne künstliche ärztliche Hilfsmittel ster-

ben würde“. Da kann man nur den Kopf schütteln, denn danach

wäre auch ein insulinpflichtiger Diabetiker ein irreversibel Ster-

bender.

Solche Inkonsistenzen und handwerkliche Fehler in der Recht-

sprechung verunsichern; sie mögen zwar die intellektuelle Dis-

kussion in den juristischen Fachblättern beleben, aber sie ge-

fährden den mühsam errungenen Spielraum, den wir Ärzte nur

dann wahrnehmen können, wenn wir auf eine einigermaßen in

sich schlüssige und konsistente Rechtsprechung vertrauen kön-

nen. Wenn die Rechtsprechung Unsicherheit erzeugt, fallen

Ärzte im Alltag nämlich am ehesten wieder in die oben zitier-

te „Prinzipienethik“ zurück, „immer alles zu tun“.

Page 31: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

29

Angesichts dieser Inkonsistenzen und angesichts der zuvor er-

wähnten schlechten Informiertheit von Ärzten und Richtern bin

ich mittlerweile – anders als früher – auch der Meinung, dass

die Rechtsprechungslage in Deutschland durch eine Gesetzes-

lage abgelöst werden sollte.

Politik und Gesellschaft: die Kommissionen

Im Moment ist die politische und gesellschaftliche Meinungs-

bildung zum Thema der Gültigkeit von Patientenverfügungen

in vollem Gange und es haben sich in Politik und Gesellschaft

in den letzten Jahren mehrere Kommissionen zu Wort gemel-

det.

So hat die vom Bundesministerium der Justiz eingesetzte Ar-

beitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ (nach

ihrem Vorsitzenden auch „Kutzer-Kommission“ genannt) eine

gesetzliche Verankerung der hohen Verbindlichkeit von Pa-

tientenverfügungen vorgeschlagen. Ihre Gültigkeit soll für alle

Bereiche und Stadien von Krankheit und Sterben gelten, auch

wenn der Sterbeprozess noch nicht eingesetzt hat oder gar

nicht absehbar ist. Die Enquete-Kommission „Ethik und Recht

der modernen Medizin“ des Bundestages dagegen spricht sich

mehrheitlich in einem Zwischenbericht dafür aus, die Verbind-

lichkeit der Patientenverfügung nicht für Zustände zuzulassen,

bei denen das Sterben nicht absehbar sei z.B. beim Wachko-

ma. Hier wird für solche Zustände praktisch „Lebenspflicht“ ver-

ordnet aufgrund der Befürchtung, dass ansonsten aus ökono-

mischen Gründen Wachkoma-Patienten durch Einstellung der

Ernährung quasi entsorgt würden. Die rheinland-pfälzische Bio-

ethik-Kommission liegt näher an der Kutzer-Kommission, for-

dert aber verpflichtend die Schriftform einer Verfügung. Ein

vorgelegter Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums

zur Modifikation des Betreuungsrechts – angelehnt an den Vor-

schlägen der Kutzer-Kommission – wurde wieder zurückgezo-

gen. Am 2. Juni 2005 hat sich der Nationale Ethikrat auch eher

in Richtung der Empfehlungen der Kutzer-Kommission ausge-

sprochen.

Gefahren und Brennpunkte

Aufklärung und Beratung: Wenn man sieht mit welchem Auf-

klärungsaufwand ein chirurgischer Minimaleingriff befrachtet

ist, müsste man sich schon wundern, wenn eine therapiebe-

grenzende Patientenverfügung gänzlich ohne Beratung mög-

lich sein soll.

Welche Verfügung? Ein Problem ist auch die verwirrend hohe

Anzahl unterschiedlicher Muster für Patientenverfügungen.

Hier ist die entsprechende Broschüre des Bayerischen Justiz-

ministeriums sicherlich eine der besten.

In welcher Krankheitsphase ist eine Verfügung wirksam? Wie

bereits oben erwähnt, finde ich es sehr schwierig, dass kurz

nach der Einlieferung auf der neurologischen Intensivstation

heute bereits Patientenverfügungen gezückt werden und jeg-

licher Therapie ablehnend begegnet wird mit dem Hinweis auf

die „Möglichkeit“ der Entwicklung eines „nicht gewollten“

schlechten Zustandes, obwohl in dieser Situation noch gar

keine Prognose abgegeben werden kann und damit auch nicht

gesagt werden kann, ob der in der Verfügung genannte Zustand

überhaupt eintreten würde.

Self-Fulfilling-Prophecies: Wenn man problematische Krank-

heitsverläufe gar nicht mehr zulässt, wird man in eine Spirale

der „Self-fulfilling-prophecy“ hineingeraten: Man bekommt die

überraschenden und guten Verläufe gar nicht mehr mit – weil

schon zuvor therapeutisch de-eskaliert wurde – und sieht sich

darin bestätigt, dass bestimmte Erkrankungen immer eine

schlechte Prognose hätten.

Ökonomie: Wir werden nicht verhindern können, dass sich auch

ökonomische Aspekte zunehmend in unsere Entscheidungen hi-

neindrängen; bereits heute gibt es ja Verteilungskonflikte bei

der Organtransplantation. Soll beispielsweise mit drei explan-

tierten Organen – Herz-Lunge-Niere – aus einem Spender

einem „Dreiorganempfänger“ oder drei „Einorganempfängern“

geholfen werden? Solchen Fragen widmet sich die so genann-

te „Allokationsethik“. Ein simples utilitaristisches Konzept nach

dem Motto „Die Zahl der Nutznießenden zählt“ (the number

counts) hilft hier wenig weiter.

Wenngleich ich die o.g. Vorstellungen der Bundestagsenque-

te-Kommission – die ja für gewisse Stadien schwerer Erkrankung

eine Lebenspflicht verordnen – höchst problematisch finde, ver-

stehe ich allerdings die darin zum Ausdruck kommenden Be-

denken hinsichtlich eines ökonomisch motivierten „slippery-

slopes“ zur „Entsorgung“ jeglicher Krankheit und Gebrechlich-

keit. Man ist auch persönlich irritiert, wenn einem ältere Men-

schen auf die Frage nach den Gründen für eine verfasste Pa-

tientenverfügung antworten, sie wollten den Kindern und den

Jüngeren einmal nicht zur Last fallen. Aber wenn man Ökono-

mie betrachtet, muss man alle ihre Aspekte und Interessen kri-

tisch bewerten: auch diejenigen einer Industrie, die Milliarden

Euro an künstlicher Ernährung verdient oder diejenigen von Un-

ternehmen, die sich auf die Errichtung gewinnbringender Lang-

zeitpflegeplätze für Wachkoma-Patienten spezialisieren, was

manche Familien in den finanziellen Ruin stürzt.

Page 32: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

30

Forderungen an die klinisch und wissenschaftlich tätige neuro-logische Intensivmedizin

Wir sollten unsere vorhandenen Handlungsspielräume - die ich

hoffentlich aufzeigen konnte – nutzen; wir sollten uns nicht ins

„juristische Boxhorn“ jagen lassen, wir sollten unsere Stimme

als Neurologen, die kompetent sind in den meisten öffentlich

diskutierten Fällen, erheben – auch um manchem geäußertem

Unsinn entgegenzutreten.

Dazu müssen wir aber kompetent sein und uns informieren und

fortbilden. Nach anfänglicher Skepsis schätzte ich mittlerwei-

le Formen, mit denen die Ethikdebatte in professionalisierter

und institutionalisierter Form in Krankenhäusern lebt; das sind

Ethikzirkel, Ethikforen und Ethikkonsile – hier darf ich etwas

Eigenwerbung machen – wie wir sie im Klinikum Nürnberg ein-

gerichtet haben. Das hat viele Mitarbeiter zum Mitdenken und

Mitarbeiten bewegt, und wir exportieren jetzt unsere Experti-

se in Kooperation mit drei Lehrstühlen für Medizinethik in

Basel, Göttingen und Erlangen. Wissenschaftlich ist belegt,

dass Ethikkonsile eine hohe Akzeptanz genießen und die Qua-

lität der Entscheidungen positiv beeinflussen.

Die angesprochenen Themen bedürfen aber vor allem auch der

klinischen und der Grundlagenforschung. Man darf sie nicht nur

in intellektuellen Kamingesprächen oder Festvorträgen be-

handeln, sondern muss sich empirisch den vielen offenen me-

dizinischen und sozialpsychologischen Fragen annehmen: Wie

sind die Folgen, wenn wir uns am Ende des Lebens so oder so

verhalten? Amerikanische Arbeiten haben hier gute Vorarbeit

in der neurologischen Intensivmedizin geleistet und bereits er-

wähnte Gefahren aufgezeigt: Stichwort „self-fulfilling prophe-

cies“. Wissenschaftliche Untersuchungen haben auch heraus-

gefunden, dass die Vergabe von „Do-not-resuscitate Orders“ bei

Patienten mit intrazerebralen Blutungen teilweise zu unange-

messenem Verzicht auf andere Therapieregimes führt. Wichtig

ist auch die elaboriertere Klärung ungelöster Fragen der Rest-

hirnfunktionen bei Wachkomapatienten oder die Fragen von

Hunger- und Durstreaktionen oder -empfindungen solcher Pa-

tienten.

Fazit

Kompetente Behandlung in Todesnähe muss und darf Spiel-

räume nützen, dazu bedarf es jedoch der Kenntnis und des

Sich-Einlassens auf die ethischen Ansprüche und die rechtli-

chen Normen. Dies und die darüber geführte ständige offene

Diskussion im Behandlungsteam sollten dazu führen, dass der

Umgang mit komplexen ethisch brisanten Situationen nicht

mehr länger defensiv als „manchmal unvermeidbar“, sondern

als unsere originäre Aufgabe in der neurologischen Intensiv-

medizin betrachtet wird, für die eine Station ebenso aktiv und

selbstverständlich gerüstet sein muss wie für das Management

rein medizinischer Probleme und Komplikationen. Eine ethisch

komplexe Situation muss genauso professionell in Angriff ge-

nommen werden wie ein Multiorganversagen.

Dabei werden Konflikte, Verwerfungen und Fehlentscheidungen

im genannten Spannungsfeld nicht ausbleiben. Irrtum auf

hohem Niveau gehört zu unserem Beruf und ist ein Teil des

Spannenden und positiv Herausfordernden am Arztberuf.

Page 33: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

31

„Das Ethik-Forum ist in der Kürze seines Bestehens eine schon

sehr bekannte und etablierte Institution des Klinikums“, lau-

tet das Fazit einer Studie über ethische Themen im Klinikum

Nürnberg. Im Rahmen seiner Diplomarbeit hat der Pflegema-

nagement-Student Toralf Lehnert von der Evangelischen Fach-

hochschule Nürnberg Ende 2005 die Umsetzbarkeit der

Empfehlungen für den ethischen Umgang mit Schwerstkranken

und Sterbenden im Klinikum Nürnberg untersucht. Sein

Schwerpunkt lag dabei auf der allgemeinen Kenntnis der im No-

vember 2004 beschlossenen Empfehlungen und ihrer prakti-

schen Anwendungen.

Insgesamt 500 Fragebögen hatte Lehnert verteilt, 191 bekam

er ausgefüllt zurück, 115 von Mitarbeitern des Klinikums und

76 von Auszubildenden des Schulzentrums für Krankenpflege-

berufe. Ethik war dabei das Thema, das die meisten im Rahmen

ihres Berufs zusätzlich für wichtig erachteten, noch vor Wirt-

schaft, Recht und Umwelt. Für 84 sind ethische Themen sehr

wichtig, für 77 wichtig. Nur sieben hielten sie für unwichtig

oder völlig unwichtig.

Die Empfehlungen des Klinikums für den ethischen Umgang mit

Schwerstkranken und Sterbenden kannten 43 Prozent der Be-

fragten nicht. Mitarbeiter und Auszubildende unterschieden

sich hierbei gravierend. Während 62 Prozent der Mitarbeiter die

Empfehlungen kannten, waren es nur 47 Prozent der Auszu-

bildenden.

Die überwiegende Mehrheit hielt die Empfehlungen für deut-

lich und verständlich formuliert und die Verantwortlichkeiten

für klar erkennbar. Ob die Empfehlungen jedoch ausreichen, be-

zweifelten viele. Ob der vorgegebene Standard ausreichend ist,

den Patientenwillen umzusetzen, beantworteten 36 mit „Weiß

ich nicht“, 35 mit „Nein“ und nur 31 mit einem „Ja“.

Dass man sich beim Centrum Kommunikation Information und

Bildung (CeKIB) des Klinikums zur Umsetzung der ethischen

Empfehlungen fortbilden kann, wussten 47 Prozent der Mitar-

beiter und 81 Prozent der Schüler nicht. Die Befragten kriti-

sierten dabei vor allem den Mangel an Informationen, äußer-

ten aber auch den Wunsch nach kurzer prägnanter Informati-

on, anstatt tagelanger Fortbildungen.

Die Ethikberatung war dagegen den meisten geläufig. 72 Pro-

zent der Mitarbeiter und 43 Prozent der Auszubildenden wuss-

ten von ihrer Existenz. Rund zwei Drittel würden eine Ethikbe-

ratung in Anspruch nehmen, nur knapp drei Prozent würden

dies nicht tun. Diejenigen, die eine solche Beratung nicht in

Anspruch nehmen würden oder dies noch nicht wissen, gaben

als Grund für ihr Votum Zeitmangel, fehlende Informationen,

fehlendes Vertrauen oder die Beratung sei ja „reinste Theorie“

an.

Bei den Interviews, die Lehnert mit Mitarbeitern und Auszu-

bildenden führte, waren einige Aussagen dabei, die der ange-

hende Pflegemanager für „sehr nachdenkenswert“ hält. „Wenn

sich eine kleine Krankenschwester an die Ethikberatung wen-

det, würde dies nur als Besserwisserei angesehen werden“.

sagte z.B. ein Mitarbeiter. Ein anderer meinte, die Entschei-

dungsgewalt über Behandlungskonzepte liege doch „sowieso

beim Arzt“. Ein Auszubildender gab an, er würde für die Ethik-

beratung „keine Freizeit opfern“, die Beratung bringe „so oder

so nicht viel“. „Ich denke da wird nichts Gescheites geredet“,

meinte ein anderer.

Hier müsse, so Lehnert, neben dem Informationsnachholbedarf

vor allem der Auszubildenden qualitativ weiter gearbeitet wer-

den. Für ihn ist es z.B. unabdingbar, dass die ethischen Emp-

fehlungen den Status von Empfehlungen beibehalten, denn

eine qualitative Umsetzung in der Praxis könne nur erreicht

werden, „wenn jeder Einzelne verinnerlicht hat, worum es geht

und dass jeder ein Stück Verantwortung übernehmen muss“.

„Die persönliche und moralische Haltung, Entscheidung und

Handlung kann nicht befohlen werden“, betont Lehnert. Es sei

vielmehr entscheidend, das eigene Handeln reflektieren zu kön-

nen. Diese Fähigkeit und Bereitschaft müsse gefördert werden,

und gerade deshalb sei Ethik „ein unverzichtbarer Bestandteil

jeder Unternehmenskultur“.

Evaluationsstudie zum Ethik-Projekt

Hohes Interesse an Beratungen

Page 34: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

32

Page 35: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

33

Das Klinikum Nürnberg mitsamt seinen Tochterunternehmen ist

ein Unternehmen, das ethischen Grundsätzen verpflichtet ist.

Diese betreffen alle Dienstleistungen am Patienten, die Ge-

staltung organisatorischer Abläufe, die Kommunikation zwi-

schen Mitarbeiter/innen und beteiligten innerklinischen Insti-

tutionen sowie die Leitungen aller Ebenen.

Die im Ethik-Code des Klinikums Nürnberg formulierten ethi-

schen Grundsätze wurden in einem offenen Diskussionsprozess

erarbeitet. Sie sind keine endgültigen Festlegungen, sondern

einer lebendigen Überprüfung und Weiterentwicklung zugäng-

lich. In diesem Sinne ist der Ethik-Code eine öffentliche Selbst-

verpflichtung auf eine in der täglichen Arbeit aller Mitarbei-

ter/innen des Hauses verbindliche Grundlage aller Entschei-

dungsprozesse und Tätigkeiten. Der Ethik-Code ist ein Bezugs-

rahmen, aus dem im Einzelfall konkrete verhandelte Verhal-

tens- und Handlungsanweisungen abgeleitet werden können.

Bei dieser ethischen Selbstverpflich-

tung des Klinikums sind verschiedene

Dimensionen zu berücksichtigen: Im

Vordergrund muss die verbindliche

ethische Grundhaltung bei allen di-

rekt patientenbezogenen Interven-

tionen stehen.

Diese können in der täglichen Arbeit aber nur realisiert wer-

den, wenn auch in die Unternehmenskultur des Klinikums ethi-

sche Grundsätze der wechselseitigen Kommunikation zwischen

Verwaltung, Kliniken und Instituten, zwischen Leitungsebene

und Mitarbeiterschaft, sowie innerhalb der Einheiten einflie-

ßen.

Dabei wirken die verschiedenen Berufsgruppen kooperativ mit-

einander, wie dies u. a. in den Grundsätzen zur kooperativen

Klinikleitung festgelegt ist. Die ethischen Grundsätze des Kli-

nikums ergänzen die Vorgaben der Unternehmenssatzung, ju-

ristische Grundsätze wie Straf- und Berufsrecht und berufs-

gruppen-spezifische Festlegungen, wie die Berufsordnung für

Ärzte oder andere normative Festlegungen für die Erbringung

medizinisch/pflegerischer Leistungen.

Der Ethik-Code soll hierbei sicherstellen, dass weder ökonomi-

sche noch wissenschaftliche oder andere gesellschaftliche In-

teressen die Oberhand im jeweiligen Entscheidungsprozess ge-

winnen, sondern dass die Würde des einzelnen Patienten und

seine stets individuelle Situation Maßstab allen Handelns sind.

Ethische Grundsätze im Umgang mit Patienten

Entsprechend dem Nürnberger Ärztekodex von 1947 steht der

Patient im Mittelpunkt aller Dienstleistungen. Die Beachtung

ethischer Grundsätze soll sicherstellen, dass die

Patienten/innen des Klinikums Nürnberg stets mit höchster

Fachkompetenz behandelt und betreut werden. Die ethische

Selbstverpflichtung und Reflexion soll verdeutlichen, dass jede

Intervention am Patienten in einem Spannungsfeld von wi-

derstreitenden ethischen Prinzipien (z. B. bei der Entscheidung

über lebensverlängernde Maßnahmen)

stehen kann. Auch zwischen medizini-

schen und ökonomischen Gesichtspunk-

ten sind Spannungen unvermeidbar. Sie

müssen in jedem Einzelfall individuell und

kooperativ ausgetragen werden. Wirt-

schaftlichkeit und Ethik sind dabei kein Gegensatz. Vielmehr

dient der möglichst effiziente und effektive Umgang mit Res-

sourcen auch der möglichst optimalen Patientenversorgung.

Die unmittelbare Verantwortlichkeit von Ärzten und Pflege-

kräften gegenüber jedem einzelnen Patienten ist im Klinikum

Nürnberg Grundlage aller Entscheidungs- und Handlungspro-

zesse. Die Achtung der Würde jedes einzelnen Patienten um-

fasst den Schutz sowie den Respekt vor dessen Autonomie.

Dazu gehören immer bestmögliche Aufklärung, Information

und Achtung der Patientenrechte.

Entscheidungen in jedweden Krankheitsverläufen müssen

transparent gemacht werden; das Wohl des Patienten steht

immer im Vordergrund, auch wenn dies mit betrieblichen Zie-

len kollidiert.

Materialien zum Ethik-Projekt:

Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg

Der Ethik-Code soll sicherstellen, dass die Würde des einzelnen Patienten und seine stets individuelle Situation Maßstab allen Handelns sind.

Page 36: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

34

Diagnostische und therapeutische Entscheidungen sind leitli-

niengeprägt. Das Klinikum strebt evidenzbasierte Entschei-

dungsgrundlagen an, um die für den Pa-

tienten erforderliche diagnostische und

therapeutische Entscheidung auf derzei-

tigem Wissensniveau zu erzielen. Ziel ist

eine Medizin nach Maß, die dem Patien-

ten nützt und seiner individuellen Krank-

heits- und Lebenssituation gerecht wird.

Auch die Einführung neuer diagnostischer und therapeutischer

Methoden wird sich an den Grundsätzen evidenzbasierter Me-

dizin und Pflege orientieren.

Im unmittelbaren Umgang mit Patienten, insbesondere mit lei-

denden oder sterbenden Menschen sind die Gebote der Acht-

samkeit und Behutsamkeit vorrangig zu befolgen. Die Vermei-

dung von Schädigung mit Schmerzen, Unannehmlichkeiten,

Peinlichkeiten, Beunruhigungen sind ein wichtiger Teil unse-

rer Sorge für den Patienten. Grundsätze der Gleichbehandlung

aller unserer Patienten bedeuten, dass in jedem Einzelfall für

den betroffenen Patienten versucht wird, die bestmögliche Ent-

scheidung zu treffen und dass jedwede Benachteiligungen

wegen des Geschlechts, der Nationalität, Hautfarbe oder so-

zialen Herkunft eines Patienten unterbleiben.

Ethische Grundsätze als Bestandteil der Klinikumskultur

Die oben genannten Grundsätze bei der Erbringung medizini-

scher Dienstleistungen am Patienten wirken in die Unterneh-

menskultur zurück. Sie können in der Versorgung des Patien-

ten nur dann praktiziert werden, wenn sie auch im kollegialen

Umgang miteinander gelebt werden.

Die Berücksichtigung ethischer Konzep-

te bei der Wahrnehmung der Versor-

gungsverpflichtung am Patienten muss

auch in die Unternehmensphilosophie

von Dienstleistern des Unternehmens,

die nicht in direktem Patientenkontakt stehen, Eingang finden.

Dies ist auch für die einzuleitenden Veränderungsprozesse im

Kontext neuer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen zu be-

rücksichtigen.

Auch kommunikative Prozesse zwischen den nicht direkt an der

Patientenversorgung beteiligten Dienstleistern und den Klini-

ken müssen die genannten ethischen Grundsätze widerspie-

geln. Qualitätssichernde Maßnahmen reflektieren die ethischen

Grundsätze des Hauses und dürfen niemals in Gegensatz zu

ihnen geraten. Ebenso müssen Konsequenzen, die etwa aus or-

ganisatorischen Maßnahmen entstehen, stets auf ihre Verein-

barkeit mit den ethischen Grundsätzen des Hauses hin geprüft

werden.

Aus den ethischen Grundsätzen des Klini-

kums ergeben sich in den verschiedenen

dezentralen Einheiten je spezifische Kon-

sequenzen. Diese werden dort erörtert und

es werden entsprechende Festlegungen für

die alltäglichen Umsetzungen getroffen.

Dies gilt für den Umgang mit den Patienten ebenso wie für die

Kommunikation der Mitarbeiter /innen. Mit Maßnahmen wie

gezielten Fortbildungen oder der Einrichtung einer entspre-

chenden Arbeitsgruppe (Ethikforum im Klinikum Nürnberg)

wird dieser Prozess fortlaufend unterstützt.

Die fortwährende Bemühung um hohe Qualität medizinischer

und pflegerischer Dienstleistung sowie der diese unterstüt-

zenden Arbeit in den Bereichen Verwaltung, Versorgung und

Management einschließlich der qualitätssichernden Maßnah-

men (Qualitätsmanagement) trägt zur Beibehaltung hoher

fachlicher Kompetenz auf allen Ebenen bei.

Kollegialität und Führungsgrundsätze

Die Orientierung des Nürnberger Klinikums auf seine Versor-

gungsaufgaben schließt auf der Ebene der Mitarbeiter/innen

gegenseitige Verantwortlichkeit und Fairness ein. Dabei gilt die

Grundannahme, dass offene Umgangsweisen in der Mitarbei-

terschaft und loyale Führungsprinzipien sich unmittelbar auf

die Qualität der Patientenversorgung auswirken. Aus diesem

Grunde kommt dem Umgang der Mitarbeiterinnen und Mitar-

beiter untereinander und den Führungs-

grundsätzen auch eine wesentliche ethi-

sche Dimension zu:

Alle Mitarbeiter/innen haben ein Recht auf

Achtung, Wertschätzung und Respekt.

Dazu gehört das Recht auf freie Meinungsäußerung im Rahmen

der Loyalitätsverpflichtung dem Klinikum gegenüber und der

Schutz vor Diskreditierung oder gar Diskriminierung.

Das Klinikum nimmt seine Fürsorgepflicht gegenüber allen Mit-

arbeitern/innen auch unter der Perspektive wahr, dass dies dem

Patienten unmittelbar zugute kommt.

Konflikte sind patienten- oder problemorientiert, konsensori-

entiert, fair und – soweit erforderlich – nach den Grundzügen

der Vereinbarung zur Konfliktbewältigung auszutragen.

Wirtschaftlichkeit und Ethik sind kein Gegensatz. Vielmehr dient der möglichst effiziente und effektive Umgang mit Ressourcen auch der möglichst optimalen Patientenversorgung.

Qualitätssichernde Maßnahmen reflektieren die ethischen Grund-sätze des Hauses und dürfen niemals in Gegensatz zu ihnen geraten.

Page 37: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

35

Leitungsfunktionen müssen klar nachvollziehbar und gerecht

erfüllt werden, auch hier ist Fairness ein wesentliches Prinzip.

Entscheidungen sollen dem Transparenzgebot verpflichtet

sein.

Eine kooperative Arbeit in Teams trägt

zur Kommunikations- und Konfliktfähig-

keit bei und erhöht die kommunikative

Kompetenz in Entscheidungsprozessen.

Konflikte und Fehler werden produktiv

als Quelle für Lernprozesse genutzt.

Führungskräfte müssen in der Lage sein,

auch von nachgeordneten Mitarbei-

tern/innen konstruktiv geäußerte Kritik

empfangen zu können. Sie sind von

einem produktiven Fehlermanagement

nicht ausgenommen. Daneben sind im Führungsstil auch

menschliche Werte, wie Wohlwollen, Geduld, Nachsicht, Humor

und Vertrauen im Umgang mit Mitarbeitern/innen und Patien-

ten/innen erforderlich.

Leitungstätigkeit bedeutet immer, dass der Anteil von allen

Leistungserbringern an der Gesamtleistung angemessen ge-

würdigt wird.

Offene Umgangsweisen in der Mitarbeiterschaft und loyale Führungsprinzipien wirken sich unmittelbar auf die Qualität derPatientenversorgung aus. Aus diesem Grunde kommt dem Umgang der Mitarbeiterinnen undMitarbeiter untereinander und den Führungsgrundsätzen auch eine wesentliche ethische Dimension zu.

Page 38: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

36

Präambel

Das Wohl unserer Patientinnen und Patienten bezogen auf Ge-

sundheit, Krankheit, Geburt und Sterben ist der oberste Grund-

satz für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Im Umgang mit den Patientinnen und Patienten, ihren Ange-

hörigen und Besucherinnen und Besuchern bedeutet dies im

einzelnen

gegenüber unseren Patientinnen und Patienten:

Alle Entscheidungen und Handlungen sind daran zu messen, ob und wieweit sie dem Patientenwohl dienen.

Hinsichtlich des Patientenwohls sind alle unsere Patientinnen und Patienten gleich zu betrachten.

Das persönliche und professio-nelle Erscheinungsbild und Verhalten jeder Mitarbeiterin und jedes Mitarbeiters muss dazu beitragen, den Patientin-nen und Patienten Vertrauen in das Klinikum Nürnberg zu geben und zu erhalten.

Jede Patientin und jeder Patient ist eine eigenständige Persönlichkeit, die in ihrer Individualität, Autonomie und Würde von der Aufnahme bis zum Verlassen des Klinikums zu achten ist.

Jeder einzelnen Person ob Patientin/Patient, Angehöriger oder Besucher muss aufmerksam und rücksichtsvoll begegnet werden. Ein der jeweiligen Situation ange-messener, persönlicher und respektvoller Umgang wird als Bestandteil professionellen Verhaltens erwartet.

Die Privatsphäre und die Intimität unserer Patientinnen und Patienten sind zu wahren.

Die Patientinnen und Patienten haben einen Anspruch auf sachkundige und wahrheitsgemäße Information. Sie dürfen nicht „abgespeist“ oder falsch informiert werden.

In der Begegnung mit den Patientinnen und Patienten geben sich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Personen zu erkennen. Zu jeder Begegnung gehören in der Regel die persönliche Vorstellung, Begrüßung und Verabschiedung.

Maßnahmen an Patientinnen und Patienten werden nach höchsten Sicherheitsstandards durchgeführt. Sie umfassen nur solche Verrichtungen, die in dem Interesse der/des individuellen Patientin/Patienten liegen. Dies gilt auch für bewusstlose bzw. narkotisierte Patientinnen und Patienten.

Für Mitarbeiter der Klinikum Nürnberg Service GmbH, anderer Töchter des Klinikums sowie von Fremdfirmen, die auf Vertragsbasis im Klinikum arbeiten, gelten im Grundsatz dieselben Regeln im Umgang mit Patientinnen und Patienten. Bei Vertragsabschluss wird auf die ent-sprechenden Erfordernisse hingewiesen.

Im Umgang der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter-einander sind ebenfalls grundlegende Werte einzuhalten.Der Umgang muss so gestaltet sein, dass

er einer optimalen Betreuung der Patientinnen und Patienten dient. Dazu gehört auch die Bereitschaft, in qualifizierten, motivierten und kooperations-fähigen Teams mitzuarbeiten.

er der Vertrauensbildung der

Patientin/des Patienten in das Klinikum Nürnberg und in

seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dienlich ist.

Respekt voreinander und Fairness untereinander einge-halten werden.

Kritik aneinander in sachgerechter und fairer Weise vor-gebracht wird.

Es ist darauf zu achten, dass

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – auch bei gerechtfertig-

ter Kritik – nicht in ihrer Würde verletzt werden.

gewichtige Konfliktfelder nicht über längere Zeit geduldet werden. Sie sind untereinander, ggf. gemeinsam mit Vor-gesetzten, ggf. mit Hilfe von Mediatoren zu behandeln. Einzelheiten sind in der Vereinbarung zur Konfliktvermei-dung und -bewältigung geregelt.

Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg und seiner Tochterunternehmen

Jede Patientin und jeder Patient ist eine eigenständige Persönlichkeit, die in ihrer Individualität, Autonomie und Würde von der Aufnahmebis zum Verlassen des Klinikums zu achten ist.

Page 39: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

37

Führungskräfte haben in Bezug auf den Umgang mit Mitar-

beiterinnen und Mitarbeitern besondere Verantwortung. Sie

haben in ihrem Verhalten insbesondere zu beachten,

dass sie Vorbildfunktionen erfüllen.

dass ihre Vorgaben klar, fair, gerecht und Ressourcen

schonend sind.

dass sie die Qualifikation und die Motivation ihrer Nach-

geordneten fördern.

dass die Würde von Mitarbeitern geachtet und nicht

verletzt wird.

dass sie sachlich führen und nicht einschüchtern oder

drohen.

dass sie Kritik an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im

Sinne eines produktiven Elements der

Personalentwicklung konstruktiv und

sachlich vorbringen und dabei nieman-

den in Gegenwart anderer Personen dis-

kreditieren.

dass sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitar-

beiter nicht daran hindern, wichtige

Hinweise und auch Kritik an den jewei-

ligen Vorgesetzten zu äußern.

dass sie Kritik an der eigenen Person zu-

lassen.

Im Umgang mit den Einrichtungen des Klinikums Nürnberg

wird von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirtschaftli-

ches Denken erwartet. Dies schließt den schonenden Umgang

mit Gebäuden, Einrichtungsgegenständen und Arbeitsmateria-

lien ein.

Gegenüber dem Klinikum Nürnberg als öffentliches Unter-

nehmen wird die Erfüllung der Arbeitnehmerpflichten, insbe-

sondere

Loyalität

keine Diskreditierung nach außen

Verantwortlichkeit im Sinne der Verwirklichung der Grundsätze und Ziele des Klinikums

erwartet.

Umgang der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter muss so gestaltet sein,dass Respekt voreinander und Fairness untereinander eingehalten werden. Führungskräfte haben in ihrem Verhalteninsbesondere zu beachten, dass ihre Vorgaben klar, fair, gerecht und Ressourcen schonend sind und dass dieWürde von Mitarbeitern geachtet undnicht verletzt wird.

Page 40: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

38

Präambel

Unangemessener sozialer Umgang, unsoziale Verhaltensweisen

und nicht gelöste Konflikte beeinflussen das Betriebsklima

nachteilig. Die Patientenversorgung wird gestört, die Qualität

der Dienstleistungen vermindert und mannigfaltige negative

Auswirkungen für das Klinikum und seine Tochterunternehmen

entstehen.

Die Förderung eines guten Betriebsklimas ist uns deshalb ein

besonderes Anliegen. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

sind zu einem vertrauensvollen und partnerschaftlichen Mit-

einander sowie zur Erhaltung des Arbeitsfriedens angehalten.

Es wird erwartet, dass sie zu einem guten Arbeitsklima beitra-

gen und alles unterlassen, was dem entgegensteht.

Konflikte sind unvermeidbar. Sie sollen jedoch fair, tolerant

und sachlich ausgetragen werden. Es ist grundsätzlich darauf

zu achten, dass Konflikte nicht für andere Zwecke instrumen-

talisiert und in Anwesenheit Dritter (z. B. Patienten, unbetei-

ligte Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter) oder außerhalb des Klini-

kums Nürnberg erörtert werden. Die Beteiligten sollen sich be-

mühen, einvernehmliche Lösungen zu

finden.

Diese Prinzipien und Grundsätze sind Be-

standteil der Unternehmenskultur des

Klinikums und seiner Tochterunterneh-

men.

§ 1 Geltungs- und Anwendungsbereich

Die Vereinbarung gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

des Klinikums und seiner Tochterunternehmen. Ebenso für alle

Gestellungskräfte (Schwesternschaft des Roten Kreuzes, Rum-

melsberger Anstalten der inneren Mission e. V.), sofern und so-

weit für diese keine besonderen Regelungen bestehen.

Sie findet Anwendung auf Konflikte zwischen Mitarbeitern einer

Abteilung sowie auf abteilungsübergreifende Konflikte und

Konflikte unterschiedlicher Hierarchieebenen, z.B. zwischen

Vorgesetztem und Mitarbeiterin/Mitarbeiter.

Die Vereinbarung gilt für jede Art von innerbetrieblichen Kon-

flikten, z. B. Kommunikationsstörungen, persönliche Verlet-

zungen, Belästigungen auch sexueller Art, Diskriminierung, De-

mütigungen, etc.

§ 2 Prävention

Durch die Entwicklung einer fairen Streitkultur soll die Eskala-

tion von Konflikten möglichst vermieden werden. Dazu werden

Maßnahmen, wie Schulungen, Informationsveranstaltungen,

Ethik im Führungskräftelehrgang, Weiterbildungen usw. durch-

geführt.

§ 3 Konfliktbewältigung als Führungsaufgabe

Die Mitwirkung an der Entwicklung und Erhaltung einer fairen

Streitkultur ist eine Führungsaufgabe. Dazu

gehört die Bereitschaft, an entsprechenden

Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen.

Alle Führungskräfte sind verpflichtet, beim

Auftreten von Konflikten in ihrem Verant-

wortungsbereich im Sinne dieser Vereinba-

rung einzugreifen und zu vermitteln. Zu-

nächst sollen sie dahingehend auf die Kon-

fliktparteien einwirken, dass diese selbst bzw. unter Mitwirkung

der/des Vorgesetzten und auf Wunsch einer Konfliktpartei mit

der Personalvertretung bzw. mit dem zuständigen Betriebsrat

ihren Konflikt beilegen können.

Konfliktvermeidung und Konfliktbewältigung im Klinikum Nürnberg und in seinen Tochterunternehmen

Vereinbarung zwischen dem Klinikum Nürnberg, vertreten durch den Vorstand und derPersonalvertretung des Klinikums, vertreten durch den Personalratsvorsitzenden sowieden Betriebsräten der Tochterunternehmen, vertreten durch den Betriebsratsvorsitzenden

Konflikte sind unvermeidbar. Sie sollen jedoch fair, tolerant und sachlich ausgetragen werden. Durch die Entwicklung einer fairen Streitkultur soll die Eska-lation von Konflikten möglichst vermieden werden.

Page 41: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

39

§ 4 Beschwerderecht

Jede Mitarbeiterin/jeder Mitarbeiter des Klinikums, die/der

sich im Rahmen von Konflikten ungerecht behandelt oder in

sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt, hat das Recht zur Be-

schwerde.

Eine Beschwerde kann gerichtet werden an:

die Personalvertretung / den Betriebsrat

die Gleichstellungsbeauftragte, wenn die Wahrung der Interessen der Beschäftigten in Gleichstellungsfragen berührt sind.

die Schwerbehindertenvertretung, wenn Belange von Schwerbehinderten tangiert sind.

die Jugend- und Auszubildendenvertretung, bei betroffe-nen Beschäftigten, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder Dienstanfänger, Beamte im Vorbe-reitungsdienst oder Auszubildende, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

die/den unmittelbare(n) Vorgesetzte(n).

die/den nächsthöheren Vorgesetzten.

die zuständigen Mitglieder der Leitungs-konferenz.

den Vorstand des Klinikums.

die Geschäftsführung der Tochterunternehmen.

die zuständige Personalabteilung.

Die Einhaltung der einschlägigen Datenschutzrichtlinien (Ver-

traulichkeit) sind dabei zu beachten.

Im Sinne der dezentralen Ausrichtung des Klinikums (dezen-

trale Verantwortungsstruktur) sollen Konflikte möglichst in

den Abteilungen selbst bearbeitet werden. Das Überspringen

mehrerer Hierarchiestufen sollte nur dann erfolgen, wenn ge-

wichtige Gründe dies erfordern (z. B. Vorgesetzte sind Kon-

fliktpartei).

Der/die Beschwerdeführer/in kann das Verfahren einleiten,

aber auch in Abstimmung mit der beteiligten Konfliktpartei je-

derzeit die Beendigung des Verfahrens vorschlagen.

Anzuhörende Personen können von beiden Seiten benannt

werden.

§ 5 Stufen der Beschwerde-handlungen

Eine Mitarbeiterin/ein Mitarbeiter, die/der eine Beschwerde

nach § 4 vorbringt, kann zunächst ein Vermittlungsgespräch

mit dem Konfliktgegner unter Leitung der/des Vorgesetzten,

sofern diese/dieser nicht Konfliktpartei ist, verlangen. Auf

Wunsch der beschwerdeführenden oder der anderen Seite oder

der/des Vorgesetzten wird der Personalrat/Betriebsrat

und/oder eine weitere, unter § 4 infrage kommende Person,

hinzugezogen. Die beschwerdefüh-

rende Seite hat das Recht, dass die-

ses Gespräch innerhalb von zwei Wo-

chen nach ihrer/seiner Beschwerde

stattfindet.

Ergibt sich bei diesem Gespräch keine

Einigung und lässt sich eine Einigung

auch nicht mit dem nächsthöheren

Vorgesetzten der betreffenden Abteilung erreichen, so muss

zeitnah unter Leitung einer neutralen Person (Mediatorin/Me-

diator) der Versuch unternommen werden, eine einvernehm-

liche Konfliktlösung herbeizuführen.

Kommen die Konfliktparteien jedoch auch bei einer Mediati-

on zu keiner Einigung oder besteht der ursprüngliche Anlass

der Beschwerde weiter, so kann die Einberufung des Vermitt-

lungsausschusses entweder beim Personalrat/Betriebsrat oder

dem zuständigen Ressortleiter beantragt werden.

Jede Mitarbeiterin / jeder Mitarbeiter des Klinikums, die / der sich im Rahmen von Konflikten ungerecht behandeltoder in sonstiger Weise beein-trächtigt fühlt, hat das Recht zur Beschwerde.

Page 42: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

40

Dieser Weg gilt auch für abteilungsübergreifende Konflikte,

wobei die Vorgesetzten der betroffenen Abteilungen zu betei-

ligen sind.

Sofern erforderlich, werden die dezentralen Einheiten/Toch-

terunternehmen bei der Suche nach einem geeigneten Media-

tor/einer geeigneten Mediatorin durch die zuständige Perso-

nalabteilung bzw. Personalvertretung/Betriebsrat unterstützt.

§ 6 Einberufung des Vermittlungsausschusses

Die Anrufung des Vermittlungsausschusses kann von den Ge-

schäftsführern der Tochterunternehmen, von den Verantwort-

lichen für Ärztliche Grundsatzfragen und Pflegerische Grund-

satzfragen, dem Personalrat oder dem zuständigen Betriebsrat

beim Vorstand beantragt werden, der über die Einberufung des

Vermittlungsausschusses entscheidet.

§ 7 Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses

Der Vermittlungsausschuss besteht aus sieben Personen und

wird fallbezogen berufen.

Die drei Vertreter der Arbeitgeberseite werden vom Vorstand,

die drei Vertreter der Arbeitnehmerseite von der Personalver-

tretung/vom zuständigen Betriebsrat benannt, wobei auch ex-

terne Benennungen möglich sind.

Den Vorsitz übernimmt eine neutrale Person, die einvernehm-

lich von Vorstand und Personalvertretung/vom zuständigen Be-

triebsrat bestimmt wird.

Die Geschäftsführung des Vermittlungsausschusses liegt beim

Vorstand. Dieser lässt ggf. vorliegende Unterlagen zusammen-

stellen. Die Einladung zur Sitzung des Vermittlungsausschus-

ses erfolgt in Abstimmung mit den Mitgliedern des Vermitt-

lungsausschusses.

Die unmittelbar am Konflikt Beteiligten und der/die Vorge-

setzte(n), sowie die von den Parteien benannten Personen sind

anzuhören.

Der Vermittlungsausschuss soll nach dem Konsensprinzip mög-

lichst einstimmig entscheiden. Stimmenthaltung ist nicht mög-

lich. Kommt eine einstimmige Entscheidung nicht zustande,

entscheidet die Stimmenmehrheit.

Alle Mitwirkenden im Vermittlungsausschuss sind zur Vertrau-

lichkeit verpflichtet.

Der Vermittlungsausschuss schlägt dem Vorstand Maßnahmen

zur Beilegung des Konfliktes vor.

Die Rechte des Betriebsrats nach dem BetrVG/der Personal-

vertretung nach dem BayPVG und die Rechte des Vorstandes

sowie einschlägige tarifliche und arbeitsrechtliche Normen blei-

ben unberührt.

§ 8 Inkrafttreten

Die Vereinbarung tritt am 1. August 2001 in Kraft. Sie kann in-

nerhalb einer Frist von drei Monaten gekündigt werden, wobei

darauf zu achten ist, dass die zum Zeitpunkt der Kündigung an-

stehenden Konflikte unter Beachtung der Vereinbarung noch

behandelt werden.

Ungeachtet dessen wird in jährlichen Abständen eine gemein-

same Bewertung durch Vorstand, Personalrat und Betriebsrat

vorgenommen, um evtl. notwendige Anpassungen durchführen

zu können.

Klaus Wambach Peter SchuhVorstand des Klinikums Vorsitzender Personalvertretung

Page 43: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

41

1. Grundsätze

1.1. Aufgabe der Mitglieder der Behandlungsteams ist es, unter

Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben

zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wieder herzustellen,

sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizuste-

hen. Die Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht nicht unter

allen Umständen.

1.2. Art und Ausmaß einer Behandlung sind gemäß der medi-

zinischen Indikation von den Mitgliedern der Behandlungs-

teams gemeinsam zu verantworten; die spezifischen Verant-

wortungsbereiche der einzelnen Mitglieder bleiben davon un-

berührt.

Die Mitglieder des Behandlungsteams müssen bei der Behand-

lung den Willen des Patienten beachten. Ein offensichtlicher

Sterbevorgang soll nicht durch lebenserhaltende Therapien

künstlich in die Länge gezogen werden. Bei seiner Entschei-

dungsfindung sollte der Arzt mit ärztlichen und pflegenden

Mitarbeitern einen Konsens suchen. Die Entscheidung hierzu

darf nicht von wirtschaftlichen Erwä-

gungen abhängig gemacht werden.

1.3. Unabhängig von anderen Zielen der

medizinischen und pflegerischen Be-

handlung und Betreuung haben die Mit-

glieder der Behandlungsteams in jedem

Fall für eine Basisbetreuung zu sorgen.

Dazu gehören u.a.: menschenwürdige

Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Lindern von

Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie Stillen von Hunger und

Durst.

1.4. Die oben genannten Grundsätze können den Mitgliedern

der Behandlungsteams die eigene Verantwortung in der kon-

kreten Situation nicht abnehmen. Alle Entscheidungen müssen

individuell erarbeitet werden. Wenn der Patient seinen Willen

eindeutig (Patientenverfügung - Vollmacht) niedergelegt hat,

ist dieser grundsätzlich zu achten.

1.5. Die Umsetzung / Anwendung des Patientenwillens wird

durch im Klinikum Nürnberg vorgegebene Standards gesichert.

1.6. Bei Minderjährigen und Neugeborenen bedarf es eines be-

sonderen Einvernehmens mit allen Betroffenen / Beteiligten.

1.7. Im Klinikum Nürnberg soll bei Zweifelsfällen die Möglich-

keit der ethischen Beratung durch die Klinische Ethikberatung

genutzt werden (z. B. durch ZME, Ethikkreise, Ethikzirkel, etc.).

1.8. Zur Anwendung gelten im Klinikum Nürnberg die Grund-

sätze der Bundesärztekammer (Deutsches Ärzteblatt, Heft 19

vom 7. Mai 2004).

1.9. Zur Erstellung von Patientenverfügungen, Betreuungsver-

fügungen und Vollmachten wird den Patienten im Klinikum

Nürnberg die Broschüre des Bayerischen Justizministeriums der

Justiz vom Februar 2003 empfohlen.

(Anmerkung: Die Umsetzung in den Kliniken ist durch Standards

geregelt.)

Empfehlungen zum ethischen Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden, Patientenverfügungen und Vollmachten(Stand 20.9.2004)

Die Mitglieder des Behandlungs-teams müssen bei der Behandlungden Willen des Patienten be-achten. Ein offensichtlicher Sterbe-vorgang soll nicht durch lebens-erhaltende Therapien künstlich in die Länge gezogen werden.

Page 44: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

42

Page 45: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

43

Präambel

Aufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung des Selbstbestim-

mungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu

schützen und wieder herzustellen sowie Leiden zu lindern und

Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die ärztliche Verpflich-

tung zur Lebenserhaltung besteht daher nicht unter allen Um-

ständen.

So gibt es Situationen, in denen sonst angemessene Diagnos-

tik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und Begren-

zungen geboten sein können. Dann tritt palliativ-medizinische

Versorgung in den Vordergrund. Die Entscheidung hierzu darf

nicht von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig gemacht wer-

den.

Unabhängig von anderen Zielen der medizinischen Behandlung

hat der Arzt in jedem Fall für eine Basisbetreuung zu sorgen.

Dazu gehören u. a.: menschenwürdige Unterbringung, Zuwen-

dung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen, Atemnot und

Übelkeit sowie Stillen von Hunger und Durst.

Art und Ausmaß einer Behandlung sind gemäß der medizini-

schen Indikation vom Arzt zu verantworten; dies gilt auch für

die künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr. Er muss dabei

den Willen des Patienten beachten. Ein offensichtlicher Ster-

bevorgang soll nicht durch lebenserhaltende Therapien künst-

lich in die Länge gezogen werden. Bei seiner Entscheidungs-

findung soll der Arzt mit ärztlichen und pflegenden Mitarbei-

tern einen Konsens suchen.

Aktive Sterbehilfe ist unzulässig und mit Strafe bedroht, auch

dann, wenn sie auf Verlangen des Patienten geschieht. Die Mit-

wirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärzt-

lichen Ethos und kann strafbar sein.

Diese Grundsätze können dem Arzt die eigene Verantwortung

in der konkreten Situation nicht abnehmen. Alle Entscheidun-

gen müssen individuell erarbeitet werden.

I. Ärztliche Pflichten bei Sterbenden

Der Arzt ist verpflichtet, Sterbenden, d.h. Kranken oder Ver-

letzten mit irreversiblem Versagen einer oder mehrerer vitaler

Funktionen, bei denen der Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu

erwarten ist, so zu helfen, dass sie unter menschenwürdigen

Bedingungen sterben können.

Die Hilfe besteht in palliativ-medizinischer Versorgung und

damit auch in Beistand und Sorge für Basisbetreuung. Dazu ge-

hören nicht immer Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, da sie für

Sterbende eine schwere Belastung darstellen können. Jedoch

müssen Hunger und Durst als subjektive Empfindungen gestillt

werden.

Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens dürfen in Überein-

stimmung mit dem Willen des Patienten unterlassen oder nicht

weitergeführt werden, wenn diese nur den Todeseintritt ver-

zögern und die Krankheit in ihrem Verlauf nicht mehr aufge-

halten werden kann. Bei Sterbenden kann die Linderung des

Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine möglicherweise

dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hinge-

nommen werden darf. Eine gezielte Lebensverkürzung durch

Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder das Sterben be-

schleunigen sollen, ist als aktive Sterbehilfe unzulässig und mit

Strafe bedroht.

Die Unterrichtung des Sterbenden über seinen Zustand und

mögliche Maßnahmen muss wahrheitsgemäß sein, sie soll sich

aber an der Situation des Sterbenden orientieren und vorhan-

denen Ängsten Rechnung tragen. Der Arzt kann auch Angehö-

rige des Patienten und diesem nahe stehende Personen infor-

mieren, wenn er annehmen darf, dass dies dem Willen des Pa-

tienten entspricht. Das Gespräch mit ihnen gehört zu seinen

Aufgaben.

Dokumentation

Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung

Page 46: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

44

II. Verhalten bei Patienten mit infauster Prognose

Bei Patienten, die sich zwar noch nicht im Sterben befinden,

aber nach ärztlicher Erkenntnis aller Voraussicht nach in ab-

sehbarer Zeit sterben werden, weil die Krankheit weit fortge-

schritten ist, kann eine Änderung des Behandlungszieles indi-

ziert sein, wenn lebenserhaltende Maßnahmen Leiden nur ver-

längern würden und die Änderung des Therapieziels dem Wil-

len des Patienten entspricht. An die Stelle von Lebensverlän-

gerung und Lebenserhaltung treten dann palliativmedizinische

Versorgung einschließlich pflegerischer Maßnahmen. In Zwei-

felsfällen sollte eine Beratung mit anderen Ärzten und den Pfle-

genden erfolgen.

Bei Neugeborenen mit schwersten Beeinträchtigungen durch

Fehlbildungen oder Stoffwechselstörungen, bei denen keine

Aussicht auf Heilung oder Besserung besteht, kann nach hin-

reichender Diagnostik und im Einvernehmen mit den Eltern eine

lebenserhaltende Behandlung, die ausgefallene oder ungenü-

gende Vitalfunktionen ersetzen soll, unterlassen oder nicht

weitergeführt werden. Gleiches gilt für extrem unreife Kinder,

deren unausweichliches Sterben abzusehen ist, und für Neu-

geborene, die schwerste Zerstörungen des Gehirns erlitten

haben. Eine weniger schwere Schädigung ist kein Grund zur

Vorenthaltung oder zum Abbruch lebenserhaltender Maßnah-

men, auch dann nicht, wenn Eltern dies fordern. Wie bei Er-

wachsenen gibt es keine Ausnahmen von der Pflicht zu lei-

densmindernder Behandlung und Zuwendung, auch nicht bei

unreifen Frühgeborenen.

III. Behandlung bei schwerster zerebraler Schädigung und anhalten-der Bewusstlosigkeit

Patienten mit schwersten zerebralen Schädigungen und an-

haltender Bewusstlosigkeit (apallisches Syndrom; auch so ge-

nanntes Wachkoma) haben, wie alle Patienten, ein Recht auf

Behandlung, Pflege und Zuwendung. Lebenserhaltende Thera-

pie einschließlich – ggf. künstlicher – Ernährung ist daher

unter Beachtung ihres geäußerten Willens oder mutmaßlichen

Willens grundsätzlich geboten. Soweit bei diesen Patienten

eine Situation eintritt, wie unter I - II beschrieben, gelten die

dort dargelegten Grundsätze. Die Dauer der Bewusstlosigkeit

darf kein alleiniges Kriterium für den Verzicht auf lebenser-

haltende Maßnahmen sein. Hat der Patient keinen Bevoll-

mächtigten in Gesundheitsangelegenheiten, wird in der Regel

die Bestellung eines Betreuers erforderlich sein.

IV. Ermittlung des Patientenwillens

Bei einwilligungsfähigen Patienten hat der Arzt die durch den

angemessen aufgeklärten Patienten aktuell geäußerte Ableh-

nung einer Behandlung zu beachten, selbst wenn sich dieser

Wille nicht mit den aus ärztlicher Sicht gebotenen Diagnose-

und Therapiemaßnahmen deckt. Das gilt auch für die Beendi-

gung schon eingeleiteter lebenserhaltender Maßnahmen. Der

Arzt soll Kranken, die eine notwendige Behandlung ablehnen,

helfen, die Entscheidung zu überdenken.

Bei einwilligungsunfähigen Patienten ist die in einer Patien-

tenverfügung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung einer Be-

handlung für den Arzt bindend, sofern die konkrete Situation

derjenigen entspricht, die der Patient in der Verfügung be-

schrieben hat, und keine Anhaltspunkte für eine nachträgliche

Willensänderung erkennbar sind.

Soweit ein Vertreter (z. B. Eltern, Betreuer oder Bevollmäch-

tigter in Gesundheitsangelegenheiten) vorhanden ist, ist des-

sen Erklärung maßgeblich; er ist gehalten, den (ggf. auch mut-

maßlichen) Willen des Patienten zur Geltung zu bringen und

zum Wohl des Patienten zu entscheiden. Wenn der Vertreter

eine ärztlich indizierte lebenserhaltende Maßnahme ablehnt,

soll sich der Arzt an das Vormundschaftsgericht wenden. Bis

zur Entscheidung des Vormundschaftsgerichts soll der Arzt die

Behandlung durchführen.

Liegt weder vom Patienten noch von einem gesetzlichen Ver-

treter oder einem Bevollmächtigten eine bindende Erklärung

vor und kann eine solche nicht – auch nicht durch Bestellung

eines Betreuers – rechtzeitig eingeholt werden, so hat der Arzt

so zu handeln, wie es dem mutmaßlichen Willen des Patienten

in der konkreten Situation entspricht. Der Arzt hat den mut-

maßlichen Willen aus den Gesamtumständen zu ermitteln. An-

haltspunkte für den mutmaßlichen Willen des Patienten kön-

nen neben früheren Äußerungen seine Lebenseinstellung,

seine religiöse Überzeugung, seine Haltung zu Schmerzen und

zu schweren Schäden in der ihm verbleibenden Lebenszeit sein.

In die Ermittlung des mutmaßlichen Willens sollen auch An-

gehörige oder nahe stehende Personen als Auskunftspersonen

einbezogen werden, wenn angenommen werden kann, dass dies

dem Willen des Patienten entspricht.

Lässt sich der mutmaßliche Wille des Patienten nicht anhand

der genannten Kriterien ermitteln, so soll der Arzt für den Pa-

tienten die ärztlich indizierten Maßnahmen ergreifen und sich

in Zweifelsfällen für Lebenserhaltung entscheiden. Dies gilt

auch bei einem apallischen Syndrom.

Page 47: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

45

V. Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreu-ungsverfügungen

Mit Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreu-

ungsverfügungen nimmt der Patient sein Selbstbestimmungs-

recht wahr. Sie sind eine wesentliche Hilfe für das Handeln des

Arztes.

Eine Patientenverfügung (auch Patiententestament genannt)

ist eine schriftliche oder mündliche Willensäußerung eines ein-

willigungsfähigen Patienten zur zukünftigen Behandlung für

den Fall der Äußerungsunfähigkeit. Mit ihr kann der Patient sei-

nen Willen äußern, ob und in welchem Umfang bei ihm in be-

stimmten, näher umrissenen Krankheitssituationen medizini-

sche Maßnahmen eingesetzt oder unterlassen werden sollen.

Anders als ein Testament bedürfen Patientenverfügungen kei-

ner Form, sollten aber schriftlich abgefasst sein.

Mit einer Vorsorgevollmacht kann der Patient für den Fall, dass

er nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu äußern, eine

oder mehrere Personen bevollmächtigen, Entscheidungen mit

bindender Wirkung für ihn, u. a. in seinen Gesundheitsangele-

genheiten, zu treffen (§ 1904 Abs. 2 BGB).

Vorsorgevollmachten sollten schriftlich abgefasst sein und die

von ihnen umfassten ärztlichen Maßnahmen möglichst be-

nennen. Eine Vorsorgevollmacht muss schriftlich niedergelegt

werden, wenn sie sich auf Maßnahmen erstreckt, bei denen die

begründete Gefahr besteht, dass der Patient stirbt oder einen

schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden er-

leidet. Schriftform ist auch erforderlich, wenn die Vollmacht

den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen umfasst.

Die Einwilligung des Bevollmächtigten in Maßnahmen, bei

denen die begründete Gefahr besteht, dass der Patient stirbt

oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen

Schaden erleidet, bedarf der Genehmigung des Vormund-

schaftsgerichtes, es sei denn, dass mit dem Aufschub Gefahr

verbunden ist (§ 1904 Abs. 2 BGB).Ob dies auch bei einem Ver-

zicht auf lebenserhaltende Maßnahmen gilt, ist umstritten. Je-

denfalls soll sich der Arzt, wenn der Bevollmächtigte eine ärzt-

lich indizierte lebenserhaltende Maßnahme ablehnt, an das

Vormundschaftsgericht wenden. Bis zur Entscheidung des Vor-

mundschaftsgerichts soll der Arzt die Behandlung durchführen.

Eine Betreuungsverfügung ist eine für das Vormundschaftsge-

richt bestimmte Willensäußerung für den Fall der Anordnung

einer Betreuung. In ihr können Vorschläge zur Person eines Be-

treuers und Wünsche zur Wahrnehmung seiner Aufgaben ge-

äußert werden. Eine Betreuung kann vom Gericht für be-

stimmte Bereiche angeordnet werden, wenn der Patient nicht

in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen, und

eine Vollmacht hierfür nicht vorliegt oder nicht ausreicht. Der

Betreuer entscheidet im Rahmen seines Aufgabenkreises für

den Betreuten. Zum Erfordernis der Genehmigung durch das

Vormundschaftsgericht wird auf die Ausführungen zum Bevoll-

mächtigten verwiesen.

Page 48: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

46

1. Allgemeine Grundsätze

Ziel ist es, ab 1. Februar 2004 im Klinikum Nürnberg An-

sprechpartner für die Lösung akuter ethischer Fragestellungen

in Kliniken und Instituten zu sein. Im Focus sind Fragestellun-

gen aus der Arbeit und dem Umgang mit Patienten und Ange-

hörigen.

Die ZME bietet mit ihrer multiprofessionellen Zusammensetzung

Feldkompetenz für die fachliche Aufgabenstellung der Frage-

steller und Fragestellerinnen und Beratungskompetenz zur Be-

arbeitung ethischer Fragestellungen. Zur konkreten Durchfüh-

rung einer Ethikberatung bildet die Beratungsgruppe der ZME

Moderatorenteams, die möglichst aus zwei Personen unter-

schiedlicher Berufgruppen bestehen.

Die Mitglieder der ZME sind gegenüber dem Ethik Forum / Vor-

stand für Ihre Tätigkeit direkt verantwortlich. Die Mitglieder der

ZME unterliegen für die Zeit der Beratung und auch danach der

Schweigepflicht. Darüber hinaus sind sie besonders zur Wah-

rung des Dienstgeheimnisses verpflichtet.

2. Was ist eine klinische Ethikberatung?

Die Möglichkeiten der Medizin werfen bei Therapie und Pflege

von Patienten immer wieder ethische Fragen auf. Diese Fragen

betreffen auch die Qualität medizinischer und pflegerischer

Dienstleistung ganz konkret am Patienten.

Qualität wird dabei erlebt auf dem Hintergrund von Sinn- und

Wertfragen aus den individuellen Blickwinkeln der Beteiligten

und des Betroffenen (z.B. Lebensqualität). Sie orientiert sich

aber auch an den Werten und Zielen beispielsweise der ärztli-

chen und pflegerischen Berufsstände und an den gesell-

schaftlichen Wertvorstellungen.

In konkreten Entscheidungssituationen, in denen nicht allen

Beteiligten klar ist und Einigkeit darüber herrscht, welche Maß-

nahme für den betroffenen Patienten die beste ist, will klini-

sche Ethikberatung eine Hilfestellung für alle Beteiligten an-

bieten.

Beispiele für solche konkreten Entscheidungssituationen sind

Fragen zu Therapiebegrenzung, unklare Situationen in Bezug

auf den Willen eines Patienten, der Umgang mit Sterbeprozes-

sen, der Einsatz von PEG-Sonden, generell Konflikte, die aus

diesen Themen entstehen u.s.w.

Ziel der Mobilen Ethikberatung ist es, durch Moderation und

Analyse zur Lösung des ethischen Konfliktes im konkreten Ein-

zelfall beizutragen. Zur Analyse kann es auch gehören, dass die

Mobile Ethikberatung Einzelgespräche zur Erhebung und Ver-

deutlichung der wesentlichen ethischen Konflikte führt.

Die wesentlichen ethischen Aspekte und Entscheidungsaspek-

te der Diskussion werden dokumentiert und den Patientenak-

ten beigefügt.

Die Ethikberatung dient ausdrücklich nicht dazu, über die Be-

handlung des Patienten zu urteilen, bestehende Verantwort-

lichkeiten aufzuheben und evtl. anhaltende Teamprobleme zu

lösen. Sie dient vielmehr dazu, bei der Suche nach einer ethisch

begründeten und für alle Beteiligten nachvollziehbaren Ent-

scheidung zu helfen.

3. Wie läuft eine klinische Ethikberatung ab?

Der/die diensthabende Ethikberater(in) nimmt die Anfrage ent-

gegen. Er/sie klärt in einem ersten Schritt den groben Sach-

verhalt, die Beteiligten und den Kontext und entscheidet über

die Annahme als Auftrag. Im Falle einer Ablehnung verweisen

er/sie an andere zuständige Personen/ Gremien (z.B. Perso-

nalrat, Beschwerdemanagement, Supervision, Ethik Forum,

u.s.w.).

Der/die diensthabende Ethikberater(in) ruft das Moderatoren-

team zusammen und übergibt den Auftrag zu einer Ethikbera-

tung (oder übernimmt diesen selbst als Teil des Moderatoren-

teams).

Die klinische Ethikberatung selbst findet in der Regel als fall-

bezogene Besprechung vor Ort statt. Über die Teilnehmer-

(innen) entscheidet das Moderatorenteam im Benehmen mit

den Ansprechpartnern des Behandlungsteams oder evtl. auch

der Klinikleitung.

Die Zentrale Mobile Ethikberatung im Klinikum Nürnberg (ZME)

Page 49: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

47

Ebenso entscheidet das Moderatorenteam im Benehmen mit

dem Behandlungsteam über die Dauer und die Häufigkeit der

Besprechungen. Die ZME übernimmt bei diesen Besprechungen,

wie unter Punkt 2. beschrieben, die Moderation und die Pro-

zesssteuerung. Darüber hinaus kann sie sich nach den Erfor-

dernissen des Einzelfalls auch an einzelne Beteiligte wenden.

4. Wer kann den/dieEthikberater(in) anfragen?

Ärztinnen /Ärzte

Pflegepersonal

Patientinnen / Patienten

Angehörige

Sonstige Mitarbeiter (innen) des Klinikums

5. Wer ist die Zentrale Mobile Ethikberatung und wie fordert mandiese an?

Die Ethikberatung wird durch die Beratungsgruppe der Zen-

tralen Mobilen Ethikberatung im Klinikum Nürnberg gewähr-

leistet. Die jeweils aktuelle Liste der Mitglieder ist im Intranet

veröffentlicht. Die Mitglieder werden durch den Vorstand in Ab-

stimmung mit dem Ethik Forum berufen.

Anfragen werden entweder per Mail oder telefonisch an den/die

diensthabende Ethikberater(in) gerichtet.

Zur telefonischen Erreichbarkeit dient ein Piepser -System, je-

weils für KNS und KNN, mit dem der/die diensthabende Ethik-

berater/in verständigt wird und zurückruft.

Als Hilfestellung dient die „Checkliste Ethikberatung“. Mail-

adresse, Piepsernummern und Checkliste werden im Intranet

und auf einem Flyer veröffentlicht. Patienten und Angehörige

können auch über das Beschwerdemanagement vermittelt wer-

den.

6. Organisation:

Die ZME hat je nach Anfrageeingang entsprechende Wochen-

stunden zur Verfügung, die nach Bedarf in Anspruch genom-

men werden.

Aus der Beratungsgruppe werden jeweils für KNN und KNS

„diensthabende Ethikberater(innen)“ benannt, die Ansprech-

partner für Fragesteller/innen sind.

Der Zeitraum des Dienstes wird unter den Mitgliedern der ZME

organisiert. Die Verfügbarkeit erstreckt sich in der Regel von

Montag bis Freitag und ist den Dienstzeiten der Mitglieder an-

gepasst. Bei längeren Abwesenheiten, die einen Arbeitstag

überschreiten, ist eine Stellvertretung organisiert.

Die Zentrale Mobile Ethikberatung (ZME):

Piepser KNN: 5555-1741

Piepser KNS: 5533-1553

Email: [email protected]

Ansprechpartner für Grundsatzfragen:

Stephan Kolb, Geschäftsführer Ethik Forum

Sekretariat: Nurdane Polat

Tel. 398 -37 97

Fax: 398 -37 96

Page 50: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

48

Page 51: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

49

Konzeption von Ethik-Zirkeln im Klinikum Nürnberg1. Ziel der Ethik-Zirkel ist es, vor Ort die Diskussion von ethischen Themen, die sich aus

der Arbeit mit Patienten und Angehörigen ergeben, zu ermöglichen. Die ethische Refle-

xion der Arbeit in den Kliniken trägt somit auch zur Steigerung der Qualität und der Pa-

tientenorientierung bei.

2. Die Teilnahme an den Ethik Zirkeln ist zunächst offen. Sie werden von jeweils zwei

Mitgliedern der Mobilen Ethikberatung moderiert, die Sitzungsrhythmus, Teilnahme und

Regeln vor Ort mit den Teilnehmern festlegen. Das grundsätzliche Einverständnis der Kli-

nikleitung muss vorliegen.

3. Fachlich orientiert sich die Arbeit in den Ethik Zirkeln an der Konzeption der Zentra-

len Mobilen Ethikberatung (ZME), d.h. „ethische Fallbesprechungen“ stehen im Mittel-

punkt. Aufgabe der Moderatoren ist die Leitung der Sitzung und die „ethische“ Fallana-

lyse. Aus der Besprechung von solchen Fällen, auch – nicht aktuellen – können die Be-

handlungsteams Erkenntnisse und Vereinbarungen für ihre weitere Arbeit gewinnen. Be-

sprochene Fälle können dokumentiert und, falls gewünscht, den Patientenakten beige-

fügt werden.

4. Eine wichtige Voraussetzung für die Ethikzirkel ist die interdisziplinäre Zusammen-

setzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Das Ethik Forum betont die gemeinsame

Verantwortung der Mitglieder in einem Behandlungsteam, ohne die Einzelverantwortung

der Berufsgruppen aufzuheben. Zur Förderung der „ethischen“ Qualität, vor allem in

ethisch schwierigen Entscheidungs- oder Grenzsituationen, gehört aber auch eine gute

Kommunikation zwischen den beteiligten Berufsgruppen vor allem aus Medizin und

Pflege.

5. Für persönliche und dienstliche Daten, die fallbezogen bekannt werden, gilt für alle

Beteiligten Schweigepflicht.

Page 52: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

50

Der interdisziplinäre Ethikkreis der Med. Klinik 4 existiert seit zehn Jahren und hat in dieser Zeit über 150 Fälle zu Fragen von The-

rapiebeschränkung und -abbruch beraten. Der Umgang mit Entscheidungen zum Reanimationsverzicht im Krankenhaus stand auch

im Fokus eines Projekts, das der Ethikkreis der Med. Klinik 4 im Klinikum Nürnberg im März 2004 initiierte. Mit der Einführung der

„Anordnung des Verzichts auf Wiederbelebung (VaW-Anordnung)“ im Oktober 2004 wurden Leitlinien für den ethischen Entschei-

dungsprozess zum Reanimationsverzicht und ein Dokumentationsstandard in der Klinik implementiert, um die Kommunikation und

die Transparenz innerhalb des therapeutischen Teams zu fördern.

Das VaW-Verfahren wurde am Universitätsklinikum Erlangen von der Arbeitsgruppe Therapieverzicht entwickelt, im Jahr 2003 ver-

öffentlicht und vom Ethikkreis der Med. Klinik 4 aufgegriffen und praktisch umgesetzt. Nach der Implementierung wurde die An-

wendung der VaW-Anordnung in der Med. Klink 4 wissenschaftlich begleitet und mit 118 VaW-Fällen über neun Monate evaluiert.

Dazu wurde eine quantitative Dokumentenanalyse mit einer qualitativen, teilstandardisierten Befragung der Anwender kombiniert.

Die Ergebnisse zur Frage der Teamkommunikation waren zufriedenstellend, gaben aber noch Raum zur Entwicklung.

Äußerst positiv zeigte sich die Situation bezüglich der Transparenz der Entscheidungsprozesse.

Das VaW-Verfahren ließ sich in der Praxis gut umsetzen und wurde von den Anwendern in hohem Maße akzeptiert.

Im klinischen Alltag hat sich das VaW-Verfahren dauerhaft etabliert und ist heute sowohl aus dem allgemeinstationären wie auch

dem intensivstationären Bereich der Med. Klinik 4 nicht mehr wegzudenken. Dies führte auch zu Überlegungen im Ethikforum, die

VaW-Anordnung für das ganze Klinikum Nürnberg bekannt und nutzbar zu machen.

Umgang mit Entscheidungen zum Reanimationsverzicht im KrankenhausEin Projekt des Ethikkreises in der Nephrologie (Med. Klinik 4)

„Je mehr wir wissen und können, desto mehr sind wir verantwortlich für unser Tun und Unterlassen (Vollmann, 2004).“

Bewertung der Teamkommunikation – Teamgespräche stattgefunden

Dokumentenanalyse Anwenderbefragung

Allgemeinstationen 44,9 %

Intensivstation 87,7 %

total 62,7 %

Mediziner bewerten die Situation positiv, die Pflege hat z. T.

den Wunsch stärker beteiligt zu werden, gibt aber oft den

Anstoß für den Entscheidungsprozess.

Bewertung der Transparenz – Entscheidungsgründe dokumentiert

Dokumentenanalyse Anwenderbefragung

Allgemeinstationen 59,4 %

Intensivstation 95,9 %

total 74,6 %

Mediziner wie Pflegende schätzen die gute Nachvollziehbarkeit

der VaW-Anordnung aufgrund der klaren Dokumentation.

Bewertung der Anwenderfreundlichkeit und Akzeptanz

Anwenderbefragung

Die große Mehrheit der Anwender ist von der Praxistauglichkeit überzeugt. Einzelne Mediziner monieren den zusätzlichen

Zeitaufwand, der zugleich aber schnelle „Bauchentscheidungen“ verhindert. Die hohe Akzeptanz zeigt sich an der fast ein-

stimmigen Zustimmung für die dauerhafte Beibehaltung der VaW-Anordnung

Page 53: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

VaW-Anordnung

Folgende Maßnahmen werden nicht durchgeführt:

Normalstation Intensivstation

1. Intubation/Beatmung

2. Reanimation

1. Intubation/Beatmung

2. mechanische Reanimation

3. medikamentöse Reanimation

4. Defibrillation

Gründe für die Unterlassung der Maßnahmen:

Medizinische Indikation nicht gegeben (z.B. Ausweitung der Therapie nicht sinnvoll, inkurables Grundleiden mit begrenzter Lebenserwartung, Sterbephase hat eingesetzt)

Patient lehnt Reanimation ab (Aussage kann vom Patienten jederzeit ohne Angabe von Gründen wi-derrufen werden)

_______________________________________________________________________________

Hinweise zur Einwilligungsfähigkeit des Patienten/der Patientin:

Ist zu Person/Zeit/Ort orientiert

Kann eigene Situation erfassen, kann die Folgen einer VaW-Anordnung verstehen

Psychiatrisches Konsil liegt vor

Patient ist betreut

Aufklärungsgespräch erfolgt am __________ mit Patient

am __________ mit Angehörigen (Familie, Lebenspartner, engen Freunden)

am __________ mit Betreuer/Vorsorgebevollmächtigtem

Teambesprechung/Stationsbesprechung erfolgt ja am _____________ nein

Ethikberatung erfolgt ja am _____________ nein

Auf eine suffiziente Symptomkontrolle, Pflege und menschliche Begleitung ist zu achten.

Patientenaufkleber Klinikum NürnbergKlinikum NürnbergMed. Klinik 4

51

Page 54: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

Weitere wichtige Informationen zum Gesundheitszustand des Patienten/der Patientin und/oder dem Entscheidungsprozess:

Es liegt vor:

Unterschrift Patient für VaW ja nein

Patientenverfügung ja nein

Vorsorgevollmacht/Betreuungsverfügung ja nein

(ggf.) Betreuungsausweis ja nein

Die Anordnung eines Verzichts auf Wiederbelebung (VaW) muss ärztlich angeordnet, bei Schichtüberga-ben mitgeteilt und regelmäßig überprüft und dokumentiert werden.

Bei Änderungen des klinischen Verlaufes oder der klinischen Einschätzung ist eine Reevaluation und er-neute Dokumentation zwingend.

Ort/Datum Oberarzt/ärztin, Facharzt/ärztin

Reevaluation

Ort/Datum

Ort/Datum

Ort/Datum

Ort/Datum

52

Page 55: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung
Page 56: Das Ethik-Projekt - klinikum-nuernberg.de · 33 Der Ethik-Code des Klinikums Nürnberg 36 Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Nürnberg 38 Konfliktvermeidung

Klinikum NürnbergEthik-ProjektProf.-Ernst-Nathan-Str. 190419 NürnbergAnsprechpartnerStephan Kolb, Geschäftsführer des Ethik-ForumsTel. (0911) 398 -37 97Fax (0911) 398 -37 [email protected]

Schutzgebühr 5,- Euro