Das Geheimnis Der Menschlichen Temperamente

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  • 8/6/2019 Das Geheimnis Der Menschlichen Temperamente

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    Rudolf SteinerDAS GEHEIMNIS DER MENSCHLICHEN TEMPERAMENTE

    Berlin, 4. Mrz 1909

    Es ist oftmals betont worden, da des Menschen grtes Rtsel der Menschselber ist. Im Grunde sucht alle tiefere Naturforschung ihr letztes Ziel dadurchzu erreichen, da sie alle Naturvorgnge zusammenfat, um die uere Ge-setzmigkeit zu begreifen, und alle Geisteswissenschaft sucht die Quellen desDaseins deswegen auf, um des Menschen Wesenheit und Bestimmung zubegreifen, zu lsen. Wenn das also ohne Frage richtig ist, da im allgemeinendes Menschen grtes Rtsel der Mensch selber ist, so mu auf der anderenSeite wiederum betont werden, was jeder von uns bei jeder Begegnung mitMenschen fhlt und empfindet, da jeder einzelne Mensch im Grunde wieder

    ein Rtsel fr den anderen und in den meisten Fllen fr sich selber ist. Nichtmit den allgemeinen Daseinsrtseln haben wir es heute zu tun, wohl aber mit jenem fr das Leben nicht weniger bedeutsamen Rtsel, das uns jeder Menschbei jeder Begegnung aufgibt. Denn wie unendlich verschieden sind dieMenschen in ihrem individuellen, tiefsten Innern! Man braucht nur das WortTemperament auszusprechen, das heute unserm Vortrag zugrunde liegen soll,um zu sehen, da der Rtsel so viele sind wie Menschen. Innerhalb derGrundtypen, der Grundfrbungen, haben wir eine solche Mannigfaltigkeit undVerschiedenheit unter den Menschen, da man wohl sagen kann, da innerhalb

    der eigentmlichen Grundstimmung des menschlichen Wesens, die manTemperament nennt, das eigentmliche Daseinsrtsel sich ausdrckt. Und da,wo die Rtsel eingreifen in die unmittelbare Lebenspraxis, da spielt dieGrundfrbung des menschlichen Wesens, das Temperament, eine Rolle. Wennuns der Mensch entgegentritt, so fhlt man, da etwas von dieserGrundstimmung uns entgegentritt. Deshalb darf man nur hoffen, da dieGeisteswissenschaft das Ntige zu sagen hat auch ber das Wesen derTemperamente.

    Man fhlt, die Temperamente des Menschen gehren zu dem ueren, denn,

    wenn man auch zugeben mu, da die Temperamente aus dem Innern quellen,so drcken sie sich doch aus in allem, was uns uerlich am Menschen vorAugen tritt. Durch eine uere Naturbetrachtung ist das Rtsel des Menschenaber nicht zu lsen. Nur dann kann man der eigentmlichen Frbung desmenschlichen Wesens nahetreten, wenn wir erfahren, was dieGeisteswissenschaft ber den Menschen zu sagen hat. Wir erfahren da, da wirim Menschen zunchst dasjenige haben, wodurch der Mensch sich hineinstellt inseine Vererbungslinie. Er zeigt die Eigenschaften, die er ererbt hat von Vater,Mutter, Groeltern und so weiter. Diese Merkmale vererbt er wiederum aufseine Nachkommen. Dadurch, da der Mensch so in eine Generationenreihehineingestellt ist, da er Ahnen hat, dadurch hat er gewisse Eigenschaften. Aberdasjenige, was er ererbt von seinen Vtern hat, gibt uns nur eine Seite der

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    menschlichen Wesenheit. Hiermit verbindet sich dasjenige, was der Mensch ausder geistigen Welt mitbringt, was er zu dem hinzubringt, was ihm Vater undMutter, was ihm die Ahnen geben knnen. Mit dem, was da herunterfliet in derGenerationsstrmung, verbindet sich etwas anderes, das von Leben zu Leben,

    von Dasein zu Dasein geht. Auf der einen Seite sagen wir: Das oder das hat derMensch von seinen Ahnen. - Wir sehen aber, wenn wir einen Menschen vonKindheit an sich entwickeln sehen, wie sich aus dem Kern seiner Natur herausdas entwickelt, was die Frucht vorhergehender Leben ist, was er niemals vonseinen Vorfahren ererbt haben kann. Wir kennen das Gesetz der Wie-derverkrperung, der Folge der Lebenslufe. Das ist nichts anderes, als derspezielle Fall eines allgemeinen Weltgesetzes.

    Nicht so paradox erscheint es uns, wenn wir uns berlegen: Sehen wir uns einlebloses Mineral an, einen Bergkristall. Er hat eine regelmige Form. Geht er

    zugrunde, so hinterlt er nichts von seiner Form, was bestehen bleibt, was aufandere Bergkristalle bergehen knnte. Der neue Kristall bekommt nichts vonseiner Form. Steigen wir hinauf aus der Welt des Mineralischen in die Welt desPflanzlichen, so wird uns klar, da nicht aus demselben Gesetz heraus, wie beimBergkristall, eine Pflanze entstehen kann. Eine Pflanze kann nur da sein, wennsie sich herleitet von der Vorfahrenpflanze. Hier wird die Form erhalten undhinbergeleitet in die andere Wesenheit. Gehen wir hinauf in die Tierwelt, sofinden wir, wie eine Entwickelung der Art stattfindet. Wir sehen, wie gerade dasneunzehnte Jahrhundert seine grten Ergebnisse darin gesehen hat, diese

    Entwickelung der Art aufzufinden. Wir sehen, wie nicht nur aus einer Form eineandere hervorgeht, sondern wie jedes junge Tier im Leibe der Mutter nocheinmal die frheren Formen, die niederen Entwickelungsphasen durchmacht, dieseine Vorfahren gehabt haben. Bei den Tieren haben wir eine Steigerung derArt.

    Beim Menschen haben wir nicht nur eine Steigerung der Art, eine Entwickelungder Gattung, sondern eine Entwickelung der Individualitt. Was der Mensch sichim Laufe seines Lebens durch Erziehung, durch Erfahrung erwirbt, das gehtebensowenig verloren wie die Vorfahrenreihe der Tiere. Es wird eine Zeit

    kommen, wo man den Wesenskern des Menschen zurckfhren wird auf einvorheriges Dasein. Man wird erkennen, da das menschliche Wesen eine Fruchteines frheren Daseins ist. Die Widerstnde, gegen die diese Lehre sich einlebenmu, werden berwunden werden, geradeso, wie die Meinung der Gelehrtenfrherer Jahrhunderte berwunden wurde, da Lebendiges aus Unlebendigem,zum Beispiel aus Fluschlamm entstehen knne. Noch vor dreihundert Jahrenglaubte die Naturforschung, da sich Tiere aus Fluschlamm, also ausUnlebendigem, entwickeln knnten. Es war ein italienischer Naturforscher,Francesco Redi, der zuerst die Behauptung aufstellte, da Lebendiges nur ausLebendigem entstehen knne. Er wurde angegriffen wegen dieser Lehre; fastwre es ihm gegangen wie Giordano Bruno. Heute ist ja das Verbrennen nichtmehr Mode. Wer heute mit einer neuen Wahrheit hervortritt, wer zum Beispiel

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    Seelisch-Geistiges auf Seelisch-Geistiges zurckfhren will, den wird man jaheute nicht gerade verbrennen, aber man wird ihn fr einen Narren ansehen. Eswird eine Zeit kommen, wo es fr einen Unsinn angesehen werden wird, zumeinen, da der Mensch nur einmal lebt, da nicht etwas Bleibendes da ist, das

    sich verbindet mit dem, was die vererbten Merkmale sind.Nun entsteht die groe Frage: Wie kann dasjenige, was aus ganz anderen Weltenstammt, was sich Vater und Mutter suchen mu, sich vereinen mit dem Leiblich-Physischen, wie kann es sich umkleiden mit dem, was die krperlichenMerkmale sind, durch die der Mensch hineingestellt wird in dieVererbungslinie? Wie geschieht die Vereinigung der beiden Strmungen, dergeistig-seelischen Strmung, in die der Mensch hineingestellt ist durch dieWiederverkrperung, und der leiblichen Strmung der Vererbungslinie? Es muein Ausgleich geschaffen werden. Indem die beiden Strmungen sich

    vereinigen, frbt die eine Strmung die andere. Sie frben sich gegenseitig. Sowie sich die blaue und die gelbe Farbe etwa vereinigen in dem Grn, so ver-einigen sich die beiden Strmungen im Menschen zu dem, was man seinTemperament nennt. Hier strahlt aus das Seelische des Menschen und dienatrlichen vererbten Merkmale. In der Mitte drinnen steht, was dasTemperament ist, mitten zwischen dem, wodurch der Mensch sich anschliet anseine Ahnenreihe und dem, was er mitbringt aus seinen frherenVerkrperungen. Das Temperament gleicht das Ewige mit dem Vergnglichenaus. Dieser Ausgleich geschieht dadurch, da dasjenige, was wir als die Glieder

    der menschlichen Natur kennengelernt haben, in ganz bestimmter Art und Weisemiteinander ins Verhltnis tritt.

    Wir kennen diesen Menschen, wie er uns entgegentritt im Leben,zusammengeflossen aus diesen beiden Strmungen, wir kennen ihn als eineviergliedrige Wesenheit. Zuerst kommt der physische Leib in Betracht, den derMensch gemeinsam hat mit der mineralischen Welt. Als erstes bersinnlichesGlied erhlt er den therleib eingegliedert, der das ganze Leben hindurch mitdem physischen Leib vereinigt bleibt; nur im Tode tritt eine Trennung derbeiden ein. Als drittes Glied folgt der Astralleib, der Trger von Instinkten,

    Trieben, Leidenschaften, Begierden und von all dem, was an Empfindungen undVorstellungen auf- und abwogt.Des Menschen hchstes Glied, das, wodurch erber alle Wesen hinausragt, ist der Trger des menschlichen Ichs, das ihm in sortselhafter Weise, aber auch in so offenbarer Weise, die Kraft desSelbstbewutseins gibt. Diese vier Glieder sind uns entgegengetreten in dermenschlichen Wesenheit.

    Dadurch nun, da zwei Strmungen im Menschen zusammenflieen, wenn erhineintritt in die physische Welt, dadurch entsteht eine verschiedene Mischungder vier Wesensglieder des Menschen, und eines erhlt sozusagen die Herrschaft

    ber die anderen und drckt ihnen die Frbung auf. Beherrscht der Ich-Trgerdie brigen Glieder des Menschen, so herrscht das cholerische Temperamentvor. Herrscht der Astralleib ber die anderen Glieder, so sprechen wir dem

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    Menschen ein sanguinisches Temperament zu. Herrscht vor der ther- oderLebensleib, so sprechen wir vom phlegmatischen Temperament. Und istvorherrschend der physische Leib, so handelt es sich um ein melancholischesTemperament. Gerade wie sich Ewiges und Vergngliches miteinander mischen,

    so tritt das Verhltnis der Glieder zueinander ein. Es ist oft auch schon gesagtworden, wie im physischen Leibe die vier Glieder sich uerlich ausprgen. DasIch drckt sich in der Zirkulation des Blutes aus. Deshalb ist beim Cholerikervorherrschend das Blutsystem. Der Astralleib findet seinen physischenAusdruck im Nervensystem; wir haben deshalb beim Sanguiniker im physischenLeibe tonangebend das Nervensystem. Der therleib drckt sich physisch ausim Drsensystem; deshalb ist beim Phlegmatiker im physischen Leibetonangebend das Drsensystem. Der physische Leib als solcher kommt nur imphysischen Leibe zum Ausdruck; deshalb ist der physische Leib beimMelancholiker das uerlich Tonangebende. In allen Erscheinungen, die uns inden einzelnen Temperamenten entgegentreten, knnen wir dies sehen.

    Beim Choleriker ist vorzugsweise das Ich und das Blutsystem vorherrschend.Dadurch tritt er auf als der Mensch, der sein Ich unter allen Umstndendurchsetzen will. Von der Zirkulation des Blutes schreibt sich alles Aggressivedes Cholerikers her, alles was mit der starken Willensnatur des Cholerikerszusammenhngt. Im Nervensystem und Astralleib sind die auf- und abwogendenEmpfindungen und Gefhle. Nur dadurch, da diese durch das Ich gebndigtwerden, kommt Harmonie und Ordnung hinein. Wrde er sie nicht durch sein

    Ich bndigen, so wrden sie auf- und abfluten, ohne da man bemerken knnte,der Mensch bt irgendeine Herrschaft ber sie aus. Der Mensch wrde hin-gegeben sein allem Wogen von Empfindung zu Empfindung, von Bild zu Bild,von Vorstellung zu Vorstellung und so weiter.

    Etwas von dem tritt ein, wenn der astralische Leib vorherrscht, also beimSanguiniker, der in gewisser Weise den auf- und abwogenden Bildern,Empfindungen und Vorstellungen hingegeben ist, da bei ihm der Astralleib unddas Nervensystem vorherrschen. Das, was des Menschen Blutzirkulation ist, istder Bndiger des Nervenlebens. Was tritt ein, wenn ein Mensch blutarm,

    bleichschtig ist, wenn der Bndiger nicht da ist? Dann tritt ein zgelloses Auf-und Abfluten der Bilder; Illusionen, Halluzinationen treten auf. Einen kleinenAnflug davon haben wir beim Sanguiniker. Der Sanguiniker kann nicht beieinem Eindruck verweilen, er kann nicht festhalten an einem Bilde, er haftetnicht mit seinem Interesse an einem Eindruck. Er eilt von Lebenseindruck zuLebenseindruck, von Wahrnehmung zu Wahrnehmung. Das kann manbesonders beim sanguinischen Kinde beobachten; da kann es einem Sorgemachen. Leicht ist Interesse da, ein Bild fngt leicht an zu wirken, macht baldeinen Eindruck, aber der Eindruck ist bald wieder verschwunden.

    Gehen wir jetzt zum phlegmatischen Temperament ber! Wir sahen, da dasphlegmatische Temperament dadurch entsteht, da vorherrschend gemacht istdas, was wir ther- oder Lebensleib nennen, das, was des Menschen

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    Wachstums- und Lebensvorgnge im Innern regelt. Es kommt das in innererBehaglichkeit zum Ausdruck. Je mehr der Mensch in seinem therleib lebt,desto mehr ist er in sich selber beschftigt, und lt die ueren Dinge laufen. Erist in seinem Innern beschftigt.

    Beim Melancholiker haben wir gesehen, da der physische Leib, also dasdichteste Glied der menschlichen Wesenheit, der Herr wird ber die anderen.Immer, wenn der dichteste Teil Herr wird, dann fhlt das der Mensch so, da ernicht Herr ist darber, da er ihn nicht handhaben kann. Denn der physischeLeib ist das Instrument, das er durch seine hheren Glieder berall beherrschensoll; jetzt aber herrscht dieser physische Leib, setzt dem anderen Widerstandentgegen. Das empfindet der Mensch als Schmerz, Unlust, als die trbseligeStimmung des Melancholikers. Es ist immer ein Aufsteigen von Schmerzen da.Von nichts anderem rhrt diese Stimmung her, als da der physische Leib der

    innern Behaglichkeit des therleibes, der Beweglichkeit des Astralleibes undder Zielsicherheit des Ichs Widerstnde entgegenstellt.

    Was wir da sehen als die Mischung der vier Wesensglieder des Menschen, dastritt uns im ueren Bilde klar und deutlich entgegen. Wenn das Ich vorherrscht,will der Mensch sich gegen alle ueren Widerstnde durchsetzen, will inErscheinung treten. Es hlt dann frmlich die anderen Glieder des Menschen imWachstum zurck, den Astralleib und den therleib, lt sie nicht zu ihremRechte kommen. Rein uerlich tritt das einem schon entgegen.Johann GottliebFichte zum Beispiel, der deutsche Choleriker, ist schon uerlich als solcher

    kenntlich. Er verriet schon uerlich deutlich im Wuchs, da die anderen We-sensglieder zurckgehalten worden sind. Oder ein klassisches Beispiel einesCholerikers ist Napoleon, der so klein geblieben ist, weil das Ich die anderenWesensglieder zurckgehalten hat. Es handelt sich nun natrlich nicht darum,da behauptet wird, der Choleriker sei klein und der Sanguiniker gro. Wirdrfen die Gestalt des Menschen nur mit seinem eignen Wuchs vergleichen. Eskommt darauf an, in welchem Verhltnis zur ganzen Gestalt der Wuchs steht.Beim Sanguiniker herrscht das Nervensystem, der Astralleib vor. Er wird inseinem in sich beweglichen Leben an den Gliedern arbeiten; er wird auch das

    uere Abbild des Menschen so beweglich wie mglich machen. Haben wirbeim Choleriker scharf geschnittene Gesichtszge, so beim Sanguinikerbewegliche, ausdrucksvolle, sich verndernde Gesichtszge. Sogar in derschlanken Gestalt, im Knochenbau, sehen wir die innere Beweglichkeit desAstralleibes am ganzen Menschen. In den schlanken Muskeln zum Beispielkommt sie zum Ausdruck. Das ist auch zu sehen in dem, was der Menschuerlich darlebt. Auch wer nicht hellsehend ist, kann dem Menschen schon vonhinten ansehen, ob er Sanguiniker oder Choleriker ist. Dazu braucht man nichtGeisteswissenschaftler zu sein. Sieht man einen Choleriker gehen, so kann manbeobachten, wie er jeden Fu so setzt, als ob er bei jedem Schritt nicht nur denBoden berhren wolle, sondern als ob der Fu noch ein Stck in den Bodenhineingehen sollte. Beim Sanguiniker dagegen haben wir einen hpfenden,

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    springenden Gang. Auch feinere Merkmale finden sich in der ueren Gestalt.Die Innerlichkeit der Ich-Natur, die geschlossene Innerlichkeit des Cholerikerstritt uns entgegen in dem schwarzen Auge des Cholerikers. Sehen Sie sich denSanguiniker an, bei dem die Ich-Natur nicht so tief gewurzelt ist, bei dem der

    astralische Leib seine ganze Beweglichkeit ausgiet, da ist das blaue Augevorherrschend. So knnten viele Merkmale angefhrt werden, die dasTemperament in der ueren Erscheinung zeigen.

    Das phlegmatische Temperament tritt einem entgegen in der unbeweglichen,teilnahmslosen Physiognomie, in der Flle des Krpers, besonders in derAusarbeitung der Fettpartien; denn das ist das, was besonders der therleib aus-arbeitet. In alledem tritt uns die innere Behaglichkeit des Phlegmatikersentgegen. Er hat einen schlotternden Gang. Er tritt sozusagen nicht ordentlichauf, setzt sich nicht in Beziehung zu den Dingen. - Und sehen Sie sich den

    Melancholiker an, wie er zumeist einen vorhngenden Kopf hat, nicht aus sichheraus die Kraft hat, den Nacken zu steifen. Das Auge ist trbe; da ist nicht derGlanz des schwarzen Cholerikerauges. Der Gang ist zwar fest, aber es ist nichtder Gang des Cholerikers, das feste Auftreten des Cholerikers, sondern es istetwas Schleppend-Festes.

    So sehen Sie, wie bedeutsam Geisteswissenschaft zur Lsung dieses Rtselsbeitragen kann. Aber nur, wenn man auf die ganze Wirklichkeit geht, zu derauch das Geistige gehrt, wenn man nicht blo bei dem sinnlich Wirklichenbleibt, kann Lebenspraxis folgen aus der Erkenntnis. Deshalb kann nur aus

    Geisteswissenschaft diese Erkenntnis flieen, so da es zum Heile der ganzenMenschheit und des einzelnen ist. Bei der Erziehung mu sehr genau auf die Artdes Temperamentes geachtet werden, denn bei den Kindern ist es besonders vonWichtigkeit, dieses sich entwickelnde Temperament leiten und lenken zuknnen. Aber auch spter bei der Selbsterziehung Ist es noch wichtig fr denMenschen. Bei dem, der sich selbst erziehen will, ist es wertvoll, da er achteauf das, was sich in seinem Temperamente ausdrckt.

    Ich habe Ihnen hier die Grundtypen angefhrt. So rein kommen sie im Lebennatrlich nicht vor. Jeder Mensch hat nur den Grundton eines Temperamentes,

    daneben hat er von den anderen. Napoleon hatte zum Beispiel vielPhlegmatisches in sich, obwohl er ein Choleriker war. Wenn wir das Lebenpraktisch beherrschen, so kommt es darauf an, da wir auf unsere Seeledasjenige wirken lassen knnen, was sich typisch ausdrckt. Wie wichtig es ist,das sieht man am allerbesten, wenn man bedenkt, da die Temperamenteausarten knnen, da das, was uns in der Einseitigkeit entgegentreten kann, auchausarten kann. Was wre die Welt ohne die Temperamente, wenn die Menschennur ein Temperament htten! Das Langweiligste, was Sie sich denken knnten!Langweilig wre die Welt ohne die Temperamente, nicht nur im sittlichen,

    sondern auch im hheren Sinne. Alle Mannigfaltigkeit, Schnheit und allerReichtum des Lebens sind nur mglich durch die Temperamente. Bei derErziehung handelt es sich nicht darum, die Temperamente auszugleichen, zu

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    nivellieren, sondern es handelt sich darum, sie in die richtigen Geleise zubringen. Aber in jedem Temperamente liegt eine kleine und eine groe Gefahrder Ausartung. Beim cholerischen Menschen liegt in der Jugend die Gefahr vor,da ein solcher Mensch durch Zornwtigkeit, ohne da er sich beherrschen

    kann, sein Ich eingeprgt erhlt. Das ist die kleine Gefahr. Die groe Gefahr istdie Narrheit, die aus ihrem Ich heraus irgendein einzelnes Ziel verfolgen will.Beim sanguinischen Temperamente ist die kleine Gefahr die, da der Mensch inFlatterhaftigkeit verfllt. Die groe Gefahr ist, da das Auf- und Abwogen derEmpfindungen in Irrsinn einmndet. Die kleine Gefahr des Phlegmatikers ist dieInteresselosigkeit gegenber der ueren Welt; die groe Gefahr ist die Idiotie,der Stumpfsinn. Die kleine Gefahr beim melancholischen Temperament ist derTrbsinn, die Mglichkeit, da der Mensch nicht herauskommt ber das, was imeignen Innern aufsteigt. Die groe Gefahr ist der Wahnsinn.

    Wenn wir uns das alles vorhalten, so werden wir sehen, da in dem Lenken undLeiten der Temperamente eine bedeutsame Aufgabe der Lebenspraxis liegt.Aber um die Temperamente zu leiten, ist der Grundsatz zu beachten, da immermit dem gerechnet werden mu, was da ist, nicht mit dem, was nicht da ist. Hatein Kind ein sanguinisches Temperament, so knnen wir ihm nicht dadurch inder Entwicklung weiterhelfen, da wir Interesse hineinprgeln wollen; mankann nicht ihm einbleuen etwas anderes, als was eben sein sanguinischesTemperament ist. Wir sollen nicht fragen: Was fehlt dem Kinde, was sollen wirihm einprgeln? - sondern wir sollen fragen: Was hat ein sanguinisches Kind in

    der Regel? Und damit mssen wir rechnen. In der Regel werden wir einesfinden, ein Interesse kann immer erregt werden; das Interesse fr irgendeinePersnlichkeit, wenn das Kind auch noch so flatterhaft ist. Wenn wir die richtigePersnlichkeit nur sind, oder wenn wir ihm die richtige Persnlichkeitbeigesellen knnen, so tritt das Interesse schon auf. Nur auf dem Umwege derLiebe zu einer Persnlichkeit kann beim sanguinischen Kinde Interesseauftreten. Mehr als jedes andere Temperament braucht das sanguinische KindLiebe zu einer Persnlichkeit. Alles mu getan werden, da bei einem solchenKinde die Liebe erwache. Liebe ist das Zauberwort. Wir mssen sehen, was daist. Wir mssen sehen, allerlei Dinge in die Umgebung des Kindes zu bringen,von denen man doch bemerkt hat, da es tieferes Interesse daran hat. DieseDinge mu man zum Sanguiniker sprechen lassen, mu sie auf das Kind wirkenlassen, mu sie ihm dann wieder entziehen, damit das Kind sie wieder begehrt,und sie ihm von neuem geben. Man mu sie so auf das Kind wirken lassen, wiedie Gegenstnde der gewhnlichen Welt auf das sanguinische Temperamentwirken.

    Beim cholerischen Kinde gibt es auch einen Umweg, durch den die Entwicklungimmer zu leiten ist. Hier heit das, was die Erziehung sicher leitet: Achtung undSchtzung einer Autoritt. Hier handelt es sich nicht um ein Beliebtmachendurch die persnlichen Eigenschaften, wie beim sanguinischen Kinde, sondernes kommt darauf an, da das cholerische Kind immer den Glauben hat, da der

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    Erzieher die Sache versteht. Man mu zeigen, da man in den Dingen Bescheidwei, die um das Kind vorgehen. Man darf sich nicht eine Ble geben. DasKind mu immer den Glauben erhalten, da der Erzieher die Sache kann, sonsthat er sofort verspielt. Ist Liebe zur Persnlichkeit das Zaubermittel beim

    sanguinischen Kinde, so Achtung und Schtzung des Wertes einer Person dasZauberwort beim cholerischen Kinde. Ihm mssen besonders solcheGegenstnde in den Weg gefhrt werden, die ihm Widerstand entgegensetzen.Widerstnde, Schwierigkeiten mssen ihm in den Weg gelegt werden. Man muversuchen, ihm das Leben nicht so leicht zu machen.

    Das melancholische Kind ist nicht leicht zu leiten. Hier aber gibt es wieder einZaubermittel. Wie beim sanguinischen Kinde Liebe zur Persnlichkeit, beimcholerischen Schtzung und Achtung des Wertes des Erziehers die Zauberwortesind, so ist beim melancholischen Kinde das, worauf es ankommt, da die

    Erzieher Persnlichkeiten sind, die im Leben in einer gewissen Weise geprftsind, die aus einem geprften Leben heraus handeln und sprechen. Das Kindmu fhlen, da der Erzieher wirkliche Schmerzen durchgemacht habe. LassenSie das Kind merken an allen den hunderterlei Dingen des Lebens die eigenenLebensschicksale. Das Mitfhlen mit dem Schicksale dessen, der um einen ist,wirkt hier erziehend. Auch hier beim Melancholiker mu man rechnen mit dem,was er hat. Er hat Schmerzfhigkeit, Unlustfhigkeit; die sitzen in seinemInnern, die knnen wir nicht ausprgeln. Aber wir knnen sie ablenken. Lassenwir ihn gerade im Auenleben berechtigten Schmerz, berechtigtes Leid erfahren,

    damit er kennenlernt, da es Dinge gibt, an denen er Schmerz erleben kann. Dasist es, worauf es ankommt. Nicht soll man ihn zerstreuen: dadurch verhrten Sieseine Trbsinnigkeit, seinen Schmerz im Innern. Er soll sehen, da es Dinge imLeben gibt, an denen man Schmerz erfahren kann. Wenn man es auch nicht zuweit treiben darf, so kommt es doch darauf an, da an den ueren DingenSchmerz erregt wird, der ihn ablenkt.

    Der Phlegmatiker darf nicht einsam aufwachsen. Wenn es bei den anderen schongut ist, Gespielen zu haben, so ist das besonders beim Phlegmatiker der Fall. Ermu Gespielen haben mit den mannigfaltigsten Interessen. Er kann erzogen

    werden durch das Miterleben der Interessen und mglichst vieler Interessen deranderen Persnlichkeiten. Wenn er sich gleichgltig verhlt gegen das, was inder Umgebung ist, so kann sein Interesse angefacht werden dadurch, da dieInteressen der Gespielen, der Gesellen auf ihn wirken. Kommt es beimmelancholischen Kinde auf das Miterleben des Schicksals einer anderenPersnlichkeit an, so beim phlegmatischen auf das Miterleben der Interessenseiner Gespielen. Nicht Dinge als solche wirken auf den Phlegmatiker; aberwenn sich die Dinge in anderen Menschen spiegeln, dann spiegeln sich dieseInteressen in der Seele des phlegmatischen Kindes. Dann sollen wir besondersdarauf sehen, da wir Gegenstnde in seine Umgebung bringen, Ereignisse inseiner Nhe geschehen lassen, wo das Phlegma am Platze ist. Man mu dasPhlegma auf die richtigen Gegenstnde lenken, denen gegenber man phleg-

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    matisch sein darf.

    So sehen wir bei diesen Erziehungsgrundstzen, wie die Geisteswissenschafteingreift in die praktischen Fragen des Lebens. Auch die Selbsterziehung kannder Mensch hier in die Hand nehmen. Nicht dadurch kommt zum Beispiel der

    Sanguiniker zum Ziele, da er sich sagt: Du hast ein sanguinischesTemperament, das mut du dir abgewhnen. - Der Verstand, direkt angewandt,ist auf diesem Gebiete oft ein Hindernis. Indirekt vermag er dagegen viel. DerVerstand ist hier die allerschwchste Seelenkraft. Bei strkeren Seelenkrften,wie es die Temperamente sind, vermag der Verstand direkt sehr wenig, kann nurindirekt wirken. Der Mensch mu mit seinem Sanguinismus rechnen; Selbst-ermahnungen fruchten nicht. Es kommt darauf an, den Sanguinismus am rechtenOrte zu zeigen. Wir knnen uns durch den Verstand Erlebnisse schaffen, fr diedas kurze Interesse des Sanguinikers berechtigt ist. Wenn wir also solche

    Verhltnisse auch noch so sehr im Kleinen herbeifhren, bei denen das kurzeInteresse am Platze ist, so wird es schon hervorrufen, was ntig ist. Beimcholerischen Temperament, da ist es gut, solche Gegenstnde zu whlen, durchden Verstand solche Verhltnisse herbeizufhren, bei denen es uns nichts hilft,da wir toben, wo wir durch unser Toben uns selbst ad absurdum fhren. Dasmelancholische Temperament soll nicht an den Schmerzen und Leiden desLebens vorbeigehen, sondern soll sie gerade aufsuchen, soll mitleiden, damitsein Schmerz abgelenkt werde an die richtigen Gegenstnde und Ereignisse.Sind wir Phlegmatiker, die keine Interessen haben, so ist es gut, da wir uns

    mglichst viel mit recht uninteressanten Gegenstnden beschftigen, uns mitrecht viel Quellen der Langweile umgeben, da wir uns grndlich langweilen.Dann werden wir uns grndlich kurieren von unserem Phlegma, es unsgrndlich abgewhnen. So rechnet man mit dem, was da ist, und nicht mit dem,was nicht da ist.

    Wenn wir so mit Lebensweisheit uns durchdringen, dann wird sich uns dasGrundrtsel des Lebens, das uns der einzelne Mensch bietet, lsen knnen.Nicht dadurch ist es zu lsen, da wir abstrakte Vorstellungen und Begriffehinpfahlen. Das allgemeine Menschenrtsel kann man in Bildern lsen. Dieses

    einzelne Rtsel ist nicht durch das Hinpfahlen der abstrakten Vorstellungen undBegriffe zu lsen, sondern wir mssen jedem einzelnen Menschen so entgegen-treten, da wir ihm unmittelbares Verstndnis entgegenbringen. Das kann manaber nur, wenn man wei, was im Grunde der Seele ist. Die Geisteswissenschaftist etwas, das langsam und allmhlich sich eingiet in unsere ganze Seele, so dasie die Seele nicht nur fr die groen Zusammenhnge empfnglich macht,sondern auch fr die feinen Einzelheiten. Bei der Geisteswissenschaft ist es so,da, wenn eine Seele der anderen gegenbersteht, und diese fordert Liebe, sowird ihr die Liebe entgegengebracht. Wenn sie etwas anderes fordert, so wird sieihr das andere geben. So schaffen wir durch solche wahre Lebensweisheitsoziale Untergrnde. Das heit in jedem Augenblicke ein Rtsel lsen. Nichtdurch Predigt, Ermahnung, Moralpauken wirkt Anthroposophie, sondern

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    dadurch, da sie einen sozialen Untergrund schafft, in welchem der Mensch denMenschen erkennen kann. Die Geisteswissenschaft ist der Untergrund desLebens, und die Liebe ist die Blte und Frucht eines solchen von derGeisteswissenschaft angeregten Lebens. Daher darf die Geisteswissenschaft

    sagen, da sie etwas grndet, das einen Boden ergibt fr das, was das schnsteZiel der menschlichen Bestimmung ist: die echte, wahre Menschenliebe.