Das hypoplastische Linksherzsyndrom (HLHS) · PDF file4 Das hypoplastische Linksherzsyndrom (HLHS) Leben mit nur einer Herzkammer Prof. Dr. med. Hans-Heiner Kramer, Direktor der Klinik

Embed Size (px)

Citation preview

  • 4

    Das hypoplastische Linksherzsyndrom (HLHS)

    Leben mit nur einer Herzkammer

    Prof. Dr. med. Hans-Heiner Kramer, Direktor der Klinik fr angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie, Universittsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel

    Beim normalen Herzen pumpt je ein Ventri-kel (Herzkammer) das Blut durch den Krper- bzw. den Lungenkreislauf. Etwa 34 % aller Kinder mit angeborenem Herzfehler haben jedoch nur eine Herzkammer. Man spricht hier von univentrikulren Herzen (Einkam-merherzen). Grob lassen sich diese Formen der Fehlbildung des Herzens danach eintei-len, ob die rechte oder die linke Kammer hypo-plastisch (verkmmert bzw. unterentwickelt) ist. Der folgende Beitrag beschreibt die Behandlungsschritte bei Kindern mit hypo-plastischem Linksherzsyndrom (HLHS), die medizinische Betreuung whrend und nach den operativen Eingriffen, die psychomotori-sche Entwicklung sowie den zu erwartenden Langzeitverlauf.

    Anatomische Vernderungen

    Beim HLHS liegt eine Hypoplasie der linken Herzkammer vor, die beim gesunden Men-schen der Blutversorgung aller Organe des Krpers dient (groer oder auch Krperkreis-lauf genannt). Hierfr muss die Kammer aus-reichend gro sein. Die Ursache dafr, dass sie bei diesem Herzfehler zu klein ist, liegt in einer Hypoplasie (und damit Verengung) oder gar einer Atresie (komplettes Fehlen der ffnung) der Mitralklappe zwischen linkem Vorhof und linker Herzkammer sowie der Aortenklappe zwischen linker Herzkammer und Aorta (Kr-perschlagader). Abb. 1 zeigt die drei hufigsten anatomischen Varianten des HLHS, die sich durch den Grad der Hypoplasie der Herzklap-

    pen und der linken Herzkammer unterschei-den. Da durch die linke Kammer wenig oder gar kein Blut flieen kann, ist auch der aufstei-gende Teil der Krperschlagader unterent-wickelt und hat oft nur einen Durchmesser von 2 mm. Erst die absteigende Krperschlagader hat einen normalen Durchmesser von ca. 7 mm. Das berleben nach der Geburt hngt bei die-sen Kindern von zwei anatomischen Struktu-ren ab, die vor der Geburt bei allen Menschen bestehen:

    dem Ductus arteriosus (Botalli) sowie einem Loch in der Vorhofscheidewand, das als Foramen ovale bezeichnet wird.

    Der Ductus arteriosus ist eine Verbindung zwi-schen der Pulmonalarterie (Lungenschlag-ader) und der Aorta. Durch ihn kann das Blut an den im Mutterleib noch nicht entfalteten Lungen vorbei in den Krperkreislauf flieen. In den ersten Tagen nach der Geburt ver-schliet er sich langsam. Mit dem ersten Atemzug nach der Geburt ent-falten sich die Lungen und werden von da an durchblutet. Durch das Foramen ovale in der Scheidewand zwischen linkem und rechtem Vorhof kann das nun aus den Lungen kom-mende sauerstoffreiche Blut an der verschlos-senen oder zu kleinen Mitralklappe vorbei in den rechten Vorhof flieen und sich dort mit dem aus dem Krper zurckkommenden sauerstoffarmen Blut mischen. Dieses Misch-blut fliet weiter ber die rechte Herzkammer in die Lungenschlagader und von dort zum

  • 5

    einen Teil in beide Lungenflgel, zum anderen Teil ber den Ductus arteriosus in die Aorta. Der offene Ductus arteriosus ist bei diesen Kin-dern der einzige Weg, auf dem die lebenswich-tigen Organe wie Herz, Gehirn, Leber oder Nieren mit Blut und dem darin transportierten Sauerstoff versorgt werden.

    Die Folgen fr die kleinen Patienten

    Normalerweise fliet nur sauerstoffreiches Blut in den Krperkreislauf. Obwohl bei Kin-dern mit HLHS ber den Ductus arteriosus nur Mischblut (aus sauerstoffreichem und sauer-stoffarmem Blut) in den Krperkreislauf gelangt, sieht man das den Neugeborenen meist nicht an, d. h. es besteht keine zentrale Zyanose (Blauverfrbung der Haut und der Schleimhute, z. B. der Mundschleimhaut und der Zunge). Der Grund hierfr ist vor allem die im Verlauf der ersten Lebenstage stark zuneh-mende Durchblutung der Lungen. Die groe Blutflle dieser Organe zwingt das Kind zu einer beschleunigten Atmung. Dies ist meist das erste Zeichen, das auf ein HLHS hinweist. Es wird aber gelegentlich als Anpassungsst-rung nach der Geburt fehlgedeutet.

    Wird ein HLHS nicht rechtzeitig erkannt, verschlech-tert sich der Zustand der Kinder in der Folge-zeit kritisch. Dies beruht auf zwei Faktoren:

    Der Ductus arteriosus verschliet sich. Das ist fr ein gesundes Kind normal, bei HLHS wird dadurch aber dem Blut der Weg in den Krperkreislauf versperrt.

    In den ersten Lebenstagen ist der Wider-stand in den Lungengefen hoch, nimmt dann aber ab. Das hat die erwhnte Zunahme der Lungendurchblutung zur Folge und fhrt gleichzeitig zu einer starken Abnahme der Durchblutung des Krpers. Es entwickeln sich ein schwerer Schockzustand und damit eine ungengende Sauerstoffversorgung der lebenswichtigen Organe. Dieser folgen-schwere Teufelskreis ist in Abb. 2 (Seite 6) dargestellt: Die Mangeldurchblutung fhrt zu einer bersuerung des Organismus. Um Sure in Form von Kohlendioxid verstrkt abzuatmen, beschleunigt sich die Atmung des Kindes weiter, was wiederum dazu bei-trgt, den Widerstand der Lungengefe noch mehr zu senken. Wird nicht schnell eingegriffen, endet diese Spirale tdlich.

    Abb. 1: Anatomische Varianten des hypoplastischen Linksherzsyndroms.A: Mitral- und Aortenklappe sind nicht

    ffnungsfhig.B: Die Mitralklappe ist stenotisch (zu eng)

    und die Aortenklappe nicht ffnungs-fhig.

    C: Mitral- und Aortenklappe sind steno-tisch.

    Aortenklappe

    Ductus arteriosus Botalli Mitralklappe

    A

    B

    C

  • 6

    Bei den meisten Kindern mit HLHS ist das zusammen mit dem Ductus arteriosus fr das berleben notwendige Foramen ovale in der Vorhofscheidewand gro genug, um den Abfluss des sauerstoffreichen Blutes aus der Lunge zu ermglichen. In relativ seltenen Fl-len ist das Loch aber zu klein. Sauerstoffreiches und sauerstoffarmes Blut knnen sich dann nicht mehr ausreichend mischen und das Blut staut sich vom linken Vorhof in die Lungenve-nen zurck. Dies fhrt zu einer Strukturvern-derung der Lungengefe und erhht das Risi-ko fr die anstehenden Operationen stark. Akut ist in diesen Fllen ein Kathetereingriff erforderlich, durch den die Verbindung zwi-schen linkem und rechtem Vorhof vergrert wird.

    Ist die Diagnose eines HLHS schon im Rahmen einer Prnataldiagnostik (vorgeburtlichen Untersuchung) gestellt worden, sollte die Geburt des Kindes in einer Klinik erfolgen, die Anschluss an ein Kinderherzzentrum hat, das auf die Behandlung dieses Herzfehlers spezia-lisiert ist. Wird ein HLHS erst nach der Geburt erkannt, mglicherweise erst nach Eintreten eines Kreislaufschocks, muss das Kind sofort zur intensivmedizinischen Betreuung in ein solches Zentrum verlegt werden.

    Behandlung vor der ersten Operation

    Sobald sich besttigt hat, dass bei einem Kind ein HLHS vorliegt, muss sofort mit der Infusion des Medikaments Prostaglandin begonnen werden. Wurde der Herzfehler schon whrend der Schwangerschaft erkannt, beginnt die Infu-sion unmittelbar nach der Geburt. Prostaglan-din bewirkt, dass sich der Ductus arteriosus wieder voll ffnet bzw. gar nicht erst ver-schliet. Auf diese Weise wird die Durchblu-tung des Krperkreislaufs gewhrleistet. Da, wie oben erwhnt, der Gefwiderstand in den Lungen sehr niedrig ist, fliet das Blut leichter dorthin als in den Krperkreislauf, in dem immer ein deutlich hherer Gefwider-stand herrscht. Im Kreislaufschock ist dieser Gefwiderstand im Krperkreislauf beson-ders hoch. Die rzte verabreichen daher Medi-kamente, die den Gefwiderstand im Krper-kreislauf senken und so eine ausreichende Balance zwischen der Durchblutung des Kr-per- und des Lungenkreislaufs ermglichen. Diese Manahmen verbessern die Vorausset-zungen fr die erfolgreiche Durchfhrung einer operativen Behandlung deutlich. Eine Beatmung sollte mglichst vermieden werden, weil sie das Risiko bei dem anstehenden ersten operativen Eingriff erhht. Weitere Risikofak-

    DarmNierenLeberGehirnHerz

    Schnelle Atmung Mangeldurchblutung

    bersuerungdes Organismus

    berlastungder rechten

    Herzkammer

    Lungengefwiderstand Lungendurchblutung

    Systemwiderstand Kreislaufschock

    Abb. 2: Nach der Geburt kommt es beim hypoplastischen Linksherzsyndrom

    rasch zu Kreislaufvernderungen, die sich gegenseitig verstrken

    (Teufelskreis) und unbehan-delt zum Tod fhren.

  • 7

    toren sind u. a. ein niedriges Geburtsgewicht oder wenn dem HLHS eine genetische Erkran-kung zugrunde liegt, z. B. bei Mdchen ein Turner-Syndrom mit Fehlen eines X-Chromo-soms.

    Die operative Behandlung

    Die operative Behandlung besteht in jedem Fall aus mindestens drei Schritten, von denen der erste schon in der ersten Lebenswoche, der zweite meist im Alter von 3 bis 5 Monaten und der dritte ab dem Beginn des 3. Lebensjahres erfolgt.

    g Der erste Operationsschritt: die Norwood-Operation

    Fr den ersten Schritt der operativen Behand-lung gibt es drei verschiedene Techniken. Zwei basieren auf dem Konzept des Pioniers der chirurgischen Behandlung des HLHS, William Norwood, und unterscheiden sich in der Art der Blutversorgung der Lunge. Das dritte Ver-fahren ist eine Kombination aus operativer und katheterinterventioneller Technik (Hybrid-technik) und hat das Ziel, in der Neugebore-nenphase eine operative Behandlung mit der Herz-Lungen-Maschine (HLM) zu vermeiden.

    Bei der klassischen Norwood-Operation wird der Stamm der Lungenschlagader durchtrennt und die unterentwickelte Kr-perschlagader durch einen Flicken erwei-tert (Abb. 3A, Seite 8). Die beiden Gefe werden verbunden, sodass die rechte Herz-kammer durch dieses Gef das Blut in alle Organe des Krpers pumpen kann. Der Stamm der unterentwickelten Krperschlag-ader wird mit der neuen Krperschlagader seitlich verbunden und dient als Ursprung der Koronararterien (Herzkranzgefe). Die Lungen werden durch ein Kunststoff-rhrchen (Gore-Tex), das zwischen einem

    Nebenast der Krperschlagader und der rechten Lun