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Das Evangelium in Lebenswelten Viertes Ökumenisches Sympo- sium Jugendkirchen Standort Jugendkirche - Evangelium in Lebensräumen - Sonntag, 18. September 2011 (St. Bonifatius Kirche, Leinefelde) Vortrag von Peter Böhlemann INHALT 1. Einleitung – Wovon der Mensch lebt … ........ 1 2. Anspruch und Inhalt des Evangeliums ......... 3 3. Die Kultur des Evangeliums ............................. 8 4. Die Anschlussfähigkeit des Evangeliums . 10 1. Einleitung – Wovon der Mensch lebt … Coca-Cola versucht der drohenden Wirt- schaftskrise in den USA zu entgehen, indem sie neue Vertriebswege gehen und Werbe- strategien entwickeln. Deshalb hatten sie einen Top-Manager in den Vatikan geschickt zur Privataudienz mit dem Papst. Der Manager fällt gleich mit der Tür ins Haus: „Heiliger Vater, wir bieten der katho- lischen Kirche 5 Millionen Dollar, wenn Sie im Vaterunser die Brotbitte ersetzen durch: Unser täglich Coke gib uns heute!“ Der Papst ist entsetzt, will gerade den Ma- nager vor die Tür setzen lassen, als der sein Angebot erhöht: „20 Millionen Dollar!“ Är- gerlich schüttelt der Papst den Kopf und weist zur Tür: „Das Evangelium ist doch keine Ware!“ Da zückt der Manager sein Handy, spricht aufgeregt mit der Zentrale und verkündet stolz: „Ich bin ermächtigt, Ihnen 50 Millionen Dollar anzubieten!“ Darauf greift der Papst zum Telefon und ruft seinen Sekretär an: „Findet doch mal heraus, wie lange der Vertrag mit der Bäckerinnung noch läuft?!“ So kann es gehen, wenn die Lebenswelten dem Evangelium begegnen! Sie haben mich eingeladen, um heute Nachmittag zu dem Thema „Das Evangelium in den Lebenswel- ten“ zu referieren. Und das funktioniert ge- nau andersherum. Wir werden also nicht fragen, was zahlt Coca-Cola für das Vaterun- ser? oder: Was zahlen die Lebenswelten für das Evangelium?, sondern eben umgekehrt: Was zahlt das Evangelium für die Lebens- welten? oder anders: Wie anschlussfähig ist das Evangelium eigentlich für unser Leben in dieser Welt? Wie flexibel und wie ziel- gruppenspezifisch ist das Evangelium – et- wa für Leute die weder Brot noch Cola ha- ben?! Wie müssten wir es verkündigen und leben, damit es die Lebenswelt von heute noch erreicht? Dazu zunächst noch eine wichtige Vorbe- merkung. Wenn wir Menschen mit dem Evangelium in ihren Lebenswelten errei- chen wollen, müssen wir wissen, was sie wirklich bewegt und was sie wirklich brau- chen. Wovon lebt der Mensch? „Nicht vom Brot allein …“ (Dtn 8,3; Mt 4,4; Lk 4,4) – und auch nicht von Coca Cola! Aber was brauchen wir Menschen? Was erwarten wir von unseren Lebenswelten jenseits von Milieuforschung und Coca-Cola? Was ist uns wirklich lebenswichtig? Gerald Hüther, der bekannte deutsche Neu- robiologe, hat darauf Anfang des Jahres in einem viel beachteten Vortrag in München eine Antwort gegeben. 1 Zunächst verweist er auf die Entwicklung des menschlichen Gehirns. Das entwickelt sich in drei wesent- lichen Phasen: In seinen ersten Tiefenschichten erhält das Gehirn seine Signalmuster über die 1 Im Folgenden zitiert nach ZIST Programm 2012. Menschliches Potential entfalten, S. 73-77 (Seitenangaben in Klammern); vgl. auch: Gerald Hüther, Was wir sind und was wir sein könnten - ein neurobiologischer Mutmacher, Frankfurt a. M. 2011.

Das Evangelium in Lebenswelten HO - Kindheit - Jugend · Coca-Cola versucht der drohenden Wirt-schaftskrise in den USA zu entgehen, indem sie neue Vertriebswege gehen und Werbe-strategien

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Page 1: Das Evangelium in Lebenswelten HO - Kindheit - Jugend · Coca-Cola versucht der drohenden Wirt-schaftskrise in den USA zu entgehen, indem sie neue Vertriebswege gehen und Werbe-strategien

Das Evangelium in Lebenswelten

Viertes Ökumenisches Sympo-sium Jugendkirchen

Standort Jugendkirche - Evangelium in Lebensräumen -

Sonntag, 18. September 2011

(St. Bonifatius Kirche, Leinefelde)

Vortrag von Peter Böhlemann

INHALT

1. Einleitung – Wovon der Mensch lebt … ........ 1

2. Anspruch und Inhalt des Evangeliums ......... 3

3. Die Kultur des Evangeliums ............................. 8

4. Die Anschlussfähigkeit des Evangeliums . 10

1. Einleitung – Wovon der Mensch lebt …

Coca-Cola versucht der drohenden Wirt-schaftskrise in den USA zu entgehen, indem sie neue Vertriebswege gehen und Werbe-strategien entwickeln. Deshalb hatten sie einen Top-Manager in den Vatikan geschickt zur Privataudienz mit dem Papst.

Der Manager fällt gleich mit der Tür ins Haus: „Heiliger Vater, wir bieten der katho-lischen Kirche 5 Millionen Dollar, wenn Sie im Vaterunser die Brotbitte ersetzen durch: Unser täglich Coke gib uns heute!“

Der Papst ist entsetzt, will gerade den Ma-nager vor die Tür setzen lassen, als der sein Angebot erhöht: „20 Millionen Dollar!“ Är-gerlich schüttelt der Papst den Kopf und weist zur Tür: „Das Evangelium ist doch keine Ware!“ Da zückt der Manager sein Handy, spricht aufgeregt mit der Zentrale

und verkündet stolz: „Ich bin ermächtigt, Ihnen 50 Millionen Dollar anzubieten!“

Darauf greift der Papst zum Telefon und ruft seinen Sekretär an: „Findet doch mal heraus, wie lange der Vertrag mit der Bäckerinnung noch läuft?!“

So kann es gehen, wenn die Lebenswelten dem Evangelium begegnen! Sie haben mich eingeladen, um heute Nachmittag zu dem Thema „Das Evangelium in den Lebenswel-ten“ zu referieren. Und das funktioniert ge-nau andersherum. Wir werden also nicht fragen, was zahlt Coca-Cola für das Vaterun-ser? oder: Was zahlen die Lebenswelten für das Evangelium?, sondern eben umgekehrt: Was zahlt das Evangelium für die Lebens-welten? oder anders: Wie anschlussfähig ist das Evangelium eigentlich für unser Leben in dieser Welt? Wie flexibel und wie ziel-gruppenspezifisch ist das Evangelium – et-wa für Leute die weder Brot noch Cola ha-ben?! Wie müssten wir es verkündigen und leben, damit es die Lebenswelt von heute noch erreicht?

Dazu zunächst noch eine wichtige Vorbe-merkung. Wenn wir Menschen mit dem Evangelium in ihren Lebenswelten errei-chen wollen, müssen wir wissen, was sie wirklich bewegt und was sie wirklich brau-chen. Wovon lebt der Mensch? „Nicht vom

Brot allein …“ (Dtn 8,3; Mt 4,4; Lk 4,4) – und auch nicht von Coca Cola!

Aber was brauchen wir Menschen? Was erwarten wir von unseren Lebenswelten jenseits von Milieuforschung und Coca-Cola? Was ist uns wirklich lebenswichtig?

Gerald Hüther, der bekannte deutsche Neu-robiologe, hat darauf Anfang des Jahres in einem viel beachteten Vortrag in München eine Antwort gegeben.1 Zunächst verweist er auf die Entwicklung des menschlichen Gehirns. Das entwickelt sich in drei wesent-lichen Phasen:

� In seinen ersten Tiefenschichten erhält das Gehirn seine Signalmuster über die

1 Im Folgenden zitiert nach ZIST Programm 2012. Menschliches Potential entfalten, S. 73-77 (Seitenangaben in Klammern); vgl. auch: Gerald Hüther, Was wir sind und was wir sein könnten - ein neurobiologischer Mutmacher, Frankfurt a. M. 2011.

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1. Wovon der Mensch lebt

P. Böhlemann S. 2 Das Evangelium in den Lebenswelten

sich ausbildenden Nervenbahnen aus dem eigenen Körper.

� Dann sind es die Beziehungen zu den für wichtigen Bezugspersonen, die das Hirn weiter strukturieren. Dahinter steckt die Erfahrung von Verbundenheit.

� Und schließlich entdecken wir unsere Freiheit: Wir begeistern uns, wenn wir etwas Neues gefunden haben, oder etwas gestalten können. Und jedes Mal, wenn wir uns begeistern, werden in unserem Hirn die emotionalen Zentren im limbi-schen System aktiviert, die emotionale Gießkanne, von der eine Düngerlösung fürs Hirn ausgeschüttet wird, die die Bil-dung von neuen Vernetzungen fördert. All das, was man im Zustand der Begeis-terung mit seinem Hirn macht, wächst und gedeiht. (73)

Während die erste Grunderfahrung also die der Verbundenheit ist, ist die zweite Grund-erfahrung Freiheit und Autonomie: die Er-fahrung, dass ich jeden Tag über mich hin-auswachse, erst körperlich und dann in meinen Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Aus diesen beiden Grunderfahrungen Ver-

bundenheit und Freiheit folgen unsere basa-len Erwartungen an alle Lebenswelten. Auf diese menschlichen Grunderwartungen müsste das Evangelium eingehen, wenn es relevant sein will:

� Es ist die Erwartung, dass sich jemand freut, wenn wir nach Hause kommen, al-so die Sehnsucht nach Beziehung und Verbundenheit.

� Es ist ferner die Erwartung: Es gibt da draußen Aufgaben, an denen ich zeigen kann, wer ich bin und was ich kann, Ge-legenheiten, um mich frei und autonom zu entfalten. (74)

� Und schließlich ist es die Erwartung, dass beides zusammen geht: frei zu sein und verbunden, Gestaltungsfreiheit und Be-ziehung.

Doch gerade diese letzte Erwartung wird heute sehr leicht enttäuscht: „Bei denen, die keine Möglichkeit sehen, ihre Bedürfnisse nach Verbundenheit und autonomer Ent-wicklung gleichzeitig zu stillen, werden im Hirn die gleichen Netzwerke aktiviert wie bei körperlichen Schmerzen. … Wenn Men-schen die notwendige Verbundenheit und die Chance, ihre Potentiale zu entfalten,

nicht finden, dann leiden sie und nehmen sich das, was sie kriegen können:“ Shoppen, Internet, Drogen … „Doch von Ersatzbefrie-digung wird niemand satt, so dass sich im Frontalhirn die Einstellung bildet, ‚ich bin zu kurz gekommen – wo gibt es noch was zu holen…‘“(75) Die Angst vor Kränkungen, Enttäuschungen und Verletzungen in Bezie-hungen wächst. Die Weltgesundheitsorgani-sation diagnostiziert Jahr für Jahr eine er-schreckende Zunahme von angstbedingten depressiven Störungen (77). Was dagegen helfen könnte? Professor Hüther schlägt folgendes vor:

„Wir brauchen dafür keine anderen Gehirne, sondern die Chance, unterstützende Bezie-hungen aufzubauen. Dafür brauchen wir ein andere Art von Umgang miteinander, ein Beziehungskultur, in der wir gleichzeitig frei und verbunden sein können.“ (76) … Frei-heit und Verbundenheit, das erfahre ich in einer echten Liebesbeziehung oder im ge-meinsamen Tun und Gestalten in einer Gruppe.

„Wir können dafür sorgen, dass Menschen von Kindesbeinen an bis ins hohe Alter im-mer wieder Gelegenheit finden, sich ge-meinsam um etwas zu kümmern, gemein-sam etwas zu entdecken, gemeinsam etwas zu gestalten. Was da herauskommt, kann keiner von ihnen allein schaffen und gehört zu den beglückendsten Erfahrungen, die Menschen überhaupt machen können.“ (77)

Im Sommer haben wir als Familie die grie-chische Wirtschaft aktiv unterstützt und waren auf Kreta. Dort hatten wir Gelegen-heit, auch etwas griechischen Tanz zu ler-nen. Außer den komplizierten Schritten fand ich dabei das Interessante: Nur die „Touris“ versuchen, den Kreis der Tanzen-den zu schließen. Normalerweise tanzt man im offenen Kreis, so dass sich immer noch Leute anschließen können.

Liebe Geschwister, wenn wir nach dem Be-zug des Evangeliums zu unseren Lebenswel-ten fragen, dann sollten wir es genau auf diesen Prüfstand stellen: Hilft es, Menschen zur Erfahrung von Verbundenheit, dass sich jemand über sie freut?! Und hilft es Men-schen - und seien sie auch noch so ent-täuscht, verletzt und gekränkt, - einzuladen, zu ermutigen und zu inspirieren, sich auf neue Erfahrungen einzulassen?

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2. Anspruch und Inhalt des Evangeliums

P. Böhlemann S. 3 Das Evangelium in den Lebenswelten

2. Anspruch und Inhalt des Evangeliums

Natürlich kann man sich da zunächst ganz dumm stellen und fragen: Wat is‘n Dampf-maschin?

Und in Wikipedia findet man brav die Über-setzung „Gute Nachricht, frohe Botschaft“.

Spannender dagegen ist der frustrierte Kommentar eines Users auf der Diskussi-onsseite dazu: „Merkwürdigerweise wird zwar im Wiktionary gesagt …, das „Evange-lium“ sei „die Bezeichnung der mündlichen Missionspredigt“. Den Inhalt dieser Bot-schaft oder Predigt finde ich aber nirgend-wo im Wikipedia ... Kennt den Inhalt nie-mand mehr, oder traut sich keiner darüber einen Artikel zu schreiben?“2

Deshalb also das nun gleich vorweg: Der Anspruch des Evangeliums ist universal und sein Inhalt parteilich, nämlich die Annahme des Verlorenen – der Anspruch des Evange-liums ist Freiheit, Autonomie und der Inhalt ist Beziehung und Verbundenheit!

1. Der Anspruch des Evangeliums:

universal

Das Ziel der Verkündigung Jesu, nämlich die Befreiung der Gefangenen und die Einla-dung ins Reich Gottes, erfüllt sich bereits in seiner Person. Deshalb ist seine Strategie nicht auf die zukünftige Rettung der Verlo-renen im Gericht ausgerichtet, sondern auf die Begegnung mit ihm und die gegenwärti-ge Annahme der von ihm ausgesprochenen Einladung. Es geht ihm um die Beziehung der Menschen zu ihm, zueinander und zu Gott. „Das sind meine Brüder und Schwes-tern und meine Mutter!“ sagt er einmal, als seine Familie ihn sprechen will. Und er zeigt auf die Menschen, die ihm gerade zuhören. Und seine Einladung gilt allen, - im Grunde ein postmoderner Ansatz: „Nicht deine Her-kunft zählt, nicht dein Milieu, deine religiöse Prägung, sondern du stehst allein vor Gott und bist alleine für dein Leben verantwort-lich! Aber: Du bist frei!“

2 Heinrich VIII 13:23, 26. Dez. 2008, www/ de.wikipedia.org/wiki/Diskussion: Evangelium; aufgesucht am 3. August 2011.

Lukas beschreibt im Neuen Testament wie das Evangelium immer weitere Kreise zog (vgl. Lk 16,16): von Galiläa über Jerusalem, von Kleinasien bis Europa.3 Und auch in den anderen Evangelien wird der universale Anspruch des Evangeliums ebenso, wenn es heißt: „Darum gehet hin und machet zu Jün-gern alle Völker!“ (Mt 28,19) oder: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.“ (Mk 16,15)

Dieser universale Anspruch des Evangeli-ums ist unaufgebbar und deutet sich in Jesu Worten und Taten bereits an. So zeigt etwa das Gleichnis vom „großen Abendmahl“ (Lk 14,15-24; Mt 22,1-10): Die Einladung an den Tisch des Herrn sprengt gesellschaftliche und geographische Grenzen. Sie gilt jedem, der bereit ist, sie anzunehmen. Deshalb kann Paulus bei Lukas auf dem Marktplatz der Antike, dem Areopag in Athen, auch sagen: „Gott hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn [Christus] von den Toten auferweckt hat.“ (Apg 17,31b)

2. Der Inhalt des Evangeliums: die

Annahme des Verlorenen

„Kein Mensch muss müssen.“, sagt Lessings Nathan der Weise.

Aber bei Gott gibt es ein „Muss“, unter das Jesus sich stellt. Es besteht in der Verkündi-gung des Evangeliums und in dem Angebot von Freiheit und Beziehung:

� Jesus sprach aber zu ihnen: Ich muss auch

den andern Städten das Evangelium

predigen vom Reich Gottes; denn dazu

bin ich gesandt. (Lk 4,43)

3 Jesus selbst verkündet bei Lukas die Herrschaft Gottes zunächst in Galiläa und Judäa (Lk 4,43; 8,1), dann beauftragt er Jünger (Erst die zwölf (Lk 9,1f) und anschließend die zweiundsiebzig (10,1), dies ebenfalls zu tun. Der Auftrag wird in Samaria und auf dem Weg nach Jerusalem wie-derholt (Lk 9,60; 10,1). Dann setzt sich der uni-versale Anspruch der Verkündigung vom Reich so fort. Zunächst verkünden die Apostel im Jeru-

salemer Tempel das Evangelium (Lk 20,1; Apg 5,42). Dann zieht es seine Kreise über Samaria (Apg 8,12), Cäsarea (Apg 10 Petrus und Korne-lius), Kleinasien (Apg 13-14) und Europa (Apg 16ff) bis nach Rom (Apg 28,31).

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2. Anspruch und Inhalt des Evangeliums

P. Böhlemann S. 4 Das Evangelium in den Lebenswelten

� Wenn ihr schon am Sabbat euer Vieh

losbindet und zur Tränke führt, muss

dann nicht diese [verkrümmte Frau], die

doch Abrahams Tochter ist, die der Satan

schon achtzehn Jahre gebunden hatte, am

Sabbat von dieser Fessel gelöst wer-

den? (Lk 13,15f)

� Zachäus, steig eilend herunter; denn ich

muss heute in deinem Haus einkehren.

… Auch er ist Abrahams Sohn! (Lk 19,5.9)

Das in Lk 4,43 zum Ausdruck kommende göttliche „muss“, unter dem Jesu Verkündi-gung vom Reich Gottes steht, wiederholt sich in den Erzählungen über die Begegnun-gen Jesu mit der verkrümmten Frau (Lk 13,10-17) und in der Begegnung mit dem Zöllner Zachäus (Lk 19,1-10) – zwei echten Outcasts der Gesellschaft. So wie Jesus die Herrschaft Gottes verkünden muss (Lk 4,43), muss er an einem Sabbat, dem Tag der Befreiung durch Gott (vgl. Dtn 5,15), eine Tochter Abrahams von der Herrschaft Sa-tans befreien (Lk 13,16) und muss „heute“ einen verlorenen Sohn Abrahams, einen Zöllner, retten (Lk 19,5).

Das heißt, es gibt einen göttlichen Heilsplan

für die Befreiung der Verlorenen, der darin besteht, dass sich die Befreiung von Men-schen in ihrer Begegnung mit Jesus vollzie-hen muss. Jesus stellt eine Beziehung zu diesen Menschen her und er betont deren Beziehung zu den anderen: „Auch sie ist eine Tochter Abrahams.“ (vgl. Lk 13,16) – „Auch er ist Abrahams Sohn!“ (Lk 19,9).

Das Evangelium von der Herrschaft Gottes realisiert sich also im Evangelium für die Armen von der Befreiung der Gefangenen. Sie vollzieht sich in dem Gefundenwerden des Verlorenen, das Lukas meisterlich in den drei großen Gleichnissen und der Rah-menhandlung vom Suchen und Finden des Verlorenen in Lk 15 beschreibt. Der Inhalt des Evangeliums ist die Annahme des Verlo-renen – die Wiederaufnahme einer verlo-rengegangen Beziehung. Das ergibt sich schon aus einem Vergleich der Zusammen-fassungen seiner Tätigkeit und seines Auf-trags (Summarien):

� „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er

mich gesalbt hat, zu verkündigen das

Evangelium den Armen; er hat mich ge-

sandt, zu predigen den Gefangenen, dass

sie frei sein sollen, und den Blinden, dass

sie sehen sollen, und den Zerschlagenen,

dass sie frei und ledig sein sollen, zu ver-

kündigen das Gnadenjahr des Herrn.“ (Lk

4,18-20)

� Er sprach aber zu ihnen: Ich muss auch

den andern Städten das Evangelium

predigen vom Reich Gottes; denn dazu

bin ich gesandt. (Lk 4,43)

� Und Jesus antwortete und sprach zu ih-

nen: Die Gesunden bedürfen des Arztes

nicht, sondern die Kranken. Ich bin ge-

kommen, die Sünder zur Buße zu rufen

und nicht die Gerechten. (Lk 5,31f)

� Denn der Menschensohn ist gekommen,

zu suchen und selig zu machen, was

verloren ist. (Lk 19,10)

Hierbei handelt es sich natürlich nicht um völlig unterschiedliche Sachverhalte. Jesus redet nicht einmal so und ein anderes Mal anders über seinen Auftrag. Es sind viel-mehr unterschiedliche Akzente des einen Evangeliums, dessen Inhalt in Jesus selbst Gestalt annimmt: � Die Herrschaft Gottes ereignet sich durch Jesu Annahme des Ver-lorenen. Ihre Befreiung aus den Fesseln Sa-tans geschieht in dem Moment, wo sie in Verbindung mit Jesus kommen.

Dies wird in der Verkündigung Jesu ebenso deutlich wie in seiner Begegnung mit den Menschen. Noch am Kreuz bittet er Gott um Vergebung für seine Peiniger, das heißt um Befreiung der Verlorenen, „denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34)

Exkurs

Wenn das stimmt, dass der Inhalt des Evan-geliums von der Herrschaft Gottes die An-nahme des Verlorenen in Christus ist, also seine Beziehung zu uns, dann hat das Kon-sequenzen für die Auslegung des Neuen Testaments ebenso wie für jede Evangelisa-tion.

Mt 13,44f (Das Gleichnis vom Schatz im Acker und der kostbaren Perle) darf dann nicht mehr moralisierend verbogen werden, etwa so dass wir es nachher sind, die den Schatz des Evangeliums verbergen und er-werben sollen. Nach dem Motto: Mitarbei-

tende in Jugendkirchen sollen Schätze heben. Nein, es ist Gott selbst, der alles gibt, was er

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2.

P. Böhlemann

hat, nämlich seinen einzigen Sohn, um uns zu besitzen. Das ist der Inhalt des Evangelum: Nicht: „Gebt Euch Mühe!“, sondern: seid teuer erkauft!“ Sich darüber zu freuen und das zu feiern ist vielleicht das größte Entdeckungsfeld für die Kirche

3. Die Zielgruppe des Evangeliums:

die Verlorenen, die am Rand (Arme

und Reiche)4

Von der Vorbereitungsgruppe ist den Refrenten ausdrücklich nahe gelegteinen Fokus auf strukturschwache Situatinen zu richten. Das will ich jetzt tun.

Zu meinem Beruf gehört es, FortbiPfarrerinnen und Pfarrer zu leiten. Und vor zwei Jahren war ich mit einer Gruppe von ihnen in Israel und Palästina. Von früReisen besitze ich noch eine Olivenholkrippe mit Figuren. Nur, mir fehlte darin immer ein ordentlicher Josef. Der Josef, den ich hatte, sah immer eher aus wie ein Hirte.

Also ging ich in Bethlehem in einen der vilen Andenkenläden an der Geburtund fragte nach einem Josef, etwa 15 cm hoch und ohne Gesicht („faceless“). Mit dieser Frage brachte ich so manchen orientalischen Ver-käufer ganz schön ins Schwitzen, weil, klärte mich einer auf, Marias gäbe es zahlreiche ein-zeln, aber Josef immer nur im kompletten Satz der Krippenfiguren.

Bis ich dann in eine et-was abgelegene Holz-schnitzerei kam, wo der Besitzer auf meine Frage nach Josef gleich interessiert zurückfragte, welche Religion ich denn wohl hätte, normalerwese sei doch eher Maria gefragt! men dann ins Gespräch und er holte schlielich die Kiste mit den fehlerhaften Einzestücken und missglückten Schnitzheraus. Darin fand er einen Josef und eine Maria. Die Maria ist eigentlich ein e

4 Vgl. dazu auch „Armut als Herausforderung für die Gemeinde“, in: Peter Böhlemann, Wie die Kirche wachsen kann, Göttingen 2010

Anspruch und Inhalt des Evangeliums

S. 5 Das Evangelium in den Lebenswelten

lich seinen einzigen Sohn, um uns Das ist der Inhalt des Evangeli-

, sondern: „Ihr Sich darüber zu freuen

und das zu feiern ist vielleicht das größte die Kirche!

Die Zielgruppe des Evangeliums:

am Rand (Arme

Von der Vorbereitungsgruppe ist den Refe-renten ausdrücklich nahe gelegt worden,

Fokus auf strukturschwache Situatio-nen zu richten. Das will ich jetzt tun.

Zu meinem Beruf gehört es, Fortbildung für rer zu leiten. Und vor

ren war ich mit einer Gruppe von ihnen in Israel und Palästina. Von früheren Reisen besitze ich noch eine Olivenholz-krippe mit Figuren. Nur, mir fehlte darin immer ein ordentlicher Josef. Der Josef, den ich hatte, sah immer eher aus wie ein Hirte.

Also ging ich in Bethlehem in einen der vie-len Andenkenläden an der Geburtskirche und fragte nach einem Josef, etwa 15 cm hoch und ohne Gesicht („faceless“).

ser Frage brachte ich so

fragte, welche Religion ich denn wohl hätte, normalerwei-se sei doch eher Maria gefragt! Wir ka-men dann ins Gespräch und er holte schließ-lich die Kiste mit den fehlerhaften Einzel-stücken und missglückten Schnitzereien heraus. Darin fand er einen Josef und eine

gentlich ein etwas

Vgl. dazu auch „Armut als Herausforderung für die Gemeinde“, in: Peter Böhlemann, Wie die Kirche wachsen kann, Göttingen 20102, S. 57-62.

verunglückter Hirte und hinten wurde ein Stück Holz eingeklebt. Und der Josef zeigt deutlich noch ein Stück Ribaum im Mantel. Ich fand die beiden Fren fantastisch und musste kaum etwas dfür bezahlen und bekam noch ein Schaf dazu geschenkt.

Aber das ist es doch, dacmit einer kleinen Macke und Josef mit der rauen Schale, die er nicht verbergen kann. Das ist die Zielgruppe des Evangeliums: ängstliche, fehlerhafte Menschen, leicht bschädigt, fast wertlos. Nicht lieblich und hold, aber Menschen von u

Und dennoch sind sie zu gebrawill sie gebrauchen. Er liebt sie, so wie er jeden von uns liebt, egal welche Macken wir haben, und egal, wie andere uns bFür ihn sind wir unendlich wermöchte, dass wir unsere Bestimmung fden, dass wir das Leben finden, das er uns für uns bereit hält – unsere Würde, geliebt zu sein, und unsere Freiheit zu li

In den 70er Jahren gab es die Tendenz, die Armen als eigentliche Zielgruppe des Eva

geliums festzulegen. Jesu habe speziell fürdiese Zielgruppe g

gegen die Reichen polemisiert. Das passte in die Zeit der

Kapitalismuskritik und auch kirchlicher Solidar

tätsbestrebumals entstand auch die Theologie der Befreung, die insbauf dem schon erwähten Jesajazitersten Predigt Jesu in

Nazareth fußte:mich gesalbt hat, ve

digen das Evangelium den

Armen; er hat mich gesandt,

zu predigen den Gefang

dass sie frei sein sollen.

Und in der Tat: Die Armen sind nicht nur Zielgruppe des Evangeliums, in ihnen bgegnet uns Christus selbst. die Subjekte, die Träger des Evangeliums. den Augen der Schwachen blickt uns Chritus an. In der Ohnmacht ist er mächtig. Slange wir die Gesichter der Armen, denen wir helfen, nicht sehen, verstecken wir uns

Das Evangelium in den Lebenswelten

ter Hirte und hinten wurde ein tück Holz eingeklebt. Und der Josef zeigt

lich noch ein Stück Rinde vom Oliven-baum im Mantel. Ich fand die beiden Figu-

tisch und musste kaum etwas da-für bezahlen und bekam noch ein Schaf dazu

Aber das ist es doch, dachte ich: Die beiden nen Macke und Josef mit der

rauen Schale, die er nicht verbergen kann. Das ist die Zielgruppe des Evangeliums: ängstliche, fehlerhafte Menschen, leicht be-schädigt, fast wertlos. Nicht lieblich und

schen von unserer Sorte!

Und dennoch sind sie zu gebrauchen. Gott chen. Er liebt sie, so wie er

jeden von uns liebt, egal welche Macken wir haben, und egal, wie andere uns beurteilen. Für ihn sind wir unendlich wertvoll, weil er möchte, dass wir unsere Bestimmung fin-den, dass wir das Leben finden, das er uns

unsere Würde, geliebt zu sein, und unsere Freiheit zu lieben.

In den 70er Jahren gab es die Tendenz, die als eigentliche Zielgruppe des Evan-

geliums festzulegen. Jesu habe speziell für diese Zielgruppe gepredigt und

gegen die Reichen polemisiert. Das passte in die Zeit der

talismuskritik und auch kirchlicher Solidari-

tätsbestrebungen. Da-mals entstand auch die Theologie der Befrei-ung, die insbesondere auf dem schon erwähn-ten Jesajazitat in der ersten Predigt Jesu in

zareth fußte: „Er hat

mich gesalbt hat, verkün-

das Evangelium den

er hat mich gesandt,

zu predigen den Gefangenen,

dass sie frei sein sollen. (Lk 4,18)

Und in der Tat: Die Armen sind nicht nur vangeliums, in ihnen be-

gegnet uns Christus selbst. Die Armen sind die Subjekte, die Träger des Evangeliums. In den Augen der Schwachen blickt uns Chris-tus an. In der Ohnmacht ist er mächtig. So-lange wir die Gesichter der Armen, denen

n, verstecken wir uns

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2. Anspruch und Inhalt des Evangeliums

P. Böhlemann S. 6 Das Evangelium in den Lebenswelten

vor dem Antlitz Christi, vergeben wir die Chance, Christus zu begegnen.

Bei denen am Rand zu sein, das heißt, etwas zu riskieren – aus dem Gleichgewicht zu kommen. Vielleicht riskieren wir dabei un-sere Sicherheit, aber wir gewinnen unseren Glauben. Kirche am Rand, im Milieu, in der Diaspora, ist genau da, wo sie hingehört.

Die Armen sind jedoch keineswegs die ein-zige Zielgruppe des Evangeliums, es sind auch die Reichen: So wissen wir von den Zöllnern Zachäus (Lk 19,1-10) und dem Pharisäer Simon (Lk 7,36-50), dass sie durchaus vermögend waren. Und Jesus er-zählt die Gleichnisse von verlorenen Schaf, Groschen und Sohn ja gerade nicht den Sün-dern, mit denen er isst, sondern den Phari-säern und Schriftgelehrten, die an der Tür stehen und sich darüber aufregen. „Seid doch so frei und feiert mit!“ Übrigens ein herrliches Motto für Jugendkirchen! Und die Gleichnisse vom reichen Mann und armen Lazarus oder vom reichen Jüngling sind ebenfalls eher an die Reichen gerichtet.

Nun, wer ist also die Zielgruppe des Evange-liums? Es sind Arme und Reiche, gesell-schaftliche Gestrandete, Menschen am Rand und die in der Mitte, Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder – es ist gar keine bestimmte soziologische Gruppe, sie sind sehr verschieden. Es sind Menschen, die nur eine einzige Gemeinsamkeit haben: Sie sind verloren und wiedergefunden, Und sie wis-sen das. Sie waren gefangen, doch in Chris-tus sind sie frei geworden und haben eine Beziehung gefunden.

Es sind die, die Bibel Sünder nennt, nicht die Gerechten, die sich an die Brust schlagen und sagen: „Danke, Gott, dass ich nicht so bin wie die da!“ (Lk 18,11) Es sind die, die bereit sind, sich mit Jesus an einen Tisch zu setzen, auch wenn da schon Menschen aus strukturschwachen ländlichen Räumen – sozusagen von den Hecken und Zäunen – sitzen.

Jesus selbst sagt zu dieser bunt gemischten Gruppe an seinem Tisch: „Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“ (Lk 13,29; Mt 8,11)

Also, wir werden uns wundern, wer da alles sitzt. Ossis und Wessis, Performer und He-donisten, traditionelle Jugendliche und ex-perimentelle Senioren! Hieraus einen mili-eu- und strukturübergreifenden Anspruch des Evangeliums abzuleiten ist keineswegs abwegig, sondern etwas, das wir aus der Bibel lernen sollten.

4. Gibt es also ein

zielgruppenspezifisches Evangelium?

Ja und Nein!

Ja, das Evangelium ist zielgruppenspezi-fisch, weil es in konkrete Lebenswelten wirkt, weil es –wie wir gehört haben – den Kontext braucht und sucht. Das Evangelium ist ja keine abstrakte Lehre, sondern ein Beziehungsangebot für konkrete Menschen.

Und nein, das Evangelium ist nicht zielgrup-penspezifisch, weil es von seinem Anspruch her universal ist und allen Menschen gilt.

2 Tim 2,4-7: Gott will, dass allen Menschen

geholfen werde und sie zur Erkenntnis der

Wahrheit kommen, denn es ist ein Gott und

ein Mittler zwischen Gott und den Menschen,

nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich

selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, dass

dies zu seiner Zeit gepredigt werde. Dazu bin

ich eingesetzt als Prediger und Apostel. –ich

sage die Wahrheit und lüge nicht -, als Lehrer

der Heiden im Glauben und in der Wahrheit.

Diese scheinbare Ambivalenz des Evangeli-ums zwischen präzisem Zielgruppenbezug und universalem Anspruch greift die Bibel narrativ auf. Die Evangelien berichten dazu von zwei besonderen Schritten Jesu, einmal in heidnisches Gebiet und einmal nach Samarien:

Und sie erzählen, wie einmal eine heidni-sche Frau aus Tyrus Jesus überredet, ihre Tochter zu heilen. Obwohl Jesus ausdrück-lich sagt: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen Israels gesandt“, wendet sie ein: „Ja, das mag sein, aber selbst die Hunde fressen von dem Brotkrümeln, die vom Tisch des Herrn fallen.“ (Mt 7,21-28; Mk 7,24-30)

Auf seiner Wanderung von Galiläa nach Je-rusalem zieht Jesus mit seinen Jüngern auch durch das Gebiet Samariens, also struktur-schwaches Gebiet einer anderen Konfession. Und Jesus schickt seine Jünger in ein Dorf

Page 7: Das Evangelium in Lebenswelten HO - Kindheit - Jugend · Coca-Cola versucht der drohenden Wirt-schaftskrise in den USA zu entgehen, indem sie neue Vertriebswege gehen und Werbe-strategien

2. Anspruch und Inhalt des Evangeliums

P. Böhlemann S. 7 Das Evangelium in den Lebenswelten

mit der Bitte um Gastfreundschaft. Die wei-gern sich jedoch, ihn aufzunehmen. Die Jün-ger sind so sauer, dass sie ihn bitten, er mö-ge sie befähigen, Feuer vom Himmel auf dieses Dorf regnen zu lassen. Doch da wird Jesus sauer: Ich bin nicht gekommen, Leben zu vernichten, sondern zu erhalten. (Lk 9,50-56).

Kurze Zeit und nur ein Kapitel später nimmt Jesus ausgerechnet einen Samariter als Bei-spiel für Barmherzigkeit. Und in der Apos-telgeschichte sind es dann ausgerechnet die Samaritaner die erste nicht-direkt-jüdische Volksgruppe, die getauft wird und auf die das Feuer des Heiligen Geistes fällt.

Ich nenne das den Samariter-Effekt als erste Milieu-Überschreitung in struktur-schwachem Gebiet. Wir können von denen, die anders sind als wir, viel lernen. Der Sa-mariter-Effekt ist der Schritt ins Wagnis, gegen Widerstände, auf die hin, die anders sind als wir.

Die zweite große Milieu-Überschreitung der frühen Christenheit war der Schritt zur Heidenmission, also die Gründung junger Kirchen auf atheistischem Gebiet. Dafür wurde keiner der Landsleute Jesu berufen, sondern ein griechischsprachiger Auslän-der, nämlich Paulus. Das war der zweite Effekt, der Schritt in die Freiheit – auf die zu, von denen wir noch gar nicht wissen, wie sie sind.

Und Petrus bekommt schreckliche Visionen geschickt, er muss im Traum ins Dschungel-camp und dort unreines Gewürm essen und hört Gottes Willen zum Thema Zielgruppen-reinheit oder Grenzüberschreitung: „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten!“ (Apg 10,15). Und dann fällt aus-gerechnet auf diejenigen der Heilige Geist, die normalerweise mit dem Gewürm vergli-chen werden, nämlich auf die Heiden. Die einzige Zielgruppe übrigens, die vor ihre Taufe von Heiligem Geist erfüllt sind.

Der Christenverfolger Paulus als Missionar, der Apostel Petrus im Dschungelcamp, un-klare Zielgruppen?! Das musste zu einem Konflikt führen. Einige aus dem eher kon-servativen Milieu meinten, wenn schon Hei-den dazugehören wollen, dann sollen sie sich wenigstens an unsere Regeln halten und sich beschneiden lassen. Es gibt die erste große Synode in Jerusalem und die

beschließt geistvoll: Nein, ihr seid frei vom jüdischen Gesetz!

Ohne diese zweite große Grenz- und Milieu-überschreitung, säßen wir heute wahr-scheinlich nicht hier.

Es gäbe dazu noch viel zu erzählen und zu beobachten. Aber so viel sei schon mal fest-gehalten:

Die Verbreitung des Evangeliums basiert auf Grenzüberschreitungen. Das Evangelium springt in andere Milieus, Sprachen und Schichten und es fühlt sich besonders wohl am Rand und bei den Menschen und ihren Lebenswelten, bei den Frauen, die sich in Philippi am Fluss treffen, im Haus der Lydia, im Gefängnis und auf dem Marktplatz.

Zwei mutige Schritte waren dafür notwen-dig: der Schritt ins Wagnis und der Schritt in die Freiheit.

Das heißt für unsere Zielgruppen in der Ju-gendkirchenarbeit: Ja wir müssen unser Angebot auf sie ausrichten – immer bereit, Grenzen zu überschreiten und in neue Mili-eus zu gehen.

Aber wir sollten auf keinem Fall dem über-heblichen Irrtum verfallen, wir wären es persönlich, die all diese Grenzüberschrei-tungen bewältigen müssten. Im Gegenteil, das Evangelium bahnt sich schon seine Bahn und findet seinen Weg. Unsere Aufgabe ist, die kleinen Pflänzchen vor Ort, die Mini-gruppen in der Diaspora wertzuschätzen und zu pflegen. Die Keimzellen des Evange-liums sind nicht die Amtsinhaber, sondern die kleinen Gruppen. In ihnen können Be-ziehungsangebote gemacht werden. Und sie benötigen Freiheit!

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P. Böhlemann

3. Die Kultur des Evangliums 5

Wie kann es nun gehen, dass das Evangelum selbst sich Raum schafft und Beheimtung (Inkulturation) findet. Gestatten Sie mir auch dazu einen Blick in die Bibelspeziell an den See Genezareth

In Kapernaum hat meinen einen uralten Oktogonalbau aus dem 5. Jahrhundert gfunden, der über einem einfachen kleinem Wohnhaus errichtet wurde, dass wohl seit

Ende des 1. Jahrhunderts öffentHauskirche genutzt wurde. Dort fand man Graffiti mit den Wörtern: Jesus, Herr, Chritus und Petrus. Das war wohl das Schwiegermutter des Petrus. „Sie verließen

die Synagoge und gingen zusammen mit J

kobus und Johannes gleich in das Haus d

Simon und Andreas.“ (Mk 1,29)

Die hatten Hunger, die Jungs, und wollten noch was essen und trinkenSchwiegermutter des Petrus hat Migräne! Aber Jesus heilt sie, und so wird es dann noch ein fröhliches Essen.

Gastfreundschaft

Jesus suchte vom Anfang bis zum Ende sener Tätigkeit die Hausgemeinschaft der Menschen, mit denen er seine Gemeinde bauen wollte. Es gibt nur wenige Jüngergeschichten, in denen nicht

Fisch, Wein oder Lammbraten genossen wird. Bemerkenswert ist nun, dass Jesus genau diese Strategie auch seinen Jüngerinen und Jüngern empfiehlt: Bei der Spesung der Fünftausend (Mk 6,32sind Jesu erste Worte an die Jünger, als dise ihn auf das Problem der Versorgung hi

5 Vgl. dazu auch „Die Kultur des Evangeliums“, in: Peter Böhlemann, Wie die Kirkann, Göttingen 20102, S. 47-56.

3. Die Kultur des Evangeliums

S. 8 Das Evangelium in den Lebenswelten

Die Kultur des Evange-

Wie kann es nun gehen, dass das Evangeli-um selbst sich Raum schafft und Beheima-tung (Inkulturation) findet. Gestatten Sie

dazu einen Blick in die Bibel und .

In Kapernaum hat meinen einen uralten Oktogonalbau aus dem 5. Jahrhundert ge-funden, der über einem einfachen kleinem Wohnhaus errichtet wurde, dass wohl seit

Ende des 1. Jahrhunderts öffentlich als Hauskirche genutzt wurde. Dort fand man Graffiti mit den Wörtern: Jesus, Herr, Chris-tus und Petrus. Das war wohl das Haus der

. „Sie verließen

die Synagoge und gingen zusammen mit Ja-

kobus und Johannes gleich in das Haus des

(Mk 1,29)

Die hatten Hunger, die Jungs, und wollten noch was essen und trinken! Doch die Schwiegermutter des Petrus hat Migräne! Aber Jesus heilt sie, und so wird es dann

Anfang bis zum Ende sei-ner Tätigkeit die Hausgemeinschaft der Menschen, mit denen er seine Gemeinde bauen wollte. Es gibt nur wenige

nicht Brot oder Fisch, Wein oder Lammbraten genossen wird. Bemerkenswert ist nun, dass Jesus

nau diese Strategie auch seinen Jüngerin-nen und Jüngern empfiehlt: Bei der Spei-sung der Fünftausend (Mk 6,32-44 par.) sind Jesu erste Worte an die Jünger, als die-se ihn auf das Problem der Versorgung hin-

Vgl. dazu auch „Die Kultur des Evangeliums“, in: Peter Böhlemann, Wie die Kirche wachsen

weisen: »Gebt ihr ihnen zu essen!« Und als dies aufgrund der finanziellen und materielen Knappheit bei den Jüngern zu scheitern droht, wird Jesus selbst zum Gastgeber, idem er das, was seine Jünger teilen, wuderbar vermehrt.

Ein Verhalten Jesu, das er bis heute noch nicht ganz abgelegt hat. wir haben, teilen, wird Jesus das, wovon wir

leben, wundersam vermehren.

Um sein Ziel, Menschen für die Herrschaft Gottes zu befreien, zu erreichen, Jesus und heilt Menschen. Deshalb gehören Verkündigung und Diakonie

trennbar als Wesenselement zur christlchen Gemeinde wie Evangelisation

Lebenswelt. Jesus hat mit den Menschen gegessen und gefeiert, er hat sie besucht, das heißt, er hat am Klider Atmosphäre gearbeitet, also eine bstimmte Kultur geschaffeund seinem Ziel entsprechend zu leben.

Die Kultur des Evangeliums

Die »Kultur des Evangeliums« lässt sich noch weiter beschreiben. Sie ist angstfrei, visionär (lustvoll und mit einem positiven Menschenbild), sie ist gastfreundlich und festlich, partizipatorisch und kinderfreunlich. Ja, das hat Jesus versucht, seinen Jügern beizubringen. Mit jedem Kind wächst die Kirche, und mit jedem Jugendlichen steigt ihre Qualität.

(angstfrei) Jesus will nicht, dass Menschen sich vor ihm oder Gottheißt es so oft und programmatisch, wenn Gott den Menschen begegnet: „Fürchte dich nicht!“ (vgl. Lk 1,30; 2,10; 5,10; 8,50; 12,4.7.32; Apg 18,9; 17,24).

(visionär): Die »Kultur des Evangeliums« ist visionär, lustvoll und mit einem positiMenschenbild: Jesus hat eine Vision von den Menschen, denen er begegnet. Selbst in dem Kleinsten sieht er ein Kind Gottes. Wenn Jesus sich mit uns an einen Tisch sitzt, dann erkennt er in uns nicht nur die Verräter, die Leugner, Versager und Zweifler, sieht in uns seine Geschwister, Glieder an seinem Leib.

Diese Vision Jesu von den Menschen als neue Schöpfung Gottes –

Das Evangelium in den Lebenswelten

weisen: »Gebt ihr ihnen zu essen!« Und als und der finanziellen und materiel-

len Knappheit bei den Jüngern zu scheitern droht, wird Jesus selbst zum Gastgeber, in-dem er das, was seine Jünger teilen, wun-

Ein Verhalten Jesu, das er bis heute noch nicht ganz abgelegt hat. Wenn wir das, was

wir haben, teilen, wird Jesus das, wovon wir

leben, wundersam vermehren.

Um sein Ziel, Menschen für die Herrschaft Gottes zu befreien, zu erreichen, predigt

Menschen. Deshalb gehören Diakonie ebenso un-

enselement zur christli-Evangelisation und die

. Jesus hat mit den Menschen , er hat sie gesucht und

, das heißt, er hat am Klima und an der Atmosphäre gearbeitet, also eine be-stimmte Kultur geschaffen, um seiner Vision und seinem Ziel entsprechend zu leben.

Die Kultur des Evangeliums

»Kultur des Evangeliums« lässt sich beschreiben. Sie ist angstfrei,

visionär (lustvoll und mit einem positiven Menschenbild), sie ist gastfreundlich und

risch und kinderfreund-lich. Ja, das hat Jesus versucht, seinen Jün-

Mit jedem Kind wächst und mit jedem Jugendlichen

Jesus will nicht, dass Menschen sich vor ihm oder Gott fürchten. Deshalb heißt es so oft und programmatisch, wenn Gott den Menschen begegnet: „Fürchte dich nicht!“ (vgl. Lk 1,30; 2,10; 5,10; 8,50; 12,4.7.32; Apg 18,9; 17,24).

): Die »Kultur des Evangeliums« lustvoll und mit einem positiven

Menschenbild: Jesus hat eine Vision von den Menschen, denen er begegnet. Selbst in dem Kleinsten sieht er ein Kind Gottes. Wenn Jesus sich mit uns an einen Tisch sitzt, dann erkennt er in uns nicht nur die Verräter, die Leugner, Versager und Zweifler, sondern er sieht in uns seine Geschwister, Glieder an

Diese Vision Jesu von den Menschen als – egal ob sie Sünder,

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P. Böhlemann

Huren, Zöllner, Kranke, Arme oder welche von unserer Sorte sind – prägt auch das Zusammenleben der ersten lässt Paulus und andere soziale und ethnsche Grenzen überschreiten und wird zum eigentlichen Motor der Evangelisation (vgl. Gal 3,28; 2 Kor 5,17).

(partizipatorisch): Und schließlich ist Kultur des Evangeliums partizipatorischeröffnet und ermöglicht VerbundenheitJesus vergleicht das Reich Gottes immer wieder mit einer großen Festtafel, und er gibt uns durch sein Reden und Handeln Eiblicke in seine Vision dieses Reiches. Viele sind dort geladen, es gibt Lammbraten und Wein, es wird gefeiert, gegessen und gtrunken (Lk 13,29; 14,15; 22,16.18.30), und den Vorsitz an der Festtafel hat Abraham (13,28; 16,22f). Sei es ihm gegönnt, es wird genug für uns übrig sein. Wer an Jesu Woten und Taten partizipiert, der schmeckt symbolisch gesprochen - das Brot im Reich Gottes (vgl. Lk 14,15-17.24). Die Gemeinde partizipiert am Reich Gottes, indem sie Abendmahl feiert; es wird ihr zugeeignet (22,29f). Das heißt aber, über ihre Teilhabe am Leib Christi hat sie Zugang zum Reich Gottes. Gott selbst bietet uns in den Sakrmenten die Beziehung zu ihm an. wir das Brot teilen, realisiert sich auchsere Beziehung untereinander ren Geschwistern in der einen Welt

Wer das Evangelium in Verbindung zu unsren Lebenswelten bringen wiauch atmosphärisch arbeiten. Wir brauchen eine angstfreie Atmosphäre und eine Kultur der Gastlichkeit, des Miteinanderund der Partizipation.

Feedback-Kultur

Wenn sich das Evangelium wirklich in unsren gemeindlichen Lebenswelten wid

3. Die Kultur des Evangeliums

S. 9 Das Evangelium in den Lebenswelten

Huren, Zöllner, Kranke, Arme oder welche prägt auch das Christen. Sie

lässt Paulus und andere soziale und ethni-sche Grenzen überschreiten und wird zum eigentlichen Motor der Evangelisation (vgl.

Und schließlich ist die partizipatorisch, sie

Verbundenheit: Jesus vergleicht das Reich Gottes immer wieder mit einer großen Festtafel, und er gibt uns durch sein Reden und Handeln Ein-blicke in seine Vision dieses Reiches. Viele sind dort geladen, es gibt Lammbraten und

ird gefeiert, gegessen und ge-trunken (Lk 13,29; 14,15; 22,16.18.30), und den Vorsitz an der Festtafel hat Abraham

gönnt, es wird Wer an Jesu Wor-

ten und Taten partizipiert, der schmeckt - das Brot im Reich

17.24). Die Gemeinde partizipiert am Reich Gottes, indem sie Abendmahl feiert; es wird ihr zugeeignet (22,29f). Das heißt aber, über ihre Teilhabe am Leib Christi hat sie Zugang zum Reich

st bietet uns in den Sakra-menten die Beziehung zu ihm an. Und indem wir das Brot teilen, realisiert sich auch un-

und zu unse-ren Geschwistern in der einen Welt.

das Evangelium in Verbindung zu unse-will, der muss

auch atmosphärisch arbeiten. Wir brauchen eine angstfreie Atmosphäre und eine Kultur der Gastlichkeit, des Miteinander-Feierns

Wenn sich das Evangelium wirklich in unse-ren gemeindlichen Lebenswelten wider-

spiegelt, dann gehören dazu auch mosphäre der gegenseitigen Wertschätzung und Annahme ebenso wie verlässliche Rückmeldungen. Es ist eine wesentliche Leitungsaufgabe, dafür zu sorgen, dass Miarbeitende positive Rückmeldungen auf ihre Arbeit bekommen. Auch notwendige negatve Kritik ist viel leichter anzunehmen, wenn sie auf eine grundsätzlich wertschätzende Haltung gegründet ist. Es ist uns nicht in die Wiege gelegt. Wir sind schnell mit der haten Analyse und der erbarmungslosen Krtik. Gerade wir Christen leiden gerne und kritisieren leidenschaftlich. Für uns ist das Glas immer halbleer, wir sehen fehlen, nicht die, die kommen, wir klagen über die fehlenden Finanzen, statt uns über die immer noch reichlich vorhandenen zu freuen. Zu einer Kultur des Evangeliumsgehört auch, dass wir uns bemühen, die Abeit von Menschen positiv wahrzunehmen und ihnen das inhaltlich qualifiziert rückzumelden. Positives Feedback verädert Menschen – negatives Feedback verägert nur.

Leitung im Team

Trotz seiner Redebegabung und seiner Fhigkeit, Wunder zu wirken, sucht Anfang die Unterstützung von Mitarbeitern und später auch Mitarbeiterinnen. Er sucht seine Jünger unter Menschen aus, die er kennt und die ihm vertrauen.

Wenn wir heute gerade auchschwachen Gebieten Mitarbeitende gewinen wollen, müssen wir sie kennen. Sie müssen Grund haben, uns zu vertrauen. Vielleicht haben wir ihre Schwiegermutter ja nicht gerade geheilt - wie Jesus bei Petrus, aber sie schon besucht, oder mit ihnen Feste gefeiert, ihre Sorgen durchlitten. Es muss ja nicht gleich Wasser zu Wein seinAber das ein oder andere ausgegebene Bier kann eine solide Grundlage für eine lange und gute Zusammenarbeit sein. Schließlich sollten wir uns auch nicht zu fein seinschen wirklich um Hilfe zu bitten. Gebornen Helfern und berufenen Helferinnen fällt es nicht immer leicht, Hilfe von anderen in Anspruch zu nehmen. Schon bei Lukas wird die frühe Kirche nicht durch einzelne Persnen oder eine Gruppe, sondern durch veschiedene Teams geleitet:

Das Evangelium in den Lebenswelten

spiegelt, dann gehören dazu auch eine At-mosphäre der gegenseitigen Wertschätzung und Annahme ebenso wie verlässliche

ist eine wesentliche , dafür zu sorgen, dass Mit-

arbeitende positive Rückmeldungen auf ihre en. Auch notwendige negati-

ve Kritik ist viel leichter anzunehmen, wenn sie auf eine grundsätzlich wertschätzende

Es ist uns nicht in die Wiege gelegt. Wir sind schnell mit der har-ten Analyse und der erbarmungslosen Kri-

Christen leiden gerne und kritisieren leidenschaftlich. Für uns ist das Glas immer halbleer, wir sehen die, die uns fehlen, nicht die, die kommen, wir klagen über die fehlenden Finanzen, statt uns über die immer noch reichlich vorhandenen zu

ner Kultur des Evangeliums gehört auch, dass wir uns bemühen, die Ar-beit von Menschen positiv wahrzunehmen und ihnen das inhaltlich qualifiziert rückzumelden. Positives Feedback verän-

negatives Feedback verär-

einer Redebegabung und seiner Fä-higkeit, Wunder zu wirken, sucht Jesus von Anfang die Unterstützung von Mitarbeitern und später auch Mitarbeiterinnen. Er sucht seine Jünger unter Menschen aus, die er kennt und die ihm vertrauen.

gerade auch in struktur-Mitarbeitende gewin-

nen wollen, müssen wir sie kennen. Sie müssen Grund haben, uns zu vertrauen. Vielleicht haben wir ihre Schwiegermutter

wie Jesus bei Petrus, aber sie schon besucht, oder mit ihnen ihre Feste gefeiert, ihre Sorgen durchlitten. Es muss ja nicht gleich Wasser zu Wein sein.

ber das ein oder andere ausgegebene Bier kann eine solide Grundlage für eine lange und gute Zusammenarbeit sein. Schließlich sollten wir uns auch nicht zu fein sein, Men-schen wirklich um Hilfe zu bitten. Gebore-nen Helfern und berufenen Helferinnen fällt es nicht immer leicht, Hilfe von anderen in

Schon bei Lukas wird die frühe Kirche nicht durch einzelne Perso-nen oder eine Gruppe, sondern durch ver-schiedene Teams geleitet:

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4. Die Anschlussfähigkeit des Evangeliums

P. Böhlemann S. 10 Das Evangelium in den Lebenswelten

Das sind neben dem Zwölferkreis, den Frau-en (Lk 8,2f, 24,10), den in Zweierteams ent-sandten Zweiundsiebzig (Lk 10,1f), den Emmaus-Jüngern, auch Paulus und die sie-ben „Armenpfleger“. Dies sind historische Erinnerungen an ein Prinzip, nach dem Lei-tung in der Kirche geschehen soll.

Jesu Worte: »Wo zwei oder drei versammelt

sind in meinem Namen, da bin ich mitten

unter ihnen« (Mt 18,20) haben sicher nicht die Funktion, unsere leer gewordenen Got-tesdienste zu legitimieren; sie verdeutlichen vielmehr ein Grundprinzip der Nachfolge Jesu: Je zwei und zwei.6

Keiner soll den Dienst im Auftrag Jesu allein tun. Selbst Paulus ist nicht alleine losgezo-gen, und Petrus hatte seine Familie dabei! Gemeinde und Nachfolge Jesu Christi ereig-net sich nur in Gemeinschaft! Gemeinde Jesu Christi ist von Anfang an als Miteinander angelegt. Nicht das Amt eines Einzelnen, sondern das Teilen der Macht mit Schwes-tern und Brüdern legitimiert, sie auch aus-zuüben. Die Schwierigkeit und Komplexität der Aufgabe, das Evangelium weiter zu ge-ben, lässt sich in der Kirche von Anfang nicht von einzelnen Personen bewältigen. Sie entspricht dem biblischen Grundprinzip: Einer trage des anderen Last! (Gal 6,2). Wer tröstet, muss auch getröstet werden. Wer theologische Erkenntnisse hat, muss diese auch diskutieren. Und wer meint, wie Mose eine Richtung erkannt zu haben, braucht einen Bruder an der Seite wie Aaron, der das kommunizieren kann, und eine Schwes-ter wie Mirjam, die das angemessen litur-gisch feiert.

Eine angemessene Kultur des Evangeliums in ihrer Vielfalt benötigt Teams genauso dringend wie Leitende, die in der Lage sind, die »Geleiteten« an den Entscheidungspro-zessen partizipieren zu lassen und Verant-wortung zu teilen. Leitung sollte heute nicht mehr nur im Gegenüber, sondern im Mitei-nander geschehen – in Freiheit und Bezie-hung!

6 Vgl. Mk 6,7; Lk 10,1; Mt 18,19f.

4. Die Anschlussfähigkeit des Evangeliums7

1. Der Inhalt des Evangeliums be-

nötigt und ermöglicht Veränderungen.

Jesu Ziel war nicht die Veränderung, sein Anliegen nicht die Aufhebung der geltenden Systeme, aber seine Botschaft war explosiv genug, die Maßstäbe dessen, was bleiben muss und was neu werden soll, nachhaltig zu verändern.

Niemand flickt einen Lappen von neuem Tuch

auf ein altes Kleid; sonst reißt der neue Lap-pen vom alten ab und der Riss wird ärger.

Und niemand füllt neuen Wein in alte Schläu-

che; sonst zerreißt der Wein die Schläuche

und der Wein ist verloren und die Schläuche

auch; sondern man soll neuen Wein in neue

Schläuche füllen (Mk 2,21f).

Weil der Inhalt des Evangeliums die An-nahme des Verlorenen, die Befreiung aus Fesseln und schließlich den Sieg über den Tod bedeutet, schließt der Glaube daran theologisch gesehen immer eine existentiel-le Veränderung mit ein. Befreiung ist mög-lich. Krankes wird heil, Gestorbenes leben-dig! Diese Möglichkeit der in einer Neu-schöpfung gipfelnden existentiellen Verän-derung birgt zugleich die Unabhängigkeit der Christen von allen äußeren Normen und Zwängen.

2 Kor 5,17: Darum: Ist jemand in Christus, so

ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen,

siehe, Neues ist geworden.

Gal 3,28: Hier ist nicht Jude noch Grieche,

hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht

Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in

Christus Jesus.

Unser Heil ist weder von unserem Stand, Geschlecht, Hautfarbe, sozialen Status noch vom eigenen Bemühen abhängig, sondern geschieht letztlich allein aus Gnade. Die da-raus resultierende innere Unabhängigkeit der Christen hat zu vielen bahnbrechenden Veränderungen und Erneuerungen in der Geschichte der Christenheit geführt, welche immer auch mit großen Widerständen ver-

7 Vgl. dazu „Veränderungsmanagement“, in: Pe-ter Böhlemann / Michael Herbst, Geistlich leiten – ein Handbuch, Göttingen 2011, S. 180-190.

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4. Die Anschlussfähigkeit des Evangeliums

P. Böhlemann S. 11 Das Evangelium in den Lebenswelten

bunden waren. Man denke nur an die Ab-schaffung der Sklaverei oder die Gleichbe-rechtigung der Geschlechter.

Weil wir letztlich in der Tiefe bei den Din-gen, die unser Seelenheil betreffen, nicht von äußeren Formen abhängig sind, können und müssen wir sie manchmal in unseren Lebenswelten mutig verändern.

Natürlich müssen wir auch wissen: Verän-derungen erzeugen Widerstand, auch wenn es Veränderungen zum Guten sind.

Es sind ja nicht nur unbedachte Phrasen, wenn bei drohenden Veränderungen Sätze gesagt werden wie:

�� Bei uns geht das nicht. Muss das denn

sein?!.

�� Früher ging es doch auch ohne Video-

beamer, Verstärkeranlage, Mikrofone,

Popmusik und englische Fremdwörter!

Dahinter steckt die Ungewissheit darüber, was kommen wird. Was hinter uns liegt, kennen wir, und was wir haben, halten wir. Aber eine offene Zukunft macht uns Angst. Solche Reaktionen und Gefühle müssen bei gesteuerten Veränderungsprozessen unbe-dingt zugelassen werden. Erst wenn sie wahrgenommen und offen ausgesprochen sind, lassen sie sich auch bearbeiten, über-winden und setzen sogar Kraft frei.

Denn erinnern wir uns an das, was Jesus im Evangelium sagt:Das Reich Gottes gleicht

einem Mann, der säte und schlief … (vgl. Mk 4,26-29). Das heißt doch: …

2. Die wirklich wichtigen Verän-

derungen, die etwas mit dem Reich

Gottes zu tun haben, geschehen ohne

unser Zutun.

Gott selbst sorgt dafür, dass der ausgestreu-te Same des Evangeliums in unseren Le-benswelten Frucht bringt und dass seine Herrschaft wächst. Es ist also letztlich we-der von unserer Kraft noch von unseren Ressourcen abhängig, wie sein Reich unter uns wächst.

Wir müssen entscheiden, ob wir links oder rechts säen und wie viel Zeit wir uns dafür nehmen, aber wir lassen den Samen nicht wachsen! Wenn wir unsere Arbeit tun und

das, was Gott uns gegeben hat, für ihn ein-setzen, dann reicht das.

Und wenn wir etwas nicht schaffen, es uns zu viel wird und wir mehr Ruhe brauchen, dann haben wir Jesus selbst auf unserer Seite, der schlafend mit uns in einem Boot ist und selbst dem Wind und dem Wasser Ruhe gebietet (Mk 4,35-41).

3. Resümee

Wir haben viel gehört und manches gese-hen. Hoffentlich haben Sie sich ein wenig von der Faszination und Kraft des Evangeli-ums gespürt. Wenn ich abschließend zu-sammenfassen sollte, worum es mir ging, dann würde ich das gerne mit einem einzi-gen Motiv machen, nämlich dem Geheimnis des Glaubens. Immer, wenn im neuen Tes-tament vom Geheimnis die Rede ist, also vom Mysterion, vom Sakrament, dann ist die Botschaft des Evangeliums gemeint und die lautet: Christus für uns!

Das ist die Kurzversion, gemeint ist seine Beziehung zu uns und seine Freiheit für uns: Er ist für uns gestorben und auferstanden, er hat für uns gelebt, damit wir frei sind, frei von allem, was uns bindet, frei, um zu leben.