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Das Phänomen Karajan - Musik mit Machtanspruch

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8/6/2019 Das Phänomen Karajan - Musik mit Machtanspruch

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DerWesten - 03.04.2008

http://www.derwesten.de/nachrichten/nachrichten/kultur/2008/4/3/news-35126317/detail.html

Das Phänomen Karajan: Musik mitMachtanspruch

Kultur, 03.04.2008, Von Monika Willer  

Hagen. Was bleibt von ihm, dem berühmtesten Dirigenten der Nachkriegszeit? Zum 100.

Geburtstag am 5. April diskutieren Musikfreunde und Experten das Phänomen Herbert

von Karajan. ...

... Während seine Aufnahmen immer noch Bestseller auf dem Klassikmarkt sind, ist dasWirken des Maestros nach seinem Tod am 16. Juli 1989 erstaunlich schnell in Vergessenheitgeraten.

Wirtschaftswunder-Maestro:

Kein Dirigent vor und nach ihm verkörperte so perfekt die Verbindung von Musiker und Mitglieddes Jetsets. Der technikbegeisterte Karajan flog mit dem Lear Jet selbst zu Auftritten, war leidenschaftlicher Skipper auf seiner 24-Meter-Jacht, liebte schnelle Autos, besaß Anwesen inder Nähe von Salzburg und in Saint-Tropez, verkehrte mit den Reichen und Berühmten undheiratete in dritter Ehe das blutjunge französische Dior-Mannequin Eliette. Eliette von Karajanhat in ihrer Autobiographie jetzt den Alltag der Familie geschildert: "Auf unseren vielenFlugreisen nahmen wir nicht nur unsere Kinder mit, sondern auch zwei Ersatzpiloten, dieKindermädchen und, wenn es möglich war, Freundinnen von Isabel und Arabel" ("Mein Lebenan seiner Seite", Ullstein).

Karajan-Imperium:

Dieses Bedürfnis, das Steuer fest in der Hand zu halten, hat Herbert von Karajan auch zummächtigsten, omnipräsenten Dirigenten seiner Zeit werden lassen. Zu seinem Imperiumgehörten die Positionen als Chef der Berliner Philharmoniker, Leiter der Wiener Staatsoper,Leiter der Salzburger Festspiele, Begründer und Leiter der Oster- und Pfingstfestspiele inSalzburg, dazu kamen Dirigenten-Aufgaben an allen wichtigen Bühnen der Welt.

Medien-Dirigent:

Das Karajan-Imperium aber wurde maßgeblich mithilfe der neuen Medien der Nachkriegszeitaufgebaut. Karajan gehörte zu den ersten, die einen Videorekorder besaßen undexperimentierte mit dem Musikfilm. Mit den Sony-Chefs zusammen entwickelte er die CD."Karajan hinterließ einen Berg von 950 Tonaufnahmen und ein Vermögen von einer halbenMilliarde Dollar. Die Erbschaftsmasse nahm jährlich zu, da die Tantiemen flossen, nicht zuletztaufgrund solcher Deutsche-Grammophon-Tricks wie ,Karajan Express' und ,Karajan Adagio'.Der Wiederverwertbarkeit des Meisters waren keine Grenzen gesetzt", schreibt NormanLebrecht in seinem Buch "Ausgespielt. Aufstieg und Fall der Klassikindustrie" (Schott).

"Staatskapellmeister":

Die dunklen Seiten dieser glänzenden Biographie wurden gerne ausgeblendet, auch vomMeister selbst. Nach Stationen in Ulm und Aachen drängte es den jungen, aufstrebendenKapellmeister nach Berlin. Offenbar aus Karrieregründen war er bereits 1933 in Österreich und1935 noch einmal in Aachen Mitglied der NSDAP geworden. Hermann Göring verlieh ihm denEhrentitel "Staatskapellmeister" und nahm ihn unter seine Fittiche; die Nazis bauten ihn alsGegenspieler zu Wilhelm Furtwängler auf, an dessen Loyalität sie immer wieder zweifelten. Biszu seinem Tod 1954 wird Furtwängler kein einziges Konzert Karajans besuchen.

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Nachwuchs-Förderer:

Als Förderer von Nachwuchsmusikern muss Karajan, der "Sänger-Dirigent", ebenfalls erwähntwerden. Er entdeckte Anne-Sophie Mutter, gab Christian Thielemann Chancen, versuchte dieKlarinettistin Sabine Meyer zu den Berliner Philharmonikern zu holen. Darüber kam es zumspektakulären Streit und dann zum Bruch. Der bereits schwer kranke Karajan kündigte im April1989 seinen lebenslangen Vertrag mit dem Orchester auf.

Karajan-Klang:

Nikolaus Harnoncourt wäre ohne Herbert von Karajan sicher nicht möglich gewesen. Denn der Aufschwung der historischen Aufführungspraxis wird auch als Gegenreaktion auf KarajansKlangverständnis gewertet. Das Musikideal des Maestros ging vom Klang aus, von einemabstrakten, perfekten Karajan-Klang, der, betörend schön, durch Klangfarben Architektur erzeugte, aber Mozart und Strauss ohne Unterschied behandelte.

Mit all diesen Facetten, dem Machtanspruch, der Technikbesessenheit, der Sucht nachKlangschönheit ist Karajan aus heutiger Sicht ohne Abwertung tatsächlich vielleicht der typische Dirigent der Nachkriegszeit, die von Musik noch seliges Vergessen und

gesellschaftliche Erhebung erwartete.

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