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Das Riemann-Problem in der Erweiterten Thermodynamik Diplomarbeit vorgelegt von Manuel Torrilhon Institut f¨ ur Verfahrenstechnik Fachgruppe Thermodynamik Technische Universit¨ at Berlin Oktober 1999

Das Riemann-Problem in der Erweiterten Thermodynamik · Kapitel 1 Das Stoßrohr-Experiment Wir legen zur Beschreibung des Stoßrohr-Experimentes die schematische Darstellung in Abb

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Das Riemann-Problem

in der

Erweiterten Thermodynamik

Diplomarbeitvorgelegt

von

Manuel Torrilhon

Institut fur VerfahrenstechnikFachgruppe ThermodynamikTechnische Universitat Berlin

Oktober 1999

Page 2: Das Riemann-Problem in der Erweiterten Thermodynamik · Kapitel 1 Das Stoßrohr-Experiment Wir legen zur Beschreibung des Stoßrohr-Experimentes die schematische Darstellung in Abb

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung v

1 Das Stoßrohr-Experiment 1

2 Hyperbolische Erhaltungsgleichungen 5

2.1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2.2 Der lineare skalare Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

2.3 Lineare Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.4 Nichtlineare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.4.1 Beschleunigungswellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.4.2 Rankine-Hugoniot-Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2.4.3 Verdunnungsfacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2.4.4 Losung des Riemann-Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

2.5 Der Produktionsterm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

3 Die Gleichungen der Erweiterten Thermodynamik 17

3.1 Die Momentenhierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

3.2 Ergebnis der Materialtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

3.2.1 Produktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

3.2.2 Hyperbolizitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

3.3 Linearisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

3.4 Explizite Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.4.1 Der Euler-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.4.2 Der 13-Feld-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

3.4.3 14- und 21-Feld-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

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iv INHALTSVERZEICHNIS

4 Das numerische Verfahren 31

4.1 Behandlung der rechten Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

4.2 Losung des homogenen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

4.2.1 Godunov-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

4.2.2 Approximative Riemann-Loser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

4.2.3 Hochauflosende Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

4.3 Das Programmpaket CLAWPACK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

4.3.1 Randbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

5 Ergebnisse der Euler-Gleichungen 43

5.1 Analytische Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

5.1.1 Die Kontaktunstetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

5.1.2 Berechnung der Plateaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

5.2 Numerische Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

5.2.1 Ohne Kontaktunstetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

6 Der 13-Feld-Fall 53

6.1 Skalierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

6.2 Der zeitliche Verlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

6.2.1 Nichtgleichgewichtsgroßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

6.3 Die Dampfung der Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

6.3.1 Nichtgleichgewichtsgroßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

6.4 Weiterfuhrende Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

6.4.1 Vergleich mit Navier-Stokes-Fourier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

6.4.2 Der Hyperbolizitatsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

7 Hohere Feld-Falle 69

7.1 Der 14- und 21-Feld-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

7.1.1 Wellenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

7.1.2 Hyperbolizitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

7.2 Gultigkeit des 13-Feld-Falls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

7.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

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Einleitung

Das Riemann-Problem oder, physikalisch gesprochen, das Stoßrohr-Experiment gehort in derGasdynamik wohl zur Folklore. In der Numerik von hyperbolischen Gleichungen ist das Riemann-Problem seit dem Review von Sod [13] vor 20 Jahren zu einem immer wieder verwendeten”Benchmark-Problem” fur numerische Verfahren geworden. Grundlage sind dabei seit jeher dieEuler-Gleichungen der Fluiddynamik.

In dieser Arbeit wird das Riemann-Problem mit den Gleichungen der erweiterten Thermody-namik berechnet. Physikalisch zeichnen sich diese Gleichungen gegenuber den Euler-Gleichungendurch einen großeren Gultigkeitsbereich in schnell veranderlichen Prozessen mit steilen Gradi-enten aus. Die Frage ist, welche Abweichungen vom Ergebnis der Euler-Gleichungen die erwei-terte Thermodynamik liefert. Die Verwendung der erweiterten Thermodynamik ist allerdingsauch von einem numerischen Standpunkt aus interessant. Die Gleichungen bilden wie die Euler-Gleichungen ein hyperbolisches System. Die bekannten drei Wellen, die das Riemann-Problemder Eulergleichungen regieren, werden allerdings, beispielsweise im 13-Feld-Fall der erweitertenThermodynamik, durch funf Wellen ersetzt. Zusatzlich besitzen die Gleichungen eine dissipativeErweiterung, die den Euler-Gleichungen fehlt. Wir werden sehen, daß das Ergebnis der Eulerglei-chungen fur das Riemann-Problem im Vergleich zum Ergebnis der erweiterten Thermodynamikeher langweilig und beinahe trivial erscheint.

Weitere Ergebnisse dieser Arbeit sind die Gultigkeit der Gleichungen von Navier-Stokes-Fourier im Stoßrohrexperiment, die sich mit Hilfe der erweiterten Thermodynamik bestimmenlaßt, sowie die Verletzung des Hyperbolizitatsbereichs der Gleichungen der erweiterten Thermo-dynamik ab einer bestimmten Wahl der Anfangsbedingungen.

Im einfuhrenden Kapitel werden die Phanomene im Stoßrohr-Experiment vorgestellt. DiePhanomene sind zu einem gewissen Grad nicht sonderlich intuitiv und man muß sich bis zudiesem Grad mit den Ergebnissen der Messung anfreunden. In Kapitel 5 wird das Stoßrohr mitden Euler-Gleichungen berechnet und die auftretenden Phanomene mathematisch-formal mitder hyperbolischen Struktur der Gleichungen identifiziert. Auf mich wirkt diese Identifizierungeher uberraschend und bringt keine tiefere physikalische Einsicht. Eine komplett anschaulischeErklarung der Phanomene im Stoßrohr ist mir nicht bekannt. In Kapitel 2, 3 und 4 werden diemathematischen, thermodynamischen und numerischen Grundlagen der in dieser Arbeit verwen-deten Gleichungen dargestellt. Die mathematischen Grundlagen im zweiten Kapitel behandelndie Erscheinungen in hyperbolischen Gleichungen, wie die Wellenstruktur, Verdunnungsfacher,Stoße und Dampfung. Im dritten Kapitel sind die Ergebnisse der Materialtheorie der erwei-terten Thermodynamik fur ein-atomige Gase prasentiert, außerdem werden dort die explizitenGleichungssysteme angegeben. Das vierte Kapitel stellt das verwendete numerische Verfahrenvor. Nach den Ergebnissen der Euler-Gleichungen werden im sechsten Kapitel die Ergebnissedes 13-Feld-Falls dargestellt und diskutiert. Im letzten Kapitel werden dann noch einige hohereFeld-Falle untersucht.

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vi EINLEITUNG

Ich fuhle mich an dieser Stelle besonders Jorg Au und Wolf Weiss zu Dank verpflichtet. Siehaben durch zahlreiche Diskussionen vieles zu dieser Arbeit beigetragen.

Seit zwei Jahren arbeite ich als studentische Hilfskraft in der Fachgruppe Thermodynamikund nehme intensiv an der Forschungsarbeit teil. Die fantastischen Einblicke, die ich dabeigewonnen habe, sind wohl der Verdienst der gesamten Fachgruppe. An dieser Stelle mochte ichmich aber besonders bei Wolf Weiss und Henning Struchtrup bedanken, die es vor zwei Jahrenmoglich gemacht haben, daß ich die Stelle bekam.

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Kapitel 1

Das Stoßrohr-Experiment

Wir legen zur Beschreibung des Stoßrohr-Experimentes die schematische Darstellung in Abb.1.1 zugrunde. Das Stoßrohr wird anfanglich durch ein Membran in zwei Teile geteilt. Links derMembran befindet sich ein Gas im Zustand 1 mit der Dichte ρ1, der Temperatur T1 und demDruck p1. Der Bereich rechts der Membran wird entsprechend mit Zustand 0 bezeichnet. In denExperimenten werden unter Umstanden die Bereiche beiderseits der Membran mit unterschied-lichen Gasen gefullt, in dieser Arbeit wird aber immer der Fall des gleichen Gases betrachtet.Auf beiden Seiten verschwindet die Geschwindigkeit, das Gas ruht. Im Stoßrohr wird dannein Druckunterschied aufgebaut, sodaß der Zustand 1, das sogenannte Treibgas, einen hoherenDruck besitzt als das sogenannte Laufgas in Zustand 0. Der Druckunterschied kann dabei das biszu 100fache betragen. Eventuell wird zusatzlich die Temperatur der beiden Bereiche verandert,wobei dann eine moglichst geringe Warmeleitung durch die Membran hindurch sichergestelltsein muß. Fur das Experiment wird die Membran zum Platzen gebracht. Dies kann beispiels-weise durch eine mechanische Vorrichtung geschehen. In der Regel ist die Membran allerdingsso konstruiert, daß sie bei einem bestimmten Druck des Treibgases von alleine platzt.

Die nach dem Platzen im Experiment beobachteten Phanomene sind in Abb. 1.1 untendargestellt.

In das Laufgas hinein breitet sich ein Verdichtungsstoß aus, durch den hindurch sich dieFelder sprunghaft andern. Hinter dem Stoß stellt sich im Gas ein konstanter Zustand ein. DerVerdichtungsstoß ist ublicherweise so dunn, daß er auf Photos von Stoßrohr-Experimenten nur alsLinie zu erkennen ist. Er bewegt sich bezogen auf den Zustand 0 mit Uberschallgeschwindigkeit.

Dem Verdichtungsstoß folgt die sogenannte Kontaktunstetigkeit. Durch sie hindurch blei-ben die Geschwindigkeit und der Druck konstant, nur die Dichte und die Temperatur andernsich. Die Kontaktunstetigkeit bewegt sich mit der selben Geschwindigkeit wie das Gas und hateine ahnlich geringe Ausdehnung wie der Verdichtungsstoß. Hinter ihr besitzt das Gas wiedereinen konstanten Zustand. Falls als Treib- und Laufgas unterschiedliche Gase benutzt werden,so kommt es nach dem Platzen der Membran, abgesehen von langsamen Diffusionsprozessen,praktisch nicht zu einer Durchdringung der Gase. Die Stelle des Kontaktes beider Gase bleibterhalten und bewegt sich in Form der Kontaktunstetigkeit.

Auf der Seite des Treibgases entsteht ein Verdunnungsfacher, der sich insgesamt nach linksbewegt. Der Anfang des Verdunnungsfacher, der an den Zustand 1 grenzt, bewegt sich allerdingsschneller als sein Ende. Dadurch verbreitert sich der Verdunnungsfacher mit der Zeit, er fachertsich auf.

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2 KAPITEL 1. DAS STOSSROHR-EXPERIMENT

Abbildung 1.1: Phanomene des Stoßrohr-Experiments

In Abb. 1.2 ist ein Photo eines Stoßrohr-Experimentes zu sehen. Der Verdichtungsstoß bildetin der Tat eine dunne Linie und die Kontaktunstetigkeit ist etwas schrag in der linken Halftedes Bildes zu sehen. Der Verdunnungsfacher befindet sich weiter links außerhalb des Bildes.

Die drei Phanomene im Stoßrohr werden zusammenfassend als Wellen bezeichnet. Durch dieeinzelnen Wellen andern sich die Großen des Gases qualitativ in folgender Weise:

Von rechts nach links durch den Verdichtungsstoß hindurch gilt:

• Die Temperatur steigt.

• Der Druck steigt.

• Die Dichte steigt.

• Die Geschwindigkeit steigt in der Art, daß das Gas dem Verdichtungsstoß hinterherstromt.

Von rechts nach links durch die Kontaktunstetigkeit hindurch gilt:

• Die Temperatur fallt.

• Der Druck bleibt konstant.

• Die Dichte steigt.

• Die Geschwindigkeit bleibt konstant.

Schließlich gilt diesmal umgekehrt von links nach rechts durch den Verdunnungsfacher hin-durch:

• Die Temperatur fallt.

• Der Druck fallt.

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Abbildung 1.2: Photo eines Stoßrohr-Experiments

• Die Dichte fallt.

• Die Geschwindigkeit steigt, sodaß das Gas nach rechts beschleunigt wird.

Der Verdunnungsfacher bildet damit im Verhalten der Felder gerade die Umkehrung desVerdichtungsstoßes.

Das Stoßrohr-Experiment wird ublicherweise als eindimensionaler Prozeß angenommen. Die-ser Annahme folgt auch die vorliegende Arbeit. Dazu wird ein Bereich um die Mittellinie desStoßrohrs betrachtet und der Durchmesser des Rohres als so groß vorausgesetzt, daß sich dieGroßen des Gases in diesem Bereich naherungsweise nur entlang dieser Mittellinie andern. Des-weiteren wird der komplizierte Vorgang des Platzens der Membran vernachlassigt. Als Anfangs-bedingung wird sich die Membran als bereits vollstandig entfernt vorgestellt, die Unstetigkeitzwischen Zustand 1 und Zustand 0 hingegen als noch vollstandig vorhanden. Damit wird dasStoßrohr-Experiment mathematisch zum Riemann-Problem.

Das Ziel ist jetzt die Felder der Dichte, des Drucks und der Geschwindigkeit als Funktiondes Ortes und der Zeit zu berechnen.

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4 KAPITEL 1. DAS STOSSROHR-EXPERIMENT

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Kapitel 2

HyperbolischeErhaltungsgleichungen

In diesem Kapitel wird auf die mathematischen Grundlagen und Begrifflichkeiten hyperbolischerErhaltungsgleichungen, sowie die Losung des mit diesen Gleichungen verbundenen Riemann-Problems eingegangen. Nach einfuhrenden Definitionen liegt der Schwerpunkt auf den Ergebnis-sen bei linearen Systemen hyperbolischer Gleichungen. Diese Ergebnisse bilden die Grundlagefur das Verstandnis der Phanomene auch im nichtlinearen Fall.

Der Großteil des prasentierten Stoffes stammt aus [4] auch wenn die Darstellung hier starkverandert ist. Teile lassen sich auch in [15] finden. Diese Bucher seien auch fur tiefergehendeBetrachtungen empfohlen.

2.1 Definitionen

Die in dieser Arbeit benutzten Gleichungen sind Systeme partieller Differentialgleichungen inder Zeit t und in einer Raumdimension x und konnen als Bilanzgleichungen in der Form

∂u

∂t+∂f (u)∂x

= P (u) (2.1)

geschrieben werden.1 Die Losungu (x, t)

ist im allgemeinen ein Vektor, der einen Zustand im sogenannten Phasenraum zur Zeit t am Ortx beschreibt. Physikalisch werden dies die Felder, beispielsweise von Dichte, Geschwindigkeitund Druck sein. Die Funktion f (u) heißt Flußfunktion und bildet den Vektor u wieder auf einenVektor ab. Auf der rechten Seite steht der Produktionterm P (u).

In diesem Kapitel betrachten wir zunachst nur Erhaltungsgleichungen, d.h. der homogeneFall, der aus (2.1) durch das Verschwinden der Produktion

P (u) ≡ 0 (2.2)

1In der Nomenklatur partieller Differentialgleichungen werden solche Gleichungen quasi-linear genannt. Imfolgenden wird allerdings die Sprechweise aus der Literatur uber Erhaltungsgleichungen ubernommen. Dort werdendie Begriffe linear und nichtlinear immer auf den Charakter der Funktion f (u) bezogen.

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6 KAPITEL 2. HYPERBOLISCHE ERHALTUNGSGLEICHUNGEN

entsteht∂u

∂t+∂f (u)∂x

= 0 (2.3)

Die Eulergleichungen (siehe Abschnitt 3.4.1) bilden ein Beispiel fur Erhaltungsgleichungen die-ser Form. Auf die Wirkung eines Produktionsterms wird im letzten Abschnitts dieses Kapitelseingegangen.

Mit Hilfe der Kettenregel laßt sich das System (2.3) auf die Form

∂u

∂t+A (u)

∂u

∂x= 0 (2.4)

bringen, worin die MatrixA (u) = f ′ (u) (2.5)

gerade die Jacobi-Matrix der Flußfunktion darstellt. Dessen Eintrage sind durch die partiellenAbleitungen (

f ′ (u))ij

:=∂fi (u)∂uj

(2.6)

gegeben. Wenn ein System von Gleichungen direkt in der Form (2.4) vorliegt, ist es nicht not-wendigerweise so, daß die Matrix A eine Jacobi-Matrix darstellt und das System auf Bilanz-gleichungsform gebracht werden kann. Falls es eine Variablentransformation gibt, sodaß diesdoch gelingt, spricht man von (2.3) auch als der Erhaltungsform mit u als den Erhaltungsvaria-blen. Diesen Variablen gegenuber stehen die sogenannten primitiven oder auch physikalischenVariablen, in denen das System nur die Form (2.4) hat.

Die Hyperbolizitat des Systems (2.4) wird nun durch die Eigenschaften der Matrix A definiert:

(2.4) hyperbolisch in t :⇐⇒{

alle Eigenwerte von A (u) sind reellA (u) ist diagonalisierbar

∀u (2.7)

Dabei ist die Forderung nach Diagonalisierbarkeit aquivalent zur Existenz von n linear un-abhangigen Eigenvektoren, falls n die Anzahl der Gleichungen im System, also die Dimensiondes Phasenraums ist.

Die Eigenwerte der Matrix A werden als charakteristische Geschwindigkeiten das Systemsbezeichnet. Auf die Bedeutung dieser Geschwindigkeiten wird in den folgenden Abschnitteneingegangen.

Es sei noch bemerkt, daß die Form der rechten Seite in dieser Definition keine Rolle spielt,sodaß sich der Begriff der Hyperbolizitat direkt auf Systeme der Form (2.1) ubertragt.

Eine integrale Formulierung von (2.3) erhalt man, indem die Gleichungen komponentenweiseuber das Intervall [x1, x2] integriert werden:

d

dt

x2∫x1

u (x, t) dx = f (u (x1, t))− f (u (x2, t)) (2.8)

Physikalisch entspricht dies einer globalen Bilanz, die auf den eindimensionalen Fall spezializiertwurde. An dieser Gleichung wird der Name ”Erhaltungsgleichung” klar: Die Große u (x, t) istin einem beliebigen Intervall [x1, x2] insofern erhalten, als daß sich ihr Integral nur um den Teilandert der durch die Flußfunktion an den Randern des Intervalls hinein und hinaus fließt. EinProduktionsterm sorgt dafur, daß sich das Integral auch bei verschwindenen Fluß verandernkann.

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2.2. DER LINEARE SKALARE FALL 7

Mathematisch bedeutsam an der Gleichung (2.8) ist, daß im Gegensatz zu (2.3) keine Orts-ableitungen in ihr vorkommen. Damit darf die Losung u Unstetigkeiten besitzen. Eine Funktion,die aus Mangel an Differenzierbarkeit nicht in (2.3) eingesetzt werden darf, aber (2.8) erfulltheißt schwache Losung.

Von einem Riemann-Problem wird nun gesprochen, falls nach einer Losung von (2.3) imunendlichen Intervall [−∞,∞] mit der unstetigen Anfangsbedingung

u (x, t = 0) ={ul x ≤ 0ur x > 0

(2.9)

gefragt wird. Die Werte ul und ur sind dabei beliebige konstante Zustande im Phasenraum. DasRiemann-Problem stellt damit eine mathematische Abstraktion des Stoßrohr-Experimentes dar.

2.2 Der lineare skalare Fall

Als Einstieg betrachten wir den einfachsten Fall, in dem u nur eine skalare Große und einelineare Flußfunktion durch

f (u) = a u a = const (2.10)

gegeben ist. Damit reduziert sich (2.3) auf die skalare Gleichung

∂u

∂t+ a

∂u

∂x= 0. (2.11)

Die Hyperbolizitatsbedingung wird in diesem Fall trivial: Die Jacobi-Matrix ist der Skalar aselbst und es gibt nichts zu diagonalisieren. Wir nehmen a als reell an, sodaß (2.11) eine hyper-bolische Gleichung darstellt. Sie wird Advektionsgleichung genannt.

Die Losung hat die Formu (x, t) = u0 (x− a t) (2.12)

wobei u0 eine beliebige Funktion darstellt. Dies laßt sich durch Einsetzen leicht verifizieren. DieFunktion u0 ist durch die Anfangsbedingung

u (x, t = 0) = u0 (x) (2.13)

gegeben.

Fur das Riemann-Problem lauten die Anfangsbedingungen wie in 2.9. Fur den vorliegendenFall sind dabei ul und ur skalare Werte. Die Losung ergibt sich daraus zu:

u (x, t) ={ul x ≤ a tur x > a t

(2.14)

In Abb. 2.1 ist diese Funktion zusammen mit der Anfangsbedingung schematisch dargestellt.Die Unstetigkeit der Anfangsbedingung bleibt erhalten und wird mit der Geschwindigkeit a nachrechts advektiert. Die Richtung der Advektion hangt dabei vom Vorzeichen von a ab.

Fur die Advektionsgleichung ist also die charakteristische Geschwindigkeit (welche mit demSkalar a zusammenfallt) gerade die Geschwindigkeit mit der sich das Profil der Anfangsbedin-gung ausbreitet.

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8 KAPITEL 2. HYPERBOLISCHE ERHALTUNGSGLEICHUNGEN

Abbildung 2.1: Losung der Advektionsgleichung

2.3 Lineare Systeme

Es sei nun u ein n-dimensionaler Vektor und (2.3) ein System von n Gleichungen. Fur dieFlußfunktion benutzen wir den linearen Zusammenhang

f (u) = Au (2.15)

worin A eine konstante n× n -Matrix ist. Fur das System erhalten wir damit

∂u

∂t+A

∂u

∂x= 0. (2.16)

Die Eigenwerte und Eigenvektoren von A werden durch

λp Eigenwerterp zu λp gehorender, normierter Eigenvektor

p = 1, 2, ...n (2.17)

bezeichnet. Wenn wir Hyperbolizitat voraussetzen, sind alle Eigenwerte λp reell und alle Eigen-vektoren rp linear unabhangig. Die Eigenwerte sollen außerdem noch durch

λ1 ≤ λ2 ≤ · · · ≤ λn (2.18)

aufsteigend sortiert sein.

Zur Losung des Riemann-Problems fur das System (2.16) wird die Losung u im Phasenraumin die Richtungen der einzelnen Eigenvektoren durch

u (x, t) =n∑

p=1

vp (x, t) rp (2.19)

zerlegt. Die Koeffizienten vp sind skalare Großen, die den Anteil von u in Richtung rp beschrei-ben. Da die Matrix A konstant ist, sind es auch deren Eigenvektoren und somit konnen in(2.19) nur noch die Koeffizienten von x und t abhangen. Wird diese Darstellung von u in dasGleichungssystem eingesetzt, ergibt sich

n∑p=1

(∂vp

∂trp +Arp

∂vp

∂x

)= 0 (2.20)

was zun∑

p=1

(∂vp

∂t+ λp

∂vp

∂x

)rp = 0 (2.21)

umgeformt werden kann, da rp gerade der Eigenvektor zum Eigenwert λp ist. Aufgrund derlinearer Unabhangigkeit der Eigenvektoren muß in der Summe in (2.21) jeder Summand fur sichalleine verschwinden und wir erhalten

∂vp

∂t+ λp

∂vp

∂x= 0 p = 1, 2...n (2.22)

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2.3. LINEARE SYSTEME 9

Abbildung 2.2: Zerlegung in charakteristische Variablen

Dies sind n skalare, entkoppelte Gleichungen fur die Koeffizienten der Darstellung von u (x, t).Die vp werden charakteristische Variablen genannt. Sie genugen jede fur sich einer Advekti-onsgleichung, wobei die Advektionsgeschwindigkeit gerade die entsprechende charakteristischeGeschwindigkeit λp ist.

Um die Gleichungen (2.22) mit Anfangsbedingungen zu versorgen, wird nun auch die An-fangsbedingung (2.9) in die Richtungen der Eigenvektoren zerlegt. Dabei ist es praktisch dieForm

u (x, t = 0) = ul +{

0 x ≤ 0ur − ul x > 0

(2.23)

zu benutzen. Wir zerlegen jetzt ul durch

ul =n∑

p=1

αp rp , (2.24)

sowie den Sprung ur − ul durch

ur − ul =n∑

p=1

βp rp . (2.25)

Die Koeffizienten αp und βp sind dann jeweils der charakteristischen Variable vp zugeordnet undwir erhalten als Losung der Advektionsgleichungen analog zu (2.11)

vp (x, t) ={αp x ≤ λp tαp + βp x > λp t

(2.26)

= αp +{

0 x ≤ λp tβp x > λp t

(2.27)

Die Koeffizienten αp aus der Zerlegung von ul liefern nur einen konstanten Beitrag. Das hauptsachlicheVerhalten der Losung wird durch die Zerlegung des Sprunges ur − ur bestimmt.

Dieses Vorgehen ist in Abb. 2.2 fur den zwei-dimensionalen Fall, d.h. fur zwei Gleichungenmit Variablen u1 und u2 verdeutlicht. In der Abbildung sind die Werte ul und ur als Punkteim Phasenraum eingetragen. Die Verbindungslinie entspricht dem Vektor des Sprunges, der inseine Anteile entlang der Eigenvektoren mit dem Zwischenwert um zerlegt wird. Jeder Anteilgenugt der dazugehorenden Advektionsgleichung. Es entsteht eine sogenannte 1-Welle und eine2-Welle, beziehungsweise allgemein eine p-Welle, die sich mit der Geschwindigkeit λp fortbewegt.Der Sprung der Anfangsbedingung wird also nicht, wie im skalaren Fall, als ganzes mit einerGeschwindigkeit transportiert, sondern in zwei Sprunge (zwei Wellen) mit dem Zwischenwertum zerlegt, die sich dann mit ihren eigenen Geschwindigkeiten fortbewegen.

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10 KAPITEL 2. HYPERBOLISCHE ERHALTUNGSGLEICHUNGEN

Abbildung 2.3: Losung eines linearen Systems

Abbildung 2.4: Charakteristiken eines linearen Systems

Fur die Losung u (x, t) gilt

u (x, t) =n∑

p=1

vp (x, t) rp (2.28)

= ul +n∑

p=1

{0 x− λp t ≤ 0βp rp x− λp t > 0

(2.29)

= ul +∑

λp< xt

βp rp (2.30)

wobei die letzte Summe gerade nur uber solche Indices p zu nehmen ist, fur die λp <xt gilt. Bei

diese Schreibweise mussen die Eigenwerte nach (2.18) sortiert sein. Fur das zweidimensionaleBeispiel ist die Losung zusammen mit der Anfangsbedingung in Abb. 2.3 zu sehen. Die 2-Welleist entsprechend der Sortierung die schnelle Welle. Zwischen den Wellen bildet sich ein Plateaumit dem Wert um aus. Die Richtung der Ausbreitung wird wieder durch das Vorzeichen derEigenwerte festgelegt. Die Wellen konnten also bei einem anderen System auch in verschiedeneRichtungen laufen, sodaß sich bei x = 0 der Wert um einstellt.

Es ist ublich die Position der Wellen zu jeder Zeit in ein (x, t)-Diagramm einzuzeichnen.Fur ein System mit vier Gleichungen ist dies beispielhaft in Abb. 2.4 gezeigt. Eine p-Wellebewegt sich entlang der sogenannten p-Charakteristik. Im linearen Fall sind die CharakteristikenGeraden mit der Steigung λp (bzw. dem Inversen).

Mit Hilfe des (x, t)-Diagramms laßt sich die Darstellung der Losung nach (2.30) anschaulichmachen: Zwischen zwei Charakteristiken ist die Losung u (x, t) konstant. Auf beiden Seiten einer

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2.4. NICHTLINEARE GLEICHUNGEN 11

p-Charakteristik unterscheidet sich u gerade um den Wert βp rp, dem Sprung der charakteristi-schen Variable, die sich mit λp auf der p-Charakteristik bewegt. Jenseits der schnellsten, bzw. derlangsamsten Welle, d.h. jenseits der steilsten, bzw. flachesten Charakteristik (vorzeichenbehaftet!) hat u den Wert ur bzw. ul der Anfangsbedingung.

Betrachten wir jetzt zum Beispiel den Punkt A = (xA, tA) in Abb. 2.4. Die Steigung dergepunkteten Linie ist xA

tAund keine Steigung einer Charakteristik ist kleiner als dieser Wert.

D.h. den Ort xA hat zur Zeit tA keine Welle erreicht. Der Wert der Losung bei A ist ul. AmPunkt B ist die Steigung xB

tBgroßer als die der 1-Charakteristik. D.h. den Ort xB hat zur Zeit tB

bereits die 1-Welle uberstrichen und u (xB, tB) hat den Wert ul + β1r1. Dieses Vorgehen erklartdie Summe in (2.30). Analog laßt sich die Losung auch von ur aus konstruieren. Es ergibt sich

u (x, t) = ul +∑

λp< xt

βp rp (2.31)

= ur −∑

λp> xt

βp rp . (2.32)

Die Losung hangt von x und t nur in der Kombination xt ab. Jede Losung eines Riemann-

Problems hat diese Ahnlichkeiteigenschaft. Wird der Ort und die Zeit mit dem gleichen Faktormultipliziert, ergibt sich der selbe Wert fur u. Das bedeutet, daß die Losung zu allen Zeiten diegleiche Form hat und nur wie eine Ziehharmonika entlang der x-Achse gestaucht oder gedehntwird.

2.4 Nichtlineare Gleichungen

Die Nichtlinearitat macht die Losung des Riemann-Problems komplizierter und undurchsichtiger,trotzdem bleibt der prinzipielle Charakter der Losung der selbe wie im Fall des linearen Systems.

Bevor auf zwei Eigenheiten von nichtlinearen Gleichungen eingegangen wird - Rankine-Hugoniot-Bedingungen und Verdunnungsfacher - , soll hier zunachst eine Interpretation dercharakteristischen Geschwindigkeiten fur allgemeine hyperbolische Gleichungen der Form (2.3)abgeleitet werden.

2.4.1 Beschleunigungswellen

Dazu betrachten wir eine Losung u (x, t), die zwar uberall stetig ist, deren Ortsableitung aller-dings einen Knick hat. Falls wir durch

[[ψ]] = ψ(x+

)− ψ

(x−

)(2.33)

den Sprung einer unstetigen Große bezeichnen, gilt also

[[u]] = 0 (2.34)[[∂u

∂x

]]6= 0 . (2.35)

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12 KAPITEL 2. HYPERBOLISCHE ERHALTUNGSGLEICHUNGEN

Eine solche Losung wird Beschleunigungswelle genannt. Der Knick kann sich mit einer zunachstbeliebigen Geschwindigkeit v bewegen. Ein mitbewegter Beobachter sieht aufgrund der Stetigkeitvon u keinen Sprung in der zeitlichen Anderung von u. Es gilt[[

du

dt

]]= 0 . (2.36)

Damit ergibt sich durch [[du

dt

]]=

[[∂u

∂t+ v

∂u

∂x

]](2.37)

=[[∂u

∂t

]]+ v

[[∂u

∂x

]](2.38)

= 0 (2.39)

die Beziehung [[∂u

∂t

]]= −v

[[∂u

∂x

]](2.40)

zwischen der Orts- und Zeitableitung von u. Wenn wir jetzt den Sprung des Gleichungssystems(2.3) nehmen: [[

∂u

∂t+ f ′ (u)

∂u

∂x

]]= 0 (2.41)

und darin (2.40) einsetzen, erhalten wir die Gleichung

(f ′ (u)− v I

) [[∂u

∂x

]]= 0 . (2.42)

Hierin ist I die Einheitsmatrix und es entsteht die Form einer Eigenwertgleichung: Weil derSprung der Ortsableitung ungleich null ist, muß zur Erfullung dieser Gleichung die Ausbrei-tungsgeschwindigkeit des Knicks gerade ein Eigenwert der Jacobi-Matrix sein.

Da Knicke als Storungen eines ursprunglich beispielsweise homogenen Feldes betrachtet wer-den konnen, laßt sich dieses Ergebnis folgendermaßen zusammenfassen: Die charakteristischenGeschwindigkeiten sind die Geschwindigkeiten mit denen sich Storungen im System ausbrei-ten. Da die Eigenwerte insbesondere endlich sind, ist auch die Ausbreitungsgeschwindigkeit derStorung endlich. Dies stellt eine wichtige Eigenschaft hyperbolischer Gleichungen dar.

2.4.2 Rankine-Hugoniot-Bedingung

Auch bei linearen Gleichungen bewegt sich ein Knick entsprechend der vorhergehenden Rechnungmit einer charakteristischen Geschwindigkeit. In Abschnitt 2.3 haben wir gesehen, daß dies beilinearen Gleichungen sogar fur Unstetigkeiten von u selbst gilt. Im nichtlinearen Fall bewegensich Unstetigkeiten i.a. nicht mit einer charakteristischen Geschwindigkeit.

Um eine Beziehung fur die Geschwindigkeit zu erhalten, wird die integrale Formulierung(2.8) in den Grenzen von kurz vor bis kurz nach der Unstetigkeit, x+

s und x−s , benutzt:

d

dt

x+s∫

x−s

u (x, t) dx = f(u+

)− f

(u−

)(2.43)

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2.4. NICHTLINEARE GLEICHUNGEN 13

Der Index s steht fur ”Stoß”. Außerdem werden die Großen rechts und links des Stoßes durch

u+ = u(x+

s , t)

(2.44)u− = u

(x−s , t

)(2.45)

abgekurzt. Die Integralgrenzen werden mit der Unstetigkeit mitbewegt und es gilt nach derLeibniz’schen Regel:

d

dt

∫ x+s

x−s

u (x, t) dx =∫ x+

s

x−s

∂u (x, t)∂t

dx+ vs

(u+ − u−

)(2.46)

mit der Geschwindigkeit des Stoßes vs. Wenn jetzt die Grenzen beliebig nah an den Stoß heran-gefuhrt werden, verschwindet das Integral auf der rechten Seite von (2.46) und wir erhalten aus(2.43)

vs

(u+ − u−

)= f

(u+

)− f

(u−

)(2.47)

Dies sind die sogenannten Rankine-Hugoniot-Bedingungen an einen Stoß.

Im linearen Fall gilt fur die Flußfunktion der lineare Zusammenhang (2.15) und es ergibtsich

vs

(u+ − u−

)= A

(u+ − u−

)(2.48)

als Rankine-Hugoniot-Bedingungen. Das ist die Eigenwertgleichung fur A und wir bekommendas bereits aus Abschnitt 2.3 bekannte Ergebnis: Im linearen Fall bewegen sich Unstetigkeitengerade mit den charakteristischen Geschwindigkeiten.

Im nichtlinearen Fall gilt das nur im Grenzfall eines kleinen Stoßes. Die Flußfunktion laßtsich dann um die eine Seite des Stoßes entwickeln. Es gilt

f(u+

)≈ f

(u−

)+ f ′

(u−

) (u+ − u−

)(2.49)

und die Rankine-Hugoniot-Bedingungen werden zur Eigenwertgleichung der Jacobi-Matrix

vs

(u+ − u−

)≈ f ′

(u−

) (u+ − u−

). (2.50)

2.4.3 Verdunnungsfacher

Ein neues Phanomen bei nichtlinearen Gleichungen ist das Auftreten von Verdunnungsfachernals Ersatz fur instabile Stoßlosungen. Eine Losung ist instabil, wenn sie zwar Losung der Dif-ferentialgleichung zu gegebenen Anfangsbedingungen ist, aber eine geringfugige Anderung derAnfangsdaten zu einer Losung fuhrt, die sich sehr stark von der ursprunglichen unterscheidet.

Ein Verdunnungsfacher laßt sich am besten beispielhaft an einer skalaren Gleichung mit derFlußfunktion

f (u) = 12u

2 (2.51)

vorstellen. Es ergibt sich die sogenannte Burgersgleichung

∂u

∂t+ u

∂u

∂x= 0 , (2.52)

ein Standardbeispiel einer nichtlinearen hyperbolischen Gleichung. Sie gleicht einer Advektions-gleichung mit dem Unterschied, daß die Advektionsgeschwindigkeit der lokale Wert von u selbstist.

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14 KAPITEL 2. HYPERBOLISCHE ERHALTUNGSGLEICHUNGEN

Abbildung 2.5: Ein Verd unnungsfacher

Ein Verdunnungsfacher entsteht bei der Losung des Riemann-Problems mit der Bedingung

ul < ur (2.53)

an die Anfangsdaten (2.9). Die Losung ist schematisch in Abb. 2.5 zu sehen. Das Entstehen dieserLosung ist leicht einzusehen: Man stelle sich die anfangliche Unstetigkeit als lineare Funktionmit sehr starker Steigung vor. Entsprechend Abschnitt 2.4.1 bewegen sich die Knicke dieserFunktion mit den jeweiligen charakteristischen Geschwindigkeiten. Bei der Burgersgleichungsind dies gerade ul und ur. Da aber ul < ur gilt, bewegt sich der obere Knick schneller als deruntere Knick und die anfangliche Unstetigkeit fachert sich auf. Gilt andererseits ur < ul kommtes zu keiner Auffacherung, sondern zu einer Stoßlosung.

Ein Verdunnungsfacher hat ganz allgemein die Form

uV (x, t) =

u− x ≤ λ− tw

(xt

)λ− t < x < λ+ t

u+ x ≥ λ+ t(2.54)

mit w (ξ) einer stetigen Funktion, die sich durch die Abhangigkeit von xt mit der Zeit auffachert.

Sie kann berechnet werden, indem uV (x, t) in das System (2.3) eingesetzt wird. Weiterhin giltw (λ−) = u− und w (λ+) = u+, sodaß Verdunnungsfacher stetig sind. Der Anfang und das Endevon Verdunnungsfachern bewegen sich als Knicke immer mit einer charakteristischen Geschwin-digkeit.

2.4.4 Losung des Riemann-Problems

Die Losung des Riemann-Problems gleicht im nichtlinearen Fall den linearen Ergebnissen inprinzipieller Weise: Falls das System aus n Gleichungen besteht wird der Sprungvektor derAnfangsbedingung in n Sprunge zerlegt. Diese Sprunge bewegen sich mit unterschiedlichen Ge-schwindigkeiten und lassen dabei Plateaus mit entsprechenden Zwischenwerten entstehen.

In der Annahme, daß sich alle Sprunge als Stoße fortbewegen, gelten fur die Geschwindig-keiten und Zwischenwerte zunachst die n Rankine-Hugoniot-Bedingungen

v(p)s (up+1 − up) = f (up+1)− f (up) p = 1, 2...n (2.55)

Dies sind n2 gekoppelte, nichtlineare Gleichungen fur die n unbekannten Geschwindigkeiten

v(p)s p = 1, 2...n (2.56)

und n− 1 vektorwertigen Zwischenwerte

up p = 2, 3...n . (2.57)

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2.5. DER PRODUKTIONSTERM 15

Die außeren Werte u1 und un+1 sind durch die Anfangsbedingungen

u1 ≡ ul (2.58)un+1 ≡ ur (2.59)

gegeben. Ein so zur Geschwindigkeit v(p)s ausgerechneter Stoß heißt p-Stoß und ist wie im linearen

Fall der p-Charakteristik zugeordnet. Diese Zuordnung entsteht durch die Tatsache, daß sich imGrenzfall eines kleinen Sprunges dieser p-Stoß mit der charakteristischen Geschwindigkeit λp

fortbewegt.

Leider konnen einige von diesen Stoßen instabil sein. Im allgemeinen ist es selten offensichtlichwelche Stoße dies sind und welche nicht und es ist ein handhabbares Entscheidungskriteriumvon noten. Bei den Euler-Gleichungen ist dies beispielsweise die Bedingung, daß die Entropiedurch einen Stoß hindurch zu nehmen muß. Mathematisch fuhrt die Forderung der Stabilitatauf die sogenannte Lax-Bedingung ( [4], [15])

λp

(u−

)≥ v(p)

s ≥ λp

(u+

), (2.60)

Bildlich bedeutet diese Relation, daß die zugeordneten Charakteristiken beiderseits des Stoßesin den Stoß hinein laufen.

Die instabilen Stoße mussen durch Verdunnungsfacher ersetzt werden. Falls ein p-Stoß zwi-schen up und up+1 durch einen Verdunnungsfacher ersetzt wird, verandert sich allerdings aucheiner der Zwischenwerte up oder up+1. In [4] wird gezeigt wie die fur Verdunnungsfacher erlaubtenZwischenwerte berechnet werden, wir werden hier nicht darauf eingehen. Durch die verandertenZwischenwerte verandern sich dann auch beispielsweise die Geschwindigkeiten der angrenzendenStoße.

Damit ist beschrieben wie ein nichtlineares Riemann-Problem prinzipiell zu losen ist. In Ab-schnitt 5.1 werden wir das Stoßrohr-Experiment als spezielles Riemann-Problem mit den Euler-Gleichungen losen. Glucklicherweise ist dies dort durch die Struktur der Gleichungen relativeinfach.

2.5 Der Produktionsterm

Gewohnlich wird das Riemann-Problem fur Erhaltungsgleichungen formuliert und berechnet.Um einen Eindruck vom Einfluß einer rechten Seite zu bekommen, versehen wir die Advektions-gleichung mit einem Produktionsterm der Form

P (u) = c u . (2.61)

Es entsteht die inhomogene Gleichung

∂u

∂t+ a

∂u

∂x= c u , (2.62)

wobei c genau wie a eine reelle Konstante ist. Die Losung der Gleichung hat die allgemeineGestalt

u (x, t) = u0 (x− at) ec t (2.63)

mit einer beliebigen Funktion u0. Dies laßt sich wieder durch Einsetzen schnell uberprufen. DieFunktion u0 ist wie bei der Losung der Advektionsgleichung durch die Anfangsbedingung

u (x, t = 0) = u0 (x) (2.64)

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16 KAPITEL 2. HYPERBOLISCHE ERHALTUNGSGLEICHUNGEN

Abbildung 2.6: Gedampfte Advektion

gegeben.

Fur das Riemann-Problem mit den Anfangsbedingungen wie in (2.9) ergibt sich

u (x, t) ={ul e

ct x ≤ a tur e

ct x > a t(2.65)

In Abb. 2.6 ist diese Losung fur negatives c zu sehen. Der Produktionsterm hat durch denExponentialfaktor in diesem Fall die Wirkung einer Dampfung und laßt den Sprung mit derZeit kleiner werden. Fur ein positiven Wert von c wurde der Sprung anwachsen. Physikalischware dieser Fall i.a. nicht sinnvoll: In der Tat haben alle Produktionsterme im folgenden dieserArbeit dampfende Eigenschaft.

Es sei noch bemerkt, daß der Produktionsterm die Ahnlichkeitseigenschaft (siehe Abschnitt2.3) von Losungen des Riemann-Problems zerstort. Die Losungen zu verschiedenen Zeiten gehennicht mehr durch Streckung oder Dehnung auseinander hervor.

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Kapitel 3

Die Gleichungen der ErweitertenThermodynamik

Die erweiterte Thermodynamik liefert als Materialtheorie explizite, hyperbolische Feldgleichun-gen zur Bestimmung des thermodynamischen Zustandes eines Korpers. In diesem Kapitel wirddas Ergebnis der erweiterten Thermodynamik fur einatomige, ideale Gase vorgestellt. Dabeiwird besonders auf die Hyperbolizitat der entstehenden Gleichungen eingegangen. Im letztenAbschnitt werden die expliziten Feldgleichungen angegeben.

Der Formalismus und die Ergebnisse der erweiterten Thermodynamik sind in [7] nachzulesen.

3.1 Die Momentenhierarchie

Die erweiterte Thermodynamik von einatomigen, idealen Gasen laßt sich in enge Beziehung zurMomentenmethode der kinetischen Gastheorie setzen. Die zentrale Große ist dort die Vertei-lungsfunktion f (x, t, c). Der Wert

f (x, t, c) dc (3.1)

beschreibt die Zahldichte von Gasatomen am Ort x zur Zeit tmit einer Geschwindigkeit zwischenc und c+dc. Um den Zustand des Gases zu beschreiben werden in der Momentenmethode diesogenannten Momente der Verteilungsfunktion

F = m

∫f dc

Fi = m

∫ci f dc (3.2)

...

Fi1···iN = m

∫ci1 · · · ciN f dc

betrachtet. Hierin ist m die Masse eines Atoms. Die Momente bilden vollstandig symmetrischeTensoren mit aufsteigender Stufe. In (3.2) sind die Momente bis zur N -ten Stufe dargestellt,wobei N eine bestimmte naturliche Zahl ist. Grundlegend in der Momentenmethode ist die Idee,daß der Zustand des Gases umso besser beschrieben werden kann, je mehr Momente bekanntsind.

17

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18 KAPITEL 3. DIE GLEICHUNGEN DER ERWEITERTEN THERMODYNAMIK

Das erste Moment F entpricht beispielsweise der Dichte, Fi ist die Impulsdichte und die Spurdes zweiten Momentes Fii ist das doppelte der Gesamtenergiedichte des Gases. Wir erhaltendamit die Verknupfungen

F = ρ (3.3)Fi = ρ vi (3.4)

Fii = ρ v2 + 2 ρ ε (3.5)

zwischen den ersten Momenten und den gewohnlichen Feldern der Dichte ρ, der Geschwindigkeitvi und der spezifischen inneren Energiedichte ε.

Die Momente genugen einer Hierarchie von Bilanzgleichungen in der Form (siehe auch in [6])

∂F

∂t+∂Fk

∂xk= 0

∂Fi

∂t+∂Fik

∂xk= 0

∂Fij

∂t+∂Fijk

∂xk= P〈ij〉 (3.6)

...∂Fi1···iN∂t

+∂Fi1···iNk

∂xk= Pi1···iN

Die ersten beiden Gleichungen und die Spur der dritten haben keine Produktion.1 Sie stehendamit fur die Erhaltung von Masse, Impuls und Energie. Erst die hoheren Gleichungen besitzenProduktionsterme und sorgen so fur die dissipativen Effekte im Gas.

Um die Notation ubersichtlicher zu gestalten, fuhren wir den Multiindex α = 0, 1...N ein,der die Tensorindices zusammen faßt. Es gilt

Fα = m

∫cα f dc (3.7)

mit der Abkurzungcα := ci1···iα (3.8)

Damit laßt sich die Hierarchie (3.6) durch

∂Fα

∂t+∂Fαk

∂xk= Pα α = 0, 1...N (3.9)

sehr kompakt schreiben.

Wenn wir uns entscheiden das Gas durch die ersten N Momente zu beschreiben, stehenuns prinzipiell mit den Gleichungen der Hierarchie auch N Gleichungen zur Bestimmung dieserMomente zur Verfugung. Es entsteht allerdings das folgende Abschlußproblem: Der Fluß einerGleichung in (3.9) ist immer das nachsthohere Moment, das als Variable unter der Zeitableitungder nachsten Gleichung steht. In der letzten Gleichung ist der Fluß das N + 1-te Moment, dasnicht mehr zum Variablensatz gehort. Dieser hochste Fluß muß in Form einer Materialgleichungmit den Variablen, d.h. den N ersten Momenten verknupft werden.

Daruberhinaus mussen Materialgleichungen angegeben werden, die die Produktionsterme derrechten Seite mit den Momenten verknupft.

1Eckige Klammern um Indices markieren die Spurfreiheit eines Tensors.

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3.2. ERGEBNIS DER MATERIALTHEORIE 19

3.2 Ergebnis der Materialtheorie

Die erweiterte Thermodynamik lost das Abschlußproblem mit Hilfe der Existenz einer Entro-pieungleichung und das Funktional fur die Entropie aus der kinetischen Gastheorie. Hier wirdnur das Ergebnis prasentiert.

Im Hinblick auf eine Materialgleichung fur den letzten Fluß spielen die Felder der sogenanntenMultiplikatoren (auch: Mainfield)

Λα (x, t) (3.10)

eine entscheidende Rolle. Fur den Zusammenhang zwischen den Momenten und diesen Multi-plikatoren gilt

Fα = m

∫cα e

−mk

∑Nβ=0 Λβ cβ dc (3.11)

= Fα (Λβ) , (3.12)

und zwar fur beliebige Momente und nicht nur fur die ersten N . Der Term

e−mk

∑Nβ=0 Λβ cβ (3.13)

wird maximierte Verteilungsfunktion genannt, darin ist m wie oben die Atommasse und k dieBoltzmann-Konstante. Die Beziehung (3.11) fur α = 0, 1...N laßt sich global invertieren und wirerhalten mit

Λα = Λα (Fβ) α = 0, 1...N (3.14)

die Multiplikatoren als Funktion der ersten N Momente. Fur den letzten Fluß ergibt damit sichaus (3.11)

FNk = m

∫ckcN e−

mk

Λβ(Fα) cβ dc (3.15)

= FNk (Fα) , (3.16)

wobei N als Multiindex zu verstehen ist. Mit dieser Materialgleichung ist die linke Seite derHierarchie (3.9) nur noch von den ersten N Momenten abhangig.

3.2.1 Produktionen

Fur die Produktionen liefert die kinetische Gastheorie das Integral

Pα = m

∫cα S (f) dc . (3.17)

Hierin ist

S (f) =∫ (

f ′ f1′ − f f1)g b db dε dc1 (3.18)

der Stoßoperator der Boltzmann-Gleichung. Er beschreibt die Produktion von Phasenraumpunk-ten durch Atomstoße. Der Term b db dε ist der differentielle Stoßquerschnitt, g ist die Relativ-geschwindigkeit der stoßenden Atome und f ′, f1′, f , f1 sind die Werte der Verteilungsfunktionfur die Geschwindigkeiten der Stoßpartner vor und nach dem Stoß. Fur eine Herleitung undDiskussion von (3.18) sei auf [1] oder [6] verwiesen.

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20 KAPITEL 3. DIE GLEICHUNGEN DER ERWEITERTEN THERMODYNAMIK

Um die Produktionen leicht zu berechnen, wird ein spezielles, stark vereinfachtes Atom-modell, die sogenannten Maxwell-Teilchen, zugrunde gelegt. Fur das Wechselwirkungspotentialzwischen zwei solcher Teilchen mit dem Abstand r gilt die Abhangigkeit

Φ (r) ∼ 1r4. (3.19)

Fur Maxwell-Teilchen lassen sich die Produktionen (3.17) ohne Kenntnis der Verteilungsfunktionals Funktion der Momente berechnen. Dabei hangt dann beispielsweise die M -te Produktion nurvon den ersten M Momenten ab.

Insgesamt gilt somit

Pα = Pα (Fβ) (3.20)

und zusammen mit (3.15) bildet die Hierarchie (3.9) jetzt ein explizites Feldgleichungssystemzur Bestimmung der ersten N Momente. Die einzigen darin auftretenden Materialwerte sind dieAtommasse und eventuelle Parameter des Wechselwirkungspotentials in den Produktionstermen.

3.2.2 Hyperbolizitat

Es soll nun gezeigt werden, daß diese Form des Abschlußes tatsachlich hyperbolische Gleichungenliefert. Dazu betrachten wir das Gleichungssystem (3.9) und fuhren mit Hilfe von (3.11) denVariablenwechsel

Fα (x, t)←→ Λα (x, t) (3.21)

von den Momenten auf die Multiplikatoren durch. In diesen Variablen schreibt sich das Glei-chungssystem

∂Fα

∂Λβ

∂Λβ

∂t+∂Fαk

∂Λβ

∂Λβ

∂xk= Pα , (3.22)

worin sich die Faktoren vor der Zeit- und Ortsableitung als Matritzen abkurzen lassen:

Aαβ∂Λβ

∂t+B

(k)αβ

∂Λβ

∂xk= Pα (3.23)

Fur diese Matritzen gilt nach (3.11)

Aαβ =∂Fα

∂Λβ= −m2

k

∫cαcβ e

−mk

Λγcγ dc (3.24)

B(k)αβ =

∂Fαk

∂Λβ= −m2

k

∫ckcαcβ e

−mk

Λγcγ dc (3.25)

Die direkte Definition der Hyperbolizitat (2.7) laßt sich nun leider nicht direkt anwenden - selbstwenn das Gleichungssystem (3.23) mit der Inversen von Aαβ durchmultipliziert wird, da sichuber das entstehende Produkt vor der Ortsableitung keine Aussage machen laßt.

Um die Hyperbolizitat des Gleichungssystems zu erschließen, brauchen wir zunachst dieDefinitheit der Matrix Aαβ : Fur einen beliebigen, nichtverschwindenen Vektor Xα hat die qua-dratische Form

XαAαβ Xβ = −m2

k

∫cαXα cβXβ e

−mk

Λγcγ dc (3.26)

= −m2

k

∫(cαXα)2 e−

mk

Λγcγ dc (3.27)

< 0 Xα 6= 0 (3.28)

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3.3. LINEARISIERUNG 21

immer ein negatives Vorzeichen. Mit diesem Wissen betrachtet man nun das charakteristischePolynom (siehe auch Abschnitt 2.4.1)

det(nkB(k)γβ − λAαβ) (3.29)

mit einem beliebigen Richtungsvektor nk. Hyperbolizitat folgt jetzt aus der Existenz reller Null-stellen dieses Polynoms. Aufgrund der Definitheit laßt sich die Wurzel Sαβ von Aαβ durchS2

αβ = −Aαβ definieren und es gilt folgende Umformung

det(nkB(k)γβ − λAαβ) = det(nkB

(k)γβ + λS2

αβ) (3.30)

= det(nkB(k)γβ S

−1αβ + λSαβ) det(Sαβ) (3.31)

= det(Sαβ) det(S−1αβ nkB

(k)γβ S

−1αβ + λ I) det(Sαβ). (3.32)

Es zeigt sich, daß das charkteristische Polynom (3.29) proportional zu einem charakteristischenPolynom einer symmetrischen Matrix ist. Da symmetrische Matritzen nur reelle Eigenwertehaben, ist (3.23) ein hyperbolisches Gleichungssystem. Es laßt sich zeigen, daß die Hyperbolizitatbei Variablentransformation erhalten bleibt und somit ubertragt sich die Eigenschaft von (3.23)auch auf das ursprungliche System (3.9).

Physikalisch sind hyperbolische Gleichungen wunschenswert, denn wie in Abschnitt 2.4.1 ge-zeigt wurde, breiten sich Storungen in solchen Gleichungen nur mit endlicher Geschwindigkeitaus. Dies erwartet man auch intuitiv in einem physikalischen Prozeß. Die erweiterte Thermody-namik bildet dieses Phanomen somit adaquat durch die Erzeugung hyperbolischer Gleichungenab.

Die erweiterte Thernodynamik besitzt damit auch einen Vorteil gegenuber der gewohnlichenThermodynamik mit den Materialgesetzen von Navier-Stokes und Fourier (siehe Abschnitt 3.4.2)In den dortigen Gleichungen treten unphysikalische, unendliche Ausbreitungsgeschwindigkeitenauf (das sog. Warmeleitungsparadox [7]).

3.3 Linearisierung

Trotz der Eleganz der Materialtheorie bleibt das Problem, daß die Gleichungen (3.11) zur Be-rechnung der Multiplikatoren stark nichtlinear und analytisch i.a. nicht auszuwerten sind. Umhandhabbare Ergebnisse zu bekommen werden alle Gleichungen um das Gleichgewicht lineari-siert.

Im Gleichgewicht nimmt die Verteilungsfunktion die Form der Maxwell-Verteilung

fM (c) =ρ

m

√3

4π εe−

3(ci−vi)2

4 ε (3.33)

an. Das Gas ist dann durch die Gleichgewichtsvariablen Dichte ρ, Geschwindigkeit vi und Ener-giedichte ε vollstandig beschrieben und die Momente berechnen sich aus

Fα|E := m

∫cα fM (c) dc (3.34)

wobei der Index E das Gleichgewicht markiert. Ein Vergleich mit (3.11) zeigt, daß sich diemaximierte Verteilungsfunktion im Gleichgewicht auf die Maxwellverteilung reduziert.

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22 KAPITEL 3. DIE GLEICHUNGEN DER ERWEITERTEN THERMODYNAMIK

Die Gleichung (3.11) fur den letzten Fluß laßt sich durch eine Taylorreihenentwicklung als

FNk (Λα) ≈ FNk|E +∂FNk

∂Λα

∣∣∣∣E

(Λα − Λα|E) (3.35)

schreiben. Die auf der rechten Seite als Differenz auftretenden Nichtgleichgewichtsanteile derMultiplikatoren Λα − Λα|E ergeben sich aus der Linearisierung von (3.14)

Λα (Fβ) ≈ Λα|E +∂Λα

∂Fβ

∣∣∣∣E

(Fβ − Fβ|E

)(3.36)

in der Form

Λα − Λα|E ≈(∂Fα

∂Λβ

)−1∣∣∣∣∣E

(Fβ − Fβ|E

). (3.37)

Die Ableitungen der Momente nach den Multiplikatoren in (3.35) und (3.37) werden imGleichgewicht ausgewertet, sodaß sie sich auf Integrale uber die Maxwellverteilung

∂Fα

∂Λβ

∣∣∣∣E

= −m2

k

∫cα cβ fM (c) dc (3.38)

reduzieren. Das Ergebnis dieser Integrale hangt nur noch von den Gleichgewichtsvariablen ρ,vi und ε ab. Wenn wir (3.37) in (3.35) einsetzen, erhalten wir damit den letzten Fluß als einelineare Funktion der Nichtgleichgewichtsanteile Fβ − Fβ|E der Momente.

Bei der praktischen Auswertung dieser Gleichungen ist es allerdings bequemer nicht in denkonvektiven Momenten Fα zu rechnen, sondern die mit der Exzessgeschwindigkeit

Ci = ci − vi (3.39)

definierten nichtkonvektiven oder internen Momente

ρα = m

∫Cα f dC (3.40)

zu benutzen. Ein Vorteil ist, daß die Maxwellverteilung als Funktion der Exzessgeschwindigkeiteine gerade Funktion ist und die Halfte der Integrale in (3.38) verschwindet.

Das nichtkonvektive Moment nullter Stufe ist die Dichte selbst, wahrend das erster Stufeverschwindet, da die Impulsdichte eine rein konvektive Große ist. Einige der nachsten internenMomente lassen sich durch

ρii ≡ 2 ρ ε (3.41)ρij ≡ pij (3.42)ρiij ≡ 2 qi (3.43)

mit den bekannten Großen innere Energie ε, Drucktensor pij und Warmefluß qi identifizieren.Der Drucktensor ist gerade das Negative des Spannungstensors tij . Zusatzlich wird der Druck pals ein Drittel der Spur des Drucktensors eingefuhrt, wodurch sich die Beziehung

2 ρ ε = 3 p (3.44)

ergibt. Diese Beziehung ist typisch fur einatomige Gase und markiert die Beschrankung derTheorie auf diesen Fall. Im folgenden der Arbeit wird an Stelle der Energie ausschließlich derDruck benutzt.

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3.4. EXPLIZITE GLEICHUNGSSYSTEME 23

3.4 Explizite Gleichungssysteme

Es werden nun die expliziten Gleichungen in der eindimensionalen Spezialisierung fur verschie-dene Anzahlen von Momenten angegeben. Dabei werden nicht nur komplette Momente einerTensorstufe betrachtet, sondern zusatzlich jedes Moment in seine irreduziblen Anteile, d.h. inseine Spuren und spurfreie Anteile zerlegt. Dadurch entsteht eine weitere Freiheit in der Wahlder Variablen.

Zu jedem prasentierten Fall wird die Erhaltungsform entsprechend (2.1), sowie die Jacobi-Matrix der Flußfunktion angegeben. Die Jacobi-Matrix wird besonders fur das numerische Ver-fahren (siehe Kapitel 4) gebraucht. Außerdem werden jeweils die charakteristischen Geschwin-digkeiten (soweit moglich) ausgerechnet.

3.4.1 Der Euler-Fall

Der Fall der Euler-Gleichungen ist in die gesamte Theorie eingebettet und entsteht falls man sichzur Beschreibung des Gases nur auf die Gleichgewichtsvariablen beschrankt. Die Variablen sindalso das nullte und erste Momente, sowie die Spur des zweiten, oder die Dichte, die Geschwindig-keit und der Druck. Die nichtverschwindene eindimensionale Komponente der Geschwindigkeitwird dabei mit v bezeichnet.

In den nichtkonvektiven Variablen lauten die drei verbleibenden Gleichungen

∂ρ

∂t+∂ρv

∂x= 0

∂ρv

∂t+

∂x

(ρv2 + p

)= 0 (3.45)

∂t

(ρv2 + 3p

)+

∂x

(ρv3 + 5pv

)= 0

Dies sind gerade die Erhaltungssatze fur Masse, Impuls und Energie eines einatomigen Gases,falls keine Dissipation durch Warmeleitung oder Viskositat stattfindet. Damit sind die Euler-Gleichungen nicht in der Lage solche Effekte in einem Gas zu beschreiben.

Erhaltungs-Formulierung

Um die Gleichungen in Erhaltungsvariablen entsprechend (2.1) zu schreiben, definieren wir

u1 = ρ

u2 = ρv (3.46)

u3 = ρv2 + 3p

In diesen Variablen erhalten wir

∂t

u1

u2

u3

+∂

∂x

f1

f2

f3

=

000

(3.47)

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24 KAPITEL 3. DIE GLEICHUNGEN DER ERWEITERTEN THERMODYNAMIK

mit den Komponenten der Flußfunktion

f1 = u2

f2 = 13u3 + 2

3u2u2

u1(3.48)

f3 = 53u3

u2

u1− 2

3u2

(u2

u1

)2

.

Die Jacobi-Matrix der Flußfunktion lautet

∂fi

∂uj=

1u1

0 u1 0−2

3u2u2u1

43u2

13u1

−53u3

u2u1

+ 43u2

(u2u1

)253u3 − 2u2

u2u1

53u2

. (3.49)

Charakteristische Geschwindigkeiten

Im Hinblick auf die charakteristischen Geschwindigkeiten berechnen wir die Eigenwerte derJacobi-Matrix (3.49). Fur das charakteristische Polynom erhalten wir

det(λ I − ∂f

∂u

)= (λ− v)

(λ2 − 2λ v − 2

9

(52

u3

u1− 7 v2

))(3.50)

mit den Nullstellen

λ1 = v (3.51)

λ2,3 = v ±√

53

p

ρ(3.52)

Eine charakteristische Geschwindigkeit ist also die Geschwindigkeit v des Gases selbst und dieanderen beiden sind symmetrisch zu beiden Seiten von v um den Wert der adiabaten Schallge-schwindigkeit

a =√

53

p

ρ(3.53)

verschoben.

Nach Abschnitt 2.4.1 breiten sich Storungen also entweder konvektiv mit der Stromung desGases oder mit Schallgeschwindigkeit relativ zur Stromung aus.

3.4.2 Der 13-Feld-Fall

Um auch dissipative Effekte im Gas beschreiben zu konnen, mussen mehr Momente berucksichtigtwerden. Wahlen wir zu der Massendichte, der Impulsdichte und der Energiedichte des Euler-Falls noch den spurfreien Anteil des zweiten Moments und die erste Spur des dritten so bilden

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3.4. EXPLIZITE GLEICHUNGSSYSTEME 25

die unabhangigen Komponenten dieser Momente genau 13 Felder. Wir erhalten den sogenannten13-Feld-Fall. In eindimensionaler Formulierung bleiben die funf Gleichungen:

∂ρ

∂t+∂ρv

∂x= 0

∂ρv

∂t+

∂x

(ρv2 + p+ σ

)= 0

∂t

(ρv2 + 3p

)+

∂x

(ρv3 + 5pv + 2σv + 2q

)= 0 (3.54)

∂t

(23ρv

2 + σ)

+∂

∂x

(23ρv

3 + 43pv + 7

3σv + 815q

)= −αρσ

∂t

(ρv3 + 5pv + 2σv + 2q

)+

∂x

(ρv4 + 8pv2 + 5σv2 + 32

5 qv +p

ρ(5p+ 7σ)

)= −αρ

(43q + 2σv

)Hierin wurden die Abkurzungen

σ = p〈11〉 (3.55)

q = q1 (3.56)

fur die nichtverschwindenen eindimensionalen Komponenten von Druckdeviator und Warmeflußbenutzt. Die Komponente des Druckdeviators σ wird im folgenden dieser Arbeit ”Spannung”genannt.

Die ersten drei Gleichungen sind wieder die bekannten Erhaltungssatze. Fur die darin auftre-tende Spannung, sowie den Warmefluß gelten die beiden letzten Gleichungen. Diese Gleichungensind keine Erhaltungsgleichungen mehr, sondern besitzen eine Produktion. Die in diesen Produk-tionen auftretende Konstante α ist mit dem Wechselwirkungspotential der zugrunde liegendenMaxwell-Teilchen verknupft. Es ist die einzige Materialkonstante, die in den Gleichungen auf-tritt. In Abschnitt 3.4.2 wird der Wert von α mit meßbaren Großen des Gases in Beziehunggesetzt.

Erhaltungs-Formulierung

Fur die Erhaltungsform definieren wir wieder

u1 = ρ

u2 = ρv

u3 = ρv2 + 3p (3.57)

u4 = 23ρv

2 + σ

u5 = ρv3 + 5pv + 2σv + 2q

und erhalten

∂t

u1

u2

u3

u4

u5

+∂

∂x

f1

f2

f3

f4

f5

=

000P4

P5

(3.58)

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26 KAPITEL 3. DIE GLEICHUNGEN DER ERWEITERTEN THERMODYNAMIK

mit der Flußfunktion

f1 = u2

f2 = 13u3 + u4

f3 = u5 (3.59)

f4 = 415u5 + 9

5u4v − 45u2v

2

f5 = 165 u5v − 56

15u4v2 − 16

3 u3v2 + 158

45 u2v3 + 5

9

u23

u1+ 7

3

u3u4

u1

und den Produkionen

P1,2,3 = 0P4 = −αu1

(u4 − 2

3u2v)

(3.60)P5 = −αu1

(23u5 + 2

3u4v − 109 u3v

).

Hierin wurde die Geschwindigkeit v als Abkurzung fur u2u1

benutzt. Fur die Jacobi-Matrix gilt

∂fi

∂uj=

1u1

0 u1 0 0 00 0 1

3u1 u1 00 0 0 0 u1

−95u4v + 8

5u2v2 9

5u4 − 125 u2v 0 9

5u2415u1

−165 u5v + 112

15 u4v2 + 32

3 u3v2

−15815 u2v

3 − 59

u23

u1− 7

3u3u4u1

165 u5 − 112

15 u4v−32

3 u3v + 63245 u2v

2

73u4 + 10

9 u3

−163 u2v

73u3 − 56

15u2v165 u2

Charakteristische Geschwindigkeiten

Die Eigenwerte der Jacobi-Matrix lassen sich allgemein nicht analytisch ausrechnen. Die Rech-nung wird vereinfacht, falls wir Gleichgewicht annehmen, d.h. die NichtgleichgewichtsvariablenSpannung und Warmefluß durch

σ ≡ 0 (3.61)q ≡ 0 (3.62)

auf Null setzen. Zusatzlich sei das Gas in Ruhe:

v ≡ 0 . (3.63)

Wenn wir dies in die Definitionen (3.57) einsetzen, erhalten wir fur die Jacobi-Matrix

∂fi

∂uj=

0 1 0 0 00 0 1

3 1 00 0 0 0 10 0 0 0 4

15

−5(

)20 10

3pρ 7p

ρ 0

(3.64)

wobei die ubriggebliebenen Erhaltungsvariablen wieder durch die Dichte und den Druck ersetztworden sind. Das charakteristische Polynome berechnet sich zu

det(λ I − ∂f

∂u

)= λ5 − 26

5

p

ρλ3 + 3

(p

ρ

)2

λ (3.65)

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3.4. EXPLIZITE GLEICHUNGSSYSTEME 27

und hat die Nullstellen

λ1 = 0 (3.66)

λ2,3 = ±0.6297√

53

p

ρ(3.67)

λ4,5 = ±1.6503√

53

p

ρ(3.68)

Es laßt sich zeigen, daß genau wie im Euler-Fall auch hier die charakteristischen Geschwindigkei-ten symmetrisch um die Geschwindigkeit v des Gases angeordnet sind. Fur die charakteristischenGeschwindigkeiten in einem beliebigen Gleichgewicht gilt damit

λ|E = v + λ . (3.69)

Wieder ist die Geschwindigkeit des Gases eine charakteristische Geschwindigkeit. Im Gegen-satz zu den Euler-Gleichungen gibt es jetzt allerdings zwei zusatzliche Moden mit denen sichStorungen ausbreiten konnen. Die adiabate Schallgeschwindigkeit selbst taucht nicht mehr alscharakteristische Geschwindigkeit auf.

Grenzfall: Navier-Stokes-Fourier

Um zu einem Ubergang von der erweiterten zur gewohnlichen Thermodynamik zu gelangen,steht der Algorithmus der Maxwell-Iteration zur Verfugung. In diesem Algorithmus setzt manauf der linken Seite der Gleichungen (3.54), und zwar nur auf der linken Seite, die Nichtgleich-gewichtsvariablen σ und q null und erhalt mit den letzten beiden Gleichungen Beziehungen, diedie Spannung und den Warmefluß auf der rechten Seite mit ausschließlich Gleichgewichtsgroßenauf der linken Seite verknupfen. Die darin auftretenden Zeitableitungen werden mit den erstendrei Erhaltungsgleichungen durch Ortsableitungen ersetzt.

Es ergeben sich damit die einfachen Gleichungen

σ = − 43α

p

ρ

∂v

∂x(3.70)

q = − 154α

p

ρ

∂x

(p

ρ

)(3.71)

fur Spannung und Warmefluß. Wenn wir hierin das ideale Gasgesetz

p

ρ= RT (3.72)

mit der Temperatur T und der speziellen Gaskonstante R einsetzen, erhalten wir die eindimen-sionalen Formulierungen der Materialgesetze von Navier-Stokes und Fourier

σ = −43 µ

∂v

∂x(3.73)

q = −λ∂T∂x

(3.74)

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28 KAPITEL 3. DIE GLEICHUNGEN DER ERWEITERTEN THERMODYNAMIK

fur die Spannung2 und den Warmefluß. Die Viskositat µ und die Warmeleitfahigkeit λ habendabei die explizite lineare Temperaturabhangigkeit

µ =1αRT (3.75)

λ =154αR2T , (3.76)

die durch die Wahl der Maxwell-Molekule entsteht. Aus diesen Gleichungen laßt sich die Kon-stante α aus der Viskositat oder der Warmeleitfahigkeit des Gases ausrechnen.

Wenn wir jetzt die Gleichungen (3.70) und (3.71) in die ersten drei Gleichungen von (3.54)einsetzen, erhalten wir die Gleichungen

∂ρ

∂t+∂ρv

∂x= 0

∂ρv

∂t+

∂x

(ρv2 + p

)=

∂x

(43α

p

ρ

∂v

∂x

)(3.77)

∂t

(ρv2 + 3p

)+

∂x

(ρv3 + 5pv

)=

∂x

(83α

p

ρv∂v

∂x

)+

∂x

(152α

p

ρ

∂x

(p

ρ

))der gewohnlichen Thermodynamik. Die zweiten Ableitungen auf der rechten Seite zerstoren dieHyperbolizitat und erzeugen unendliche Ausbreitungsgeschwindigkeiten.

3.4.3 14- und 21-Feld-Fall

Es ergeben sich 21 Felder, wenn wir die ersten drei Momente vollstandig, sowie die doppelteSpur des vierten Momentes berucksichtigen. Fur die neuen, nichtkonvektiven Momente geltendie Abkurzungen

m = ρ〈111〉 (3.78)

∆ = ρiikk − ρiikk|E = ρiikk − 15p2

ρ(3.79)

worin zu beachten ist, daß ∆ nur den Nichtgleichgewichtsanteil der doppelten Spur des vier-ten, nichtkonvektiven Momentes bezeichnet. Diese hohen Momente besitzen keine anschaulicheBedeutung mehr.

Der eindimensionale 21-Feld-Fall besteht aus sieben Gleichungen, die sich in Erhaltungsformwie in (3.47) oder (3.58) schreiben lassen. Die Erhaltungsvariablen sind durch

u1 = ρ

u2 = ρv

u3 = ρv2 + 3p

u4 = 23ρv

2 + σ (3.80)

u5 = ρv3 + 5pv + 2σv + 2q

u6 = 25ρv

3 + 95σv +m

u7 = ρv4 + 10pv2 + 4σv2 + 8vq + 15p2

ρ + ∆

2Die Spannung σ ist hier der ersten Diagonalkomponente des Druckdeviators wodurch es zum negativen Vor-zeichen im Gesetz von Navier-Stokes kommt.

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3.4. EXPLIZITE GLEICHUNGSSYSTEME 29

definiert und die Flußfunktion lautet

f1 = ρv

f2 = ρv2 + p+ σ

f3 = ρv3 + 5pv + 2σv + 2q

f4 = 23ρv

3 + 43pv + 7

3σv + 815q +m (3.81)

f5 = ρv4 + 8pv2 + 5σv2 + 325 qv + 2mv + 1

3∆ +p

ρ(5p+ 7σ)

f6 =25ρv4 +

65pv2 + 3σv2 + 24

25qv + 145 mv +

95p

ρσ

f7 = ρv5 + 14pv3 + 8σv3 + 845 qv

2 + 4mv2 + 73∆v +

p

ρ(35pv + 28σv + 28q)

worin die physikalischen Variablen durch (3.80) noch in die Erhaltungsvariablen uberfuhrt wer-den konnen. Wir verzichten hier auf die explizite Form. Die Produktionen der vierten und funftenGleichung bleibt wie im 13-Feld-Fall und insgesamt haben wir die Gleichungen

P1,2,3 = 0P4 = −αρσP5 = −αρ

(23q + 2σv

)(3.82)

P6 = −αρ(

32m+ 9

5σv)

P7 = −αρ(

23∆ + 4σv2 + 16

3 qv)

in denen wieder nur die Konstante α auftritt.

Der 14-Feld-Fall berucksichtigt die selben Momente wie der 21-Feld-Fall allerdings wird derspurfreie Anteil des dritten Momentes weggelassen. Die Gleichungen des 14-Feld-Fall werdenaus den hier angegebenen Gleichungen des 21-Feld-Fall gewonnen, indem die sechste Gleichunggestrichen und die Variable m in den ubrigen Gleichungen auf null gesetzt wird.

Zwischen 14- und 21-Feld-Fall liegt noch der 20-Feld-Fall mit Momenten bis zur vollen drittenStufe. Dieser Fall wird in dieser Arbeit nicht verwendet.

Charakteristische Geschwindigkeiten

Die sechs charakteristischen Geschwindigkeiten des 14-Feld-Falls lauten im Gleichgewicht

λ1,2|E = v (3.83)

λ3,4|E = v ± 0.9√

53

p

ρ(3.84)

λ5,6|E = v ± 1.763√

53

p

ρ(3.85)

Hierin tritt wieder die Geschwindigkeit des Gases auf, diesmal sogar als doppelter Eigenwert.Die ubrigen Eigenwerte bilden wieder wie im 13-Feld-Fall zwei unterschiedliche Moden.

Im 21-Feld-Fall ist die Geschwindigkeit des Gases wieder einfacher Eigenwert und es tretenjetzt drei Moden auf, von denen zwei oberhalb der Schallgeschwindigkeit liegen. Die Werte sind

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30 KAPITEL 3. DIE GLEICHUNGEN DER ERWEITERTEN THERMODYNAMIK

durch

λ1|E = v (3.86)

λ2,3|E = v ± 0.644√

53

p

ρ(3.87)

λ4,5|E = v ± 1.010√

53

p

ρ(3.88)

λ6,7|E = v ± 1.887√

53

p

ρ(3.89)

gegeben.

Durch Vergleich von 13-, 14- und 21-Feld-Fall zeigt sich, daß die hohste charakteristischeGeschwindigkeit bei der Mitnahme von mehr Momenten wachst: Das ist ganz allgemein derFall [7]. Die hohste charakteristische Geschwindigkeit ist gerade die schnellste Geschwindig-keit von Storungen, die von der Theorie erfaßt werden. Anschaulich bedeutet das: Je schnell-veranderlicher der zu beschreibende Prozeß ist, desto mehr Momente mussen zur Beschreibungdieses Prozesses herangezogen werden.

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Kapitel 4

Das numerische Verfahren

In diesem Kapitel sollen die Ansatze des numerischen Verfahrens vorgestellt werden, mit dem dieRechnungen im folgenden dieser Arbeit gemacht worden sind. Das Verfahren lost ganz allgemeinhyperbolische Gleichungen in der Form

∂u

∂t+∂f (u)∂x

= P (u) (4.1)

wobei u im allgemeinen wie in Kapitel 2 ein Vektor ist, f (u) eine Flußfunktion und P (u)ein Produktionsterm. In [4] und [15] wird ausgiebig die Numerik dieser Gleichungen, sowie dieverschiedenen Verfahren zu deren Losung dargelegt. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels wirddas Programmpaket CLAWPACK vorgestellt, welches große Teile des numerischen Verfahrensbereits in implementierter Weise bereitstellt.

Zur numerischen Losung wird ein diskretes Ortsgitter x1, x2, ... mit aquidistanten Abstandender Schrittweite ∆x

xj = xj−1 + ∆x (4.2)

zugrunde gelegt. Auf die Grenzen dieses Gitters, sowie auf die Randbedingungen wird in Ab-schnitt 4.3.1 eingegangen. In ahnlicher Weise wird auch die Zeit mit den Punkten t1, t2, ... undder zunachst aquidistanten Schrittweite ∆t

tk = tk−1 + ∆t (4.3)

diskretisiert. Zur ubersichtlicheren Schriebweise wird eine Funktion ψ (x, t) an den Gitterpunktendurch

ψkj := ψ (xj , tk) (4.4)

abgekurzt.

4.1 Behandlung der rechten Seite

Fast alle numerischen Verfahren fur hyperbolische Gleichungen sind fur den homogenen Fall ge-macht. Numerisch ist es moglich innerhalb eines Zeitschrittes den homogenen Teil der Gleichung(4.1)

∂u

∂t+∂f (u)∂x

= 0 (4.5)

31

Page 38: Das Riemann-Problem in der Erweiterten Thermodynamik · Kapitel 1 Das Stoßrohr-Experiment Wir legen zur Beschreibung des Stoßrohr-Experimentes die schematische Darstellung in Abb

32 KAPITEL 4. DAS NUMERISCHE VERFAHREN

Abbildung 4.1: Aufspaltung des Zeitschrittes

abzuspalten. Die Produktion wird dann - immer innerhalb eines Zeitschrittes - durch die redu-zierte Gleichung

∂u

∂t= P (u) (4.6)

berucksichtigt. Diese Idee fuhrt auf die Methode des ”Time-Step-Splitting” oder der ”FractionalSteps” [14].

Physikalisch ließe sich dieses Vorgehen folgendermaßen motivieren: Der Zeitschritt ist soklein, daß die Phanomene von Fluß und Produktion innerhalb des Zeitschrittes als getrennterfolgend betrachtet werden konnen. Der entstehende Fehler ist klein, falls sich die Felder usowohl durch den Fluß als auch durch die Produktion nur wenig andern. Eine geeignete Mittelungder Teil-Anderungen durch den Fluß und die Produktion fuhrt dann auf die Gesamt-Anderungder Felder u in einem Zeitschritt.

Folgendes Vorgehen sichert nach [14] eine Losung mit einem Fehler von 2.Ordnung im Zeit-schritt ∆t, falls die einzelnen Schritte Ergebnisse in 2.Ordnung liefern:

• Losung der Inhomogenitat (4.6) in[tk, tk + ∆t

2

]mit Anfangsbedingung u (x, tk)

−→ Ergebnis u (x)

• Losung der homogenen Gleichung (4.5) in [tk, tk + ∆t] mit Anfangsbedingung u (x)

−→ Ergebnis u (x)

• Losung der Inhomogenitat (4.6#) in[tk + ∆t

2 , tk]

mit Anfangsbedingung u (x)

−→ Ergebnis u (x, tk+1)

Es entsteht uber den Zeitschritt hinweg eine Art Hakel-Vorgang, der in Abb. 4.1 verdeutlichtwird. Zu beachten ist, daß die Ergebnisse eines Teilschrittes immer als Anfangsbedingungen desnachsten Schrittes benutzt werden.

Im zweiten Schritt kann jetzt ein Verfahren zur Losung der homogenen, hyperbolischenGleichungen verwendet werden. In den anderen Schritten bleibt ein System gewohnlicher Dif-ferentialgleichungen zu losen, da im Produktionsterm nur lokale Werte der Felder vorkommen.Als Verfahren zweiter Ordnung kann beispielsweise das Verfahren von Heun benutzt werden[11]. Fur die Gleichung (4.6), den Zeitschritt ∆t und die Anfangswerte uk

j schreibt sich diesesVerfahren

uk+1j =

12

(vk+1j + wk+1

j

)j = 0, 1, ... (4.7)

Page 39: Das Riemann-Problem in der Erweiterten Thermodynamik · Kapitel 1 Das Stoßrohr-Experiment Wir legen zur Beschreibung des Stoßrohr-Experimentes die schematische Darstellung in Abb

4.2. LOSUNG DES HOMOGENEN SYSTEMS 33

mit den Abkurzungen

vk+1j = uk

j + ∆t P(uk

j

)(4.8)

wk+1j = uk

j + ∆t P(vk+1j

). (4.9)

Bei dem obigen Vorgehen mussen dann die entsprechenden Anfangswerte und Zeitschritte be-nutzt werden.

4.2 Losung des homogenen Systems

Durch das im letzten Abschnitt beschriebene Vorgehen brauchen wir jetzt nur noch die nume-rische Losung der hyperbolischen Erhaltungsgleichung

∂u

∂t+∂f (u)∂x

= 0 (4.10)

zu betrachten. Das dazu wohl am weitesten bekannte Verfahren ist die Godunov-Methode, dieauch als Upwind-Verfahren bekannt ist.

4.2.1 Godunov-Methode

In diesem Verfahren werden die Stutzstellen des Ortsgitters als Mittelpunkte von Zellen betrach-tet, die sich mit der Lange einer Ortsschrittweite uber das Intervall[

xj − ∆x2 , xj + ∆x

2

](4.11)

erstrecken. Es werden nun nicht die Werte der Felder bei (xj , tk) betrachtet, sondern die Mit-telwerte der Felder in diesen Zellen. Die Mittelwerte sind durch

u (xj , tk) := 1∆x

xj+1

2∫x

j− 12

u (x, tk) dx (4.12)

definiert. Dabei wurde an den Integralgrenzen die Abkurzung

xj± 12

:= xj ± ∆x2 (4.13)

benutzt.

Es wird nun die integrale Form (2.8) in den Grenzen einer Zelle

d

dt

xj+1

2∫x

j− 12

u (x, t) dx = f(u

(xj− 1

2, t

))− f

(u

(xj+ 1

2, t

))(4.14)

hingeschrieben. Wenn in dieser Gleichung die zeitliche Ableitung durch den Differenzenquotient

dt

∣∣∣∣k ≈ ψk+1 − ψk

∆t(4.15)

Page 40: Das Riemann-Problem in der Erweiterten Thermodynamik · Kapitel 1 Das Stoßrohr-Experiment Wir legen zur Beschreibung des Stoßrohr-Experimentes die schematische Darstellung in Abb

34 KAPITEL 4. DAS NUMERISCHE VERFAHREN

Abbildung 4.2: Lokale Riemann-Probleme

ersetzt wird, ergibt sich

u (xj , tk+1)− u (xj , tk)∆t

=1

∆x

(f

(u

(xj− 1

2, tk

))− f

(u

(xj+ 1

2, tk

)))(4.16)

und daraus die Verfahrensvorschrift

uk+1j = uk

j +∆t∆x

(f

(uk

j− 12

)− f

(uk

j+ 12

))(4.17)

fur den Mittelwert der Felder zum neuen Zeitpunkt tk+1.

Die entscheidene Frage ist jetzt, welcher Wert der Felder zum Auswerten der Flusse in (4.17)benutzt wird. Dazu werden im einfachsten Fall die Mittelwerte der Felder, wie in Abb. 4.2 zusehen ist, als konstante Werte uber die gesamte Zelle erstreckt. Die so uber alle Zellen entste-hende stuckweise konstante Funktion wird dann als Approximation an den tatsachlichen Feld-verlauf zur Zeit tk aufgefaßt. Dabei entstehen an jedem Zellenrand lokale Riemann-Probleme.In der analytischen Losung der hyperbolischen Gleichung mit der stuckweise konstanten Funk-tion als Anfangsbedingung breiten sich nun die entsprechenden Wellen wie in Kapitel 2 darge-stellt und in Abb. 4.2 angedeutet nach beiden Seiten aus. Durch die in Abschnitt 2.3 erwahnteAhnlichkeitseigenschaft der Losung des Riemann-Problems stellt sich jeweils am Zellenrand einuber die Zeit konstanter Wert der Felder ein. Dieser Wert wird zur Auswertung der Flusse in(4.17) herangezogen und der so gewonnene Fluß

fkj+ 1

2

:= f(uk

j+ 12

)(4.18)

heißt Godunov-Fluß.

Der Name ”Upwinding” laßt jetzt folgendermaßen erklaren: Wenn durch die Struktur derGleichungen sicher gestellt ist, daß alle Wellen in Abb. 4.2 in die gleiche Richtung, etwa nachrechts, laufen, so stellt sich an den Zellrandern einfach der Mittelwert der linken Zelle ein. DieVerfahrensvorschrift lautet damit

uk+1j = uk

j +∆t∆x

(f

(uk

j−1

)− f

(uk

j

)). (4.19)

Dies entspricht der Diskretisierung der Gleichung (4.10), falls die Ortsableitung durch den ein-seitigen Differenzenquotient ersetzt wird, der den Wellen entgegen, d.h. upwind, zeigt.

Die CFL-Bedingung

Aus der Abb. 4.2 wird auch deutlich, daß die Godunov-Methode nicht fur alle Werte derZeitschrittweite ∆t Sinn macht: Falls die schnellste Welle den gegenuber liegenden Zellen-rand erreicht, verandert sie den dortigen Wert der Felder in unvorhergesehender Weise. Eine

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4.2. LOSUNG DES HOMOGENEN SYSTEMS 35

Uberschneidung der Wellen von rechts und links innerhalb der Zelle bewirkt hingegen nochkeine Veranderung der Randwerte.

Eine Naherung fur die Geschwindigkeit der schnellsten Welle ist die betragsmaßig großtecharakteristische Geschwindigkeit λmax und damit erhalten wir

λmax(uk

j

)∆t < ∆x (4.20)

als Bedingung an Zellengroße und Zeitschrittweite. In der Form

λmax(uk

j

)∆t

∆x< 1 (4.21)

ist dies gerade die CFL(Courant–Friedrichs-Lewy)-Bedingung. Sie muß bereits fur die Konsistenzdes numerischen Verfahrens mit den hyperbolichen Gleichungen gelten (siehe[4]).

4.2.2 Approximative Riemann-Loser

Wie wir in Abschnitt 2.4 gesehen haben, ist die Losung von Riemann-Problemen im allgemeineneine komplizierte Aufgabe. Daruberhinaus wird in dem Verfahren (4.17) nur ein einziger Wertder Losung des Riemann-Problems, der Wert am Zellenrand, benutzt. Es ist daher praktikabeldas Riemann-Problem nur naherungsweise zu losen.

Der lineare Fall

Im linearen Fall, d.h. fur eine Flußfunktion der Form

f (u) = Au A = const , (4.22)

ist keine Naherung notwendig. Die Losung des Riemann-Problems ist bekannt und der Wert derFelder am Zellenrand kann durch

u(xj+ 1

2, t

)= uj +

∑λp<0

β(j+ 1

2)p rp (4.23)

undu

(xj− 1

2, t

)= uj −

∑λp>0

β(j− 1

2)p rp (4.24)

direkt angegeben werden. Hierin wurde fur den rechten Rand die linksseitige Formel aus (2.31)

benutzt und fur den linken Rand die rechtsseitige (2.32). Die Koeffizienten β(j+ 1

2)p sind die

Koeffizienten der Eigenvektorzerlegung des Sprunges

uj+1 − uj =∑

p

β(j+ 1

2)p rp (4.25)

Wenn mit diesen Werten jetzt die Godunov-Flusse (4.18) gebildet und in (4.17) eingesetzt wer-den, fallt der Term Auj gerade heraus und es ergibt sich

uk+1j = uk

j −∆t∆x

∑λp>0

λp β(j− 1

2)p rp +

∑λp<0

λp β(j+ 1

2)p rp

. (4.26)

Im nachsten Abschnitt wird gezeigt, daß wir auch im genaherten, nichtlinearen Fall diese Struk-tur erhalten.

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36 KAPITEL 4. DAS NUMERISCHE VERFAHREN

Der Riemann-Loser von Roe

Der hier prasentierte, approximative Riemann-Loser stammt aus [10].

Das Gleichungssystem (4.10) wird dazu lokal, d.h. fur jedes lokale Riemann-Problem j + 12 ,

durch ein anderes, einfacheres∂u

∂t+∂f (u)∂x

= 0 (4.27)

ersetzt. Damit die Erhaltungseigenschaften der integralen Formulierung (2.8) bestehen bleiben,muß fur den Ersatzfluß f die Bedingung

f (uj+1)− f (uj) = f (uj+1)− f (uj) (4.28)

gelten. Falls das lokale Riemann-Problem nur einen einzelnen Stoß liefert, sorgt diese Bedingungauch fur die korrekte Stoßgeschwindigkeit entsprechend der Rankine-Hugoniot-Bedingungen(2.47).

Der Godunov-Fluß ist jetzt allerdings nicht die einfache Wahl

fj+ 126= f

(uj+ 1

2

). (4.29)

Eine eingehende Betrachtung (siehe [15]) liefert, daß fur den Godunov-Fluß die Gleichung (4.28)zwischen uj+ 1

2und uj ausgewertet werden muß. Es ergibt sich

fj+ 12

= f(uj+ 1

2

)+ f (uj)− f (uj) . (4.30)

Im Falle des Roe-Losers wird die Ersatzflußfunktion nach

f (u) = AR u AR = const (4.31)

linear gewahlt. Die sogenannte Roe-Matrix AR berechnet sich aus der Bedingung (4.28), die indiesem Fall

AR (uj − uj+1) = f (uj)− f (uj+1) (4.32)

lautet. Das Ersatzsystem (4.27) bildet jetzt fur jedes lokale Riemann-Problem ein lineares Systemmit der Losung am Zellenrand

u(xj+ 1

2, t

)= uj +

∑λp<0

βprp

∣∣∣∣∣∣j+ 1

2

(4.33)

Die Eigenvektoren rp der Roe-Matrix sind jetzt von Riemann-Problem zu Riemann-Problemunterschiedlich und die Koeffizienten βp sind wie im vorhergehenden Abschnitt die Koeffizientender Eigenvektorzerlegung des lokalen Sprunges. Mit (4.32) erhalten wir den Godunov-Fluß

fj+ 12

= f (uj) +∑λp<0

λpβp rp

∣∣∣∣∣∣j+ 1

2

. (4.34)

Analog gilt fur den gegenuberliegenden Fluß mit Hilfe der linksseitigen Losung des linearenSystems

fj− 12

= f (uj)−∑λp>0

λpβprp

∣∣∣∣∣∣j − 1

2

. (4.35)

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4.2. LOSUNG DES HOMOGENEN SYSTEMS 37

Beides eingesetzt in die Verfahrensfunktion erhalten wir mit

uk+1j = uk

j −∆t∆x

∑λp>0

λpβp rp

∣∣∣∣∣∣j− 1

2

+∑λp<0

λpβp rp

∣∣∣∣∣∣j + 1

2

(4.36)

formal dieselbe Struktur wie im linearen Fall.

Bestimmung der Roe-Matrix

Ublicherweise wird die Roe-Matrix, beispielsweise fur die Euler-Gleichungen, durch eine geschick-te Zerlegung der Jacobi-Matrix gewonnen [10]. Dieses Verfahren setzt allerdings eine analytischeHandhabbarkeit voraus, die bei den großeren Gleichungssystemen der erweiterten Thermodyna-mik nicht gegeben ist.

Der Ansatz zur allgemeinen Konstruktion einer Roe-Matrix ist der Existensbeweis einersolchen Matrix aus [10]. Der Mittelwertsatz, angewendet auf die Flußfunktion in den Grenzenul und ur, ergibt die Beziehung

f (ur)− f (ul) =∫ ur

ul

Df (u) du . (4.37)

Hierin wird der Integrationsweg gemaß

u (θ) = ul + θ (ur − ul) (4.38)

parametrisiert. Nach der Umformung des Integrals

f (ur)− f (ul) =∫ ur

ul

Df (u) du (4.39)

=∫ 1

0Df (ul + θ (ur − ul)) (ur − ul) dθ (4.40)

= AR (ur − ul) (4.41)

erhalten wir die Roe-Matrix in der Form

AR =∫ 1

0Df (ul + θ (ur − ul)) dθ (4.42)

was einer Mittelung der Jacobi-Matrix zwischen den Werten ul und ur entspricht.

In dem numerischen Verfahren wird dieses Integral durch eine Quadraturformel, beispiels-weise der Simpsonformel ∫ b

af (x) dx ≈ b−a

6

(f (a) + 4 f

(b−a2

)+ f (b)

)(4.43)

ersetzt [11]. Dieses Vorgehen zur Berechnung der Roe-Matrix ist unublich, in der mir bekanntenLiteratur wird es nicht erwahnt. Es stellt allerdings die bequemste Art dar, die Roe-Matrixwenigstens naherungsweise zu berechnen.

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38 KAPITEL 4. DAS NUMERISCHE VERFAHREN

Abbildung 4.3: Zum Uberschall-Verdunnungsfacher

Das Problem der Uberschall-Verdunnungsfacher

Der Roe-Loser ersetzt, da ihm die Losung eines linearen Systems zugrunde liegt, alle Wellender lokalen Riemann-Probleme, also auch die Verdunnungsfacher, durch reine Diskontinuitaten.Falls sich ein so ersetzter Verdunnungsfacher komplett, d.h. mit seinem Anfang und seinem En-de, in dieselbe Richtung bewegt, ist das kein Problem, da wir sowieso nur an einer Naherungder Werte der Felder am Zellenrand interessiert sind. Falls es sich allerdings um einen so-genannten Uberschall-Verdunnungsfacher handelt, kann diese Ersetzung zu unphysikalischenVerdunnungsstoßen in der numerischen Gesamtlosung fuhren (siehe [15]). Im folgenden wird dieLosung des Problems nach [3] vorgestellt.

Ein Uberschall-Verdunnungsfacher beispielsweise in der q-Welle des Riemann-Problems erfulltdie Bedingung

λq

(u(q)

r

)λq

(u

(q)l

)< 0 , (4.44)

d.h. der Anfang und das Ende des Fachers bewegen sich in unterschiedliche Richtungen. In Abb.4.3 ist eine solche Situation dargestellt. Der Begriff ”Uberschall-Verdunnungsfacher” stammt ausden Euler-Gleichungen, wo die Bedingung (4.44) dazu fuhrt, daß die Stromung innerhalb desVerdunnungsfacher von einer Unterschall- in eine Uberschallstromung ubergeht.

In Abb. 4.3 ist als gepunktete Linie außerdem beispielhaft eine Diskontinuitat eingezeichnet,wie sie der Roe-Loser fur den Facher liefern konnte. Diese Diskontinuitat soll jetzt wie mitder gestrichelten Linie angedeutet durch zwei Diskontinuitaten ersetzt werden, die sich mitdem Anfang und dem Ende des Fachers mit bewegen. Dabei erzeugen sie ein Plateau mit demZwischenwert um. Die Losung des linearen Systems (4.33) und damit der Godunov-Fluß (4.34)muß dann um diese neuen Wellen korrigiert werden.

Die Rankine-Hugoniot-Bedingungen fur die ursprungliche Diskontinuitat lautet

AR

(u(q)

r − u(q)l

)= λq

(u(q)

r − u(q)l

)(4.45)

= λq βq rq (4.46)

Der Sprung wird jetzt durch

u(q)r − u

(q)l =

(u(q)

r − u(q)m

)+

(u(q)

m − u(q)l

)(4.47)

in zwei Sprunge mit dem Zwischenwert um zerlegt. Zur besseren Ubersicht werden die charak-teristischen Geschwindigkeiten vor und nach dem Verdunnungsfacher durch

λrq = λq

(u(q)

r

)(4.48)

λlq = λq

(u

(q)l

)(4.49)

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4.2. LOSUNG DES HOMOGENEN SYSTEMS 39

abgekurzt.

Fur die neuen Diskontinuitaten lauten die Rankine-Hugoniot-Bedingungen

AR

(u(q)

r − u(q)m

)= λr

q

(u(q)

r − u(q)m

)(4.50)

undAR

(u(q)

m − u(q)l

)= λl

q

(u(q)

m − u(q)l

)(4.51)

Die Summe dieser beiden Gleichungen abgezogen von (4.45) liefert

λrq

(u(q)

r − u(q)m

)+ λl

q

(u(q)

m − u(q)l

)= λq

(u(q)

r − u(q)l

)(4.52)

woraus sich einmal durch Addition von λrq u

(q)l und einmal durch Substraktion von λl

q u(q)r able-

sen laßt, daß die beiden neuen Sprunge wieder in Richtung des Eigenvektor rq verlaufen. Wirdefinieren

γ+q rq =

(u(q)

r − u(q)m

)(4.53)

γ−q rq =(u(q)

m − u(q)l

)(4.54)

Eingesetzt in (4.47) und (4.52) ergeben sich die beiden Gleichungen

λrq γ

+q + λl

q γ−q = λq βq (4.55)

γ+q + γ−q = βq (4.56)

zur Bestimmung von γ+q und γ−q . Es folgt

γ+q =

λq − λrq

λlq − λr

q

βq (4.57)

γ−q =λq − λl

q

λrq − λl

q

βq . (4.58)

In der Summe der Losung (4.33) verschwindet jetzt die q-Welle und wird durch den Bruchteilλl

q γ−q rq ersetzt. Fur den Godunov-Fluß erhalten wir

fj+ 12

= f (uj) +∑λp<0p6=q

λpβp rp + λlq γ

−q rq . (4.59)

Dieses Vorgehen wird in der Literatur als ”Entropie-Fix” bezeichnet, da damit Entropie-verletzende Verdunnungsstoße verhindert werden. Im numerischen Verfahren mussen jetzt diecharakteristischen Geschwindigkeiten zu jedem entstehenden Plateau λq

(u(q)

)des lokalen Riemann-

Problems ausgerechnet werden, um durch (4.44) zu uberprufen, ob es sich bei der zu den Plateausgehorenden Welle eventuell um einen Uberschall-Verdunnungsfacher handelt. Falls das der Fallist, muß die eben beschriebene Korrektur vorgenommen werden.

Unter Vorgriff auf die Ergebnisse der nachsten Kapitel, laßt sich berichten, daß bei den indieser Arbeit gewahlten Anfangsbedingungen im Fall der Euler-Gleichungen, sowie des 13- und21-Feld-Falles an keiner Stelle der Rechnung eine Korrektur notig wurde. Einzig bei den Rech-nungen mit dem 14-Feld-Fall traten regelmaßig zu korrigierende Uberschall-Verdunnungsfacherauf. Interessanterweise beinflußte die Korrektur das Ergebnis der Feldverlaufe uberhaupt nicht.Die Kurven mit und ohne ”Entropie-Fix” lagen aufeinander. Ich vermute, daß der dissipative,also glattende, Charakter der Gleichungen der erweiterten Thermodynamik die Problematik derUberschall-Verdunnungsfacher abschwacht.

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40 KAPITEL 4. DAS NUMERISCHE VERFAHREN

Abbildung 4.4: Auflosung von Diskontinuitaten mit verschiedenen Verfahren

4.2.3 Hochauflosende Methoden

In der in den vorhergehenden Abschnitten beschriebenen Godunov-Methode wird die Funktionu zu jedem Zeitpunkt naherungsweise als stuckweise konstante Funktion aus den Mittelwertender Zellen rekonstruiert. Es gilt

uk (x) = ukj in

[xj− 1

2, xj+ 1

2

](4.60)

wobei u die rekonstruierte Funktion bezeichnet. Dabei entstehen an den Zellrandern lokaleRiemann-Probleme, dessen Losung schließlich auf die Verfahrensvorschrift (4.17) fuhrt. Die sogewonnene Methode ist von 1.Ordnung in Ort- und Zeitschrittweite. Auf der linken Seite vonAbb. 4.4 ist das Ergebnis dieser Methode fur den Fall einer mit der Advektionsgleichung trans-portierten Diskontinuitat zu sehen. Die Unstetigkeit wird nicht besonders gut aufgelost, sondernuber mehrere Gitterpunkte verschmiert. Bei diesem Effekt wird in Anlehnung an die physikali-schen Phanomene von numerischer Viskositat oder Diffusion gesprochen.

Die Funktion u ließe sich besser approximieren, wenn zur Rekonstruktion in jeder Zelle stattdes konstanten Mittelwertes eine lineare Funktion zugrunde gelegt wird. Wir erhalten

uk (x) = ukj + σk

j (x− xj) in[xj− 1

2, xj+ 1

2

](4.61)

mit einer in jedem Zeitschritt und von Zelle zu Zelle unterschiedlichen Steigung σkj . Die Erhal-

tungseigenschaft der Große u bleibt dabei bestehen, denn der Mittelwert von u in jeder Zelleergibt unabhangig vom Wert der Steigung wieder u. Die Steigungen σk

j gilt es jetzt moglichstgeschickt zu wahlen.

Eine mogliche Wahl ist der Vorwartsdifferenzenqoutient der Mittelwerte der Zellen

σkj =

ukj+1 − uk

j

∆x. (4.62)

Eine Rekonstruktion aufgrund solcher Steigungen ist beispielhaft auf der linken Seite von Abb.4.5 gezeigt. Es entstehen wieder Unstetigkeiten an den Zellrandern, die sich im Verlauf des Zeit-schrittes als Wellen in die Zellen hinein ausbreiten. Die Felder in den Zellen sind jetzt allerdingsnicht mehr konstant, sodaß die Losung der Riemann-Probleme komplizierter wird. Trotzdem laßtsich das Verfahren auf die Losung von konstanten Riemann-Problemen zuruckfuhren, erganztum eine von den Steigungen σk

j abhangige Korrektur (siehe [4] und [15]). Als Ergebnis ergibtsich fur den Fall der Vorwartsdifferenzen (4.62) ein Lax-Wendroff-Verfahren, das 2.Ordnung inOrt und Zeit ist. Die Wirkung dieses Verfahrens auf die Advektionsgleichung ist in Abb. 4.4 inder Mitte dargestellt. Die Diskontinuitat ist nicht ganz so ausgeschmiert wie im ersten Fall, aberes entstehen jetzt Oszillationen an ihrem Anfang.

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4.3. DAS PROGRAMMPAKET CLAWPACK 41

Abbildung 4.5: Rekonstruktion der Funktion u mit unterschiedlichen Steigungen

Diese Oszillationen sind typisch fur gewohnliche Verfahren 2.Ordnung. Sie konnen geome-trisch als schlechte Wahl von einigen Steigungen in Abb. 4.5 links interpretiert werden. In derTat entstehen dort bei starken Anderungen der Felder von Zelle zu Zelle Ausreißer, die denVerlauf der Felder uberschatzen. Ein besseres Verfahren ergibt sich, wenn fur die Steigungensowohl Vorwarts- als auch Ruckwartsdifferenzen berechnet werden und dann der betragsmaßigkleinere Wert benutzt wird oder Null, falls die Werte unterschiedliche Vorzeichen haben. DieseSteigungen heißen minmod-Steigungen und werden durch

σkj =

1∆x

minmod(uk

j+1 − ukj , u

kj − uk

j−1

)(4.63)

mit der Funktion

minmod (a, b) :=

a |a| < |b| ∧ a b > 0b |b| < |a| ∧ a b > 00 a b ≤ 0

(4.64)

berechnet. Eine Rekonstruktion durch solche Steigungen ist in Abb. 4.5 auf der rechten Seite zusehen. Es entstehen jetzt keine Ausreißer mehr und das numerische Verfahren lost die Diskon-tinuitat in Abb. 4.4 rechts scharf auf. Solche Verfahren werden hochauflosend genannt. Es gibtnoch mehr Moglichkeiten die Steigungen zu wahlen. In der Literatur wird bei der Auswahl vonverschiedenen ”Slope-Limiters” gesprochen.

4.3 Das Programmpaket CLAWPACK

CLAWPACK ist ein Fortran 77-Programm, das von R.J.LeVeque zur Losung von hyperbolischenGleichungen der Form 4.1 programmiert wurde und frei verfugbar ist [5]. Es implementiert einhochauflosendes Verfahren auf der Basis der Godunov-Methode mit einer Schrittweitensteue-rung, die die Zeitschrittweite nach jedem Schritt entsprechend der CFL-Bedingung (siehe Ab-schnitt 4.2.1) aus der hochsten vorhandenen charakteristischen Geschwindigkeit neu berechnet.Desweiteren behandelt es Produktionsterme entsprechend dem Splitting-Schema in Abschnitt4.1.

Der Benutzer muß zwei Routinen bereitstellen: Den Riemann-Loser und die Behandlungdes Produktionsterms. Der Riemann-Loser muß zu gegebenen Feldern die konstanten, lokalenRiemann-Probleme losen und fur jede Zelle die lokalen charakteristischen Geschwindigkeiten

λp p = 1, 2, ...n (4.65)

und die einzelnen Wellenβprp p = 1, 2, ...n , (4.66)

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42 KAPITEL 4. DAS NUMERISCHE VERFAHREN

sowie die jeweils am Zellenrand nach rechts∑λp>0

λpβp rp (4.67)

und nach links ∑λp≤0

λpβp rp (4.68)

gehenden Flusse berechnen. Fur die Berechnungen in dieser Arbeit wurde der in Abschnitt 4.2.2beschriebene Roe-Loser verwendet. Die Roe-Matrix wurde nach (4.42) berechnet und fur dessenEigenwerte und Eigenvektoren Routinen aus der NAG-Bibliothek [8] benutzt.

In der Routine fur den Produktionsterm muß die reduzierte Gleichung

∂u

∂t= P (u) (4.69)

zu gegebenen Anfangsbedingungen und einem gegebenen Zeitschritt gelost werden. Dafur wurdedas Heun-Verfahren benutzt (siehe Abschnitt 4.1).

4.3.1 Randbedingungen

Das von CLAWPACK benutzte Verfahren erwartet ein aquidistantes Ortsgitter xj fur j = 1, ..N .Zusatzlich braucht es jeweils am Anfang und am Ende des Gitters zwei weitere, sogenannteGeister-Zellen

x0, x−1 (4.70)

undxN+1, xN+2 , (4.71)

in denen die Felder in jedem Zeitschritt mit entsprechenden Randbedingungen beschrieben wer-den mussen.

Die in dieser Arbeit berechneten Riemann-Probleme sind reine Anfangswertprobleme undbesitzen keinen Rand. Fur solche Probleme wird in CLAWPACK eine Routine bereitgestellt, diedie Felder jeweils der ersten und der letzten Zelle konstant auf die Geister-Zellen fortsetzt. Durchdiese Form der Randbedingung wird numerisch ein unendlich ausgedehnter Berechnungsbereichsimuliert. Fur die Felder gilt dann mit

uk−1 = uk

0 = uk1 (4.72)

unduk

N+2 = ukN+1 = uk

N (4.73)

eine Extrapolation nullter Ordnung. Eine Extrapolation hoherer Ordnung ließe an den Randerndes Ortsgitters unerwunschte Wellen entstehen.

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Kapitel 5

Ergebnisse der Euler-Gleichungen

Im folgenden wird das Stoßrohr-Experiment mit den Euler-Gleichungen berechnet. Fur die ent-stehenden Plateaus ist das sogar analytisch so weit moglich, daß nur noch die Losung einerGleichung funften Grades ubrigbleibt. Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels wird dann die nu-merische Losung prasentiert.

Das analytische Vorgehen laßt sich in [2] oder [12] nachlesen.

5.1 Analytische Berechnung

Das Stoßrohr-Experiment bildet ein Riemann-Problem fur die Euler-Gleichungen (3.45) mit denAnfangsbedingungen

ρ (x, t = 0) ={ρ1 x < 0ρ0 x ≥ 0

p (x, t = 0) ={p1 x < 0p0 x ≥ 0

(5.1)

v (x, t = 0) = 0

falls sich die Membran bei x = 0 positioniert vorgestellt wird. Die linke Seite sei die Seite deshoheren Druckes, d.h. es ist

p1 > p0 (5.2)

erfullt. Es sei außerdem mit

λ1 = v − a (5.3)λ2 = v (5.4)λ3 = v + a (5.5)

an die charakteristischen Geschwindigkeiten der Euler-Gleichungen (3.51) und (3.52) erinnert,die jetzt in geordneter Form indiziert sind. In ihnen wurde mit

a =√

53

p

ρ(5.6)

die Schallgeschwindigkeit abgekurzt.

Bei der Losung des Riemann-Problems konnen jetzt drei Wellen erwartet werden. Dies wer-den der Stoß, die Kontaktunstetigkeit und der Verdunnungsfacher aus Kapitel 1 sein.

43

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44 KAPITEL 5. ERGEBNISSE DER EULER-GLEICHUNGEN

5.1.1 Die Kontaktunstetigkeit

Falls der Gradient eines Eigenwertes λp und sein zugeordneter Eigenvektor rp die Eigenschaft

∂λp

∂u· rp (u) = 0 (5.7)

erfullt, spricht man von linearer Degeneration, beziehungsweise von der p-Welle als linear dege-neriert. Es laßt sich allgemein zeigen [4], daß eine linear degenerierte Welle immer einen Stoßund keinen Verdunnungsfacher bildet. Außerdem gilt

v(p)s = λp (ul) = λp (ur) , (5.8)

d.h. die charakteristischen Geschwindigkeiten vor und nach dem Stoß sind gleich und entsprechender Geschwindigkeit des Stoßes selbst.

Der zweite Eigenwert der Euler-Gleichungen erfullt die Eigenschaft (5.7): Fur den Gradientvon λ2 erhalten wir mit v = u2

u1

∂λ2

∂u=

−u2

u21

1u1

0

(5.9)

und fur den dazugehorigen Eigenvektor gilt

r2 (u) =

1u2u1

12

(u2u1

)2

(5.10)

was sich uberprufen laßt, indem r2 mit der Jacobi-Matrix (3.49) multipliziert wird. Das Skalar-produkt dieser Vektoren ist tatsachlich null.

Die zweite Welle im Riemann-Problem der Euler-Gleichungen ist damit linear degeneriert.Sie bildet einen Stoß, der sich gerade mit der Gasgeschwindigkeit v bewegt. Es gilt

vs = vl = vr = v (5.11)

Wenn diese Beziehungen in die Rankine-Hugoniot-Bedingungen (2.47) fur die Eulergleichungen

vs (ρr − ρl) = ρr vr − ρl vl

vs (ρr vr − ρl vl) = ρr v2r + pr −

(ρl v

2l + pl

)(5.12)

vs

(ρr v

2r + 3 pr −

(ρl v

2l + 3 pl

))= ρr v

3r + 5 pr vr −

(ρl v

3l + 5 pl vl

)eingesetzt werden, erhalten wir

pl = pr (5.13)ρl

ρr= bel. (5.14)

Die zweite Welle ist damit die Kontaktunstetigkeit, und zwar unabhangig von den Anfangsbe-dingungen (5.1). Durch sie bleiben der Druck und die Geschwindigkeit konstant und die Dichtespringt. Die Hohe des Dichte-Sprungs muß durch zusatzliche Gleichungen berechnet werden.

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5.1. ANALYTISCHE BERECHNUNG 45

Alternative Formen der Euler-Gleichungen

Fur die folgende Rechnung stellt es sich als bequem heraus einige alternative Formen und Fol-gerungen der Eulergleichungen bereitzustellen.

Die letzte Gleichung in (3.45), die Energiebilanz, laßt sich mit Hilfe der beiden anderenGleichungen auf die Form

∂t

(p ρ−

53

)+ v

∂x

(p ρ−

53

)= 0 (5.15)

bringen. Dies ist die konvektive Ableitung des Terms p ρ−53 und damit gilt die adiabate Zu-

standsgleichungp

ρ53

= const (5.16)

entlang des Weges eines Teilchens. Allerdings ist diese Gleichung nicht uber einen Stoß hinwegerfullt, denn dort gilt (5.15) nicht. Zwei nutzliche Formen der adiabaten Zustandsgleichungenerhalten wir, wenn wir jeweils den Druck und die Dichte durch die Schallgeschwindigkeit (5.6)ersetzen. Sie lauten

a5

p= const (5.17)

a

ρ13

= const . (5.18)

Wir formen nun auch die beiden ersten Gleichungen in (3.45), die Massen- und Impulsbilanz,um. Die Ortsableitung des Drucks in der Impulsbilanz ersetzen wir mit der oben gewonnenenBeziehung 5.16 durch die Ortsableitung der Dichte

∂p

∂x= 5

3

p

ρ

∂ρ

∂x= a2 ∂ρ

∂x(5.19)

und identifizieren den entstandenen Faktor mit der Schallgeschwindigkeit. Die Gleichungen lau-ten dann

∂ρ

∂t+ ρ

∂v

∂x+ v

∂ρ

∂x= 0 (5.20)

ρ∂v

∂t+ ρv

∂v

∂x+ a2 ∂ρ

∂x= 0 (5.21)

Die Dichte kann nach (5.18) als Funktion der Schallgeschwindigkeit ρ (a) mit

∂ρ

∂a= 3

ρ

a(5.22)

aufgefaßt werden. Damit laßt sich die Dichte uberall in (5.20) und (5.21) ersetzen und wirerhalten

3∂a

∂t+ a

∂v

∂x+ 3 v

∂a

∂x= 0 (5.23)

∂v

∂t+ v

∂v

∂x+ 3 a

∂a

∂x= 0 (5.24)

Dieses System laßt sich entkoppeln, indem einmal die Differenz und einmal die Summe gebildetwird, wodurch

∂t(v − 3a) + (v − a) ∂

∂x(v − 3a) = 0 (5.25)

∂t(v + 3a) + (v + a)

∂x(v + 3a) = 0 (5.26)

Page 52: Das Riemann-Problem in der Erweiterten Thermodynamik · Kapitel 1 Das Stoßrohr-Experiment Wir legen zur Beschreibung des Stoßrohr-Experimentes die schematische Darstellung in Abb

46 KAPITEL 5. ERGEBNISSE DER EULER-GLEICHUNGEN

Abbildung 5.1: Charakteristiken der Eulergleichungen

entsteht. Diese Gleichungen beschreiben das Verhalten der Felder entlang einer Bewegung mitder Geschwindigkeit v − a oder v + a. Dabei bleibt jeweils die Kombination v − 3a und v + 3akonstant. Die in den Ableitungen von (5.25) und (5.26), sowie in (5.15) stehenden Großen sinddie charakteristischen Variablen der Eulergleichungen.

5.1.2 Berechnung der Plateaus

Die Berechnung der Plateaus des Riemann-Problems wird durch die Tatsache vereinfacht, daßdie zweite Welle bereits als Kontaktunstetigkeit bekannt ist. Die Welle zum Eigenwert v + a istder Stoß und die zum Eigenwert v − a ist der Verdunnungsfacher. Dies muß so sein, denn nachVereinbarung ist der Druck rechts geringer als links, sodaß der Druck durch die als Stoß nachrechts laufende Welle zunimmt. Bei einem nach links laufenden Stoß wurde der Druck abnehmen,was auch mit einer Entropieabnahme verbunden ware [12]. Ein solcher Verdunnungsstoß istphysikalisch verboten und wird wie in Abschnitt 2.4.3 beschrieben zum Verdunnungsfacher.

Die Zwischenwerte der Felder seien wie in Abb. 5.1 bezeichnet. In der Abbildung ist ein(x, t)-Diagramm mit den Charakteristiken der Eulergleichungen gezeigt. Der Verdichtungsstoßund die Kontaktunstetigkeit laufen als Diskontinuitaten auf einer Linie mit der Steigung vbeziehungsweise vs, der Geschwindigkeit des Stoßes. Der Verdunnungsfacher wird im Prinzipvon unendlich vielen 1-Charakteristiken aufgespannt, die alle die Steigung v − a haben, welchesich aber uber den Facher hinweg von v∗ − a∗ zu v1 − a1 verandert.

Die Rankine-Hugoniot-Bedingungen fur den Stoß lauten

vs (ρ0 − ρ) = ρ0 v0 − ρ vvs (ρ0 v0 − ρ v) = ρ0 v

20 + p0 −

(ρ v2 + p

)(5.27)

vs

(ρ0 v

20 + 3 p0 −

(ρ v2 + 3 p

))= ρ0 v

30 + 5 p0 v0 −

(ρ v3 + 5 p v

)Wenn wir die Machzahl der Stoßgeschwindigkeit

Ms =vs

a0mit a0 =

√53

p0

ρ0(5.28)

einfuhren, lassen sich die Rankine-Hugoniot-Bedingungen zu den Gleichungen

ρ

ρ0=

4M2s

M2s + 3

(5.29)

v

a0=

3M2s − 3

4Ms(5.30)

p

p0=

5M2s − 14

(5.31)

Page 53: Das Riemann-Problem in der Erweiterten Thermodynamik · Kapitel 1 Das Stoßrohr-Experiment Wir legen zur Beschreibung des Stoßrohr-Experimentes die schematische Darstellung in Abb

5.1. ANALYTISCHE BERECHNUNG 47

umformen. Falls die Machzahl Ms bekannt ware, ließen sich mit diesen Gleichungen die erstenZwischengroßen ausrechnen. Das weitere Vorgehen besteht nun darin, die ˜-Zwischengroßenzunachst mit den ∗-Zwischengroßen und dann weiter mit den Anfangswerten der Felder links zuverknupfen, sodaß eine Beziehung zwischen diesen Anfangswerten und der Machzahl entsteht.Mit der so gewonnenen Machzahl lassen sich dann alle Zwischengroßen ausrechnen.

Der Verdunnungsfacher besteht nur aus 1-Charakteristiken. In Abschnitt (2.3) haben wir furden linearen Fall gesehen, daß sich beim Uberschreiten einer Charakteristik nur die mit ihr ver-bundenen charakteristische Variable andert. Diese Tatsache laßt sich auch auf den nichtlinearenFall erweitern, womit wir uber den Verdunnungsfacher hinweg die Beziehungen

3 a+ v = const (5.32)p

ρ53

= const (5.33)

aus (5.15) und (5.26) erhalten. Fur die Werte der Felder vor und nach dem Facher gilt dann

3 a1 + v1 = 3 a∗ + v∗ (5.34)

wobei die Geschwindigkeit v1 aufgrund der Anfangsbedingungen

v1 = 0 (5.35)

verschwindet. Da sich die Geschwindigkeit uber die Kontaktunstetigkeit nicht andert, haben wiraußerdem

v∗ = v . (5.36)

Die adiabate Zustandsgleichung (5.33) schreiben wir in der Form (5.17)

a∗

a1=

(p∗

p1

) 15

(5.37)

mit den Werten vor und nach dem Verdunnungsfacher. Genau wie die Geschwindigkeit andertsich auch der Druck nicht uber die Kontaktunstetigkeit

p∗ = p . (5.38)

Wenn wir jetzt (5.34) durch a0 teilen und (5.35)-(5.38) einsetzen, ergibt sich mit

3a1

a0= 3

a1

a0

(p0

p1

) 15(p

p0

) 15

+v

a0(5.39)

eine Gleichung die ausschließlich ˜-Großen mit Anfangswerten der Felder verknupft. Hierinkonnen wir das Ergebnis der Rankine-Hugoniot-Bedingungen (5.30) und (5.31) einsetzen underhalten

1 =(p1

p0

)− 15(

5M2s − 14

) 15

+√ρ1 p0

ρ0 p1

M2s − 1

4Ms. (5.40)

Dies ist die gewunschte Beziehung aus der wir die Machzahl Ms des Stoßes als Funktion derAnfangswerte

Ms = Ms

(p1

p0,ρ1

ρ0

)(5.41)

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48 KAPITEL 5. ERGEBNISSE DER EULER-GLEICHUNGEN

ausrechnen konnen. Sie laßt sich leider nicht nach Ms auflosen. Mit einer numerischen Losunglassen sich jetzt Dichte, Druck und Geschwindigkeit hinter dem Stoß durch (5.29)-(5.31) ausrech-nen. Der Druck und die Geschwindigkeit bleiben uber die Kontaktunstetigkeit hinweg konstantund fur die Dichte gilt mit der adiabaten Zustandsgleichung (5.33)

ρ∗ = ρ1

(5M2

s − 14

p1

p0

) 35

. (5.42)

Die Beziehung (5.40) laßt mit der idealen Gasgleichung

p

ρ= RT (5.43)

weiter vereinfachen. Hierin ist T die Temperatur undR die spezielle Gaskonstante. Das Verhaltnisder Anfangswerte der Temperatur ergibt sich zu

T1

T0=ρ1 p0

ρ0 p1(5.44)

und wir konnen (5.40) nach dem Verhaltnis der Drucke

p1

p0=

256M5s

(M2

s − 1)(

1−M2s + 4Ms

√T1T0

)5 (5.45)

auflosen. Mit dieser Gleichung laßt sich zu gegebenen Temperaturen das Druckverhaltnis aus-rechnen, daß notig ist, um in einem Stoßrohr-Experiment einen Stoß mit einer gewunschtenMachzahl Ms zu erzeugen. Interessanterweise geht dieses Verhaltnis gegen unendlich, falls dieMachzahl eine Nullstelle des Nenners

1−M2s + 4Ms

√T1

T0= 0 (5.46)

ist. Es ergibt sich eine maximale Machzahl

Mmaxs = 2

√T1

T0+

√1 + 4

T1

T0(5.47)

Bei anfanglich gleichen Temperaturen laßt sich also in einem Stoßrohr kein schnellerer Stoß als

Mmaxs (T0 = T1) ≈ 4.24 (5.48)

erzeugen.

Mit diesen Ergebnissen lassen sich die Verlaufe von Dichte, Geschwindigkeit und Druck imStoßrohr bereits aufzeichnen. Einzig der Verlauf der Felder durch den Verdunnungsfacher istnoch unbekannt, aber auch dieser laßt sich analytisch berechnen [15].

5.2 Numerische Ergebnisse

Wir wahlen ein Stoßrohr-Experiment mit den Anfangsverhaltnissen

p1

p0= 5 (5.49)

ρ1

ρ0= 5 (5.50)

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5.2. NUMERISCHE ERGEBNISSE 49

Abbildung 5.2: Das Stoßrohr-Experiment in den Euler-Gleichungen

also mit konstanter Temperatur. Dimensionslose Großen werden durch

ρ =ρ

ρ0v =

v√p0

ρ0

p =p

p0T =

T

T0

(5.51)

definiert. Die Geschwindigkeit wird dabei nicht mit der adiabaten Schallgeschwindigkeit dimensi-onslos gemacht, sondern mir der Newton’schen. Dadurch werden in den Gleichungen zusatzlicheZahlenfaktoren verhindert. Ort und Zeit sind durch

x =x

x0

t =t

t0

mitx0

t0=

√p0

ρ0(5.52)

entdimensioniert. Da die Euler-Gleichungen homogen sind, kommt es dazu, daß darin entwedert0 oder x0 beliebig gewahlt werden konnen.

In Abb. 5.2 ist der Verlauf der Dichte, des Drucks, der Temperatur und der Geschwindigkeit,sowie die Anfangsbedingungen fur Dichte und Druck gezeigt. Kleine Storungen in den Plateaus,sowie ungenaue Diskontinuitaten sind durch numerische Fehler entstanden. Die Kontaktunste-tigkeit ist deutlich im Verlauf der Dichte und der Temperatur zu sehen, wahrend Druck undGeschwindigkeit stetig sind. Fur die Machzahl des Verdichtungsstoßes erhalt man mit der For-mel (5.21) aus dem letzten Abschnitt

Ms ≈ 1.369 . (5.53)

Dies laßt sich auch aus der Abbildung ablesen. Es gilt

vs√p0

ρ0

=xs

t(5.54)

und damitMs =

√35

xs

t. (5.55)

Fur den Ort des Stoßes erhalten wir xs ≈ 0.875 und damit Ms ≈ 1.36.

Die Beliebigkeit der Zeit- oder Ortsskala fuhrt auch auf die Ahnlichkeitseigenschaft derLosung. Die Verlaufe der Felder zu verschiedenen Zeiten gehen nur durch Strecken oder Stauchenauseinander hervor. In Abb. 5.3 ist diese Tatsache fur die Losung des obigen Riemann-Problemsverdeutlicht.

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50 KAPITEL 5. ERGEBNISSE DER EULER-GLEICHUNGEN

Abbildung 5.3: Ahnlichkeitseigenschaft der Euler-Losung

5.2.1 Ohne Kontaktunstetigkeit

Es laßt sich die Frage stellen, bei welchen Anfangsbedingungen im Stoßrohr im Ergebnis geradekeine Kontaktunstetigkeit auftritt, d.h. die Dichte zwischen Verdichtungsstoß und Verdunnungsfachereinen konstanten Verlauf hat.

Nach (5.42) haben wir fur die Dichte hinter der Kontaktunstetigkeit

ρ∗

ρ0=ρ1

ρ0

(5M2

s − 14

p1

p0

) 35

(5.56)

und es muß jetztρ∗

!= ρ (5.57)

gelten. Damit konnen wir auf der linken Seite von (5.56) das Ergebnis der Rankine-Hugoniot-Bedingungen (5.29) einsetzen und erhalten

ρ1

ρ0=

4M2s

M2s + 3

(4

5M2s − 1

p0

p1

) 35

. (5.58)

Mit dieser Gleichung laßt sich das Dichteverhaltnis in der Gleichung (5.40)

1 =(p1

p0

)− 15(

5M2s − 14

) 15

+√ρ1 p0

ρ0 p1

M2s − 1

4Ms(5.59)

ersetzen und die Machzahl Ms folgt damit bereits aus dem Druckverhaltnis alleine. Die Dichterechnet sich dann aus dem Druckverhaltnis und der Machzahl durch (5.58) aus. Fur

p1

p0= 3, 5 (5.60)

erhalten wirρ1

ρ0≈ 2, 101 (5.61)

Ms ≈ 1, 326 . (5.62)

Die Feldverlaufe sind in Abb. 5.4 dargestellt. Die Temperatur ist in diesem Fall zu Beginnnicht mehr konstant, sondern es gilt

T1

T0≈ 1.666 . (5.63)

Dies fuhrt zum Beispiel dazu, daß sich das Ende des Verdunnungsfacher mit einer hoherenGeschwindigkeit nach links bewegt als in Abb. 5.2, da mit der Temperatur auch die Schallge-schwindigkeit im linken Bereich großer geworden ist. Die Unregelmaßigkeiten in den Kurven sindwieder auf numerische Fehler zuruckzufuhren.

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5.2. NUMERISCHE ERGEBNISSE 51

Abbildung 5.4: Das Stoßrohr ohne Kontaktunstetigkeit

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52 KAPITEL 5. ERGEBNISSE DER EULER-GLEICHUNGEN

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Kapitel 6

Der 13-Feld-Fall

Es sollen nun die Felder im Stoßrohr-Experiment mit dem 13-Feld-Fall berechnet werden. DieAnfangsbedingungen fur Dichte, Druck und Geschwindigkeit sind wie im Euler-Fall durch

ρ (x, t = 0) ={ρ1 x < 0ρ0 x ≥ 0

p (x, t = 0) ={p1 x < 0p0 x ≥ 0

(6.1)

v (x, t = 0) = 0

gegeben. Zusatzlich wird im folgenden immer

p1

p0=ρ1

ρ0(6.2)

gelten, also die selbe Temperatur auf beiden Seiten der Membran herrschen. Im 13-Feld-Fallmussen zusatzlich Anfangsbedingungen fur die hoheren Momente, d.h. fur die Spannung σ undden Warmefluß q angegeben werden. Das Stoßrohr befindet sich zu Anfang uberall im Gleich-gewicht, sodaß die Anfangsbedingungen

σ (x, t = 0) = 0 (6.3)q (x, t = 0) = 0 (6.4)

gegeben sind.

Gegenuber dem Euler-Fall sind jetzt zahlreiche Unterschiede im Ergebnis zu erwarten. Zumeinen ist die Darstellung beispielsweise des Verdichtungsstoßes als Unstetigkeit der Felder nur aufeiner sehr großen Ortsskala moglich. In Wirklichkeit findet ein stetiger Ubergang der Feldgroßenstatt, wenn auch auf einem Bereich von nur wenigen mittleren, freien Weglangen der Atome.Zum anderen wurde am Ende von Abschnitt 3.4 darauf hingewiesen, daß fur einen schnellveranderlichen Prozess unter Umstanden viele Momente berucksichtigt werden mussen. Geradezu Beginn des Stoßrohr-Experiments, also unmittelbar nach dem Platzen der Membran, findensehr schnelle Prozesse statt fur die die Euler-Gleichungen nicht geeignet sind. Das laßt sich bereitsdaran erkennen, daß die Losung der Euler-Gleichungen durch ihre Ahnlichkeitseigenschaft furalle Zeiten also auch in umittelbarer Nahe von t = 0 den gleichen Verlauf der Felder liefert.Trotzallem muß im Grenzfall fur große Zeiten und auf einer großen Ortsskala der 13-Feld-Falldas gleiche Ergebnis wie die Euler-Gleichungen liefern.

53

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54 KAPITEL 6. DER 13-FELD-FALL

Mathematisch interessant ist die Tatsache, daß im 13-Feld-Fall durch seine funf Gleichungenjetzt im Gegensatz zu den Euler-Gleichungen funf Wellen in der Losung des Riemann-Problemsauftreten. Es stellt sich dabei die Frage wie diese funf Wellen im Grenzfall zu den Wellen derEuler-Gleichungen werden.

6.1 Skalierung

Zunachst betrachten wir die Skalierung und Entdimensionierung der Gleichungen des 13-Feld-Falls (3.58). In generischer Form laßt sich eine Gleichung des Systems gemaß

∂u

∂t+∂f

∂x= −αρP (6.5)

schreiben, wobei der Fluß und die Produktion die Dimension

[f ] = Geschwindigkeit · [u] (6.6)[P ] = [u] (6.7)

haben. In (6.5) ist ρ die Dichte und α die Konstante aus dem Wechselwirkungspotential (sieheAbschnitt 3.4). Wir ersetzen jetzt das Feld, den Fluß und die Produktion mit

u = u0 u (6.8)

f = v0 u0 f (6.9)

P = u0 P (6.10)

durch eine Skala u0, beziehungsweise v0 u0, und einen dimensionslosen Anteil u, f und P , undanalog

x = x0 x (6.11)

t = t0 t (6.12)ρ = ρ0 ρ (6.13)

den Ort, die Zeit und die Dichte. Als Dichte-Skala dient die Dichte rechts der Membran ρ0. DieGleichung (6.5) ergibt sich dann zu

∂u

∂t+t0v0x0

∂f

∂x= −ρ0 α t0 ρ P . (6.14)

Als Skala der Geschwindigkeit wahlen wir die Newton’sche Schallgeschwindigkeit rechts derMembran

v0 =√p0

ρ0(6.15)

und fur die Skala des Ortes die Beziehung

x0 = v0t0 . (6.16)

Wenn wir außerdem die dimensionslose Zahl B durch

B =1

ρ0 α t0(6.17)

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6.1. SKALIERUNG 55

definieren, ergibt sich die generische Gleichung zu

∂u

∂t+∂f

∂x= − 1

Bρ u . (6.18)

Daraus laßt sich ablesen, daß sich die Entdimensionierung im Prinzip darauf reduziert, dieKonstante α durch 1

B zu ersetzen.

Fur die physikalischen Variablen gilt

ρ =ρ

ρ0σ =

σ

p0

v =v√p0

ρ0

q =q

ρ0

√p0

ρ0

3

p =p

p0

(6.19)

und fur die Erhaltungsvariablen folgt die Entdimensionierung dann durch deren Definitionen(3.57). Fur die Orts- und Zeitskala erhalten wir

t =t

t0mit t0 =

1ρ0 αB

(6.20)

x =x

x0mit x0 =

√p0

ρ0

1ρ0 αB

, (6.21)

d.h. Orts- und Zeitskala werden durch die Wahl der dimensionslose Zahl B festgelegt.

Die Zahl B entspricht im wesentlichen der Knudsen-Zahl Kn. Der Unterschied liegt nur ineinem konstanten Faktor. Ublicherweise ist die Knudsen-Zahl das Verhaltnis zwischen mittlerer,freien Weglange und eine makroskopischen Lange des Systems. Um diese Definition mit derDefinition von B (6.17) in Verbindung zu bringen, benutzen wir die Verknupfung von Viskositatµ mit der mittleren, freien Flugzeit τ und dem Druck p gemaß

µ =54τ p (6.22)

(siehe [1]) und setzen dort die Viskositat eines Gases aus Maxwell-Teilchen nach (3.75)

µ =1α

p

ρ(6.23)

ein. Es ergibt sich die Gleichung

τ0 =4

5ρ0α(6.24)

fur die mittlere, freie Flugzeit bezogen auf den Zustand des Gases rechts der Membran. Fur diemittlere, freie Weglange λ0 rechts der Membran gilt

λ0 = τ0c0 = τ0

√8π

p0

ρ0(6.25)

mit der mittleren Geschwindigkeit eines Teilchen c0. Damit erhalten wir fur B nach (6.17)

B =54τ0t0

=54

√π

8λ0

x0=

54

√π

8Kn (6.26)

den proportionalen Zusammenhang zum Verhaltnis von mittlerer, freien Weglange und makro-skopischer Lange x0.

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56 KAPITEL 6. DER 13-FELD-FALL

Die Tatsache, daß die Zahl B, also die Knudsen-Zahl, die Orts- und Zeitskala festlegt, bie-tet einen interessanten Vorteil fur die numerischen Rechnungen: Fur das numerische Verfah-ren wird eine feste, dimensionslose Endzeit tEnde und ein fester dimensionsloser Ortsbereich[−xMax, xMax] gewahlt und die gewunschte, wirkliche Endzeit dann fur jede Rechnung in Formder Knudsen-Zahl direkt in den Gleichungen angegeben. Alle in dieser Arbeit gezeigten Ergeb-nisse sind auf diese Weise entstanden.

Fur die Angabe von Entfernung und Zeit in den Ergebnissen ist die Form (6.20) und (6.21)mit der Angabe der Zahl B, bzw. einer Knudsen-Zahl, etwas unanschaulich. Alle Entfernungenund Zeiten werden deshalb mit der Zahl B und (6.26) auf die Zeit t∗ bezuglich der mittleren,freien Flugzeit τ0 und die Entfernung x∗ bezuglich der mittleren, freien Weglange λ0 durch

t∗ =t

τ0=

54B

t (6.27)

x∗ =x

λ0=

54B

√π

8x (6.28)

umgerechnet. Damit ist auch die Angabe der Knudsen-Zahl oder der Zahl B in den Ergebnissenuberflussig.

6.2 Der zeitliche Verlauf

In Abb. 6.1 ist der zeitliche Verlauf der Felder von Dichte ρ, Druck p und Geschwindigkeit v furverschiedene Zeiten bis zu etwa 100 mittleren, freien Flugzeiten nach dem Platzen der Membrangezeigt. Fur die Ortsachse gilt

x = 1 ←→ x∗ = 119, 85 . (6.29)

und die Zeit erhoht sich zwischen den ersten beiden Bildern um ∆t∗ = 6, 25 und danachaquidistant immer um ∆t∗ = 15, 625. Fur den Anfangssprung von Dichte und Druck wurde

ρ1

ρ0= 5 (6.30)

p1

p0= 5 (6.31)

gewahlt, also insbesondere eine konstante Temperatur. Diese Daten erzeugen einen Verdich-tungsstoß mit

Ms = 1, 369 . (6.32)

Zusatzlich zu den Ergebnissen des 13-Feld-Falls sind die entsprechenden Kurven der Euler-Gleichungen als gestrichelte Linien, sowie die Anfangsbedingungen fur Dichte und Druck alsdunne Linien eingezeichnet. Die Kurven der Euler-Gleichungen werden mit der Zeit wie in Ab-schnitt 5.2 beschrieben uber das gesamte Ortsintervall in gleichbleibender Form gedehnt.

Die Ergebnisse des 13-Feld-Falls bilden ab einer Zeit von t∗ ≈ 40 stetige Kurven, d.h. so-wohl der Verdichtungsstoß als auch die Kontaktunstetigkeit werden durch stetige Ubergangeersetzt. Daruberhinaus werden im 13-Feld-Fall auch die Knicke des Verdunnungsfacher ”konti-nuisiert” und durch glatte Kurven ersetzt. Ab t∗ ≈ 70 entsteht eine Art stationarer Zustand.Die Seite des Verdunnungsfacher bewegt sich dann mit einem gleichbleibenden Profil, das sichin gleicher Weise wie die Kurve der Euler-Gleichungen auffachert. Auf der rechten Seite breitensich die Kontaktunstetigkeit und der Verdichtungsstoß als Welle mit konstantem Profil in den

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6.2. DER ZEITLICHE VERLAUF 57

Abbildung 6.1: Verlauf von Dichte, Druck und Geschwindigkeit

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58 KAPITEL 6. DER 13-FELD-FALL

Ortsbereich hinein aus. Die Euler-Gleichungen approximieren dann diese Stoßprofile durch ent-sprechende Unstetigkeiten, die sich mit den Mittelpunkten der stetigen Verlaufe mitbewegen.Fur das Feld der Dichte als Erhaltungsvariable gilt dabei die Gleiche-Flachen-Regel: Die beidenvon den Kurven des 13-Feld-Falls und der Euler-Gleichungen eingeschlossenen Flachen mussengleich sein.

Die Kontaktunstetigkeit macht sich weiterhin im Verlauf des Druckes nicht bemerkbar. Inder Geschwindigkeit entsteht allerdings ein Hugel, der im Ergebnis der Eulergleichungen nichtvorhanden ist. Das Gas wird dort den Dichtesprung hinab zusatzlich beschleunigt und wiederabgebremst. Dies ist bemerkenswert, da in diesem Bereich keinerlei Druckunterschiede vorhandensind, die intuitiverweise fur Geschwindigkeitsanderungen verantwortlich sind.

Fur die Dicke des Verdichtungsstoßes laßt sich ∆x∗ ≈ 20-30 ablesen. Die Kontaktunstetigkeitist ∆x∗ ≈ 30-40 ewtas dicker.

Die Stetigkeit der Profile stellt sich erst nach einer gewissen Zeit ein, vorher sind in denVerlaufen noch Knicke und Sprunge zu erkennen. Auf diesen Bereich wird in Abschnitt 6.3genauer eingegangen.

6.2.1 Nichtgleichgewichtsgroßen

Im Gegensatz zu den Euler-Gleichungen existieren im 13-Feld-Fall die NichtgleichgewichtsgroßenSpannung σ und Warmefluß q. In Abb. 6.2 sind diese Großen zusammen mit dem bereits ausAbb. 6.1 bekannten Verlauf der Dichte zu sehen. Fur die Anfangsbedingungen, gezeigte Zeitenetc. gilt das gleiche wie fur Abb. 6.1, insbesondere fur die Ortsachse wieder

x = 1 ←→ x∗ = 119, 85 . (6.33)

Die anfangliche Unstetigkeit der Felder macht sich im Verlauf der Spannung, sowie des Warmeflußes,noch starker bemerkbar als in dem Verlauf der Gleichgewichtsgroßen. Erst ab t∗ ≈ 40-50 lassensich glatte Kurven erkennen. Zusatzlich ist das Gas kurz nach dem Platzen der Membran einemgroßen Nichtgleichgewicht ausgesetzt, welches mit der Zeit gedampft wird und zu den dissipati-ven Begleiterscheinungen der drei Wellen des Verdunnungsfachers, der Kontaktunstetigkeit unddes Verdichtungsstoßes wird. In den Zwischenraumen der Wellen herrscht Gleichgewicht, in-dem die Spannung und der Warmefluß verschwinden, und die Auslenkungen des Gleichgewichtsbewegen sich mit den Wellen mit.

In den Euler-Gleichungen wird die uber eine Diskontinuitat wie die des Verdichtungssto-ßes zunehmende Entropie, zumindest qualitativ, mit Dissipation identifiziert. Uber den steti-gen Verdunnungsfacher findet aber im Rahmen der Euler-Gleichungen keine Dissipation statt.Aus Abb. 6.2 laßt sich allerdings sowohl eine von null verschiedene Spannung als auch einenWarmefluß uber den Verdunnungsfacher hinweg ablesen. Es gibt damit auch Dissipation uberden Verdunnungsfacher hinweg, wenn auch wesentlich weniger als durch den Verdichtungsstoßoder die Kontaktunstetigkeit. In der Kontaktunstetigkeit beschrankt sich das Nichtgleichgewichtauf den Warmestrom. Die Spannung verschwindet, da die Geschwindigkeit im wesentlichen kon-stant bleibt und die Spannung in erster Naherung proportional zum Geschwindigkeitsgradientenist.

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6.2. DER ZEITLICHE VERLAUF 59

Abbildung 6.2: Verlauf von Dichte, Spannung und Warmefluß

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60 KAPITEL 6. DER 13-FELD-FALL

6.3 Die Dampfung der Wellen

Besonders interessant ist der Zeit-Bereich unmittelbar nach dem Platzen der Membran. Zur Un-tersuchung dieses Bereiches ist die Darstellung des letzten Abschnittes allerdings ungeeignet, dadie Wellen mit zunehmender Zeit auseinander laufen. Dieses Auseinanderlaufen wird jetzt zurbesseren Darstellung durch Dehnung und Stauchung so korrigiert, daß die Felder zu unterschied-lichen Zeiten den selben, willkurlichen Bereich der x-Achse einnehmen. In Abb. 6.3 sind die soskalierten Verlaufe von Dichte, Druck und Geschwindigkeit zu verschiedenen Zeiten dargestellt.

Der selben Stelle a auf der x-Achse entspricht jetzt in den verschiedenen Zeilen der Abbildungein anderer physikalischer Abstand. Der Abstand nimmt mit der Zeit zu, da sich das Profil derFelder zu beiden Seiten der Membran ausbreitet. Der Euler-Fall ist wieder als gestrichelte Liniezu sehen. Er bleibt in dieser Darstellung durch seine Ahnlichkeitseigenschaft immer an der selbenStelle.

Eine besondere Diskussion benotigt die erste Zeile. In ihr muß sich die vergangene Zeitund der zuruckgelegte Weg der Wellen infinitesimal klein vorgestellt werden. Zur Erklarung seiauf die Bedeutung der Knudsen-Zahl in Abschnitt 6.1 zuruckgegriffen: Mit der Angabe dieserZahl wird die zugrunde liegende Skala festgelegt. Eine unendlich große Knudsen-Zahl entsprichtdann einer beliebig kleinen Skala in Ort und Zeit. In den Gleichungen bewirkt eine unendlichgroße Knudsen-Zahl das Verschwinden der rechten Seiten. Damit erhalten wir eine physikalischeInterpretation: In der ersten Zeile von Abb. 6.3 ist so wenig Zeit seit dem Platzen der Membranvergangen, daß die Dissipation noch keine Auswirkung zeigen konnte und der Prozeß durch diehomogenen Gleichungen beschrieben werden kann.

Mathematisch erhalten wir mit der ersten Zeile die Losung des Riemann-Problems im herkommlichenSinne, d.h. im Falle von Erhaltungsgleichungen, und damit das eigentliche 13-Feld-Fall-Analogonzur Losung des Riemann-Problems mit den Eulergleichungen. Es lassen sich deutlich die funferwarteten Wellen erkennen. Drei davon sind Stoße und die restlichen zwei Verdunnungsfacher.Der erste Stoß gehort zum Eigenwert v und die vier weiteren Wellen entsprechend zu den paar-weise symmetrisch um v angeordneten zusatzlichen Moden (vergl. Abschnitt 3.4). Der Knick desschnellen Verdunnungsfachers bewegt sich als Beschleunigungswelle genau mit der großten, cha-rakteristischen Geschwindigkeit, namlich 1, 65 a (v = 0 an dieser Stelle). Im Feld der Geschwin-digkeit sind nur vier Wellen zu erkennen, der Stoß zum Eigenwert v transportiert bezuglich derGeschwindigkeit einen Null-Sprung. Bemerkenswert ist außerdem, daß die Struktur der Wellenfast nichts mit mit der Wellenstruktur der Euler-Gleichungen gemein hat. Der erste Stoß liegtzwar auf der Kontaktunstetigkeit, erreicht aber deren Plateaus nicht. Die Geschwindigkeit liegthingegen mit einem ihrer Zwischenwerte auf der Euler-Kurve, besitzt allerdings andere Sprunge.Im nachsten Kapitel werden wir sehen, daß selbst diese Ubereinstimmungen fur hohere Feld-Fallenicht mehr gegeben sind.

Mit zunehmender Zeit gewinnt die rechte Seite in den Gleichungen an Einfluß und dampftdie Wellen (vergl. Abschnitt 2.5), allerdings unterschiedlich schnell. In der zweiten Zeile furt∗ = 0, 125 beginnt sich der schnelle Verdunnungsfacher bereits auszustrecken und in der dar-auffolgenden Zeile ist er vollig verschwunden. Die Stoße lassen sich dort noch gut erkennen,allerdings hat der erste Stoß bereits stark an Große verloren, was sich besonders im Druckniederschlagt. Zum nachsten Zeitpunkt ist dieser Stoß vollstandig weggedampft, der schnelleStoß folgt als nachstes und bei t∗ = 31, 3 ist der mittlere Stoß nur noch als Knick in der Ge-schwindigkeit zu erkennen. Aus der so durch Dampfung ”kontinuisierten” Wellenstruktur deshomogenen Systems formen sich dabei die Profile von Verdunnungsfacher, Kontaktunstetigkeitund Verdichtungsstoß.

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6.3. DIE DAMPFUNG DER WELLEN 61

Abbildung 6.3: Dampfung der Wellen in Dichte, Druck und Geschwindigkeit

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62 KAPITEL 6. DER 13-FELD-FALL

In Abschnitt 2.4 wurde gezeigt, daß sich Stoße im nichtlinearen Fall nicht mit den charakte-ristischen Geschwindigkeiten, also den Eigenwerten, fortbewegen, sondern in Abhangigkeit derGroße des Sprunges eine eigene Geschwindigkeit besitzen. Erst im Grenzfall eines sehr kleinenStoßes bewegt sich dieser mit der zugehorigen charakteristischen Geschwindigkeit. Diese Tatsa-che laßt sich in Abb. 6.3 wiederfinden. Dazu betrachten wir den schnellsten Stoß, der damit zurgroßten charakteristischen Geschwindigkeit v + 1, 65 a gehort. Im Feld der Geschwindigkeit istdieser Stoß am starksten ausgepragt. Infolge der Dampfung verliert der Sprung an Hohe undwird deutlich langsamer, was in der gewahlten Darstellung dazu fuhrt, daß er auf der x-Achsezuruckweicht. Im Grenzfall der verschwindenen Hohe zwischen t∗ = 12, 5 und t∗ = 31, 3 wird erzum Knick, der sich als Beschleunigungswelle (vergl. Abschnitt 2.4.1) mit der charakteristischenGeschwindigkeit v+1, 65 a bewegt. Eine analytische Behandlung dieser schnellsten Welle, sowieder langsamen unter der Voraussetzung des einseitigen Gleichgewichts, findet sich in [7].

In der letzten Zeile erstreckt sich das Profil der Felder uber einen so großen, physikalischenBereich, daß die Ausdehnung des Verdichtungsstoßes im Vergleich dazu fast verschwindet. Inder gewahlten Darstellung fuhrt das zu einem immer steileren Stoß, der sich fast nicht mehr vonder Diskontinuitat der Euler-Gleichungen unterscheidet. Fur noch großere Zeiten ergibt sich dasgleiche auch fur die Kontaktunstetigkeit, sodaß sich im Grenzfall einer sehr großen Skala der13-Feld-Fall tatsachlich nicht mehr von dem Ergebnis der Euler-Gleichungen zu unterscheidenist.

6.3.1 Nichtgleichgewichtsgroßen

In Abb. 6.4 sind die Spannung σ und der Warmefluß q neben der Dichte in der umskaliertenDarstellung zu sehen.

Die erste Zeile gilt wie oben wieder fur beliebig kleine Zeiten und Abstande. Die Wellenstruk-tur des 13-Feld-Falls setzt sich auch in den Nichtgleichgewichtsgroßen fort. In der Spannung sindalle funf Wellen vorhanden, wahrend der erste Stoß im Warmefluß mit einem Null-Sprung ver-bunden ist. Bemerkenswert ist der nicht-monotone Verlauf des langsamen Verdunnungsfachersim Feld der Spannung.

Physikalisch ist die Wellenstruktur skeptisch zu betrachten: Aus dem Verlauf des Warmestromslaßt sich beispielsweise ablesen, daß es Bereiche mit enorm viel Warmefluß gibt, in denen die Fel-der der Dichte und des Drucks und damit auch der Temperatur konstant sind. Außerdem gibt eskeinen Anlaufvorgang: Aufgrund der Hyperbolizitat entstehen die Wellen in dieser Form direktaus der Anfangsbedingung. Wir stoßen hier an die Grenzen des 13-Feld-Falls. Genau wie dieEuler-Gleichungen sind auch die Gleichungen des 13-Feld-Falls nicht fur beliebig kleine Zeitengultig. Ganz abgesehen davon, daß fur sehr kleine Zeiten die Gute der grundlegenden Annahmeder Eindimensionalitat und das Vernachlassigen der Membran in Frage gestellt werden kann. InAbschnitt 7.2 wird eine Abschatzung fur die Gultigkeit des 13-Feld-Falls angegeben.

Die Dampfung der Wellen ubertragt sich aus dem vorhergehenden Abschnitt auch auf dieFelder der Spannung und des Warmeflußes. Aus den gedampften Wellen formen sich dann dieHugel, die sich mit der Kontaktunstetigkeit und dem Verdichtungsstoß mitbewegen. Im Grenzfallgroßer Zeiten mußten diese Hugel immer spitzer und hoher werden, denn die Stoße werden indieser Darstellung immer steiler und der Warmefluß ist in erster Naherung proportional demTemperaturgradienten. Daß sie in den letzten Zeilen kleiner werden liegt an der Numerik: Dasverwendete Verfahren tendiert dazu, Extremwerte der Losung abzuflachen (siehe [4]).

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6.3. DIE DAMPFUNG DER WELLEN 63

Abbildung 6.4: Dampfung der Wellen fur Dichte, Spannung und Warmefluß

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64 KAPITEL 6. DER 13-FELD-FALL

Abbildung 6.5: Vergleich von 13-Feld-Fall und Navier-Stokes-Fourier

6.4 Weiterfuhrende Diskussion

Im folgenden wird das Ergebnis des 13-Feld-Falls mit der Losung der Gleichungen der gewohnlichenThermodynamik, dem System von Navier-Stokes-Fourier, verglichen. Außerdem wird das Ergeb-nis in Bezug zum Hyperbolizitatsbereich der Gleichungen des 13-Feld-Falls gesetzt.

6.4.1 Vergleich mit Navier-Stokes-Fourier

Das Gleichungssystem von Navier-Stokes-Fourier (NSF) ist durch (3.77) gegeben. Die dimensi-onslosen Großen, inklusive der dimensionslosen Zahl B, ubertragen sich aus dem 13-Feld-Fall.Das Riemann-Problem fur diese Gleichungen kann mit dem selben numerischen Verfahren gelostwerden wie die Euler-Gleichungen oder der 13-Feld-Fall. Zwar ist das gesamte System nicht hy-perbolisch, es enthalt aber die hyperbolischen Euler-Gleichungen auf der linken Seite von (3.73).Die zweiten Ableitungen auf der rechten Seite werden als Produktionsterm geschrieben unddie Gleichungen haben damit formal die Form (4.1), die von dem in Kapitel 4 beschriebenenVerfahren benotigt wird. Die reduzierte Gleichung (4.6) fur die rechte Seite enthalt dann zwei-te Ableitungen, die mit dem ublichen, zentralen Differenzenqoutienten 2.Ordnung diskretisiertwerden. Es entsteht kein System lokaler Gleichungen mehr, sondern die einzelnen Gleichungenkoppeln und das System muß im gesamten Ortsbereich simultan gelost werden.

Da das System von Navier-Stokes-Fourier als Naherung aus den Gleichungen des 13-Feld-Falls ableitbar ist, gehen wir von einem großeren Gultigkeitsbereich des 13-Feld-Falls aus. DerGultigkeitsbereich von NSF in einem bestimmten Prozeß laßt sich jetzt feststellen, indem gefragtwird: Wann liefern die beiden Theorien fur den Prozeß das gleiche Ergebnis? Im folgenden wirddiese Frage fur das oben geloste Stoßrohr-Experiment beantwortet.

In Abb. 6.5 ist der Verlauf der Dichte ρ fur verschiedene Zeiten in der umskalierten Dar-stellung wie in Abschnitt 6.3 gezeigt. Die Anfangsbedingungen sind wie in (6.30) und (6.31)gegeben.

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6.4. WEITERFUHRENDE DISKUSSION 65

Fur sehr kleine Zeiten unterscheiden sich die Kurven des 13-Feld-Falls und des NSF-Systemsdrastisch. Ersteres zeigt die bereits bekannte Wellenstruktur und die NSF-Losung ahnelt eherder zerfießenden Anfangsbedingung. Im vorhergehenden Abschnitt wurde bereits gesagt, daßder 13-Feld-Fall fur sehr kleine Seiten wenig physikalische Signifikanz hat und ahnliches gilt furdas NSF-Systems. An der Losung des NSF-Systems laßt sich allerdings deutlich die unendlicheAusbreitungsgeschwindigeit von Storungen erkennen. Im 13-Feld-Fall breitet sich die Informationder hinter der Membran abfallenden Dichte mit der großten charakteristischen Geschwindigkeitaus und diese Information hat etwa x∗ = −a erreicht. In der NSF-Losung hat sich die abfallendeDichte bereits weit uber den gezeigten x-Bereich hinweg bemerkbar gemacht.

Bei mittleren Zeiten haben sich die Kurven angenahert und etwa ab t∗ ≈ 90 haben sie dieUbereinstimmung, wie sie in der letzten Zeile der Abbildung gezeigt ist. Diese Ubereinstimmungbleibt auch fur großere Zeiten der Fall. In der NSF-Losung findet sich auch der in Abschnitt 6.2erwahnte Geschwindigkeitshugel entlang der Kontaktunstetigkeit. Ebenso stimmen die Verlaufevon Spannung und Warmestrom, die sich in der NSF-Losung als Gradienten der Felder berech-nen, mit den Losungen des 13-Feld-Falls uberein.

Eine interessante Abweichung zwischen den Kurven in Abb. 6.5 unten bildet die Kontaktun-stetigkeit. Hier uberschatzt das NSF-System den Gradienten der Dichte und liefert damit aucheine zu kleine Stoßdicke. Die Abweichung bleibt auch fur großere Zeiten erhalten.

6.4.2 Der Hyperbolizitatsbereich

In Abschnitt 3.2.2 wurde gezeigt, daß die Materialtheorie der erweiterten Thermodynamik ganzallgemein hyperbolische Gleichungen liefert. Die expliziten Gleichungen sind dann allerdings imRahmen einer Linearisierung entstanden, die die Hyperbolizitat auf einen bestimmten Bereichder Variablen eingrenzt.

Wir betrachten hier den 13-Feld-Fall. Im Gleichgewicht, also bei verschwindener Spannungund Warmefluß, ist das System fur alle Werte der verbleibenden Variablen hyperbolisch, denn dieEigenwerte sind durch (3.69) immer reell. Zu einem gegebenen Gleichgewichtszustand ρ, p und vgibt es allerdings nur noch einen bestimmten Bereich fur die Nichtgleichgewichtsvariablen σ undq in dem das System hyperbolisch ist. Außerhalb des Bereichs entstehen imaginare Eigenwerteund die Hyperbolizitat geht damit verloren. Wenn die Spannung und der Warmefluß mit demgegebenen Gleichgewichtszustand durch

σ =σ

p(6.34)

q =q

ρ√

3 (6.35)

dimensionslos gemacht wird, dann laßt sich dieser Hyperbolizitatsbereich universell in einem(σ, q)-Diagramm darstellen.

In [7]1 wird die Begrenzungslinie des Bereiches berechnet. Sie besteht aus dem positivenbeziehungsweise negativen Teilstuck der beiden Funktionen

q (σ) = ± 1972

√53

(117 + 93 σ −D (σ))√

117 + 93 σ + 2D (σ) , (6.36)

1Dort wurde allerdings anders dimensionslos gemacht und es steht dort σ fur die tatsachliche Spannung undnicht fur den eindimensionalen Teil des Druckdeviators.

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66 KAPITEL 6. DER 13-FELD-FALL

Abbildung 6.6: Das Ergebnis des 13-Feld-Falls im Hyperbolizitatsbereich

Abbildung 6.7: Der 13-Feld-Fall fur verschiedene Drucksprunge

worin die Abkurzung D fur

D (σ) :=√

8541 σ2 + 14553 σ + 159572 (6.37)

steht. Die beiden Kurven sind als gestrichelte Linien in Abb. 6.6 zu sehen.

Zusatzlich sind in der Abbildung die Ergebnisse des 13-Feld-Falls aus Abschnitt 6.2 furverschiedene Zeiten eingezeichnet. Die Kurve ist durch den Ort x parametrisiert und mit (6.34)und (6.35) durch

s (x) =

σ(x)p(x)q(x)

ρ(x)√

p(x)ρ(x)

3

(6.38)

gegeben. Das entstehende Polygon beginnt und endet im Gleichgewicht, d.h. im Ursprung desDiagramms. Auf der linken Seite der Abbildung sind die funf Sprunge der Wellenstruktur durchdie funf durchgezogenen Linien und die Zwischenwerte der Plateaus als die begrenzenden Eck-punkte wiederzufinden. Durch die Dampfung sinken die Maximalwerte der Spannung und desWarmestroms mit der Zeit, das Polygon fallt in sich zusammen und es bleibt eine kleine Schleifeubrig, die im wesentlichen die Dissipation durch den Verdichtungsstoß hindurch beschreibt.

Das Polygon der Wellenstruktur reicht in Abb. 6.6 links bereits sehr nah an die Grenze desHyperbolizitatsbereichs heran. In Abb. 6.7 ist gezeigt, wie sich das Polygon verandert, falls derDrucksprung der Anfangsbedingung, immer bei konstanter Temperatur, erhoht wird. Die zu denDrucksprungen gehorenden Machzahlen des Verdichtungsstoßes sind

p1

p0= 5 →Ms ≈ 1, 369 (6.39)

p1

p0= 5, 5 →Ms ≈ 1, 394 (6.40)

p1

p0= 6 →Ms ≈ 1, 416 . (6.41)

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6.4. WEITERFUHRENDE DISKUSSION 67

Aus der Abbildung laßt sich erkennen, daß die Wellenstruktur umittelbar nach dem Platzen derMembran fur einen Drucksprung von 6 den Hyperbolizitatsbereich bereits deutlich verlaßt. Nacheiner genauen Rechnung treten die ersten imaginaren Eigenwerte bereits bei einem Drucksprungvon 5, 45 auf.

Ohne Hyperbolizitat bricht das gesamte in Kapitel 4 beschriebene numerische Verfahrenzusammen, denn es benotigt reelle Eigenwerte und linear unabhangige, reelle Eigenvektoren.Die Ergebnisse in der Abbildung wurden mit einem anderen Verfahren [9] gemacht, welcheszwar prinzipiell nur fur hyperbolische Systeme gemacht ist, allerdings nicht auf Eigenwerte undEigenvektoren des Systems zuruckgreift. Das Verfahren kann also auch fur nicht-hyperbolischeSysteme verwendet werden, die Ergebnisse sind dann allerdings skeptisch zu betrachten. InAbb. 6.7 rechts treten bereits Unregelmaßigkeiten auf, die das numerische Verfahren vermutlichaufgrund der fehlenden Hyperbolizitat erzeugt.

Mit fortschreitender Zeit werden die Verlaufe der Spannung und des Warmestroms gedampftund die Polygone fallen wie in Abb. 6.6 in sich zusammen. Die Dampfung erzeugt damit insbe-sondere auch wieder die Hyperbolizitat des Systems. Denoch ist die Glaubwurdigkeit der dannfolgenden Ergebnisse erschuttert, da sie unter Verlassen des Hyperbolizitatsbereiches zustandegekommen sind.

Fazit ist: Der 13-Feld-Fall kann das Stoßrohr-Experiment uber den gesamten Zeitbereich nurfur Machzahlen des Verdichtungsstoßes bis etwa Ms = 1, 39 beschreiben.

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68 KAPITEL 6. DER 13-FELD-FALL

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Kapitel 7

Hohere Feld-Falle

In diesem Kapitel werden Theorien betrachtet, die zur Beschreibung des Gases noch mehr Mo-mente berucksichtigen. Wir haben in Abschnitt 6.4.2 gesehen, daß der 13-Feld-Fall ab einembestimmten Drucksprung in den Anfangsbedingungen seinen Hyperbolizitatsbereich verlaßt undes stellt sich die Frage wie sich die hoheren Theorien an dieser Stelle verhalten. Prinzipiell er-wartet man mit dem Anwachsen der Gultigkeit einer Theorie durch die Berucksichtigung vonmehr Momenten auch ein Anwachsen des Hyperbolizitatsbereichs. Im ersten Abschnitt diesesKapitels wird dieser Frage nach gegegangen.

Mit Hilfe der hoheren Feld-Falle laßt sich außerdem der physikalische Gultigkeitsbereich des13-Feld-Falls abschatzen. Darauf wird in Abschnitt 7.2 eingegangen.

7.1 Der 14- und 21-Feld-Fall

Wir beschranken uns bei der Diskussion der hoheren Feld-Falle auf den 14- und den 21-Feld-Fall(siehe Abschnitt 3.4).

Im 14-Feld-Fall wird zu den Variablen des 13-Feld-Falls die volle Spur des vierten Momenteshinzugenommen, d.h. der spurfreie Anteil des dritten Moments wird nicht berucksichtigt. DieseWahl der Variablen ist popular und laßt sich aus der relativistischen Thermodynamik herausbegrunden (siehe [7]). Der 21-Feld-Fall nimmt dann noch den spurfreien Anteil des drittenMomentes in den Variablensatz auf.

Die Entdimensionierung vollzieht sich wie in Abschnitt 6.1 beschrieben und fur die neuhinzugekommenen Variablen gilt

m =m

ρ0

√p0

ρ0

3 (7.1)

∆ =ρ0 ∆p20

. (7.2)

In der eindimensionalen Formulierung besteht der 14-Feld-Fall aus sechs und der 21-Feld-Fallaus sieben Gleichungen.

Es soll jetzt besonders auf die jeweils entstehende Wellenstruktur unmittelbar nach demPlatzen der Membran eingegangen werden.

69

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70 KAPITEL 7. HOHERE FELD-FALLE

Abbildung 7.1: Wellenstrukturen verschiedener Theorien

7.1.1 Wellenstruktur

In Abb. 7.1 sind die Wellenstrukturen in der Dichte, dem Druck und der Geschwindigkeit furden 13-, 14- und 21-Feld-Fall gezeigt. Fur die Anfangsbedingungen gilt

ρ1

ρ0= 2, 5 (7.3)

p1

p0= 2, 5 (7.4)

woraus sich die Machzahl des Verdichtungsstoßes

Ms = 1, 199 (7.5)

ergibt. Im Verlauf der Dichte treten fur jede Theorie alle Wellen auf: Im 13-Feld-Fall die bereitsbekannten funf, sechs Wellen fur den 14-Feld-Fall und sieben im Falle des 21-Feld-Falls. Fur den14-Feld-Fall sind dies vier Stoße und zwei Verdunnungsfacher, die jeweils nach rechts und linkslaufen, wobei der zweite Stoß etwa bei a

4 nur sehr schwach ist. Im 21-Feld-Fall ergeben sich dreiVerdunnungsfacher nach links und vier Stoße nach rechts.

Die schnellste Welle, sowohl nach rechts als auch nach links, bewegt sich im 21-Feld-Fallam schnellsten und im 13-Feld-Fall am langsamsten. Dies ist beispielsweise am schnellstenVerdunnungsfacher im Verlauf des Drucks gut zu erkennen. Diese Tatsache entspricht der an-steigenden charakteristischen Geschwindigkeiten der Theorien (siehe Abschnitt 3.4). Außerdemverliert die schnellste Welle in den hoheren Theorien an Große und zwar am deutlichsten imschnellsten Stoß der Geschwindigkeit. Das ist physikalisch auch zu erwarten: Der Informations-transport ist so geschachtelt, daß immer schnellere Signale auch mit immer kleineren Amplitudenverbunden sind.

In Abschnitt 6.3 wurde erwahnt, daß im 13-Feld-Fall das mittlere Plateau des Geschwindig-keitsverlaufes und die Position der mittleren Welle in der Dichte gerade mit dem Plateau undder Position im Ergebnis der Euler-Gleichungen zusammen fallt. Nach Abb. 7.1 ist das in den

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7.1. DER 14- UND 21-FELD-FALL 71

Abbildung 7.2: Wellenstrukturen der Nichtgleichgewichtsgoßen im 21-Feld-Fall

hoheren Theorien nicht mehr der Fall: Sowohl die Position der mittleren Welle als auch dasPlateau in der Geschwindigkeit verandert sich deutlich.

Die Dampfung der Wellen verlauft bei den hoheren Theorien ahnlich wie in Abschnitt 6.3fur den 13-Feld-Fall beschrieben wurde. Aus den Kurven in Abb. 7.1 formen sich die bekanntenVerlaufe des Verdunnungsfachers, der Kontaktunstetigkeit und des Verdichtungsstoßes aus denEuler-Gleichungen. Wir verzichten an dieser Stelle auf die bildliche Darstellung.

In Abb. 7.2 sind neben der Dichte noch die Wellenstrukturen der zusatzlichen Nichtgleich-gewichtsgroßen m und ∆ fur den 21-Feld-Fall gezeigt. Im Verlauf von ∆ finden sich alle siebenWellen wieder, wahrend sich im Verflauf von m nur sechs Wellen niederschlagen. Auch dieseGroßen werden wie die Spannung und der Warmefluß so gedampft, daß sie fur hinreichendgroße Zeiten nur noch in den Bereichen der Kontaktunstetigkeit, des Verdichtungsstoßes undminimal im Bereich des Verdunnungsfachers von null verschieden sind. Bemerkenswert in Abb.7.2 sind noch die hohen Zahlenwerte im Verlauf von ∆.

7.1.2 Hyperbolizitat

Auch fur die Gleichungen der hoheren Falle erstreckt sich die Hyperbolizitat durch die li-neare Materialtheorie nicht auf beliebige Nichtgleichgewichtszustande. Leider laßt sich kein 2-dimensionaler Hyperboliztatsbereich mehr zeichnen, da das Nichtgleichgewicht jetzt durch diedrei, beziehungsweise vier Werte von σ, q, m und ∆ beschrieben wird.

Numerisch laßt sich allerdings feststellen, bei welchem maximalen Drucksprung der Anfangs-bedingung die ersten imaginaren Eigenwerte auftreten und die Gleichungen damit den Hyperbo-lizitatsbereich verlassen. In der folgenden Tabelle ist das Ergebnis fur die betrachteten Theoriendargestellt.

Theorie ET 13 ET 14 ET 21p1

p0

∣∣∣max

≈ 5, 45 ≈ 11, 45 ≈ 2, 75

M(max)s ≈ 1, 391 ≈ 1, 589 ≈ 1, 222

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72 KAPITEL 7. HOHERE FELD-FALLE

Abbildung 7.3: Zur Gultigkeit des 13-Feld-Falls

Fur die Anfangsbedingung wurde dabei immer eine konstante Temperatur zugrunde gelegt; derDichtesprung entspricht also dem Drucksprung.

Wie beim 13-Feld-Fall ist es auch in den hoheren Fallen so, daß das großte Nichtgleichgewichtunmittelbar nach dem Platzen der Membran in Form der Wellenstruktur auftritt. Die anschlie-ßende Dampfung fuhrt dann dazu, daß die Werte der Nichtgleichgewichtsvariablen sinken unddas System die Hyperbolizitat wieder erreicht.

Mit dem 14-Feld-Fall laßt sich nach der obigen Tabelle ein Stoßrohr-Experiment mit einemmehr als doppelt so großen Drucksprung wie im Falle des 13-Feld-Falls beschreiben. Die Machzahldes Verdichtungsstoßes wachst dabei allerdings nur um etwas mehr als 10%. Im 21-Feld-Fall darfhingegen ein nur halb so großer Drucksprung wie im 13-Feld-Fall verwendet werden.

Die Hoffnung auf ein Anwachsen des Hyperboliztatsbereichs mit der Anzahl der Variablenwird damit zunachst durch Skepsis ersetzt. Aber ein nicht-monotones Verhalten bei der Erhohungder Variablenanzahl ist typisch fur die erweiterte Thermodynamik (siehe [7]). Es ist durchausdenkbar, daß der 21-Feld-Fall einen Ausreißer darstellt und sich der maximal erlaubte Druck-sprung bei der Berucksichtigung von noch mehr Variablen doch noch weiter erhoht.

7.2 Gultigkeit des 13-Feld-Falls

Ahnlich wie in Abschnitt 6.4.1 fur die Gleichungen von Navier-Stokes-Fourier laßt sich jetzt auchmit dem 13-Feld-Fall verfahren. Wir erwarten vom 14-Feld-Fall einen großeren Gultigkeitsbereichgegenuber dem 13-Feld-Fall, da mehr Variablen zur Beschreibung des Gases zugrunde liegen. BeiUbereinstimmung der Losungen der beiden Theorien laßt sich dann ein Maß fur die Gultigkeitdes 13-Feld-Falls angeben.

In Abb. 7.3 sind die Verlaufe der Dichte fur den 13- und 14-Feld-Fall fur verschiedene An-fangsbedingungen und verschiedene Zeiten gezeigt. In den Anfangsbedingungen herrscht wiedereine konstante Temperatur.

Fur kleine Zeiten weichen die Kurven der beiden Theorien deutlich von einander ab. Wahrendder 13-Feld-Fall noch eine klar erkennbare Unstetigkeit besitzt, bildet das Ergebnis des 14-Feld-Falls schon fast einen glatten Verlauf. Mit der Zeit naheren sich die Kurven immer weiter an.Aus der Abbildung laßt sich die erste Schatzung

t∗ ' 30 (7.6)

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7.3. AUSBLICK 73

fur die Gultigkeit des 13-Feld-Falls im Stoßrohr-Experiment angeben. Erwartungsgemaß ist der13-Feld-Fall damit schneller gultig als die Gleichungen von Navier-Stokes-Fourier (siehe Ab-schnitt 6.4.1). Fur eine sichere Angabe der Gultigkeit mußten zusatzlich die Losungen der nochhoheren Theorien mit dem 13-Feld-Fall zusammenfallen.

Es sei noch bemerkt, daß die Kurven der beiden Theorien in Abb. 6.3 fur den großerenDichtesprung der Anfangsbedingung eine bessere Ubereinstimmung aufweisen. Daraus laßt sicheine schnellere Gultigkeit des 13-Feld-Falls fur große anfangliche Dichteunterschiede ablesen.Dies ist uberraschend und mußte genauer untersucht werden.

7.3 Ausblick

Die nach dieser Arbeit wohl interessanteste Frage ist: Kann die lineare Materialtheorie der er-weiterten Thermodynamik das Stoßrohr-Experiment fur beliebige Druck-Sprunge der Anfangs-bedingung beschreiben, ohne die Hyperbolizitat zu verlieren? Zur Beantwortung dieser Frageist ein sogenannter Feldgleichungsgenerator in Arbeit, der die Flußfunktion fur beliebige Feld-Falle bereitstellt, indem der Formalismus der erweiterten Thermodynamik und der Abschluß desGleichungssystem numerisch nachvollzogen wird. Damit konnte dann die Wellenstruktur der ver-schiedenen Theorien ausgerechnet und auf imaginare Eigenwerte uberpruft werden. Interessantist dabei auch, ob sich die Wellenstrukturen der hoheren Theorien weiter hin so stark voneinan-der unterscheiden wie in Abb. 7.1 oder ob sie gegen einen gemeinsamen Verlauf konvergieren.

Außerdem konnte eine vollstandige Gultigkeitsanalyse der erweiterten Thermodynamik furdas Stoßrohr-Experiment durch gefuhrt werden. Dazu wird zu einem gewahlten Drucksprungder Anfangsbedingung und zu einem gewahlten Endzeitpunkt die Anzahl der Momente so weiterhoht, bis ab einer bestimmten Anzahl alle folgenden Theorien das gleiche Ergebnis liefern.So wurden beispielsweise in [16] Lichtstreu-Experimente analysiert. Erst die wie beschriebenauskonvergierten Ergebnisse verdienen es mit dem Experiment verglichen zu werden.

Daruberhinaus ergibt sich das verwendete Verfahren als sehr anwendungsreich. Zusammenmit dem Feldgleichungsgenerator konnten damit beliebige Anfangswertprobleme mit beliebi-gen Feld-Fallen berechnet werden. Beispielsweise sind damit die in [17] angekundigten Verdich-tungsstoße hoher Machzahlen mit viel weniger Speicherbedarf als bisher berechenbar. Weitereinteressante Probleme sind das Zerlaufen eines Druckberges oder eines Temperaturpeaks.

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74 KAPITEL 7. HOHERE FELD-FALLE

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Literaturverzeichnis

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