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hh Das Gauss’sche Klassenzahl - Eins - Problem Candy Walter Masterarbeit 3 4 7 8 11 19 43 67 163

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Das Gauss’sche

Klassenzahl - Eins - Problem

Candy Walter

Masterarbeit

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hh Fur meine lieben Eltern,hh von denen ich soviel lerntehh und zu denen ich immer aufblicken werde.

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Gottfried Wilhelm Leibniz Universitat Hannover

Fakultat fur Mathematik und Physik

Institut fur Algebra, Zahlentheorie und Diskrete Mathematik

Candy WalterMasterstudiengang Lehramt an Gymnasien (Master of Education) fur dieFacher Mathematik und PhysikWintersemester 2011/2012

Gutachter: Prof. Dr. Stefan Wewers,Dr. Marcos Soriano

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Carl Friedrich Gauß –”Princeps Mathematicorum“ (1777 - 1855)

Dies Bild von Carl Friedrich Gauss hangt im Horsaal der Sternwarte der UniversitatGottingen wie es von Gottlieb Biermann 1887 mit Ol auf Leinwand gemalt wurde.Das Original befindet sich heute in St. Petersburg.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung 7

1 Zahlentheoretische Grundlagen 151.1 Diophantische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151.2 Zahlkorper und Ganzheitsringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171.3 Die Idealklassengruppe und die Klassenzahl quadratischer Zahlkorper . . . 211.4 Binare quadratische Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

2 Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 312.1 Die Riemann’sche Zetafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322.2 Dirichlet’sche Charaktere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.3 Dirichlet’sche L-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402.4 Auswertung der L-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

3 Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 623.1 Die klassischen Vermutungen von Gauss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623.2 Komposition von Formen und Korrespondenz

zwischen Formen und Idealen in quadratischenZahlkorpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

3.3 Das allgemeine Klassenzahl-Eins-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683.4 Der Satz von Rabinowitsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713.5 Die Losungen von Hecke - Landau - Deuring - Mordell und Heilbronn . . . 78

4 Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 824.1 Die Arbeit von Heilbronn und Linfoot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824.2 Die kritischen Resultate von Heegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1024.3 Die Losungen von Baker-Bundschuh-Hock und Stark . . . . . . . . . . . . 106

4.3.1 Funktionentheoretische Voruberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . 1074.3.2 Effektive untere Abschatzungen einer festen Linearform . . . . . . . 1144.3.3 Berechnung der positiven Konstante c . . . . . . . . . . . . . . . . . 1164.3.4 Beweisschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

4.4 Die Lucke in Heegners Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

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5 Schlussbetrachtung 1395.1 Hohere Klassenzahlbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

Literaturverzeichnis 146

Anhang 153Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154Symbolverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155Das Griechische Alphabet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157Bildkopien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

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Einleitung

Hier geht es um die Verruckten.Die Außenseiter. Die Rebellen. DieStorenfriede. Das Runde im Eckigen.Diejenigen, die die Dinge andersbetrachten. Sie mogen keine Regeln.Und sie haben keinen Respekt fur denStatus quo. [...] Sie bringen dieMenschheit voran. Und wahrendeinige sie als verruckt betrachtenmogen, sehen wir hier das Genie.

Steve Jobs (1955-2011)

Fur Carl Friedrich Gauss war die Mathematik die Konigin der Wissenschaften unddie Zahlentheorie die Konigin der Mathematik. Schon in der Kindheit zeigte sich das enor-me Talent, welches Gauss bezuglich der Mathematik besitzen sollte. Bereits mit drei Jah-ren korrigierte er die Lohnabrechnungen seines Vaters und als siebenjahriger Grundschulerloste er als Erster die von seinem Lehrer Johann G. Buttner (1721-1795) gestellte Auf-gabe der Summation der arithmetischen Reihe

100∑

n=1

n = 1 + 2 + 3 + ...+ 100

in nur wenigen Minuten.”Ligget se!“ – Da liegt sie, verkundete er. Gauss erkannte wohl

sofort, dass sich bei der Addition die Zahl 101 aus genau 50 Zahlenpaaren ergibt, wennman nur die erste mit der letzten, die zweite mit der vorletzten, die dritte mit drittletztenusw. summiert, also 1+100, 2+99, 3+98 usw. – was dann schließlich als Gesamtsummedie Losung 50 · 101 = 5050 liefert. Diese von Gauss gefundene Methode funktioniert (in-teressanterweise) bei allen Teilsummen arithmetischer Folgen. Johann C. Bartels1 –ein damaliger Assistent2 von Buttner, der spater Professor der Mathematik in Russland

1Johann Christian Martin Bartels (1769-1836) war ein deutscher Mathematiker. Seit 1826 war erstandiges Mitglied der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg und wurde mit hohen russischenOrden ausgezeichnet. Er wurde von Gauss hoch geschatzt und bis zu seinem Tode als Mathematikergeachtet.

2Damals bezeichnete man einen Nachhilfelehrer als Assistenten.

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Einleitung 8

wurde – erkannte fruh die mathematische Begabung von Gauss und eroffnete ihm denZugang zu brauchbaren mathematischen Buchern. Gauss, der die Bucher emsig studier-te, erhielt dadurch den Zugang zur Lehre der unendlichen Reihen und kam in den Besitzdes Binomischen Lehrsatzes, welcher ihm den Weg in die hohere Analysis eroffneten. 1791wurde Gauss mehreren hochrangigen Personen – unter anderem dem Herzog von Braun-schweig3 – vorgestellt, welcher die geistige Begabung und die enormen Rechenkunste desdamals Vierzehnjahrigen bewunderte. Im Jahr darauf gewahrte ihm der Herzog ein Stipen-dium am Collegium Carolinum4, der heutigen technischen Hochschule in Braunschweig.Noch nicht im Klaren daruber, ob er sich ganzlich der Mathematik oder der Philosophiewidmen sollte, begann Gauss 1795 mit dem Studium an der Universitat in Gottingen,wo er sich schon bald einen unvergleichlichen Namen in der Geschichte der Mathematikmachen sollte. Bereits 1795 entwickelte er die Methode der kleinsten Quadrate,5 wel-che noch heute die Grundlage der gesamten Fehler- und Ausgleichsrechnung bildet. 1796verschrieb sich Gauss vollkommen der mathematischen Wissenschaft und veroffentlichtenoch im selben Jahr die Losung zu einem bis dato ungelosten

”Antike’schen Problem“,

welches sich mit der Konstruierbarkeit von regelmaßigen Polygonen durch Zirkel undLineal beschaftigte. Dabei entspricht der Konstruktion eines regelmaßigen n-Ecks6 derLosung des Problems, einem Kreis ein regelmaßiges Polygon von n-Ecken einzubeschrei-ben.7 Mithilfe der komplexen Zahlen findet man, dass alle primitiven n-ten Einheitswur-zeln ζn = exp(2πi/n) der Kreisteilungsgleichung xn − 1 = 0 auf einem Kreis um denUrsprung mit Radius Eins liegen. Aus der Galoistheorie8 folgt zudem, dass nur Quadrat-wurzeln mit Zirkel und Lineal konstruiert werden konnen. Daher lasst sich das Problemauf die Frage zuruckfuhren, fur welche naturlichen Zahlen n sich die primitiven Einheits-wurzeln der Gleichung xn − 1 = 0 durch

”Schachtelung“ von Quadratwurzeln darstellen

3In Rede stehend ist hier, Karl II. Wilhelm Ferdinand (1735-1806). Dieser war Furst vonBraunschweig-Wolfenbuttel und fuhrte den Titel eines Herzogs zu Braunschweig und Luneburg.

4Am 18. Februar 1791 schrieb sich Gauss als 462. Student mit Johann Friedrich Karl Gauss ausBraunschweig in die

”Matricul des Collegii Carolini“ ein (siehe diesbezuglich die im Anhang aufgefuhrte

Kopie aus dem Universitatsarchiv der Technischen Universitat Braunschweig). Den Vornamen Johannsowie die Schreibweise

”Karl“ hat Gauss, wie die Unterschriften zu seinen spateren Veroffentlichungen

zeigen, auf denen man nur Carl Friedrich Gauss liest, nie wieder benutzt.5Vgl.

”Theoria motus corporum coelestium“ (1809),S.21.

6Ein regelmaßiges n-Eck ist ein (konvexes) Polygon, dessen samtliche Seiten die gleiche Lange haben.7Beispielsweise lasst sich das regelmaßige Pentagon (Funfeck) konstruieren, das regelmaßige Heptagon(Siebeneck) hingegen nicht.

8Benannt nach den Franzosen Evariste Galois (1811-1832), dessen tragische Geschichte zum Teil mehrbekannt ist als seine Theorie selbst. Galois starb am 30.Mai 1832 im Alter von 21 Jahren einen volligunnotigen Tod, als er sich einem Rivalen, der als exzellenter Schutze galt, zu einem Pistolenduell stellte.So heißt es:

”In finsterer Vorahnung notierte er bis in die Nacht vor dem Duell die wichtigsten Satze

seiner großartigen Theorie, um sie der Nachwelt zu erhalten. Im Morgengrauen schrieb er verzweifelt dieberuhmten Worte

”je n’ai pas le temps“ (ich habe keine Zeit mehr) und bat seinen Freund Auguste

Chevalier, das Manuskript an Gauss und Jacobi zu schicken.“ Galois unterlag im Duell und starbzwei Tage darauf an seine Verletzungen. Ahnlich wie bei Mozart oder Schubert fragt man sich, zuwelchen brillanten Ideen Galois wohl noch imstande gewesen ware, wenn er nicht so fruh hatte sterbenmussen. Eine nette Biographie von Galois findet man unterhttp://www.galois-group.net/galois.pdf

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Einleitung 9

lassen. Ein regelmaßiges n-Eck kann schließlich nur fur derartige n mit Zirkel und Linealkonstruiert werden. Uber den Morgen des 29. Marz 1796 schrieb Gauss in einem Briefan Christian L.Gerling (1788–1864) im Jahre 1819 die folgenden Worte:

”Durch angestrengtes Nachdenken uber den Zusammenhang aller Wurzeln

(der Gleichung xn − 1 = 0) untereinander nach arithmetischen Grundengluckte es mir bei meinen Ferienaufenthalt in Braunschweig am Morgen [...](ehe ich aus dem Bette aufgestanden war), diesen Zusammenhang auf dasklarste anzuschauen, so daß ich die spezielle Anwendung auf das 17-Eck unddie numerische Bestatigung auf der Stelle machen konnte.“ [Re57,S.17]

Die Entdeckung der Konstruierbarkeit des regelmaßigen 17-Ecks mit Zirkel und Lineal wareine Sensation unter seinen Zeitgenossen und lieferte die erste nennenswerte Erganzungeuklidischer Konstruktionen seit 2000 Jahren.

Noch keine 19 Jahre veroffentlichte Gauss am 01. Juni 1796 im Intelligenzblatt der all-gemeinen Literaturzeitung erstmals9 und versprach mit den Worten:

”Desto mehr druckt mich, verdient die Entdeckung Aufmerksamkeit, daß aus-

ser jenen ordentlichen Vielecken noch eine Menge anderer, z.B. das Sieb-zehneck, einer geometrischen Construction fahig ist. Diese Entdeckung ist ei-gentlich nur ein Corollarium einer noch nicht ganz vollendeten Theorie vongroßerem Umfange, und sie soll, sobald diese ihre Vollendung erhalten hat,dem Publicum vorgelegt werden.“

Damit kundigte Gauss das siebte Kapitel seines epochalen Werkes der Disquisitio-nes Arithmeticae10 (arithmetische Untersuchungen) [Ga01] von 1801 an, in welchemer sich mit der Theorie der Kreisteilung ausgiebig beschaftigt. Seine Methoden reichtenaus,11 um das Problem der Konstruktion von regelmaßigen n-Ecken mit Zirkel und Linealvollstandig zu losen mit dem folgenden

Satz: Das regelmaßige n-Eck ist genau dann mit Zirkel und Lineal konstruierbar, wennϕ (n), der Wert der Euler’schen ϕ-Funktion, eine Potenz von 2 ist.

Einen eleganten Beweis des Satzes, fur die Konstruktion der regelmaßigen n-Ecke mitZirkel und Lineal, findet man heute auch im Rahmen der Galoistheorie.

9Im Jahre 1849 machte Gauss mit 72 Jahren seine letzte Veroffentlichung, uber die Abhandlung”

Beitragezur Theorie der algebraischen Gleichungen“ (= vierter Beweis des Fundamentalsatzes der Algebra).

10Es heißt, die Disquisitiones Arithmeticae erschien im Sommer 1801 nach einigen Widrigkeiten gegen denWillen von Gauss erst nach seiner am 16.Juli 1799 in Helmstedt, bei Johann F.Pfaff (1765-1825),

”in absentia“ (Erlaß der mundlichen Prufung), vollzogenen Promotion mit dem ersten vollstandiger

Beweis des Fundamentalsatzes der Algebra. ([Wu08,S.219])11Siehe: Summierung gewisser Reihen von besonderer Art, Commentationes soc. reg. sc. Got-

ting.recentiores, Vol.I, Gottingae 1811. Zu finden in [Ga01,Art.365 u.366] sowie [Ga01,S.463-495].

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Einleitung 10

Abbildung 1: Gedenkbriefmarke von1977 zu Ehren von Gauss. Rechts imBild befindet sich ein 17-Eck einge-schlossen von Zirkel und Lineal.

Nach der Veroffentlichung der Disquisitiones Arithmeticae wurde Gauss unter den Mathe-matikern weltberuhmt. Der schon in die Jahre gekommene Joseph L.Lagrange schriebam 31.Mai 1804 euphorisch an Gauss:

”Ihre Disquisitiones haben Sie sogleich eingereiht unter die ersten Mathema-

tiker, und ich ersehe, daß der letzte Abschnitt die allerschonste analytischeEntdeckung enthalt, die seit langer Zeit gemacht worden ist.“

Pierre-Simon Laplace12 sagte 1809:

”Gauss ist der großte Mathematiker der Welt.“13

Damals war Gauss 32 Jahre alt.

Mit einem Schlag wurde die Zahlentheorie zu einer festen, inhaltsreichen und zusam-menhangenden Große, welche die hervorragenden Leistungen von Pierre de Fermat14,Leonhard Euler15 und Adrien-Marie Legendre16 vereint und in vielen Teilen12Pierre-Simon (Marquis de) Laplace (1749-1827) war ein franzosischer Mathematiker, Physiker

und Astronom. Laplace, der zunachst als Lehrer in Beaumont tatig war, wurde durch Vermittlungvon D’Alembert (1717-1783) Professor an der Militarschule in Paris. Von seinen Arbeiten sind dieuber

”Analytische Theorie der Wahrscheinlichkeit“ (1812) sowie die

”Himmelsmechanik“ (1799-1825)

sehr bedeutungsvoll geworden. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung enthalt beispielsweise seine Methodeder erzeugenden Funktionen. In der Physik nehmen die nach ihm benannten Laplace-Transformationeneine fundamentale Stellung ein.

13Zitat nach Eric T.Bell: Men of Mathematics. Simon & Schuster, 1965,S.242.14Pierre de Fermat (1707/08-1665) war ein franzosischer Mathematiker und Jurist. Fermats ma-

thematische Leistungen liegen auf dem Gebiet der Infinitesimalrechnung und dem Bereich der Zahlen-theorie. Die meisten seine zahlentheoretischen Resultate sind zu großen Teilen aus Korrespondenzenmit vielen bedeutenden Gelehrten seiner Zeit erhalten. Fermat gilt neben Rene Descartes (1696-1650) als einer der Begrunder der analytischen Geometrie. Fermat zu Ehren wird von der UniversitatToulouse seit 1989 alle zwei Jahre der Fermat-Preis verliehen. Da Fermat selbst nie Mathematikstudierte, gilt er heute als der großte

”Hobbymathematiker“ aller Zeiten.

15Leonhard Euler (1707-1783) war ein schweizer Mathematiker, Physiker, Philosoph und Theologe.Im Jahre 1727 ging Euler nach Sankt Petersburg und wurde dort 1730 Professor fur Physik und 1733Professor der Mathematik an der Akademie. Das Gesamtwerk von Euler umfasst 886 Titel, darunterviele umfangreiche Lehrbucher. In vielen Fachgebieten ist seine Darstellungsart endgultig gewesen, undalle bedeutenden Mathematiker der nachfolgenden Zeit haben sie ubernommen. Darunter fallen dieDarstellungen aus seiner 1748 erschienenen Arbeit

”Intoduction in analysin infinitorum“ in der die

Reihenlehre, die Trigonometrie, die Eliminationstheorie und der Zetafunktion behandelt wird. Seinewichtigsten Einzelleistungen sind: der Euler’sche Polygonsatz, die Euler’sche Gerade, die Euler’scheKonstante, das quadratische Reziprozitatsgesetz und die Losung des Konigsberger Bruckenproblems.

16Adrien-Marie Legendre (1752-1833) war ein franzosischer Mathematiker und hatte großen Anteil

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Einleitung 11

erweitert.17 Noch heute zahlt es zu den brilliantesten Lehrbucher aller Zeiten, das anGrundlichkeit und Systematisierung den modernen zahlentheoretischen Lehrbuchern innichts nachsteht.

Abbildung 2: Titelblatt und erste Seiteder Disquisitiones Arithmeticae vonGauss aus dem Jahre 1801. [Wu08,S.219]

Gauss hat wohl kaum vorhersehen konnen, welche nachgreifende Bedeutung sich aufgrundder Disquisitiones Arithmeticae fur die Mathematik ergeben wurde. Die Disquisitiones gabder Zahlentheorie den Status einer hoch angesehenen und respektablen Forschungsrich-tung. Nach der Anfangsphase der ersten Veroffentlichung – in der es um das Verstehender Disquisitiones ging – zeigte sich schließlich, welchen Ideenreichtum und AnregungenGauss der Nachwelt hinterlassen hatte, von denen sich viele Mathematiker18 (die durch-aus auch in anderen Wissenschaften tatig waren) inspirieren ließen und von denen auchwir – als Ziel dieser Arbeit – das Klassenzahl-Eins-Problem in Angriff nehmen werden.1860 berichtete Ernst Kummer – in seiner Gedachtnisrede auf Peter G.L.Dirichlet

an der Begrundung der Zahlentheorie und der Geodasie. Wichtige Ergebnisse fand er auch zu ellipti-schen Integralen, uber Grundlagen und Methoden der euklidischen Geometrie, uber Variationsrechnungund theoretische Astronomie. Legendre befasste sich mit vielen Problemen, die auch Gauss interes-sierten, er erreichte aber nie dessen

”Vollkommenheit“. 1782 gewann er den Preis der Berliner Akademie

der Wissenschaften fur die Bestimmung der Bahn eines Geschosses mit Berucksichtigung des Luftwi-derstands, was ihm die Aufmerksamkeit von Lagrange verschaffte, der damals in Berlin Direktor derAkademie war. Wie Lagrange ist auch Legendre, aufgrund seiner herausragenden Leistungen, alseiner von 72 Wissenschaftler auf dem Pariser-Eiffelturm verewigt.

17Die Disquisitiones ist reichhaltig an neuen Ideen und Methoden. Beispielsweise fuhrt Gauss eine neueAquivalenzrelation ein – die Kongruenz, im Zeichen ≡. So schreibt er:

”Dieses Zeichen habe ich wegen

der großen Analogie, die zwischen der Gleichheit und der Congrunez stattfindet, gewahlt [. . . ] um keineZweideutigkeit entstehen zu lassen.“ [Ga01,S.1]

18Man denke etwa an Peter G.Dirichlet (1805-1859), Ferdinand G.M.Eisenstein (1823-1852), Ri-chard Dedekind (1831–1916), Carl G.Jacobi (1804-1851), Charles Hermite (1822-1901), ErnstE.Kummer (1810–1893), Leopold Kronecker (1823-1891) usw. Sie alle standen unter dem Einflussder Disquisitiones und erweiterten die von Gauss erzielten Resultate.

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Einleitung 12

–, dass dieser die Disquisitiones immer griffbereit hatte. Im Laufe der Arbeit werden wirimmer wieder auf die Disquisitiones Arithmeticae verweisen. Uber den nachhaltigen Ein-fluss der Disquisitiones auf die Mathematik informiert in vielen Einzelheiten CatherineGoldstein in [Go07].

Einige Monate nach seinem Beweis uber die Konstruierbarkeit des regelmaßigen n-Ecksmit Zirkel und Lineal bewies Gauss [Ga01,Art.262] am 18.04.1796 das von ihm – un-abhangig von Euler und Legendre – entdeckte quadratische Reziprozitatsgesetz19:

Satz: (Quadratische Reziprozitatsgesetz, 1796)

Fur alle ungeraden naturlichen Zahlen m > 1, n > 1gilt

(mn

)( nm

)= (−1)

m−12·n−1

2 =

−1 wenn m ≡ n ≡ 3 mod 4,

1 sonst.

Neben den hier erwahnten Resultaten hat Gauss viele weitere tiefgehende und techni-sche Resultate zur Zahlentheorie beigetragen. In Stichpunkten: Arithmetisch- und geome-trisches Mittel, Frequenz der Primzahlen, Grundlagen der Geometrie, Teilung der Lem-niskate, Theorie der elliptischen Funktionen, Theorie der binaren quadratischen Formenusw. Einige der von Gauss entwickelten Theorien werden wir in dieser Arbeit noch genau-er betrachten. Dabei wird das Hauptziel die vollstandige Losung des Klassenzahl-Eins-Problems fur imaginar-quadratische Zahlkorper sein. Die Wichtigkeit der Klassenzahlzeigt sich vor allem darin, dass sie in einem gewissen Sinne ein Maß dafur ist, in wie weitder Ganzheitsring eines Zahlkorpers von der Existenz der eindeutigen Primfaktorzerlegungentfernt ist. Dies steht im Einklang damit, dass der Ganzheitsring ein Hauptidealring istund somit der Satz von der eindeutigen Primfaktorzerlegung im klassischen Sinne gilt(vgl. dazu etwa die Ausfuhrungen in [Le96,Kap.8,Satz 2]). Bei der Niederschrift habe ichmich nicht nur auf die mathematischen Satze allein konzentriert, sondern versucht, einegeeignete Symbiose zwischen der historischen Entwicklung und den mathematischen Be-weisen zu finden. Entsprechend diesem Konzept ist die Arbeit daher wie folgt aufgebaut:

• Im ersten Kapitel werden benotigte Grundlagen aus der elementaren und algebrai-schen Zahlentheorie gesammelt. Die mathematischen Satze werden dabei ohne Be-weise, jedoch mit entsprechendem Literaturverweis versehen, sodass der Leser sieohne Weiteres nachschlagen kann. So wird die Arbeit zunachst uber diophantischenGleichungen sowie der Arithmetik von algebraischen Zahlkorpern, das heißt den ein-dimensionalen Erweiterungen des Korpers der rationalen Zahlen, aufgebaut. Nach

19Gauss selbst hielt das quadratische Reziprozitatsgesetz fur das”theorema fundamentale“ – einen sei-

ner bedeutendsten Beitrage zur Zahlentheorie. Seine”Liebe“ zu diesem bedeutenden Theorem zeigt

sich vor allem darin, dass er sich bis an sein Lebensende immer wieder damit beschaftigte und selbstsechs verschiedene Beweise dazu veroffentlichte. Am elegantesten ist wohl sein erster Beweis, welchenDirichlet in seinen Werk II auf Seite 121 vereinfacht darstellt.

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Einleitung 13

einleitenden Definitionen und Satzen wird schließlich der wichtige Begriff der Klas-senzahl auf Grundlage der Dedekind’schen Idealentheorie eingefuhrt und mithilfeder bedeutenden Theorie der binaren quadratischen Formen weiter ausgebaut.

• Im zweiten Kapitel werden wir die bahnbrechenden Resultate von Dirichlet bzgl.der analytischen und arithmetischen Klassenzahlformel fur binare quadratische For-men behandeln. In den Abschnitten 2.3 und 2.4 wird uns mittels dem L-Reihen-Kalkul die Herleitung und der Beweis der Klassenzahlformelen gelingen und damitein geschlossener Ausdruck fur die Klassenzahl der binar quadratischen Formenzur Verfugung stehen. Mit der dort gewonnenen Konzeption kann schließlich dasKlassenzahl-Eins-Problem angegriffen und gelost werden.

• Bevor dies jedoch geschieht, werden zunachst im dritten Kapitel die Gauss’schenVermutungen (bzgl. definiter binar quadratischer Formen) ausgiebig beleuchtet unddie im Laufe der Zeit erzielten Resultate chronologisch aufgelistet. Mittels der Kom-positionstheorie erhalten wir in Abschnitt 3.2 daruber hinaus eine bijektive Korre-spondenz bzgl. der Klassenzahl der binar quadratischen Formen und der Klassenzahlder quadratischen Zahlkorper.

• Im vierten Kapitel beschaftigen wir uns im Abschnitt 4.1 zunachst mit der Arbeitvon Hans Heilbronn und Edward Linfoot und werfen einen kurzen Blick aufdie darauf erzielten Resultate von Kurt Heegner. Das Kapitel schließt mit dervollstandigen Losung des Klassenzahl-Eins-Problems und zeigt, zu welchen enormengeistigen Leistungen der Mensch in der Lage ist, wenn er sich zum Ziel gesetzt hat,die Richtigkeit einer mathematischen Behauptung fur alle Zeiten zu klaren.

• Im letzten Kapitel gehen wir kurz auf die in letzter Zeit erzielten Resultate bzgl. derLosung hoherer Klassenzahlprobleme ein. Zu nennen sind dort unter anderem diebedeutenden Arbeiten von Dorian Goldfeld, Don B.Zagier und BenedictGross, welche das Klassenzahl-Eins-Problem mithilfe von elliptischen Kurven unddem L-Reihen-Kalkul losen konnten.

Neben den allgemein ublichen Dingen, wie dem Literatur-, Abbildungs-, Tabellen- undSymbolverzeichnis, befinden sich im Anhang die Seiten der Art.303 und 304 der Dis-quisitiones Arithmeticae. Dort sind mit entsprechenden Farben die zentralen Satze derGauss’schen Vermutung markiert. Des Weiteren befindet sich dort eine Kopie der Origi-nalimmatrikulation von Gauss aus dem Jahre 1791.

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Einleitung 14

Danksagungen

An dieser Stelle mochte ich mich noch bei einigen wichtigen Personen bedanken, diemich im Laufe meiner Arbeit unterstutzt haben. Zuerst bedanke ich mich bei MarcosSoriano fur seine großartige Betreuung. Des Weiteren gilt mein Dank Frau ReckaSchmidt und Herrn Pascal Heitschmidt fur ihr grundliches Korrekturlesen.

Hannover, den 29. August 2016 Candy Walter

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Kapitel 1

Zahlentheoretische Grundlagen

Der Anfang ist die Halftedes Ganzen.

Aristoteles (384-322 v. Chr.)

Um das Gauss’sche Klassenzahl-Eins-Problem besser verstehen zu konnen, ist es sinn-voll, einige zahlentheoretische Grundlagen zu erarbeiten und diese fur den weiteren Verlaufder Arbeit bereitzustellen. Daher soll zunachst an einige elementare Begriffe aus der al-gebraischen Zahlentheorie wie beispielsweise algebraischer und quadratischer Zahlkorper,Ganzheitsring und Diskriminante erinnert werden. Anschließend wird auf binar quadra-tische Formen sowie den essentiellen Begriff der Klassenzahl eingegangen. Viele der hierprasentieren Aussagen und Begriffe finden sich bereits in der eingangs erwahnten Dis-quisitiones Arithmeticae [Ga01] oder in Dirichlets Vorlesung uber Zahlentheorie undden dazu erganzenden Veroffentlichungen (Supplement XI) von Richard Dedekind [Di-De63] wieder.

1.1 Diophantische Gleichungen

Bekanntlich heißt eine komplexe Zahl20 α algebraisch uber Q, wenn sie Nullstelle einesnicht trivialen normierten Polynoms mit rationalen Koeffizienten ist. Analog nennt manα ganzalgebraisch , wenn sie Nullstelle eines normierten Polynoms f(X) ∈ Z [X] \ 0ist. Mit Q := α ∈ C| α algebraisch uber Q bezeichnen wir die Menge der abzahlbarenalgebraischen Zahlen. Der Beweis [Sc06,Lemma 5.3.2], dass die Menge Q der algebraischen

20Die komplexen Zahlen sind seit mehr als 500 Jahren bekannt und wurden vermutlich von Gero-lamo Cardano (1501-1576) in die Mathematik eingefuhrt. Jedoch erst von Gauss und AugustinL.Cauchy (1789-1857) systematisch begrundet. Vor allem durch Gauss haben sie ihre besondere Be-deutung bekommen. Er ubernahm das Euler’sche Symbol i und fuhrte den Begriff komplexe Zahl furden Ausdruck der Form α = a+ bi mit reellen Zahlen a und b ein. Uber den spater eingefuhrten Begriff

”imaginar“ beschwerte er sich haftig.

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 16

Zahlen abzahlbar-unendlich ist, sichert die Existenz der nicht algebraischen Zahlen, welcheals transzendente Zahlen bezeichnet werden und wie Euler meinte:

”uberschreiten (transzendieren) sie die Wirklichkeit der algebraischen Methoden“21

Es gibt also eine unuberschaubare Menge von Zahlen in R, welche nicht algebraisch sindund sich nicht als Nullstelle eines normierten Polynoms mit rationalen Koeffizienten dar-stellen lassen. Das Studium der transzendenten Zahlen ist ein schwerer Zweig der Mathe-matik und es ist wahrlich nicht leicht zu zeigen, dass eine beliebig irrationale Zahl nichtalgebraisch ist. Fridtjof Toenniessen gibt in seinem Buch [To09] diesbezuglich einensehr schonen Uberblick.

Es zeigt sich, dass die Summe und das Produkt von ganzalgebraischen Zahlen wiederganzalgebraisch ist. Viele der algebraischen Hilfsmittel sind ursprunglich dafur entwickeltworden, um Eigenschaften der ganzen Zahlen auf ganzalgebraische Zahlen zu ubertragen.Betrachten wir beispielsweise die beruhmte Fermat’sche Gleichung: xn + yn = zn , n>2.Fermat behauptet 1637 als Randnotiz in seiner Ausgabe der Diophantus-Arithmetica:

“Es ist nicht moglich, einen Kubus in 2 Kuben oder ein Biquadrat in 2 Biqua-drate und allgemein eine Potenz, hoher als die Zweite, in 2 Potenzen mit ebendemselben Exponenten zu zerlegen: Ich habe hierfur einen wahrhaft wunderba-ren Beweis entdeckt, doch ist dieser Rand hier zu schmal, um ihn zu fassen.“22

[Mi32,S.3]

Die von Fermat getatigte Außerung heißt heute”der große Fermat’sche Satz“ oder

auch”Fermats letzter Satz“.23 Euler bewies 1771 (mithilfe der komplexen Zahlen),

dass es außer den trivialen – in denen eine der Variablen gleich Null ist – keine weite-ren ganzzahligen Losungen (x, y, z) existiert, welche die Gleichung x3 + y3 = z3 erfullen[Eu71,S.368ff].24 Lange vor Fermat und Euler wussten schon die Pythagoreer, dassdie Gleichung des Pythagoras25 x2 + y2 = z2 mindestens funfzehn verschiedene ganz-

21Siehe: Aus dem Lateinischen”

quod algebrat vires transcendit“,”

Introductio in Analysin Infinitorum“,1748 , Kap.10 - Reprintausgabe:

”Einleitung in die Analysis des Unendlichen“, 1983.

22Ubersetzung aus einer lateinischen Diophant-Ausgabe von 1621 [Di21], welche sich im Besitz vonFermat befand.

23Ein nicht elementarer Nachweis von Fermats letzter Satz gelang 1993 den britischen MathematikernAndrew J.Wiles (*1953-) und Richard L.Taylor (*1962-). Wiles und Taylor beziehen sich beiihrer gut 100 Seiten langen Arbeit auf einen zweimaligen Beweis durch Widerspruch [Wi95]. Der Be-weis von Wiles ist sicherlich weit vom

”wahrhaft wunderbare Beweis“ entfernt, was Fermat glaubte,

bewiesen zu haben. Einen sehr netten (didaktisch aufgearbeiteten) Beweis der Fermat’schen Vermu-tung findet man in der Arbeit von Norbert Sudland [Su08]. Eine weniger auf Beweisen basierendehistorische Darstellung – von der Außerung, bis zum Losung – von Fermats letzten Satz prasentiertSimon Singh in seinem Buch [Si00].

24Eulers Beweis war an einer Stelle unvollstandig. Legendre fuhrte den fehlenden Schritt spater aus.25Der Satz des Pythagoras war schon lange vorher in den alten Hochkulturen der Agypter, Babylonier,

Inder oder Chinesen bekannt, allerdings war Pythagoras von Samos (570-510 v.Chr.) wohl der Erste,der einen Beweis dafur erbracht hat.

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 17

zahlige Losungen besitzt.26 Heute weiß man, dass unendlich viele solcher ganzzahligen Py-thagoraischen Zahlentripel existieren [Sc06,S.61ff]. In seinem Werk Arithmetica [Di21] un-tersucht Diophantos von Alexandria viele solcher polynomialen Gleichungen mit ganz-zahligen Koeffizienten und fragt nach deren ganzzahligen Losungen. Fragestellungen undProbleme solcher Art nennt man heute diophantische Probleme und die polynomialenGleichungen diophantische Gleichungen . Wie wir im Kapitel 4 noch sehen werden,spielen diophantische Gleichungen eine entscheidende Rolle in den Beweisen von KurtHeegner und Harold Mead Stark zum Klassenzahl-Eins-Problem.

1.2 Zahlkorper und Ganzheitsringe

Sei L ein Korper und K ein Teilkorper von L, dann heißt L ein Erweiterungskorpervon K und L/K eine Korpererweiterung . Betrachtet man etwa den Korper Q derrationalen Zahlen, so lasst sich dieser auf verschiedene Arten zu einem umfassendenKorper K ⊂ C erweitern. Sei K der kleinste Teilkorper von Q, welcher durch Ad-junktion endlich vieler algebraischer Zahlen α1, ..., αn ∈ C entsteht, dann schreibt manK = Q(α1, ..., αn) und sagt: der Korper K entsteht durch Adjunktion der algebraischenElemente α1, ..., αn ∈ C. Der Korper K besitzt uber Q endlichen Grad, sodass K alsQ-Vektorraum endlichdimensional ist. Endliche Korpererweiterungen K/Q vom GraddimQK = [K : Q] = n, wobei n gleich dem Grad des Minimalpolynoms27 entspricht,heißen algebraische Zahlkorper oder kurz Zahlkorper . Algebraische Zahlkorper las-sen sich durch ihre Einbettungen σi : K → Q , i = 1, ..., n klassifizieren. Ist σ = σ fureine Einbettung σ : K → Q, so heißt σ reell. Andernfalls nennt man σ und σ komplexbzw. imaginar. K heißt total reell , wenn alle n Einbettungen reell sind. Sind hingegenalle Einbettungen komplex, so nennt man K total komplex .

Im Allgemeinen sind Zahlkorper Konglomerate (Zusammensetzungen) zwischen diesenTypen. Abgesehen vom quadratischen oder kubischen Fall kann man diese Korper rela-tiv einfach klassifizieren, da die Moglichkeiten des Minimalpolynoms zu zerfallen rechtuberschaubar sind. So ist ein quadratischer Zahlkorper entweder reell oder imaginar. Aufdie Charakteristik total, werden wir daher im Folgenden verzichten. Da uns in der Arbeitprimar die quadratischen Zahlkorper interessieren, reicht – wie wir gleich sehen werden –die Diskriminante aus, um sie eindeutig zu klassifizieren.

Ein zentrales Thema der algebraischen Zahlentheorie betrifft die Untersuchung von Ganz-heitsringen. Zur Analyse der Arithmetik eines Zahlkorpers K benotigen wir ein Analogonfur den Ring der ganzen Zahlen Z. Ist K ⊂ C ein algebraischer Zahlkorper, so nennt man

26Auf der babylonischen Keilschrifttafel Plimpton 322 (aus der ersten Halfte des 2.Jahrtausends vorChr.) findet man eine erlesene Sammlung von funfzehn verschiedenen pythagoraische Zahlentripel, u.a.(56,90,106), (119,120,169) sowie (12709,13500,18541), was auf ein theoretisches Verfahren zur Berech-nung solcher Tripel schließen lasst. ([NeSa45])

27Sei α eine algebraische Zahl. Man nennt ein normiertes Polynom f ∈ Q [X] mit f (α) = 0 Minimalpo-lynom von α, wenn es unter allen Polynomen mit dieser Eigenschaft minimalen Grad hat.

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 18

die Teilmenge OK ⊂ K der ganzalgebraischen Zahlen in K den Ganzheitsring bzw. denRing der ganzen Zahlen von K.28 Wie sich zeigen lasst, bilden die ganzalgebraischenZahlen in Ubereinstimmung mit Z ⊂ Q einen echten Teilring (Unterring) OK in einemalgebraischen Zahlkorper K, sodass K schließlich der Quotientenkorper von OK ist. DerGanzheitsring OK ist der ganze Abschluss von Z ⊂ Q ⊂ K in K. Unter einer Ganz-heitsbasis von OK uber Z verstehen wir ein System von Elementen w1, ..., wn ∈ OK ,sodass sich jedes b ∈ OK eindeutig uber die Linearkombination b = a1w1 + ...+ anwn mitKoeffizienten a1, ..., an ∈ Z darstellen lasst.

Der Nachweis von Ganzheitsbasen ist im Allgemeinen recht schwierig. Denn grundsatzlichmuss in einem Ring keine Ganzheitsbasis existieren, und wenn es eine gibt, so ist diesenicht eindeutig bestimmt. Zudem ist der Begriff der Ganzheit nicht nur fur die algebrai-schen Zahlen gefasst, sonder tritt auch in verschieden anderen Zusammenhangen auf. Manmuss Ganzheitsbasen daher sehr viel allgemeiner einfuhren, als wir es hier tun. JurgenNeukirch gibt in [Ne92,Kap.1,§2] einen sehr guten Uberblick uber den allgemeinen Be-griff der Ganzheit. In unserem Kontext des algebraischen Zahlkorpers ist dies jedoch nichtnotig und soll daher nicht weiter verfolgt werden. Die Existenz einer Ganzheitsbasis fureinen algebraischen Zahlkorper K ist jedoch gesichert durch

Satz 1.2.1: Jeder algebraische Zahlkorper K besitzt eine Ganzheitsbasis, das heißt, esexistieren w1, ..., wn ∈ OK , sodass gilt

OK = w1Z + ...+ wnZ.

Die Existenz einer Ganzheitsbasis impliziert schließlich, dass OK ein freies Z–Modul vomRang n ist.

Erweitern wir den Korper Q der rationalen Zahlen durch Adjunktion einer Quadratwurzel√d, wobei d eine von 0 und 1 verschiedene quadratfreie ganze Zahl ist, so gelangen wir zu

den quadratischen Zahlkorpern . Mit√d ∈ C bezeichnen wir eine (willkurlich, aber

fest gewahlte) komplexe Losung der Gleichung X2 = d. Die andere Losung ist naturlich−√d ∈ C. Die Teilmenge der komplexen Zahlen

Q(√

d)

=x+ y

√d ∈ C, x, y ∈ Q

heißt dann quadratischer Zahlkorper.

Fur d>0 heißt Q(√d) reell-quadratischer Zahlkorper, und fur d<0 imaginar-quadratischer

Zahlkorper. Man uberlegt sich leicht, dass jedes Element von Q(√d) Nullstelle eines Po-

lynoms f ∈ Q [X] vom Grad ≤ 2 ist.

28Ganzheitsringe werden traditionell (nach Dedekind) mit O bezeichnet. Bei ihm und Heinrich Weberheißt ein Ring

”Ordnung“. Daher auch der Buchstabe O.

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 19

Bei der Untersuchung bezuglich der Form der ganzalgebraischen Elemente α = x+y√d ∈

Q(√d) aus OQ(

√d) zeigt sich, dass die Moglichkeiten der Koeffizienten x und y nur von den

Kongruenzklassen d modulo 4 abhangen [StPi06,Satz 16.20]. Es gilt namlich der folgende

Satz 1.2.2. Es sei d ∈ Z\ 0, 1 quadratfrei und Q(√

d)

der zugehorige quadratische

Zahlkorper, dann gilt

OQ(√d) =

x+ y

√d| x, y ∈ Z

falls d ≡ 2, 3 mod 4,

12

(x+ y

√d)| x, y ∈ Z, x ≡ y mod 2

falls d ≡ 1 mod 4.

Als einfache Folgerung des Satzes 1.2.2 ergibt sich direkt

Korollar 1.2.3. Ist d ∈ Z\ 0, 1 quadratfrei und Q(√d) der zugehorige quadratische

Zahlkorper, so ist 1, w eine Ganzheitsbasis des Ringes OQ(√d) mit

w :=

√d falls d ≡ 2, 3 mod 4,

1+√d

2falls d ≡ 1 mod 4.

Man kann sich die Elemente α = x + y√d von Q(

√d) als Gitterpunkte in der Ebene

geometrisch veranschaulichen (Abb.3). Die zu α konjugierte Zahl α = x− y√d ist geome-

trisch die Spiegelung von α an der Z–Achse.

Abbildung 3: Veranschaulichung der Elemente von Q(√d), d > 0 als Gitterpunkte in der Ebene.

Neben dem Grad dimQK = [K : Q] ist die Diskriminante die wichtigste Invariante desalgebraischen Zahlkorpers K. Besonders die Diskriminante wird im weiteren Verlauf der

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 20

Arbeit eine bedeutende Rolle einnehmen. Ist w1, ..., wn eine Ganzheitsbasis von OK , dannist die Diskriminante des algebraischen Zahlkorpers K vom Grad n definiert durch dieganze Zahl

dK = d (OK) = d (w1, ..., wn) = det(

(σiwj)i,j

)2

,

wobei σi : K → Q fur i = 1, ...n die Q–Einbettungen durchlauft.

Eine wichtige Tatsache ist, dass die Diskriminante unabhangig von der Wahl der Ganz-heitsbasis w1, ..., wn von OK ist.([Le96,S.164]). Wahlen wir etwa mit ω′1, ..., ω

′n eine andere

Ganzheitsbasis, so gilt

d (w′1, ..., w′n) = d (w1, ..., wn) .

Mit der Ganzheitsbasis aus Korollar 1.2.3 finden wir fur die quadratischen Zahlkorper dieDiskriminante:

∆Q(√d) =

det

(1√d

1 −√d

)2

= 4d falls d ≡ 2, 3 mod 4,

det

(1 1+

√d

2

1 1−√d

2

)2

= d falls d ≡ 1 mod 4.

Man beachte, dass stets Q(√

d)

= Q(√

∆Q(√d)

)gilt.

Zum Abschluss des Kapitels wollen wir nun den Begriff der Klassenzahl definieren. Dazubenotigen wir allerdings einige Resultate aus der 1871 von Dedekind entwickelten Idea-lentheorie. Dedekind, der die von Kummer29 entwickelte Theorie der idealen Zahlenausbaute und zu großen Teilen systematisierte, ersetzte die Theorie der idealen Zahlendurch die Theorie der Ideale (siehe dazu [DiDe63,S.540ff] bzw. Dedekinds GesammelteMathematische Werke, Bd. 3,S.396-407). Beide Theorien sind bis heute Meilensteine inder Geschichte der Zahlentheorie.

29Ernst Eduard Kummer (1810-1893) war ein deutscher Mathematiker. Nach seinem Studium in Halleunterrichtete Kummer von 1832 bis 1842 am Gymnasium von Liegnitz (Legnica), dann bis 1856 alsDozent an der Universitat von Breslau. Danach war Kummer bis 1883 Professor an der UniversitatBerlin. Einige seiner mathematischen Leistungen sind die Differentialgeometrie der Kongruenzen unddie Einfuhrung der Idealen Zahlen in die Theorie der algebraischen Zahlkorper (ca.1844/45).

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 21

1.3 Die Idealklassengruppe und die Klassenzahl qua-

dratischer Zahlkorper

Bekanntlich verstehen wir unter einer Teilmenge a von OQ(√d) ein Ideal , wenn a eine

Untergruppe von (OQ(√d),+) ist und fur alle a ∈ OQ(

√d), r ∈ a stets ra ∈ a folgt. Ist a

ein Ideal von OQ(√d), dann schreiben wir kurz a E OQ(

√d). Die Summe und das Produkt

zweier Ideale a, b E OQ(√d) sind definiert:

a + b = a+ b| a ∈ a, b ∈ b und a · b =

∑endl.

ai · bi| ai ∈ a, bi ∈ b

.

Wie sich zeigen lasst, bildet die Summe a + b und das Produkt a · b wieder ein Ideal inOQ(

√d).30

Ein Ideal, das von einem bestimmten Element a ∈ OQ(√d) erzeugt wird, heißt Hauptide-

al . Hauptideale bestehen offensichtlich aus allen Vielfachen von a und haben die Gestalt

(a) := aOQ(√d) =

aα|α ∈ OQ(

√d)

.

Ist jedes Ideal a E OQ(√d) ein Hauptideal, dann heißt der Ring OQ(

√d) Hauptidealring .

Einfache Beispiele fur Hauptidealringe sind der Ring der ganzen Zahlen Z und der Ringder ganzen p-adischen Zahlen. Zwei von (0) verschiedene Ideale a, b E OQ(

√d) heißen

aquivalent (in Zeichen: a ∼ b), wenn zwei von Null verschiedene Hauptideale (α) , (β)mit α, β ∈ OQ(

√d) existieren, sodass (α) a = (β) b gilt. Man uberzeugt sich leicht, dass

sowohl Symmetrie, Reflexivitat als auch Transitivitat erfullt sind, wodurch auf der Mengealler Ideale eine Aquivalenzrelation definiert wird. Die Menge der Aquivalenzklassenbzgl. der Relation ∼ bildet zusammen mit der durch die Idealmultiplikation (a, b)→ a · binduzierte Verknupfung eine abelsche Gruppe, die sogenannte Idealklassengruppe vonQ(√d) mit

ClQ(√d) :=

[a] |a E OQ(

√d), a 6= (0)

,

wobei das neutrale Element (das Einsideal) bestimmt ist durch die Klasse der Hauptideale[OQ(

√d)

]= [1] von Q

(√d)

(vgl. [Wa09,§3]). Es ist eine signifikante Tatsache, dass die

Idealklassengruppe ClQ(√d) stets endlich ist und uns somit der Ubergang von Zahlen zu

Idealen nicht in unendliche Gefilde fuhrt [Sc06,Theo.6.6.3]. Die Idealklassengruppe misstin einem gewissen Sinne die Differenz zwischen beliebigen Idealen und Hauptidealen.

30Die notwendige Voraussetzung bei der Definition der Multiplikation endliche Summen zuzulassen, isteine Folge dessen, dass im Allgemeinen die Menge der Produkte a · b, a ∈ a, b ∈ b kein Ideal ist.

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 22

Ihre Ordnung heißt die Klassenzahl von Q(√d) und ist definiert uber

h (d) =∣∣∣ClQ(

√d)

∣∣∣ .

Unter den Ganzheitsringen OQ(√d) nehmen die Hauptidealringe eine besondere Stellung

ein, da genau diese die Klassenzahl Eins besitzen und somit in OQ(√d) eine eindeutige

Primfaktorzerlegung existiert (vgl. [Ar09,S.486,Satz8.12]).

Durch die Einfuhrung der Klassenzahl und deren Endlichkeitsbetrachtung haben wir einenersten bedeutenden Schritt in die Richtung zur Losung des Klassenzahl-Eins-Problems ge-macht. Die Klassenzahl ist – wie wir gleich sehen werden – jedoch nicht nur auf Zahlkorperzugeschnitten, sonder Gauss hat historisch gesehen ihren Ursprung bei den binaren qua-dratischen Formen (Abschnitt 1.4) gesat. Nachfolgend werden wir nun auch die Klas-senzahl dieser noch zu definierenden binaren quadratischen Formen betrachten und inAbschnitt 3.2 eine Verbindung zwischen den Idealklassen der quadratischen Zahlkorperund den Klassenzahlen der binar quadratischen Formen ziehen.

Wir hatten zu Beginn des Kapitels diophantische Gleichungen kennengelernt und bespro-chen, dass bei solchen polynomialen Gleichungen stets ganzzahlige Losungen gesucht wer-den. Viele solcher diophantischen Probleme31 hat Fermat in Korrespondenzen an Pier-re de Carcavi (1600-1684), Blaise Pascal32 und Marin Mersenne33 hinterlassen.34

Diese Probleme und die Untersuchung quadratischer Reste veranlassten Lagrange, Le-gendre und vor allem Gauss, sich mit der Theorie der binaren quadratischen Formenzu beschaftigen. Andre Weil (1906-1998) beschreibt in [We83,Kap.2-4] sehr sorgfaltigdie zahlentheoretischen Resultate von Fermat, Euler und Legendre und die damitverbundene Entwicklung zur Theorie der binaren quadratischen Formen.

31Beispielsweise den Zwei-Quadrate-Satz, den Vier-Quadrate-Satz oder die Pell’sche Gleichung32Blaise Pascal (1623-1662) war ein franzosischer Mathematiker, Physiker, Literat und Philosoph. Sein

Vater Etienne Pascal war Verwaltungsbeamter und mathematisch gebildet – nach ihm ist die Pas-cal’sche Schnecke benannt. Blaise entdeckte mit 16 Jahren den heute nach ihm benannten Satz vomPascalschen Sechseck. 1642 konstruierte er – aufgrund einer Steuerreform und den damit verbunde-nen umfangreichen Rechnungen – die erste bekannte Rechenmaschine. Pascal gilt neben Fermat alsBegrunder der Wahrscheinlichkeitsrechnung.

33Marin Mersenne (1588-1648) war ein franzosischer Mathematiker, Theologe und Musiktheoretiker.Neben der Theologie galt Mersennes Interesse der Mathematik, wo er enge Kontakte zu Descar-tes und Galileo Galilei (1564-1642) pflegte. Im Jahre 1623 baute Mersenne ein Netzwerk voneuropaischen Wissenschaftlern auf, die teilweise zu ihm kamen oder mit denen er uber wissenschaftlicheProbleme korrespondierte. Dieses Netzwerk wurde

”Academie Parisiensis“ oder

”Academie Mersenne“

genannt. Mersenne maß den ersten Wert fur die Schallgeschwindigkeit in Luft und nach ihm werdendie Zahlen der Form 2n − 1 als Mersenne-Primzahlen bezeichnet.

34Siehe dazu Fermat, Oeuvres, Band II, Seite 431-436.

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 23

1.4 Binare quadratische Formen

In seinem Werk Recherches d’arithmetique begrundet Lagrange 1770 die Theorie derbinaren quadratischen Formen . Weit uber die Arbeiten von Fermat und Euler,entwickelte Lagrange zum ersten Mal ein in sich geschlossenes und systematisch zusam-menhangendes zahlentheoretisches Konzept, das auch heute noch Vorbild vieler mathe-matischer Arbeiten ist. Gut 25 Jahre spater erweiterte und vertiefte Gauss im funftenAbschnitt seiner Disquisitiones Arithmeticae die Resultate von Fermat, Euler undLagrange.35 So liest man:

”Bei einer grundlichen Untersuchung der Formen hat sich uns so viel Neu-

es dargeboten, dass es der Muhe wert erschien, den ganzen Gegenstand vonNeuem vorzunehmen [...].“ [Ga01,Art.153]

In Art.271 teilt Gauss die binaren quadratischen Formen mit gleicher Diskriminante D inh (D) Klassen ein. Dedekind konnte schließlich 1893 zeigen, dass die von Gauss vorge-nommene Einteilung genau den Idealklassen h (d) der quadratischen Zahlkorper entspricht(vgl. dazu die Ausfuhrungen in Abschnitt 3.2).

Zunachst rufen wir uns in Erinnerung, dass eine binare quadratische Form (oder einfachnur Form)36 als homogenes Polynom zweiten Grades mit ganzzahligen Koeffizienten a, b, cund zwei Unbestimmten x und y aufgefasst werden kann:

f : Z2 → Z, (x, y) 7→ ax2 + bxy + cy2.

Im Folgenden notieren wir mit f := (a, b, c) die Abhangigkeit einer quadratischen Formf(x, y) = ax2 + bxy + cy2 von ihren Koeffizienten a, b, c. Die quadratischen Formenf = (a, b, c) lassen sich durch ihre ganzzahlige Diskriminante D := Df = b2 − 4acklassifizieren.37 Man sieht leicht ein, dass die quadratischen Formen f mit negativer Dis-kriminante D und einen positivem Koeffizienten a nur positive Werte darstellen. SolcheFormen heißen positiv-definit . Ist hingegen D<0 und a<0, dann stellt f nur negativeWerte dar und heißt entsprechend negativ-definit . Fur D>0 nimmt f sowohl positive alsauch negative Werte an und heißt indefinit . Da die negativ-definiten quadratischen For-men durch Multiplikation mit −1 zu den positiv-definiten korrespondieren, genugt es sichbei Definitheit nur auf positiv-definite quadratischen Formen zu beschranken. Eine qua-dratische Form heißt primitiv oder einfach , wenn ihre Koeffizienten teilerfremd sind,das heißt wenn ggT (a, b, c) = 1 gilt. Beispielsweise sind die drei quadratischen Formen

35Den großten Teil seiner Disquisitiones Arithmeticae widmet Gauss den binar quadratischen Formen.Wir beschreiben hier nur einen Bruchteil der dort niedergeschriebene Resultate.

36Da wir im Folgenden nur binare quadratische Formen betrachten, lassen wir das Wort binar weg.37Wegen 4af = 4a2x2 + 4abxy+ 4acy2 = (2ax+ by)

2+(4ac− b2

)y2 = (2ax+ by)

2+Dy2 betrachten wir

ohne Einschrankungen nur Diskriminanten ungleich null.

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 24

x2+27y2 und 4x2±2xy+7y2 primitiv, ihre Diskriminante ist −108. Fur eine beliebige Dis-kriminante D ≡ 0, 1 mod 4 charakterisiere FD die nichtleere Menge der positiv-definitenprimitiven quadratischen Formen. Dazu definieren wir

Q =⋃

D≡0,1 mod 4

FD.

Ist D ≡ 0, 1 mod 4, dann heißt D eine Fundamentaldiskriminante , wenn jede qua-dratische Form mit Diskriminante D primitiv ist. Man uberzeugt sich leicht, dass diesgenau dann der Fall ist, wenn gilt

D ≡

1 mod 4 mit D quadratfrei,

0 mod 4 mit D = 4D′ quadratfrei und D′ ≡ 2, 3 mod 4.

Im Folgenden bezeichnen wir mit F und G die zu den quadratischen Formen f und gkorrespondierenden symmetrischen Matrizen. Die quadratische Form f kann demnachausgedruck werden uber die Matrixdarstellung:

f (x, y) = ax2 + bxy + cy2 = (x, y)

(a b

2b2

c

)

︸ ︷︷ ︸=F

(xy

).

Die Untersuchung von Lagrange38 befasste sich zunachst mit der Frage, welche ganzenZahlen sich durch eine quadratische Form f darstellen lassen. Das heißt, wann ist eineganze Zahl m Losung der Gleichung

f(x, y) = m mit x, y ∈ Z?

Wobei f(x, y) = m eine eigentliche Darstellung von m durch die quadratische Formf heißt, wenn ggT(x, y) = 1 ist. Hingegen ist fur ggT(x, y) > 1, die Darstellung von mdurch die quadratische Form f eine uneigentliche .

Die Frage nach der Darstellbarkeit ganzer Zahlen durch quadratische Formen wird unsim Kapitel 3 beim Beweis der Dirichlet’schen Klassenzahlformel noch beschaftigen.Zunachst betrachten wir aber die Aquivalenz von quadratischen Formen und besprechenden Reduktionssatz von Lagrange.

38Joseph-Louis de Lagrange (1736-1813) stammte aus einer franz.-ital. Familie und wurde 1755 Pro-fessor in Turin. Im Jahre 1766 ging er als Direktor der mathematisch-physikal. Klasse der Akademienach Berlin. 1786, nach dem Tode von Friedrich II., wandte er sich nach Paris und unterstutzte dort dieReform des Maßsystems. Mit seinen Arbeiten begrunden er die Theorie der Variationsrechnug (1760)und ihre Anwendung auf die Dynamik, lieferte Beitrage zum Dreikorperproblem (1772) sowie zur An-wendung der Theorie der Kettenbruche auf die Auflosung von Gleichungen (1767). Mit seinem Werk

”Mecanique analytique“ (1788) wurde Lagrange zum Begrunder der analytischen Mechanik.

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 25

Bekanntlich ist SL2 (Z) die Gruppe39 der invertierbaren 2× 2-Matrizen

(α βγ δ

)∈ Z2×2

mit ganzzahligen Koeffizienten und Determinante αδ − βγ = 1. Man nennt zwei qua-dratische Formen f und g echt oder eigentlich aquivalent (oder isomorph), wennsie durch unimodulare Transformationen auseinander hervorgehen, wenn also eine Ma-trix T ∈ SL2 (Z) mit det (T ) = 1 existiert, sodass gilt G = T tFT , wobei wir mit T t dietransponierte von T bezeichnen. Im Gegensatz zur gewohnlichen Aquivalenz lassen wirdie Determinante −1 nicht zu. Durch Variablenwechsel

(xy

)=

(α βγ δ

)(x′

y′

)(1.1)

erhalten wir durch die Transformation

f (x, y) = (x, y)

(a b

2b2

c

)(xy

)= (x′, y′)

(α γβ δ

)(a b

2b2

c

)(α βγ δ

)(x′

y′

)= (x′, y′)

(A B

2B2

C

)(x′

y′

)= g (x′, y′)

die beiden Matrizen

F =

(a b

2b2

c

)∈ Z2×2 und G =

(A B

2B2

C

)∈ Z2×2.

Diese definieren also zwei echt aquivalente Formen:

f (x, y) = ax2 + bxy + cy2 und g (x′, y′) = Ax′2 +Bx′y′ + Cy′2, wobei

A := aα2 + bαγ + cγ2

B := 2aαβ + b (αδ + βγ) + 2cγδC := aβ2 + bβδ + cδ2.

(1.2)

Da die Menge SL2 (Z) eine Gruppe bildet, also abgeschlossen gegen Produkte und Inver-senbildung ist, kann leicht gezeigt werden, dass die Relation G = T tFT sowohl reflexiv,symmetrisch als auch transitiv ist. Folglich also eine Aquivalenzrelation auf der Menge al-ler binaren quadratischen Formen uber Z definiert: f ∼ g. Insbesondere haben zwei (echt)aquivalente quadratische Formen dieselbe Wertemenge und stellen wegen F = T tGT die-selbe Diskriminante dar:

Dg = −4 det (G) = −4 det(T tFT

)= −4 det

(T t)

det (F ) det (T ) = −4 det (F ) · (det (T ))2

︸ ︷︷ ︸=1

= Df .

39Speziell ist SL2 (Z) eine Untergruppe der allgemeinen linearen Gruppe GL2 (Z) mit SL2 (Z) :=T ∈ GL2 (Z) |det (T ) = 1 und heißt auch spezielle lineare Gruppe oder unimodulare Gruppe vomRang 2 uber Z (vgl. dazu die Ausfuhrungen in [Ko07,S.17ff]).

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 26

Die Diskriminante D bleibt also invariant unter Wechsel der Variablen.

Zu jeder ganzen Zahl D ≡ 0, 1 mod 4 gibt es mindestens eine quadratische Form derDiskriminante D, sodass sich die Menge der positiv-definiten primitiven quadratischenFormen FD folglich in die beiden sogenannten Hauptformen einteilt:

f (x, y) :=

x2 − D4y2 falls D ≡ 0 mod 4,

x2 + xy + 1−D4y2 falls D ≡ 1 mod 4.

(1.3)

Bezuglich der obigen Aquivalenzrelation suchen wir nach einem geeigneten Reprasentanten-system fur die Aquivalenzklassen der positiv-definiten quadratischen Formen. Lagran-ge entwickelte 1773 in seinem Werk

”Recherches d’ arithmetique“ eine Methode solche

quadratischen Formen auf einfachere zu reduzieren. Solche vereinfachten positiv-definitenquadratischen Formen heißen reduzierte quadratische Formen.40 Wir halten den Re-duktionssatz von Lagrange fest:

Satz 1.4.1. (Lagrange, 1773)

Jede positiv-definite quadratische Form f (x, y) = ax2 + bxy + cy2 ∈ Z [x, y] ist (echt)aquivalent zu genau einer reduzierten quadratischen Form f ′ (x, y) = a′x2 + b′xy + c′y2 ∈Z [x, y] mit

− a′<b′ ≤ a′<c′ oder 0 ≤ b′ ≤ a′ = c′. (1.4)

Die Aussage des Satzes folgt im Wesentlichen durch Mehrfachanwendung der drei unimo-dularen Transformationsmatrizen

T0 :=

(0 1−1 0

)und T± :=

(1 ±10 1

),

welche die Gruppe SL2 (Z) bekanntlich erzeugen (vgl. [Bo06,Satz 3]).

So erhalten wir fur f unter Anwendung der Transformationsmatrix T0

f

(T0

(xy

))=

(xy

)t(T t0

(a b

2b2

c

)T0

)(xy

)=

(xy

)t(c − b

2

− b2

a

)(xy

)= cx2 − bxy + ay2 (1.5)

dass diese die Koeffizienten a und c vertauscht und das Vorzeichen fur b andert. Aus denMatrizen T+ und T− folgt analog

40Gauss nahm spater der Reduktionstheorie von Lagrange in sein Disquisitiones Arithmeticae auf[Ga01,S.183ff].

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 27

f

(T+

(xy

))= ax2 + (b+ 2a)xy + (a+ b+ c)y2 (1.6)

und

f

(T−

(xy

))= ax2 + (b− 2a)xy + (a− b+ c)y2. (1.7)

Das heißt, mittels T± wird der mittlere Koeffizient b ersetzt durch b ± 2a. T±, wobei aunverandert bleibt. Durch Mehrfachanwendung von T+ und T− lasst sich (nach endlichvielen Schritten), bei festem a, der mittlere Koeffizient b modulo 2a reduzieren und sozu b′ abandern, wobei |b′| ≤ a. Wird dadurch die reduzierte quadratische Form f nichterreicht, so wendet man T0 an und wiederholt die letzten Schritte solange bis schließlich|b′| ≤ a′ ≤ c′ erreicht wird. Ist −a′<b′ ≤ a′<c′, so ist die quadratische Form f reduziert,andernfalls folgt die Behauptung des Satzes 1.4.1 unter Betrachtung der beiden Falle−a′ = b′ und a′ = c′.

Positiv-definite quadratische Formen mit gleicher Diskriminante D, aber unterschiedlichreduzierten quadratischen Formen, gehoren zu verschiedenen Aquivalenzklassen (vgl. da-zu [Sa06,Satz 5.10]). Betrachten wir dazu das folgende

Beispiel 1.4.2. Sei f(x, y) = 2x2+2xy+11y2 eine reduzierte positiv-definite quadratischeForm, also f1 = (2, 2, 11). Zu welcher der beiden quadratischen Formen f2 = (22, 2, 1) undf3 = (15,−24, 11) ist f1 aquivalent?

Zunachst stellen wir fest, dass die drei quadratischen Formen f1, f2 und f3 identischeDiskriminanten besitzen:

Df1 = Df2 = Df3 = −84.

Als notwendige Bedingung fur die Aquivalenz bestimmen wir die reduzierten quadrati-schen Formen. Dafur bedienen wir uns der Gleichungen (1.5), (1.6) sowie (1.7) und lesenunterhalb dieser die Reduktionsbedingung ab.

i) (22, 2, 1)︸ ︷︷ ︸a = 22 > c = 1nicht reduziert

T0 (1,−2, 22)︸ ︷︷ ︸−a = −1 > b = −2

nicht reduziert

T+ (1, 0, 21)︸ ︷︷ ︸−a = −1 < b = 0 < a = 1 < c = 21

reduziert

,

ii) (15,−24, 11)︸ ︷︷ ︸a = 15 > b = −24nicht reduziert

T0 (11, 24, 15)︸ ︷︷ ︸b = 24 > a = 11nicht reduziert

T− (11, 2, 2)︸ ︷︷ ︸a = 11 > c = 2nicht reduziert

T0 (2,−2, 11)︸ ︷︷ ︸−a = −2 = b = −2

nicht reduziert

T+ (2, 2, 11)︸ ︷︷ ︸−a = 2 < b = 2 = a = 2 < c = 11

reduziert

.

f1 ist somit nur zu f3 aquivalent, also f1 ∼ (15,−24, 11) 6∼ (22, 2, 1).

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 28

Zu f2 = (22, 2, 1) ist f1 nicht aquivalent, folglich legen f1 und f2 zwei Aquivalenzklassenfest.

Wie viele positiv-definite primitive quadratische Formen f mit gegebener DiskriminanteD < 0 gibt es? Sicherlich ist diese Frage nur fur Aquivalenzklassen sinnvoll, das heißt, furreduzierte quadratische Formen f . Wir fragen also, wie viele positiv-definite reduziertequadratische Formen f mit Diskriminante D < 0 es gibt. Aus der Ungleichung (1.4) desReduktionssatzes 1.4.1 folgt |D| = |b2 − 4ac| ≥ |4ac| − |b|2 ≥ 4 |a|2 − |b|2 ≥ 4 |a|2 − |a|2 =3a2, also 3a2 ≤ |D|. Und da die Wertemenge fur b mit |b| ≤ a beschrankt ist und c uberc = b2−D

4aeindeutig bestimmt, kommen nur endlich viele Werte fur a, b, c,∈ Z in Frage.

Definieren wir noch fur D<0 die Klassenzahl h (D) als die Anzahl der Aquivalenzklassenpositiv-definiter, reduzierter quadratischer Formen mit Diskriminante D, dann folgt

Satz 1.4.3. Es gibt nur endlich viele Aquivalenzklassen von positiv-definiten reduziertenquadratischen Formen mit gegebener Diskriminante D. Das heißt, die Klassenzahl h (D)ist endlich.

Beispiel 1.4.4. Wie groß ist die Klassenzahl h (−36)?

Es ist D = −36 und daher a ≤√

363

, das heißt a ≤ 3. Folglich ist a = 1, 2, 3, denn D ist

positiv-definit und damit a>0.

Aus −a<b ≤ a folgt dann, dass b fur a = 1 die Werte 0, 1, fur a = 2 ist b ∈ −1, 0, 1, 2und fur a = 3 ist entsprechend b ∈ −2,−1, 0, 1, 2, 3.

Die drei Mengen verringern sich entsprechend unter Berucksichtigung von −36 = b2 −4ac ≡ b2 mod4. Das heißt, der Koeffizient b kann nur gerade sein.

Aus c = b2−D4a

folgt dann fur

a = 1 : c = 02+364

= 9.

a = 2 : c = 02+368

/∈ Z , c = 22+368

= 5.

a = 3 : c = 02+3612

= 3, c = (±2)2+3612

/∈ Z.

Somit erhalten wir die nicht aquivalenten positiv-definiten reduzierten quadratischen For-men:

f1 = (1, 0, 9) , f2 = (2, 2, 5) , f3 = (3, 0, 3) .

Also gibt es genau drei Aquivalenzklassen, das heißt h (−36) = 3.

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 29

Nach dieser Verfahrensweise erhalt man ohne Problem die nachfolgende Tabelle:

D h (D) Reduzierte quadratische Formen mit Diskriminante D-4 1 (1, 0, 1)-8 1 (1, 0, 2)-12 2 (1, 0, 3) , (2, 2, 2)-15 2 (1, 1, 4) , (2, 1, 2)-16 2 (1, 0, 4) , (2, 0, 2)-20 2 (1, 0, 5) , (2, 2, 3)-24 2 (1, 0, 6) , (2, 0, 3)-28 2 (1, 0, 7) , (2, 2, 4)-32 3 (1, 0, 8) , (2, 0, 4) , (3, 2, 3)-36 3 (1, 0, 9) , (2, 2, 5) , (3, 0, 3)-39 4 (1, 1, 0) , (2,±1, 5) , (3, 3, 4)-40 2 (1, 0, 10) , (2, 0, 5)-44 4 (1, 0, 11) , (2, 2, 6) , (3, 2, 4) , (3,−2, 4)-48 4 (1, 0, 12) , (2, 0, 6) , (3, 0, 4) , (4, 4, 4)

Tabelle 1: Diskriminante, Klassenzahl, reduzierte quadratische Formen [Ga01,Art.176]

Mittlerweile gibt es sehr ausgedehnte Tabellen von Klassenzahlen binar quadratischerFormen mit gegebener Diskriminante D. Gauss selbst hat Klassenzahlen im Bereichvon |D|<12000 berechnet.41 Im Buch [Bu77] von Duncan A.Buell findet man alleKlassenzahlen bis |D| ≤ 25 · 106. Karl Schaffenstein [Sc27] hat hingegen die Klas-senzahlen reell-quadratischer Zahlkorper fur Primzahldiskriminanten D in den BereichenD<12000 sowie 105<D<101 · 103 und 106<D<1001 · 103 bestimmt. Interessanterweisehaben die meisten der reell-quadratischen Zahlkorper die Klassenzahl Eins. Gauss ver-mutete42 daher schon fruhzeitig, dass es unendlich viele indefinite quadratische Formenmit Klassenzahl h (D) = 1 gibt. Diesbezuglich schreibt er:

”Von den 197 nichtquadratischen Determinanten haben allein 145 nur eine

Klasse [...]. Es wurde eine schone und der Anstrengung der Geometer nichtunwurdige Aufgabe sein, zu ermitteln, nach welchen Gesetzen die nur eineKlasse in jedem Geschlechte besitzenden Determinanten fortwahrend seltenerwerden. Bis jetzt konnen wir weder theoretisch entscheiden, noch durch Beob-achtungen mit hinreichender Sicherheit vermuten, ob dieselben endlich ganzabbrechen (was jedoch wenig wahrscheinlich erscheint), oder wenigstens un-endlich selten werden.“43 [Ga01,Art.304]

41Vgl. Carl Friedrich Gauss Werke II, Seiten 450-476. (Frei verfugbar unter Google Books).42Dies ist die Dritte der von Gauss aufgestellten Vermutungen bzgl. der Klassenzahlprobleme, vgl. dies-

bezuglich die im Anhang grun markierten Textpassagen vom Art.304 der Disquisitiones Arithmeticae.Auf die anderen beiden Vermutungen kommen wir im Kapitel 3 zu sprechen.

43Das hier von Gauss verwendete Wort des Geschlechtes ist gleichbedeutend mit den Aquivalenzklassen

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Kapitel 1. Zahlentheoretische Grundlagen 30

Bis heute ist dies jedoch immer noch unbewiesen und aus den berechneten Tabellen istes unmoglich, etwas uber das Verhalten der Klassenzahlen bei wachsenden |D| abzulesen.Im Bereich 2 < D < 100 ist h (d) = 1 fur

D =2, 3, 5, 6, 7, 11, 13, 14, 17, 19, 21, 22, 23, 29, 31, 33, 37, 38, 41,

43, 46, 47, 53, 57, 59, 61, 62, 67, 71, 73, 77, 83, 86, 93, 94, 97.

Wir erwahnen noch, dass die Theorie der binaren quadratischen Formen sowie der Re-duktion auch mittels einer geometrischen Betrachtung behandelt werden kann. JoachimSchwermer gibt in [Sc93,S.1-49] einen sehr guten Einblick in die raumlich begrundeteTheorie der binaren quadratischen Formen.

Zusammenfassung

In diesem Kapitel haben wir einige zahlentheorietische Grundlagen wiederholt. Wir habendiophantische Gleichungen, quadratische Zahlkorper Q(

√d), den Ganzheitsring OQ(

√d)

sowie dessen Ganzheitsbasis 1, w besprochen. Zudem haben wir auf der Menge derIdeale eine mit der Idealmultiplikation vertragliche Aquivalenzrelation eingefuhrt und diezugehorigen Menge – die Aquivalenzklassen – als die Idealklassengruppe ClQ(

√d) ein-

gefuhrt. Die Klassenzahl h (d) eines quadratischen Zahlkorpers ist als die Ordnung vonClQ(

√d) definiert. In Abschnitt 1.4 haben wir aus der Theorie der binaren quadratischen

Formen den Aquivalenzbegriff fur die positiv-definiten, reduzierten quadratischen Formenwiederholt und die Klassenzahl h (D) zur Diskriminante D < 0 definiert als die Anzahlder Aquivalenzklassen von positiv-definiten, reduzierten quadratischen Formen. Wie sichzeigte, existieren nur endlich viele Aquivalenzklassen von quadratischen Formen mit Dis-kriminante D<0.

der primitiven quadratischen Formen. Die Einteilung der quadratischen Formen in Klassen nimmt Gauss– in der von ihm entwickelten Geschechtertheorie [Ga01,Art.231] – nicht wie wir mit Aquivalenzklassen,sondern mithilfe des sogenannten Totalcharakters in Geschlechtern vor (vgl. auch [Wa09,Kap.4]). Wirkonnen im Rahmen dieser Arbeit auf die Geschlechtertheorie nicht weiter eingehen, kommen aber amEnde des Abschnitts 3.2 noch einmal kurz auf sie zu sprechen.

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Kapitel 2

Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel

Die Mathematiker sind eine ArtFranzosen; redet man mit ihnen,so ubersetzen sie es in ihre Sprache,und dann ist es alsbald ganz etwasanderes.

Johann Wolfgang von Goethe(1749 - 1832)

Wir haben in Abschnitt 1.3 gesehen, dass die Klassenzahl h (d) der quadratischen Zahlkor-per definiert ist als die Ordnung der Idealklassengruppe ClQ(

√d) von Q(

√d). Die Berechnung

der Klassenzahlen h (d) ist jedoch im Allgemeinen sehr aufwendig, denn die Uberprufung derIdealaquivalenz ist bei großen Diskriminanten außerst muhsam (vgl. [Wa09,Beispiel 3.4]). Daherware es fur die Berechnung der Klassenzahl wunschenswert, einen in Verbindung stehenden ana-lytischen Ausdruck in irgendwelchen einfachen Großen, die mit dem gegebenen Korper zusam-menhangen, zu finden. Fur die quadratischen Zahlkorper konnte Dirichlet44 in einer beruhmtenAbhandlung45 aus dem Jahre 1839 – in vollig neuartiger Weise und anlasslich der Behandlungund in der Ausdrucksweise der Theorie der binaren quadratischen Formen – das Problem derKlassenzahlberechnung mithilfe einer geschlossenen Formel losen, woraus ein fur die Mathematikfruchtbares Wechselspiel zwischen Zahlentheorie, Algebra und Analysis eingeleitet wurde. Zieldieses Kapitels ist der Beweis der Dirichlet’schen Klassenzahlformel fur binare quadratische

44Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet (1805-1859) war ein deutscher Mathematiker. Nach sei-nem Studium in Mathematik wurde Dirichlet 1827 von der Universitat Bonn ehrenhalber promoviertund habilitierte sich 1827 – auf Empfehlung Alexander von Humboldt (1769-1859) – als Privatleh-rer in Paris, wo er anschließend Dozent in Breslau wurde. Ab 1832 war Dirichlet in Berlin tatig undwurde 1855 als Nachfolger von Gauss nach Gottingen berufen. Dirichlet leistete wichtige Beitragesind die Theorie der Fourierreihen, zur Potentialtheorie, zur Variationsrechnung und zur Zahlentheorie.Dirichlet fuhrte als Erster umfangreiche analytische Funktionen zur Losung arithmetischer Problemeein und wurde so zum Begrunder der analytischen Zahlentheorie.

45Siehe: Johann G.Dirichlet: Recherches sur diverses applications de l’Analyse infinitesimale a latheorie des Nombres. Crelle, Journal fur die reine und angewandte Mathematik, Bd.19, S.324-369.Bd.21, S.1-12 und S.134-155, 1839/40. Vergleich auch:

”Bestimmung der Classenzahl der Formen von

einer gegebenen Diskriminante.“ ([DiDe63,§86]).

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 32

Formen mit Diskriminanten D, welcher als Resultat schließlich fuhrt auf das folgende

Theorem (Arithmetische Klassenzahlformel von Dirichlet, 1839)

Sei D ≡ 0, 1 mod 4 die Diskriminante einer primitiven binaren quadratischen Formund χD : N → Z, k 7→ χD (k) der sogenannte quadratische Dirichlet-Charakter zur Dis-kriminante D, dann gilt fur die Klassenzahl h (D) der primitiven binar quadratischen Formen:

h (D) =

− ω2|D|

|D|−1∑k=1

χD (k) k fur D < 0,

− 1log ε0

D−1∑k=1

χD (k) log(sin πk

D

)fur D > 0.

Auf die in der Formel auftretenden Konstanten ω (Ordnung einer gewissen Gruppe) und ε0(Fundamentaleinheit) kommen wir im Abschnitt 2.3 naher zu sprechen.

Erste Versuche zur Bestimmung von Klassenzahlen nicht aquivalenter quadratischer Formen mitnegativer Diskriminante, durch explizite Formeln, finden sich bereits in einem von Gauss hin-terlassenen handschriftlichen Nachlass46. Als Freund und Schuler von Gauss kannte Dirichletsicherlich die Ergebnisse dieser Berechnungen, jedoch unterscheiden sich seine Resultate in vielenTeilen von denen, wie sie noch Gauss in Betracht gezogen hat. Neben der verbluffend einfachenEigenschaft die Klassenzahlen quadratischer Formen – mithilfe der arithmetischen Klassenzahl-formel – berechnen zu konnen, zeigte sich zudem, dass die Klassenzahlen selbst niemals Null seinkonnen. Die durch Satz 1.4.3 gewonnene Endlichkeit der Klassenzahl erlaubt einen analytischenZugang zur Bestimmung der Klassenzahl mittels der ihr zugeordneten Dirichlet’sche Charak-tere, wir werde sie in Abschnitt 2.2 definieren. In den nachfolgenden Abschnitten beschaftigenwir uns zunachst mit den – zur Bestimmung des obigen Theorems – benotigten analytischenGrundlagen. Als Referenzen zu den einzelnen Satzen und Definitionen kann man etwa die Buchervon Hans Opolka und Winfried Scharlau [ScOp80], Zagier [Za81] oder vereinzelt auchdas von Max Koecher [Ko07] heranziehen.

2.1 Die Riemann’sche Zetafunktion

Viele bedeutende arithmetische Gesetzmaßigkeiten eines Zahlkorpers liegen der beruhmten Ze-tafunktion zugrunde. Im Jahre 1736 beschaftigte sich Euler im zehnten Kapitel seines Werkes

”Introductio in Analysin Infinitorum“ (

”Einleitung in die Analysis des Unendlichen“ ) mit einer

Fulle von Summen unendlicher Reihen. Im Zusammenhang seiner Potenzreihenuntersuchungendefinierte Euler – naturlich in anderen Symbolik – die sogenannte Zetafunktion als

46Siehe”

Uber den Zusammenhang zwischen der Anzahl der Klassen, in welche die binaren Formen zweitenGrades zerfallen, und ihre Determinanten.“ [Ga08,S.269ff] oder [Ga01,S.655-678]

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 33

ζ (r) =

∞∑

n=1

1

nr= 1 +

1

2r+

1

3r+

1

4r+ ... , r ∈ N, r ≥ 1.

Euler, der bewies das die Reihe fur r > 1 konvergiert, benutzte schließlich deren Divergenzfur r = 1 in seinen 1737 erbrachten Beweis fur die Existenz unendlich vieler Primzahlen. Mitseinem Nachweis,47 dass fur r = 2 die Aquivalenz

1 +1

22+

1

32+

1

42+ ... =

π2

6

gilt, bewies Euler das”Baseler Problem“ und wurde schließlich einer der bedeutendsten Ma-

thematiker aller Zeiten, denn bereits vor ihm hatten sich viele Mathematiker – unter anderemGottfried W.Leibniz (1646-1716) und die Bernoulli-Bruder – vergeblich um die Bestim-mung dieses Reihenwertes bemuht.

Genau einhundert Jahre nachdem Euler so fruchtbaren Resultate mit der Zetafunktion erzielenkonnte, war es Dirichlet, der 1837 – fur seinen Beweis das jede arithmetischen Progressionenunendlich viele Primzahlen enthalt (Dirichlet’scher Primzahlsatz) – die Zetafunktion auf reeller-Werte ausdehnte. Wir besprechen die von Dirichlet erzielten Ergebnisse in den Abschnitten2.2 und 2.3.

Im Jahre 1859 verallgemeinerte der deutsche Mathematiker Bernhard Riemann,48 in seinerberuhmten Arbeit ”Uber die Anzahl der Primzahlen unter einer gegebenen Große“, die vonEuler definierte Zetafunktion als eine Funktion einer komplexen Variablen s := σ+it, σ,t ∈ Rmit Realteil Re (s) > 1 uber die Dirichlet-Reihe:

s ∈ C; Re (s)>1 → C, s 7→∞∑

n=1

1

ns

und verwendete sie zu tiefliegenden Untersuchungen uber die Verteilung der Primzahlen [Ri59].

Den Ausgangspunkt seiner Untersuchungen und die damit verbundene komplexe Verallgemei-nerung der Zetafunktion beschrieb Riemann im November 1859 mit den Worten:49

”Bei dieser Untersuchung diente mir als Ausgangspunkt die von Euler gemachte

Bemerkung, dass das Product

47Siehe:”

De Summis Serierum Reciprocarum.“ Comment. Acad. Petrop. Bd. 7, S.23-133, 1740.48Georg Friedrich Bernhard Riemann (1826-1866) war einer der bedeutendsten Mathematiker, der

in vielen Bereichen der Mathematik wie der Analysis, Differentialgeometrie, der theoretischen Physikund der analytischen Zahlentheorie wirkte. Riemann studierte 1846 in Gottingen erst Philologie undTheologie, ehe er sich ganzlich der Mathematik zuwendete. 1851 Promovierte Riemann und wurde 1859Professor. Mit der nach ihm benannten Riemann’schen Geometrie gilt er als einer der Wegbereiter vonEinsteins allgemeiner Relativitatstheorie. Zudem leistet Riemann bedeutende Arbeiten zur Theorieder Abelschen Integrale, zum Riemannschen Integral, zur Theorie der Differentialgleichungen und zuranalytischen Zahlentheorie.

49Siehe: Monatsberichte der Berliner Akademie, November 1859.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 34

∏ 1

1− 1ps

=∑ 1

ns, (2.1)

wenn fur p alle Primzahlen, fur n alle ganzen Zahlen gesetzt werden. Die Functionder complexen Veranderlichen s, welche durch diese beiden Ausdrucke, so lange sieconvergiren, dargestellt wird, bezeichne ich durch ζ (s).“

Die Identitat (2.1) nennt man heute die sogenannte Euler’sche Produktformel. Sie wurde1737 von Euler als Folge der (im klassischen Sinne) eindeutigen Primfaktorzerlegung bewiesenund stellt eine feste Synthese zwischen den Primzahlen und der Zetafunktion her.

Diese so scheinbar harmlos aussehende Funktion hat viele Mathematiker in ihren Bann gezogen,denn in den Nullstellen der Funktion stecken wichtige Informationen uber die Verteilung derPrimzahlen. Der Zusammenhang zwischen der Zetafunktion ζ (s) und den Primzahlen bildetden Ausgangspunkt der beruhmten Riemann’schen Vermutung50. Sie besagt:

”Alle nicht trivialen Nullstellen der Riemann’schen Zetafunktion besitzen den Realteil 1/2.“

Bemerkung 2.1.1. Riemann konnte zeigen, dass die Dirichlet-Reihe fur Re (s)>1 abso-lut und gleichmaßig konvergiert und dort eine holomorphe Funktion51 – die Riemann’scheζ-Funktion darstellt. Zudem fand er, dass sich fur s = 1 die Zetafunktion, mit einem einfa-chen Pol vom Residuum 1, in die ganze komplexe Ebene meromorph fortsetzen lasst, [Ri59,S.1ff].

Eine ebenfalls auf der gesamten komplexen Ebene meromorph fortsetzbare Funktion ist diebekannte – hier in der Euler’schen Integraldarstellung gegebene – Gammafunktion:

Γ (s) =

∫ ∞

0e−uus−1du, Re(s)>0.

Die Gammafunktion ist holomorph bis auf Pole erster Ordnung an den Stellen s = −n, n ∈ Nmit den Residuen (−1)n /n!. Zudem ist sie nirgendwo Null (vgl. [FrBu06,Kap.IV,Satz 1.2]).

50Riemann nennt diese Vermutung nicht explizit, vielmehr schreibt er uber seine gemachte Entdeckung:

”Man findet nun in der That etwa so viele reelle Wurzeln innerhalb dieser Grenzen und es ist sehr

wahrscheinlich, daß alle Wurzeln reell sind. Hiervon ware allerdings ein strenger Beweis zu wunschen;ich habe indess die Aufsuchung desselben nach einigen fluchtigen vergeblichen Versuchen vorlaufig beiSeite gelassen, da er fur den nachsten Zweck meiner Untersuchungen entbehrlich schien.“ [Ri59,S.4].Die besten Mathematiker haben sich an der Riemann’schen Vermutung versucht. Bisher hat man etwa1013 nicht triviale Nullstellen mit den Realteil 1/2 bestatigt. Jedoch ist sie bis heute weder bewiesen,noch widerlegt worden. Fur einen Beweis (nicht fur ein Gegenbeispiel!) wurde im Jahr 2000 ein Preisvon einer Million US-Dollar ausgesetzt. Neben den schon hier erwahnten nicht trivialen Nullstellenexistieren fur die Zetafunktion im Bereich Re(s) < 0 noch sie sogenannten trivialen Nullstellen mits = −2k, k ∈ N.

51Eine Funktion f heißt in z0 ∈ C holomorph, wenn sie in einer offenen Umgebung U = U (z0) ⊂ Cdefiniert und komplex differenzierbar ist. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden uns noch einige Begriffeaus der Funktionentheorie wie z.B. meromorphe Funktion oder Residuum begegnen. Wir werden siedort (wenn es entbehrlich erscheint) ohne nahere Angaben verwenden und verweisen den Leser schonhier auf die dazu entsprechende Literatur zur Funktionentheorie.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 35

Die Gammafunktion ist eine der wichtigsten nichtelementaren Funktionen in der Analysis undZahlentheorie. Sie nimmt beim Studium der Riemann’schen Zetafunktion sowie den Dirich-let-Reihen eine bedeutende Rolle ein, und da sie insbesondere im Beweis zum Gauss’schenKlassenzahl-Eins-Problem auftritt, sollen einige ihrer Eigenschaften an dieser Stelle festgehaltenwerden. Fur profundere Einblicke in die Gammafunktion verweisen wir auf das Buch von JulianHavil [Ha07,§5ff].

Zunachst erhalt man mittels partieller Integration fur alle reellen s>1 sofort die Funktional-gleichung :

sΓ (s) = s

∫ ∞

0e−uus−1du = use−u|∞0 +

∫ ∞

0e−uusdu = Γ (s+ 1) . (2.2)

Setzen wir s = n als ganze positive Zahl an, dann erhalten wir aus (2.2) durch einfaches Einsetzen

Γ (n) = (n− 1) Γ (n− 1) = (n− 1) (n− 2) Γ (n− 2) = . . . = (n− 1)!Γ (1) = (n− 1)!.

Also einen Zusammenhang zwischen der Gammafunktion und der Fakultatsfunktion.

Daruber hinaus folgt aus der Produktentwicklung des Sinus sin(πs)πs =

∞∏n=1

(1− s2

n2

)sowie aus der

Weierstraß’schen Produktdarstellung (Erganzungsformel):

1Γ(s) = seγs

∞∏n=1

(1 + s

n

)e−

sn , wobei γ ≈ 0, 577215665...52

die wichtige Relation zwischen der Gammafunktion und dem Sinus:

1

Γ (s)

1

Γ (1− s) =1

−sΓ (s) Γ (−s) = s∞∏

n=1

(1−

( sn

)2)

=sin (πs)

π,

also

Γ (s) Γ (1− s) =π

sin (πs).

Aus dieser Darstellung erhalten wir beispielsweise

Γ(

12

)Γ(1− 1

2

)= Γ

(12

)2= π

sin(π/2) = π, das heißt Γ(

12

)=√π.

52Man nennt γ die sogenannte Euler-Mascheroni-Konstante oder Euler-Konstante (nach LeonhardEuler und Lorenzo Mascheroni (1750-1800)). Sie ist eine wichtige mathematische Konstante undtritt interessanterweise in vielen Fallen unerwartet auf. Trotz großer Bemuhungen ist bis heute nichtbekannt, ob diese Zahl rational oder irrational oder ob sie algebraisch oder transzendent ist. Manvermutet jedoch, aufgrund eines Beweisversuches von Paul Emile Appell (1855-1930) aus dem Jahre1926, dass sie zumindest eine irrationale Zahl ist.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 36

Euler vermutete aufgrund theoretischer Uberlegungen in seiner 1749 verfassten aber erst 1768veroffentlichten Arbeit53 einen funktionalen Zusammenhang zwischen der Gamma- und Zeta-funktion. Dabei betrachtete Euler die Tatsache, dass die Funktionswerte ζ (2n) und ζ (1− 2n)dieselben Bernoullizahlen54 enthalten. Diese Eigenschaft sollte sich demnach in einer Funktio-nalgleichung ausdrucken lassen mit ζ (1− 2n) = 2 (2π)−2n cos (πn) Γ (2n). Riemann gelang esschließlich – mittels seiner komplexen Verallgemeinerung der Zetafunktion – die von Eulervermutete Funktionalgleichung zu verifizieren und den Zusammenhang der Gamma- und Zeta-funktion dazustellen:55

π−s2 Γ(s

2

)ζ (s) = π−

(1−s)2 Γ

(1− s

2

)ζ (1− s) . (2.3)

Einen schonen Beweis dieser sogenannten Riemann’schen Funktionalgleichung findet manin [Ha06,Anhang E].

Die linke Seite von (2.3) ist fur Re (s)> 1 von Null verschieden, da aus der Euler’schen Pro-duktdarstellung (2.1) folgt, dass die Zetafunktion dort nirgends verschwindet. Fur Re (s)<0verschwindet ζ (s) genau dort, wo Γ (s/2) Polstellen hat, also bei den samtlichen trivialen Null-stellen fur s = −2k, k ∈ N. Ansonsten besitzt ζ (s) hochstens noch die nicht trivialen komplexenNullstellen σ + it, t ∈ R im sogenannten kritischen Streifen 0<Re (s)<1.

Wahlen wir beispielsweise fur s = 0, dann ergibt sich mit (2.3):

ζ (0) =Γ (1/2)√

πlims→0

ζ (1− s)Γ (s/2)

=−1

2√π

Γ

(1

2

)= −1

2.

Erstaunlicherweise konnte Euler bereits 1750 – auf Basis der Bernoullizahlen B2r – eine ge-winnbringende Formel konstruierte, welche es ihm ermoglichte die Werte der Zetafunktion ζ (s)an den positiven geraden Stellen s = 2r, r = 1, 2, 3, ... relativ einfach zu bestimmen mit

ζ (2r) =∞∑

n=0

1

n2r= (−1)r−1 (2π)2r

2 (2r)!B2r.

Beispiel 2.1.2. Fur 1 ≤ s ≤ 7 berechnen sich fur die Werte der Zetafunktion an der Stelle 2s:

ζ (2) = π2

6 , ζ (4) = π4

90 , ζ (6) = π6

945 , ζ (8) = π8

9450 ,

ζ (10) = π10

93555 , ζ (12) = 691π12

638512875 , ζ (14) = 2π14

18243225 .

53Siehe:”

remarques sur un beau rapport entre les series des puissances tant directes que reciproques“,Originally published in Memoires de l’academie des sciences de Berlin 17, 1768, S.83-106. (Ubersetztvon Lucas Willis and Thomas J.Osler, 2006).

54Nach Jacob Bernoulli (1655-1705), der sie als Erster verwendete. Beim ihm treten sie als Polynome

φk (x) = (x+B)k −Bk eines speziellen Summierungsproblems auf, vgl. Ars conjectandi, Basel 1712.

55Obwohl Riemann seine Arbeit sehr kurz halt (acht Seiten!), zeigt sie doch den kompletten Beweisder von Gauss und Legendre vermuteten Asymptotik der Primzahlverteilungsfunktion π (x). Daraufaufbauend konnten 1896 Jacques Hadamard (1865-1963) und Charles de La Vallee Poussin(1866-1962) – fast zeitgleich und unabhangig voneinander – den Primzahlsatz beweisen.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 37

Fur große Werte von s ∈ N werden die Bruche schnell unangenehm groß. Fur ζ (50) folgt bereits

ζ (50) =39604576419286371856998202π50

285258771457546764463363635252374414183254365234375.

Fur ungerade positive s > 1 ist relativ wenig uber das Verhalten einzelner ζ (s)-Werte bekanntund eine Formel bleibt bis heute ein Geheimnis. Roger Apery (1916-1994) konnte wenigstens1979 zeigen, dass der Wert von ζ (3) = 1, 20205... irrational ist – man bezeichnet diesen Wertdaher als die sogenannte Apery-Konstante56.

Zum Ende des Abschnitts wollen wir noch kurz auf den wichtigen Aspekt der asymptotischenSummenbestimmung eingehen. Gerade fur die Beweise zum Klassenzahl-Eins-Problem (Kapi-tel 4) werden wir bei den analytischen Abschatzungen vielfaltig auf asymptotische Weise denWert einer Summe bestimmen mussen. Dabei bietet es sich an, die Summen geschickt mithilfeeines Integrals zu vergleichen. Eine von Euler und Colin Maclaurin57 unabhangig entdeckteSummenformel gibt den genauen Fehler an, der bei einem solchen Vergleich auftritt. Wir gebenhier die vereinfachte Version der Euler-Maclaurin’sche Summenformel58 wieder, welche sichals Spezialfall der abelschen Summation ergibt mit dem

Satz 2.1.3.(Euler-Maclaurin, 1741)

Sei n ∈ N und f : [0, n]→ C eine auf dem abgeschlossenen Intervall [0, n] stetig differenzierbarreelle Funktion. Dann gilt

n∑

k=0

f (k) =

∫ n

0f (u) du+

1

2(f (1) + f (n)) +

∫ n

0

(u− [u]− 1

2

)d

dufdu, (2.4)

wobei [u] die bekannte Gauss’sche Integerfunktion oder Gaussklammer59 bezeichnet.

Eine sehr ausfuhrliche und auf alle Einzelheiten eingehende Darstellung (einschließlich des Be-weises), findet man in der Vorlesung von Niels E.Nørlund [No24,§§II-V].

56Siehe: Irrationalite de ζ (2) et ζ (3). Asterisque 61, 1979, S.11-13 (franzosisch).57Colin Maclaurin (1698-1746) war ein schottischer Mathematiker. Im Alter von 11 Jahren begann

Maclaurin mit dem Studium der Physik an der Universitat Glasgow wo er nach nur drei Jahre seinenAbschluss machte. Im Jahre 1717 wurde Maclaurin mit gerade mal 19 Jahren Professor in Aberdeen.Maclaurin leistet bedeutende Beitrage zur theoretischen Geodasie und zur Geophysik.

58Die Formel geht in ihrer allgemeinen Form auf Euler zuruck, der sie 1732 beilaufig in den”

Commen-tarii“ (Acad.Petrop. Band 6) anmerkt und an einigen Beispielen erlautert, jedoch erst 1741 vollstandigbewies. Colin Maclaurin (1698-1741), der die Formel ebenfalls in seiner 1742 erschienenen Arbeit

”A

Treatise of Fluxion“ Band 2 benutzt, scheint sie unabhangig von Euler gefunden zu haben. Sie wirddeshalb als Euler-Maclaurin-Summenformel bezeichnet. Das wichtige Restglied der Formel wurdeallerdings erst 1823 von Poisson in seiner Arbeit

”Memoire sur le calcul numerique des Integrales

definies“ (Mem. de l’Acad. R. des Sciences de l’Institut de France VI, 1823) hinzugefugt. Spater entwi-ckelte Poisson eine eigene Summationsformel – die sogenannte Poisson’sche Summenformel. Sie istheute ein wichtiges Hilfsmittel in der Fourier-Analysis sowie der Signalverarbeitung.

59Fur jede reelle Zahl x ∈ R ist die Gaussklammer wohldefiniert uber [x] = max κ ∈ Z|κ ≤ x.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 38

Setzen wir in die Formel (2.4) die Funktionen f (k) = k−s, f (u) = u−s, f (n) = n−s so ergibtsich:

n∑

k=1

k−s =

∫ n

1u−sdu+

1

2

(1 +

1

ns

)− s

∫ n

1

(u− [u]− 1

2

)u−(s+1)du.

Ist Re(s)>1 so erhalten wir, aus den Grenzubergang n→∞:

ζ (s) =1

s− 1+

1

2− s

∫ ∞

1

(u− [u]− 1

2

)u−(s+1)du,

die bekannte Zetafunktion.

Ein fur den Beweis der Dirichlet’schen Klassenzahlformel fundamentaler Begriff ist der derDirichlet’schen L-Reihe. Bevor wir jedoch auf diese zu sprechen kommen, betrachten wirzunachst die mit ihr in Verbindung stehenden Dirichlet-Charaktere.

2.2 Dirichlet’sche Charaktere

In seinem Beweis zur Existenz von unendlich vielen Primzahlen in arithmetischen Progressionenhatte Legendre die Schwierigkeit diese aus der Restklassenmenge Pa = p Primzahl | p ≡ a mod mmit a< m und ggT (a,m) = 1 zu isolieren.60 Dirichlet loste sich vom eingeschlagenen Weg Le-gendres61 und entwickelte schließlich 1837 in seiner beruhmten Arbeit

”Beweis des Satzes, daß jede unbegrenzte arithmetische Progression, deren erstes

Glied und Differenz ganze Zahlen ohne gemeinschaftlichen Factor sind, unendlichviele Primzahlen enthalt“62

die vollig neuartigen Prinzipien der multiplikativen Charaktere63 zur RestklassengruppeG (m) := (Z/mZ)∗. Mittels der algebraischen Eigenschaften dieser Charaktere hatte Dirichletletztlich eine derart neue Technik zur Hand, die es ihm letzten Endes erlaubte, die Primzah-len aus der Restklassenmenge herauszufiltern und somit seinen Beweis, dass jede unbegrenztearithmetische Progression unendlich viele Primzahlen enthalt, vollstandig zu fuhren. Die vonDirichlet verwendete Sprechweise ist jedoch aus moderner Sicht etwas schwerfallig, sodass wirheute unter einem Charakter einen auf einer endlichen abelschen Gruppe G erklarten Homo-morphismus verstehen:

ψ : G → C∗,60Theorie des Nombres (Zahlentheorie), 4ieme Partie (4.Teil), §IX.61Man liest:

”Erst nachdem ich den von Legendre eingeschlagenen Weg ganz verlassen hatte, bin ich auf

einen vollig strengen Beweis des Theorems uber die arithmetische Progression gekommen.“ [Di37,S.46]62Abhandlungen der Koniglichen Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1837, S. 45-71.63Dirichlet spricht naturlich nicht von Charakteren, sondern einfach nur von reellen oder komplexen

Funktionen ψ. Die heutige Bezeichnung χ taucht – soweit ersichtlich – erstmals in den Erganzungen(Supplement XI) [DiDe63,§184,S.612] von Dedekind auf.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 39

also eine Abbildung ψ aus einer beliebig abelschen Gruppe in die gelochte komplexe Ebene. Mankann nun zeigen, dass die Menge aller Charaktere von G bezuglich der punktweise erklarten Mul-tiplikation wieder eine abelsche Gruppe G := Hom (G,C∗) bildet und dass fur eine UntergruppeH ⊂ G die exakte Sequenz 1 −→ H

ι−→ Gπ−→ H −→ 1, mit den kanonischen Einbettungen ι

und π, eine exakte Sequenz induziert mit

1 −→ G/H?π−→ G

?ι−→ H −→ 1.

Ist nun G := G (m) die prime Restklassengruppe modulo m, dann ist zu jedem Charakter ψ vonG (m) eine komplexwertige, multiplikative Funktion χ := χψ definiert:

χ : Z→ C.

Die Funktion χ wird ein Dirichlet-Charakter modulo m genannt und beschrieben durch

χ (a) =

ψ (a mod m) wenn ggT (a,m) = 1,0 sonst.

Wie viele verschiedene Dirichlet-Charaktere modulo m gibt es? Setzen wir zunachst m = pmit p als ungerade Primzahl, so ist bekanntlich die Restklassengruppe (Z/pZ)∗ zyklisch (vgl.[Sc06,S.67]). Ist ϑ ∈ (Z/pZ)∗ ein Erzeuger, das heißt eine Primitivwurzel modulo p, dann istein beliebiger Dirichlet-Charakter modulo p eindeutig durch die Auswahl der (p− 1)-ten Ein-heitswurzel χ (ϑ) bestimmt. Somit existieren genau p − 1 Dirichlet’sche Charaktere modulop. Bezeichnet ϕ die bekannte Euler’sche Phi-Funktion, dann gilt fur allgemeines m, dass ϕ (m)die Ordnung der abelschen Gruppe (Z/mZ)∗ bestimmt. Aufgrund der Tatsache, dass sich jedeendlich erzeugte abelsche Gruppe als Produkt endlich vieler zyklischer Gruppen schreiben lasst(vgl. [Sc06,Satz 5.2.5]), sind wir in der lukrativen Lage

(Z/mZ)∗ ∼= K1 × · · · ×Kl

als Produkt zyklischer Gruppen Kj der Ordnung κj zu schreiben, sodass gilt ϕ (m) = κ1 · · ·κl.Ein Charakter wird eindeutig dadurch zugewiesen, wenn wir fur alle j = 1, ..., l einem festen Er-zeuger der zyklischen Gruppe Kj eine κj-te Einheitswurzel zuordnen. Folglich existieren genauϕ (m) Dirichlet-Charaktere modulo m.

Sei n = pe11 · ... · pell , ej ≥ 1 die kanonische Primfaktorzerlegung der Zahl n, dann konnen wir dieFunktion ϕ allgemein ausdrucken:

ϕ (m) := |(Z/mZ)∗| = |a mod m | ggT (a,m) = 1| = m∏

p|m

(1− 1

p

).

Unter den Dirichlet-Charakteren modulo m nimmt der triviale oder auch Hauptcharakterχ0 (a) eine Sonderstellung ein. Dieser ist fur ggT (a,m) = 1 konstant 1 und fur alle anderenFalle 0. Ist zudem χ ein Dirichlet-Charakter modulo m und D ein echter Teiler von m, danninduziert χ einen Dirichlet-Charakter modulo D durch die Projektion

χD : (Z/ |D|Z)∗ −→ (Z/mZ)∗χ−→ z ∈ C | |z| = 1 .

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 40

Man nennt χD einen primitiven oder eigentlichen Dirichlet-Charakter modulo D, wennχD nicht durch einen Dirichlet-Charakter modulo m mit m < D induziert ist.

Beispiel 2.2.1. Man hat |(Z/3Z)∗| = 2 und |(Z/5Z)∗| = 4, also |(Z/15Z)∗| = 8, das heißt,es gibt genau 8 verschiedene Dirichlet-Charaktere modulo 15. Davon sind 2 induziert von(Z/3Z)∗ und 4 induziert von (Z/5Z)∗, wobei genau einer, der triviale Charakter, von beideninduziert ist. Folglich existieren genau 3 primitive Charaktere modulo 15.

Wir bemerken, dass fur jede ungerade Primzahl p das Legendre-Symbol einen Dirichlet-Charakter modulo p definiert:

χp (a) =

(a

p

)=

0 falls p|a,1 falls p 6 | a und a ≡ x2 mod p−1 sonst.

losbar ist fur ein x ∈ Z\ 0 ,

Nachfolgend betrachten wir nun die von Dirichlet eingefuhrten L-Reihen, die ihm schließlichein tragfahiges Fundament fur den Beweis seinen Primzahlsatzes verschafften. Der arithmeti-sche Sachverhalt zur Theorie der Dirichlet’schen L-Reihen findet seinen pragnante Form imAusdruck einer analytischen Identitat, welche die Riemann’sche Zetafunktion mit den Dirich-let’schen Charakteren verknupft und sich darstellen lasst uber die sogenannten L-FunktionenL (s, χ). Das Hauptargument im Beweis des Dirichlet’schen Primzahlsatzes ist die bemerkens-werte Tatsache, dass die Dirichlet’schen L-Reihen an der Stelle s = 1 nicht verschwinden (vgl.[Di37] oder [DiDe63,§135]). Wie sich zeigen wird, sind die von Dirichlet verwendeten L-Reihenjedoch nicht nur fur seinen Primzahlsatz von entscheidender Bedeutung, sondern spielen auch –als profundes Hilfsmittel – bei der Losungen des Klassenzahl-Eins-Problems eine entscheidendeRolle.

2.3 Dirichlet’sche L-Reihen

Fur den Beweis seines Primzahlsatzes fuhrte Dirichlet 1837 die L-Reihen als eine Klasse vonunendlichen Reihen der folgenden Form ein:

L =

∞∑

n=1

ψ (n) .

Hierbei betrachtete er vollstandig multiplikative reelle oder komplexe Funktionen ψ(n), fur diedie Summe aller Werte von ψ(n) endlich ist, sodass die L-Reihe einen von der Anordnung ihrerGlieder unabhangigen endlichen Wert besitzt. Aufgrund der multiplikativen Aufspaltung derFunktion ψ (n) gelang es Dirichlet die Richtigkeit der fur die L-Reihen bestehenden Identitat

q∈P

1

1− ψ (q)=

∞∑

n=1

ψ (n) (2.5)

zu beweisen, wobei sich das auf der linken Seite stehende Euler-Produkt uber alle Primzahlp erstreckt. Durch die systematische Ausbeute der Identitat (2.5) konnte Dirichlet letztlich

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 41

seines Primzahlsatzes vollstandig beweisen. Nun spielen die L-Reihen jedoch – wie wir oben be-reits erwahnt hatten (vgl. Seite 33) – nicht nur im Beweis des Dirichlet’schen Primzahlsatzeseine entscheiden Rolle, sondern auch bei der Herleitung (des in Eingang gestellten Theorems)der arithmetischen Klassenzahlformel. Im Jahre 1839, also genau zwei Jahre nach Einfuhrungder L-Reihen, griff Dirichlet die von Gauss begonnenen Untersuchungen, zur Bestimmungder Klassenzahlen von binaren quadratischen Formen, auf und zeigte, dass die arithmetischeBestimmung der Klassenzahlen im Wesentlichen die Berechnung einer mit der L-Reihe ver-knupften stetigen Funktion verlangt. Einen derartige Verknupfung druckte Dedekind – imRahmen seiner idealtheoretischen Begrundung der algebraischen Zahlentheorie – als Erste mitdem Dirichlet’schen Charakter χ aus (siehe: [DiDe63,§184]). Wir definieren daher – im Sinnevon Dedekind – die Dirichlet’schen L-Reihen:

L (s, χ) =

∞∑

n=1

χ (n)

ns=∏

p∈P

(1− χ (p) p−s

)−1. (2.6)

Bemerkung 2.3.1. Wegen |χ (n)| ≤ 1 konvergiert die Reihe fur Re (s)>1 absolut und stelltin der Halbebene s ∈ C|Re (s)>1 eine holomorphe Funktion dar – die Dirichlet’sche L-Funktion zu χ (vgl. [Sc06,§8.5]).

Entsprechend der Riemann’sche Zetafunktion lassen sich auch die Dirichlet’schen L-Reihenauf der ganzen – in s = 1 gelochten – komplexen Ebene meromorph fortsetzen (mit einem ein-fachen Pol mit Residuum

∏p|n(1− p−1

)) und genugen dort einer Funktionalgleichung, welche

das Argument s auf das Argument 1− s bezieht. Dieses formidable Attribut ist beispielhaft fureine ganze Gattung weiterer L-Reihen64, von deren Behandlung wir jedoch im weiteren Verlaufder Arbeit absehen mussen. Fur eine pragnante Darstellung dieser Resultate sei verweisen auf[Ne92,KapVII] oder [Ko97,Kap.7].

Ahnlich der Zetafunktion besitzt also auch die L-Funktion eine Darstellung als Euler-Produktund man zeigt leicht (vgl. [Za81,S.42]) – durch Vergleich des Euler-Produktes in (2.6) furRe (s)>1 –, dass fur alle n ∈ N und unter der Bedingung, dass χ = χ0 der Hauptcharakter ist,die folgende Beziehung erfullt ist mit

L (s, χ0) = ζ (s)∏

p|n

(1− p−s

)=∏

p-n

(1− p−s

)−1.

Demnach ist die Dirichlet’sche L-Reihe bis auf einen einfachen multiplikativen Faktor mit derRiemann’schen Zetafunktion identisch.

Nachfolgend wollen wir uns nun dem Beweis der Dirichlet’schen Klassenzahlformeln zuwenden.Wir erinnern daran, dass sich Lagrange mit der Frage beschaftigte, welche ganzen Zahlenm sich durch eine quadratische Form f mit Diskriminante D darstellen lassen.65 Wir fragenjetzt praziser, nicht nur nach der Darstellbarkeit, sondern direkt nach der Darstellungsanzahl

64Hier in Rede stehend sind beispielsweise die Hecke’schen L-Reihen, die Artin’schen L-Reihen oderdie Theta-Reihen.

65Siehe Abschnitt 1.4, Seite 24.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 42

R (f,m) von m, durch eine quadratische Form f . Um die Anzahl R (f,m) genauer konkreti-

sieren zu konnen, betrachten wir zunachst mit U := (α βγ δ

) ∈ SL2 (Z) die aus Abschnitt

1.4. definierte unimodulare Matrix mit der Transformationseigenschaft F = U tFU . Offen-sichtlich bleibt die Matrix F unter der Wirkung von U invariant und bestimmt eine durch(1.2) definierte quadratische Form f (x′, y′) = Ax′2 + Bx′y′ + Cy′2 welche mit der quadra-tischen Form f (x, y) = ax2 + bxy + cy2 ubereinstimmt. In einem solchen Fall mussen dieKoeffizienten A,B,C mit den Koeffizienten a, b, c identisch sein. Das heißt, es muss geltenf (x, y) = f (αx+ βy, γx+ δy). Eine derartige Transformation uberfuhrt offensichtlich aucheine Losung der Gleichung f(x, y) = m in eine andere mit f (αx+ βy, γx+ δy) = m. Bei einersolchen Transformation nennen wir die Matrix U einen Automorphismus von f . Die Mengealler Automorphismen von f bilden eine Untergruppe Aut(f) von SL2 (Z), die sogenannte Au-tomorphismengruppe von f :

Aut (f) =

(α βγ δ

)∈ SL2 (Z) |a = aα2 + bαγ + cγ2, b = 2aαβ + b (αδ + βγ) + 2cγδ, c = aβ2 + bβδ + cδ2

.

(2.7)

Darauf aufbauen geben wir die

Definition 2.3.2. Zwei Losungen (x, y) und (x′, y′) der Gleichung f(x, y) = m heißen aquivalent,falls ein Automorphismus U ∈ Aut (f) existiert mit der Eigenschaft, dass die beiden quadrati-schen Formen f (x, y) und f (x′, y′) ubereinstimmen. Weiter ist die Darstellungsanzahl R (f,m)definiert als die Anzahl der unter der Operation von Aut(f) nicht aquivalenten Losungen derGleichung f (x, y) = m. Das heißt, R (f,m) ist die Anzahl der auf der Losungsmenge vonf (x, y) = m entstehenden Aquivalenzklassen.

Da Aut(f) eine Gruppe ist, ist in der Tat eine Aquivalenzrelation auf der Losungsmenge vonf (x, y) = m gegeben. Die Bestimmung von R (f,m) fuhrt uns also wieder die bekannte Be-trachtung der Aquivalenz von quadratischen Formen zuruck. Im Fall einer negativen Funda-mentaldiskriminante D werden wir sehen, dass R (f,m) stets endlich ist. Bevor wir dies zeigen,definieren wir die Gesamtdarstellungsanzahl rD (m) von m durch quadratische Formen fmit Fundamentaldiskriminante D durch

rD (m) =

h(D)∑

i=1

R (fi,m) , (2.8)

wobei die Mengef1, ..., fh(D)

ein Reprasentantensystem der Aquivalenzklassen von primitiven

positiv-definiten quadratischen Formen mit Fundamentaldiskriminante D ist.

Die einzelnen Darstellungsanzahlen R (fi,m) lassen sich leider nicht durch eine geschlosseneFormel berechnen. Wir werden uns daher auf die Berechnung des Mittelwerts

limN→∞

1

N

h(D)∑

m=1

R (fi,m) , 1 ≤ i ≤ h (D)

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 43

konzentrieren. Zunachst aber noch die folgende

Definition 2.3.3 Die Abbildung χD : N → Z definiert einen quadratischen Dirichlet-Charakter zur Fundamentaldiskriminante D durch

χD (p) =

(D

p

),

wobei p eine ungerade Primzahl ist. Ist p = 2, dann benutzen wir das Kronecker-Symbol:

χD (2) =

(D

2

)=

0 falls D ≡ 0 mod 4,1 falls D ≡ 1, 7 mod 8,−1 falls D ≡ 3, 5 mod 8.

Allgemein setzen wir aufgrund der Multiplizitatseigenschaft fur verschiedene Primzahlen pi mitVielfachheiten ei

χD (pe11 · . . . · peii ) = χD (p1)e1 · . . . · χD (pi)ei .

Bemerkung 2.3.4. Es sei D eine Fundamentaldiskriminante. Die Abbildung χD : Z→Z mitχD(−a) = χD(−1)χD(a) ist periodisch modulo |D| und definiert einen primitiven Dirichlet-Charakter modulo |D| mit

χD (−1) =

1 fur D > 0,−1 fur D < 0,

vgl. [Za81,§5,Satz 4].

Nachfolgend soll nun die Ordnung der Automorphismengruppe Aut (f) fur negative Fundamen-taldiskriminante D explizite berechnet werden. Dabei wird sich zeigen, dass die Struktur vonAut (f) maßgeblich durch die Losungsmenge der diophantischen Gleichung t2 − Du2 = 4 cha-rakterisiert wird.

Satz 2.3.5. Es sei f = (a, b, c) eine primitive positiv-definite quadratische Form mit Fundamen-taldiskriminante D<0. Durch die Abbildung

(t, u) 7→(

t−bu2 −cuau t+bu

2

),

wird eine Bijektion von der Losungsmenge der sogenannten Pell’schen Gleichung t2−Du2 = 4auf die Automorphismengruppe Aut (f) von f gegeben. Bezuglich der Kompositionsregel

(t1, u1) (t2, u2) =

(t1t2 +Du1u2

2,t1u2 + u1t2

2

)

wird diese Bijektion zu einem Gruppenhomomorphismus fur Losungen von t2 − Du2 = 4. DieStruktur von Aut (f) ist zyklisch und von endlicher Ordnung :

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 44

ω := |Aut (f)| =

4 fur D = −4,6 fur D = −3,2 fur D <− 4.

Beweis: Der gesamte Beweis beruht im Wesentlichen auf algebraische Umformungen der dreiGleichungen aus (2.7). Wir zeigen zuerst die Bijektion zwischen der Losungsmenge der Pell’schenGleichung und den Automorphismen von f .

Betrachten wir zunachst die zweite Gleichung aus (2.7). Wir formen sie entsprechend um underhalten:

b = 2aαβ + bαδ + bβγ + 2cγδ + 2bβγ − 2bβγ︸ ︷︷ ︸=0

⇔ 2bβγ + b− bαδ − bβγ = 2aαβ + 2cγδ + 2bβγ

⇔ b

1− (αδ − βγ)︸ ︷︷ ︸

=1

= 2 (aαβ + cγδ + bβγ) .

(2.9)

Also ist aαβ + cγδ + bβγ = 0 und damit aαβ + bβγ = −cγδ. Nach Voraussetzung ist Deine Fundamentaldiskriminante, daher konnen weder a noch c gleich Null sein. Aus der erstenGleichung von (2.7) folgt, durch beidseitige Multiplikation mit β und der Verwendung von (2.9):

aβ = β(aα2 + bαγ + cγ2

)= α (aαβ + bγβ) + βcγ2 (2.9)

= α (−cγδ) + cβγ2 = −cγ.

Entsprechend erhalten wir aus der dritten Gleichung von (2.7), durch beidseitige Multiplikationmit α:

αc = α(aβ2 + bβδ + cδ2

)+cδ − cδ︸ ︷︷ ︸

=0

⇔ c (α− δ) = αaβ2 + bαβδ + cαδ2 − cδ

= αaβ2 + bαβδ + cδ (αδ − 1)︸ ︷︷ ︸=βγ

= β (αaβ + cδγ)︸ ︷︷ ︸−bβγ

+bαβδ

= bβ (αδ − βγ)︸ ︷︷ ︸=1

= bβ.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 45

Insgesamt erhalten wir γa = δ−α

b = −βc fur b 6= 0 und α = δ, γ

a = −βc fur b = 0. In jedem Fall ist

γa eine ganze Zahl, denn f ist primitiv, das heißt, ggT (a, b, c) = 1. Setze u = γ

a und t = α + δ,dann ergibt sich

(t−bu

2 −cuau t+bu

2

)=

(α βγ δ

).

Berechnet man die beidseitige Determinante, so folgt 14

(t2 − b2u2

)+ cau2 = αδ − βγ = 1 und

mit D = b2 − 4ac die Pell’sche Gleichung t2 −Du2 = 4.

Es seien nun umgekehrt t, u ∈ Z mit t2 −Du2 = 4. Setze α = t−bu2 , δ = t+bu

2 , β = −cu, γ =au. Fur D ≡ 0 mod 4 sind b und t gerade und damit α, δ ∈ Z. Ist hingegen D ≡ 1 mod 4,dann ist b ungerade und t ≡ u mod 2, also erneut α, δ ∈ Z. Mit αδ − βγ = 1

4

(t2 − b2u2

)+

cau2 = 14

(t2 −Du2

)= 1 folgt dann

(α βγ δ

)∈ SL2 (Z). Die Koeffizienten der Transformierten

quadratischen Form f erhalten wir durch

i)

aα2 + bαγ + cγ2 = 14a (t2 − 2btu+ b2u2) + 1

2b (atu− abu2) + ca2u2 = 1

4at2 − 1

4ab2u2 + ca2u2 = 1

4a (t2 −Du2) = a.

ii)

2aαβ + b (αδ + βγ) + 2cδγ = a (bcu2 − cut) + b(14(t2 − b2u2)− acu2

)+ c (atu+ abu2) = abcu2 + 1

4b (t2 − b2u2) = 1

4b (t2 −Du2) = b.

iii)

aβ2 + bβδ + cδ2 = ac2u2 − 12bcu (t+ bu) + 1

4c (t2 + 2btu+ b2u2) = ac2u2 − 1

4cb2u2 + 1

4ct2 = 1

4c (t2 −Du2) = c.

Also ist(α βγ δ

)=

(t−bu

2 −cuau t+bu

2

)

ein Automorphismus von f .

Aus u = γa und t = 2α + bu = 2α + b

aγ folgt zudem, dass zu den verschiedenen Losungen derPell’schen Gleichung auch verschiedene Automorphismen gehoren. Also entspricht die im Satzbeschriebene Zuordnung in der Tat einer Bijektion zwischen der Losungsmenge der Pell’schenGleichung t2 −Du2 = 4 und der Menge aller Automorphismen von f . Damit ist der erste Teildes Satzes bewiesen.

Betrachten wir nun die Verkettung zweier Losungen der Pell’schen Gleichung mit (t1, u1) ∈ Z2

und (t2, u2) ∈ Z2. Die zugehorigen Automorphismen

(t1−bu1

2 −cu1

au1t1+bu1

2

)und

(t2−bu2

2 −cu2

au2t2+bu2

2

)

liefern – unter Verwendung der Diskriminante D = b2 − 4ac – als Produkt die Matrix

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 46

(14 (t1t2 +Du1u2 − bt1u2 − bt2u1) − c

2 (t1u2 + t2u1)a2 (t1u2 + t2u1) 1

4 (t1t2 +Du1u2 + bt1u2 + bt2u1)

).

Diese Matrix korrespondiert mit der im Satz beschriebenen Zuordnung zum Paar

(t1t2 +Du1u2

2,t1u2 + u1t2

2

)∈ Z2.

Damit erhalten wir schließlich (t, u) =(t1t2+Du1u2

2 , t1u2+u1t22

).

Also ist durch die Verkettung (t1, u1) (t2, u2) =(t1t2+Du1u2

2 , t1u2+u1t22

)eine zweistellige Ver-

knupfung auf der Losungsmenge der Pell’schen Gleichung gegeben. Bezuglich der Matrizen-multiplikation ist die im Satz beschriebene Abbildung strukturerhaltend, das heißt ein bijek-tiver Gruppenhomomorphismus, also ein Gruppenisomorphismus. Da die Losungsmenge derPell’schen Gleichung samt ihrer Verknupfung nur von D abhangt, besitzen alle primitivenquadratischen Formen f mit Fundamentaldiskriminante D<0 isomorphe Automorphismengrup-pen.

Zur Strukturbestimmung der Automorphismengruppe (2.7) untersuchen wir nun die Losungs-menge der Pell’schen Gleichung. Zunachst definieren wir einen weiteren Gruppenhomomor-

phismus ϕ uber die Abbildung ϕ :

(t, u) ∈ Z2|t2 −Du2 = 47→ C durch ϕ ((t, u)) = t+u

√D

2 .Uber die Multiplikation

ϕ (t1, u1)ϕ (t2, u2) = ϕ

(t1t2 +Du1u2

2,t1u2 + t2u1

2

)=

1

4

(t1t2 +Du1u2 + (t1u2 + t2u1)

√D)=

t1 + u1

√D

2·t2 + u2

√D

2= ϕ (t1, u1)·ϕ (t2, u2)

induziert ϕ einen injektiven Homomorphismus von(

(t, u) ∈ Z2|t2 −Du2 = 4, )

in (C\ 0 , ·).Mit der Setzung ED := Bild (ϕ) ist (ED, ·) eine zur Automorphismengruppe (2.7) isomor-phe Untergruppe von (C\ 0 , ·). Wir bestimmen nun die Losungen der Pell’schen Gleichungt2 −Du2 = 4 fur D<0.

Fur D< − 4 und u 6= 0 ist t2 − Du2> − Du2> 4. Damit existieren fur t2 − Du2 = 4 nur dietrivialen Losungen: (t, u) = (±2, 0). ED = −1, 1 ist die Menge der zweiten Einheitswurzelnund Aut (f) ist folglich isomorph zu Z/2Z.

Fur D = −4 ist t2 + 4u2 = 4 mit den einzigen ganzzahligen Losungen (t, u) = (±2, 0) und(t, u) = (0,±1). E−4 = ±1,±i ist die Menge der vierten Einheitswurzeln und Aut (f) istisomorph zu Z/4Z.

Bleibt noch D = −3. Dann ist t2 + 3u2 = 4 mit den ganzzahligen Losungen (t, u) = (±2, 0) und

(t, u) = (±1,±1). E−3 =±1, 1±√−3

2 , −1±√−32

ist die Menge der sechsten Einheitswurzeln und

Aut (f) ist isomorph zu Z/6Z.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 47

Damit ist gezeigt, dass Aut (f) eine zyklisch Gruppe ist, deren Ordnung mit der Losung zurPell’schen Gleichung t2 +Du2 = 4 ubereinstimmt:

|Aut (f)| =

4 fur D = −4,6 fur D = −3,2 fur D <− 4.

Wir wollen nun auf geometrischem Wege die mittlere Anzahl der Darstellungen bezuglich derquadratischen Form f bestimmen. Die Bestimmung dieser Darstellungen beruht dabei auf ei-nem so wunderbaren Satz, der an sich zwar rein arithmetisch ist, dessen Charakter wir uns aberbequem mittels einer geometrischen Figur bekleidet vor Augen fuhren konnen. Unser Vorgehenbegrunden sich auf der einfachen Idee, die Menge R (f,m) von nicht aquivalenten Losungen derGleichung f (x, y) = m mit der Anzahl von Punkten ganzzahliger Koordinaten im Flacheninhalteines Kegelschnittes – und zwar einer Ellipse – zu vergleichen. Gauss untersuchte dieses bemer-kenswerte Resultat in seinen Nachlassen von 1808 [Ga08,S.276ff,II], welche dann spater in dieDisquisitiones Arithmeticae [Ga01,S.662ff] mit aufgenommen wurden. Bei Dirichlet findetman sie im funften Abschnitt seiner Vorlesung zur Zahlentheorie, siehe dazu [DiDe63,§95]. Indiesem Sinne betrachten wir den folgenden

Satz 2.3.6. Es sei f = (a, b, c) eine primitive positiv-definite quadratische Form mit Fundamen-taldiskriminante D<0. Dann gilt fur den Mittelwert der Darstellungsanzahlen R (f,m)

limN→∞

1

N

(N∑

m=1

R (f,m)

)=

ω√|D|

, (2.10)

wobei ω die in Satz 2.3.5 bestimmte Ordnung der Automorphismengruppe (2.7) ist.

Beweis: Zunachst folgt aus Satz 2.3.5, dass ω endlich ist. Die Automorphismengruppe Aut (f)operiert auf Z2\ (0, 0) durch die Abbildung (A, (x, y)) 7→ (x, y)A−1 fixpunktfrei. Denn der Sta-bilisator StabAut(f)(x, y) :=

A ∈ Aut (f) | (x, y)A−1 = (x, y)

ist, wie man leicht nachrechnet

trivial. Denn bekanntlich gilt fur einen Fixpunkt (x, y), dass dieser mit seinem Bildpunkt (x′, y′)identisch ist. Das heißt, aus

(x′, y′

)= (x, y)A−1 = (x, y)

(t+bu

2 cu

−au t−bu2

)=

(t+ bu

2x− auy, cux+

t− bu2

y

)

erhalten wir die beiden Gleichungen

t+bu2 x− auy = x′ und cux+ t−bu

2 y = y′.

Klar ist, dass a und c von Null verschieden sind. Ist nun x 6= 0, y = 0 und soll x = x′ gelten,dann folgt aus der ersten Gleichung sofort u = 0 und t = 2. Ist x = 0, y 6= 0 und soll y = y′

gelten, dann liefert die zweite Gleichung ebenfalls die Werte u = 0 und t = 2. Bleibt nochder Fall x, y 6= 0. Dafur multiplizieren wir zunachst die erste Gleichung beidseitig mit cx undbetrachten x = x′, dann ergibt sich: cxauy = cx2

(t+bu−2

2

). Fur die zweite Gleichung folgt nach

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 48

beidseitiger Multiplikation mit ay und der Betrachtung von y = y′: cxauy = ay2(

2+bu−t2

).

Wir haben also

cx2

(t+ bu− 2

2

)= cxauy = ay2

(2 + bu− t

2

)

und damit aquivalent

(cx2 + ay2

)︸ ︷︷ ︸

6=0

(t− 2

2

)+(cx2 − ay2

)︸ ︷︷ ︸

6=0

bu

2= 0.

Die linke Seite der letzten Gleichung verschwindet nur dann, wenn gilt: u = 0 und t = 2.

Also erhalten wir fur (t, u) = (2, 0) die Matrix

(1 00 1

). Der Stabilisator ist also in jedem Fall

trivial: StabAut(f)(x, y) :=

(1 00 1

). Alle Bahnen haben daher die Lange ω = |Aut (f)|.

Das heißt, in Z2 existieren genau ω aquivalente Losungen der Gleichung f (x, y) = m. Also istdie Darstellungsanzahl der nicht aquivalenten Losungen gegeben durch

R (f,m) :=1

ω

∣∣(x, y) ∈ Z2|f (x, y) = m∣∣ .

Damit haben wir

N∑

m=1

R (f,m) =1

ω

∣∣(x, y) ∈ Z2|f (x, y) ≤ N∣∣ .

Die Menge aller Punkte (x, y) ∈ R2, die der Ungleichung genugen, beschreiben als rechtwinkligeKoordinaten das Innere einer Ellipse .66 Ihr Flacheninhalt ist bis auf einen kleinen Fehler vomUmfang der Ellipse bestimmt und entspricht gerade der Anzahl der in ihr enthaltenen Gitter-punkte .

Wir erganzen die Ungleichung ax2 + bxy+ cy2 ≤ N quadratisch mit(by2a

)2und erhalten gleich-

bedeutend a(x+ b

2ay)2

+ |D|4a y

2 ≤ N .

66Diese Aussage begrundet sich schließlich durch die Tatsache, dass in einer unendlich ausgedehntenEbene der Flacheninhalt einer jeden begrenzten geometrischen Figur annahernd dadurch bestimmtwerden kann, dass man die Ebene mit einem achsenparallelen Quadernetz (sog. Einheitsquadrate)parkettiert und die Anzahl derjenigen Einheitsquadrate, welche ganz innerhalb der Figur liegen, alsauch derjenigen, welche vom Umfang der Figur beschnitten werden zahlt. Diese Methode wird umsogenau den Flacheninhalt der geometrischen Figur bestimmen, je kleiner die Einheitsquadrate genommenwerden. Das heißt, man vergleicht die vorgegebene Flache mit einem Einheitsquadrat und stellt fest,wie oft die Flache des Einheitsquadrats in ihr enthalten ist. Fur einen genauere Betrachtung dieserVorgehensweise sei verwiesen auf die Literatur [La27,Satz 207] von Landau.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 49

Mittels der Koordinatentransformation (x, y) 7→ (u, v) =(x+ b

2ay, y)

folgt dann aN u

2 + |D|4Nav

2 =u2

κ2 + v2

τ2 ≤ 1. Diese Ungleichung beschreibt eine achsenparallele Ellipsenflache mit den Halbach-

sen κ =√

Na und τ =

√4aN|D| .

Da bei einer solchen Koordinatentransformation die Determinante bekanntlich keine Veran-derung erfahrt, erhalten wir den Flacheninhalt A der Ellipse aus dem folgenden Integral:

A = 2

∫ κ

−κτ

√1− u2

κ2du =

κ

∫ κ

−κ

√κ2 − u2 du =

κ

[u

2

√κ2 − u2 + κ2

2arcsin

u

κ

−κ= πκτ.

Mit κ =√

Na und τ =

√4aN|D| folgt insgesamt

A =2πN√|D|

. (2.11)

Fur den Umfang der Ellipse existiert leider kein geschlossener Ausdruck. Wir konnen ihn dahernicht exakt bestimmen und sind deshalb auf ein elliptisches Integral67 angewiesen, wobei derFehler – glucklicherweise – in der Großenordnung68 von O(

√N) liegt. Insgesamt folgt also

limN→∞

1

N

(N∑

m=1

R (f,m)

)= lim

N→∞

1

ωN

∣∣(x, y) ∈ Z2 |f (x, y) ≤ N∣∣ = lim

N→∞

1

ωN

(2πN√|D|

+O(√

N))

=2π

ω√|D|

.

Damit haben wir fur hinreichend große N den gesuchten Zusammenhang mittels einer geome-trischen Betrachtung gefunden und den Satz somit bewiesen. Betrachteten wir nun ein einfaches Beispiel. Die nachfolgende Abbildung 4 zeigt das Bild einerEllipse mit der Gleichung 3x2 + 4xy + 3y2 = 500. Das heißt es ist a = 3, b = 4, c = 3 undN = 500.

67Elliptische Integrale sind Integrale der Form∫I(x,√P (x)

)dx, wobei I die rationale Funktion in zwei

Variablen und P (x) ein Polynom dritten ober vierten Grades ohne mehrfache Nullstelle ist. ElliptischeIntegrale lassen sich im Allgemeinen nicht geschlossen integrieren, man kann sie aber durch entspre-chende Umformungen in eine Summe von elementaren Funktionen und Integralen erster, zweiter unddritter Art uberfuhren. Der Name elliptisches Integral kommt daher, dass man bei der Berechnung derBogenlange (des Umfangs) einer Ellipse auf ein derartiges Integral stoßt. Elliptischen Integrale findensich bereits in den Arbeiten von John Wallis (1616-1703) aus dem Jahre 1655 und spater dann auchbei J. Bernoulli.

68Wir benutzen hier das sogenannte Landau’sche Symbol, welche das asymptotische Verhalten von Funk-tionen und Folgen beschreibt. Der Buchstabe O steht dabei fur Ordnung und wurde 1894 vom deutschenMathematiker Paul G.H.Bachmann (1837-1920) in die Zahlentheorie eingefuhrt.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 50

Abbildung 4: Gitterpunkte im Inneren einer Ellipse mit der Gleichung 3x2 + 4xy + 3y2 = 500.

Die Anzahl der Gitterpunkte im Inneren der Ellipse betragt 716. Mit (2.11) erhalten wir arith-metisch den Wert

A =2πN√|D|

=2π · 500√|−20|

≈ 702, 5.

Wir sehen also, dass die Anzahl der Gitterpunkte – bis auf einen marginalen Fehler < 1, 89% –mit dem berechneten Flacheninhalt der Ellipse ubereinstimmt.

Bemerkung 2.3.7. Einen Zusammenhang zur Gesamtdarstellungsanzahl rD (m) und dem durchDefinition 2.3.3 gegebenen quadratischen Dirichlet-Charakter χD finden wir, indem wir beachten,dass fur jede nicht aquivalenten primitiven Darstellung von m durch quadratische Formen f =(a, b, c) mit Fundamentaldiskriminanten D die Kongruenz b2 ≡ D mod 4m, fur die jedes b mit1 ≤ b ≤ 2m, zugrunde liegt. Folglich definieren wir die Anzahl der primitiven Darstellungendurch

R∗ (m) =∣∣b mod 2m|b2 ≡ D mod 4m

∣∣ .

Berucksichtigt man diese Tatsache, dann erhalt man schließlich eine geschlossene Form fur dieGesamtdarstellungsanzahl rD (m):

rD (m) =∑

s|mχD (s) =

s|m

(D

s

).

Fur eine ausfuhrliche Darstellung des Sachverhalts verwiesen wir auf [Za81,§8,Satz 3] oder[He23,Satz 148].

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 51

In Satz 2.3.6 konnten wir gesehen, dass fur große N die mittleren Darstellungsanzahlen R (f,m)mit dem Flacheninhalt einer Ellipse asymptotisch ubereinstimmen. Wir werden nun nachfolgendzeigen, dass ein Zusammenhang bzgl. der mittleren Gesamtdarstellungsanzahlen rD (m) und dendurch (2.6) definierten Dirichlet’schen L-Reihe existiert:

Satz 2.3.8. Es sei χD ein quadratischer Dirichlet-Charakter zur Fundamentaldiskriminan-te D. Dann stimmt der Mittelwert der Gesamtdarstellungsanzahlen rD (m) mit dem Wert derDirichlet’schen L-Reihe L (s, χD) an der Stelle s = 1 uberein:

limN→∞

(1

N

N∑

m=1

rD (m)

)= L (1, χD) . (2.12)

Beweis: Zunachst folgt aus Bemerkung 2.3.7

N∑

m=1

rD (m) =∑

m≤N

s|mχD (s) =

ks≤NχD (s) =

s≤√N

χD (s)∑

k≤Ns−1

1+∑

k≤√N

∑√N≤s≤Nk−1

χD (s) ,

denn ist sk ≤ N , so ist entweder s ≤√N und k ≤ Ns−1 oder k ≤

√N und

√N ≤ s ≤ Nk−1.

Nun ist aber

∑k≤Ns−1

1 =[Ns

]= N

s + O (1) und∑

√N≤s≤Nk−1

χD (s) = O (1),

denn die erstreckte∑χD verschwindet uber ein positives vollstandiges Restesystem

(vgl. [Za81,§5,Satz2]), dass heißt, in jedem Intervall (r − 1) |D| < s < r |D| ist die Summe∑χD = 0. Die beiden Endintervalle

√N ≤ s ≤

[√N|D| + 1

]|D| und

[Nk|D|

]|D| < s < N

k haben

daher eine begrenzte Lange. Folglich ist

N∑

m=1

rD (m) =∑

s≤√N

χD (s)

(N

s+ O (1)

)+∑

k≤√N

O (1) = N

[√N]∑

s=1

χD (s)

s+ O

(√N)

und wir haben durch

limN→∞

1

N

N∑

m=1

rD (m) = limN→∞

[√N]∑

s=1

χD (s)

s+

1

NO(√

N) = L (1, χD)

die Behauptung des Satzes bewiesen. Fuhren wir nun die obigen Ergebnisse (2.8), (2.10) und (2.12) zusammen, dann folgt insgesamtfur D<0

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 52

L (1, χD) = limN→∞

(1

N

N∑

m=1

rD (m)

)= lim

N→∞

1

N

N∑

m=1

h(D)∑

i=1

R (fi,m)

=

ω√|D|

h (D) .

Damit haben wir die analytische Klassenzahlformel von Dirichlet fur negative Funda-mentaldiskriminanten D bestimmt:

h (D) =ω√|D|

2π L (1, χD)

Bemerkung 2.3.9 FurD>0 ist die Bestimmungder Klassenzahlformel komplizierter. Die Berech-nung des Mittelwertes der Gesamtdarstellungs-anzahlen folgt dann nicht mehr der Betrachtungvon Gitterpunkten einer Ellipsenflache, sondernvon denen eines Hyperbelsektors. Solche Sektorenwerden von sogenannten

”krummlinigen Dreie-

cken“ beschreiben. Das sind Dreiecke zwischeneinem Hyperbelbogen und zwei Geraden von des-sen Enden zum Mittelpunkt der Hyperbel. Inder Abbildung 5 ist ein solcher Hyperbelsektorskizziert. Die dort schraffierte Flache stellt einkrummlinig berandetes Dreieck dar. Auch die Be-stimmung der Einheitengruppe ±εn0 | n ∈ Z, wobei ε0 die Grundeinheit der quadratischenForm f mit Fundamentaldiskriminante D bezeichne, ist wesentlich schwieriger. Deren Berech-nung lauft im Wesentlichen auf das ganzzahlige Losen der Pell’schen Gleichung t2−Du2 = ±4hinaus. Da uns fur das Klassenzahl-Eins-Problem nur negative Diskriminanten interessieren, ge-ben wir die analytische Klassenzahlformel fur positive Diskriminanten nur an und verweisen auf[Za81,§8,Satz 5]. Damit erhalten wir

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 53

Theorem 2.3.10. (Analytische Klassenzahlformel von Dirichlet, 1839)

Seien D eine Fundamentaldiskriminanten, L (1, χD) die Dirichlet’sche L-Reihe an der Stelles = 1, χD der quadratischen Dirichlet-Charakter und ω die Ordnung der Automorphis-mengruppe Aut (f) der primitiven quadratischen Formen f = (a, b, c) mit Fundamentaldiskri-minanten D. Fur die Klassenzahl h (D) primitiver quadratischer Formen gilt der Zusammenhang

h (D) =

ω√|D|

2π L (1, χD) fur D < 0,

√D

log ε0L (1, χD) fur D > 0.

Wobei ε0>1 die Grundeinheit entspricht.

Trotz des hohen Maßes an begrifflichen und rechnerischen Rustzeug bleibt eine signifikante Auf-gabe unerledigt, namlich die rein arithmetische Ausbeute der auf analytischem Wege gewonnenenKlassenzahlformel. Dies ist von Belang, da sich die expliziten Berechnungen der L-Reihen imAllgemeinen als sehr aufwendig gestalten. Deshalb soll die analytische Klassenzahlformel reinarithmetisch ausgedruckt werden. Dazu werden wir zunachst die unendliche Reihe L (1, χD) ineine endliche uberfuhren.

2.4 Auswertung der L-Reihen

Es sei χ = χN ein vom Hauptcharakter verschiedene primitiver Dirichlet-Charakter moduloN und ζN = e2πi/N eine fest gewahlte primitive komplexe N -te Einheitswurzel. Wir definierendie Gauss’sche Summe zum Dirichlet-Charakter χ durch

gv (χ) =∑

x mod N

χ (x) ζvxN .

Solche Charaktersummen nehmen in der Zahlentheorie eine bedeutende Rolle ein. Sie wurdenerstmals 1808 von Gauss – in seiner Theorie der Kreisteilung – uber das Legendre-Symbol(kp

)als Summen der Form

S =

p−1∑

k=1

(k

p

)e

2πikp

definiert [Ga08]. Eines der bemerkenswertesten Resultate, die Gauss bezuglich dieser Summenerzielen konnte, war zum einen die Bestimmung des Betragsquadrats von S und zum anderenderen Vorzeichen. Gerade die Bestimmung des Vorzeichens bereitete Gauss immense Arbeitund kostete ihn einige Jahre enorme Anstrengung. In einer Korrespondenz vom 03.09.1805 mit

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 54

Heinrich W. Olbers69 spricht Gauss von einem Martyrium und vom Willen Gottes bei derLosung des Problems. Er schrieb:

”Die Bestimmung des Wurzelzeichens ist gerade, was mich immer gequalt hat. Die-

ser Mangel hat mir alles ubrige, was ich fand, verleidet [...] und seit vier Jahrenwird selten eine Woche vergangen sein, wo ich nicht den einen oder anderen vergeb-lichen Versuch, diesen Knoten zu losen, gemacht hatte [...]. Endlich vor ein paarTagen ist’s gelungen – aber nicht meinen eigenen muhsamen Suchen, sondern bloßdurch die Gnade Gottes mochte ich sagen. Wie der Blitz einschlagt, hat sich dasRatsel gelost.“70

Was Gauss heraus fand, war schließlich das Folgende:

Es sei p eine ungerade Primzahl und ζp = e2πi/p ∈ C. Dann ist

S =

p−1∑

k=1

(k

p

)ζkp =

√p falls p ≡ 1 mod 4,

i√p falls p ≡ 3 mod 4.

Dirichlet benutzte die erzielten Resultate von Gauss und bewies71

Satz 2.4.1. Es sei N > 0. Dann ist

g (N) =N−1∑

k=1

exp

(k2 2iπ

N

)=

(1 + i)√N fur N ≡ 0 mod 4,√

N fur N ≡ 1 mod 4,0 fur N ≡ 2 mod 4,

i√N fur N ≡ 3 mod 4.

Wir bestimmen nun die arithmetische Klassenzahlformel von Dirichlet. Zunachst benoti-gen wir noch zwei Lemmata. Dafur drucken wir zuerst den komplexen Logarithmus72

Log (z) = log |z|+ i Arg (z) (2.13)

uber z = 1− ζ−kN aus. Wobei das Argument Arg (z) im Intervall von (−π, π) liegt. Die Normie-rungsvorschrift fur das Argument wird entsprechend uber die Darstellung

69Heinrich Wilhelm Matthias Olbers (1758 - 1840) war ein deutscher Arzt und Astronom. Er entwi-ckelte Methoden zur Bahnbestimmung von Himmelskorpern. 1797 veroffentlichte Olbers eine Arbeitmit dem Titel

”Abhandlung uber die leichteste und bequemste Methode, die Bahn eines Cometen zu

berechnen.“ Diese Methode wird auch heute noch fur die Bestimmung von Kometenbahnen verwendet.70Carl Friedrich Gauss: Werke, Erganzungsreihe Band 4: Briefwechsel Carl Friedrich Gauss -

Heinrich Wilhelm Matthias Olbers. Berlin 1909. Neudruck: Olms, 1976.71Siehe [DiDe63,§113].72Unter den komplexen Logarithmus von z verstehen wir die Menge aller komplexen Zahlen (2.13). Der

komplexe Logarithmus von z ist in diesem Sinne keine Funktion, sondern eine gewisse, von z abhangigeMenge komplexer Zahlen. Wahrend die Realteile aller Zahlen dieser Menge sich nicht verandern, un-terscheiden sich die Imaginarteile jeweils um ein Vielfaches von 2π. Fur eine genauere Betrachtungverweisen wir auf entsprechende Bucher der Funktionentheorie wie beispielsweise [FrBu06].

Das Gauss’sche Klassenzahl-Eins-Problem Candy Walter

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 55

z = 1− ζ−kN = 1− exp(−2πki

N

)= exp

2i− π

2i+πk

Ni− πk

Ni

)

︸ ︷︷ ︸=0

exp

π

2i− π

2i

︸ ︷︷ ︸=0

−πkNi− πk

Ni

= exp(π2i− πk

Ni) (

exp(kπNi− π

2i)− exp

(−πk

Ni− πi

2

))= exp

(π2i− πk

Ni)2 sin

(πkN

)

erfullt durch Arg (z) = Arg(

1− ζ−kN)

= π2 − πk

N , wahrend log |z| = log∣∣∣1− ζ−kN

∣∣∣ =∣∣2 sin πk

N

∣∣ =

2 sin πkN . Damit erhalten wir fur (2.13) insgesamt

Log (z) = log |z|+ i Arg (z) = log∣∣∣1− ζ−kN

∣∣∣+ i Arg (z) = log

(2 sin

πk

N

)+ i

2− πk

N

).

(2.14)

Lemma 2.4.2. Sei N>0 und χN = χ ein vom Hauptcharakter verschiedener primitiver Dirichlet-Charakter modulo N . Dann gilt

L (1, χ) = − 1

N

N−1∑

k=0

gk (χ)

[log

(2 sin

πk

N

)+

2− πk

N

)i

]. (2.15)

Beweis: Wir zeigen die Behauptung, indem wir die allgemeine Dirichlet’sche L-Reihe (2.6)fur Re (s)>1 entsprechend umformen. Nach Bemerkung 2.3.1 ist die Reihe L (s, χ) absolut kon-vergent. Daher konnen wir die Summe in (2.6) aufspalten und in ein entsprechendes Produktumordnen:

L (s, χ) =∞∑

n=1

χ (n)

ns=

N−1∑

x=1

χ (x)∑

n≡x mod Nn≥1

n−s.

Benutzen wir die bekannte Summe der N -ten Einheitswurzeln

N−1∑

k=0

ζkxN =

N fur x ≡ 0 mod N,0 sonst,

dann folgt zunachst

n≡x mod N

n−s =1

N

∞∑

n=1

n−sN−1∑

k=0

ζ(x−n)kN

und damit

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 56

L (s, χ) =N−1∑x=1

χ (x) 1N

∞∑n=1

n−sN−1∑k=0

ζ(x−n)kN

= 1N

N−1∑k=0

(N−1∑x=1

χ (x) ζxkN

) ∞∑n=1

ζ−nkN n−s

= 1N

N−1∑k=0

gk (χ)∞∑n=1

ζ−nkN n−s,

(2.16)

wobei wir die absolute Konvergenz der Reihen ausgenutzt haben.

In Abschnitt 2.3 (Seite 41) wurde bereits erwahnt, dass Dirichlet zeigen konnte, dass die Reihe∑∞n=1 ζ

−nkN n−s fur Re (s)>1 und 0<k<N konvergiert und eine stetige Funktion darstellt. Man

liest diesbezuglich:

”Sind α1, α2, α3, ... unendlich viele Konstanten von der Beschaffenheit, dass die

Summe βn = α1 +α2 + ...+αn, wie groß auch n werden mag, ihrem absoluten Werthnach stets kleiner bleibt als eine feste Konstante C, so convergirt die unendlicheReihe α1

1s + α22s + α3

3s + ...+ αmms + ... fur jeden positiven Werth des Exponenten s (excl.

s = 0) und ist zugleich eine stetige Function von s.“[DiDe63,S.255-256]

Aus der Konvergenz von∑∞

n=1 ζ−nkN n−s erhalten wir, dass diese Reihe fur s > 0 eine stetige

Funktion darstellt. Speziell ist fur s = 1:

L (1, χ) =1

N

N−1∑

k=0

gk (χ)

∞∑

n=1

ζ−nkN n−1.

Zur Berechnung des Reihenwertes∑∞

n=1 ζ−nkN n−1 betrachten wir die Summe

∑∞n=1 z

nn−1. Ausder Funktionentheorie folgt, fur |z| ≤ 1, z 6= 1, dass die Summe konvergiert und gleich demZweig des Logarithmus −Log (1− z) entspricht, fur den gilt:

−π2<Im (−Log (1− z))<π

2

Daher haben wir

∞∑

n=1

ζ−knN n−1 = −(

1− ζ−kN)

und erhalten mit (2.14) und (2.16) die Behauptung des Satzes:

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 57

L (1, χ) =1

N

N−1∑

k=0

gk (χ)∞∑

n=1

ζvkN n−1

= − 1

N

N−1∑

k=0

gk (χ) Log(

1− ζ−kN)

= − 1

N

N−1∑

k=0

gk (χ)

[log

(2 sin

πk

N

)+

2− πk

N

)i

].

Lemma 2.4.3. Sei N > 0 und χN = χ ein primitiver Dirichlet-Charakter modulo N . Danngilt

gk (χ) =

0 falls k|N,χ (k)−1 g1 (χ) = χ (k)g1 (χ) falls k 6 | N.

Beweis: Sei zunachst k|N und N = kc. Dann ist ζkN eine primitive c-te Einheitswurzel. Sei weiteru ∈ Z, ggT (u,N) = 1 und u ≡ 1 mod c. Nach Voraussetzung ist χ primitiv, daher lasst sich uso bestimmen, dass χ (u) 6= 1 gilt (andernfalls ware χ mod c erklart, das heißt χ ware auf demKern von (Z/NZ)∗ → (Z/cZ)∗ konstant 1, was aber gerade im Widerspruch zur Primitivitatsteht). Mit x durchlauft auch ux ein volles Restsystem modulo N . Folglich gilt

gk (χ) =∑

x mod N

χ (ux) ζkuxN = χ (u)∑

x mod N

χ (x) ζkxN = χ (u) gk (χ) ,

also ist gk (χ)− χ (u) gk (χ) = gk (χ) (1− χ (u)) = 0. Und da χ (u) 6= 1, folgt gk (χ) = 0.

Bleibt noch der Fall k 6 | N . Dann folgt gk (χ)χ (k) =∑

x mod N

χ (kx) ζkxN = g1 (χ). Also ist

gk (χ) = χ (k)−1 g1 (χ) = χ (k)g1 (χ) . (2.17)

Setzen wir g (χ) := g1 (χ), dann folgt mit (2.15) und (2.17),

L (1, χ) = − 1

N

N−1∑

k=1

gk (χ)

[log

(2 sin

πk

N

)+

2− πk

N

)i

]= −g (χ)

N

N−1∑

k=0

χ (k)

[log

(2 sin

πk

N

)+

2− πk

N

)i

].

Da∑

k mod N χ (k) = 0, verschwinden die von N unabhangigen Terme log (2) sowie iπ2 und wir

erhalten die vereinfachten Summen:

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 58

L (1, χ) = −g (χ)

N

N−1∑

k=0

χ (k) log

(sin

πk

N

)+g (χ)

N

N−1∑

k=0

χ (k)

(πk

N

)i. (2.18)

Sei nun D eine Fundamentaldiskriminante und N = |D|, sowie χD ein reeller Dirichlet-Charakter modulo D, dann folgt aus der konjugierten Gauss’schen Summe und der Multiplika-tivitat von χD:

gk (χ) =∑

k mod D

χD (k)ζ−xk|D| =∑

k mod D

χD (k) ζ−xk|D| =∑

k mod D

χD (−1 · k) ζxk|D| = χD (−1)∑

k mod D

χD (k) ζ−xk|D| = χD (−1) gk (χ) .

.Nach Bemerkung 2.3.4 ist gk (χ) reell, wenn χD (−1) = 1, bzw. imaginar, wenn χD (−1) = −1gilt. Also je nachdem, ob D>0 oder D<0 ist. Fur (2.18) bedeutet dies, dass wir die beide Falleseparat zu betrachten haben.

1.Fall: Sei D<0, dann ist χD (−1) = −1 und somit

|D|−1∑

k=1

χD (k) log

(sin

πk

|D|

)= χ (−1)

|D|−1∑

k=1

χD (k) log

(sin

πk

|D|

)= 0

aber χD (−1)|D|−1∑k=1

χD (k)(−πk|D|

)i 6= 0.

2.Fall: Sei D>0, dann ist χD (−1) = 1 und somit

D−1∑

k=1

χD (k)

(πk

D

)i =

D−1∑

k=1

χD (−k)

(−πkD

)i = χD (−1)

D−1∑

k=1

χD (k)

(−πkD

)i = 0,

aber χD (−1)D−1∑k=1

χD (k) log(sin πk

D

)6= 0.

Wir sehen also, dass eine von beiden Summen in (2.18) immer identisch verschwindet. Die erste,wenn χD ungerade ist, das heißt, wenn χD (−1) = −1 gilt. Die zweite, falls χD gerade ist, dasheißt, wenn χD (−1) = 1 gilt. Berucksichtigen wir noch das Resultat von Dirichlet aus Satz2.4.1, dann erhalten wir fur L (1, χD) schließlich

L(1, χD) =

− π

|D|3/2

|D|−1∑k=1

χD (k) k fur D < 0,

− 1√D

D−1∑k=1

χD (k) log(sin πk

D

)fur D > 0.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 59

Setzen wir nun L (1, χD) in die analytische Klassenzahlformel vom Theorem 2.3.10, dann er-halten wir schließlich die gesuchte arithmetische Klassenzahlformel und somit das in Einganggestellte Theorem:

h(D) =

− ω2|D|

|D|−1∑k=1

χD (k) k fur D < 0,

− 1log ε0

D−1∑k=1

χD (k) log(sin πk

D

)fur D > 0.

Mittels der arithmetischen Klassenzahlformel ist es nun explizit moglich, die Klassenzahlen qua-dratischer Formen zu bestimmen. Wir zeigen dies zunachst an zwei Beispielen. Im nachstenKapitel werden dann – im Bezug zum Klassenzahl-Eins-Problem – die von Gauss vermutetenDiskriminanten untersucht. Dabei wird sich zeigen, dass die von Gauss angegebene Diskrimi-nantenmenge

D ∈ −1,−2,−3,−4,−7 ,

fur welche die jeweils zugehorigen quadratischen Formen f die Klassenzahl h(D) = 1 haben, mitden neun Diskriminanten

d = −3,−4,−7,−8,−11,−19,−43,−67,−163

eines imaginar-quadratischen Zahlkorpers Q(√d) korrespondieren.

Beispiel 2.4.4. Wir bestimmen die Klassenzahlen der positiv-definiten quadratischen Formenmit den Diskriminanten D ∈ −15,−39.

i) Fur D = −15 ist ω = 2. Es folgt:

h (−15) = − 1

15

14∑

k=1

χ−15 (k) k = − 1

15

14∑

k=1

(−15

k

)k = − 1

15(χ−15 (1)+2χ−15 (2)+...+ 14χ−15 (14)) .

Wir werten die Legendre-Symbole sowie das Jacobi-Symbol im Einzelnen aus und erhalten

χ−15 (7) = χ−15 (11) = χ−15 (13) = χ−15 (14) = −1

χ−15 (3) = χ−15 (5) = χ−15 (6) = χ−15 (9) = χ−15 (10) = χ−15 (12) = 0

χ−15 (1) = χ−15 (2) = χ−15 (4) = χ−15 (8) = 1.

Folglich ist

h (−15) = − 1

15

14∑

k=1

(−15

k

)k = − 1

15[(1 + 2 + 4 + 8)− (7 + 11 + 13 + 14)] =

30

15= 2.

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 60

Also gibt es genau zwei Aquivalenzklassen quadratischer Formen mit Diskriminante D = −15.

ii) Fur D = −39 ist wiederum ω = 2. Es folgt:

h (−39) = − 1

39

38∑

k=1

χ−39 (k) k = − 1

39

38∑

k=1

(−39

k

)k = − 1

39(χ−39 (1)+2χ−39 (2)+...+ 38χ−39 (38)) .

Fur die Legendre-Symbole und dem Jacobi-Symbol gilt diesmal

χ−39 (1) = χ−39 (2) = χ−39 (4) = χ−39 (5) = χ−39 (8) = χ−39 (10) = χ−39 (11) = χ−39 (16) = χ−39 (20) = χ−39 (22) = χ−39 (25) = χ−39 (32) = 1

χ−39 (6) = χ−39 (9) = χ−39 (12) = χ−39 (13) = χ−39 (15) = χ−39 (18) = χ−39 (21) = χ−39 (24) = χ−39 (26) = χ−39 (27) = χ−39 (30) = χ−39 (33) = χ−39 (36) = 0

χ−39 (7) = χ−39 (14) = χ−39 (17) = χ−39 (19) = χ−39 (23) = χ−39 (28) = χ−39 (29) = χ−39 (31) = χ−39 (34) = χ−39 (35) = χ−39 (37) = χ−39 (38) = −1.

Also ist h (−39) = − 139

38∑k=1

(−39k

)k = − 1

39 [156− 312] = 15639 = 4.

Fur D = −39 gibt es somit genau vier Aquivalenzklassen quadratischer Formen.

Zusammenfassung

Wir haben in diesem Kapitel die Riemann’sche Zetafunktion, die Gammafunktion sowie die Di-richlet’schen L-Reihen und Charaktere eingefuhrt. Fur primitive positiv-definite quadratischeFormen f mit Fundamentaldiskriminante D haben wir die Automorphismengruppe Aut (f) be-handelt und deren Ordnung ω explizit bestimmt. Fur die Darstellungsanzahlen R (f,m) hat sichherausgestellt, dass deren Mittelwert asymptotisch mit den ganzzahligen Gitterpunkten einer El-lipsenflache ubereinstimmt. Darauf aufbauend konnten wir die analytische Klassenzahlformel vonDirichlet herleiten. Um Klassenzahlen explizit berechnen zu konnen, haben wir die analytischeKlassenzahlformel mithilfe einiger Aussagen der Funktionentheorie zu einer rein algebraischenFormel verarbeitet – der arithmetischen Klassenzahlformel. Historisch bleibt festzuhalten, dassschon Gauss einige explizite Formeln zur Bestimmung von Klassenzahlen nicht aquivalenterquadratischer Formen besaß, jedoch relativ wenig daruber veroffentlichte [Ga08,S.269ff]. So istes letztlich den Bemuhungen Dirichlets zu verdanken, der den entscheidenden Schritt zurKlassenzahlformel fur binare quadratische Formen vollzog. Die anschließenden Untersuchun-gen73 von Kummer – uber die allgemeine Arithmetik in zyklotomischen Korpern – fuhrtendann schließlich, so wie er sagt:

”zu einer Ubertragung der Dirichlet’schen Methoden auf den Fall des Korpers der

l. Einheitswurzeln.“

Kummers Arbeiten ubertrugen die analytische Klassenzahlformel von Dirichlet, von denbinaren quadratischen Formen, auf die absolut-abelschen Zahlkorper und gaben ihr erste klas-senkorpertheoretische Gesichtspunkte, wodurch es moglich war eine allgemeine analytische Klas-senzahlformel fur diesen Korpertypus aufzustellen. Dedekind weitete schließlich 1877 – im

73Siehe: Bestimmung der Anzahl nicht aquivalenter Classen fur die aus λten Wurzeln der Einheit ge-bildeten complexen Zahlen und die idealen Factoren derselben. Journal fur die reine und angewandteMathematik. Bd.40, S.93–116, 1850

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Kapitel 2. Die Dirichlet’sche Klassenzahlformel 61

Rahmen seiner idealtheoretischen Begrundung der algebraischen Zahlentheorie – die analytischeKlassenzahlformel von Kummer aus, indem er jedem algebraischen Zahlkorper seine individu-elle Zetafunktion zuordnete und damit den Zusammenhang zur Klassenzahl fur diesen Korperaufzeigte.74

74Siehe: Uber die Anzahl der Ideal-Classen in der verschiedenen Ordnung eines endlichen Korpers.F.Vieweg, 1877

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Kapitel 3

Das Gauss’sche Klassenzahlproblem

Um klar zu sehen, genugt oft einWechsel der Blickrichtung.

Antoine de Saint-Exupery(1900-1944)

Aufgrund der arithmetischen Klassenzahlformel sind wir in der Lage, die Klassenzahlen quadra-tischer Formen einfach und prazise zu bestimmen und somit zu entscheiden, wie viele Aquivalenz-klassen zu einer vorgegebenen Diskriminante D existieren. Beim Gauss’schen Klassenzahlpro-blem ist jedoch gerade die umgekehrte Richtung von Interesse, das heißt, bei vorgegebenem nsucht man nach allen Diskriminanten D, welche der Bedingung h (D) = n genugen. Ziel diesesKapitels ist es, sowohl die klassische Vermutung von Gauss – das klassische Klassenzahl-Eins-Problem –, als auch deren verallgemeinerte Version einzufuhren und zu besprechen.75

3.1 Die klassischen Vermutungen von Gauss

Das Klassenzahlproblem hat eine lange und bemerkenswerte Vorgeschichte. Gauss, der vie-le Berechnungen zu binaren quadratischen Formen mitteilte, welche ihm Anlass zu verschie-den Vermutungen76 gaben, war der Erste, dem gewisse Eigenarten bezuglich der Klassenzah-len quadratischer Formen auffielen. Besonders interessant waren fur ihn die einelementigenAquivalenzklassen. Gauss konnte nachweisen, dass jede Aquivalenzklasse aus genau einer Klas-

75An dieser Stelle sei bereits erwahnt, dass es einen signifikanten Unterschied zwischen der klassischenVersion des Klassenzahl-Eins-Problems und der allgemein formulierten Version gibt. Im allgemeinenKlassenzahl-Eins-Problem sind es nicht funf Determinanten mit Klassenzahl Eins, wie sie Gauss inArt.303 vermutete, sondern neun Diskriminanten, welche die Klassenzahl Eins haben. Gauss selbsterwahnt diese neun Diskriminanten nicht und hat diesbezuglich auch nichts Vermutet. Zur Referenzsiehe diesbezuglich dem im Anhang integrierten Art.303, der Disquisitiones Arithmeticae.

76Im Fall reell quadratischer Zahlkorper hatten wir die (dritte) Vermutung bereits im Kapitel 1, Abschnitt1.4 besprochen. Es sei noch angemerkt, dass Gauss selbst nicht von Vermutungen sprach, er betiteltdiese in Art.303 als

”besondere Bemerkungen“.

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 63

se besteht, wenn die zur quadratischen Form gehorende Determinante77 D einer der 65 vonEuler angegebenen numeri idonei78 (geeignete Zahl) entspricht. Die nachfolgende Tabelle2 zeigt einen ersten signifikanten Auszug aus den Gauss’schen Klassenzahlberechnungen, (siehe[Ga01,Art.303]). Dabei bedeutet die romische Ziffer, die Anzahl der Aquivalenzklassen die Nach-folgende Ziffer, die Anzahl der quadratischen Formen in jeder Aquivalenzklasse (Klassenzahl)und schließlich sind die rechts stehenden Reihen die zu den quadratischen Formen gehorendennegativen Determinanten. Diese 65 Reihenwerte sind die von Euler konstatierten numeri idonei.

I.1II.1IV.1

VIII.1

XVI.1

1, 2, 3, 4, 75, 6, 8, 9, 10, 12, 13, 15, 16, 18, 22, 25, 28, 37, 5821, 24, 30, 33, 40, 42, 45, 48, 57, 60, 70, 72, 78,85, 88, 93, 102, 112, 130, 133, 177, 190, 232, 253 105,120, 165, 168, 210, 240, 273, 280, 312, 330, 345, 357,385, 408, 462,520, 760840, 1320, 1365, 1848.

Tabelle 2: Anzahl der Aquivalenzklassen, Klassenzahl, negative Determinanten

Diese und weitere Untersuchungen fuhrten Gauss schließlich auf das sogenannte Klassenzahl-Eins-Problem . Der eigentliche Ursprung des Klassenzahl-Eins-Problems findet sich im KapitelV der Disquisitiones Arithmeticae, wo Gauss ausgiebig die Theorie der binar quadratischenFormen entwickelt. Allerdings betrachtete Gauss im Gegensatz zur Definition von Legendreund Kronecker nur binare quadratische Formen vom Typ

f (x, y) = ax2 + 2bxy + cy2,

wobei er die ganze Zahl D = b2 − ac als die (bereits erwahnte) Determinante einfuhrte. DieseBetrachtungsweise brachte jedoch einige technische Probleme mit sich. Um beispielsweise diequadratische Form 3x2 + xy + 7y2 untersuchen zu konnen, war Gauss gezwungen, diese zumodifizieren und ein entsprechendes Vielfaches von ihr zu bilden um somit auf die quadratischeForm 6x2 + 2xy + 14y2 auszuweichen zu konnen. In Art.226 unterscheidet er daher zwischeneigentlich primitiven Formen mit ggT (a, 2b, c) = 1 und uneigentlich primitiven Formen mitggT (a, 2b, c) = 2 und teilt diese gemaß ggT (a, 2b, c) in eigentlich primitive und uneigentlichprimitive Klassen ein. In Art.303 kam Gauss aufgrund umfassender Berechnungen bzgl. derKlasseneinteilung positiv-definiter quadratischer Formen zu der Auffassung, dass es nur endlichviele negative Determinanten mit Klassenzahl Eins geben kann. Einen Beweis dieser Vermutunghielt er jedoch fur sehr schwierig und beschrankte sich daher auf Abzahlungen, der von ihmberechneten Klassenzahlen fur Determinanten |D| ≤ 1000, um seine Außerung zu legitimieren.So schrieb er in Art.303:

77Die behandelten Diskriminanten entsprechen den Determinanten multipliziert mit dem Wert Vier. Soergibt sich beispielsweise fur die Determinante -16 die Diskriminante -64.

78Die numeri idonei nannte Euler”numeri congrui vel idonei“, vgl. Nouv.Mem. de l‘Ac. De Berlin

1776, S.338. Eine sehr interessante Ausarbeitung uber die Euler’schen Resultate, insbesondere demvon Euler verwendeten Kriterium zur Bestimmung der numeri idonei, findet sich in der Arbeit vonFranz Grube [Gr74].

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 64

”Ferner scheint die Reihe der Determinanten, denen dieselbe gegebene Klassen-

zahleinteilung (d.h. eine gegebene Anzahl sowohl von Geschlechtern als auch vonKlassen) entspricht stets abzubrechen. [...] ein strenger Beweis dieser Bemerkungaber scheint sehr schwierig zu sein.“

Gauss außerte damit zum ersten mal explizit seine (erste) Vermutung79 und damit

Das Gauss’sche Klassenzahl-n-Problem (1798)

Fur jedes n ∈ N ist die Anzahl der Determinanten D<0 mit h (D) = n endlich. Andersformuliert; es gilt

limD→−∞

h (D) =∞.

Die nachfolgende Tabelle 3 zeigt einen weiteren Auszug aus den Gauss’schen Klassenzahlbe-rechnungen und schließt damit Tabelle 2.

I.1II.3I.5I.7II.1II.2

IV.1

VIII.1

XVI.1

1, 2, 3, 4, 711, 19, 23, 27, 31, 43, 67, 16347, 79, 103, 12771, 151, 223, 343, 463, 4875, 6, 8, 9, 10, 12, 13, 15, 16, 18, 22, 25, 28, 37, 5814, 17, 20, 32, 34, 36, 39, 46, 49, 52, 55, 63, 64, 73, 82, 97, 100, 142,148, 19321, 24, 30, 33, 40, 42, 45, 48, 57, 60, 70, 72, 78, 85, 88, 93, 102, 112,130, 133, 177, 190, 232, 253105, 120, 165, 168, 210, 240, 273, 280, 312, 330, 345, 357, 385, 408,462,520, 760840, 1320, 1365, 1848.

Tabelle 3: Anzahl der Aquivalenzklassen, Klassenzahlen, negative Determinanten [Ga01,Art.303]

Die Gauss’sche Vermutung weckte nun das Verlangen, fur vorgegebenes n0 ∈ N, also fur vorge-gebene Klassenzahlen, alle Determinanten D zu bestimmen, sodass h (D) = n0 gilt. Gauss, derdie in Tabelle 3 angegebenen Resultate als

”hochst bemerkenswert“ titulierte, schloss daraus –

ohne es jedoch explizit zu nennen –, dass die von ihm angegebene Tabelle vollstandig sei.Fur h (D) = 1 erhalten wir daher die (zweite) Vermutung und damit das klassische

Gauss’sche Klassenzahl-Eins-Problem (1798)

D ∈ −1, − 2, − 3, − 4, − 7 sind die einzigen Determinanten mit h (D) = 1.

79Man vergleiche diesbezuglich die gelb markierten Textstellen, fur den im Anhang aufgefuhrten Art.303.

Das Gauss’sche Klassenzahl-Eins-Problem Candy Walter

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 65

Mit dieser Vermutung ahnte Gauss wohl kaum, welchen exorbitanten Forschungsdrang er damitauslosen wurde. Es war Edmund Landau (1877-1938), der im Oktober 1902 [La02] mittels derReduktionstheorie von Lagrange elementar beweisen konnte, dass die von Gauss empirischbestimmten Determinanten D = −1,−2,−3,−4,−7, die einzigen sind, fur die die Klassenzahlh (D) den Wert Eins annimmt.80 Er bemerkte zu den beiden oben genannten Vermutungen vonGauss:

”Das Problem, daß h (D) mit D ins unendliche wachst zu bestatigen oder zu wi-

derlegen, scheint auch beim heutigen Stande der Arithmetik und Analysis in sei-ner Allgemeinheit noch nicht angreifbar zu sein; dagegen ist es wie im folgendenausgefuhrt werden soll, wohl moglich, fur den Fall h (D) = 1 eine Entscheidungherbeizufuhren.“ [La02,S.671]

Nachfolgend bewies er den folgenden

Satz 3.1.1. (Landau, 1902)

Es gibt nur endlich viele negative Determinanten, namlich

D ∈ −1,−2,−3,−4,−7 ,fur welche die Anzahl der eigentlich primitiven positiven Klassen gleich Eins ist.

Damit war – gut 104 Jahre nach ihrer Formulierung – die klassische Version der Gauss’schen Ver-mutung zum Klassenzahl-Eins-Problem bewiesen.81 Der Beweis der Vermutung des Klassenzahl-n-Problems sollte jedoch – wie wir gleich sehen werden – noch weitere 32 Jahre auf sich wartenlassen.

Bevor wir uns dem allgemeinen Gauss’schen Klassenzahl-Eins-Problem zuwenden, be-handeln wir kurz einen der wohl wichtigsten Beitrage, den Gauss zur Theorie der binaren qua-dratischen Formen leistete und der im Wesentlichen von Dedekind ausgearbeitet wurde. Hierzubesprechen wir den Zusammenhang von quadratischen Formen und quadratischen Zahlkorpern.

3.2 Komposition von Formen und Korrespondenz

zwischen Formen und Idealen in quadratischen

Zahlkorpern

Obwohl die Gauss’schen Formen in vielen Situationen wesentliche Vorteile mit sich bringen,ist es speziell fur die Behandlung der Korrelation zwischen der Klassengruppe binarer quadra-

80Landaus Vorgehen war – mittels Widerspruch – zu zeigen, dass fur jede Determinante D<−7 mindes-tens zwei nicht aquivalente, primitive positiv-definite quadratische Formen existieren. Ein modifizierterBeweis des Landau’schen Resultats findet sich im Buch von David A.Cox [Co89,Theorem 2.18].

81Vgl. zu dem Beweis von Landau die interessante Bemerkung von Dorian Goldfeld [Go85,S.26]:”

It isnot well known that Gauss’class number one table was first shown to be complete by Landau in 1902“.(Es ist wenig bekannt, dass das Gauss’sche Klassenzahl-Eins-Problem zum ersten mal vollstandig vonLandau im Jahre 1902 gelost werden konnte.)

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 66

tischer Formen und der, im engeren Sinne betreffenden, Idealklassengruppe ClQ(√d) quadrati-

scher Zahlkorper Q(√d) effizienter, auf die allgemeinen Formen f = (a, b, c) mit Diskriminante

D = b2 − 4ac zuruckzugreifen. Ist namlich D ≡ 0, 1 mod 4 eine Fundamentaldiskriminante undQ(√d), d<0 ein imaginar-quadratischer Zahlkorper, dann existiert bekanntlich eine bijektive

Korrespondenz zwischen den echten Aquivalenzklassen von positiv-definiten binaren quadra-tischen Formen mit Diskriminante D< 0 und den Aquivalenzklassen von Idealen im engerenSinne82 von OQ(

√d). Insbesondere entspricht die Anzahl der Aquivalenzklassen h (d) von Idea-

len im engeren Sinne der Anzahl der echten Aquivalenzklassen h (D) primitiver quadratischerFormen.

Aufbauend auf einem Spezialfall von Legendre begrundet Gauss die Theorie der Komposi-tionen von quadratischen Formen in den Art.234 bis 251 seiner Disquisitiones Arithmeticae,und schreibt, dass es sich dabei um einen:

”anderen sehr wichtigen, bisher noch von Niemand

beruhrten Gegenstand“83 handele. Dabei ist eine quadratische Form F Komposition zweier For-men f1 und f2, wenn ganzzahlige Bilinearformen

Bi (x, y, z, w) = aixz + bixw + ciyz + eiyw

fur i = 1, 2 existiert, sodass

f1 (x, y) f2 (z, w) = F (B1 (x, y, z, w) , B2 (x, y, z, w))

fur alle x, y, z, w ∈ Z gilt.

Abgesehen von den Anwendungen, liegt das Hauptaugenmerk dieser Theorie auf den beidenfolgenden Punkten:

1. Losung der Aufgabe, aus zwei gegebenen quadratischen Formen, deren Determinantenentweder gleich sind oder doch im Verhaltnis zweier Quadrate stehen, eine zusammenge-setzte (komponierte) Form zu finden.

2. Beweis, dass die Komposition von Formen auch eine Komposition der Formenklassen ist.

Die beide Punkte wurden von Gauss – mithilfe von zunachst sechs hergeleiteten Folgerungen[Ga01,Art.234-235] – vollstandig erledigt. Den ersten Punkt loste er in Art.236 und den zweiten,unter wesentlicher Benutzung der in die Komposition eingehenden bilinearen Substitution, inArt.239.

Fasst man die von Gauss erzielten Resultate [Ga01,Art.234-251] zusammen, so zeigt sich, dassdie Klassen der primitiv quadratischen Formen mit gegebener Diskriminante D zusammen mit

82Zwei von Null verschiedene Ideale a, bEOQ(√d) heißen aquivalent im engeren Sinne, wenn in Q(

√d)

eine Zahl λ 6= 0 mit der Norm N (λ) > 0 und a = b (λ) existiert.83Siehe [Ga01,S.229].

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 67

der Komposition, welche mit beliebigen Reprasentanten der Klasse auszufuhren sind, eine imheutigen Sinne endliche abelsche Gruppe bilden. Die sogenannte Klassengruppe zur Diskrimi-nante D, deren neutrales Element gerade die Klasse der – in Abschnitt 1.4 – beschriebenenHauptformen (1.3) ist. Basierend auf den Veroffentlichungen von Gauss konnten Dirichletund spater Dedekind84 (mit seinen Erganzungen (Supplement XI)) beweisen, dass die Anzahlder Formenklassen gerade mit der Anzahl der Idealklassen von quadratischen Zahlkorpern einebijektive Korrespondenz bilden. Da die Komposition von echten Aquivalenzklassen primitiverquadratischer Formen sowie die Korrespondenz von Form- und Idealklassen in ihrer zugrun-deliegenden Theorie sehr umfassend ist, geben wir die von Dedekind gewonnenen Resultatenur an und verweisen auf [DiDe63,§186ff]. Man ist Dedekind fur seine Arbeiten großem Dankverpflichtet, denn seine Einsichten bzgl. der Korrespondenz der Klassenzahlen hatten sowohlGauss, Dirichlet als auch Kummer noch nicht. Er konnte als Erster mittels der

”Prim-

idealzerlegung“85 sowie der Einteilung von Idealen in sogenannte”feine Idealklassen“ eine

Verbindung zwischen den Dirichlet’schen Klassenzahlformeln und denen der Idealklassen her-stellen und vollstandig beweisen [De/Di,§186-187]. Er schrieb:

”[...] die Anzahl unserer Idealklassen stimmt vollstandig uberein mit der Classenzahl

der (positiven) ursprunglichen Formen erster Art fur die Determinante D4 , oder mit

derjenigen der (positiven) ursprunglichen Formen zweiter Art fur die DeterminanteD. Diesen Uebereinstimmung ist eine Notwendige Folge des Umstandes, dass inunserem Falle der quadratischen Korper, wie man leicht finden wird, jede bestimmteClasse von eigentlich aquivalenten Formen der Diskriminante D auch nur einereinzigen Idealklasse entspricht.“[De/Di,S.639]

Somit war die Theorie der binaren quadratischen Formen in die Theorie der Ideale ubersetztmit dem folgenden

Theorem 3.2.1. (Dedekind, 1893)

Es seien d ≡ 0, 1 mod 4 eine Fundamentaldiskriminante eines quadratischen ZahlkorpersQ(√d) und D ≡ 0, 1 mod 4 eine Fundamentaldiskriminante einer binaren quadratischen Form

f = (a, b, c) Dann gibt es eine bijektive Korrespondenz zwischen den echten Aquivalenzklassenbinarer quadratischer Formen f und den Aquivalenzklassen im engeren Sinne von Idealen vonOQ(

√d). Insbesondere ist die Anzahl der Aquivalenzklassen von Idealen im engeren Sinne h (d)

gleich der Klassenzahl h (D).

Mittels des Dedekind’schen Theorems 3.2.1 konnen wir nun die arithmetische Klassenzahlfor-mel zur Bestimmung der Klassenzahlen von Idealen von quadratischen Zahlkorpern verwenden.

84Julius Wilhelm Richard Dedekind (1831-1916) war ein deutscher Mathematiker, der bis 1854 inGottingen studierte und dort ab 1862 als Professor – unter vorheriger Promotion (1852) bei Gauss –tatig war. Dedekind arbeitete neben Georg Cantor (1845-1918), Karl T.W.Weierstraß (1815-1897) und Hugues C.R.Meray (1835-1911) eine strenge Theorie uber die Arithmetik der irrationalenZahlen aus (ca.1872) und lieferte bedeutende Beitrage zur Theorie der algebraischen Zahlen. Dedekinddefinierte den fundamentalen Begriff des Ideals und ließ im Jahre 1871 das Supplement X (spater nochXI) zu Dirichlets Vorlesung uber Zahlentheorie erscheinen.

85Insbesondere gilt, dass in jedem Dedekind’schen Ring eine eindeutige Zerlegung von Idealen in Prim-ideale existiert und dass jedes Ideal invertierbar ist.

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 68

Wir sind somit nicht mehr auf die muhselige Uberprufung der Idealaquivalenz oder auf entspre-chende Algorithmen angewiesen [StPi06,§19].

Wir merken noch an, dass sich die Dedekind’schen Resultate auch mittels der von Gauss entwi-ckelten Geschlechtertheorie gewinnen lassen. Die Geschlechtertheorie gehort ohne Zweifel zuden schwierigsten Resultaten, welche Gauss in den Art.228-265 seiner Disquisitiones Arithme-ticae entwickelte. Dabei nimmt Gauss die Einteilung der primitiven positiv-definiten quadrati-schen Formen in Geschlechter – mithilfe der sogenannten Totalcharaktere – vor [Ga01,Art.231].In moderner Sprache bedeutet dies, dass Gauss die primitiven positiv-definiten quadratischenFormen bezuglich ihrer Determinanten D in Aquivalenzklassen einteilte. Es zeigt sich schließlich,dass die Menge aller Geschlechter eine abelsche Gruppe bildet, die sogenannte Geschlechter-klassengruppe, deren Anzahl gerade mit der von h (D) ubereinstimmt. Die Einteilung derKlassen in Geschlechter ist allerdings eine

”sehr viel grobere“ als die Einteilung der Klassen un-

ter der Kompositionstheorie. Einen modernen Zugang zur Geschlechtertheorie – welcher aufBasis der Idealarithmetik verallgemeinert ist – findet man in [BoSa66,Kap.3,§8] oder [Za81,§12].

3.3 Das allgemeine Klassenzahl-Eins-Problem

Aufgrund der Korrespondenz ist es nun moglich, die (zweite) Gauss’sche Vermutung – dasklassische Klassenzahl-Eins-Problem – von den binaren quadratischen Formen zu losen undauf die Theorie der quadratischen Zahlkorper zu ubertragen. Wir erhalten dadurch das allge-meine Klassenzahl-Eins-Problem fur quadratische Zahlkorper. Man verifiziert mithilfe derarithmetischen Klassenzahlformel sehr schnell, dass die zum quadratischen Zahlkorper Q(

√d)

gehorenden neun Fundamentaldiskriminanten

d = −3,−4,−7,−8,−11,−19,−43,−67,−163

alle die Klassenzahl h (d) = 1 haben. Um dies zu zeigen, verfahren wir analog zum Beispiel 2.4.4.

Fur d = −3 ist ω = 6 und es gilt:

χ−3 (1) = 1 ; χ−3 (2) = −1.

Wir haben:

h (−3) = −3

3

2∑

k=1

χ−3 (k) k = −2∑

k=1

(−3

k

)k = − (1− 2) = 1.

Fur d = −4 ist ω = 4. Die Legendre-Symbole bzw. das Jacobi-Symbol liefern die Werte:

χ−4 (1) = 1 ; χ−4 (3) = 0 ; χ−4 (2) = −1.

Damit gilt:

h (−4) = −2

4

3∑

k=1

(−4

k

)k = −1

2(1− 3) = 1.

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 69

Betrachten wir nun die Klassenzahlen fur d ∈ −7,−8,−11,−19,−43,−67, 163. Dann ist ω = 2.

Sei d = −7. Dann liefern hier die Legendre-Symbole bzw. das Jacobi-Symbol:

χ−7 (1) = χ−7 (2) = χ−7 (4) = 1 ; χ−7 (3) = χ−7 (5) = χ−7 (6) = −1

und fur die Klassenzahl gilt somit:

h (−7) = −17

6∑k=1

(−7k

)k = −1

7 (1 + 2− 3 + 4− 5− 6) = 1.

Sei d = −8. Hier gilt fur die Legendre-Symbole bzw. dem Jacobi-Symbole:

χ−8 (1) = χ−8 (3) = 1 ; χ−8 (2) = χ−8 (4) = χ−8 (6) = 0 ; χ−8 (5) = χ−8 (7) = −1

und fur die Klassenzahl:

h (−8) = −1

8

7∑

k=1

(−8

k

)k = −1

8(1 + 3− 5− 7) = 1.

Ist d = −11, dann gilt fur die Legendre-Symbole und dem Jacobi-Symbole:

χ−11 (1) = χ−11 (3) = χ−11 (4) = χ−11 (5) = χ−11 (9) = 1;

χ−11 (2) = χ−11 (6) = χ−11 (7) = χ−11 (8) = χ−11 (10) = −1.

Wir erhalten fur die Klassenzahl:

h (−11) = − 1

11

10∑

k=1

(−11

k

)k = − 1

11(1− 2 + 3 + 4 + 5− 6− 7− 8 + 9− 10) = 1.

Ist d = −19, dann ist hier entsprechend:

χ−19 (1) = χ−19 (4) = χ−19 (5) = χ−19 (6) = χ−19 (7) = χ−19 (9) = χ−19 (11) = χ−19 (16) = χ−19 (17) = 1;

χ−19 (2) = χ−19 (3) = χ−19 (8) = χ−19 (10) = χ−19 (12) = χ−19 (13) = χ−19 (14) = χ−19 (15) = χ−19 (18) = −1

und fur die Klassenzahl gilt:

h (−19) = − 1

19

18∑

k=1

(−19

k

)k = − 1

19(1− 2− 3 + 4 + 5 + 6 + 7− 8 + 9− 10 + 11− 12− 13− 14− 15 + 16 + 17− 18) = 1.

Nach weiteren Rechnungen zeigt sich schließlich, dass auch h (−43) = 1, h (−67) = 1 sowieh (−163) = 1 ist.

Duncan Buell hat die Klassenzahlen quadratischer Zahlkorper mit negativen Diskriminantend im Bereich 0 < d < 10000 berechnet und tabellarisch in seinem Buch [Bu77] aufgelistet. Im

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 70

angegebenen Intervall finden sich keine weiteren, außer den neun berechneten negativen Diskri-minanten, fur welche die Klassenzahl h (d) = 1 ist.

Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Klassenzahlen quadratischer Zahlkorper mit-tels der arithmetischen Klassenzahlformel bestimmt und daraufhin unmittelbar vermutet, dassabgesehen von den neun negativen Diskriminanten keine weiteren existieren, fur welche die zu-gehorigen quadratischen Zahlkorper die Klassenzahl Eins aufweisen. Wir erhalten damit dieallgemeine oder moderne Version vom klassischen Klassenzahl-Eins-Problem und somit das mo-difizierte

Allgemeine Klassenzahl-Eins-Problem

Sei Q(√d) ein quadratischer Zahlkorper mit Diskriminante d < 0.

Die neun negativen Fundamentaldiskriminanten

d = −3,−4,−7,−8,−11,−19,−43,−67,−163

sind die einzigen Diskriminanten mit Klassenzahl h (d) = 1.

Es sei nochmals erwahnt, dass diese allgemeine Vermutung – wie oftmals falschlicherweise zulesen ist – nicht von Gauss stammt. Wegen der obigen Dedekind’schen Korrespondenz stelltsie nur eine Verallgemeinerung seiner eigentlichen klassischen Hypothese dar. Gauss selbst hat-te bei seinen Untersuchungen bzgl. der Klassenzahlen keine imaginar-quadratischen Zahlkorperbehandelt, sondern sich vielmehr auf negative Determinanten bezogen, welche nur eine Ge-schlechterklasse aufwiesen (vgl. [Ga01,Art.303]). Wie oben bereits erwahnt (siehe Seite 65),ist die klassische Vermutung des Klassenzahl-Eins-Problems bereits 1902 von Edmund Landauvollstandig gelost worden. 1903, also unmittelbar nach Landaus Erfolg, konnte Matyas Lerch(1860-1922) [Le03] mittels der arithmetischen Klassenzahlformel zeigen, dass die von Landaubenutzten Methoden fur das allgemeine Klassenzahl-Eins-Problem versagen. Lerch bemerktedazu:

”[...] die von ihm benutzte Methode, weil sie auf die Gleichung h (−4D) = 3 zuruckkommt,

versagt, bei der Behandlung der Gleichung h (−D) = 1 fur ungerade D [...]. Es bleibtdaher dahingestellt, [...] ob es noch mehrere derartige negative Diskriminanten gibt.“[Le03,S.570]

Es zeigte sich also schnell, dass das allgemeine Klassenzahl-Eins-Problem86 fur die quadratischenZahlkorper weit weniger elementar in den Griff zu bekommen ist, als es noch Landau in derklassischen Version gelang.

86Ohne Einschrankungen werden wir im Folgenden – wie in der Literatur ublich – nicht mehr vomallgemeinen Klassenzahl-Eins-Problem sprechen, sondern dieses nur noch mit Klassenzahl-Eins-Problembetiteln.

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 71

3.4 Der Satz von Rabinowitsch

Erste Bemuhungen das Klassenzahl-Eins-Problem in den Griff zu bekommen setzten zu Beginndes 20. Jahrhunderts ein. In den Jahren 1912-1913 stießen Ferdinand Frobenius (1849-1917)[Fr12] und Georg Rabinowitsch [Ra13] unabhangig voneinander die Tur zu einer moglichenLosung durch primzahlerzeugende quadratische Polynome auf. Dabei betrachteten sie fureine Primzahl p ≡ 3 mod 8 die beiden Polynome

f (X,Y ) = X2 + pY 2,

g (X,Y ) = X2 +XY + p+14 Y 2.

Wobei das zweite Polynom g (X,Y ) die Hauptform des Rings der ganzen Zahlen Z[

1+√−p2

]=

Z⊕ Z1+√−p2 in Q (

√−p) darstellt.Aus den gegebenen quadratischen Formen erhalten wir fur Y = −1 die beiden Polynome

f (X,−1) = f (X) = X2 + p ∈ Z [X] ,

r (X,−1) = r (X) = X2 −X + p+14 ∈ Z [X]

und bekommen mit r (X) das sogenannte Rabinowitsch-Polynom, welches schon Euler 1772aufgefallen war.87

Wir wollen nun den Satz von Rabinowitsch vorstellen, welchen er im August 1912 auf dem V.internationalen Mathematikkongress in Cambridge vorgetragen und 1913 veroffentlicht hat. Die-ser stellt eine Verbindung zwischen den Klassenzahlen der imaginar-quadratischen Zahlkorperund dem Rabinowitsch-Polynom her. Zunachst sei erwahnt, dass sich Rabinowitsch in sei-nem Beweis auf die Dissertation des russischen Mathematikers Jacob Schatunowski [Sc11] be-zog, welcher sich ein Jahr zuvor mit der Zerlegung von Primzahlen in algebraischen Zahlkorpernbeschaftigte und nachwies, dass der euklidische Algorithmus in quadratischen Zahlkorpern invielen Fallen nicht anwendbar ist.88 Neben der Einfuhrung eines verallgemeinerten euklidi-schen Algorithmus konzentrierte sich Rabinowitsch ausschließlich auf das Rechnen mit Zahlen.Den Umgang mit Idealen schloß er kategorisch aus, wobei er bemerkte, dass in einem solchenFall die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung nicht mehr ohne Weiteres in jedem Zahlkorpergewahrleistet sei. Ist nun ein solcher Zahlkorper gegeben, so wirft sich schließlich die Frage auf,ob jede Zahl dieses Zahlkorpers auf genau nur eine Weise in Primzahlen zerlegt werden kann.Rabinowitsch suchte daher genau solche Zahlkorper, in denen sich jede Zahl auf nur eine Weise(abgesehen von der Reihenfolge) in Primzahlen zerlegen lasst. Er fragte daher [Ra13,S.418]:

87Euler entdeckte im Jahre 1772 das Polynom X2 − X + 41 (das sogenannte Euler’sche Primzahl-polynom), welches er Jacob Bernoulli in Korrespondenz mitteilte und das eine stattliche Anzahlvon 39 Primzahlen liefert (siehe Briefwechsel von L.Euler und J.Bernoulli, Petersburg 1772, Univ.-Bibl.Basel, Ms.L Ia 689, f.159. Auszug frz.,N.Mem.Berlin (1772), 1774, S.35-36 (E.461, O.I, 3). Bemer-kungen zum zahlentheoretischen Artikel (73) von J.Bernoulli in Nouveaux Memoires der BerlinerAkademie 1771: Uber die großte bisher bekannte Primzahl 231−1 und dem allgemeinen Glied 41−n−n2,deren erste 40 Glieder Primzahlen sind.) (vgl. auch [Ri06,S.143]).

88Vgl. diesbezuglich auch die Resultate von Erik Berg [Be35], der sich 1935 ausfuhrlich mit der Existenzdes euklidischen Algorithmus in quadratischen Zahlkorpern beschaftigte.

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 72

”ist die Klassenzahl eines gegebenen Zahlkorpers gleich 1 oder grosser?“

Gilt namlich, dass die Klassenzahl eines Zahlkorpers den Wert Eins hat, dann ist der entspre-chende Ganzheitsring dieses Zahlkorpers ein faktorieller Ring (ZPE-Ring), das heißt die Existenzder eindeutigen Primfaktorzerlegung ware gesichert (vgl. [Le96,Kap.8,Satz 2]).

Bevor wir uns nun dem Satz von Rabinowitsch zuwenden, schicken wir zuvor noch ein Lemmavoraus.

Lemma 3.4.1. Es sei Q(√d) ein imaginar-quadratischer Zahlkorper, mit Klassenzahl großer

als Eins. Dann gibt es eine ganze Zahl, die durch eine Primzahl p teilbar ist, welche aber als einProdukt von zwei Faktoren dargestellt werden kann, von denen keine durch p teilbar ist.

Beweis: Zunachst folgt, da die Klassenzahl von Q(√d) großer ist als Eins, dass die Primfaktor-

zerlegung einer Zahl aus Q(√d) nicht immer eindeutig ist. Das heißt, in einem solchen imaginar-

quadratischen Zahlkorper muss es folglich eine Zahl geben, welche sich durch zwei verschiedeneReihen von Primzahlen darstellen lasst. Dabei kann es moglich sein, dass in den beiden Zerle-gungen dieselben Primzahlen vorkommen, es muss aber sicher eine Primzahl p geben, welche inder ersten Zerlegung ofter vorkommt als in der der zweiten, denn sonst waren beide Zerlegungenidentisch. Betrachten wir nun alle ubrigen Primzahlen der zweiten Zerlegung (kommt p in dieserZerlegung gar nicht vor, so betrachte wir folglich alle anderen Primzahlen dieser Zerlegung), somuss ihr Produkt σ1 · σ2 · σ3 · · · durch p teilbar sein. Teilen wir nun diese Primzahlen in zweiGruppen ein und bilden die Produkte der einzelnen Primzahlen jeder Gruppe fur sich, dannkann es vorkommen, dass keines der Teilprodukte durch p teilbar ist, in diesem Falle ist dasProdukt dieser Produkte, das heißt σ1 ·σ2 ·σ3 · · · die gesuchte Zahl. Ist hingegen ein Teilproduktσ′1 · σ′2 · σ′3 · · · durch p teilbar, dann verfahren wir analog wie bei den Produkten σ1 · σ2 · σ3 · · · .Wir erhalten somit eine Reihe von Produkten mit

σ1 · σ2 · σ3 · · · , σ′1 · σ′2 · σ′3 · · · , σ′′1 · σ′′2 · σ′′3 · · · ,

welche alle durch pteilbar sind und aus denen jede weitere Reihe aus immer weniger Primzahlenbesteht als die Vorhergehende. Haben wir die gesuchte Zahl nicht bereits gefunden, dann mussenwir folglich zu einem Produkt aus zwei Primzahlen kommen, von denen keine der Primzahl pentspricht, welches aber durch p dividierbar ist. Das ist schließlich die gesuchte des Lemmas.

Satz 3.4.2. (Rabinowitsch, 1912)

Sei d := 1−4A eine quadratfreie Diskriminante eines imaginar-quadratischen Zahlkorpers Q(√d)

und A ≥ 2 eine naturliche Zahl. Die beiden Aussagen i) und ii) sind aquivalent.

Die Klassenzahl h (d) eines imaginar-quadratischen Zahlkorpers ist genau dann gleich Eins,wenn

i) der Ring Z[

(1+√d)

2

]ein ZPE–Ring ist,

ii) m2 −m+A eine Primzahl ist fur alle 0 ≤ m < A− 1,

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 73

Beweis: Es sei η eine fest gewahlte komplexe Wurzel des quadratischen Polynoms x2 − x + A,

sodass wir – bei geeignete Wahl der Quadratwurzel – η =(1+√d)

2 erhalten. Da η2 = η − A ist,folgt:

Z [η] = Z + Zη = x+ yη | x, y ∈ Z .

Fur α := x+ yη ∈ Z [η] bezeichne α das komplex Konjugierte von α. Berucksichtigen wir nochη = 1−η, dann folgt, dass Z [η] abgeschlossen ist unter komplexer Konjugation. Die Norm einesElements α ∈ Z [η] definieren wir schließlich mit

N (α) = αα = x2 − xy +Ay2

und beachten, dass die Norm von α ∈ Z [η] immer eine ganze rationale Zahl ungleich Null ist(vgl. [Sc06,Lemma 6.1.6]). Daruber hinaus ist sie multiplikativ, das heißt es gilt:N (αβ) = |α|2 = N (α)N (β) fur alle α, β ∈ Z [η].

Wir beweisen nun die Aquivalenz des Satzes.

i) ⇒ ii) Sei also η =(1+√d)

2 und angenommen es ist 0 ≤ m < A− 1.

Es gilt:

m2 +m+A = (m− η) (m− η) = (m− η) (m− 1 + η) . (3.1)

Sei p ein Primteiler von m2 + m + A. Wir behaupten, p sei nicht irreduzible (unzerlegbar) inZ [η]. Nach Voraussetzung ist Z [η] ein ZPE–Ring, ware p irreduzibel, dann ist p eine Primzahl.

Aus (3.1) erhalten wir, dass p entweder ein Teiler von m − η oder m − 1 + η. Beide Falle sindnicht moglich, denn weder m/p− η/p noch (m− 1) /p+ η/p gehoren zum Ring Z [η] .

Folglich setzen wir p = αβ, wobei α, β ∈ Z [η] und weder α noch β eine Einheit sind, das heißt, essind N (α) 6= 1 und N (β) 6= 1. Aus den Normen folgt nun p2 = N (p) = N (α)N (β). Da wederα noch β Einheiten sind, erhalten wir somit N (α) = N (β) = p. Wir setzen nun α = x+ yη furx, y ∈ Z. Dann ist y 6= 0 (denn p ist eine rationale Primzahl) und damit

p = N (α) = x2 − xy +Ay2 = (x− y/2)2 + (A− 1/4) y2 ≥ A− 1/4.

Folglich ist p ≥ A, da p eine ganze Zahl ist. Außerdem folgt noch mit 0 ≤ m < A− 1:

m2 −m+A < (A− 1)2 − (A− 1) +A = (A− 1)A+A = A2.

Damit ist gezeigt, dass jeder Primteiler von m2 − m + A großer ist als seine Quadratwurzel,sodass folglich m2 −m+A eine Primzahl sein muss.

ii) ⇒ i) Wir beweisen die Implikation in zwei Schritten.

Das Gauss’sche Klassenzahl-Eins-Problem Candy Walter

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 74

Zunachst seinen wieder η =(1+√d)

2 eine feste komplexe Wurzel des Polynoms x2 − x + A undα = x+ yη ∈ Z [η].

Unser erster Schritt besteht in den Nachweis, dass die Klassenzahl eines imaginar-quadratischenZahlkorpers gleich Eins ist, falls es moglich ist, neben zwei gegebenen Zahlen κ, τ ∈ Z [η], vondenen keinen die andere teilt, zwei weitere Zahlen α, δ ∈ Z [η] so zu bestimmen, dass die Unglei-chung erfullt ist mit

0 < N (κα− τδ) < N (τ) . (3.2)

Um das zu beweisen, machen wir die Annahme, die Ungleichung (3.2) ware nicht erfullt, dasheißt die Klassenzahl eines imaginar-quadratischen Zahlkorpers ist großer als Eins. In einemsolchen Fall mussten nach Lemma 3.4.1 Produkte von zwei Faktoren existieren, die durch einePrimzahl p teilbar sind, ohne dass es jedoch die einzelnen Faktoren selbst sind. Sehen wir unsnun die Normen aller Produkte, die in Bezug auf p diese Eigenschaft aufweisen genauer an.Da die Normen immer ganze rationale Zahlen sind, muss es folglich unter diesen betrachtetenNormen immer eine kleinste geben. Sei nun λ ·Λ mit λ,Λ ∈ Z [η] ein solches Produkt, das diesekleinste Norm besitzt. Nach Voraussetzung existieren zwei Zahlen α und δ mit der Eigenschaft,dass die Zahl

µ = pα− λδ ∈ Z [η] (3.3)

den beiden Ungleichungen

N (µ) < N (p) (3.4)

und

N (µ) < N (λ) (3.5)

genugt. Wir multiplizieren nun die Gleichung (3.3) mit Λ und erhalten

µΛ = pαΛ− λδΛ ∈ Z [η] .

Nun ist das Produkt λΛ – wie eben beschrieben, nach Lemma 3.4.1 durch p teilbar – und pαΛ istes ohnehin, also ist folglich auch µΛ durch p teilbar. Ferner ist aber keiner der beiden Faktorendurch p teilbar, der Faktor µ wegen der Ungleichung (3.4) nicht und Λ weil dieser auch einFaktor von λΛ ist. Nun ist N (µΛ) eine derjenigen Normen, unter denen N (λΛ) die kleinste ist.Es ist aber wegen (3.5)

N (µΛ) = N (µ)N (Λ) < N (λ)N (Λ) ,

also

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 75

N (µΛ) < N (λΛ) .

Dies widerspricht der Annahme, dass die Norm der Zahl λ · Λ die kleinste unter allen Normensolcher Zahlen gewesen sein soll. Also ist die Zerlegung einer Zahl in Primfaktoren eindeutig, dieKlassenzahl eines imaginar-quadratischen Zahlkorpers gleich Eins, und der erste Schritt damiterledigt.

Wir nennen nun zwei Zahlen, die sich nicht gegenseitig teilen, ein storendes Zahlenpaar, wennsie die Eigenschaft haben, dass die Ungleichung (3.2) nicht erfullt ist. Dann konnen wir sagen,in einem imaginar-quadratischen Zahlkorper mit Klassenzahl großer Eins, existiert mindestensein storendes Zahlenpaar. Dividieren wir die Ungleichung (3.2) durch N (τ), dann folgt

0 < N(κτα− δ

)< 1. (3.6)

Nun konnen wir auch sagen, die Klassenzahl eines imaginar-quadratischen Zahlkorpers ist vonEins verschieden, sobald es storende Bruche gibt. Dabei heißt ein Bruch κ

τ storend, wenn esnicht moglich ist, die Ungleichung (3.6) zu erfullen. Klar ist, dass wenn ein Bruch κ

τ storend ist,dass dann auch die Bruche κ

τ + α und κτ α storend sein mussen.

Nun ist ein Bruch genau dann storend, wenn seine Norm sicher nicht kleiner ist als Eins, dennandernfalls wurden die Zahlen α = 1 und δ = 0 die Ungleichung (3.6) genugen. Wenn ein Bruchvon der Form m−η

q (mit q als Primzahl) storend ist, dann haben wir folglich die Ungleichung zubetrachten mit

N

(m− η

q

)=

(m− η) (m− η)

q2=

1

4

((2m− 1)2 − d

)

q2=

1

4

(4m2 − 4m+ 1− d)

q2

d=1−4A︷︸︸︷=

m2 −m+ A

q2≥ 1

bzw.m2 −m+A ≥ q2.

Ist nun q > m, dann gilt die letzte Ungleichung auf jeden Fall. Ersetzen wir noch m durch q,dann folgt:

q2 − q +A > q2, also q < A.

Nach diesen Bemerkungen kommen wir nun zum zweiten und letzten Schritt des Beweises.

Wir zeigen, die Klassenzahl eines imaginar-quadratischer Zahlkorper hat den Wert Eins, falls esunter den Bruchen

m− ηq

, (3.7)

wobei q eine Primzahl und m < q < A ist, keine storenden gibt.

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 76

Um diese Behauptung zu beweisen, betrachten wir die Normen von den Zahlern der Bruche aus(3.7). Wir erhalten dann die A− 1 Zahlen von

N (m− η) = (m− η) (m− η) = m2 −m+A

Nach Voraussetzung ist m2 − m + A eine Primzahl, also sind die Zahlen m2 − m + A und qentweder gleich oder sie sind relative Primzahlen. Der erste Fall kann nicht zutreffen, da sonstder Bruch die Norm N(1

q ) = 1q2 < 1 hatte und folglich nicht storend sein wurde. Somit sind die

Zahlen relative Primzahlen und es gibt zwei Zahlen x, y ∈ Z, die der Gleichung

(m2 −m+A

)x− qy = 1

genugen. Nun ist diese Zahl – wie eben gesehen – aber auch die Norm der Zahl (m− η), daherkonnen wir sie auch ausdrucken in der Form

(m− η)

q(m− η)x− y =

1

q.

In dieser Form zeigt sich schließlich (vgl. Ungleichung (3.6)), dass der Bruch m−ηq nicht storend

sein kann, denn die Norm von 1q ist kleiner als Eins:

N

(1

q

)=

1

q2< 1.

Folglich kann es keine storenden Bruche der Form m−ηq (m < q < A und q Primzahl) geben,

wenn die Zahl m2−m+A mit 0 ≤ m < A− 1 eine Primzahl ist. Daher ist die Klassenzahl einesimaginar-quadratischen Zahlkorpers in einem solchen Fall gleich Eins. Damit haben wir auchden zweiten Schritt bewiesen und somit den Satz von Rabinowitsch.

Eine einfache Verifikation ist nun

Korollar 3.4.3. Der Ring Z[

(1+√d)

2

]ist ein ZPE–Ring fur die Diskriminantenmenge

d ∈ −7,−11,−19,−43,−67,−163 . (3.8)

Beweis: Nach den Satz von Rabinowitsch ist d = 1 − 4A. Setzen wir fur A die Primzahlen2, 3, 5, 11, 17, 41 ein, dann erhalten wir die Diskriminantenmenge (3.8). Weiter sind die Zahlen

m2 −m+A mit 0 ≤ m < A− 1

samtlich Prim. Folglich ist der Ring Z[

(1+√d)

2

]ein ZPE–Ring und das Korollar damit bewiesen.

Setzen wir fur A = 41, dann bekommen wir gerade das bereits oben erwahnte Euler’schePrimzahlpolynom: m2−m+41, welches uns fur die 41 Werte A = 0, 1, ..., 40 Primzahlen erzeugt:

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 77

41, 43, 47, 53, 61, 71, 83, 97, 113, 131, 151, 173, 197, 223, 251,

281, 313, 347, 383, 421, 461, 503, 547, 593, 641, 691, 743, 797,

853, 911, 971, 1033, 1097, 1163, 1231, 1301, 1373, 1447, 1523, 1601.

Es gibt noch eine Reihe weiterer primzahlerzeugender Polynome, auf welche wir aber nicht wei-ter eingehen werden. Die beiden Bucher [Ri06,Kap.3] und [Ri09,Kap.5] von Ribenboim gebendiesbezuglich aber eine guten Uberblick.

Wir bemerken noch, dass der Satz von Rabinowitsch im Laufe des 20.Jahrhunderts von denverschiedensten Mathematikern differierend bestatigt wurde. Neben dem hier zum Teil vorge-stellten Originalbeweis gibt es noch einen Standardbeweis, dessen Richtung ii) ⇒ i) sich imWesentlichen auf den Gitterpunktsatz von Minkowski bezieht. Man findet dieses Ergebnis in derLiteratur von Harvey Cohn [Co63,S.156]. Die Richtung ii)⇐ i) bewiesen unter anderem Fro-benius [Fr12] und spater noch einmal Derrick Lehmer (1905-1991) [Le36], ihre Ergebnissesind jedoch sehr viel allgemeiner gehalten. Eines der wohl wichtigsten Resultate konnte bereits1911 von Leonard E.Dickson (1874–1954) [Di11] erzielt werden. Dickson, der einen Spezi-alfall bzgl. der Richtung ii) ⇒ i) (mittels reduzierter quadratischer Formen) bewies, zeigte auf,dass fur alle Primzahlen p im Intervall (163, 1.500.000) die Klassenzahl h (−p) stets großer alsEins ist. Damit war klar, dass es bis zur oberen Schranke −d<1.500.000 nur die neun bekanntennegativen Fundamentaldiskriminanten gibt:

d = −3, − 4, − 7, − 8, − 11, − 19, − 43, − 67, − 163,

fur welche die Klassenzahl h (d) den Wert Eins annimmt. Dieses richtungsweisende Resultatvon Dickson fuhrte schließlich dazu, dass Hans A.Heilbronn (1908-1975) und EdwardH.Linfoot (1905-1982) im Jahre 1934, dass Klassenzahl-Eins-Problem analytisch betrachte-ten [HeiLi34]. Einen guten Uberblick uber die erzielten Resultate von Rabinowitsch findetman in den Artikeln von Franz Halter-Koch [Ko89] und bei Andrew Granville und Ri-chard Mollin [GrMo00].

Es verdichtet sich somit die Vermutung, dass die neun angegebenen negativen Fundamentaldis-kriminanten d tatsachlich alle negativen Diskriminanten stellen, fur welche die Klassenzahl h (d)der imaginar-quadratischen Zahlkorper Q(

√d) den Wert Eins annimmt. Fur eine endgultige

Bestatigung des Klassenzahl-Eins-Problems ware nun bekanntermaßen die Frage zu klaren, wieviele naturliche Zahlen A existieren, sodass deren primzahlerzeugende Lange A− 1, das Rabi-nowitsch-Polynom – wie in Satz 3.4.2 gefordert – als Primzahl bestatigen. In einem solchenFall hatten wir weitere einklassige imaginar-quadratische Zahlkorper (neben denen aus Korollar3.4.3) gefunden. Die Hoffnung auf eine vollstandige Bestatigung aller imaginar-quadratischenZahlkorper mit der Klassenzahl Eins – mithilfe des Rabinowitsch-Polynoms – ist jedoch aus-sichtslos, denn es gilt:

Nur fur die Primzahlen A = 2, 3, 5, 11, 17, 41 hat das Rabinowitsch-Polynom dieprimzahlerzeugende Lange von A− 1 (vgl. [Ri06,S.150]).

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 78

Somit bleibt der Satz von Rabinowitsch fur die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems”wir-

kungslos“. Es zeigte sich, dass fur die Bestatigung des Klassenzahl-Eins-Problems vielmehr eineanalytische Vorgehensweise in Betracht gezogen werden musste. Bevor wir darauf zu sprechenkommen, blicken wir zunachst auf die erzielte Resultate zur Losung des Klassenzahl-n-Problemsund geben einige der historisch wichtigsten Ergebnisse ohne Beweis wieder.

3.5 Die Losungen von Hecke - Landau - Deuring -

Mordell und Heilbronn

Gut sieben Jahre nach der Veroffentlichung von Rabinowitsch war es erneut Landau [La18],der aufbauend auf den Arbeiten von Thomas H.Gronwall89 (1877-1932) und insbesonderedenen von Erich Hecke90 (1887-1947) eine Verbindung zwischen dem Klassenzahlproblem derimaginar-quadratischen Zahlkorper und der analytischen Klassenzahlformel ziehen konnte. Erbewies unter der Annahme, dass die verallgemeinerte Riemann’sche Vermutung richtig sei, denfolgenden

Satz 3.5.1. (Hecke-Landau, 1918)

Es sei d < 0 eine Fundamentaldiskriminanten. Dann gibt es feste Konstanten c1, c2 > 0, sodassgilt: Ist die Dirichlet’sche L-Reihe L(s, χd) 6= 0 fur alle s ∈ R mit s > 1− c−1

log|d| , so ist

h (d)>c2

√|d|

log |d| ,

das heißt die Richtigkeit der verallgemeinerten Riemann’schen Vermutung impliziert die Gauss’scheKlassenzahl-n-Vermutung.

An dieser Stelle sei bereits angemerkt, dass die von Landau entwickelten Ideen inspirierend aufdie Arbeit von Heilbronn und Linfoot [HeLi34] wirkten. Dort liest man, auf Seite 294 diefolgenden Worte:

”[...] die im Landau’schen Theorem verwendeten Ideen versetzen uns in die Lage

eine obere Schranke fur große Diskriminanten d<0 mit einer eventuell vorkommen-den Ausnahmediskriminante anzugeben, fur welche die Klassenzahl h (d) = 1 gilt.“

Wir werden uns im Kapitel 4 naher mit den erzielten Resultaten von Heilbronn und Linfootbeschaftigen.

In den Jahren 1932 und 1933 erzielten sowohl Max Deuring (1907-1984) [De32] als auch LouisJ.Mordell (1888-1972) [Mor1933] bzgl. der imaginar-quadratischen Zahlkorper, welche zu einer

89Siehe: Sur les series de Dirichlet correspondant a des caracteres complexes Rendiconti del CircoloMatematico di Palermo, Bd. XXXV (1913), S.145-159.

90Hecke leitete 1918 als Erster aus der Nullstellenverteilung der L-Reihen L (s, χ) eine untere Abschatzungfur die Klassenzahlen der imaginar-quadratischer Zahlkorper ab. Die Arbeit von Hecke wird vonLandau ubernommen und erneut bewiesen (siehe dazu die Seiten 287-290).

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 79

gegebenen Diskriminante d<0 die Klassenzahl Eins aufwiesen, zwei bemerkenswerte Ergebnisse.Deuring gelang es mittels der Riemann’schen Funktionalgleichung (2.3) nachzuweisen, dassdas Klassenzahl-Eins-Problem mit der Nullstellenverteilung der Riemann’schen Zetafunktionζ (s) konsistent ist. Aufgrund der bestehenden Verknupfung konnte er schließlich den folgendenSatz beweisen:

Satz 3.5.2. (Deuring, 1932)

Angenommen die klassisch Riemann’sche Vermutung ist falsch. Dann ist die Anzahl der ne-gativen Fundamentaldiskriminanten d von imaginar-quadratischen Zahlkorpern mit Klassenzahlh(d) = 1 endlich.

Mit anderen Worten besagt der Satz also, dass das nicht zutreffen der klassischen Riemann’schenVermutung notwendigerweise die Ungleichung lim inf

d→−∞h (d) ≥ 2 nach sich zieht. Also die Rich-

tigkeit des Gauss’schen Klassenzahl-n-Problems. Mordell ging noch einen Schritt weiter undbewies, unter der Annahme des Satzes von Deuring, dass dann sogar lim

d→−∞h (d) = ∞ gilt.

Damit erhielt er den folgenden

Satz 3.5.3. (Mordell, 1933)

Die Falschheit der klassischen Riemann’schen Vermutung bewirkt die Richtigkeit der Gauss’-schen Klassenzahl-n-Vermutung.

1934 konnte Hans Heilbronn [He34], durch eine geschickte Verknupfung zweier Ansatze vonHecke und Deuring, eine Verallgemeinerung des Satzes von Mordell beweisen. Unter derAnnahme, die verallgemeinerte Riemann’sche Vermutung treffe nicht zu, bewies er nachfolgendden

Satz 3.5.4. (Heilbronn, 1934)

Die Falschheit der verallgemeinerten Riemann’schen Vermutung impliziert die Richtigkeit derGauss’schen Klassenzahl-n-Vermutung.

Dorian Goldfeld (*1947-) konstatiert zu den erhaltenen Resultaten der Satze 3.5.1 und 3.5.4:

”Das sind die ersten bekannten Beispiele zweier Beweise, wo zunachst von der Rich-

tigkeit der verallgemeinerten Riemann’schen Vermutung ausgegangen wird und an-schließend von der Falschheit; und dennoch erhalt man in beiden Fallen wahre Aus-sagen!“[Go85,S.29]

Damit war die (erste) Gauss’sche Vermutung und somit das Klassenzahl-n-Problem gelost:

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 80

Theorem 3.5.5. (Hecke-Landau-Deuring-Mordell-Heilbronn, 1918-1934)

Die Gauss’sche Vermutung fur das Klassenzahl-n-Problem ist richtig. Das heißt, es gilt

limD→−∞

h (D) =∞.

Der kronende Abschluss der (ersten) Gauss’schen Vermutung gipfelte schließlich in der 1934 er-schienenen Arbeit von Carl L.Siegel (1896–1981) [Si34]. Siegel bewies mittels einer entspre-chenden Modifikation des Satzes von Heilbronn und unter Verwendung der Dirichlet’schen

L-Reihe L (1, χd) die scharfe asymptotische Formel log (h (d)) ∼ log(√|d|)

. Zudem gab er eine

untere Abschatzung fur die Klassenzahlen quadratischer Zahlkorper an mit

Satz 3.5.6. (Siegel, 1934)

Zu jedem ε>0 existiert eine positive Konstante c(ε), sodass h (d)>c (ε) |d| 12−ε, wobei d<0 ist.

Unglucklicherweise liefert der Siegel’sche Satz keine Moglichkeit zur Bestimmung der positi-ven Konstante c (ε). Wie Siegel zeigen konnte, kann eine explizite Abschatzung der Konstantesowohl aus der Annahme, die verallgemeinerte Riemann’sche Vermutung sei richtig, als auchaus der Gegenannahme, das heißt aus deren Falschheit, gewonnen werden. Fur den ersten Fallgibt es keinerlei Probleme fur die Bestimmung der positiven Konstante. Kritisch verhalt sichjedoch der zweite Fall, denn in diesem musste ein Gegenbeispiel zur verallgemeinerten Rie-mann’schen Vermutung gegeben werden. Da dies bis heute jedoch nicht moglich ist, kann ausder Ungleichung im Siegel’schen Satz keine explizite Abschatzung fur die Klassenzahlen, beigegebener Diskriminante d<0, vorgenommen werden. Der Siegel’sche Satz bleibt daher

”in-

effektiv“ und es kann kein endgultiger Ruckschluss erfolgen, ob die neun bekannten negativenFundamentaldiskriminanten

d ∈ −3,−4,−7,−8,−11,−19,−43,−67,−163

die einzigen sind, fur welche die Klassenzahlen h (d) der imaginar-quadratischen ZahlkorperQ(√d) den Wert Eins annehmen. Das Klassenzahl-Eins-Problem bleibt somit weiterhin ungelost.

Zusammenfassung

In diesem Kapitel haben wir die beruhmten Gauss’schen Klassenzahlvermutungen eingefuhrt,welche Gauss bei seinen Untersuchungen bzgl. der Klassenzahleinteilungen von primitiven positiv-definiten binaren quadratischen Formen im Art.303 seiner Disquisitiones Arithmeticae unter-nahm. Wir erhielten damit einerseits das Klassenzahl-n-Problem und andererseits das klassi-sche Klassenzahl-Eins-Problem. Beide Vermutungen wurden im Laufe des 20.Jahrhunderts vonHecke, Landau, Mordell, Deuring und Heilbronn vollstandig gelost. Aufgrund des Kor-respondenzsatzes von Dedekind zeigte sich, dass das klassische Klassenzahl-Eins-Problem um-formuliert werden musste, in das sogenannte allgemeine Klassenzahl-Eins-Problem, in dem nun

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Kapitel 3. Das Gauss’sche Klassenzahlproblem 81

neun negative Fundamentaldiskriminanten auftreten fur welche die Klassenzahlen der imaginar-quadratischen Zahlkorper den Wert Eins haben. Mittels des Rabinowitsch-Polynoms und desResultats von Dickson konnte die verallgemeinerte Klassenzahl-Eins-Vermutung zusatzlich ver-dichtet und eine erste obere Schranke mit d< −15 · 105 bestimmt werden.

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Kapitel 4

Die Losung desKlassenzahl-Eins-Problems

Kein Problem wird gelost,wenn wir trage darauf warten,dass Gott sich darum kummert.

Martin Luther King (1929-1968)

Wir wollen uns nun der Losung des Klassenzahl-Eins-Problems zuwenden. Vor der Betrachtungsollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass das Klassenzahl-Eins-Problem mittlerweile ver-schiedenste Verifikationen erfahren hat. Einige davon sind so faszinierend, dass Gauss zu seinenLebzeiten wohl nicht daran gedacht hatte, dass seine – von ihm, nur auf arithmetischen Rech-nungen basierende und noch nicht einmal explizit ausgesprochene – Vermutung einen solchenDrang nach deren Losung nach sich ziehen sollte, sodass mit den dadurch erzielten Resultatenauch ganzlich neue Wege fur weitere Losungen

”mathematischer Probleme“ geschaffen werden

konnten. Uber einige der geleisteten Resultate werde ich daher in der Schlussbetrachtung kurzreferieren. In diesem Kapitel werden wir die bahnbrechende Arbeit von Hans Heilbronn undEdward H.Linfoot [HeLi34] sowie die Arbeiten von Harold M.Stark (*1939-) [St66] undAlan Baker (*1939-) [Ba66] behandeln.

4.1 Die Arbeit von Heilbronn und Linfoot

Bevor wir uns der Arbeit von Heilbronn und Linfoot zuwenden, sei zunachst bemerkt, dassLehmer 1933 die obere Schranke d<−15·105 von Dickson [Di11] wesentlich verbessern konnte.Lehmer wies nach, dass weitere – außer den neun bekannten – negative Diskriminanten mitKlassenzahl Eins nur im Bereich von d< − 5 · 109 existieren konnen [Le33]. Ein fundamentalerSchritt gelang, als gezeigt werden konnte, dass es neben den neun negativen Fundamentaldiskri-minanten

d = −3, − 4, − 7, − 8, − 11, − 19, − 43, − 67, − 163

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 83

hochstens noch eine weitere zehnte negative”Ausnahmediskriminante“ d geben kann, fur

welche der zugehorige imaginar-quadratische Zahlkorper Q(√d) die Klassenzahl h (d) = 1 hat.

Dies konnten Heilbronn und Linfoot schließlich mit ihrer 1934 erschienenen richtungsweisen-den Arbeit

”On the imaginary quadratic corpora of class-number one“,

unter wesentlicher Ausnutzung der Resultate von Deuring [De33], beweisen:

Theorem 4.1.1. (Heilbronn & Linfoot, 1934)

Sei Q(√d) ein quadratischen Zahlkorper. Es gibt hochstens zehn negative Fundamentaldiskri-

minanten d fur welche die Klassenzahl h (d) = 1 gilt. Unter diesen zehn sind neun bekanntmit

d = −3, − 4, − 7, − 8, − 11, − 19, − 43, − 67, − 163.

Der Beweis des Theorems zielt dabei auf einen analytisch herzuleitenden Widerspruch ab, wel-cher sich aus den Ideen des Satzes 3.5.1 von Landau und Hecke konstruieren lasst [La18],vgl. dazu auch die Anmerkung in Abschnitt 3.5 auf Seite 78. Bevor wir das Theorem beweisen,fundieren wir zunachst einige grundlegende Lemmata.

Wir beginnen daher mit der Betrachtung der Multiplikation zweier verschiedener Dirichlet’scherL-Reihen. Diese Multiplikation wird sich als kraftvolles Hilfsmittel bei der Losung zum Klassenzahl-Eins-Problem herausstellen. Heilbronn hatte sie bereits kurz zuvor in seiner Arbeit [He34] zumBeweis des Klassenzahl-n-Problems erfolgreich verwendet, wobei Deuring [De32] zwei Jahrezuvor wesentliche Resultate dazu beisteuerte. Fur die Multiplikation der L-Reihen erhalten wirdaher das folgende

Lemma 4.1.2. Seien dj<0 (j = 1, 2) zwei verschiedene Fundamentaldiskriminanten eines ima-ginar-quadratischen Zahlkorpers Q

(√dj)

mit Klassenzahl h (dj) = 1. Weiter sei |d| eine Prim-zahl ≡ 1 mod 4 und f (x, y) = x2 + xy + 1

4 (1− d) y2 eine reduzierte quadratische Form mitDiskriminante d. Fur die beiden Dirichlet’schen L-Reihen

L (1, χj) =∞∑n=1

χj (n)n−s bzw. L (1, χχj) =∞∑m=1

χ (m)χj (m)m−s

mit den quadratischen Charakteren χj (n) bzw. χj (m) modulo |d| gilt fur die komplexe Zahls = σ + it mit Re (s)>1

L (s, χj)L (s, χχj) = ζ (2s)(1− d−2s

j

)+

( |d|4

) 12−sπ

12d−1

j

Γ(s− 1

2

)

Γ (s)

(d2−2sj − 1

)ζ (2s− 1) +Rj (s) , (4.1)

wobei

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 84

Rj (s) =1

dj

(|d| 12

2

)1−2s ∞∑

y=1

y1−2s

dj−1∑

m=0

χj (f (m, y))∑

k 6=0

Jj (k, y, s)

und

Jj (k, y, s) =

∫ ∞

−∞

(e− 2πik

dj(m+ y

2 )eπi|d|1/2

djkyu

+ e2πikdj

(m+ y2 )e−πi|d|1/2

djkyu

)(1 + u2

)−sdu.

Beweis: Nach Bemerkung 2.3.1 konvergiert die L-Reihe L (s, χ) fur Re (s)>1 absolut und wirerhalten nach Umordnung der Summationen

L (s, χj) L (s, χχj) =∞∑

n=1

χj (n)n−s∞∑

m=1

χj (m)χ (m)m−s

=∞∑

n=1

∞∑

m=1

χj (n)χ (m)χj (m) (mn)−s

=

∞∑

r=1

χj (r) r−s∑

dj |r,s≤1

χ (dj) .

Wegen h (dj) = 1 folgt aus Satz 2.3.5 und Bemerkung 2.3.7

rdj (r) =∑

dj |r,1≤sχ (dj) =

1

2

h(dj)∑

i=1

R (fi, r) ,

wobei nach (2.8) rdj (r) die Gesamtdarstellungsanzahl von r bzgl. der quadratischen Form fentspricht. Damit ergibt sich

L (s, χj) L (s, χχj) =1

2

∞∑

r=1

rdj (r)χj (r)

rs

=1

2

∞∑

x=1

χj (f (x, 0))

f (x, 0)s+

1

2

∞∑

y=1

∞∑

x=−∞

χj (f (x, y))

f (x, y)s

= S1 + S2.

Aus S1 folgt der erste Summand in (4.1) durch

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 85

S1 = 12

∞∑x=1

χj(f(x,0))f(x,0)s

= 12

∞∑x=1

χj(x2)x2s =

∑n≥1dj -n

1n2s = ζ (2s)

(1− d−2s

j

).

S2 werten wir mittels der Poisson’schen Summenformel aus.91 Zunachst ergibt sich

S2 =1

2

∞∑

y=1

∞∑

x=−∞

χj (f (x, y))

f (x, y)s=

1

2

∞∑

y=1

dj−1∑

m=0

χj (f (m, y))

∞∑

x=−∞x≡m mod dj

f (x, y)−s

=1

2

∞∑

y=1

dj−1∑

m=0

χj (f (m, y))

∞∑

x=−∞f (djx+m, y)−s .

Fur den letzten Reihenausdruck erhalten wir aus der Summenformel:

∞∑

x=−∞f (djx+m, y)−s =

∞∑

k=−∞

∫ ∞

−∞f (djt+m, y)

(e2πikt + e−2πikt

)dt

und damit insgesamt

S2 =1

2

∞∑

y=1

∞∑

x=−∞

χj (f (x, y))

f (x, y)s

=1

2

∞∑

y=1

dj−1∑

m=0

χj (f (m,n))∞∑

k=−∞

∫ ∞

−∞f (djt+m, y)

(e2πikt + e−2πikt

)dt.

Nun ist f (x, y) = x2 + xy + 14 (1− d) y2 = (x+ y/2)2 − |d| y2

/4. Substituieren wir im Integral

m+ djt+ y/2 = yu√|d|/

2, dann ist folglich

∫∞−∞ f (djt+m, y)

(e2πikt + e−2πikt

)dt = |d|1/2y

2dj

(|d|4y2)−s ∫∞

−∞ (1 + u2)−s(e

2πikdj

( y2 (|d|1/2u−1)−m)

+ e− 2πik

dj( y2 (|d|

1/2u−1)−m))du

=(|d|1/2y/2)

1−2s

dj

∫ ∞

−∞

(e− 2πik

dj(m+ y

2 )eπi|d|1/2dj

kyu+ e

2πikdj

(m+ y2 )e−πi|d|

1/2

djkyu)(

1 + u2)−s

du

︸ ︷︷ ︸=Jj(k,y,s)

.

91Fur nahere Informationen bzgl. der Summenformel von Poisson sei verwiesen auf Jurgen Elstrodt[El98,S.249ff].

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 86

Damit ergibt sich fur S2:

S2 =(|d| /4)1/2−s

2dj

∞∑

y=1

y1−2sdj−1∑

m=0

χj (f (m, y))∞∑

k=−∞

∫ ∞

−∞

(e− 2πik

dj(m+ y

2 )eπi|d|1/2dj

kyu+ e

2πikdj

(m+ y2 )e−πi|d|

1/2

djkyu)(

1 + u2)−s

du.

Setzen wir noch z = ky, so folgt

S2 =(|d| /4)1/2−s

2dj

∞∑

z=−∞

∫ ∞

−∞

(e− 2πizdjy

(m+ y2 )e

πi|d|1/2dj

zu+ e

2πizdjy

(m+ y2 )e−πi|d|

1/2

djzu)(

1 + u2)−s

du

∞∑

y=1y|z

y1−2sdj−1∑

m=0

χj (f (m, y)) .

Betrachtet man in S2 den Term bei z = 0, dann ist

S2 =(|d| /4)1/2−s

dj

(∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−sdu

) ∞∑

y=1

y1−2s

dj−1∑

m=0

χj (f (m, y)) . (4.2)

Mithilfe der Gammafunktion werten wir zunachst das Integral in (4.2) aus:

Γ (s)

∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−sdu =

∫ ∞

−∞

∫ ∞

0zs−1e−(1+u2)zdzdu

=

∫ ∞

0e−zzs−1

∫ ∞

−∞e−u

2zdudz

=√π

∫ ∞

0zs−1/2e−zdz

=√πΓ (s− 1/2) .

Also ist

∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−sdu =

√πΓ (s− 1/2)

Γ (s).

Fur S2 erhalten wir damit:

S2 =(|d| /4)1/2−s

dj

√π Γ (s− 1/2)

Γ (s)

∞∑

y=1

y1−2s

dj−1∑

m=0

χj (f (m, y)) .

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 87

Um (4.1) zu bekommen, genugt es die Aquivalenz von

∞∑

y=1

y1−2s

dj−1∑

m=0

χj (f (m, y)) =(d2−2sj − 1

)ζ (2s− 1)

zu beweisen, da bereits Rj (s) die restlichen Terme von S2 fur k 6= 0 enthalt. Nun folgt aus Satz2.4.1 und Lemma 2.4.3 sowie den bekannten Rechenregeln fur das Legendre-Symbol

χj (f (m, y)) = d−1/2j

dj−1∑

v=1

χj (v) e2πivf(m,y)

dj ,

also

dj−1∑

m=0

χj (f (m, y)) = p−1/2

dj−1∑

v=1

χj (v)

dj−1∑

m=0

e2πivdj

(m2+my+ 1−d4y2).

Setzen wir M = (dj + 1) /2, dann erhalten wir

f (m, y) ≡ (m+My)2 + |d|M2y2 mod dj

und daraus die folgende Gleichheit mit

dj−1∑

m=0

e2πivdj

(m2+my+ 1−d4y2)

= e2πiv|d|M2y2

dj

dj−1∑

n=0

e2πivn2

dj .

Wenden wir nochmals Satz 2.4.1 und Lemma 2.4.3 fur dj - v an, dann ist

dj−1∑

n=0

e2πivn2

dj = 1 +

dj−1∑

x=1

(1 +

(x

dj

))e

2πivxdj =

dj∑

x=1

(x

dj

)e

2πivxdj =

(v

dj

)d

1/2j .

Nach Voraussetzung sind die dj Fundamentaldiskriminanten, daher folgt aus den Rechenregelnfur das Jacobi-Symbole

χj (v) =

(djv

)=

(v

dj

)

und somit

dj−1∑

m=0

χj (f (m, y)) =

dj−1∑

v=1

χj (v)

(v

dj

)e

2πidj

(|d|M2y2)v=

dj−1∑

v=1

e2πidj

(|d|M2y2)v:=

dj − 1 wenn dj |y,−1 sonst.

Schließlich erhalten wir die gewunschte Aquivalenz:

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 88

∞∑

y=1

y1−2s

dj−1∑

m=0

χj (f (m, y)) =∞∑

y=1dj |y

(dj − 1) y1−2s −∞∑

y=1dj -y

y1−2s

=

∞∑

n=1

dj (djm)1−2s − ζ (2s− 1)

=(d2−2sj − 1

)ζ (2s− 1)

und damit die Behauptung des Lemmas.

Wir grenzen nun die Menge der eventuell infrage kommenden negativen Fundamentaldiskrimi-nanten mit h (d) = 1 ein. Dazu bemerken wir zunachst, dass −d stets Potenz einer Primzahl ist.Einen Beweis dieser Tatsache findet sich in der Literatur [Na86,Theo.5.2]. Wir kommen damitauf das folgende

Lemma 4.1.3. Sei d<0 eine Fundamentaldiskriminante und h (d) = 1, dann gilt entwederd = −4,−7,−8 oder −d ist eine Primzahl kongruent 3 mod 8.

Beweis: Da d<0 stets Potenz einer Primzahl ist, kann −d nur 4, 8 oder eine Primzahl sein. Auf-grund des Satzes 1.2.1 und der Voraussetzung, dass d eine Fundamentaldiskriminante ist, folgt,dass d ≡ 1 mod 4 oder d = 4d′, d′ ≡ 2, 3 mod 4 sein muss. Bleibt noch −d ≡ 7 mod 8 und−d ≡ 3 mod 8 zu betrachten. Wir schließen nun den ersten Fall fur −d 6= 7 mittels Widerspruchaus.

Ist nun −d ≡ 7 mod 8 und −d 6= 7, dann lasst sich −d mittels 8k + 7, k 6= 0 darstellen, wasimpliziert, dass (1− d) /4 eine gerade ganze Zahl 6= 2 ist und damit als Produkt ac geschriebenwerden kann mit a, c > 1. Betrachten wir nun die quadratische Form f (x, y) = ax2 + bxy+ cy2

mit Diskriminanten d < 0 . Wir erhalten einen Widerspruch, wenn wir zeigen konnen, dass fnicht aquivalent zur quadratischen Form g (x, y) = x2 + ((1− d) /4) y2 ist. Da wir wissen, dassaquivalente quadratische Formen dieselben Zahlen darstellen, genugt die Bestatigung, dass eskein ganzzahliges Paar (x, y) gibt, sodass f (x, y) = 1 = g (1, 0) gilt.

Dafur betrachten wir y = 0 und x ganzzahlig 6= 0, dann ist f (x, 0) = ax2 6= 1, denn a 6= 1.Gleiches gilt fur x = 0 und y 6= 0. Ist (x, y) 6= (0, 0), dann erhalt man wegen 8a ≤ 4ac = 1 − ddie Ungleichung

f (x, y) ≥ −dy2

4a≥ −2d

1− d>1.

Folglich existiert kein ganzzahliges Paar (x, y) mit f (x, y) = 1 = g (1, 0) und das Lemma istbewiesen.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 89

Nach Lemma 4.1.3 konnen somit nur Primzahlen kongruent 3 mod 8 als mogliche weitere –neben den bereits neun bekannten – negative Fundamentaldiskriminanten d mit Klassenzahlh (d) = 1 infrage kommen. Fur Theorem 4.1.1 ist es daher hinreichend, wenn wir zeigen konnen,dass aus der Annahme

h (−p) = h (−q) = 1

sowie

104 < p < q, (4.3)

mit Primzahlen p ≡ q ≡ 3 mod 8, ein Widerspruch resultiert. Wir nehmen also an, es gabe nebeneiner eventuell (zehnten) Primzahl p noch eine weitere (elfte) Primzahl q mit der Eigenschaft(4.3) und beweisen das Gegenteil. Das heißt, neben der moglichen Primzahl p kann es keineweitere Primzahl q geben, die großer ist als 104 und fur die gilt h (−q) = 1.

Sei wieder s = σ + it, σ, t ∈ R eine komplexe Variable. Betrachten wir nun fur Re (s) =σ>1 diebeiden Dirichlet’schen L-Reihen L (s, χp) und L (s, χpq) mit

L (s, χp) =∞∑n=1

( pn

)n−s und L (s, χpq) =

∞∑n=1

(pqn

)n−s,

wobei p und q Primzahlen sind, fur die gilt 104<p<q, p ≡ q ≡ 3 mod 8. Weiter definieren wirnoch die beiden reduzierten quadratischen Hauptformen:

f (x, y) = x2 + xy + 14 (p+ 1) y2 und g (x, y) = x2 + xy + 1

4 (q + 1) y2.

Zunachst bemerken wir, dass Dirichlet bei seinen Untersuchungen bzgl. der Klassenzahlenquadratischer Formen in die Identitat

ζ (s)L (s, χp) =∞∑

n=1

1

ns

∞∑

n=1

(pn

)n−s =

1

2

(x,y) 6=(0,0)

(x2 + xy + y2

)−s=

1

2

(x,y)6=(0,0)

f (x, y)−s (4.4)

entwickelte, welche die Multiplikation der L-Reihe und der Zetafunktion widergespiegelt[DiDe63,§89-91]. Siehe dazu auch die erzielten Resultate von Deuring in [De32,§2].

Aus (4.4) und den Resultaten des Lemmas 4.1.2 gelingen nun die Abschatzungen im

Lemma 4.1.4. Fur s > 12 gelten die beiden oberen Abschatzungen

i)∣∣∣ζ (s)L (s, χp)− ζ (2s)− 22s−1p

12−sζ (2s− 1)

∫∞−∞ (1 + u2)

−sdu∣∣∣ ≤ 4sp−sζ (2s) ,

ii)∣∣∣L (s, χp)L (s, χpq)− ζ (2s) (1− p−2s) + 22s−1p−1q

12−s (1− p2(1−s)

)ζ (2s− 1)

∫∞−∞ (1 + u2)

−sdu∣∣∣ ≤ 4spq−sζ (2s)

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 90

Beweis: Wir zeigen zunachst die Abschatzung i).

Mit (4.4) folgt fur Re (s)>1

ζ (s) L (s, χp) = ζ (2s) +∞∑

y=1

∞∑

x=−∞f (x, y)−s .

Mit Satz 2.1.3 (der Euler-Maclaurin’schen Summenformel) ergibt sich

∞∑

x=−∞f (x, y)−s =

∫ ∞

−∞f (x, y)−s dx+

∞∑

y=1

∫ ∞

−∞

(x− [x]− 1

2

)d

dx

(f (x, y)−s

)dx.

Damit ist dann

ζ (s) L (s, χp) = ζ (2s) +∞∑y=1

∞∑x=−∞

f (x, y)−s

= ζ (2s) +∞∑y=1

∫∞−∞ f (x, y)−s dx+

∞∑y=1

∫∞−∞

(x− [x]− 1

2

)ddx

(f (x, y)−s

)dx.

Nun folgt zunachst fur den mittleren Term wie im Beweis von Lemma 4.1.2

∞∑

y=1

∫ ∞

−∞f (x, y)−s dx =

∞∑

y=1

∫ ∞

−∞

((x+

1

4y

)2

+1

4py2

)−sdx

=

∞∑

y=1

(1

4py2

) 12−s ∫ ∞

−∞

(1 + u2

)du

= 22s−1p12−sζ (2s− 1)

∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−sdu.

Wir erhalten somit eine Funktion in Abhangigkeit von s, welche fur Re (s)>12 , s 6= 1 eine

holomorphe Funktion darstellt. Wie wir sehen, ist nur der letzte Summand fur die Abschatzungin i) entscheidend, denn die anderen heben sich gegeneinander auf. Den letzten Summandenschatzen wir nun fur Re (s)>1

2 nach oben ab. Dabei nutzen wir aus, dass der Absolutbetrageiner komplexen Zahl reell ist.92

92Sei s = σ + it ∈ C eine komplexe Zahl, dann ist der Absolutbetrag von s gegeben durch |s| =√s · s =√

σ2 + t2 ∈ R.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 91

∞∑

y=1

∣∣∣∣∫ ∞

−∞

(x− [x]− 1

2

)d

dx

(f (x, y)−s

)dx

∣∣∣∣ ≤1

2

∞∑

y=1

∫ ∞

−∞

∣∣∣∣∣

((x+

y

2

)2+

1

4py2

)−s d

dx

∣∣∣∣∣ dx

=|s|

2Re (s)

∞∑

y=1

∫ ∞

−∞

∣∣∣∣∣

((x+

y

2

)2+

1

4py2

)−Re(s) d

dx

∣∣∣∣∣ dx

=|s|

2Re (s)

∞∑

y=1

2

(1

4py2

)−Re(s)

=|s|

Re (s)· 4Re(s)p−Re(s)ζ (2Re (s)) .

Die Funktion ζ (2Re (s)) lasst sich außer bei s = 1 an allen Punkten holomorph fortsetzen (siehe[Sc06,Kor.8.4.5]). Daher folgt schließlich

|s|Re (s)

· 4Re(s)p−Re(s)ζ (2Re (s)) ≤ 4sp−sζ (2s)

und damit die obere Abschatzung i).

Betrachten wir nun ii). Nach Lemma 4.1.2 gilt

L (s, χp)L (s, χpχq) =1

2

(x,y)6=(0,0)

χp (f (x, y))

f (x, y)s=

1

2

∞∑

x=1

χp (x2)

x2s+

1

2

∞∑

y=1

p−1∑

m=1

χp (f (m, y))∞∑

x=−∞x≡m mod p

f (x, y)−s

= ζ (2s)(1− p−2s

)+∞∑

y=1

p−1∑

m=1

χp (f (m, y)) p−2s

∞∑

z=−∞

((z +

l

p+

y

2p

)2

+q

4p2y2

)−s.

Die Reihe∑∞

z=−∞

((z + l

p + y2p

)2+ q

4p2 y2

)−swerten wir analog wie in Teil i) mittels der Eu-

ler-Maclaurin’schen Summenformel aus. Es ergibt sich:

∞∑

z=−∞

((z +

l

p+

y

2p

)2

+q

4p2y2

)−s=

(∫ ∞

−∞

((z +

l

p+

y

2p

)2

+q

4p2y2

)−sdz +

∫ ∞

−∞

(z − [z]− 1

2

)d

dz

((z +

i

p+

y

2p

)2

+q

4p2y2

)−sdz

).

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 92

Damit folgt dann

L (s, χp)L (s, χpχq) =1

2

(x,y) 6=(0,0)

χp (f (x, y))

f (x, y)s=

1

2

∞∑

x=1

χp (x2)

x2s+

1

2

∞∑

y=1

p−1∑

m=1

χp (f (m, y))∞∑

x=−∞x≡m mod p

f (x, y)−s =

= ζ (2s)(1− p−2s

)+∞∑

y=1

p−1∑

m=1

χp (f (m, y)) p−2s

∞∑

z=−∞

((z +

l

p+

y

2p

)2

+q

4p2y2

)−s=

= ζ (2s)(1− p−2s

)+∞∑

y=1

p−1∑

m=1

χp (f (m, y)) p−2s(∫ ∞

−∞

((z +

l

p+

y

2p

)2

+q

4p2y2

)−sdz +

∫ ∞

−∞

(z − [z]− 1

2

)d

dz

((z +

i

p+

y

2p

)2

+q

4p2y2

)−sdz

).

Die einzelnen Beitrage werten wir nun nacheinander aus. Es folgt

∞∑

y=1

p−1∑

m=1

χp (f (m, y)) p−2s

∫ ∞

−∞

((z +

l

p+

y

2p

)2

+q

4p2y2

)−sdz =

=∞∑

y=1

p−1∑

m=1

χp (f (m, y)) p−2s

(qy2

4p2

) 12−s ∫ ∞

−∞

(1− u2

)−sdu

= 22s−1p−1q12−s∞∑

y=1

y1−2sp−1∑

m=1

χp (f (m, y))

∫ ∞

−∞

(1− u2

)−sdu

= 22s−1p−1q12−s∞∑

y=1

(−y1−2s + p (qy)1−2s

)∫ ∞

−∞

(1− u2

)−sdu

= 22s−1p−1q12−s(−1 + p2(1−s)

)ζ (2s− 1)

∫ ∞

−∞

(1− u2

)−sdu,

wobei wir im letzten Schritt Lemma 4.1.2 verwendet haben.

Wie in Teil i) erhalten wir eine komplexe Funktion mit Variable s, die fur Re (s)>12 , s 6= 1

holomorph ist. Es ist also wieder nur der letzte Summand nach oben abzuschatzen. Wir erhaltenfur Re (s)>1

2

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 93

∣∣∣∣∣∞∑y=1

p−1∑m=1

χp (f (m, y)) p−2s +∫∞−∞

(z − [z]− 1

2

)ddz

((z + i

p + y2p

)2+ q

4p2 y2

)−sdz

)∣∣∣∣∣

≤∞∑y=1

p−1∑m=1

p−2Re(s) 12

∫∞−∞

∣∣∣∣(z2 + q

4p2 y2)−s∣∣∣∣ dz

≤ |s|Re(s)

∞∑y=1

p−1∑m=1

p−2Re(s)(qy2

4p2

)−Re(s)

≤ |s|Re(s)4Re(s)pq−Re(s)ζ (2Re (s)) .

Es gilt wieder, dass ζ (2Re (s)) in allen Punkten außer bei s = 1 holomorph fortgesetzt werdenkann. Folglich ist

|s|Re (s)

· 4Re(s)pq−Re(s)ζ (2Re (s)) ≤ 4spq−sζ (2s) .

Damit sind die beiden oberen Abschatzungen bestatigt und das Lemma ist bewiesen.

Mit Lemma 4.1.4 und der Multiplikation der L-Reihen aus Lemma 4.1.2 folgt

Korollar 4.1.5.

i) Fur s = 1 gilt die obere Abschatzung

∣∣∣L (1, χp) L (1, χpχq)− ζ (2)(1− p−2

)+ 2πq−

12 p−1 log (p)

∣∣∣ < 2πq−12 log (p+ 3) .

ii) Es ist L (1, χp) = πp−1/2.

Beweis: Zunachst Teil i).

Setzen wir in Lemma 4.1.4 ii) fur s = 1, dann folgt – wie wir gesehen haben –, dass nur derletzte Summand aus der Euler-Maclaurin’schen Summenformel die Abschatzung bestimmt.Es genugt daher, wenn wir die obere Abschatzung

∣∣∣∣∣∣

∞∑

y=1

p−1∑

m=1

χp (f (m, y)) p−2 +

∫ ∞

−∞

(z − [z]− 1

2

)d

dz

((z +

m

p+

y

2p

)2

+q

4p2y2

)−1dz

∣∣∣∣∣∣≤ 2πq−

12 log (p+ 3)

beweisen.

Zur Vereinfachung ersetzen wir im Integranden

α := −mp −

y2p und β := q1/2

2p y

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 94

und erhalten somit fur das Integral

∫ ∞

−∞

(z − [z]− 1

2

)d

dz

((z + α)2 + β2

)−1dz =

∫ ∞

−∞

(z + α− [z + α]− 1

2

)d

dz

(z2 + β2

)−1dz.

Weiter spalten wir das Integral uber die Grenzen mit∫ 0−∞sowie

∫∞0 auf und setzen z = −z. Mit

den bekannten Rechenregeln der Gaussklammer [−z + α] = − [z + 1− α] folgt dann

∫ ∞

0(2z − [z + α]− [z + 1− α])

d

dz

(z2 + β2

)−1dz.

Fur z ≥ 14 folgt fur den Integranden die Abschatzung

|2z − [z + α]− [z + 1− α]| ≤ |2z| − |[z + α]| − |[z + 1− α]| ≤ −

|[z + α]|︸ ︷︷ ︸

∈N

+ |[z − α]|︸ ︷︷ ︸∈N

≤ 1.

Wahrend fur 0 ≤ s ≤ 14 gilt

p−1∑m=0

|2z − [z + α]− [z + 1− α]| ≤ 2pz +p−1∑m=0

([z + α] + [z + 1− α])

= 2pz +

p−1∑m=0

([z + m

p

]−[z + 1− m

p

]), falls 2|y,

p−1∑m=0

([z + m

p+ m

2p

]−[z + 1− m

2p− m

p

]), falls 2-y

= 2pz +

1 + 2 [pz] , falls 2|y,

2[pz + 1

2

], falls 2-y

≤ 4pz + 1.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 95

Schließlich erhalten wir

∞∑

y=1

p−1∑

m=0

χp (f (m, y)) p−2

∣∣∣∣∫ ∞

−∞

(z − [z]− 1

2

)d

dz

((z − α)2 + β2

)−1dz

∣∣∣∣

≤ p−2∞∑

y=1

(−∫ 1/4

0(4pz + 1)

d

dz

(z2 + β2

)−1dz −

∫ ∞

1/4pd

dz

(z2 + β2

)−1dz

)

≤ p−2∞∑

y=1

(−∫ 1/4

0

d

dz

(z2 + β2

)−1dz + 4p

∫ 1/4

0

(z2 + β2

)−1dz

)

≤ p−2∞∑

y=1

(1

β2−(1/

16 + β2)−1

+ 4pβ−1 arctan

(1

))

≤ 4q−1ζ (2) + 8q−1/2∞∑

y=1

y−1 arctan

(p

2y√q

)

≤ 4q−1ζ (2) + 8q−1/2

2+

∫ √p

1

π

2

dy

y+

∫ ∞√p

p

2√q

dy

y2

)

= 4q−1 ζ (2)︸︷︷︸π2/6

+4πq−1/2 + 2πq−1/2 log (p) + 4p1/2q−1

< 2πq−1/2 (log (p) + 3) .

Fur Teil ii) benutzen wir die obere Abschatzung aus Lemma 4.1.4 i):

∣∣∣∣ζ (s) L (s, χp)− ζ (2s)− 22s−1p12−sζ (2s− 1)

∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−sdu

∣∣∣∣ ≤ 4sp−sζ (2s) .

Addition mit +1 auf der rechten Seite andert die Richtung der Ordnungsrelation nicht, das heißt,es gilt immer noch

∣∣∣∣ζ (s) L (s, χp)− ζ (2s)− 22s−1p12−sζ (2s− 1)

∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−sdu

∣∣∣∣ ≤ 1 + 4sp−sζ (2s) .

Multiplikation auf beiden Seiten mit (s− 1) ergibt weiter

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 96

∣∣∣∣(s− 1) ζ (s) L (s, χp)− (s− 1) ζ (2s)− 22s−1p12−s (s− 1) ζ (2s− 1)

∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−sdu

∣∣∣∣ ≤ (s− 1)(1 + 4sp−s

)ζ (2s) .

Bilden wir nun auf beiden Seiten den Limes fur s→ 1, dann folgt

∣∣∣∣∣∣∣∣∣lims→1

(s− 1) ζ (s) L (s, χp)︸ ︷︷ ︸

=L(1,χp)

− lims→1

(s− 1) ζ (2s)︸ ︷︷ ︸

=0

− lims→1

(22s−1p

12−s (s− 1) ζ (2s− 1)

∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−sdu

)

︸ ︷︷ ︸=πp−1/2

∣∣∣∣∣∣∣∣∣≤ lim

s→1(s− 1)

(1 + 4sp−s

)ζ (2s)

︸ ︷︷ ︸=0

.

Damit ist schließlich

∣∣∣L (1, χp)− π√p

∣∣∣ ≤ 0, also L (1, χp) = πp−1/2.

Lemma 4.1.6.

i) Fur die L-Reihe L (s, χpχq) gilt an der Stelle s = 1 die obere Abschatzung

L (1, χpχq)<2 + log (p) + log (q) .

ii) Ist L (9/10, χp)<0, dann ist L (s, χp) = 0 fur einige s im Intervall 9/10<s<1.

Beweis: Fur Teil i) folgt sofort:

L (s, χpq) =

∞∑

n=1

(qpn

)n−s ≤

pq−1∑

n=1

1

n+

1

pqmaxn≥0

n∑

v=0

(pqv

)

< 1 +

∫ pq

1u−1du+ 1

= 2 + log (pq) = 2 + log (p) + log (q) .

Nun Teil ii). Wir verwenden Lemma 4.1.4 i) und setzen s = 9/10, dann ist

ζ (9/10)L (9/10, χp) ≥ ζ (9/5)

(1−

(4

p

)9/10)− 24/5p−2/5 |ζ (4/5)|

∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−9/10du. (4.5)

Wir schatzen in (4.5) die einzelnen Terme nacheinander ab.

Zunachst folgt aus Beispiel 2.1.2

ζ (9/5) ≈ 1.882229618...>ζ (2) =π2

6.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 97

Mit Satz 2.1.3 ergab sich fur die Zetafunktion der Ausdruck

ζ (s) =1

s− 1+

1

2− s

∫ ∞

1

(u− [u]− 1

2

)u−(s+1)du.

Folglich erhalten wir fur den Wert ζ (4/5)

0>ζ (4/5)>− 5 +1

2− 4

5

∫ ∞

1

1

2u−9/5du = −5 +

1

2− 4

5

(0 +

5

8

)= −5.

Das Integral in (4.5) konnen wir leicht abschatzen:

∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−9/10= 2

∫ ∞

1

(1 + u2

)−9/10 ≤ 2

(1 +

∫ ∞

1u−9/5du

)= 2 + 2

5

4= 4, 5.

Schließlich schatzen wir noch die Primzahl p in (4.5) mittels der Ungleichung (4.3) nach untenab. Damit erhalten wir fur (4.5) insgesamt

ζ (9/10) L (9/10, χp) ≥ ζ (9/5)

(1−

(4

p

)9/10)− 24/5p−2/5 |ζ (4/5)|

∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−9/10du

≥ ζ (2)︸︷︷︸=π2/6

(1−

(4

104

)9/10)

︸ ︷︷ ︸< 3

2

− 24/5(104)−2/5

︸ ︷︷ ︸> 1

36

·5 · 9

2

>3

2− 1

36· 5 · 9

2=

7

8.

Nun ist ζ (9/10) ≈ −9, 4301140... <0. Die Abschatzung (4.5) ist also genau dann erfullt, wennauch L (9/10, χp)<0 gilt. Damit ist Teil ii) bewiesen und folglich des Lemma.

Mit den noch folgenden beiden Lemmata haben wir das Repertoire zum Erschließen des Theo-rems 4.1.1 von Heilbronn und Linfoot zusammen. Zunachst schatzen wir im nachfolgendenLemma die Primzahl q nach unten ab und anschließend nach oben. Dadurch erzielen wir schließ-lich den oben gewunschten Widerspruch und damit den Ausschluss der elften Primzahl q.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 98

Lemma 4.1.7. Seien p und q Primzahlen ≡ 3 mod 8, dann gilt q> 8p10/9.

Beweis: Mit Korollar 4.1.5 erhalten wir zunachst

L (1, χpq) ≥ p1/2

π

(ζ (2)

(1− p−2

)− 2πq−1/2p−1 log (p)− 2πq−1/2 (log (p) + 3)

)

>πp1/2

6 − πp−1/2

6 − 2q−1/2p−1/2 log (p)− 2 log (p)− 6

>p1/2

2 − 2 log (p)− 6,

und mit Lemma 4.1.6 ist dann

log (q)> L (1, χpq)− 2− log (p)>p1/2

2− 2 log (p)− 6− 2− log (p) =

p1/2

2︸︷︷︸=:f(p)

−3 log (p)− 8.

Die rechte Seite der Ungleichung schatzen wir uber p1/2/

2 weiter nach unten ab. Dazu verglei-

chen wir die beiden Funktionen f(p) = p1/2

2 und g (p) :=(4 + 1

9

)log (p) + 8 + log (8) grafisch mit

die Abbildung 6:

Abbildung 6: Vergleich der Graphen f (p) und g (p).

Man erkennt am Plot der beiden Funktionen sehr genau, dass die Ungleichung f(p)>g (p) furalle Primzahlen p> 104 erfullt ist. Daher erhalten wir

√p

2>

(4 +

1

9

)log (p) + 8 + log 8, fur p>104.

Wir uberprufen noch das monotone Verhalten von f und g im Bereich p> 104. Zunachst sind

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 99

beide Funktionen sind fur p> 104 stetig differenzierbar. Daher bilden wir die jeweils erste Ablei-tung von f und g und betrachten deren Differenz. Man sieht leicht, dass diese fur p> 104 stetsgroßer als Null ist. Folglich gilt

d

dp(f − g) =

p−1/2

4−(

4 +1

9

)p−1>0.

Das heißt, ddp (f − g) ist fur alle p> 104 nirgendwo negativ, was wiederum bedeutet, dass f und

g fur p> 104 streng monoton steigend sind.

Damit erhalten wir

log (q)>p1/2

2 − 3 log (p)− 8 >(4 + 1

9

)log (p) + 8 + log 8− 3 log (p)− 8

= 109 log (p) + log (8)

= log (p)10/9 + log (8)

= log(8p10/9

).

Lassen wir noch auf beiden Seiten die Exponentialfunktion wirken, dann folgt schließlich dieBehauptung des Lemmas:

q>8p10/9.

Mit dem nachfolgenden Lemma wird sich zeigen, dass es keine weitere Primzahl q mit p ≡ q ≡3 mod 8 geben kann, welche der Ungleichung (4.3) genugt mit

104<p<q.

Um dies zu beweisen, bestimmen wir eine obere Abschatzung von q mit dem

Lemma 4.1.8. Seien p und q Primzahlen ≡ 3 mod 8, dann gilt q< 8p10/9.

Beweis: Nach Lemma 4.1.6 ii) besitzt L (s, χp) Nullstellen im Intervall 9/10<s<1. Sei nun s0 diegroßte Nullstelle von L (s, χp). Betrachten wir Lemma 4.1.4 ii). Dann folgt aus der linken Seiteder dortigen Abschatzung fur s = s0:

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 100

ζ (2s0)(1− p−2s0

)− 22s0−1p−1q

12−s0 (1− p2(1−s0)

)ζ (2s0 − 1)

∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−s0 du =

=π2

6

(1− p−2s0

)− 22s0−1p−1q

12−s0 (1− p2(1−s0)

) ∞∑

n=1

n1−2s0∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−s0 du

>π2

6

(1− 10−4·9/5

)− 2q−5/2p−1

(11−2s0 + 21−2s0 + ...+ (p− 1)1−2s0 + (p− 1)1−2s0 + ...

) ∫ ∞

−∞

(1 + u2

)−s0 du.

Nach Lemma 4.1.6 ii) ist∫∞−∞

(1 + u2

)−s0 du = 92 , damit folgt weiter

>32 − 2q−5/2p−1

(11−2s0 + 21−2s0 + ...+ (p− 1)1−2s0

)· 9

2

>32 − 2 · 1

36 · 1 · 92

= 54 .

Die rechte Seite der Ungleichung aus Lemma 4.1.4 ii) liefert

5

4≤ 4s0pq−s0ζ (2s0) ⇔ qs0 ≤ 4s0

4

5pζ (2s0)

⇔ q ≤ 4

4

5p ζ (2s0)︸ ︷︷ ︸<ζ(9/5)

1/s0

< 4

(4

5pζ (9/5)

)10/9

< 4

(4

5p

(1 +

1

9/5− 1

))10/9

= 4

(9

5p

)10/9

.

Schließlich erhalten wir mit(

95

)10/9<2 die obere Abschatzung

q<4 · 2 · p10/9 = 8p10/9

und damit den Behauptung des Lemmas.

Betrachten wir die beiden Lemmata 4.1.7 und 4.1.8, dann gilt fur die Primzahl q, dass sich dieseim Intervall

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 101

8p10/9<q<8p10/9

befindet. Da q als Primzahl nur ganzzahlige Werte annehmen kann, kann es folglich eine (elfte)Primzahl q mit der Eigenschaft p ≡ q ≡ 3 mod 8 und 104<p<q sowie h (−p) = h (−q) = 1nicht geben. Wir haben damit den gewunschten Widerspruch erhalten und das Theorem vonHeilbronn und Linfoot vollstandig bewiesen. Damit gibt es hochstens eine weitere zehntenegative Fundamentaldiskriminante d im Bereich von d< − 104 mit Klassenzahl h (d) = 1. Obdiese eventuell auftretende

”Ausnahmediskriminante“ aber tatsachlich existiert, kann bedauer-

licherweise mit den Methoden von Heilbronn und Linfoot nicht entschieden werden. Ihreverwendeten Methoden zeigen jedoch, dass das Klassenzahl-Eins-Problem in ein analytischesPostulat gekleidet werden sollte, welches dann durch versierte Abschatzungen vollstandig in denGriff zu bekommen sein musste. Solche Abschatzungen wurden schließlich – wie wir gleich sehenwerden – von Bundschuh und Hock prazise durchgefuhrt.

Mit den bereits eruierten Ergebnissen von Dickson [Di11] und Lehmer [Le36] konnen wir diebis dato erzielten Resultate zum Klassenzahl-Eins-Problem nunmehr in der nachfolgenden Ab-bildung 7 konstantieren:

ZAHLENSTRAHL DER DISKRIMINANTENBEREICHE FÜR 0d < MIT ( ) 1h d = BIS 1934

Keine auftretenden Fundamentaldiskriminanten mit Klassenzahl Eins

Bereich der eventuell zehnten Fundamentaldiskriminante Bereich der bekannten Fundamentaldiskriminanten

95 10− ⋅ 515 10− ⋅ 410− 163− 0

d

Obere Schranke von LEHMER

Obere Schranke von DICKSON

Obere Schranke von HEILBRONN und LINFOOT

Abbildung 7: Zahlenstrahl der Diskriminantenbereiche fur d < 0 mit h (d) = 1 bis 1934.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 102

4.2 Die kritischen Resultate von Heegner

Am 20.Oktober 1951 erschien die beruhmte und inhaltsreiche Arbeit von Kurt Heegner93

[He51] unter dem Titel

”Diophantische Analysis und Modulformen“,

in der zum ersten Mal eine Beweisanordnung fur die Nichtexistenz der zehnten Ausnahme-diskriminante fur imaginar-quadratische Zahlkorper mit Klassenzahl Eins thematisiert wurde.Heegners Beweis bedient sich der Theorie der Ringklassenkorper der komplexen Multipli-kation94, wie sie von Heinrich Weber95 (1842-1913) in seinem klassischen Buch uber Algebra[We08] entwickelt worden ist. Dabei beruht die Idee von Heegner, kurz gesagt, auf der Herlei-tung der diophantischen Gleichung

2x(x3 + 1

)= y2, (4.6)

welche sich uber die quadratische Transformationstheorie aus der geschickten Verknupfung deralgebraischen Gleichungen

ζ = 2(β − α2

)und ζ2 = 2

(β2 − 2α

)

mit den elliptischen Modulfunktionen96 α, β der 24.Stufe sowie dem Hauptmodul ζ der12.Stufe ergibt zu

(β − 2α2

)2= 2α

(α3 + 1

), (4.7)

[He51,S.239ff]. Dass diophantische Gleichungen (wie die in (4.6)) nur endlich viele Losungen zu-lassen, konnte Siegel [Si29] bereits 1929 zeigen. Heegner, der sich großtenteils auf die Resultate

93Kurt Heegner (1893-1965) war ein deutscher Ingenieur, Physiker und Mathematiker. Nach seinerPromotion in Physik arbeitete Heegner zunachst auf dem Gebiet der angewandten Elektrophysik, woer einige beruhmte Entdeckungen machte – unter anderem die heute nach ihm benannte Heegner-Schaltung, welche von Telefunken ca. 1930 patentiert und fur Elektrogerate verwendet und vermarktetwurde. Neben seiner hier erwahnten Arbeit [He51] leistete Heegner weitere zahlentheoretische For-schungsergebnisse – darunter zahlen die Arbeiten uber elliptische und automorphe Funktionen, abelscheIntegrale und quadratische Formen. All dies zeigt, dass Heegner sicher mehr war als nur ein reiner

”Hobbymathematiker“.

94Bezeichne φ eine elliptische Kurve uber den Korper der komplexen Zahlen. Ein EndomorphismusEnd (φ) := τ |φ→ φ ist entweder isomorph zum Ring Z, oder zu einem Unterring eines imaginar-quadratischen Zahlkorpers Q

(√−d), d>0 . Fur den letzteren Fall ist φ eine elliptische Kurve mit

komplexer Multiplikation. Fur eine genauere Betrachtung der komplexen Multiplikation von ellipti-scher Kurven sei verwiesen auf [Si99].

95Eine hervorragende Ausarbeitung uber das Leben und Wirken von Heinrich Weber findet man indem Artikel [Vo14] von Aurel Voss.

96Die Theorie der elliptischen Funktionen wird in der Literatur von Adolf Hurwitz [Hu00,Kap.1,§2]behandelt.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 103

von Weber bezog, verwendete unter anderem auch dessen Berechnungen fur die Klasseninvari-anten von elliptischen Modulfunktionen mittels des sogenannten Schlafli’schen Moduls97

σ (ω) = e−iπω/24∞∏

v=1

(1 + eiπω(2v−1)

).

Setzt man nun ω = i√d, dann lasst sich unter Zuhilfenahme der Schlafli’schen Modulfunktion

zu jedem imaginar-quadratischen Zahlkorper mit Klassenzahl Eins ein ganzzahliges Losungspaar(x, y) zur diophantischen Gleichung (4.6) zuordnen [He51,S.230ff]. Die Losungen zur Gleichung(4.7) konnten bereits von Weber erfolgreich bestimmt werden:

−d α β/2 ζ/2

3 0 0 0

11 1 0 -1

19 -1 1 1

43 2 1 -2

67 1 2 3

163 2 7 10

Tabelle 4: Negative Diskriminanten, Modulfunktionen α, β, Hauptmodule ζ, [He51,S.240]

Die von Weber bestimmten Losungen der Gleichung (4.7) aus Tabelle 4 kommentiert Heegnermit den Worten:

”Im vorliegenden Falle laßt sich indessen auf elementarem Wege zeigen, daß (4.7)

keine anderen ganzzahligen Losungen besitzt als die in der Tabelle 4 aufgefuhrten,und es folgt daraus, daß andere imaginar-quadratische Zahlkorper mit der Klassen-zahl Eins als die seit langer Zeit bekannten nicht existieren.“ [He51,S.248].

Um die Aussage zu verifizieren, ist es hinreichend zu zeigen, dass die diophantische Gleichung(4.6) außer den vier ganzzahligen Losungen x = 0,−1, 1, 2 keine weiteren zulasst. Da dies imvorliegenden Fall tatsachlich zutrifft – wie Heegner zeigen konnte – war seine Aussage somitbewiesen und das Klassenzahl-Eins-Problem vorerst gelost.

Es zeigt sich, dass die von Heegner verwendete Methode verbluffend einfach ist, wenn mandie imaginar-quadratischen Zahlkorper Q(

√d) mit Diskriminanten d ≤ −11 und Klassenzah-

len h (d) = 1 durch ganzzahlige Gitterpunkte – die sogenannten Heegner-Punkte98 – alsdie von Null verschiedenen Losungen der diophantischen Gleichung (4.6) interpretiert. Man fin-det als einzige Losungen die sechs Paare (0, 0) , (−1,±2) , (1, 0) , (2,±6). Dass dies de facto alleLosungen von (4.6) sind, bewies Deuring nochmals in [De68,S.177,Satz7]. Demzufolge gibt esinsgesamt funf einklassige Korper Q(

√d) mit Diskriminante d ≤ −11 und mit den bereits vier

97Nach dem Schweizer Mathematiker Ludwig Schlafli (1814-1895), der heute als Mitbegrunder desDimensionsbegriffs und der der mehrdimensionalen Geometrie gilt.

98Fur ein ausfuhrliches Resumee sei verwiesen auf den sehr interessanten Artikel von Bryan J.Birch(*1931-) [Bi04], der die Geschichte der Heegner-Punkte exzellent wiedergibt.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 104

bekannten fur d> − 11 existieren somit genau neun imaginar-quadratische Zahlkorper Q(√d)

mit Klassenzahl h (d) = 1.

Trotz der kreativen Beweismethoden von Heegner gab es schon von Beginn an erheblicheBedenken wegen der Richtigkeit der prasentierten Ergebnisse. So leiden diese nicht nur unterder von ihm verwendeten Darstellung, sondern weisen im Gegensatz zu anderen mathematischenVeroffentlichungen auch einen deutlichen Stilbruch auf. Die mangelnde Transparenz und dienur teilweise vollstandig bewiesenen Resultaten erschweren das inhaltliche Verstandnis enorm.Deuring bemerkte dazu (vgl. [De68,S.169]):

”Man muss zugeben, daß Heegners Ausfuhrungen nur sehr schwer verstandlich sind.“

Obwohl die von Heegner veroffentlichte Arbeit sehr inhaltsreich ist, findet sich beispielswei-se in der gesamten Darlegung nicht ein einziger praziser herausgestellter mathematisch Satz.Heegner macht zudem an keiner Stelle deutlich, was seine eigentliche Intention ist. Durch die-sen sprichwortlichen Verlust des roten Fadens merkt der Leser eher beilaufig, dass Heegner(in Abschnitt 9, seiner Arbeit) gerade das Klassenzahl-Eins-Problem bewiesen hat. Sehr vielschwerwiegender ist jedoch, dass neben den stilistischen Problemen erhebliche Zweifel, seitensder Kritiker, an der Richtigkeit der von Heegner gefuhrten Beweismethoden auftreten. Un-ter anderem verwendete Heegner eine bis dato unbewiesene Vermutung von Weber uber dieErzeugung von Ringklassenkorper mittels der Schafli’schen Modulfunktion. Weber, der inseinem Buch [We08,§127,S.469] die Beziehung

(σ (ω))2 =2√σ (ω)

angibt, von der er beweist, dass√σ (ω) im Korper Q(

√d) liegt, vermutete nur, und bestatigte

an vielen Beispielen, dass dies auch fur σ (ω) zutrifft, siehe dazu [We08,§127,S.472]. Heegner,der die Weber’sche Vermutung in seine Arbeit mit einbezieht, bemerkt diesbezuglich nur dasFolgende:

”[...] Diese Einsicht99 ergab sich bei algebraischen Untersuchungen im Gebiete zwei-

er Veranderlicher, auf die ich durch die Beschaftigung mit den reduzierbaren Abel-schen Integralen gefuhrt wurde.“ [He51,§1,S.229]

Zudem liest man spater:

”Die Verwendung des von H. Weber nur induktiv erkannten Ergebnisses wird Ent-

schuldigung finden, wenn ich nochmals versichere, daß es sich um ein Einzelergebnisder oben erwahnten Theorie zweier veranderlicher handelt.“ [He51,§10,S.249]

Trotz einiger von Heegner angegebener Quellen100 kommentiert Deuring – zu den von Hee-gner beschriebenen Einzelergebnissen:

99Heegner meint an dieser Stelle mit Einsicht, die Richtigkeit der Weber’schen Vermutung.100Uber die algebraische Aufgabe, welche in der Reduktions- und Transformationstheorie der algebrai-

schen Funktion auftritt, Journ. f. reine u. angew. Math. Bd.168, S.91-105, 1932. Ferner: DiophantischeUntersuchungen uber reduzierbare Abelsche Integrale, Math. Z. Bd.81, S.457-480 u. 481-497, 1930.

Das Gauss’sche Klassenzahl-Eins-Problem Candy Walter

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 105

”Untersuchungen, uber die leider nichts bekannt geworden ist.“ [De68,S.169]

Durch die Anwendung der Weber’sche Vermutung gibt Heegner schließlich ohne Beweis wie-der, dass aus der Gleichung

σ24 − 4ξ(ζ3 + 4

)σ8 − 16 = 0

die reduzierte Gleichung

σ6 + 2ασ4 + 2βσ2 − 2 = 0 (4.8)

mit ganzalgebraischen Koeffizienten vom Grad h (d) folgt und aus dieser dann schließlich, furden Fall h (d) = 1, die Relation (4.7) resultiert, welche er – wie schon erwahnt – anschließenderfolgreich losen konnte [He51,§5,S.239].

Aufgrund der berechtigten Zweifel an der Stichhaltigkeit des Heegner’schen Beweises, mussteihm die entsprechende Akzeptanz vorerst versagt bleiben.

Beim Lesen der Heegner’schen Arbeit stellt sich die Frage, ob Heegner bewusst in Kauf nahmeinen unvollstandigen Beweis abzuliefern oder, ob es ihm tatsachlich gelang die Weber’sche Ver-mutung auf solch triviale Weise zu verifizieren, dass es seiner Ansicht nach nicht wert gewesenware, diese zu prasentieren. In einem solchen Fall bleibt jedoch offen, wieso er dann alles an-dere wiederholte bis auf diese wesentlich wichtigere, bis dato noch vollig vakante, Vermutungvon Weber. Ich vermute, dass Heegner glaubte, die Weber’sche Vermutung ließe sich mitden von ihm angegebenen Quellen einfach verifizieren und im Nachhinein dann sicherlich aucherkannte, dass dies eben nicht der Fall war. Auch in den Folgejahren sind – soweit ersichtlich –keine weiteren Kommentare Heegners bekannt geworden, in denen er die entstandene Lucke inseinem Beweis korrigierte. Man kommt daher zu dem Schluss, dass es ihm nicht gelungen seinkann die Weber’sche Vermutung vollstandig zu beweisen. Betrachtet man indes die Ergebnissevon Curt Meyer (1919-2011) [Me69,§2], so zeigt sich, dass der Beweis der Weber’schen Ver-mutung wesentlich tiefergehend ist als eine bloße Theorie zweier veranderlicher, wie es Heegnerzu beschreiben versuchte.

Wir widmen uns nun der Losung des Klassenzahl-Eins-Problems und kommen spater noch einmalauf die im Laufe der Zeit erzielten Resultate zur Lucke in Heegners Beweis zuruck.

Das Gauss’sche Klassenzahl-Eins-Problem Candy Walter

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 106

4.3 Die Losungen von Baker-Bundschuh-Hock und

Stark

Wir wollen nun endgultig klaren, dass eine mogliche Ausnahmediskriminante, wie sie von Heil-bronn und Linfoot noch in Erwagung gezogen wurde, nicht existiert. Es waren die Arbeitenvon Stark [St66(2)] und Baker [Ba66], die aufzeigten, dass es mehr als die vermuteten neunimaginar-quadratischen Zahlkorper mit Klassenzahl Eins nicht geben kann.

Der hier vorgestellte Beweis geht auf die 1968 erschienene Arbeit

”Bestimmung aller imaginar-quadratischer Zahlkorper der Klassenzahl Eins

mit Hilfe eines Satzes von Baker.“

von Peter Bundschuh und Alfred Hock [BuHo68] zuruck, welche von Bundschuh am17.September 1968 auf dem VII. Osterreichischen Mathematikerkongress in Linz an der Donauvorgetragen wurde und die sich im Wesentlichen auf eine von Baker [Ba1966] gefundene Metho-de beruft, die es erlaubt eine obere Schranke, fur die eventuell in Frage kommende zehnten Aus-nahmediskriminante, durch analytische Abschatzungen des Betrags einer gewissen Linearformin Logarithmen dreier algebraischer Zahlen anzugeben. Mithilfe der Baker’schen Abschatzungerhalten wir das folgende

Theorem 4.3.1. (Allgemeine Klassenzahl-Eins-Problem)

Sei d<0 Fundamentaldiskriminante eines imaginar-quadratischen Zahlkorpers Q(√

d)

.

Es gibt nur die neun negativen Fundamentaldiskriminanten

d = −3, − 4, − 7, − 8, − 11, − 19, − 43, − 67, − 163,

fur welche die Klassenzahl h (d) den Wert Eins hat.

Fur den Beweis gehen wir ahnlich vor wie beim Theorem 4.1.1 von Heilbronn und Linfoot.Wir nehmen an, es gabe eine zehnte negative Fundamentaldiskriminante d mit Klassenzahlh (d) = 1, und beweisen schließlich das Gegenteil.

Bevor wir starten, sei erwahnt, dass Stark bereits 1966 die von Lehmer aufgestellte obereSchranke d<−5 ·109 in seiner Dissertation [St66(1)] mit der Abschatzung |d| > e2,2·107

entschei-dend verbessern konnte. Fur unser Problem heißt das, wir erhalten eine neue obere Schrankemit

d<− e2,2·107.

Aus den Ergebnissen von Heilbronn und Linfoot sowie dem Lemma 4.1.3 folgt damit, dassdie dubiose negative Ausnahmediskriminante nur eine Primzahl ≡ 3 mod 8 sein kann, fur diedann eben d<− e2,2·107

gilt. Fur die obige Abb. 7 ergibt sich das erweiterte Bild:

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 107

ZAHLENSTRAHL DER DISKRIMINANTENBEREICHE FÜR 0d < MIT ( ) 1h d = BIS 1966

Keine auftretenden Fundamentaldiskriminanten mit Klassenzahl Eins

Bereich der eventuell Bereich der bekannten zehnten Fundamentaldiskriminante Fundamentaldiskriminanten

( )7exp 2,2 10− ⋅ 95 10− ⋅ 515 10− ⋅ 410− 163− 0

d

Obere Schranke von STARK

Obere Schranke von LEHMER

Obere Schranke von DICKSON

Obere Schranke von HEILBRONN und LINFOOT

Abbildung 8: Zahlenstrahl der Diskriminantenbereiche fur d < 0 mit h (d) = 1 bis 1966.

4.3.1 Funktionentheoretische Voruberlegungen

Betrachten wir mit dj (j = 1, 2) zwei verschiedene Primzahlen ≡ 5 mod 8 und mit |d| eine

Primzahl ≡ 3 mod 8, fur die gilt dj< |d|13 und |d| > e2,2·107

. Vorerst legen wir die dj (j = 1, 2)nicht fest. Nach Lemma 4.1.2 gilt fur die Multiplikation zweier L-Reihen die Gleichung

L (s, χj) L (s, χχj) = ζ (2s)(

1− d−2sj

)+

( |d|4

) 12−sπ

12d−1j

Γ(s− 1

2

)

Γ (s)

(d2−2sj − 1

)ζ (2s− 1)+Rj (s) .

Wir splitten die rechte Seite der Gleichung in die zwei Terme T1 und T2 auf:

L (s, χj)L (s, χχj) = ζ (2s)(1− d−2s

j

)︸ ︷︷ ︸

=T1

+

( |d|4

) 12−sπ

12d−1

j

Γ(s− 1

2

)

Γ (s)

(d2−2sj − 1

)ζ (2s− 1) +Rj (s)

︸ ︷︷ ︸=T2

.

Bilden wir nun den Limes fur s→ 1, dann folgt fur T1 sofort:

lims→1

T1 = lims→1

ζ (2s)(

1− d−2sj

)=π2

6

(1− d−2

j

).

Fur T2 machen wir zunachst einige Umformungen, welche sich im Wesentlichen aus den Re-chenregeln des Logarithmus und unter Berucksichtigung der Gleichung Γ(s) = (s− 1)! ergeben,(siehe Kapitel 2, Seite 35). Dann folgt:

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 108

T2 =

( |d|4

) 12−sπ

12d−1j

Γ(s− 1

2

)

Γ (s)

(d2−2sj − 1

)ζ (2s− 1) +Rj (s)

=

√π · e

−s

=−2 log(2)︷ ︸︸ ︷log (1/4) + log(dj)

·(d−2s+2j − 1

)(|d|4

) 12 ·

=(s−3/2)!︷ ︸︸ ︷Γ

(s− 1

2

)ζ (2s− 1)

dj · Γ (s)︸︷︷︸=(s−1)!

+Rj (s)

=

e−s log(dj) ·(√

|d|π·d2j ·e−2s log(dj)+2s log(2)·(s− 3

2)!

2 −√|d|π·e2s log(2)·(s− 3

2)!

2

)ζ (2s− 1)

dj · (s− 1)!+Rj (s) .

Lassen wir nun den Wert s gegen 1 konvergieren, dann ergibt sich schließlich als Grenzwert

lims→1

T2 = − 2π√|d|· log (dj)

dj+Rj (1) .

Folglich liefert Gleichung (4.1) fur s = 1:

L (1, χj) L (1, χχj) =π2

6

(1− d−2

j

)− 2π√

|d|· log (dj)

dj+Rj (1) . (4.9)

Wir multiplizieren Gleichung (4.9) fur j = 1 mit(1− d−2

2

)und fur j = 2 mit

(1− d−2

1

)und

bilden sogleich deren Differenz. Damit verschwindet der Term π2

6

(1− d−2

j

)und es ergibt sich:

(1− d−2

2

)L (1, χ1) L (1, χχ1)−

(1− d−2

1

)L (1, χ2) L (1, χχ2) +

+2π√|d|

((1− d−2

2

) log (d1)

d1−(1− d−2

1

) log (d2)

d2

)=

=(1− d−2

2

)R1 (1)−

(1− d−2

1

)R2 (1) .

(4.10)

Aus Theorem 2.3.8 folgt fur j = 1, 2 und ω = 2:

L (1, χj) =hj (dj) log (εj)√

djbzw. L (1, χχj) =

h′j (dj)π√dj |d|

, (4.11)

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 109

wobei wir mit εj>1 die Grundeinheit eines reell-quadratischen Zahlkorpers Q(√

dj)

und mit

hj (dj) deren zugehorige Klassenzahl bezeichnen. Hingegen sei h′j (dj) die Klassenzahl eines ima-

ginar-quadratischen Zahlkorpers Q(√

djd). Setzen wir nun (4.11) in (4.10) ein, dann folgt:

(1− d−2

2

)h1 (d1) log (ε1)√d1

· h′1 (d1)π√d1 |d|

−(1− d−2

1

) h2 (d2) log (ε2)√d2

h′2 (d2)π√d2 |d|

+

+2π√|d|

((1− d−2

2

) log (d1)

d1−(1− d−2

1

) log (d2)

d2

)=

=(1− d−2

2

)R1 (1)−

(1− d−2

1

)R2 (1) .

Multiplizieren wir noch beide Seiten der Gleichung mit 1πd

21d

22

√|d|, dann ergibt sich:

(d2

2 − 1)

d22

1

πd2

1d22

√|d|h1 (d1) log (ε1)√

d1· h′1 (d1)π√d1 |d|

−(d2

1 − 1)

d21

1

πd2

1d22

√|d| · h2 (d2) log (ε2)√

d2

h′2 (d2)π√d2 |d|

+

+1

πd2

1d22

√|d| · 2π√

|d|

((d2

2 − 1)

d22

log (d1)

d1−(d2

1 − 1)

d21

log (d2)

d2

)=

=1

πd2

1d22

√|d|((

d22 − 1

)

d22

R1 (1)−(d2

1 − 1)

d21

R2 (1)

).

Die Gleichung lasst sich vereinfachen zu:

d1

(d2

2 − 1)h1 (d1)h′1 (d1) log (ε1)− d2

(d2

1 − 1)h2 (d2)h′2 (d2) log (ε2) +

+ 2d1

(d2

2 − 1)

log (d1)− 2d2

(d2

1 − 1)

log (d2) =

=

√|d|π

(d2

1

(d2

2 − 1)R1 (1)− d2

2

(d2

1 − 1)R2 (1)

).

(4.12)

Setzen wir nun auf beiden Seiten der Gleichung (4.12) den Betrag an, dann folgt aus derverscharften Dreiecksungleichung die obere Abschatzung:

∣∣d1

(d2

2 − 1)h1 (d1)h′1 (d1) log (ε1)− d2

(d2

1 − 1)h2 (d2)h′2 (d2) log (ε2) +

+2d1

(d2

2 − 1)

log (d1)− 2d2

(d2

1 − 1)

log (d2)∣∣

≤ 2πd

21d

22

√|d|max |R1 (1)| , |R2 (1)| .

(4.13)

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 110

Diese sogenannte ultrametrische Ungleichung ist von signifikanter Bedeutung. Sie ist der Schlusselzur Losung des Theorems 4.3.1, wenn wir ein Paar verschiedener Primzahlen dj (j = 1, 2) fin-

den konnen, welche zum einen ≡ 5 mod 8 sind und fur die zum anderen dj< |d|13 gilt. Zu-

dem mussen beide Primzahlen der Bedingung genugen, dass die Linearform in Logarithmenaus (4.13), der beiden reell-quadratischen Zahlen ε1, ε2, scharf nach unten abgeschatzt werdenkonnen. Die untere Abschatzung erfolgt schließlich fur fest gewahlte d1, d2 mittels der obenerwahnten Baker’schen Methode. Fur den Betrag der Linearform in (4.13) ergibt sich damitals untere Schranke eine positive Funktion in Abhangigkeit von |d|. Konnen wir daruber hin-aus den Betrag von Rj (1) (j = 1, 2) scharf nach oben abschatzen, so bekommen wir als obereSchranke fur den Betrag unserer Linearformen in (4.13) eine weitere positive Funktion, welchewiederum in Abhangigkeit von |d| steht und von der – wie sich zeigen wird – fur alle |d| mit|d|>e2,2·107

kleinere Werte angenommen werden als von der unteren Schranke. Dies impliziertden gewunschten Widerspruch und folglich die Aussage des Theorems 4.3.1.

Lemma 4.3.1.1. Fur j = 1, 2 gilt die obere Abschatzung

|Rj (1)| < 13 |d|− 12 exp

(−π√|d|/dj

).

Beweis: Aus Lemma 4.1.2 folgt fur s = 1

Rj (1) =1

dj

(|d| 12

2

)−1 ∞∑

y=1

y−1

dj−1∑

m=0

χdj (f (m, y))∑

k 6=0

Jj (k, y, 1) (4.14)

mit

Jj (k, y, 1) =

∫ ∞

−∞

(e− 2πik

dj(m+ y

2 )eπi|d|1/2

djkyu

+ e2πikdj

(m+ y2 )e−πi|d|1/2

djkyu

)(1 + u2

)−1du. (4.15)

Fur (4.14) erhalten wir zunachst:

Rj (1) =2

dj |d|12

∞∑y=1

y−1dj−1∑m=0

χdj (f (m, y))∑k 6=0

Jj (k, y,m)

=∞∑y=1

dj−1∑m=0

χj (f (m, y))∑k 6=0

2

djy|d|12

∫∞−∞

(e− 2πik

dj(m+ y

2 )eπi|d|1/2dj

kyu+ e

2πikdj

(m+ y2 )e−πi|d|

1/2

djkyu)(1 + u2)

−sdu

=∞∑y=1

dj−1∑m=0

χj (f (m, y))∑k 6=0

2

djy |d|12

e− 2πik

dj(m+ y

2 )∫ ∞

−∞eπi|d|1/2dj

kyu (1 + u2

)−1du

︸ ︷︷ ︸=:ψj(k,y,m)

+2

djy |d|12

e2πikdj

(m+ y2 )∫ ∞

−∞e−πi|d|

1/2

djkyu (

1 + u2)−1

du

︸ ︷︷ ︸=:ψj(−k,y,m)

=∞∑y=1

dj−1∑m=0

χj (f (m, y))∑k 6=0

(ψj (k, y,m) + ψj (−k, y,m)) . (4.16)

Das Integral der Funktion ψj (k, y,m) werten wir mittels des Residuensatzes von Cauchy aus

(vgl. [FrBu06,§6]). Zunachst stellen wir fest, dass die Funktion l (u) := eiπ|d|1/2

djkyu (

1 + u2)−1

an

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 111

der Stelle a = i einen Pol erster Ordnung besitzt.

Fur das Residuum folgt daher:

Resj (l; i) = limu→i

(u− i) l (u) = limu→i

eiπky|d|1/2

dju

(u+ i)= − ie

−πky|d|1/2

dj

2.

Das Residuum von l (u) an der Stelle a ist bekanntlich definiert uber das geschlossenes Integral:

2πiResj (l, a) =

∂Gε(a)l (u) du,

um die Kreislinie ∂Gε (a) mit Radius ε>0 und Mittelpunkt a (vgl. [FrBu,S.164]).

Daher ergibt sich fur das Integral bzgl. der Funktion ψj (k, y,m):

∂Gε(i)e−πiky|d|

1/2udj

(1 + u2

)−1du = 2πi

− ie

−πky|d|1/2

dj

2

= πe

−πky|d|1/2

dj .

Damit folgt:

ψj (k, y,m) =2

djy |d|12

e− 2πik

dj(m+ y

2 )∫ ∞

−∞eπidjky|d|1/2

2u (

1 + u2)−1

du

=2π

djy |d|12

e− 2πik

dj(m+ y

2 )−πky|d|1/2

dj .

Entsprechend erhalten wir fur ψj (−k, y,m):

ψj (−k, y,m) =2π

djy |d|12

e2πikdj

(m+ y2 )− πky|d|1/2

dj .

Also insgesamt

ψj (k, y,m) + ψj (−k, y,m) = 2π(djy |d|

12

)−1(e− 2πik

dj(m+ y

2 )−πky|d|1/2

dj + e+ 2πik

dj(m+ y

2 )−πky|d|1/2

dj

)

= 2π(djy |d|

12

)−1e−πky|d|

1/2

dj

(e− 2πik

dj(m+ y

2 )+ e

+ 2πikdj

(m+ y2 ))

︸ ︷︷ ︸=2 cos

(2πkdj

(m+ y2 ))

= 4π(djy |d|

12

)−1e−πky|d|

1/2

dj cos(

2πkdj

(m+ y

2

)).

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 112

Folglich ergibt sich fur den letzten Reihenausdruck aus (4.16)

k 6=0

(ψj (k, y,m) + ψj (−k, y,m)) =∑

k 6=0

4π(djy |d|

12

)−1e−πky|d|

1/2

dj cos

(2πk

dj

(m+

y

2

)).

Setzen wir ϑ := e−πy|d|

1/2

dj mit 0<ϑ < 1, dann folgt:

k 6=0

|(ψj (k, y,m) + ψj (−k, y,m))| =∑

k 6=0

∣∣∣∣∣4π(djy |d|

12

)−1e−πky|d|

1/2

dj cos

(2πk

dj

(m+

y

2

))∣∣∣∣∣

≤ 4π(djy |d|

12

)−1∞∑

k=1

ϑk

= 4π(djy |d|

12

)−1e−πy|d|

1/2

dj (1− ϑ)−1 ,

wobei wir im letzten Schritt die Konvergenz der geometrische Reihe fur 0<ϑ < 1 ausgenutzthaben.

Fur die obere Abschatzung von |Rj (1)| betrachten wir zunachst die beiden Funktionen

f (x) = (1− e−x) und g (x) = 1 + 1x , x 6= 0

grafisch mit

1KeKx 1 C1x

x0 5 10 15 20

0

1

2

3

Vergleich der beiden Grafen f (x) und g (x)

Abbildung 9: Vergleich der Graphen f (x) und g (x)

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 113

Man zeigt nun leicht, dass beide Funktionen keinen gemeinsamen Schnittpunkt besitzen, sodassfur alle x > 0 die Ungleichung erfullt ist mit (1− e−x) < 1 + 1

x .

Also ist

|Rj (1)| ≤∞∑

y=1

y |d| 12

(1 +

dj

πy |d|1/2

)e−πy|d|

1/2

dj ≤ 4π

|d|1/2

(1 +

dj

π |d|1/2

)e−π|d|

1/2

dj

(1− e−

π|d|1/2

dj

)−1

≤ 4π

|d|1/2

(1 +

dj

π |d|1/2

)2

e−π|d|

1/2

dj .

Nach den – auf Seite 110 – gemachten Voruberlegungen sei dj < |d|1/3 und da nach Stark die

Abschatzung |d| > e2,2·107gilt, erhalten wir

dj

|d|1/2<|d|1/3

|d|1/2= |d|−1/6<e−3,6·106

.

Da noch π<12

√13π − 0, 04 ≈ 3, 1553... ist, bekommen wir folglich mit

|Rj (1)| ≤ 4π

|d|1/2

(1 +

dj

π |d|1/2

)2

e−π|d|

1/2

dj ≤

<13︷ ︸︸ ︷4

(1

2

√13π − 0, 04

)

|d|1/2

(1 +

e−3.6·106

π

)2

︸ ︷︷ ︸≈1

e−π|d|

1/2

dj

<13 |d|− 12 exp

(−π√|d|/dj

)

die gewunschte obere Abschatzung und somit die Behauptung des Lemmas.

Bemerkung 4.3.1.2. Setzen wir noch (4.11) in (4.9) ein, so hat dies zur Folge, dass sich furdie in (4.13) vorkommenden Klassenzahlen h′j (j = 1, 2) die oberen Abschatzungen ergeben:

h′j<(π2

6+ |Rj (1)|

)dj |d|1/2

πhj log (εj).

Mit Lemma 4.3.1.2 ist dann, aufgrund von |d| > e2,2·107,

h′j<2dj |d|1/2

πhj log (εj), (j = 1, 2) .

Wir kommen nun zu den effektiven Methoden von Baker [Ba66] und geben zunachst seinHaupttheorem wieder. Baker bezieht sich in seiner 1966 veroffentlichten Arbeit unter anderem

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 114

auf die von Alexander O.Gelfond (1906-1968) [Ge34] und Theodor Schneider (1911-1988) [Sc34] entwickelten Methoden zur Theorie der transzendenten Zahlen. Gelfond undSchneider konnten unabhangig voneinander zeigen, dass der Logarithmus einer algebraischenZahl, mit Ausnahme der 0 und der 1, entweder eine rationale oder transzendente Zahl ist. Damitwar unter anderem das siebte Hilbert’sche Problem101 gelost, welches heute unter den Satzvon Gelfond-Schneider bekannt ist.

4.3.2 Effektive untere Abschatzungen einer festen Linearform

Eine effektive Methode die Menge Q der algebraischen Zahlen abzuzahlen ist die, dass zu jedemalgebraischen Polynom

f (x) := anxn + an−1x

n−1 + ...+ a1x+ a0 ∈ Z [x], mit n ≥ 1

eine positive ganze Zahl H als die sogenannte”Hohe“ definiert wird mit:

H (f) = |an|+ |an−1|+ ...+ |a1|+ |a0|+ n.

In seiner beruhmten Abhandlung publizierte Georg Cantor (1845-1918) 1874, wie sich dieMenge der algebraischen Zahlen bijektiv auf die Menge der naturlichen Zahlen abbilden lasst[Ca74].102 Das heißt, zu jeder festen Hohe H existiert nur eine endliche Anzahl von algebrai-schen Gleichungen, welche dann nur endlich viele algebraische Zahlen erzeugen. Die Hohe H istdemnach eine Funktion:

H : Z [x]→ N.

Beispielsweise ist die Hohe des Polynoms f (x) = 2x4 − 3x+ 5 bestimmt durch

H (f) = 2 + 3 + 5 + 4 = 14.

Und es gibt genau zwei Gleichungen mit der Hohe H = 2, namlich

x = 0 und −x = 0.

Wir geben nun die – fur unsere Zwecke – zugeschnittene Version Baker’schen Haupttheoremswieder, das wir hier als Lemma beweisen und das uns eine untere Abschatzung der logarithmi-schen Linearformen auf der linken Seite von Gleichung (4.13) liefert:

Lemma 4.3.2.1. Seien α1, α2, α3 von 0 und 1 verschiedene algebraische Zahlen derart, dasslog (α1) , log (α2) , log (α3) und 2πi uber den Korper Q linear unabhangig sind. Weiter sei κ>4fest gewahlt. Dann gibt es eine effektiv berechenbare Konstante c := c (α1, α2, α3, κ)>0, sodass

101Die Fragestellung lautete:”

Ist die Potenz αβ immer transzendent, wenn α algebraisch (α 6= 0, α 6= 1)und β irrational und algebraisch ist?“

102Eine elegante Version des Cantor’schen Abzahlbarkeitsbeweises findet man in der Lekture von DirkHoffmann [Ho11,Kap.1.2.2].

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 115

fur alle rationalen Zahlen β1 = p1/q1 und β2 = p2/q2 mit ganzrationalen pi, qi und ggT (pi, qi) =1 fur i = 1, 2 gilt

|β1 log (α1) + β2 log (α2)− log (α3)| ≥ e(− log(H)κ), (4.17)

wobei wir fur die Hohe H setzen, dass H = max (c,H′) mit H′ := max (|p1| , |p2| , |q1| , |q2|).

Die Berechnung der effektiven Konstante schieben wir noch etwas auf. Wir bestimmen zunachstdie beiden rationalen Zahlen β1 und β2. Dafur setzen wir fur κ = 5 und konnen – unter derBedingung, dass wieder dj< |d|1/3 und dj ≡ 5 mod 8 fur j = 1, 2 gilt – fur die linke Seite in(4.13) die beiden Primzahlen d1, d2 frei wahlen. Bei genauer Betrachtung von (4.13) sieht manschnell ein, dass es sinnvoll ist, die beiden Primzahlen moglichst klein zu halten. Von nun ansetzen wir daher d1 = 5 und d2 = 13 und bekommen zunachst aus den beiden letzten Gliedernder linken Seite von (4.13)

2d1

(d2

2 − 1)

log (d1)− 2d2

(d2

1 − 1)

log (d2) = 1670︸︷︷︸≈35·48

log (5)− 624︸︷︷︸=13·48

log (13) ≈ 48 log(535 · 13−13

).

Setzen wir noch

α1 :=1

2

(1 +√

5), α2 :=

1

2

(3 +√

13)

und α3 := 535 · 13−13 ≈ 9, 6091 · 109, (4.18)

dann gilt fur die linke Seite in (4.13) insgesamt

∣∣∣∣∣∣−840︸ ︷︷ ︸

=−48·35/2

h1 (5)︸ ︷︷ ︸=1

h′1 (d1) log (α1) + 312︸︷︷︸=48·13/2

h2 (13)︸ ︷︷ ︸=1

h′2 (d2)2 log (α2)− 48 log (α3)

∣∣∣∣∣∣= 48

∣∣∣∣−35

2h′1 (d1) log (α1) +

13

2h′2 (d2)2 log (α2)− log (α3)

∣∣∣∣ .

1

(4.19)

Dabei haben wir verwendet, dass die Klassenzahlen der reell-quadratischen Zahlkorper Q(√

5)

und Q(√

13)

den Wert Eins haben (vgl. diesbezuglich [Sc27]). Damit erhalten wir schließlichdie nicht verschwindenden algebraischen Zahlen

β1 := −35

2h′1 (d1) und β2 := −13

2h′2 (d2) . (4.20)

Mit Bemerkung 4.3.1.2 und der Definition von H′ aus dem Lemma 4.3.2.1 folgt dann:

H′ ≤ max(35h′1, 13h′2

)<232

√|d|. (4.21)

Die drei algebraischen Zahlen aus (4.18) erfullen die Voraussetzung der linearen Unabhangigkeituber Q [Ba66,Cor.1]. Daher konnen wir sie zusammen mit den definierten Großen aus (4.20) furden Betrag der linken Seite von (4.17) anwenden.

Um diese Großen nutzbar zu machen, benotigen wir noch die positive Konstante c. Sie zu be-stimmen wird der schwierigste Teil des Beweises zur Losung des Klassenzahl-Eins-Problems.

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4.3.3 Berechnung der positiven Konstante c

Fur die Bestimmung der positiven Konstante c nehmen wir zunachst an, dass fur unsere festgewahlten Zahlen aus (4.18) und (4.20) das Lemma 4.3.2.1 nicht erfullt sei. Fur (4.17) heißt das:

|β1 log (α1) + β2 log (α2)− log (α3)|<e(− log(H)5). (4.22)

Da fur jede komplexe Zahl s die Ungleichung |es − 1| ≤ |es| − |1| ≤ |s|︸︷︷︸≤1

e|s| erfullt ist, folgt fur

(4.22)

∣∣∣αβ11 · αβ2

2 − α3

∣∣∣< |α3| e(− log(H)5+1) = α3e(− log(H)5+1). (4.23)

Wir definieren noch

τ = [log (H)] , k =[τ9/8

]und L =

[k53/54

], (4.24)

wobei [·] die bekannte Gaussklammer bezeichne. Wir erhalten damit:

Lemma 4.3.3.1. Ist τ ≥ 1096, so gibt es fur

α1 =1

2

(1 +√5), α2 =

1

2

(3 +√13), α3 = 535 · 13−13 ≈ 9, 6091 · 109, β1 = −

35

2h′1 (d1) , β2 = −

13

2h′2 (d2)

von Null verschiedene ganzrationale Zahlen p (λ1, λ2, λ3) mit Absolutbetragen ≤ e2τk derart, dassdie Funktion

Φ (z1, z2) =

L∑

λ1=0

L∑

λ2=0

L∑

λ3=0

p (λ1, λ2, λ3)αγ1,z11 αγ2,z2

2

fur alle naturlichen Zahlen l ≤ τ sowie alle nichtnegativen ganzen Zahlen m1,m2 mit m1 +m2 ≤k der Bedingung

|Φm1,m2 (l, l)| ≤ e− τ5

2 (4.25)

genugt.Dabei definieren wir γi = λi + λ3βi fur i = 1, 2 und setzen ferner

Φm1,m2 (l, l) =

(∂

∂z1

)m1(∂

∂z1

)m1

Φ (z1, z2) |z1=z2=l

Beweis: Wir bestimmen als Erstes die p (λ1, λ2, λ3) so, dass fur die oben genannten Zahlenm1,m2, l gilt:

L∑

λ1=0

L∑

λ2=0

L∑

λ3=0

p (λ1, λ2, λ3)αλ1l1 αλ2l

2 αλ3l3 γm1

1 γm22︸ ︷︷ ︸

:=ti(λ1,λ2,λ3;m1,m2,l)

= 0. (4.26)

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 117

Anschließen zeigen wir, dass sich die Bedingung (4.25) aus (4.26) gewinnen lasst. Betrachten wirzunachst die bekannte Binomialformel mit

(x+ y)σ =∑σ

ρ=0

(σρ

)xσ−ρyρ mit x, y ∈ R und σ ∈ N

und setzen fur γi := (x+ y) , mi := σ, µi := ρ, λi := x, (λ3βi) := y, dann folgt fur diese

γmii =

mi∑

µi=0

(mi

µi

)λmi−µii (λ3βi)

µi fur i = 1, 2. (4.27)

Aus (4.27) folgt dann fur die algebraischen Zahlen α1, α2, α3 mit n ≥ 1 die Gleichung 2nαn1 =(1 +√

5)n

= A(1)n +

√5B

(1)n , wobei A

(1)n , B

(1)n ≤

(2√

5)n

naturliche Zahlen sind. Analog erhalten

wir 2nαn2 =(3 +√

13)n

= A(2)n +

√13B

(2)n mit naturlichen A

(2)n , B

(2)n ≤

(2√

13)n

. Fur (4.26) giltdann:

m1∑

µ1=0

m2∑

µ2=0

(m1

µ1

)(m2

µ2

)λm1−µ11 λm2−µ2

2 λµ1+µ23 βµ11 βµ22 α

λ3l3 2−(λ1+λ2)l

(A

(1)λ1l

+√5B

(1)λ1l

)(A

(2)λ2l

+√13B

(2)λ2l

).

1

(4.28)

Fur das Produkt der beiden letzten Klammern in (4.28) erhalten wir

(A

(1)λ1l

+√

5B(1)λ1l

)(A

(2)λ2l

+√

13B(2)λ2l

)= A

(1)λ1lA

(2)λ2l︸ ︷︷ ︸

=s0

+A(2)λ2lB

(1)λ1l︸ ︷︷ ︸

=s1

√5 +A

(1)λ1lB

(2)λ2l︸ ︷︷ ︸

=s2

√13 +B

(1)λ1lB

(2)λ2l︸ ︷︷ ︸

=s3

√65

= s0 + s1

√5 + s2

√13 + s3

√65,

wobei die si=0,1,2,3 naturliche Zahlen sind mit si ≤(2√

5)λ1l (

2√

13)λ2l

. Multiplizieren wir (4.28)

noch mit 22Ll+k1313Ll, dann erhalten wir einen Ausdruck der Gestalt t0 + t1√

5 + t2√

13 + t3√

65mit ganzrationalen Zahlen ti=0,1,2,3, da 1313α3, 2β1, 2β2 wegen α1, α2, α3, β1, β2 ganzrational sind.Die von λ1, λ2, λ3 abhangigen Großen ti=0,1,2,3 genugen - fur die uns interessierenden Großenm1,m2, l – der oberen Abschatzung:

|ti| ≤ U := cLτ2

(4H′L

)kmit c2 = 131353516

√65. (4.29)

Wir setzen ti = ti (λ1, λ2, λ3;m1,m2, l) fur i = 0, 1, 2, 3 und fordern:

L∑

λ1=0

L∑

λ2=0

L∑

λ3=0

p (λ1, λ2, λ3) ti (λ1, λ2, λ3;m1,m2, l) = 0 fur i = 0, 1, 2, 3, (4.30)

dann gilt sicher (4.26). Das System (4.30) besteht nun aus genau M := 4 · 0, 5 (k + 1) (k + 2) τlinearen homogenen Gleichungen fur die N := (L + 1)3 Unbekannten p (λ1, λ2, λ3) mit den

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abgeschatzten Koeffizienten ti=0,1,2,3 aus (4.29). Wir bestimmen nun zunachst eine Zahl τ0,sodass fur alle τ ≥ τ0 die Ungleichung erfullt ist mit:

(L + 1)3 ≥ 2M = 4τ (k + 1) (k + 2) = 4τ(k2 + 3k + 2

). (4.31)

Mittels des Dirichlet’schen Schubfachschlusses ist die Existenz von Null verschiedener ganz-rationaler Zahlen p (λ1, λ2, λ3) gesichert [Ba66,Lemma1], fur welche die Ungleichung erfullt ist:

|p (λ1, λ2, λ3)| ≤ NU = (L + 1)3 cLτ2

(4H′L

)k. (4.32)

Wir fordern nun, dass die Abschatzung |p (λ1, λ2, λ3)| ≤ e2τk gilt. Dafur bestimmen wir eineweitere Zahl τ1, sodass fur alle τ ≥ τ1 und unter Berucksichtigung von H′ ≤ H die Ungleichungerfullt ist mit

(L + 1)3 cLτ2 (4HL)k ≤ e2τk, (4.33)

wobei c2 = 131353516√

65.

Betrachten wir als Erstes die Ungleichung (4.31). So gilt fur τ ≥ 2 zum einen die Abschatzung

(L + 1)3>k53/18 =[τ9/8

]53/18>(τ9/8 − 1

)53/18≥(

0.5τ9/8)53/18

= 2−53/18τ53/16>0, 125τ53/16,

(4.34)

wobei man leicht zeigt103, dass die Ungleichung(τ9/8 − 1

)≥(0.5τ9/8

)fur alle τ ≥ 2 erfullt ist.

Zum andern erhalten wir:

(L+ 1)3 = 4τ (k + 1) (k + 2) = 4τ(k2 + 3k + 2

)= 4τ

([τ 9/8

]2+ 3

[τ 9/8

]+ 2)≤ 4τ

(τ 9/4 + 3τ 9/8 + 2

).

Die letzte Funktion f (τ) = 4τ(τ9/4 + 3τ9/8 + 2

)schatzen wir weiter durch die Funktion g (τ) =

24τ52/16 nach oben ab. Die nachfolgende Abbildung 10 zeigt die Graphen der beiden Funktionen.Man verifiziert leicht, dass die Differenz ∂

∂τ (g − f) der erste Ableitung von beiden Funktionenfur τ ≥ 2 nirgendwo negativ ist (Monotoniebetrachtung). Daher ist die Ungleichung erfullt mit4τ(τ9/4 + 3τ9/8 + 2

)≤ 24τ52/16.

103Aus(τ9/8 − 1

)≥(0.5τ9/8

)erhalten wir durch aquivalente Umformungen τ9/8 ≥ 2 . Diese ist erfullt

fur alle τ ≥ 2 .

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 119

4 t t

94

C t

98

C 2 24 t5216

t

0 5 10 15 200

100

200

300

400

500

Vergleich der Graphen f () und g ( )Abbildung 10: Vergleich der Graphen f (τ) und g (τ)

Damit erhalten wir insgesamt:

(L+ 1)3 = 4τ(k2 + 3k + 2

)= 4τ

([τ 9/8

]2+ 3

[τ 9/8

]+ 2)≤ 4τ

(τ 9/4 + 3τ 9/8 + 2

)≤ 24τ 52/16

1

(4.35)

Aus (4.34) und (4.35) folgt nun, dass (4.31) genau dann erfullt ist, wenn wir verlangen das0, 125τ53/16 ≥ 24τ52/16 gilt. Die Ungleichung formen wir um und erhalten aquivalent τ ≥ 19216.Also setzen wir voraus, dass (4.31) fur alle τ ≥ τ0 = 19216 richtig ist.

Betrachten wir nun (4.33). Wegen c2 = 131353516√

65 ≈ 1, 13708355 · 1041 ist log (c2) ≈94, 53445093...<95. Nun ist τ = [log (H)]>e, und damit

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 120

log(

(L + 1)3 cLτ2 (4HL)k)

= 3 log (L + 1)︸ ︷︷ ︸<L

+Lτ log (c2)︸ ︷︷ ︸<95

+k log (4HL)

<3L + 95Lτ + k(2 log (2) + log (H) + 53

54 log (k))

<3L + 95Lτ + k

2 log (2)︸ ︷︷ ︸≈1,386...

+τ +53

54· 9

8︸ ︷︷ ︸≈1,104...

log (τ)

< 3L + 95Lτ + k (3 + τ + 2 log (τ))

<(τ9/8

)53/54(3 + 95τ) + k (3 + τ + 2 log (τ))

< 98τ1+53/48 + k (τ + 5 log (τ)) .

Wenden wir noch auf beiden Seiten die Exponentialfunktion an, so ist schließlich

e98τ1+53/48+k(τ+5 log(τ)) > elog((L+1)3cLτ2 (4HL)k) = (L + 1)3 cLτ2 (4HL)k .

Also ist (4.33) genau dann erfullt, wenn 98τ1+53/48 + k (τ + 5 log (τ)) ≤ 2τk gilt. Wie sich leichtzeigen lasst, ist dies genau dann der Fall wenn τ ≥ τ1 = 10048 = 1096 gilt. Als letzten Schritt zei-gen wir, dass (4.25) aus (4.26) folgt. Dafur multiplizieren wir (4.26) mit (log (α1))m1 (log (α2))m2

und erhalten

S := (log (α1))m1 (log (α2))m2

L∑

λ1=0

L∑

λ2=0

L∑

λ3=0

p (λ1, λ2, λ3)αλ1l1 αλ2l

2 αλ3l3 γm1

1 γm22 = 0.

Nun ist

|Φm1,m2 (l, l)| = |Φm1,m2 (l, l)− S|

≤ (log (α1))m1 (log (α2))

m2∑

(λ) |p (λ)|αλ1l1 αλ2l2 |γm11 | |γm2

2 |∣∣∣∣(αβ11 α

β22

)λ3l− αλ3l3

∣∣∣∣

≤ (log (α1))m1 (log (α2))

m2

∣∣∣αβ11 αβ22 − α3

∣∣∣∑

(λ) |p (λ)|αλ1l1 αλ2l2 |γm11 | |γm2

2 |λ3l (α3 + 1)λ3l .

Wobei wir im letzten Schritt (4.23) mit

αβ11 α

β22 < α3 + α3e

(− log(H)5+1) < α3 + α3e(−τ5+1) < α3 + 1

verwendet haben, was wegen log (α3) = log(535 · 13−13

)≈ 22, 9859 < 23 fur alle τ> 5

√24 ≈ 2

richtig ist. Weiter folgt mit (4.18), log (α1) < log (α2) < 2 und mit (4.20) fur i = 1, 2 dieAbschatzung |γi| ≤ λi + λ3 |βi| ≤ 2H′L ≤ 2HL. Wegen (4.23) gilt dann sicher fur

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 121

τ ≥ max (τ0, τ1) = max(19216, 1096

)= τ1 = 1096,

die Abschatzung

|Φm1,m2 (l, l)| ≤ (log (α1))m1 (log (α2))

m2

∣∣∣αβ11 αβ22 − α3

∣∣∣∑

(λ) |p (λ)|αλ1l1 αλ2l2 |γm11 | |γm2

2 |λ3l (α3 + 1)λ3l

≤ 2m1 · 2m2e(− log(H)5+1) (L + 1)4 e2τk8Lτ (2HL)m1 (2HL)m2 τ (536 · 13−13)Lτ

≤ 2ke(−τ5+1) (L + 1)4 e2τk8Lτ (2HL)k τ (536 · 13−13)

Lτ.

Bilden wir auf beiden Seiten den Logarithmus, dann ist

log (|Φm1,m2 (l, l)|) < log(

2ke(−τ5+1) (L + 1)4 e2τk8Lτ (2HL)k τ (536 · 13−13)

Lτ)

=

= log(2k)

+ (1− τ 5) + log((L + 1)4

)+ 2τk + log

(8Lτ)

+ log(

(2HL)k)

+ log(τ (536 · 13−13)

Lτ)

= 2 log(2k)

+ (1− τ 5) + log((L + 1)4

)+ 2τk + log (8)Lτ + k log (H)︸ ︷︷ ︸

+ log (L)k + log(τ (536 · 13−13)

Lτ)

< 2 log(2k)

+ log((L + 1)4

)+ log (8)Lτ + log (L)k + log (τ) + log (536 · 13−13)

Lτ+ 1− τ 5 + 3τk.

Wir sehen, dass neben −τ5 auch noch der Term 3τk auftritt und sonst nur Terme kleinererOrdnung in τ , deren gesamte Summe fur τ ≥ τ1 = 1096 nicht großer ist als τk. Daher gilt bereitsfur alle τ ≥ 2

log (|Φm1,m2 (l, l)|) < τk − τ5 + 3τk = 4τk − τ5 = 4τ[τ9/8

]− τ5 ≤ −1

2τ5

und mit (4.25) folglich:

|Φm1,m2 (l, l)| ≤ e− 12τ5.

Auf der Basis der Bedingungen des Lemmas 4.3.3.1 folgt nun analog das:

Lemma 4.3.3.2. Seien τ ≥ 1096 und p (λ1, λ2, λ3) von Null verschiedene ganzrationale Zahlen,dann gilt fur die mit

α1 =1

2

(1 +√

5), α2 =

1

2

(3 +√

13), α3 = 535 · 13−13, β1 = −35

2h′1 (d1) , β2 = −13

2h′2 (d2)

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 122

gebildete Funktion

Φ (z1, z2) =

L∑

λ1=0

L∑

λ2=0

L∑

λ3=0

p (λ1, λ2, λ3)αγ1z11 αγ2z2

2

mit γi = λi + λ3βi fur i = 1, 2 die obere Abschatzung

|Φm1,m2 (z1, z2)| ≤ e4τkcL|z|5

mit c5 = α1α2 (1 + α3) < 112 53513−13, wobei z ∈ C und m1,m2 ∈ N mit m1 +m2 ≤ k.

Fur τ ≥ 1696 gilt daruber hinaus fur alle m1,m2 ∈ N mit m1 + m2 ≤ k und fur alle l ≤ τ31/8

entweder

|Φm1,m2 (l, l)| ≤ e− 12τ5

(4.36)

oder

|Φm1,m2 (l, l)| ≥ e−13τkc−Ll6 mit c6 < e209.

Beweis: Zunachst folgt – wie im Beweis von Lemma 4.3.3.1

Φ (z, z) =L∑

λ1=0

L∑

λ2=0

L∑

λ3=0

p (λ1, λ2, λ3) (αγ11 α

γ22 )

zγm1

1 γm22 .

Multiplikation der linken Seite mit (log (α1))m1 (log (α2))m2 liefert

Φm1,m2 (z, z) = (log (α1))m1 (log (α2))m2

L∑

λ1=0

L∑

λ2=0

L∑

λ3=0

p (λ1, λ2, λ3) (αγ11 α

γ22 )

zγm1

1 γm22 . (4.37)

Da log (α1) < log (α2) < 2 und mittels (4.20) die Abschatzung |γi| ≤ λi + λ3 |βi| ≤ 2H′L ≤ 2HL

fur i = 1, 2 folgt, erhalt man mit (4.23) – wie oben gesehen – die Abschatzung 0 < αβ11 α

β22 <

α3 +α3e(− log(H)5+1) < α3 + 1, welche fur alle τ ≥ 2 richtig ist. Verwenden wir noch (4.33), dann

folgt fur den Betrag von (4.37) die obere Abschatzung:

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 123

|Φm1,m2 (z, z)| = (log (α1))m1 (log (α2))m2

L∑

λ1=0

L∑

λ2=0

L∑

λ3=0

∣∣p (λ1, λ2, λ3) (αγ11 α

γ22 )

zγm1

1 γm22

∣∣

≤ 2m1 · 2m2 (L + 1)3 cLτ2 (4HL)k (αγ11 α

γ22 )

zγm1

1 γm22

≤ 2m1 · 2m2 (L + 1)3 cLτ2 (4HL)k (αγ11 α

γ22 )

z(2HL)m1 (2HL)m2

≤ 2ke2τk (L + 1)3 (α1α2 (1 + α3))︸ ︷︷ ︸=c5

L|z|(2HL)k

= e2τk (L + 1)3 (4HL)k cL|z|5 .

Nach Voraussetzung ist c5 = α1α2 (1 + α3) < 112 53513−13. Fur die erste Behauptung des Lemmas

ist damit nur noch zu zeigen, dass fur τ ≥ 1096 die obere Abschatzung erfullt ist mit

(L + 1)3 (4τL)k ≤ e2τk.

Wir bilden den Logarithmus und erhalten

log(

(L + 1)3 (4τL)k)

= 3 log (L + 1)︸ ︷︷ ︸<k

+k (log (4) + log (τ) + log (L)) ≤ 2τk.

Also ist die Ungleichung genau dann erfullt, wenn

12 (3 + log (4) + log (τ) + log (L)) ≤ τ

gilt. Dies zeigt sich leicht uber die Abschatzung

1

2(3 + log (4) + log (τ) + log (L)) ≤ 1

2

3 + log (4)︸ ︷︷ ︸

≈4,38...

+ log (τ) +53

48log (τ)

≤ 2 + 2 log (τ) ≤ τ,

welche fur alle τ ≥ 3 richtig ist. Also erst recht fur alle τ ≥ 1096. Damit ist der erste Teil desLemmas bewiesen und wir erhalten schließlich die obere Abschatzung:

|Φm1,m2 (z1, z2)| ≤ e4τkcL|z|5 . (4.38)

Fur den zweiten Teil setzen wir zunachst P = 1313Llbm11 bm2

2 , wobei die bi=1,2 gerade die Nenneraus (4.20) der rationalen Zahlen βi=1,2 entsprechen. Das heißt, es ist b1 ≥ 1 und b2 ≤ 2. Nunsetzen wir

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 124

Ω = P

L∑

λ1=0

L∑

λ2=0

L∑

λ3=0

p (λ1, λ2, λ3)αγ1l1 αγ2l

2 αγ3l3 γm1

1 γm22 (4.39)

und erhalten eine ganzalgebraische Zahl vom Grad ≤ 4 (vgl. [BuHo68,S.199]), deren KonjugierteΩ sich Betragsmaßig abschatzen lasst uber

∣∣Ω∣∣ ≤ (L + 1)3 e2τk2Ll

(7

3

)Ll

535Ll (4HL)k .

Wie oben ist hier wieder (L + 1)3 (4τL)k ≤ e2τk, also

∣∣Ω∣∣ ≤ (L + 1)3 e2τk2Ll

(7

3

)Ll

535Ll (4HL)k ≤ e4τk2Ll

(7

3

)Ll

535Ll = e4τk(

2 · 7

3· 535

)Ll

≤ e4τk(7 · 535

)Ll.

Ist zudem Ω 6= 0, dann folgt

|Ω| =∣∣Ω∣∣ ≥

(cLl9 e

4τk)−3

mit c9 = 7 · 535. (4.40)

Wir schatzen die Differenz von (4.37) und (4.38) ab und erhalten mit (4.23):

∣∣∣((log (α1))m1 (log (α2))m2)−1 Φm1,m2 (l, l)−(1313Llbm1

1 bm22

)−1Ω∣∣∣ ≤

≤∑(λ) |p (λ)| |γ1|m1 |γ2|m2 αλ1l1 αλ2l

2

∣∣∣∣(αβ1

1 αβ22

)λ3l − αλ3l3

∣∣∣∣

≤ (L + 1)3 e2τk (2HL)k Ll ((α1α2) (1 + α3))︸ ︷︷ ︸=c5

Lle(1−τ5).

Wir zeigen nun, dass fur alle τ ≥ 1696 die letzte Abschatzung kleiner gleich e(−78τ5) ist. Dazu

logarithmieren wir wieder beide Seiten und erhalten

log(∣∣∣((log (α1))

m1 (log (α2))m2)

−1Φm1,m2 (l, l) −

(1313Llbm1

1 bm22

)−1Ω∣∣∣)≤

≤ log

(L + 1)3 e2τk (2HL)k Ll((α1α2) (1 + α3))︸ ︷︷ ︸

=c5

Lle(1−τ5)

≤ log (L3 + 3L2 + L + 1) + 2τk + k log (2) + k log (H)︸ ︷︷ ︸<τ

+k log (L) + log (L) + log (l) + Ll log (c5)︸ ︷︷ ︸<24,7

+1 − τ 5,

nun ist l ≤ τ ≤ τ31/8 und

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 125

k =[τ9/8

]≤ τ9/8 sowie L =

[k53/54

]=[τ53/48

]≤ τ53/48.

Fur die obige Abschatzung folgt damit weiter:

≤ 4L + 3τk + k (2 + log (L)) + 24, 7Lτ31/8 + 4 log (τ) + 1

≤ 4 τ53/48︸ ︷︷ ︸≤τ17/8

+3τ17/8 + 2 τ9/8︸︷︷︸≤τ17/8

+53

48τ9/8 log (τ)︸ ︷︷ ︸

+24, 7 τ1643/384︸ ︷︷ ︸≤τ239/48

+ 1 + 4 log (τ)︸ ︷︷ ︸≤5τ17/8

≤ 16τ17/8 + 24, 7τ239/48

≤ 16τ17/8 + 24, 7τ239/48

≤ 25τ239/48 ≤ 1

8τ5,

wobei der letzte Schritt genau dann erfullt ist, wenn τ ≥ 20048 =(10√

2)96

gilt. Bilden wir dieExponentialfunktion, dann haben wir schließlich

∣∣∣∣((log (α1))m1 (log (α2))m2)−1 Φm1,m2 (l, l)−(

1313Llbm11 bm2

2

)−1Ω

∣∣∣∣ ≤ e−78τ5. (4.41)

Fur (4.41) unterscheiden wir die beiden Falle mit Ω = 0 und Ω 6= 0.

Sei zunachst Ω = 0, dann folgt

|Φm1,m2 (l, l)| ≤ log (α2)k e−7/8τ5= k︸︷︷︸≤τ9/8

log (α2)︸ ︷︷ ︸<2

e−7/8τ5 ≤ eτ9/8−7/8τ5 ≤ e− 12τ5

und damit (4.36). Die letzte Ungleichung ist – wie man leicht zeigt – bereits fur alle τ ≥(8/3)8/31 ≈ 1, 288... erfullt.

Ist nun Ω 6= 0, dann erhalten wir eine untere Abschatzung mit

|Φm1,m2 (l, l)| ≥ (log(α1))m1 (log(α2))m2

1313Llbm11 b

m22

∣∣Ω∣∣+

− (log (α1))m1 (log (α2))m2

∣∣∣ Φm1,m2 (l,l)

(log(α1))m1 (log(α2))m2 − Ω1313Llb

m11 b

m22

∣∣∣ .

Hieraus folgt mit (4.40) und (4.41) und mithilfe der beiden Abschatzungen

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 126

(log (α1))m1 (log (α2))

m2 ≥ (log (α1))m1+m2 ≈ (0, 4812...)m1+m2 ≥

(25

)kund 1313Llbm1

1 bm22 ≤ 1313Ll · 2k,

dass

|Φm1,m2 (l, l)| ≥ 5−k(1313c3

9

)−Lle−12τk − eτ9/8− 7

8τ5

(4.42)

gilt. Aus (4.40) entnehmen wir c9 und setzen c6 = 1313 ·c39 = 1313 ·

(7 · 535

)3 ≈ 2, 561·1090 < e209.

Den letzte Term konnen wir leicht abschatzen mit eτ9/8− 7

8τ5< e−

1720τ5

, was erfullt ist fur alleτ > (40)8/31 ≈ 2, 59.... Damit ergibt sich fur (4.42)

|Φm1,m2 (l, l)| ≥ 5−k(1313c3

9

)−Lle−12τk − eτ9/8− 7

8τ5 ≥ 5−kc−Ll6 e−12τk − e− 17

20τ5. (4.43)

Sei nun l ≤ τ31/8. Wir betrachten den letzten Term −e− 1720τ5

aus (4.43) separat. Fur den erstenTerm 5−kc−Ll6 e−12τk zeigt sich leicht (durch Logarithmieren), dass dieser fur alle τ ≥ log (5) ≈1, 609... großer gleich c−Ll6 e−13τk ist. Damit folgt fur (4.43)

|Φm1,m2 (l, l)| ≥ 5−k (c6)−Ll e−12τk − eτ9/8− 78τ5 ≥ c−Ll6 e−13τk − e− 17

20τ5. (4.44)

Betrachten wir noch den letzten Term von (4.43). Dann ist die letzte Abschatzung des Lemmasgenau dann erfullt, wenn

−e− 1720τ5 ≥ 5−k (c6)−Ll e−12τk.

Wir logarithmieren und erhalten

17

20τ5 ≥ k log (5)︸ ︷︷ ︸

<1

+209Ll + 12τk ≥ 13τ17/8 + 209τ239/48,

wobei wir log(c3

9

)= log

(1313 ·

(7 · 535

)3) ≈ 208, 149... < 209 abgeschatzt haben. Die letzte

Ungleichung schatzen wir noch mit 1720τ

5 ≥ 210τ239/48 ab.

Nun ist diese genau dann richtig, wenn τ ≥ (4200/17)48 =(√

247, 058...)

︸ ︷︷ ︸<16

96> 1696 ist. Dies

impliziert schließlich die Behauptung des Lemmas:

|Φm1,m2 (l, l)| ≥ c−Ll6 e−13τk − e− 1720τ5 ≥ c−Ll6 e−13τk.

Nachfolgend zeigen wir nun, dass die obere Abschatzung (4.36) auch fur einen großeren Bereichvon l ∈ N richtig bleibt.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 127

Lemma 4.3.3.3. Sei τ ≥(2235

)96und J eine ganzrationale Zahl im Intervall 0 ≤ J ≤ 225.

Dann gilt fur die mit

α1 =1

2

(1 +√

5), α2 =

1

2

(3 +√

13), α3 = 535 · 13−13, β1 = −35

2h′1 (d1) , β2 = −13

2h′2 (d2)

gebildete Funktion

Φ (z1, z2) =L∑

λ1=0

L∑

λ2=0

L∑

λ3=0

p (λ1, λ2, λ3)αγ1z11 αγ2z2

2

mit γi = λi + λ3βi fur i = 1, 2 die obere Abschatzung (4.36):

|Φm1,m2 (l, l)| ≤ e− 12τ5

fur alle naturlichen l ≤ τkJ/108 und jedes Paar naturlicher ganzrationaler Zahlen m1,m2 mitm1 +m2 ≤ 2−Jk.

Beweis: Fur J = 0 folgt die Behauptung aus Lemma 4.3.3.1. Sei also J 6= 0 mit J = 0, 1, 2, ...,Ξfur 0 ≤ Ξ ≤ 224. Angenommen die Behauptung des Lemmas 4.3.3.3 sei richtig, dann zeigen wirinduktiv, dass dies auch fur J = Ξ + 1 zutrifft. Zunachst definieren wir:

RJ =[τkJ/108

], SJ =

[2−Jk

]und fm (r) =

(∂

∂z1+

∂z2

)mΦm1,m2 (z1, z2) |z1=z2=r (4.45)

und beweisen als erstes, dass |Φm1,m2 (l, l)| ≤ e−12τ5

fur alle ganzzahligen l mit RΞ < l ≤ RΞ+1

und alle Paare (m1,m2) mit m1,m2 ≥ 0 und m1 +m2 ≤ SΞ+1 richtig ist. Fur alle m ≥ 0 ist

fm (r) =m∑

µ=0

(mµ

)Φm1+µ,m2+m−µ (r, r)

und wegen der Induktionsvoraussetzung |Φm1,m2 (l, l)| ≤ e− 12τ5

ist daher fur alle 0 ≤ m ≤ SΞ+1

und fur alle naturlichen r ≤ RΞ die obere Abschatzung erfullt mit

|fm (r)| ≤ 2me−12τ5, (4.46)

wobei wir

m∑

µ=0

(mµ

)=

m∑

µ=0

(mµ

)1m−µ · 1µ = (1 + 1)m = 2m

verwendet haben (vgl. [Fr03,Folgerung 4.5]). Setzen wir nun f (z) := Φm1,m2 (z, z) und F (z) :=

((z − 1) · · · (z −RΞ))SΞ+1+1, dann folgt mit dem Residuensatz

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 128

1

2πi

f (z)

(z − l)F (z)dz =

f (l)

F (l)+

1

2πi

RΞ∑

r=1

SΞ+1∑

m=0

fm (z)

m!

Γr

(z − 1)m

(z − l)F (z)dz, (4.47)

wobei nach Voraussetzung RΞ < l ≤ RΞ+1 gilt. Ferner bezeichne Γr = z ||z − r| = 1/2 einefur r = 1, ..., RΞ im positiven Sinne um r beschriebene komplexe Kreisflache mit Radius 1/2.CΞ = z ||z| = ρΞ sei hingegen eine im positiven Sinne um den Ursprung beschriebene komple-

xe Kreisflache mit dem Radius ρΞ =RΞ(SΞ+1+1)

L log(c5) .

Den Ausdruck ρΞ schatzen wir nun nach unten ab. Zunachst erhalten wir fur alle Ξ ≥ 0

ρΞ >1

50τkΞ/108k1/542−(Ξ+1). (4.48)

Weiter ist 2RΞ+1 = 2[τk

Ξ+1108

]≤ 2τk

Ξ+1108 = 2τk

Ξ108 ·k 1

108 , und da nach Voraussetzung τ ≥(2235

)96

gilt, erhalten wir k1/108 ≥ τ1/96 ≥(2235/96

)96= 2235 > 100 · 2Ξ+1 fur alle 0 ≤ Ξ ≤ 224. Also gilt

fur 2RΞ die obere Schranke:

2RΞ+1 ≤ 2τkΞ

108 · k 1108 ≤ 2τk

Ξ108 · 100 · 2Ξ+1. (4.49)

Setzen wir (4.49) in (4.48) ein, dann folgt schließlich fur die untere Abschatzung von ρΞ

ρΞ >1

50τkΞ/108k1/542−(Ξ+1) >

1

2 · 50 2τkΞ/108 · 100 · 2Ξ+1︸ ︷︷ ︸

≥2RΞ+1

·k1/54 · 2−(Ξ+1) ≥ 2RΞ+11

100· k1/54 · 2−(Ξ+1)> 2RΞ+1.

Damit existiert eine untere Schranke fur ρΞ, die stets großer ist als die obere Schranke fur 2RΞ+1.

Wir losen nun (4.47) nach f (l) auf und erhalten:

f (l) = F (l)

1

2πi

f (z)

(z − l)F (z)dz − 1

2πi

RΞ∑

r=1

SΞ+1∑

m=0

fm (z)

m!

Γr

(z − 1)m

(z − l)F (z)dz

. (4.50)

Den Betrag |f (l)| schatzen wir nun nach oben ab. Dazu benotigen wir

0 < |F (l)| ≤ RRΞ(SΞ+1+1)Ξ+1 fur alle Ξ = 0, 1, 2..., (4.51)

(vgl. [Ba66,S.213]) und erhalten fur die linke Seite von (4.47) mit (4.36) und ρΞ> 2RΞ+1 dieobere Abschatzung:

∣∣∣∣1

2πi

f (z)

(z − l)F (z)dz

∣∣∣∣ ≤ 2e4τk+LρΞ log(c5)(ρΞ

2

)−RΞ(SΞ+1+1). (4.52)

Fur die rechte Seite von (4.47) betrachten wir zunachst den Integranden und schatzen diesen abmit

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 129

∣∣∣ 12πi

∫Γr

(z−1)m

(z−l)F (z)dz∣∣∣ ≤ 2−m8SΞ+1+1 fur r = 1, 2, ..., RΞ,

wobei wir |(z − r)m /F (z)| ≤ 8SΞ+1+1 verwendet haben (siehe [Ba66,S.212]). Mit (4.46) folgtdann

∣∣∣∣∣∣1

2πi

RΞ∑

r=1

SΞ+1∑

m=0

fm (z)

m!

Γr

(z − 1)m

(z − l)F (z)dz

∣∣∣∣∣∣≤ e1RΞ2me−

12τ5

2−m8SΞ+1+1 = e1RΞe− 1

2τ5

8SΞ+1+1.

(4.53)

Mit (4.51), (4.52) und (4.53) ergibt sich schließlich fur (4.50) mit RΞ < l ≤ RΞ+1 die obereAbschatzung

|f (l)| = |F (l)|∣∣∣∣∣

(1

2πi

∫CΞ

f(z)(z−l)F (z)dz − 1

2πi

RΞ∑r=1

SΞ+1∑m=0

fm(z)m!

∫Γr

(z−1)m

(z−l)F (z)dz

)∣∣∣∣∣

≤ RRΞ(SΞ+1+1)Ξ+1

(2e4τk+LρΞ log(c5)

(ρΞ2

)−RΞ(SΞ+1+1) − e1RΞe− 1

2τ5

8SΞ+1+1).

Bilden wir nun auf beiden Seiten den Logarithmus und verwenden ρΞ > 2RΞ+1, dann ergibt sichnach einigem Umformen schließlich

log |f (l)| ≤ 2 exp

(4τk + LρΞ log (c5) +RΞ (SΞ+1 + 1) log

(2RΞ+1

ρΞ

))+ e1RΞ

(8RRΞ

Ξ+1

)SΞ+1+1e−

12τ5

. (4.54)

Nehmen wir nun an, dass fur eine der infrage kommenden l die Ungleichung |Φm1,m2 (l, l)| ≤e−

12τ5

aus der Voraussetzung nicht erfullt sei. Dann galte (4.35) und daraus wurde unter Berucksichtigungvon (4.54) folgen:

1 ≤ exp

(1 + 17τk + 209Ll + LρΞ log (c5) +RΞ (SΞ+1 + 1) log

(2RΞ+1

ρΞ

))

︸ ︷︷ ︸=S1

+

+ exp

(1 + 4 log (τ) + 13τk + 209Ll + 4k +RΞ (SΞ+1 + 1) log (RΞ+1)− 1

2eτ

5

)

︸ ︷︷ ︸=S2

. (4.55)

Konnen wir zeigen, dass beide Summanden S1 und S2 in (4.55) kleiner als 4/9 sind, dannerhalten wir einerseits einen Widerspruch zu (4.55) und andererseits einen Widerspruch zu der

Annahme, dass es ein l gabe, sodass |Φm1,m2 (l, l)| ≤ e−12τ5

nicht erfullt sei. Betrachten wirzunachst den Summanden S2 und nehmen an, es galte:

exp

(1 + 4 log (τ) + 13τk + 209Ll + 4k +RΞ (SΞ+1 + 1) log (RΞ+1)− 1

2eτ

5

)≥ 4

9. (4.56)

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 130

Wir logarithmieren (4.56) und erhalten

1

2eτ

5 ≤ 1 + 2 log (2/3) + 4 log (τ) + 13τk + 209Ll + 4k +RΞ (SΞ+1 + 1) log (RΞ+1)

≤ 1 + 2 log (2/3)︸ ︷︷ ︸<1

+4 log (τ) + 13τ 17/18 + 209τ 53/54RΞ+1 + 4τ 9/8 +RΞ (SΞ+1 + 1) log (RΞ+1)

≤ 1 + 4 log (τ) + 13τ 17/18 + 209τ 53/54τ 1+225/96 + 4 τ 9/8 + τ 1+224/96

︸ ︷︷ ︸≤τ 9

8+1+22496

(2−225τ 9/8 + 1

)log(τ 107/32

)

≤ 1 + 4 log (τ) + 13 τ 17/18︸ ︷︷ ︸<τ107/24

+209 τ 53/54τ 107/32︸ ︷︷ ︸

<τ107/24

+4τ 107/24

(2−225︸ ︷︷ ︸≈0

τ 9/8 + 1

)107

32︸︷︷︸<4

log (τ)

≤ 1︸︷︷︸≤τ

+4 log (τ)︸ ︷︷ ︸≤τ

+226τ 107/24 + 4τ 107/24 log (τ)

≤ 5τ︸︷︷︸<τ107/24 log(τ)

+τ 107/24 (226 + 4 log (τ))︸ ︷︷ ︸≤300 log(τ)

≤ 331τ 107/24 log (τ) .

Dabei haben wir Ξ ≤ 224 verwenden, dann ist namlich R224 < τ1+224/96 < τ10/3, R225 <τ1+225/96 < τ107/32 und S225 < 2−225τ9/8.

Aus der Abschatzung folgt, dass τ13/24 (log (τ))−1 ≤ 462. Da nach Voraussetzung aber τ ≥(2235

)96gilt, erhalten wir τ13/24 (log (τ))−1 ≥ τ235·96 (235 · 96 log (2))−1, was großer als 462 ist.

Damit haben wir einen Widerspruch zu der Annahme (4.56), folglich gilt fur den SummandenS2:

exp

(1 + 4 log (τ) + 13τk + 209Ll + 4k +RΞ (SΞ+1 + 1) log (RΞ+1)− 1

2eτ

5

)<

4

9.

Betrachten wir nun den ersten Summanden S1 von (4.55) und nehmen an, es galte

exp

(1 + 17τk + 209Ll + LρΞ log (c5) +RΞ (SΞ+1 + 1) log

(2RΞ+1

ρΞ

))≥ 4

9. (4.57)

Wir verfahren analog zu (4.56). Zuerst logarithmieren wir (4.57) und erhalten mit ρΞ =RΞ(SΞ+1+1)

L log(c5)die untere Abschatzung

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 131

1 + 2 log (2/3)︸ ︷︷ ︸<1

+17τ 17/8 + 209τ5348

+1+ Ξ+196 ≥ RΞ (SΞ+1 + 1) log

(RΞ (SΞ+1 + 1)

2e1RΞ+1L log (c5)

)

≥ 1

2τ 1+ Ξ

96+ 9

8 · 2−Ξ−1 log(τ 1+ 9

8+ Ξ

96 · 2−Ξ−3 (24, 7e)−1 τ−(1+ Ξ+196

+ 5348)).

Division beide Seiten mit τ17/8 ergibt

18 + 209τΞ−196 ≥ 2−Ξ−2τΞ/96

(1

96log (τ)− 1− log (200)− Ξ log (2)

). (4.58)

Betrachten wir abschließend fur Ξ zwei Falle.

Ist Ξ = 0, dann wird (4.58) zu

96 (72 + 1 + log (200))︸ ︷︷ ︸≈7228,90...

≥ log (τ)−836τ−1/96︸ ︷︷ ︸

<0

≥ log (τ) . (4.59)

Fur τ ≥(2235

)96ist aber log (τ) ≥ 235 · 96 log (2) ≈ 6791, 24..., im Widerspruch zu (4.59).

Ist Ξ ≥ 1, dann wird (4.58) zu

227 · 2Ξ+2 ≥ τ1/96

(1

96log (τ)− 1− log (200)− Ξ log (2)

).

Da Ξ ≤ 224 gilt, folgt

227 · 2226 ≥ τ1/96

(1

96log (τ)− 1− log (200)− 224 log (2)

).

Dies impliziert aber mit τ ≥(2235

)96

227 · 2226︸ ︷︷ ︸≈2,448·1070

≥ 2235

235 log (2)−1− log (200)− 224 log (2)︸ ︷︷ ︸

<0

≥ 235 · 2235 log (2)︸ ︷︷ ︸

≈3,906·1072

einen Widerspruch zu der Annahme das (4.57) galte, sodass schließlich auch fur den erstenSummanden S2 von (4.55) gilt

exp

(1 + 17τk + 209Ll + LρΞ log (c5) +RΞ (SΞ+1 + 1) log

(2RΞ+1

ρΞ

))<

4

9.

Also ist (4.54) fur alle l ∈ N mit RΞ < l ≤ RΞ+1 richtig und das Lemma ist bewiesen.

Mit Lemma 4.3.3.3 haben wir uns in der Lage versetzt die Abschatzung (4.17) zu beweisen unddamit das Lemma 4.3.2.1 zum Baker’schen Haupttheorem.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 132

Sei τ ≥ 2235·96 und Ξ = 225, dann wissen wir nach Lemma 4.3.3.3, dass die obere Abschatzung

|Φm1,m2 (l, l)| ≤ e− 12τ5

fur alle l ∈ N mit 1 ≤ l ≤ τk25/12 (4.60)

richtig ist.

Nun ist (L + 1)3 ≤ (2L)3 = 8k53/18 = 8k8/9k37/18 ≤ 8τk37/18 ≤ τk25/12, wobei die letzte

Ungleichung genau dann erfullt ist, wenn k ≥ 836 = 2108 gilt. Dies trifft zu, da τ ≥(2235

)96und

somit k ≥ τ9/8 =(2235

)96·9/8= 2235·108 ist. Somit ist (4.60) richtig fur alle l = 1, ..., (L + 1)3.

Fur diese l definieren wir nun die Funktion

Υ (l) =

L∑

λ1=0

L∑

λ2=0

L∑

λ3=0

p (λ1, λ2, λ3)αλ1l1 αλ2l

2 αλ3l3 , (4.61)

wobei 1 ≤(αλ1

1 αλ22

)l≤ 7Ll ist und wir wie im Beweis von Lemma 4.3.3.1 und unter Beachtung

von (4.23) folgern, dass

αλ1l1 αλ2l

2

∣∣∣∣(αβ1

1 αβ22

)λ3l − αλ3l3

∣∣∣∣ ≤ LlcLl5 e1−τ5

gilt.

Die Konstante c5 entnehmen wir Lemma 4.3.3.2. Damit bleibt zu zeigen, dass die obere Abschatzung

|Φm1,m2 (l, l)−Υ (l)| ≤ (L + 1)3 e2τkLlcLl5 e1−τ5 ≤ e− 1

2τ5

(4.62)

korrekt ist. Angenommen (4.62) ware falsch, dann wurde gelten

1

2τ5 < 1 + 3 log (L + 1) + 2τk + log (Ll) + Ll log (c5)︸ ︷︷ ︸

<24,7

< 1 + 3 log(τ331/96 + 1

)+ 2τ17/8 + log

(τ331/96

)+ 24, 7τ331/96

< 4 + 3τ331/96 + 2τ17/8 +331

96τ + 24, 4τ331/96

< 4 + 2τ17/8 +331

96τ + 27, 4τ331/96

︸ ︷︷ ︸<30τ427/96

< 36τ427/96.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 133

Daraus folgt, dass τ < 7253/96 ≈ 10, 60234..., was im Widerspruch zu τ ≥(2235

)96steht. Also

ist (4.62) richtig und damit

|Υ (l)| ≤ 2e−12τ5. (4.63)

Zudem erhalten wir wegen (4.18) und (4.20), dass die Zahlen ω (l) = 1313LlΥ (l) ganzalgebraischvom Grad ≤ 4 sind und deren Konjugierte sich abschatzen lassen mit

∣∣∣Υ(j) (l)∣∣∣ ≤ (L + 1)3 e2τk (α1α2α3)Ll .

Abschließend nehmen wir an, es gabe ein l = 1, ..., τk25/12, sodass Υ (l) 6= 0 ist. Dann ware auchω (l) 6= 0 und damit 1 ≤ |Υ (l)| (L + 1)9 e6τk (α1α2α3)3Ll 1352Ll. Durch Anwendung von (4.63)sowie α1α2 < 7, α3 = 535 · 13−13 erhalten wir hier

e12τ5 ≤ 2 (L + 1)9 e6τk

(7 · 535 · 13−13

)3Ll1352Ll

= 2 (L + 1)9 e6τk((

7 · 535)3 · 1313

)

︸ ︷︷ ︸=c6

Ll (13−13

)3Ll (1313

)3Ll︸ ︷︷ ︸

=1

= 2 (L + 1)9 e6τkcLl6 .

Also 12τ

5 ≤ 10 τ53/48︸ ︷︷ ︸<τ224/96

+6 τ17/8︸ ︷︷ ︸<τ224/96

+209τ427/96 ≤ 225τ424/96, was fur alle τ ≤ (500)3/8 ≈ 10, 282...

erfullt ist, aber im Widerspruch zu τ ≥(2235

)96steht. Daher gilt:

Υ (l) = 0 fur alle l = 1, ..., τk25/12.

Beachten wir noch, dass log (α1) , log (α2) , log (α3) und 2πi linear unabhangig uber Q sind

[Ba66,Cor.1], dann folgt daraus das Verschwinden aller p (α1, α2, α3). Sei nun c := e(2235)96

,

dann ist H = max (c,H′) ≥ e(2235)96

und damit τ = [log (H)] ≥[(

2235)96

log (e)]

=(2235

)96.

Dies impliziert, dass die obere Abschatzung (4.22) falsch ist und folglich die untere Abschatzung

(4.17) aus Lemma 4.3.2.1 richtig ist fur κ = 5 und c = e(2235)96

. Mit der Abschatzung (4.19)erhalten wir damit:

48

∣∣∣∣−35

2h′1 (d1) log (α1) +

13

2h′2 (d2)2 log (α2)− log (α3)

∣∣∣∣ ≥ 48e− log(H)5

, (4.64)

wobei H = max(H′, e(2235)

96)und H′ < 232

√|d|. Damit ist Lemma 4.3.2.1 fur κ = 5 vollstandig

bewiesen.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 134

4.3.4 Beweisschluss

Mithilfe der unteren Abschatzung (4.64) konnen wir schließlich das Theorem 4.3.1 beweisen unddamit sicherstellen, dass außer den neun negativen Fundamentaldiskriminanten

−d = 3, 4, 7, 8, 11, 19, 43, 67, 163

keine weiteren existieren, fur welche die Klassenzahl h (d) = 1 ist. Wir erinnern uns, dass furden Existenzfall einer zehnten Fundamentaldiskriminante d < 0 diese nach Stark [St66(1)] imBereich von d < −e2,2·107

liegen musste.

Setzen wir nun in (4.13) die Diskriminantenwerte d1 = 5 und d2 = 13 ein und verwenden dasLemma 4.3.1.1, so erhalten wir zunachst die Abschatzung

48

∣∣∣∣−35

2h′1 (d1) log (α1) +

13

2h′2 (d2)2 log (α2)− log (α3)

∣∣∣∣ <2

πd21d

22

√|d|max (|R1 (1)| , |R2 (1)|)

<2

π· 25 · 169

√|d|max

(13√|d|e−

π5

√|d|,

13√|d|e−

π13

√|d|)

=1

π50 · 133e− π

13

√|d|.

Fur (4.64) folgt damit

48e− log(H)5 ≤ 1

π50 · 133e−

π13

√|d|, (4.65)

wobei H = max(H′, e(2235)

96)und H′ < 232

√|d| gilt. Betrachten wir nun zwei Falle:

1.Fall: Sei H = e(2235)96

, dann folgt aus (4.65) durch Logarithmieren

π

13

√|d| ≤ log

(50 · 133

48π

)

︸ ︷︷ ︸<7

+ log (H)5 < 7 +(2235

)480<

3

2

(2235

)480,

was impliziert, dass |d| <(2235·480+3

)2< e1,6·105

. Das heißt, eine zehnte Fundamentaldiskrimi-

nante musste im Intervall −e1,6·105< d < e1,6·105

liegen, was aber im Widerspruch zur oberenSchranke von Stark steht.

2.Fall: Sei nun H = H′ < 232√|d|, dann erhalten wir aus (4.65) durch Logarithmieren

π

13

√|d| ≤ log

(50 · 133

48π

)+ log

(232√|d|)5

< 7 + log(√|d|+ 6

)5< 33 log

(√|d|)5. (4.66)

Wir setzen x =√|d|, dann folgt fur (4.66)

x (log (x))−5 <13

π33 < 137 (4.67)

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 135

und das ist richtig fur alle x ≥ 3. Betrachten wir die Funktion x (log (x))−5 graphisch uber dieAbbildung 11

x0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000 9000

0

Graph der Funktion x(log(x))K5

Abbildung 11: Graph der Funktion x (log (x))−5.

Man zeigt sehr leicht, dass das Differential ddxx (log (x))−5 fur alle x ≥ e5 monoton steigend ist.

Nun gilt bereits fur x = e20, dass x (log (x))−5 ≈ 151, 614..., was im Widerspruch zu (4.67) steht.Damit erhalten wir, dass |d| < e40, was dann ebenfalls im Widerspruch zur oberen Schranke vonStark steht. Die Abschatzung (4.65) ist also genau dann falsch, wenn |d| > e1,6·105

gilt.

Damit haben wir das Theorem 4.3.1 bewiesen und gezeigt, dass außer den neun bekanntennegativen Fundamentaldiskriminanten

−d = 3, 4, 7, 8, 11, 19, 43, 67, 163

keine weiteren existieren, fur welche die Klassenzahl h (d) = 1 ist. Fur unsere Grafik (Abb. 8)erhalten wir damit abschließend das folgende Bild:

ZAHLENSTRAHL DER DISKRIMINANTENBEREICHE FÜR 0d < MIT ( ) 1h d = AB 1966

Keine auftretenden Fundamentaldiskriminanten mit Klassenzahl Eins Bereich der Fundamentaldiskriminanten 0d < mit Klassenzahl ( ) 1h d =

163− 0

d

Abbildung 12: Zahlenstrahl der Diskriminantenbereiche fur d < 0 mit h (d) = 1 ab 1966.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 136

4.4 Die Lucke in Heegners Beweis

Wir machen nun einen kleinen Sprung und kommen unmittelbar auf die im Laufe der Zeit er-zielten Resultate bzgl. der Lucke im Heegner’schen Beweis zu sprechen. Schließlich wurde dieVeroffentlichung von Heegner ausgiebig studiert und wichtige Beitrage dazu geleistet. Es warenjedoch vor allem die signifikanten Vervollstandigungen von Deuring [De68] und Stark [St68],die den von Heegner dargebotenen Beweis auf die Stufe der Richtigkeit hoben und ihm einsolides und letztlich auch tragfahiges Gerust gaben.

Birch [Bi68] erkannte wohl als Erster, dass sich die entstandene Lucke in Heegners Beweis uberdie mit einbezogenen Resultate von Weber korrigieren lassen. 1968 war es zunachst Deuring,der einen wichtigen Kommentar zum Originalbeweis von Heegner veroffentlichte und dortzum einen dessen Ergebnisse qualitativ aufarbeitete und zum anderen die Lucke durch geringeErganzungen schloss. Deuring bemerkt:

”Ich fand, daß Heegners Beweis durchaus stichhaltig ist und von der Weber’schen

Vermutung keineswegs Gebrauch macht, wenn von einer ganz geringfugigen Erganzungabgesehen wird.“ [De68,S.196]

Durch diese Erganzung ist es Deuring letztlich gelungen, die Lucke im Beweis zu schließen unddas Vorgehen von Heegner nachtraglich zu rechtfertigen. Es zeigte sich schließlich, dass dieAnsatze in Heegners Arbeit richtig waren.

Kurze Zeit spater konnte unabhangig von Deuring auch Stark [St68] die Lucke im Beweisbeheben. Stark macht zunachst darauf aufmerksam, dass es nicht notig sei auf die Resultateder Weber’schen Vermutung zuruckzugreifen, um das Klassenzahl-Eins-Problem in den Griffzu bekommen. Er schreibt, uber das Vorgehen von Heegner, das Folgende:

”Heegner uses this result elsewhere in his paper but it is not necessary to the class-

number one problem; however, it may be the source for blaming the trouble on We-ber.“ 104 [St68,§2,S.18]

Ebenso wie Deuring gelangt auch Stark zu der Auffassung, dass der in Frage stehende Beweisvon Heegner nur einer geringen Erganzung bedarf und die von Heegner bestimmten gan-zalgebraischen Zahlen der Gleichung (4.7) tatsachlich den richtigen Grad h (d) = 1 aufweisen,wobei die von Stark vorgenommene Erganzung sehr viel tiefgreifender ist, als die von Deuring.

Stark, der nicht nur den von Heegner gefuhrten Beweis einer strengen Analyse unterzieht,sondern auch die bereits von Weber bewiesenen Satzen untersucht, kommt schließlich zu derAuffassung, dass diese – im Heegner’schen Beweis – keineswegs vollstandig genannt werdendurfen, da sie viele kleine Fehler und erhebliche Lucken aufweisen. So liest man:

104Heegner hat dieses Resultat bereits an einer anderen Stelle seiner Arbeit benutzt. Jedoch ist es furdas Klassenzahl-Eins-Problem nicht notwendig darauf zuruckzugreifen und es zeigt sich schließlich,dass die auftretenden Schwierigkeiten auch auf Weber zuruckfuhren sind.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 137

”To make matters worse, Weber has many little errors and omissions such as

failing to prove that the coefficients of a modular function are rational [...].“105

[St68,§3,S.19]

Stark gibt schließlich an, dass sich die meisten der auftretenden Fehler einfach ausraumen las-sen. Jedoch gibt es ein von Heegner unvollstandig genanntes Resultat, welches nur unter großerMuhe zu beseitigen ist, sodass es an dieser Stelle sinnvoller erscheint, auf einen Alternativbeweiszuruckzugreifen, welcher im Einklang mit dem verwendeten Resultat von Weber steht. Starkumschreibt die Situation mit den Worten:

”[...] but these may all be filled by the patient reader. But there is one point in the

critical result that σ (ω)2 is in Q(√d) where Weber may be said to have an incomplete

proof that is not easily filled. However, at this point, an alternate proof may be givenwhich is more in line with Weber’s own proofs of similar results.“106[St68,§3,S.19]

Dank der scharfsinnigen Untersuchungen und mittels des Alternativbeweises konnte Starkschließlich die Lucke in Heegners Beweis vollstandig fullen und ihm dadurch ein tragfahigesGerust verschaffen. Aufgrund der großartigen Bemuhungen und der mehr als erganzenden Resul-tate von Deuring und Stark konnte, siebzehneinhalb Jahre spater, die wissenschaftliche Leis-tung von Heegner doch noch aufgezeigt werden. Leider starb Heegner bereits drei Jahre vorder Veroffentlichung der beiden Arbeiten, sodass er den Triumph seiner Anerkennung selbst nichtmehr erlebte. Seinetwegen bezeichnet man aber heute die neun negativen Diskriminanten −d =3, 4, 7, 8, 11, 19, 43, 67, 163, fur welche die zugehorigen imaginar-quadratischen ZahlkorperQ(√d) die Klassenzahl Eins aufweisen, auch als die bereits im Abschnitt 4.2 erwahnten Heeg-

ner-Punkte.

Es sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass Deuring die fehlerhaften Resultate von Weberohne Einspruch in seiner Korrektur zum Heegner’schen Beweis verwendete. Birch [Bi68] ver-urteilt – trotz der erzielten Resultate – dieses von Deuring

”unkritische“ Vorgehen auf das

Scharfste.

Zusammenfassung

Wir haben in diesem Kapitel das Theorem von Heilbronn und Linfoot bewiesen und gesehen,dass es hochstens zehn negative Fundamentaldiskriminanten mit Klassenzahl h (d) = 1 gebenkann. Daraufhin konnte Heegner in einem kritischen Beweis zeigen, dass eine solche zehnte ne-gative Fundamentaldiskriminante nicht existieren kann. Da Heegner in seinem Beweis jedocheine unbewiesene Vermutung von Weber verwendete, wurde dieser von der Fachwelt zunachstnicht anerkannt. Erst die erganzenden Arbeiten von Deuring und Stark konnten schließlich die

105Was noch schlimmer ist, Weber hat viele kleine Fehler und Lucken nicht bewiesen, wie beispielsweise,dass die Koeffizienten einer modularen Funktion rational sind.

106[...] aber diese kleinen Fehler konnen vom geduldigen Leser ausgefullt werden. Es gibt jedoch einen

Punkt, in den kritischen Resultaten, dass σ (ω)2

in Q(√d) liegt, wo, wie man sagen kann, Weber

einen unvollstandigen Beweis hat, der nicht so leicht geschlossen werden kann. An diesem Punkt lasstsich jedoch ein Alternativbeweis angegeben, der im Einklang mit dem von Weber steht.

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Kapitel 4. Die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems 138

Lucke in Heegners Beweis tilgen und ihm somit den gebuhrenden Respekt nachtraglich erwei-sen. Mittels der effektiven Methoden von Baker – den Linearformen in Logarithmen – konntenwir schließlich eine untere Schranke abschatzen, die es erlaubte, die infrage kommende zehn-te negative Fundamentaldiskriminante auszuschließen und somit das Klassenzahl-Eins-Problemendgultig zu losen. Es existieren genau neun imaginar-quadratische Zahlkorper Q(

√−d) mit den

Klassenzahlen h(−d) = 1 (allgemeines Gauss’sches Klassenzahl-Eins-Problem).

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Kapitel 5

Schlussbetrachtung

Jedes Ding hat seine Zeit.

William Shakespeare (1564-1616)

Wir hatten bereits in der Einleitung zum Kapitel 4 erwahnt, dass das Klassenzahl-Eins-Problemim Laufe der vergangenen Jahre auf unterschiedliche Art und Weise von den verschiedensten Ma-thematikern bewiesen wurde. Mit Ausnahme der auch in dieser Arbeit verwendeten Baker’schenMethode [Ba66] beruhen die anderen Arbeiten allesamt auf der Theorie der elliptischen Modul-funktionen. Kurz nachdem Baker – mit seiner Methode der effektiv unteren Schranken – dasKlassenzahl-Eins-Problem einwandfrei bewiesen hatte, teilte noch im selben Jahr Stark eineBeweisskizze [St66(3)] und bald darauf die luckenlose Darstellung [St66(1)] zum Beweis derNichtexistenz einer zehnten negativen Fundamentaldiskriminante mit. Ahnlich wie schon Hee-gner vor ihm loste Stark das Klassenzahl-Eins-Problem mittels diophantischer Gleichungen.Der Unterschied zur Heegner’schen Arbeit ist jedoch der, dass Stark nicht nur eine, sondernzwei diophantische Gleichungen verwendete:

x6 = 2y2 + 1 und x6 = 2y2 − 1. (5.1)

Diese beiden Gleichungen treten erstaunlicherweise bereits in der von Heegner durchgefuhrtenDiskussion seiner Arbeit [He51] als Gefolge der in Abschnitt 4.2 erwahnten Herleitung seinerdiophantischen Gleichung (4.6) auf. Zudem beruht der Beweis von Stark im Wesentlichen aufder analytischen Theorie der L-Funktionen definiter binarer quadratischer Formen – wie wirsie im Abschnitt 2.3 skizziert haben. Die Losungen der beiden Gleichungen in (5.1) gelingenschließlich, wenn die passenden L-Funktionen an der Stelle s = 1 betrachtet werden. Zu jedemimaginar-quadratischen Zahlkorper Q

(√−d)

mit Klassenzahl h (d) = 1 lasst sich somit genauein Losungspaar (x, y) zuordnen. Da es nur neun derartige Losungen gibt, hatte Stark dasKlassenzahl-Eins-Problem schließlich vollstandig bewiesen.

Man verdankt Siegel [Si68] eine kommentierte Darstellung des Stark’schen Beweises mit-tels algebraischer Methoden. Zunachst reduziert Siegel die bei Stark im Hintergrund stehen-den Modulfunktionen der 8. und 12. Stufe auf entsprechende Modulfunktionen der 5. Stufe,um dann die zu bestimmenden imaginar-quadratischen Zahlkorper mit entsprechenden reell-quadratischen Zahlkorpern zu komponieren. Es zeigt sich schließlich, dass die Komposition ein

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Kapitel 5. Schlussbetrachtung 140

absolut-abelscher imaginar-bizyklischer biquadratischer Zahlkorper ist. Dieser erweist sich alsRingklassenkorper uber den konstituierenden imaginar-quadratischen Zahlkorper, der dann mitseinem Geschlechterkorper zusammenfallt. Fur die biquadratischen Zahlkorper wird schließlichdie analytische Klassenzahlformel von Dirichlet hergeleitet und mittels der Theorie der el-liptischen Modulfunktionen geeignet umgeformt. Die arithmetische Ausbeute der hergeleitetenKlassenzahlformel fuhrt dann wieder auf die Losungsbestimmung von diophantischen Gleichun-gen. Das Vorgehen von Siegel bietet somit eine prinzipielle Vereinfachung des Stark’schenBeweises.

Im Jahre 1976 bewies Dorian Goldfeld [Go76], dass fur eine beliebige elliptische Kurve107 Emit Fuhrer N und Rang R deren Hasse-Weil-L-Funktion

LE (s) =∏

p|∆

(1− ap

ps

)−1∏

p-∆

(1− ap

ps+

1

p2s−1

)−1

fur die Stelle s = 1 eine Nullstelle der Ordnung R besitzt und fur die eine explizit berechen-bare Konstante c > 0 existiert, dass dann fur alle Fundamentaldiskriminanten D < 0 mitggT (D,N) = 1 die Abschatzung

h (D) >c

R4RN13(log (|D|))R−µ−1 e−21(R log(log(|D|)))−1/2

(5.2)

richtig ist, wobei µ ∈ 1, 2 so gewahlt wurde, dass χD (−N) = (−1)R−µ gilt.

Der Goldfeld’sche Satz liefert somit eine untere Schranke fur die Klassenzahl h (D), falls esgelingt, eine entsprechende elliptische Kurve E mit Rang R ≥ 3 zu bestimmen. In diesem Fallhatte man eine explizite Abschatzung der Klassenzahl h (D) und damit das Klassenzahl-Eins-Problem gelost. Den wohl einfachsten Zugang zum Goldfeld’schen Satz findet man im Artikel[Oe84] von

”Nicolas Bourbaki“108.

Zur damaligen Zeit war der Ansatz von Goldfeld jedoch ineffektiv, da keine derartige ellipti-sche Kurve bekannt war, welche die geforderte Bedingung des Satzes erfullt. Die Schwierigkeitbei der numerischen Bestimmung der elliptischen Kurve ist der Nachweis, dass L′′E (s) |s=1 = 0

107Die Theorie der elliptischen Kurven wird ausgiebig in der Funktionentheorie und der algebraischenGeometrie behandelt (siehe etwa [Ko07,§5]). Dabei hat die Bezeichnung

”elliptische“ Kurve nichts mit

Ellipsen zu tun. Was sich vielmehr dahinter versteckt sind eigentlich Flachen. Dreidimensional kannman sich eine elliptische Kurve etwa wie einen

”Fahrradschlauch“ ohne Ventil vorstellen. Algebraisch

ist eine elliptische Kurve uber den Korper Q definiert durch die Gleichung E : y2 = x3 + ax + b, mita, b ∈ Q.

108Nicolas Bourbaki ist das kollektiv Pseudonym fur eine Gruppe franzosischer Mathematiker, welchesich als die

”Gesellschaft der Mitarbeiter von Nicolas Bourbaki“ ausgaben, um unter dessen ausge-

dacht Namen gemeinsam veroffentlichen zu konnen. Ihre Veroffentlichungen stehen in der Traditionder axiomatischen Begrundung der Mathematik. Ohne die Gruppe Nicolas Bourbaki hatten wir

”wahrscheinlich“ heute noch keine einheitliche Symbolik in der Mathematik. Ihre Bekanntesten Sym-

bole sind die der leeren Menge und der naturlich Zahlen N. Fur weitere Informationen bzgl. derGruppe Nicolas Bourbaki verwiesen wir auf die url.http://www.matherockt.de/pdfs/matherockt-Nicolas-Bourbaki.pdf

Das Gauss’sche Klassenzahl-Eins-Problem Candy Walter

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Kapitel 5. Schlussbetrachtung 141

gilt. Es dauerte weitere zehn Jahre, bis Don Zagier (*1951-) und Benedict Gross (*1950-)[ZaGr86] bei ihren Untersuchungen uber Heegner-Punkte – gewissermaßen als Nebenprodukt– zeigen konnten, dass eine fur den Goldfeld’schen Satz benotigte elliptische Kurve mit RangR = 3 existiert, den Fuhrer N = 37·1392 = 714877 hat und uber die folgende Gleichung definiertist:

E : 139y2 = −x3 − 10x2 + 20x− 8.

Mittels dieser konkreten elliptischen Kurve E konnte nun gezeigt werden, dass die zugehorigeHasse-Weil-L-Funktion bei s = 1 eine dreifache Nullstelle besitzt. Die nachfolgende Abbildungillustriert den Graphen von E :

Abbildung 13: Graph der elliptischen Kurve E : 139y2 = −x3 − 10x2 + 20x− 8.

Mittels der elliptischen Kurve E : 139y2 = −x3 − 10x2 + 20x − 8 war somit das Klassenzahl-Eins-Problem bewiesen.

Joseph Oesterle (*1954-) [Oe87] konnte im darauf folgenden Jahr - durch explizite Berech-nungen - die elliptische Kurve E bestimmen mit E1 : y2 = 4x3 − 28x + 25. Hierdurch geht dievon Goldfeld bestimmte Abschatzung (5.2) der Klassenzahl h(D) uber in die folgendermaßenverbesserte untere Schranke mit

Das Gauss’sche Klassenzahl-Eins-Problem Candy Walter

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Kapitel 5. Schlussbetrachtung 142

h (D) >1

55

p|Dp6=|D|

(1−

[2√p]

p+ 1

) log (|D|) , (5.3)

wobei p 6= 2 eine Primzahl ist. Die untere Schranke (5.3) gilt fur alle Diskriminanten, die teiler-fremd zum Fuhrer N = 5077 sind.

Durch die Arbeiten von Goldfeld-Zagier und Gross erreichte das Klassenzahl-Eins-Problemschließlich seinen letzten kronenden Hohepunkt. Mittels numerischer Uberlegungen konnte einAlgorithmus entwickelt werden, der das Klassenzahl-Eins-Problem auf eine endliche Rechnungzuruckfuhrt. Damit wurde das Klassenzahl-Eins-Problem ein weiteres Mal vollstandig bestatigtmit dem folgenden

Theorem (Goldfeld-Zagier-Gross, 1976-1986)

Sei d < 0 eine Fundamentaldiskriminante und Q(√d) ein imaginar-quadratischer Zahlkorper.

Falls eine uber den Korper Q definierte modulare elliptische Kurve E existiert, deren Hasse-Weil-L-Funktion

LE/Q(√d) (s) =

p|∆

(1− ap

ps

)−1∏

p-∆

(1− ap

ps+

1

p2s−1

)−1

,

fur s = 1 eine Nullstelle der Ordnung ≥ 4 besitzt, dann existiert fur alle ε > 0 eine effektivberechenbare Konstante Cε (E) > 0, sodass

h (d) > Cε (E) (log (|d|))1−ε .

Goldfeld gibt in [Go04] einen sehr guten Uberblick uber die zum Theorem erzielten Resultateund beweist dort die Existenz der geforderten elliptischen Kurve E.

5.1 Hohere Klassenzahlbetrachtungen

Unmittelbar auf die erzielten Erfolge zum Klassenzahl-Eins-Problem folgten weitere Untersu-chungen bzgl. der Klassenzahlen imaginar-quadratischer Zahlkorper. Es waren wiederum Baker[Ba71] und Stark [St71], die 1971 unabhangig voneinander zeigen konnten, dass fur d < 0 genau18 imaginar-quadratische Zahlkorper Q(

√d) mit Klassenzahl h (d) = 2 existieren. Diese konnten

exakt bestimmen werden uber die zugehorigen Werte:

−d = 5, 6, 10, 13, 15, 22, 35, 37, 51, 58, 91, 115, 123, 187, 235, 267, 403, 427.

Damit war das Klassenzahl-Zwei-Problem vollstandig gelost.

Das Gauss’sche Klassenzahl-Eins-Problem Candy Walter

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Kapitel 5. Schlussbetrachtung 143

Im Jahre 1984 konnte Oesterle [Oe84] uber die Abschatzung (5.3) das Klassenzahl-Drei-Problem vollstandig losen. Dabei verwendete er das 1973 von Hugh L.Montgomery (*1944-)und Peter J.Weinberger (*1942-) [MoWe73] erzielte Resultat:

h (d) 6= 3 fur 1012 < |d| < 102500. (5.4)

Aus dem Intervall (5.4) ergibt sich fur d < 0 uber die Abschatzung (5.3), dass fur die Klassenzahlh (d) = 3 genau 16 imaginar-quadratische Zahlkorper Q(

√d) existieren. Diese sind vollstandig

bestimmt durch

−d = 23, 31, 59, 83, 107, 139, 211, 283, 307, 331, 379, 499, 547, 643, 883, 907.

Im Jahre 1992 konnte Steven Arno [Ar1992] – fur das Klassenzahl-Vier-Problem – eine kom-plette Liste aller moglichen auftretenden Diskriminanten d < 0 mit Klassenzahl h (d) = 4angeben. Arno bewies:

h (−d) > 4 wenn 1014 ≤ d ≤ e2800.

Mithilfe der unteren Abschatzung (5.3) erhielt er somit genau 54 imaginar-quadratische ZahlkorperQ(√d) mit Klassenzahl h (d) = 4. Diese sind schließlich vollstandig charakterisiert uber

−d = 14, 17, 21, 30, 33, 34, 39, 42, 46, 55, 57, 70, 73, 78, 82, 85, 93, 97, 102, 130,133, 142, 155, 177, 190, 193, 195, 203, 219, 253, 259, 291, 323, 355, 435, 483,555, 595, 627, 715, 723, 763, 795, 955, 1003, 1027, 1227, 1243, 1387, 1411, 1435,1507, 1555.

1996 gaben Christian Wagner [Wa96] und darauf folgend Arno, M.L.Robinson und Fer-rell S.Wheeler [ArRoWh98] Losungen fur die Klassenzahlprobleme 5, 6 und 7 an.

Die nachfolgende Tabelle 5 gibt alle Diskriminanten d < 0 an, fur welche die zugehorigen Klas-senzahlen die Werte h (−d) = 5, h (−d) = 6 bzw. h (−d) = 7 haben.

n h (−d) = n

547, 79, 103, 127, 131, 179, 227, 347, 443, 523, 571, 619, 683, 691, 739, 787,947, 1051, 1123, 1723, 1723, 1747, 1867, 2203, 2347, 2683.

6

87, 104, 116, 152, 212, 244, 247, 339, 411, 424, 436, 451, 472, 515, 628, 707,771, 808, 835, 843, 856, 1084, 1059, 1099, 1108, 1147, 1192, 1203, 1219, 1267,1315, 1347, 1363, 1432, 1563, 1588, 1603, 1843, 1915, 1963, 2227, 2283, 2443,2515, 2563, 2787, 2923, 3235, 3427, 3523, 3763.

771, 151, 223, 251, 463, 467, 487, 587, 811, 827, 859, 1163, 1171, 1483, 1523,1627, 1787, 1987, 2011, 2083, 2179, 2251, 2467, 2707, 3019, 3067, 3187,3907, 4603, 5107, 5923.

Tabelle 5: Klassenzahlen n und die zugehorigen Fundamentaldiskriminanten d < 0, [Wa96,S.785]

Das Gauss’sche Klassenzahl-Eins-Problem Candy Walter

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Der momentane Abschluss der Klassenzahlprobleme gelang schließlich mit der 2004 erschienenenArbeit von Mark E.Watkins [Wa04], in der eine komplette Liste aller imaginar-quadratischerZahlkorper mitgeteilt wurde, fur welche die Klassenzahlen ≤ 100 vollstandig bestimmt wur-den. Tabelle 4 gibt fur die Klassenzahlen h (−d) ≤ 100 die jeweilige Anzahl der zugehorigenimaginar-quadratischen Zahlkorper Q(

√−d) sowie den jeweils großten negativen Diskriminan-

tenbetrag wieder:

936 MARK WATKINS

Table 4.

N # large N # large N # large N # large N # large

1 9 163 21 85 61483 41 109 296587 61 132 606643 81 228 10307232 18 427 22 139 85507 42 339 280267 62 323 647707 82 402 14465473 16 907 23 68 90787 43 106 300787 63 216 991027 83 150 10749074 54 1555 24 511 111763 44 691 319867 64 1672 693067 84 1715 12253875 25 2683 25 95 93307 45 154 308323 65 164 703123 85 221 12857476 51 3763 26 190 103027 46 268 462883 66 530 958483 86 472 15347237 31 5923 27 93 103387 47 107 375523 67 120 652723 87 222 12617478 131 6307 28 457 126043 48 1365 335203 68 976 819163 88 1905 12655879 34 10627 29 83 166147 49 132 393187 69 209 888427 89 192 142938710 87 13843 30 255 134467 50 345 389467 70 560 811507 90 801 154852311 41 15667 31 73 133387 51 159 546067 71 150 909547 91 214 139108312 206 17803 32 708 164803 52 770 439147 72 1930 947923 92 1248 145206713 37 20563 33 101 222643 53 114 425107 73 119 886867 93 262 147520314 95 30067 34 219 189883 54 427 532123 74 407 951043 94 509 158776315 68 34483 35 103 210907 55 163 452083 75 237 916507 95 241 165906716 322 31243 36 668 217627 56 1205 494323 76 1075 1086187 96 3283 168402717 45 37123 37 85 158923 57 179 615883 77 216 1242763 97 185 184252318 150 48427 38 237 289963 58 291 586987 78 561 1004347 98 580 238374719 47 38707 39 115 253507 59 128 474307 79 175 1333963 99 289 148062720 350 58507 40 912 260947 60 1302 662803 80 2277 1165483 100 1736 1856563

grows. A more realistic guess would be that the difficulty of the sieving problemwould increase by 105 (or even 106). This seems unreasonable at present.

In Table 4 we give for N ≤ 100 the number of negative fundamental discriminantswith class number N and the largest such discriminant (in absolute value).

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Tabelle 6: Klassenzahlen fur h(d) ≤ 100, Anzahl der imaginar-quadratischen Zahlkorper, großte zugehorige Diskriminante.[Wa04,S.936]

Betreffend der Klassenzahlprobleme schließen wir die Arbeit mit einer chronologisch historischenDarstellung – der in dieser Arbeit wiedergegebenen Resultate – welche im Laufe der Jahrzehntevon den verschiedensten Mathematikern errungen worden sind.

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1801: Carl Friedrich Gauss”formuliert“ in Art.303 seiner Disquisitiones Arithmeticae drei Klassenzahlvermutungen.

Darunter”zwei“ fur definite binare quadratische Formen und eine fur indefinite binare quadratische Formen.

1839: Peter Dirichlet bestimmt die Klassenzahlformeln fur binar quadratische Formen.

1893: Richard Dedekind beweist die bijektive Korrespondenz zwischen den Aquivalenzklassen von binaren quadrati-schen Formen und den Aquivalenzklassen von Idealen in quadratischen Zahlkorpern.

1902: Edmund Landau beweist elementar das klassische Klassenzahl-Eins-Problem und damit die (zweite) Klassenzahl-vermutung von Gauss bzgl. der definiten binaren quadratischen Formen.

1903: Matyas Lerch zeigt, dass das allgemeine Klassenzahl-Eins-Problem mit den von Landau verwendeten Methodennicht angegriffen werden kann.

1911: Leonard Dickson weißt nach, dass fur alle Diskriminanten d mit 163 < d < 1.500.000 die Klassenzahlstets h(d) > 1 ist, das heißt fur die obere Schranke −d < 1.500.000 existieren nur die neun bekannten negativenFundamentaldiskriminanten d mit Klassenzahl Eins.

1912: Georg Rabinowitsch und Ferdinand Frobenius geben unabhangig voneinander primzahlerzeugende quadra-tische Polynome an, mit welchen sie das allgemeinen Klassenzahl-Eins-Problem in den Griff bekommen wollen. BeideAnsatze bleiben jedoch fur die Losung des Klassenzahl-Eins-Problems wirkungslos.

1918: Edmund Landau und Erich Hecke beweisen, dass aus der Annahme der Richtigkeit der verallgemeinertenRiemann’schen Vermutung die Richtigkeit der (ersten) Gauss’schen Vermutung bzw. das Klassenzahl-n-Problem folgt.

1932: Max Deuring beweist, dass aus der Annahme, die klassische Riemann’sche Vermutung sei falsch, die Richtigkeitdes Gauss’schen Klassenzahl-n-Problems folgt.

1933: Louis Mordell beweist, dass die Falschheit der klassischen Riemann’schen Vermutung die Richtigkeit desGauss’schen Klassenzahl-n-Problems impliziert.

1933: Derrick Lehmer verbessert die obere Schranke von Dickson, welche die neun bekannten negativen Diskriminan-ten mit Klassenzahl Eins bzgl. des allgemeinen Klassenzahl-Eins-Problems weiter einschrankt.

1934: Hans Heilbronn beweist, dass wenn die verallgemeinerten Riemann’schen Vermutung nicht zutrifft, so giltlimd→−∞ h(d) =∞, also dass Gauss’sche Klassenzahl-n-Problem.

1932-1934: Die Ergebnisse von Hecke, Deuring, Landau, Mordell und Heilbronn beweisen schließlich dasGauss’sche Klassenzahl-n-Problem und somit die (erste) Klassenzahlvermutung von Gauss bzgl. der definiten binarquadratischen Formen.

1934: Hans Heilbronn und Edward Linfoot beweisen, dass neben den bereits neun bekannten negativen Fundamen-taldiskriminanten hochstens noch eine weitere existieren kann.

1952: Kurt Heegner schließt – in einer jedoch fehlerhaften Arbeit – die mogliche Existenz einer zehnten negativenFundamentaldiskriminante aus.

1966: Harold Stark verbessert – mit seiner Dissertation – die untere Schranke von Lehmer bzgl. des allgemeinenKlassenzahl-Eins-Problems entscheidend.

1966: Alan Baker und Harold Stark losen unabhangig voneinander das allgemeine Klassenzahl-Eins-Problem.

1968: Max Deuring und Harold Stark schließen unabhangig voneinander die Lucke in Heegners Beweis.

1968: Carl Siegel zeigt die Verbindung vom Stark’schen und Heegner’schen Beweis auf und lost das allgemeineKlassenzahl-Eins-Problem erneut.

1976-1983: Goldfeld, Zagier und Gross losen das allgemeine Klassenzahl-Eins-Problem mithilfe elliptischerModulfunktionen und dem L-Reihen Kalkul.

1971: Alan Baker und Harold Stark losen unabhangig voneinander das Klassenzahl-Zwei-Problem.

1984: Joseph Oesterle lost das Klassenzahl-Drei-Problem.

1994: Steven Arno lost das Klassenzahl-Vier-Problem.

1996-1998: Arno,Robinson und Wheeler losen das Klassenzahl-5,6 und 7-Problem.

2004: Mark Watkins gibt abschließend alle Losungen der Klassenzahlprobleme kleiner gleich 100 an.

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Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Gedenkbriefmarke von 1977 zu Ehren von Gauss (Diese Briefmarke wurde von derDeutschen Post der DDR oder der sowjetischen Besatzungszone herausgegeben. Als amtliches Werk istsie nach § 5 Abs.1 des deutschen Urheberrechtsgesetzes gemeinfrei). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Abbildung 2: Titelblatt und erste Seite der Disquisitiones Arithmeticae von Gauss aus dem Jahreaaaaaaaaaaaa 1801, [Wu08,S.219]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Abbildung 3: Veranschaulichung der Elemente von Q(√

d)

als Gitterpunkte in der Ebene. . . . . . 19

Abbildung 4: Gitterpunkte im Inneren einer Ellipse mit der Gleichung 3x2 + 4xy + 3y2 = 500. . 50

Abbildung 5: Hyperbelsektor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Abbildung 6: Vergleich der Graphen f (p) und g (p) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

Abbildung 7: Zahlenstrahl der Diskriminantenbereiche fur d < 0 mit h (d) = 1 bis 1934. . . . . . . . 100

Abbildung 8: Zahlenstrahl der Diskriminantenbereiche fur d < 0 mit h (d) = 1 bis 1966. . . . . . . . 105

Abbildung 9: Vergleich der Graphen f (x) und g (x). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Abbildung 10: Vergleich der Graphen f (τ) und g (τ). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

Abbildung 11: Graph der Funktion x (log (x))−5

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

Abbildung 12: Zahlenstrahl der Diskriminantenbereiche fur d < 0 mit h (d) = 1 ab 1966. . . . . . . 135

Abbildung 13: Graph der elliptischen Kurve E : 139y2 = −x3 − 10x2 + 20x− 8. . . . . . . . . . . . . . . 140

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Diskriminante, Klassenzahl, reduzierte quadratische Formen,[Ga01,Art.176] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Tabelle 2: Anzahl der Aquivalenzklassen, Klassenzahl, negative Determinan-ten, [Ga01,Art.303]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Tabelle 3: Anzahl der Aquivalenzklassen, Klassenzahlen, negative Determinan-ten, [Ga01,Art.303]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

Tabelle 4: Negative Diskriminanten, Modulfunktionen α, β, Hauptmodule ζ,[He51,S.240] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Tabelle 5: Klassenzahlen n und die zugehorigen Fundamentaldiskriminantend < 0, [Wa96,S.785] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

Tabelle 6: Klassenzahlen fur h(d) ≤ 100, Anzahl der imaginar-quadratischenZahlkorper, Großte zugehorige Diskriminante,[Wa04,S.936] . . 143

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Symbolverzeichnis

N Menge der naturlichen Zahlen

Z Ring der ganzen Zahlen

Q Korper der rationalen Zahlen

R Korper der reellen Zahlen

C Korper der komplexen Zahlen

P Menge der Primzahlen

ggT Der großte gemeinsame Teiler

s Komplexe Zahl

Re (s) Realteil von s

Im (s) Imaginarteil von s

Q Menge der algebraischen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

α1, ..., αn Algebraische Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Q (α) Algebraischer Zahlkorper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Q(√

d)

Quadratischer Zahlkorper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

OK Ganzheitsring vom algebraischen Zahlkorper K . . . . . . . . . . . . 18

OQ(√d) Ganzheitsring vom quadratischen Zahlkorper . . . . . . . . . . . . . . 19

dK Diskriminante des algebraischen Zahlkorpers K . . . . . . . . . . . . 20

∆Q(√d) Diskriminante vom quadratischen Zahlkorpers . . . . . . . . . . . . . 20

a, b Ideale von OQ(√d) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

(a) Hauptideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

ClQ(√d) Idealklassengruppe von Q

(√d)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

h (d) Die Klassenzahl quadratischer Zahlkorper . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

f Binare quadratische Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

D Diskriminante einer binaren quadratischen Formen . . . . . . . . . 23

SL2 (Z) Menge der invertierbaren 2× 2-Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

T0, T± Unimodulare Transformationsmatrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Page 156: Das Gauss’sche Klassenzahl - Eins - Problem · Chevalier, das Manuskript an Gauss und Jacobi zu schicken.\ Galois unterlag im Duell und starb Galois unterlag im Duell und starb

h (D) Die Klassenzahl einer binaren quadratischen Formen . . . . . . . 28

ζ (s) Riemann’sche Zetafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Γ (s) Gammafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

γ Euler-Mascheroni-Konstante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

[x] Gaussklammer als die großte ganze Zahl kleiner gleich x . . 37

G (m) Restklassengruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

χ Dirichlet-Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

χD Quadratischer Dirichlet-Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

ϕ (p) Euler’sche Phi-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

L (s, χ) Dirichlet’sche L-Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

R (f,m) Darstellungsanzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

R (fi,m) Einzelne Darstellungsanzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

rD (m) Gesamtdarstellungsanzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Aut (f) Automorphismengruppe von f . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

ω Ordnung der Automorphismengruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

A Ellipsenflache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

R∗ (m) Nichtaquivalente primitive Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

ξN Primitive komplexe N -te Einheitswurzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

gv (χ) Gauss’sche Summe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

Arg (z) Argument des komplexen Logarithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Log (z) Komplexer Logarithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Rj (s) Auftretender Rest bzgl. der Multiplikation zweier verschiedenerL-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

σ (ω) Schlafli’sche Modulfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Res Residuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

H,H′ Hohen der algebraischen Polynome f . . . . . . . . . . . . . . . . 114, 115

E Elliptische Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

LE (s) Hasse-Weil-L-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

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Das Griechische Alphabet

Anhang 399

Tabelle A 3 Das Griechische Alphabet

Griechischer Buchstabe

Name des Buchstabens

Griechischer Buchstabe

Name des Buchstabens

Α α

Alpha

Ν ν

Ny

Β β

Beta

Ξ ξ

Xi

Γ γ

Gamma

Ο ο

Omikron

Δ δ

Delta

Π π

Pi

Ε ε

Epsilon

Ρ ρ

Rho

Ζ ζ

Zeta

Σ σ

Sigma

Η η

Eta

Τ τ

Tau

Θ ϑ

Theta

Υ υ

Ypsilon

Ι ι

Jota

Φ ϕ

Phi

Κ κ

Kappa

Χ χ

Chi

Λ λ

Lambda

Ψ ψ

Psi

Μ μ

My

Ω ω

Omega

Am Wortende wird der Buchstabe Sigma mit ς bezeichnet.

Entnommen aus dem Anhang der Literatur von Uwe Hillebrand, Stochiometrie: Eine Einfuhrung,Springer, 2006.

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l\!ittlere Anzahl der Klassen. 3f>1

Wirklichkeit gleich 477 ist; die tausend Determinanten - 1 bis - 1000 ergeben nach der Tafel 15 533 Klassen, die Formel giebt 15 551,4; das zweite 'l'auscnd enthält nach der Tafel 28 595 Klassen, die Pormel liefert 28 585,7; ebenso enthält das dritte Tausend in Wirklichkeit 37 092 Klassen, während die Formel 37 07 4,3 giebt; das zehnte Tausend gicbt 72 549 nach der •rafel, während die Formel 72 572 liefert.

303.

Eine Tafel der negativen Determinanten, welche nach der Verschieden­heit der ihnen entsprechenden Klasseneinteilungen aufgestellt ist, giebt noch zu vielen andern besonderen Bemerkungen Anlass. Für die Determinanten von der Form -(Sn + 3) ist die Anzahl der Klassen (sowohl derjenigen, welche in sämtlichen Geschlechtern, als auch derjenigen, welche in den einzelnen eigentlich primitiven Geschlechtern enthalten sind) stets durch 3 teilbar, die einzige Determinante - 3 ausgenommen, wofür der Grund aus Artikel 256, VI von selbst sich ergiebt. Für diejenigen Determinanten, deren Formen nur ein einziges Geschlecht ausmachen, ist die Anzahl der Klassen immer ungerade; denn da es für eine solche Determinante nur eine einzige ambige Klasse giebt, nämlich die Hauptklasse, so ist die Anzahl aller übrigen Klassen, von denen stets je zwei entgegengesetzt sind, notwendig gerade, und daher die Anzahl aller ungerade; übrigens gilt diese letztere Eigenschaft auch für positive Determinanten. - Ferner scheint die Reihe der Determinanten, denen dieselbe gegebene Klasseneinteilung (d. h. eine gegebene Anzahl sowohl von Geschlechtern als auch von Klassen) entspricht, stets abzubrechen, welche ziemlich seltsame Bemerkung wir durch einige Beispiele erläutern. (Die erste, römische, Zahl zeigt die Anzahl der eigentlich primitiven positiven Ge­schlechter, die folgende die Anzalll der in jedem einzelnen Geschlechte enthaltenen Klassen an; dann folgt die Reihe der Determinanten, welchen jene Klassifikation entspricht, und deren negatives Vorzeichen wir der Kürze wegen weggelassen haben.)

I. 1 II. 3 I. 5 I. 7

II. 1 II. 2

IV. 1

VIII. 1

XVI. 1

1, 2, 3, 4, 7 11, 19, 2ß, 27, 31, 43, 67, 163 47, 79, lOB, 127 71, 151, 223, 34;1, 463, 487 5, 6, 8, 9, 10, 12, 13, 15, 16, 18, 22, 25, 28, 37, 58 14, 17, 20, 32, 34, 136, 39, 46, 49, 52, 55, 63, 6t, 73, 82, 97,

100, 142, 148, 193 21, 24, 30, 33, 40, 42, 45, 48, 57, GO, 70, 72, 78, 85, 88, 93,

102, 112, 1:l0, 133, 177, 190, 232, 253 105, 120, IG5, 168, 210, 240, 273, 280, 312, 330, 1345, 357, 385,

408, 462, 520, 760 840, 1320, 1365, 1848.

Der Art.303, der Disquisitio-nes Arithmeticae. Die gelb mar-kierten Textpassagen zeigen dieerste Gauss’sche Vermutung.Wie man hier liest, erwahntGauss das Klassenzahl-Eins-Problem nicht explizite. Zudemfindet sich hier, die in Abschnitt3.1 auf Seite 64 integrierte Ta-belle 3 wieder. In ihr befin-den sich, auf der ersten Zei-le, die von Gauss berechnetenfunf negativen Determinantenmit der Klassenzahl Eins. Diesebilden schließlich das klassischeKlassenzahl-Eins-Problem.

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352 Fünfter Abschnitt. [Art. 304]

Analog finden sich 20 Determinanten (deren grösste gleich - 1423 ist), welchen die Klassifikation I. 9 entspricht; 4 (die grösste gleich - 1303), welchen die Klassifikation I. 11 entspricht, u. s. w. Die Klassifikationen II. 3, II. 4, II. 5, IV. 2 entsprechen nicht mehr als 48, 31, 44, 69 Deter­minanten respective, von denen die grössten - 652, -862, - 1318, -1012 sind. Da die Tafel, aus welcher diese Beispiele entnommen sind, weit über die grössten hier vorkommenden Determinanten hinaus fortgesetzt ist*), so scheint es nicht zweifelhaft zu sein, dass die hingeschriebenen Reihen in der That abbrechen und diesen Schluss werden wir der Analogie gernäss auch auf beliebige andere Klassifikationen ausdehnen dürfen. Da z. B. im ganzen zehnten Tausend der Determinanten sich keine findet, welcher eine Klassenzahl unterhalb 24 entspräche, so ist es höchstwahrscheinlich, dass die Klassifikationen I. 23; I. 21; •.• , II. 11, II. 10, ... , IV. 5, IV. 4, IV. 3, VIII. 2 schon vor -9000 aufgehört haben oder wenigstens nur sehr wenigen Determinanten jenseits von -10000 zukommen. Die strengen Beweise dieser Bemerkungen aber scheinen sehr schwierig zu sein. Nicht minder merkwürdig ist es, dass sämtliche Determinanten, deren Formen in 32 oder mehr Geschlechter zerfallen, mindestens je zwei Klassen in den einzelnen Ge­schlechtern haben, und daher die Klassifikationen XXXII. 1, LXIV, 1, u. s. w. gänzlich ausfallen (der kleinsten von diesen Determinanten, - 9240, ent­spricht XXXII. 2), und es erscheint ziemlich wahrscheinlich, dass mit wachsender Geschlechteranzahl fortwährend mehr Klassifikationen ausfallen. In dieser Hinsicht sind die oben angeführten 65 Determinanten, welchen die Klassifikationen I. 1, II. 1, IV. 1, VIII. 1, XVI. 1 entsprechen, höchst bemerkenswert und man sieht leicht, dass sie sämtlich und zwar sie allein die beiden ausgezeichneten Eigenschaften besitzen, dass sämtliche zu ihnen gehörigen Formenklassen ambig und irgend zwei in demselben Geschlechte enthaltene Formen notwendig sowohl eigentlich als auch uneigentlich äquivalent sind. Übrigens sind dieselben 65 Zahlen (unter einem etwas verschiedenen Gesichtspunkte, dessen unten Erwähnung gethan werden wird, und mit einem leicht zu beweisenden Kriterium) schon von Eulerangegeben worden, Nouv. Mem. de l'Ac. de Berlin 1776 p. 338.

304.

Die Anzahl der eigentlich primitiven Klassen, welche die binären Formen mit p o si ti ver q uadra tis c her D etermi na n te 7c2 bilden, kann über­haupt a priori bestimmt werden und ist gleich der Anzahl der Zahlen, welche prim zu 27c und kleiner als 27c sind; daraus leitet man durch nicht schwierige Schlüsse, die wir hier unterdrücken müssen, her, dass die mittlere

*) Nämlich während des Druckes der Dt~qw:~itiones bis zn -- 3000 in einem Zuge, sotlann durch das ganze zehnte Tausend unu mehrere andere zerstreute Hunderte, zu denen noch sehr viele besondere mit Fkiss ausgewiihlte Determinanten kommen.

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Mittlere Anzahl der l]assen. 353

Anzahl der zu solchen Determinanten gehörigen Klassen für die Determi­

nante k2 sehr nahe durch 8; ausgedrückt wird. - Die positiven nicht-7t

quadratischen Determinanten aber bieten in dieser Hinsicht ganz eigenartige Erscheinungen dar. Während nämlich eine kleine Klassen­anzahl, z. B. die Klassifikation I. 1 oder I. 3 oder II. 1 u. s. w., bei negativen und quadratischen Determinanten nur für kleine, sich nicht weit erstreckende Werte derselben stattfindet, besitzt dagegen unter den positiven nichtquadratischen Determinanten, wenigstens wenn sie nicht sehr gross sind, der bei weitem grösste Teil solche Klassifikationen, wo nur eine Klasse in jedem Geschlechte vorhanden ist, so dass die folgenden I. 3, I. 5, II. 2, II. 3, IV. 2 u. s. w. sehr selten sind. So befinden sich z. B. unter den 90 nichtquadratischen, die Zahl 100 nicht übersteigenden Determinanten 11, 48, 27, welchen die Klassifikationen I. 1; II. 1; IV. 1 respective ent­sprechen; nur für eine einzige (37) ist I. 3, zwei (34 und 82) haben die Klassifikation II. 2 und nur eine (79) die Klassifikation II. 3. Wenn jedoch die Determinanten zunehmen, so werden grössere Klassenanzahlen merklich häufiger; so besitzen z. B. unter den 96 nichtquadratischen Determinanten von 101 bis 200 zwei (101 und 197) die Klassifikation I. 3; vier (nämlich 145, 146, 178, 194) die Klassifikation II. 2; drei (141, 148, 189) die folgende: II. 3. Von den 197 nichtquadratischen Determinanten von 801 bis 1000 haben drei die Klassifikation I. 3, vier II. 2, vierzehn II. 3, zwei II. 5, zwei II. 6, fünfzehn IV. 2, sechs IV. 3, zwei IV. 4, vier VIII. 2; die übrigen 145 haben nur eine Klasse in jedem Geschlechte. - Es würde eine schöne und der Anstrengung der Geometer nicht unwürdige Aufgabe sein, zu ermitteln, nach welchem Gesetze die nur eine Klasse in jedem Geschlechte besitzenden Determinanten fortwährend seltener werden; bis jetzt können wir weder theoretisch entscheiden, noch durch Beobachtung mit hinreichender Sicherheit vermuten, ob dieselben endlich ganz abbrechen (was jedoch wenig wahr­scheinlich erscheint), oder wenigstens unendlich selten werden, oder ob ihre Häufigkeit sich beständig mehr einer festen Grenze nähert. Die mittlere Klassenanzahl wächst in einem nur wenig grösseren Verhältnis als die Anzahl der Geschlechter, und bei weitem langsamer als die Quadratwurzeln aus den Determinanten; zwischen 800 und 1000 findet man jene gleish 5,01. Es möge gestattet sein, diesen Bemerkungen eine andere hinzuzufügen, welche die .Analogie zwischen den positiven und negativen Determinanten in gewisser Weise wiederherstellt. Wir finden nämlich, dass für eine positive Determinante D nicht sowohl die Klassenanzahl selbst als vielmehr das Product aus dieser Anzahl und dem Logarithmus der Grösse t + uJID (wo t, u die kleinsten der Gleichung t2- Du2 = 1 genügenden Zahlen ausser 1,0 bezeichnen) der Klassenanzahl für eine negative Determinante aus mehreren hier nicht weitläufiger darzulegenden Gründen analog ist, und dass der mittlere Wert jenes Products ebenso genau durch eine Formel von der Form mf.D- n dargestellt wird; doch vermochten wir noch nicht die Werte der

Gaus~ 23

Der Art.304, der Disquisitiones Arithmeticae. Die grun markierte Textpassage gibt dasZitat auf Seite 29 wieder und damit die dritte Gauss’sche Vermutung bzgl. der indefinitenquadratischen Formen.

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Kopie der Immatrikulation von Carl Friedrich Gauss aus dem Jahre 1791. Wie deutlich zuerkennen ist, tragt sich Gauss als 462. Student unter den Namen Johann und Karl ein. DieGesamte

”Matricul des Collegii Carolini“ befindet sich im Universitatsarchiv der Technischen

Universitat Braunschweig.

Onlinereferenz:

http://rzbl04.biblio.etc.tu-bs.de:8080/docportal/servlets/MCRFileNodeServlet/

DocPortal_derivate_00005012/Mat1791_1808.pdf?hosts=local

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Plagiatserklarung

Hiermit versichere ich, dass ich die Arbeit selbstandig verfasst und keine anderen als die angege-benen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Alle Stellen der Arbeit, die wortlich oder sinngemaßaus anderen Quellen ubernommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit ist ingleicher oder ahnlicher Form noch keiner Prufungsbehorde vorgelegen worden.

Hannover, den 29. August 2016