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Das Persönliche Budget Entwicklungsstand in Deutschland und im europäischen Ausland Seit Anfang 2008 besteht in Deutschland ein Rechtsanspruch behinderter Menschen auf das trägerübergreifende Persönliche Budget, welches als neue Finanzierungsform notwendiger Hilfen dazu beitragen soll, die Eigenverantwortlichkeit dieser zu steigern. Wie ist der Entwicklungsstand des Persönlichen Budgets nach fünf Jahren Rechtsanspruch und was kann Deutschland von den Erfahrungen seiner europäischen Nachbarn vielleicht noch lernen? Dem Statistischen Bundesamt zufolge gab es zum Ende des Jahres 2011 in Deutschland 7,3 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinde- rung. Von diesen 7,3 Millionen Menschen sind 75 Prozent älter als 55 Jahre. Zwischen 1997 bis 2011 ist die Zahl der Menschen mit einer Schwerbehinderung um ungefähr 600.000 an- gestiegen (Statistisches Bundesamt 2013). In der Statistik werden allerdings nur die Men- schen aufgeführt, die einen Schwerbehinder- tenausweis beantragt und bekommen haben. Aufgrund des demografischen Wandels in Deutschland und einer permanent alternden Bevölkerung ist zu erwarten, dass die Anzahl der Menschen mit einer Schwerbehinderung in den kommen- den Jahren weiter steigt. Die Finanzierung der Leistungen der Eingliederungshilfe, wie zum Beispiel die zur Teilhabe in der Gemeinschaft nach § 55 SGB IX, werden bisher überwiegend im Rahmen des Sachleis- tungsprinzips übernommen. Das Persönliche Budget, welches seit dem 1.1.2008 aufgrund des § 159 Abs. 5 SGB IX in Ver- bindung mit § 17 Abs. 2 SGB IX als Rechtsanspruch verankert ist, soll die Umsetzung der Eingliederung von Menschen mit einer Behinderung verbessern. Erfahrungen aus dem europäi- schen Ausland zeigen, dass eine positive Entwicklung in Bezug auf die soziale Teilhabe von Menschen mit einer Behinderung seit Einführung einer direkten Geldleistung, wie dem Persönli- chen Budget, besteht (Wacker et al. 2005). Einer nicht repräsentativen Umfrage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) auf der Rehacare-Messe in Düs- seldorf zufolge sehen 45 Prozent der Befragten mehr Selbstbe- stimmung als möglichen Vorteil eines Persönlichen Budgets. Ei- ne Mehrheit von 55 Prozent beschreibt einen Mangel an Bera- tung und Unterstützung in Bezug auf das Persönliche Budget als Grund, weshalb sie dieses nicht nutzen (BMAS o.J.). Vor diesem Hintergrund soll aufgezeigt werden, welche Erfahrungen es mit dem Persönlichen Budget in Deutschland und dem europäischen Ausland gibt. Darüber hinaus sollen perspektivische Überlegun- gen zur Zukunft des Persönlichen Budgets angestellt und kritisch reflektiert werden, welche Anpassungen noch nötig sind, um die Zielsetzung des Persönlichen Budgets, die Selbstständigkeit und Autonomie von Menschen mit Behinderung zu steigern, vollstän- dig zu erreichen. Erfahrungen mit dem Persönlichen Budget Es kann mittlerweile auf ungefähr 20 Jahre Praxis mit dem Per- sönlichen Budget zurückgeblickt werden. Dabei kann Schweden auf den größten Erfahrungsschatz zurückgreifen, wo das Persön- liche Budget zur Finanzierung persönlicher Assistenz bereits seit 1994 im LSS, dem „Gesetz über Unterstützung und Dienstleis- tungen für Funktionsbehinderte“, gesetzlich geregelt ist. Da- nach folgt Großbritannien mit einer Erfahrungsdauer von un- gefähr 16 Jahren. Die sogenannten „Direct Payments“ sind dort seit 1997 im Rahmen des „Community Care Direct Payments Act“ verankert. Die Niederlande folgen an dritter Stelle, mit der Einführung das Persönliche Budget 2003 als Wunsch- und Abstract / Das Wichtigste in Kürze Viele Jahre wurden Leistungen zur Unterstützung von Menschen mit Behinderung nach dem Sachleistungsprinzip finanziert. Seit dem 1. Januar 2008 gibt es in Deutschland einen Rechtsanspruch auf Persönliches Budget. Diese neue Form der Finanzierung soll dazu beitragen, die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung von Menschen mit einer Behinderung zu stärken. Bisherige Erfahrungen zeigen eindeutig eine positive Bewertung des Persönlichen Budgets durch die Nutzer. Weiterhin ist festzustellen, dass die Anzahl der Beantragungen des Persönlichen Budgets zwar schnell angestiegen ist, im Verhältnis zu den tatsächlich potentiellen Nutzern jedoch noch sehr gering ausfällt. Deutschland könnte sich an dieser Stelle den deutlich längeren Erfahrungszeitraum mit monetären Direktleistungen von Teilen des europäischen Auslands konstruktiv zu Nutze machen und von deren Erfahrungen bei der Weiterentwicklung lernen und profitieren. Keywords / Stichworte Eingliederungshilfe, Persönliches Budget, Monetäre Leistungen, Sachleistungsprinzip, Teilhabe an der Gesellschaft, europäischer Vergleich, Selbstbestimmung, Behinderung. Fabian Wemßen *1985 B.A. Soziale Arbeit (Biele- feld), derzeit Student So- ziale Arbeit (M.A.) in Es- sen; Fachkraft Ambulant Betreutes Wohnen für Menschen mit Autismus. Fabian.Wemssen@ stud.uni-due.de 6 Sozial Extra 3 2014: 6-9 DOI 10.1007/s12054-014-0056-3 Beruf und Qualifikation 

Das Persönliche Budget

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Page 1: Das Persönliche Budget

Das Persönliche Budget Entwicklungsstand in Deutschland und im europäischen Ausland

Seit Anfang 2008 besteht in Deutschland ein Rechtsanspruch behinderter Menschen auf das trägerübergreifende Persönliche Budget, welches als neue Finanzierungsform notwendiger Hilfen dazu beitragen soll, die Eigenverantwortlichkeit dieser zu steigern. Wie ist der Entwicklungsstand des Persönlichen Budgets nach fünf Jahren Rechtsanspruch und was kann Deutschland von den Erfahrungen seiner europäischen Nachbarn vielleicht noch lernen?

Dem Statistischen Bundesamt zufolge gab es zum Ende des Jahres 2011 in Deutschland 7,3 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinde-rung. Von diesen 7,3 Millionen Menschen sind 75 Prozent älter als 55 Jahre. Zwischen 1997 bis 2011 ist die Zahl der Menschen mit einer Schwerbehinderung um ungefähr 600.000 an-gestiegen (Statistisches Bundesamt 2013). In der Statistik werden allerdings nur die Men-schen aufgeführt, die einen Schwerbehinder-tenausweis beantragt und bekommen haben. Aufgrund des demografischen Wandels in Deutschland und einer permanent alternden Bevölkerung ist zu erwarten, dass die Anzahl

der Menschen mit einer Schwerbehinderung in den kommen-den Jahren weiter steigt.Die Finanzierung der Leistungen der Eingliederungshilfe, wie

zum Beispiel die zur Teilhabe in der Gemeinschaft nach § 55 SGB IX, werden bisher überwiegend im Rahmen des Sachleis-tungsprinzips übernommen. Das Persönliche Budget, welches seit dem 1.1.2008 aufgrund des § 159 Abs. 5 SGB IX in Ver-bindung mit § 17 Abs. 2 SGB IX als Rechtsanspruch verankert ist, soll die Umsetzung der Eingliederung von Menschen mit einer Behinderung verbessern. Erfahrungen aus dem europäi-schen Ausland zeigen, dass eine positive Entwicklung in Bezug auf die soziale Teilhabe von Menschen mit einer Behinderung seit Einführung einer direkten Geldleistung, wie dem Persönli-chen Budget, besteht (Wacker et al. 2005).

Einer nicht repräsentativen Umfrage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) auf der Rehacare-Messe in Düs-seldorf zufolge sehen 45 Prozent der Befragten mehr Selbstbe-stimmung als möglichen Vorteil eines Persönlichen Budgets. Ei-ne Mehrheit von 55 Prozent beschreibt einen Mangel an Bera-tung und Unterstützung in Bezug auf das Persönliche Budget als Grund, weshalb sie dieses nicht nutzen (BMAS o.J.). Vor diesem Hintergrund soll aufgezeigt werden, welche Erfahrungen es mit dem Persönlichen Budget in Deutschland und dem europäischen Ausland gibt. Darüber hinaus sollen perspektivische Überlegun-gen zur Zukunft des Persönlichen Budgets angestellt und kritisch re�ektiert werden, welche Anpassungen noch nötig sind, um die Zielsetzung des Persönlichen Budgets, die Selbstständigkeit und Autonomie von Menschen mit Behinderung zu steigern, vollstän-dig zu erreichen.

Erfahrungen mit dem Persönlichen BudgetEs kann mittlerweile auf ungefähr 20 Jahre Praxis mit dem Per-

sönlichen Budget zurückgeblickt werden. Dabei kann Schweden auf den größten Erfahrungsschatz zurückgreifen, wo das Persön-liche Budget zur Finanzierung persönlicher Assistenz bereits seit 1994 im LSS, dem „Gesetz über Unterstützung und Dienstleis-tungen für Funktionsbehinderte“, gesetzlich geregelt ist. Da-nach folgt Großbritannien mit einer Erfahrungsdauer von un-gefähr 16 Jahren. Die sogenannten „Direct Payments“ sind dort seit 1997 im Rahmen des „Community Care Direct Payments Act“ verankert. Die Niederlande folgen an dritter Stelle, mit der Einführung das Persönliche Budget 2003 als Wunsch- und

Abstract / Das Wichtigste in Kürze Viele Jahre wurden Leistungen zur Unterstützung von Menschen mit Behinderung nach dem Sachleistungsprinzip ¨nanziert. Seit dem 1. Januar 2008 gibt es in Deutschland einen Rechtsanspruch auf Persönliches Budget. Diese neue Form der Finanzierung soll dazu beitragen, die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung von Menschen mit einer Behinderung zu stärken. Bisherige Erfahrungen zeigen eindeutig eine positive Bewertung des Persönlichen Budgets durch die Nutzer. Weiterhin ist festzustellen, dass die Anzahl der Beantragungen des Persönlichen Budgets zwar schnell angestiegen ist, im Verhältnis zu den tatsächlich potentiellen Nutzern jedoch noch sehr gering ausfällt. Deutschland könnte sich an dieser Stelle den deutlich längeren Erfahrungszeitraum mit monetären Direktleistungen von Teilen des europäischen Auslands konstruktiv zu Nutze machen und von deren Erfahrungen bei der Weiterentwicklung lernen und pro¨tieren.

Keywords / Stichworte Eingliederungshilfe, Persönliches Budget, Monetäre Leistungen, Sachleistungsprinzip, Teilhabe an der Gesellschaft, europäischer Vergleich, Selbstbestimmung, Behinderung.

Fabian Wemßen *1985

B.A. Soziale Arbeit (Biele-feld), derzeit Student So-ziale Arbeit (M.A.) in Es-sen; Fachkraft Ambulant Betreutes Wohnen für Menschen mit Autismus.

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Wahlrecht (Loeken 2006). Deutschland dagegen blickt auf die, im Vergleich zu den bereits genannten Ländern, kürzeste Ge-schichte und somit den bisher geringsten Erfahrungsschatz mit dem Persönlichen Budget zurück. Ein Rechtsanspruch besteht seit dem 1.1.2008 und Modellerprobungen begannen erst En-de der 90er Jahre.

Erfahrungen in DeutschlandBei der Umsetzung des Persönlichen Budgets in die Praxis zeig-

ten sich zunächst Schwierigkeiten. So ist zum Beispiel festzu-stellen, dass Widerstände bei den Trägern und Erbringern eine typische Schwierigkeit sind, wenn ein Persönliches Budget ein-geführt wird (Loeken 2006). Auch der Vorsitzende der Bundes-arbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorge-stellen unterstreicht die strukturellen Schwierigkeiten, beson-ders in Bezug auf die Beantragung des Persönlichen Budgets. Weiterhin vermutet er, dass die vermeintliche Verantwortung durch die Übernahme der Arbeitgeberrolle, die sich zum Bei-spiel beim einstellen eines Assistenten in Form einer geringfü-gigen Beschäftigung ergibt, auf viele Betro¬ene abschreckend wirken könnte (BIH 2008).

Ähnliches ist auch den Ausführungen einer exemplarisch be-fragten betro¬enen Familie zu entnehmen. Sie schildert den Ver-waltungsaufwand als unzumutbar und schätzt diesen für viele Budgetnehmer als undurchschaubar ein. Allerdings resümiert sie, dass die Vorteile, welche das Persönliche Budget mit sich bringt, die Schwierigkeiten bei der Verwaltung deutlich über-wiegen und sie das Persönliche Budget als deutliche Bereiche-rung emp¨ndet (Der PARITÄTISCHE o.J.). Die bisherigen Erfahrungen mit dem Persönlichen Budget aus

Sicht der Nutzer werden überwiegend als positiv in Bezug auf die Selbstbestimmung und persönliche Zufriedenheit charakte-risiert (Windisch 2006). Der klassische Budgetnutzer wird als Mensch mit einer körperlichen Behinderung beschrieben (Rei-chenbach 2012). Dies lässt sich durch den bereits angesproche-nen hohen Aufwand im Bereich der administrativen Aufgaben und die Sorge vor der Verantwortung, als Arbeitgeber auftreten zu müssen, erklären. Die Berücksichtigung von Menschen mit geistiger Behinderung wird in diesem Zusammenhang von Schä-fers et al. für besonders notwendig betrachtet. Sie zeigen darü-ber hinaus auf, dass das Persönliches Budget bisher überwiegend von Menschen genutzt wird, die bereits ambulante Unterstüt-zung erhalten, und dass Menschen mit komplexeren Störungs-

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Soziale Innovation

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Page 3: Das Persönliche Budget

bildern und erhöhtem Unterstützungsbedarf kaum zu den Nut-zern gehören (Schäfers et al. 2009).Allgemein lässt sich jedoch festhalten, dass Betro¬ene sich

überwiegend positiv über die Selbstbestimmung und Wahlfrei-heit äußern (Zinke 2010).

Erfahrungen im europäisches AuslandWie bereits erwähnt, blickt das europäische Ausland auf eine

ungefähr zehn Jahre längere Erfahrung mit direkten monetären Leistungen für Menschen mit Unterstützungsbedarf zurück als Deutschland (Loeken 2006). Für einen besseren Lese�uss wird in Abweichung von den nationalen Bezeichnungen (s.o.) der Be-gri¬ „Persönliches Budget“ verwendet.In den Niederlanden zeigt sich auf Seiten der Nutzer eine über-

wiegend positive Bilanz. Ein vermehrter Ausbau der ambulanten Dienste scheint dort mit der Einführung des Persönlichen Bud-gets einherzugehen. Der Erfolg des niederländischen Modells ist dabei auf die ausgeprägte Beratungslandschaft zurückzufüh-ren (Loeken 2006). Die Komplexität des niederländischen Mo-dells, verursacht durch eine hohe Zugangsschwelle, hat dort zu einem eigenen Berufszweig geführt, der sich nur der Beratung von Beziehern des Persönlichen Budgets widmet. Neben der ho-hen Zufriedenheit der Nutzer unterstreichen Baumgartner et al. auch die hohe Zufriedenheit der Fachkräfte, welche als selbst-ständige Assistenten bei Betro¬enen angestellt sind (Baumgart-ner et al. 2007).Beim schwedischen Modell handelt es sich um das am längsten

existierende. Dieses wird laut Meyer von Betro¬enen als das bes-te Modell bewertet. Das Persönliche Budget in Schweden ist ein-kommensunabhängig und eine Deckelung ist nicht vorgesehen, so dass eine vollkommene Bedarfsorientierung statt¨nden kann. Bei individuellem Bedarf ist es möglich, mehr als einen Assis-tenten gleichzeitig zu engagieren, so dass an einem Tag mehr als 24 Stunden Unterstützung möglich sein können (Meyer 2011).Obwohl das LSS besonders auch Menschen mit hohem Bedarf

ansprechen sollte, beantragen Menschen mit geistiger Behinde-rung Persönliches Budget deutlich seltener als Menschen mit körperlicher Behinderung (Wacker et al. 2005). Auch in den Niederlanden beantragen Menschen mit Lernschwierigkeiten nur selten Persönliches Budget, was ebenfalls für England und Schottland gilt (Loeken 2006).Au¬ällig ist darüber hinaus, dass in Schweden nur wenige Nut-

zer des Persönlichen Budgets selbst als Arbeitgeber fungieren. Ihr Anteil wird auf drei Prozent aller Budgets bezi¬ert (Wacker et al. 2005) und ist seit der Einführung des Persönlichen Bud-gets in Schweden konstant geblieben. Dabei liegt die Schlussfol-gerung nahe, dass vielen Betro¬enen die Verantwortung, als Ar-beitgeber aufzutreten, zu groß ist (Westberg 2010).Die Einführung von Persönlichen Budgets im europäischen

Ausland hat zu einer allgemein positiven Entwicklung der Un-terstützung von Menschen mit Behinderung geführt. Das Er-leben von Wahlmöglichkeiten und Selbstbestimmung von Be-

tro¬enen wird ebenfalls als positives Ergebnis der Einführung des Persönlichen Budgets beschrieben. Darüber hinaus scheint das Selbstvertrauen der Betro¬enen zu steigen und häu¨g sollen kostengünstigere Leistungen und eine vermehrte soziale Teilha-be Ergebnis der Einführung von Persönlichem Budget sein (Wa-cker et al. 2005). In Schweden hat sich ein auf Nachfrage basie-render Markt etabliert, der durch Konkurrenz zu hoher Quali-tät und niedrigen Preisen in Bezug auf Leistungen für Menschen mit Unterstützungsbedarf geführt hat. Weiterhin ist es so, dass durch erhöhte Begegnungschancen eine höhere Akzeptanz von und ein größerer Respekt vor Menschen mit Behinderung Er-gebnis des Persönlichen Budgets sind (Baumgartner et al. 2007).

Daten und FaktenFür Deutschland gibt es bisher nur wenige empirisch gesicher-

te Zahlen zur Anzahl der Budgetnutzer, den Kosten oder der-gleichen. Seit Mitte 2013 gibt es eine erste Studie vom BMAS, welches Zahlen zur Anzahl Persönlicher Budgets für die Jahre 2008 bis Ende 2010 liefert, die Kosten allerdings nicht weiter berücksichtig. Da die Studie sich vermehrt mit der Umsetzung, Ausgestaltung und Akzeptanz des Persönlichen Budgets befasst, ist sie für diese Überlegungen nur von geringer Relevanz. Laut dieser Studie gab es 2008 insgesamt 6243 Persönliche Budgets. Für 2010 werden 14193 Persönliche Budgets angeführt, was ei-ne Steigerung in zwei Jahren um ca. 127 Prozent bedeutet (Hei-mer et al. 2012). Aktuellen Schätzungen des BMAS zufolge soll es im Jahr 2012 bereits mehr als 20.000 Persönliche Budgets in Deutschland gegeben haben (BMAS 2012). Dies wäre eine er-neute Steigerung um ungefähr 40 Prozent, was eine weiterhin steigende Tendenz bedeutet. In den Niederlanden gab es 2004 bereits 70.000 Nutzer. Dies ist allerdings darauf zurückzufüh-ren, dass dort auch Gesundheitsleistungen als Persönliches Bud-get in Anspruch genommen werden können (Loeken 2006).Während in Deutschland die Nutzung der Persönlichen Bud-

gets mit 2321 Menschen im Bereich der Eingliederungshilfe zum Jahresende 2008 sehr niedrig war, gab es in Schweden zu Beginn des Einführungsjahres 1994 bereits 7000 Nutzer. Diese steiger-ten sich bis 2005 auf 15.000 (Meyer 2011/ Statistisches Bundes-amt 2011). Das bedeutet eine Steigerung um mehr als 100 Pro-zent in zehn Jahren. Den Angaben von Heimer et al. zu Folge ist in Deutschland allein im Bereich der Sozialhilfe die Zahl der Nutzer in einem Jahr um 58 Prozent gestiegen (Heimer et al. 2012). Dies spricht zunächst für eine schnelle Verbreitung des Persönlichen Budgets in Deutschland. In Schweden wird auch nach beinahe 20 Jahren weiterhin eine Zunahme der Nutzer ver-zeichnet (Westberg 2010).Ein wichtigerer Aspekt aus schwedischer Sicht scheint die An-

zahl derjenigen zu sein, die als Assistenten mit einem festen Ar-beitsplatz beschäftigt sind. Hierbei handelt es sich um 70.000 Menschen, die sich auf 45.000 Vollzeitstellen aufteilen (West-berg 2010). Die ungewöhnlich große Zahl von 2,47 Vollzeitstel-len pro bewilligtem Budget lässt sich dadurch erklären, dass in

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Sozial Extra 3 2014

Beruf und Quali¨kation 

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Schweden mehrere Assistenten gleichzeitig einen Klienten be-treuen können, so dass pro Tag mehr als 24 Stunden Unterstüt-zung zustande kommen können. Darüber hinaus spielt es eine wichtige Rolle, dass ein Rechtsanspruch auf ein Persönliches Budget erst ab 20 Stunden Unterstützung pro Woche besteht, während es bei weniger Unterstützungsbedarf im Ermessen des Trägers liegt, ob eine Sachleistung oder ein Persönliches Budget bewilligt wird (Meyer 2011). In den Niederlanden ist die Anzahl derjenigen, die als Assis-

tenten beschäftigt sind, hingegen nicht überproportional ausge-prägt, da dort oftmals Familienmitglieder, Bekannte und infor-melle Helfer zu 67 Prozent die Unterstützungsleistungen erbrin-gen. Hingegen wird in den Niederlanden gewürdigt, dass ein neuer Berufszweig im Bereich der Beratung von Menschen mit Persönlichem Budget neue Arbeitsstellen generiert. Laut Baum-gartner et al. werden von einem Drittel der Menschen mit Per-sönlichem Budget administrative Aufgaben an kommerzielle Or-ganisationen abgegeben (Baumgartner et al. 2007).

Fazit und AusblickPerspektivisch bleibt festzustellen, dass das Persönliche Bud-

get in Deutschland seit seiner Einführung 2008 schnell an Nut-zern gewonnen hat. Dies ist aufgrund des positiven Feedbacks der Nutzer und den steigenden Zahlen der Menschen mit einer Schwerbehinderung auch weiterhin zu erwarten. Auch die Er-fahrungen aus dem europäischen Ausland unterstreichen diese Prognose, da auch dort nicht von sinkenden, sondern von stei-genden Nutzerzahlen berichtet wird, obwohl das Persönliche Budget bereits einige Jahre länger etabliert ist.In Bezug auf Deutschland muss festgestellt werden, dass empi-

risch gesicherte Daten über die Modellprojekte hinaus bisher nur in Form einer Studie vorhanden sind, so dass gesicherte Progno-sen schwerfallen. Da sich das Persönliche Budget allerdings nur geringfügig von den Varianten des Persönlichen Budgets im eu-ropäischen Ausland unterscheidet, ist eine ähnliche Entwicklung wie im europäischen Ausland wahrscheinlich. Demnach sind ein Ausbau der ambulanten Dienste und, wie bereits beschrieben, weiterhin steigende Nutzerzahlen zu erwarten. Das Persönliche Budget ist als Maßnahme zur Verbesserung der

Teilhabe für Menschen mit Unterstützungsbedarf geeignet. Dies lässt sich z.B. an den fast ausschließlich positiven Äußerungen der Nutzer über die Zufriedenheit mit dem Persönlichen Budget feststellen. Weiterhin bleibt zu bemerken, dass es noch viele po-tentielle Nutzer gibt, die bisher kein Persönliches Budget haben, weil sie z.B. Angst vor Überforderung durch die administrativen Aufgaben haben. Für diese potentiellen Nutzer ist Aufklärung und Beratung erforderlich, die ihnen die Angst vor dem Persön-lichen Budget nimmt und gemeinsam mit ihnen Möglichkeiten entwickelt, damit umzugehen. Es ist von großer Bedeutung, be-reits an dieser Stelle die Autonomie und Selbstbestimmtheit des Betro¬enen insofern anzuerkennen, dass dieser allein entschei-det und entscheiden sollte, ob er diese Form der Leistungser-

bringung in Anspruch nehmen möchte oder nicht. Schließlich ist das oberste Ziel des Persönlichen Budgets die Selbstbestim-mung von Menschen mit Unterstützungsbedarf. s

Literatur

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