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Das Sonnen-Tabu

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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 670 Die Namenlose Zone  

Das Sonnen‐Tabu von Peter Terrid  

Der Befreiungskampf der Paudencer  

Es geschah  im April 3808. Die  entscheidende Auseinandersetzung  zwischen  Atlan  und seinen Helfern  und Anti‐ES  ging  überraschend  aus. Die  von  den Kosmokraten veranlaßte Verbannung von Anti‐ES wurde gegenstandslos, denn aus Wöbbeking und  Anti‐ES  entstand  ein  neues  Superwesen,  das  hinfort  auf  der  Seite  des P

ill  oder nicht,  der Arkonide wird ve

der BRISBEE‐Kinder die Möglichkeit, dennoch in

tmacht heran, denn er ist entschlossen, eine Wende zum PIhm entgegen steht DAS SONNEN‐TABU … 

ositiven agiert. Die neue Sachlage gibt Anlaß zum Optimismus, zumal auch in der künstlichen 

Doppelgalaxis Bars‐2‐Bars endgültig der Friede einkehrt. Für Atlan jedoch ist die Situation  alles  andere  als  rosig.  Der  Besitz  der  Koordinaten  von  Varnhagher‐Ghynnst, ohne die er nicht den Auftrag der Kosmokraten erfüllen kann, wird ihm nun  durch Chybrain  vorenthalten. Ob  er  es wrpflichtet, die Namenlose Zone aufzusuchen. Inzwischen schreibt man den September des Jahres 3808. Trotz der Vernichtung 

des  Junk‐Nabels,  des  letzten  Übergangs  zwischen  Normaluniversum  und Namenloser Zone, gibt es mit Hilfe  dieses Raumgebiet zu gelangen. Dort  –  so  weiß  man  inzwischen  –  verkörpern  die  Zyrtonier  die  eigentliche 

Macht. Und  gegen  diese  negativen Wesen  tritt Atlan  erneut  an. Der Arkonide führt eine beachtliche Streiositiven herbeizuführen. 

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 Die Hauptpersonen des Romans:  Atlan ‐ Der Arkonide durchlebt die Vision vom Ziel der SOL. Ziir‐Tinc ‐ Emulator der Walgonier. Raan‐Mar und Ollon‐Tur ‐ Anhänger des Emulators. Daan‐Bar ‐ Mitglied des Herrschaftsrats der Walgonier. Daug‐Enn‐Daug und Borallu ‐ Sie üben Einfluß in der Namenlosen Zone aus.  

1.  »Der  Tag  wird  kommen«,  beteuerte  Ziir‐Tinc.  »Ich  schwöre  es euch.« Der Emulator betrachtete die Gesichter seiner Zuhörer. Es waren 

Freunde,  die  ihn  ansahen,  Walgonier,  die  durch  zwei  Bande zusammengehalten  wurden  –  durch  ihren  unerschütterlichen Glauben an Paudenc und durch die Tatsache, daß sie Freiheit und Leben verlieren konnten, wenn es jemals ruchbar werden sollte, daß sie anderen Glaubens waren als ihre Mitbewohner des Systems der Doppelsonne. Der  Emulator  konnte  sehen,  daß  seine  Zuhörer  ihm  nicht  recht 

glauben wollten. Verwunderlich war es nicht. Viele  Generationen  waren  auf  den  beiden  Walgon‐Planeten 

aufgewachsen,  hatten  gelebt  und  gearbeitet  und waren  gestorben, ohne  daß  sich  irgend  etwas  geändert  hätte.  Und  nun  sollten ausgerechnet sie den Tag der Befreiung erleben? »Ich  weiß,  daß  es  unglaublich  klingt«,  sagte  Ziir‐Tinc.  »Aber 

bedenkt, der Tag, von dem ich spreche, kehrt nur in Abständen von Jahrtausenden  wieder.  Was  sich  zugetragen  hat  in  ferner Vergangenheit, wissen wir nicht mehr. Diese Geheimnisse werden vom  Herrschaftsrat  sorgsam  gehütet,  und  selbst  uns  ist  es  nicht möglich gewesen, darüber  etwas Genaues  zu  erfahren. Aber  eines wissen wir alle sehr genau – bei der letzten Wiederkehr dieses Tages brach  das  Verhängnis  über  unser  Volk  herein.  Seither  sind  wir 

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gefangen, eingesperrt und unterdrückt. In sehr kurzer Zeit wird sich das Ereignis wiederholen, das  jenen Tag kennzeichnet – und dieses Mal wird  es das Ende unserer Sklaverei herbeiführen.« Raan‐Mar, eine Frau mittleren Alters, stand auf. »Ich glaube dir«, sagte sie mit lauter Stimme und sah sich dabei herausfordernd um. Einige Köpfe wurden  zustimmend  bewegt.  »Aber  wenn  jener  Tag  tatsächlich kommt und eine Wende zum Guten bringt – wofür sollen wir uns dann  anstrengen?  Wofür  gehen  wir  die  Gefahren  ein,  die  mit unserem Glauben verbunden sind?« Der Emulator breitet die Arme aus. »Nichts geschieht von  allein. Der Tag  ist der Zeitpunkt,  zu dem 

wir unsere Kraft zusammenfassen und handeln müssen. Tun wir es nicht,  wird  sich  auch  nichts  ändern  an  unserem  Elend.  Überlegt euch  die  Sache,  wenn  ihr  in  eure  Unterkünfte  zurückkehrt. Wir treffen uns in einer Woche an der gleichen Stelle.« Die Versammlung,  einhundertsiebzig Köpfe  stark,  löste  sich  auf. 

Einzeln  verließen  die Mitglieder  den Raum,  schlüpften  durch  das System von Gängen und Rohren und tauchten an unterschiedlichen Stellen an der Oberfläche des Planeten wieder auf. Niemand, der sie wenig später über die Straßen gehen sah, konnte ahnen, daß sie sich kurze  Zeit  vorher  zu  einer  verbotenen  Versammlung  getroffen hatten. Raan‐Mar war zurückgeblieben, sie wollte noch mit dem Emulator 

reden.  Sie  bot  Ziir‐Tinc  von  ihren  Genuß‐Pastillen  an,  aber  der Emulator lehnte freundlich ab. »Ich muß einen klaren Kopf behalten«, sagte er. Raan‐Mar zuckte 

mit den Schultern und steckte die kleine Schachtel wieder weg. Die Wirkung  des  Euphorikums  trat  rasch  ein,  Raan‐Mars  Augen begannen leicht zu glänzen. »Du sprichst  immer wieder von diesem Tag, ohne uns zu sagen, 

wodurch er sich von den anderen Tagen unterscheiden wird«, sagte sie dann. »Es hat mit  Sternenzauberei  zu  tun, weißt du?«  antwortete Ziir‐

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Tinc. »Ich habe  es mir gedacht«,  antwortete Raan‐Mar.  »Unser ganzes 

Leben wird von Sternenzauberei beeinflußt.« »Es  ist  so,  wenn  ich  den  Oberzauberer  unserer  Organisation 

richtig verstanden habe: Wir leben in einem Sonnensystem, das zwei Sonnen hat, die Große Gaulat und Paudenc.« »Das  weiß  jedes  Kind«,  gab  Raan‐Mar  zurück.  »Während  der 

Herrschaftsrat  behauptet,  daß  die  Große  Gaulat  unser  Leben beeinflußt, behaupten wir, daß  es vor  allem Paudenc  ist. Und  aus diesem Grund nennen wir uns Paudencer und die anderen Gaulater, obwohl wir alle Walgonier sind.« »Und auf zwei Planeten leben, die diese beiden Sonnen umkreisen. 

Und diese beiden Sonnen wiederum kreisen um  einen Kraftpunkt zwischen  ihnen. Wir  stehen auf Walgon  II, dem äußeren Planeten, und der Herrschaftsrat hat  seinen Sitz auf Walgon  I. Auch das  ist bekannt. Aber  nur  in  den  Schulen  für  Sternenzauberei  kann man erfahren,  daß  die  Bahnen  dieser  Planeten  um  die  beiden  Sonnen nicht immer gleich sind.« Ziir‐Tinc  suchte  nach Möglichkeiten,  das  bildlich  auszudrücken, 

was er wußte. »Genaugenommen bewegen sich alle Himmelskörper  in unserem 

System um den Kraftpunkt. Die beiden Sonnen tun es sehr nahe, die beiden Planeten weiter weg. Und  ihre Umlaufbahnen drehen  sich auch – die von Walgon I in der einen Richtung, die von Walgon II in der  anderen Richtung. Stell dir vor, du hast  einen Reifen, wie  ihn Kinder  zum  Spielen  benützen.  Stell  dir weiter  vor,  du  hast  einen zweiten, kleineren Reifen. Nun legst du beide Reifen auf den Tisch, den  kleinen  in  den  größeren  hinein,  aber  so,  daß  der  Abstand zwischen beiden Reifen überall gleich  ist. Dann gehst du hin und spießt diese beiden Reifen auf einen langen dünnen Spieß.« An Raan‐Mars linkem Gesicht konnte Ziir‐Tinc ablesen, wie es der 

Frau schwerfiel, diese Vorstellung aufzufassen.  Innerlich murmelte Ziir‐Tinc eine Verwünschung. 

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Wenn das verhaßte System des Herrschaftsrats erst beseitigt war, mußte als erstes ein Gesetz erlassen werden, das die Trennung der Nervenverbindung zwischen den beiden Gehirnen eines Walgoniers unter Strafe stellt. Bei Raan‐Mar waren die Folgen dieser Operation, die  gewöhnlich  kurz  nach  der Geburt  vorgenommen wurde,  sehr deutlich  zu  sehen.  Mit  dem  linken  Gehirn  konnte  die  Frau  die Tatsachen, die Ziir‐Tinc ihr vortrug, einwandfrei verarbeiten. Es war die Gehirnhälfte, die  für  logisches Denken zuständig war, auch  für die  Verbalisierungsfähigkeit  und  andere  intellektuelle  Aufgaben. Die  rechte  Hirnhälfte  hingegen  war  für  bildliches,  symbolisches Denken zuständig,  für Empfindungen und die Wahrnehmung von ganzheitlichen Gestalten.  In diesem Schädel war  jetzt das Bild von den Reifen angekommen und wurde dort verstanden – aber wegen der Komissurotomie war  sie nur mit Mühe  imstande, von diesem Bild zu abstrahieren und die Regeln der Sternenzauberei hinter dem symbolisch Dargestellten zu erkennen. »Ich glaube, ich begreife es allmählich«, sagte Raan‐Mar. »Nimm die beiden Reifen jetzt vom Tisch. Du kannst den inneren 

Reifen um die Achse des  Spießes drehe, den  äußeren  auch  – und zwar beide in unterschiedlicher Richtung.« Wieder mußte Ziir‐Tinc seinem Gegenüber Zeit lassen, das Bild zu 

verarbeiten. »Ich  habe  es.  Und  auf  die  gleiche  Weise  bewegen  sich  auch 

Walgon I und II um den Kraftpunkt?« »Ihre Bahnen entsprechen den Kreisen. Kannst du dir zwei dicke 

Perlen vorstellen, die  sich auf diesen beiden Reifen bewegen? Das sind  die  beiden  Planeten.  Manchmal  sind  sie  sich  sehr  nah, manchmal sind sie sehr weit entfernt. Und einmal in vielen tausend Jahren  passiert  es,  daß  nicht  nur  die  beiden  Planeten  so  nahe beieinanderstehen wie möglich, sondern daß die Achse – der Spieß aus  dem  Bild  –  auch  durch  beide  Sonnen  und  den  Kraftpunkt hindurchführt.  Die  Sternenzauberer  nennen  dieses  Ereignis  die Große Magische Synopse.« 

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»Es fällt mir schwer, aber ich glaube, ich habe es verstanden. Und was passiert dann?« »Beim  letzten  Mal  hat  die  Reihenfolge  der  Himmelskörper  so 

ausgesehen, von außen nach innen: Walgon II, dann Walgon I, dann Gaulat,  dann  der Kraftpunkt  und  dann  erst  Paudenc. An  diesem schrecklichen  Tag  geschah  es,  daß  unser  Volk  von  unbekannten Mächten  eingesperrt  wurde,  in  die  Barriere  der  Ewigkeit,  denn damals war am Himmel über den Planeten nur eine Sonne zu sehen, die Große Gaulat. Es ist ein Tag des Unheils gewesen.« Raan‐Mars Augen weiteten sich. »Und beim nächsten Mal wird Paudenc vor Gaulat  stehen, nicht 

wahr? Dann wird unsere Sonne den Haupteinfluß auf unser Leben nehmen, und wir werden frei sein.« »So wird  es  sein«,  stimmte  der  Emulator  zu.  »Aber  sprich mit 

niemandem  darüber.  Es  gibt  nur  wenige,  die  die  magischen Zusammenhänge dieses Tages kennen.« Raan‐Mar nickte eifrig mit beiden Köpfen. Der  Emulator  lächelte,  obwohl  ihm  danach  nicht  zumute  war. 

Seine Aufforderung, diese Geheimnisse nicht auszuplaudern, würde ohnehin  nur  ein  paar  Tage  wirksam  sein.  Danach  würde höchstwahrscheinlich passieren, was Ziir‐Tinc schon Hunderte von Malen erlebt hatte. Das gerade Begriffene würde sich in den Gehirnen von Raan‐Mar 

wieder  auflösen  in  einen  analytisch‐sternenzauberischen  Teil  und ein deutliches Bild von Reifen und Perlen, aber es würde Raan‐Mar unmöglich  sein,  diese  beiden  unterschiedlichen  Aspekte  der Wirklichkeit wieder zusammenzusetzen. Selbst in den scheußlichen Verhörkammern  der  Tabu‐Jäger  würde  sie  nichts  ausplaudern können. Entweder würde sie den Folterern etwas Wirres von Reifen und Perlen erzählen, oder sie würde schweigen, weil sie nicht in der Lage war,  ihr Wissen  um  die  Zusammenhänge  so  auszudrücken, daß man sie verstehen konnte. Überaus  begeistert  davon,  daß  sie  nun  Geheimnisträgerin  war, 

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machte  sich  Raan‐Mar  auf  den Heimweg.  Sie  hatte  zwei Männer und sieben Kinder zu versorgen und mußte sich jede Stunde, die sie bei  den  Versammlungen  der  Paudencer  verbrachte,  von  ihrer kargen  Freizeit  gleichsam  absparen.  Ihr  Mann  war  ein  sehr entschiedener  Gaulater,  obendrein  im  Staatsdienst  angestellt  und damit  gleichsam  von  Amts  wegen  zu  einer  einzigen Betrachtungsweise der Wirklichkeit verurteilt. Auch Ziir‐Tinc machte sich auf den Heimweg. Der Abend senkte sich über Hulth, die größte Stadt des Planeten 

Walgon  II.  Auf  den  Straßen  waren  viele  Walgonier  unterwegs, darunter viele Frauen, die alle vier Hände voll Waren hatten. Das mußte man dem Herrschaftsrat  lassen,  er  sorgte dafür, daß 

kein Walgonier darben mußte. Das Zuteilungssystem war perfekt. Die  Verkehrssysteme  funktionierten,  und  der  Pendeldienst  der Fähr‐  und  Transportschiffe  von  Walgon  I  nach  Walgon  II funktionierte sekundengenau. Sieben Milliarden Walgonier  lebten  auf den  beiden Welten, drei 

Milliarden auf Walgon II, vier Milliarden auf dem inneren Planeten. Von  den  drei  Milliarden  Bewohnern  von  Walgon  II  tendierten inzwischen zwei Drittel zum Glauben der Paudencer, auf Walgon I, wo der Herrschaftsrat saß, waren die Verhältnisse nicht so gut, dort waren drei Viertel der Bevölkerung Gaulater, darunter natürlich der gesamte Behördenapparat. Ziir‐Tinc seufzte  leise, als er an der Kreuzung stehenblieb. Neben 

ihm  bauten  sich  andere  Walgonier  auf,  die  gleich  ihm  auf  das Lichtsignal warteten, das den Weg für die Fußgänger freigab. Selbst  Ziir‐Tinc  als  Emulator  fiel  immer wieder  darauf  herein  – 

auch  er  reagierte  beim  Anblick  eines  Stoppsignals  völlig automatisch. Das Signal war nicht ohne Grund für das rechte Gehirn bestimmt, wurde dort wahrgenommen und befolgt, als handele es sich  um  ein  eigenes,  inneres  Bedürfnis  stehenzubleiben.  Nur geschulte Zweidenker waren  in der Lage,  hinter dem  Farbsymbol den abstrakten Befehl von oben zu sehen, den Zwang, der ausgeübt 

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wurde. Als  das  Signal  umsprang,  marschierte  Ziir‐Tinc  ebenso 

automatisch los wie seine Nebenleute;  jedes andere Verhalten wäre sehr auffällig gewesen. Gewohnheitsmäßig  sah  sich Ziir‐Tinc um. Er wußte, daß überall 

Tabu‐Jäger  unterwegs  waren,  um  Abtrünnige  aufzuspüren  und festzunehmen.  Wer  es  wagte,  die  offizielle  Lehre  vom  Primat Gaulats  anzutasten,  das  Sonnen‐Tabu  in  Frage  zu  stellen,  der riskierte Haft, Zwangsarbeit und im schlimmsten Fall den Tod. Ziir‐Tinc machte  sich keine  Illusionen –  falls man  ihn aufgreifen  sollte, war er dem Tod verfallen. Ziir‐Tinc sah hinauf zum Himmel, bevor er das Wohnhaus betrat, 

in dem er lebte. Beide Sonnen waren am Himmel zu sehen. Paudenc wirkte etwas 

größer, weil die  Sonne  näher  stand.  Ihr Licht war  rein  und weiß. Hinter  ihrem  rechten  Rand  strahlte  das  unangenehme  Grün  von Gaulat. Es konnte nicht mehr  lange dauern, dann würde Paudenc Gaulat  völlig  verdecken.  Dann  war  die  Endzeit  für  die  Gaulater gekommen  –  in  einigen  Tagen  standen  dann  auch  die  beiden Planeten richtig. Ziir‐Tinc versuchte sich den Augenblick vorzustellen. Am Himmel die  strahlend weiße  Sonne Paudenc, die das  grüne 

Ungeheuer Gaulat völlig  abdeckte. Und dann würde der  Schatten des inneren Planeten anfangen über die Sonnenscheibe zu wandern. Beim bloßen Gedanken an dieses Bild spürte Ziir‐Tinc Schauer der Erregung über seinen Körper laufen. Aber  es würde  viel  Arbeit  und Mühe  kosten,  den  Umsturz  an 

diesem  Tag  durchzuführen.  Die  Tabu‐Jäger  des  Herrschaftsrats waren  nicht  zu  unterschätzen,  immer  wieder  gerieten  ihnen Paudencer  in  die  Finger  und  verschwanden  auf Nimmerwiedersehen. Ziir‐Tinc  ließ  sich  vom  Antigravschacht  hinauftragen  in  das 

siebenunddreißigste Stockwerk des Hauses. Er liebte es, abends von 

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seiner Wohnung aus die Stadt zu überblicken und sich vorzustellen, wie man dieses Bild ändern könnte. Hulth  war  unter  der  Herrschaft  der  Gaulater  kalt  und  häßlich 

geworden. Ziir‐Tinc hatte einige spärliche Unterlagen sehen können, die  ihm  gezeigt  hatten,  wie  die  Stadt  vor  vielen  Jahrtausenden einmal ausgesehen haben mußte. Damals  hatte  es  kein Geradenmuster  gegeben,  das  die  Stadt  in 

exakt  gleiche  Viertel  und  Wohnblocks  zerschnitt.  Auch  die konsequente Aufgliederung  der  Riesenstadt  hatte  es  damals  noch nicht  gegeben.  Jetzt  aber  konnte Ziir‐Tinc  von  seinem  Fenster  aus sehen, daß im Arbeitsviertel fast alle Lichter gelöscht worden waren. Das  Einkaufsviertel war  noch  zur Hälfte  beleuchtet, während  im Amüsierviertel die Lichter gerade angingen. In der Verwaltungssektion waren ebenfalls noch einige erleuchtete 

Fenster  zu  sehen,  aber  Ziir‐Tinc  wußte,  daß  es  sich  um  Betrug handelte. Die Staatsbediensteten waren längst in ihren Wohnungen. Die Lichter  sollten der Bevölkerung  lediglich vortäuschen, daß die Verwaltung  selbst  in  den  Abendstunden  noch  für  das Wohl  der Walgonier  arbeitete.  Die  einzige  Behörde,  in  der  um  diese  Zeit tatsächlich  noch  gearbeitet  wurde,  war  das  Tabu‐Silo,  ein fensterloser Betonklotz. Dort wurde zu  jeder Tages‐ und Nachtzeit gearbeitet,  das  hieß:  verhört,  gefoltert,  ohne  Urteil  bestraft. Unablässig waren die Tabu‐Jäger auf Beutesuche. Sie wurden nach ihrem  Erfolg  bezahlt,  infolgedessen  schleppten  sie  immer  neue Verdächtige in die Verhörmühlen des Tabu‐Silos. Der Herrschaftsrat hatte sich eine ganz besondere Bosheit einfallen 

lassen,  die  im  Tabu‐Silo  praktiziert  wurde.  Dank  der  ebenso barbarischen wie perfekten Verhörmethoden konnten Gaulater von Paudencern sehr zuverlässig unterschieden werden – und die Tabu‐Jäger  ließen  Unschuldige  in  jedem  Fall  frei.  Diese  Tatsache beeindruckte viele Gaulater  so  sehr, daß  sie darüber das Schicksal der  Paudencer,  die  in  keinem  einzigen  Fall  freigelassen  wurden, völlig vergaßen. Systematisch  trieb so die Staatsführung einen Keil 

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in die Bevölkerung, und sie war erfolgreich damit. Es wurde rasch dunkel. Ziir‐Tinc zog das Gewand aus und setzte 

sich  auf  das  Bett.  Er  nahm  eine  Meditationshaltung  ein  und versenkte sich in die Innenschau. Nur durch hartnäckiges und  intensives Training war es möglich, 

die Folgen der Komissurotomie wenigstens  teilweise zu beseitigen und die volle Denkkraft zurückzuerhalten. Ziir‐Tinc spürte, wie sich seine Muskeln entkrampften und schlaff 

wurden. Seine Atemfrequenz senkte sich, der Atem wurde tiefer. Jeden Gedanken einfach verwehen  lassend, ohne sich mit  ihm zu 

beschäftigen, versenkte sich Ziir‐Tinc tiefer und tiefer. Maßloser  Schreck durchfuhr  ihn,  als  er  zu halluzinieren begann. 

Es war, als melde sich in ihm eine fremde Stimme. Zirr‐Tinc holte tief Luft und brach die Meditation ab. »Was hat das  zu bedeuten?«  fragte  er  sich. Er  trank  etwas, ging 

unruhig in seiner Wohnung auf und ab. »Versuchen wir es«, stieß er schließlich hervor und nahm wieder 

eine Meditationshaltung ein. Diesmal  zögerte  er  den  Entspannungsprozeß  hinaus.  Er  wollte 

ganz genau herausspüren,  in welcher Phase sich diese unheimliche Stimme zu melden begann. Beim zweiten Versuch schien sie auszubleiben, und das beruhigte 

den  Emulator  sehr.  Er meditierte  intensiver,  schaltete  die  äußere Wahrnehmung  völlig  aus,  ließ  sich  vom  Schlag  seines  Herzens treiben und spürte den Atem durch seinen Körper fließen. Abermals meldete sich die Stimme. Klar und deutlich waren  ihre 

Worte zu verstehen. »Diese Botschaft wirst du nur einmal hören, in diesem Augenblick. 

Wisse,  daß  sich  das  Schicksal  deines  Volkes  entscheiden wird  in nächster  Zukunft.  Es  kann  sich  zum  Schlechten wenden,  es  kann sich  aber  auch  verbessern. Wisse  daher,  daß  du  in  Bälde  Besuch bekommen wirst. Es wird  in deinem  Interesse und  in dem deines Volkes  sein,  wenn  du  diese  Fremden  in  ihren  Bemühungen 

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unterstützt.« In Ziir‐Tincs Denken  formte  sich das Bild eines Lebewesens, das 

wie ein  seltsam unfertiger Walgonier aussah, mit nur einem Kopf, zwei Armen und zwei Beinen. Daneben tauchte kurz das Bild eines ganz  anderen,  vollkommen  fremdartigen Geschöpfs  auf,  das Ziir‐Tinc großen Schrecken einflößte. Ebenso rasch wie sie gekommen waren, verschwanden die Bilder 

wieder. Im Denken des walgonischen Emulators formte sich eine Frage. »Ich  bin die Emulator‐Quelle«,  sagte die  geheimnisvolle  Stimme 

und verstummte dann. Ziir‐Tinc  stieß  einen  tiefen  Seufzer  aus.  Eine Weile  lauschte  er 

noch  in  sich  hinein,  dann  tauchte  er  aus  der  inneren Versenkung wieder auf. Nachdenklich wiegte er die Köpfe. »Ich werde mich entscheiden müssen«, murmelte er.   

2.  Daan‐Bar,  als  Mitglied  des  Herrschaftsrats  für  Fragen  der Systemsicherheit zuständig, zog beide Stirnen kraus. Die Meldungen, die ihm auf den Tisch geflattert waren, behagten 

ihm überhaupt nicht. In  seinem Auftrag waren  in  den  letzten Wochen wieder  einmal 

Tabu‐Forscher  unterwegs  gewesen,  um  die  Meinung  in  der Bevölkerung zu erkunden. Dabei wurden  in eine Fülle von Fragen, die nur  für die Verwaltung wichtig waren,  auch  ein paar Begriffe eingeschleust, die das Denken der Walgonier erkunden sollten. An den Gefühlsreaktionen auf den rechten Gesichtern ließ sich sehr gut ablesen, wie die Befragten zu heiklen Problemen wirklich dachten. Dank  dieses  einfachen  wie  wirkungsvollen  Mittels  war  der Herrschaftsrat  jederzeit  über  die  Stimmung  in  der  Bevölkerung 

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informiert. »Sieben  Prozent  Zuwachs  allein  im  letzten  Halbumlauf«,  stieß 

Daan‐Bar  hervor.  »Das  ist  entschieden  zuviel.  Diese  Paudencer werden noch zu einer echten Gefahr.« »Sind  sie  es nicht  schon  längst?«  fragte der Abteilungsleiter, der 

die  Organisation  dieser  Umfragen  zu  verantworten  hatte.  »Die Werte sind doch schon seit etlichen Umläufen besorgniserregend.« Daan‐Bar winkte ab. »Nicht für uns«, sagte er heftig. »Es genügt uns zu wissen, wer die 

führenden  Köpfe  dieser  Bewegung  sind,  damit  wir  sie beaufsichtigen  können.  Besser  eine Untergrundbewegung,  die wir bestens  kennen,  ohne  etwas  dagegen  zu  unternehmen,  als  eine Organisation,  die wir  nicht  kennen  und  infolgedessen  auch  nicht bekämpfen können.« Er  tippte ein paar Befehle  in die Tastatur des Rechners. Auf den 

Bildschirm  waren  wenig  später  Listen  zu  sehen  –  Namen  mit vollständiger Anschrift und einer neunstelligen Kennziffer. »Wir  haben  die  Sammlung  komplett  beieinander«,  verkündete 

Daan‐Bar. »Wenn es soweit  ist, einen Tag vor dem großen Tag, auf den die Paudencer  in  ihrem Wahn verzweifelt warten, werden wir zuschlagen. Bis dahin sollen sie ruhig glauben, wir wüßten nicht viel über ihre Umtriebe.« »Wenn das so ist, was bedeuten dann die sieben Prozent Zuwachs 

für eine Bedrohung?« Daan‐Bar schaltete den Rechner wieder aus und verschränkte die 

Arme. »Nur eine Person aus dem Führungskreis der Paudencer kennen 

wir nicht. Sie nennen  ihn den Emulator, und er gilt als  ihr oberster Anführer. Dieser Zuwachs geht auf sein Konto – und das bedeutet, daß er sehr aktiv geworden  ist. Hättest du mir zusammen mit der Umfrage  den  Namen  dieses  Verräters  gebracht,  würde  ich  mich nicht weiter aufregen. So aber bedeuten die sieben Prozent Zuwachs in  einem  Halbumlauf,  daß  er  es  geschafft  hat,  unser 

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Überwachungssystem zu unterlaufen.« »Und  wieso  ist  es  nicht  möglich,  diesen  Burschen  zu  fassen? 

Haben wir nicht genug Paudencer verhaften lassen?« Daan‐Bar schüttelte die Köpfe. »Dieser  Emulator  arbeitet  vorwiegend  rechtshirnig.  Er  spricht 

mehr  das  Gefühl  der Walgonier  an  als  ihren  Verstand.  In  ihrem Rausch der Begeisterung nehmen seine Zuhörer  ihn  rational kaum mehr wahr. Wenn wir sie nach ihm befragen, hören wir etwas über Güte,  Freundlichkeit  und  tiefe  Einsicht,  aber  nichts  über Körpermerkmale  und  andere  Faktoren,  mit  denen  wir  etwas anfangen könnten.« Der Abteilungsleiter rümpfte die linke Nase. »Vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit«, sagte er nachdenklich. »Und die wäre?« Daan‐Bar  spürte  einen  Anflug  von  Ärger.  Was  fiel  diesem 

subalternen Stubenhocker  ein,  ihm gute Ratschläge  zu geben? Seit drei  Jahren  arbeitete Daan‐Bar  hauptsächlich  an  diesem  Problem, und er hatte schon manchen Rüffel der Kollegen einstecken müssen, weil er des Emulators immer noch nicht habhaft geworden war. »Tabu‐Raster«, sagte der Abteilungsleiter. »Haben wir  schon versucht«,  sagte Daan‐Bar geringschätzig. »Es 

gibt  keine  auffälligen  Merkmale  bei  diesem  Walgonier,  die  wir durchmustern könnten.« »Wo  treffen  sich  die  Paudencer?  Meines  Wissens  meist  in 

unterirdischen Verstecken.« »Das  ist  richtig,  wir  haben  bereits  Dutzende  dieser  Verstecke 

gefunden und gespeichert.« »Und wie kommen die Besucher dorthin?« »Mit  ganz  gewöhnlichen  öffentlichen  Verkehrsmitteln«, 

antwortete Daan‐Bar gereizt. »Aber nicht genau bis  ins Versteck. Den Rest der Strecke werden 

sie zu Fuß zurücklegen, oder?« »Bei Gaulat, was soll der Unfug?« 

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Der Abteilungsleiter  ließ  sich  in  seinem  Eifer  nicht  bremsen.  Er schien fest von der Durchführbarkeit seines Plans überzeugt zu sein. »Außerdem  sind  die  Zugänge  zu  diesen  Verstecken wohl  nicht 

das, was man  als öffentliche Wege bezeichnen kann.  Ich vermute, daß  es Gänge und  Stollen  sind,  einige davon  ziemlich  feucht und dreckig.  Die  Besucher  werden  sich  des  öfteren  schmutziges Schuhwerk einhandeln.« »Schuhe kann man säubern«, sagte Daan‐Bar wütend. Er war nahe 

daran, diesen Schwätzer hinauszuwerfen. »Aber davon werden sie bestimmt nicht besser. Unser Mann wird 

daher, wenn er eine Versammlung nach der anderen besucht, einen sehr beachtlichen Verschleiß an Schuhwerk haben.« Daan‐Bar wurde hellhörig. »Erzähl  weiter«,  sagte  er  und  bestellte  über  die  Tastatur 

Erfrischungen. »Es scheint mir weiterhin logisch zu sein, daß er sich davor hütet, 

mit  Ordnungsorganen  zusammenzustoßen.  Und  da  die Versammlungen  überall  im  System  stattfinden,  wird  er  die öffentlichen  Verbindungen  in  ganz  besonderem  Maß beanspruchen.« Daan‐Bar verzog die Münder zu einem anerkennenden Grinsen. »Raster  eins«,  sagte der Abteilungsleiter, dem das Lächeln  nicht 

entgangen war.  »Alle  Personen,  die  auffällig  viele  Schuhe  bestellt haben.  Raster  zwei:  Personen,  die  in  besonders  starkem  Maß öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Raster drei: Personen, die sich betont unauffällig verhalten. Glücksspieler, Trinker, Verbrecher – all diese Personen  fallen  aus dem Raster heraus.  Ich  schätze, daß die Zahl  der  Personen,  auf  die  alle  diese  Merkmale  zutreffen, ausgesprochen gering ist.« Daan‐Bar nickte. »Und  dann  noch  etwas«,  fuhr  der  Abteilungsleiter  fort  und 

lächelte  triumphierend.  »Ich  habe  davon  gehört,  daß  dieser sogenannte Emulator unsterblich sein soll.« 

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»Blödes Zeug«, verwahrte  sich Daan‐ Bar. »Das gehört zu  seiner Fabel, aber es kann nicht Tatsache sein.« »Ob es wahr ist oder nicht, spielt gar keine Rolle. Um eine solche 

Legende unterstützen zu können, darf unser Mann keine  lebenden Verwandten mehr haben.  Immerhin sollen diese Emulatoren schon seit Jahrtausenden unter uns weilen.« »Du  bist  auffallend  gut  informiert«,  sagte  Daan‐Bar  mit  einem 

Unterton von Schärfe. »Ich bin  ehrgeizig«, gab der Abteilungsleiter  zu.  »Und wenn  ich 

aufsteigen will, muß ich nachweisen, daß ich etwas kann.« »Fahr  fort«,  bestimmte  Daan‐Bar.  Der  Spender  servierte  die 

Getränke,  Daan‐Bar  gab  einen  Becher  an  den  Abteilungsleiter weiter. »Der Emulator  hat  keine Verwandten,  jedenfalls  keine, die  noch 

leben.  Höchstwahrscheinlich  wird  sich  bei  einer  Nachforschung nach  seinen Ahnen die Spur  Jahre vor  seiner Geburt verwischen – entweder, weil er unsterblich  ist und tatsächlich vor Jahrhunderten geboren worden  ist,  oder weil  er  seine Dokumente  gefälscht  hat. Wenn wir all das zusammennehmen, ist der Raster eng genug.« »Das  können wir  überprüfen«, murmelte Daan‐Bar.  Er  schwang 

mit dem Sessel herum und griff zur Tastatur des Rechners. Langsam und gründlich begann er das Rasterprogramm einzugeben. »Fangen  wir  an  mit  allen  Personen,  die  keine  lebenden 

Verwandten mehr haben«, murmelte er. Der  Rechner  brauchte  zehn  Minuten,  dann  hatte  er  sämtliche 

Dateien nach diesem Faktor durchgeprüft. »Zwölf Millionen«, stieß Daan‐Bar hervor. »Du kannst die Frauen herausnehmen, der Emulator ist nach allen 

Aussagen männlich.« »Bleiben sechs Millionen,  immer noch zuviel«, erklärte Daan‐Bar, 

als der Rechner diese Arbeit erledigt hatte. »Und  als  nächstes  alle  Personen  herausfiltern,  die  besonders  oft 

gereist  sind  – mehr  als  zehn Mal pro Umlauf von  einem Planeten 

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zum anderen.« Diesmal brauchte der Rechner eine knappe Minute. »Siebzehntausend«, las Daan‐Bar vom Bildschirm ab. »Als nächstes ein Vergleich mit der Ordnungswidrigkeitenkartei.« »Bleiben achthundertvierundsiebzig«, las Daan‐Bar ab. »Es scheint 

zu funktionieren.« »Wie viele von diesen Personen haben sich  in der Vergangenheit 

neue Identitätspapiere ausstellen lassen?« Daan‐Bar schluckte. »Sechzehn«,  las  er  ab.  »Das  reicht  völlig  –  einer  von  diesen 

sechzehn muß der Emulator sein.« »Und als letztes versuchen wir es mit den Schuhen.« Dieses Mal dauerte der Vorgang ziemlich lange. Die erforderlichen 

Daten  mußten  erst  aus  dem  Zentralspeicher  des  Herrschaftsrats abgerufen  werden  und  ließen  sich  dann  erst  mit  den  bereits gefundenen Personeninformationen vergleichen. Daan‐Bar stieß einen Laut der Verblüffung aus, als er das Ergebnis 

sah. Übriggeblieben waren nur zwei Namen. »Einer davon muß unser Mann  sein«,  stieß Daan‐Bar  hervor. Er 

spürte, wie  ihn eine Art  Jagdfieber erfaßte. Er sah hinüber zu dem Abteilungsleiter. Der wollte sich gerade mit verschränkten Armen in einer Na‐also‐Geste genießerisch zurücklegen, sah dann aber Daan‐Bars Blick und blieb aufrecht sitzen. »Hm«, machte Daan‐Bar. Nur  er  konnte  die  beiden Namen  auf 

dem Bildschirm lesen, und er hatte sich beide Informationen bereits eingeprägt, auch die zugehörigen Adressen. Wenn er den Emulator nun selbst stellte und verhaftete? In  der  letzten  Zeit  hatte  er  im Herrschaftsrat  einiges  einstecken 

müssen.  Solch  ein  Erfolg  hätte  nicht  nur  den Kritikern  das Maul gestopft  –  er  konnte  auch  Daan‐Bars  Einfluß  im  Herrschaftsrat stärken. Vielleicht  gelang  es  ihm dann  auch, den Oberbefehl über die Flotte zu bekommen. 

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Daan‐Bar ging die Möglichkeiten durch. Wer konnte, für den Fall, daß der Aufstieg klappte,  sein Nachfolger,  in  seinem  jetzigen Amt werden? Haan‐Kur  auf  keinen  Fall,  und  das war  gut  so,  denn  er verstand sich mit Daan‐Bar alles andere als gut. Tool‐Min, das wäre der rechte Mann, gut, zuverlässig und gewissenhaft und privat mit Daan‐Bar  befreundet.  Die  Flotte  und  die  gesamte Systemsicherheitsorganisation  in  der Hand  zweier  Freunde  –  das hätte  den  beiden  im Herrschaftsrat  eine  Position  eingebracht,  die nicht mehr zu erschüttern war. Und soweit Daan‐Bar bekannt war, wußte niemand etwas von seiner Freundschaft zu Tool‐Min. Den  Abteilungsleiter  gedachte  Daan‐Bar  ein  paar  Rangstufen 

hinauf und einige Machtstufen hinab zu befördern – auf irgendeinen klangvollen,  gutbezahlten  Posten,  auf  dem  er  wenig  Schaden anrichten konnte. Langsam nahm der Plan  in Daan‐Bar Gestalt an.  Ja,  so würde er 

vorgehen. »Gute Arbeit«, lobte er den Abteilungsleiter. »Es wird sich für dich 

lohnen, das verspreche ich dir.« »Soll  ich  unsere  Jäger  informieren?«  fragte  der  Abteilungsleiter 

und  konnte  sich  dabei  ein  feines  Lächeln  nicht  verkneifen. Vermutlich  hatte  er  in  groben  Zügen  Daan‐Bars  Absicht durchschaut. »Ich  werde  diesmal  andere  Methoden  verwenden«,  bestimmte 

Daan‐Bar. Er schaltete den Monitor ab. »Das war wohl alles für den Augenblick.« Der Abteilungsleiter verstand und verschwand aus dem Zimmer. Daan‐Bar leckte sich die Lippen. Einen Emulator mit eigener Hand 

verhaften, das war etwas. Natürlich durfte er die Sache nicht publik machen, das hätte dem Ruf des Herrschaftsrats geschadet. Daß  es einen  Emulator  gab,  war  zwar  ein  offenes  Geheimnis,  aber  in amtlichen Verlautbarungen war eine solche Person niemals erwähnt worden  –  jedes  andere  Verhalten  hätte  dem  Emulator  nur  neue Kundschaft zugeführt. 

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Daan‐Bar öffnete eine Schublade und nahm seine Waffe heraus. Er verließ  sein Büro und  ließ  sich vom Antigravlift hinuntertragen  in die vierte Kelleretage  zum  Schießstand. Er hatte  lange nicht mehr geschossen  und  wollte  erst  einmal  überprüfen,  wie  sicher  seine Hand noch war. Mit dem Ergebnis konnte er zufrieden sein, fast alle Schüsse lagen 

gut, einige sehr präzise im Zentrum. Gutgelaunt  verließ  Daan‐Bar  das  Gebäude  auf  dem  üblichen 

Schleichweg. Das Wetter war ausgesprochen scheußlich. Über Khadan fegte ein 

heftiger  Schneesturm, der den öffentlichen Verkehr  teilweise hatte zusammenbrechen  lassen.  Daan‐Bar  sah  viele  mürrische  und verdrossene  Gesichter,  aber  es  störte  ihn  nicht.  Solange  die Walgonier  über  das Wetter  zu  schimpfen  hatten,  ließen  sie  ihre Kritik nicht am Herrschaftsrat aus. Außerdem war das winterliche Wetter bestens dazu geeignet,  alle  optimistischen Erwartungen  zu dämpfen, die mit dem großen Tag der Großen Magischen Synopse zusammenhingen.  Darüber  wurde  in  letzter  Zeit  viel  zuviel gemunkelt, fand Daan‐Bar. Der erste Verdächtige,  für den er  sich entschieden hatte, war ein 

gewisser  Laar‐Pan,  ein  Handelsvertreter  für  Kräuterprodukte, angestellt  bei  einem  großen  Staatsunternehmen,  das  im  ganzen System Filialen hatte. Laar‐Pan war schon ziemlich alt, hatte keine lebenden  Angehörigen,  war  unverheiratet  und  lebte  auch  mit niemandem zusammen – dies und einiges mehr hatte Daan‐Bar den Akten des Mannes entnehmen können. Außerdem  hatte  die  schnelle  Überprüfung  seiner  Gleiterfahrten 

ergeben,  daß  sein  Fahrzeug  auf  dem  Siloplatz  seiner  Firma abgestellt war, seit acht Stunden. Daan‐Bar lächelte, als er daran dachte. Die  automatische  Wegüberprüfung  hatte  er  durch  erheblichen 

Widerstand  gegen  eine  Mehrheit  im  Herrschaftsrat  durchsetzen können.  Schließlich  war  es  mit  immensen  Kosten  verbunden 

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gewesen,  jedes  im  System  zugelassene  Fahrzeug  mit  einem Kodegeber  zu  versehen  und  dessen  Impulse  von  einem  großen Rechner  fortwährend  auswerten  zu  lassen.  Erst  als Daan‐Bar  eine Sonderliste von Fahrzeugen zugestanden hatte, die nicht auf diese Weise  überwacht  wurden,  hatten  sich  die  Mitglieder  des Herrschaftsrats überzeugen lassen. Im  Fall  von  Laar‐Pan  hatte  die  Auswertung  ergeben,  daß  der 

Gesuchte am Morgen pünktlich in seiner Firma erschienen war und seinen Gleiter im Silo abgestellt hatte. Die  Auswertung  früherer  Fahrten  hatte  ergeben,  daß  Laar‐Pan 

üblicherweise nach Dienstschluß ohne Umwege  in seine Wohnung fuhr. Dorthin machte sich Daan‐Bar auf den Weg. Laar‐Pan schien nicht schlecht zu verdienen. Das Viertel, in dem er 

wohnte, gehörte zu den besseren Quartieren in dieser Wohnsektion. Von den Massenunterkünften war  es weit  entfernt,  und  nur  zwei Gebäudezeilen trennten es von jenem Viertel, in dem auch Daan‐Bar Quartier bezogen hatte. Als  er den Bezirk  erreichte,  stellte Daan‐Bar  leicht gruselnd  fest, 

daß  er  den  geheimnisvollen  Emulator  theoretisch  von  seinem eigenen  Badezimmerfenster  hätte  überwachen  können.  War  es Zufall,  daß  Laar‐Pan  ausgerechnet  in  der  Nähe  des Prominentenviertels eine Wohnung bezogen hatte? Bisher  waren  keinerlei  Aktivitäten  des  Emulators 

bekanntgeworden,  aus  denen  man  auf  gewalttätige Umsturzversuche,  Attentate  oder  dergleichen  hätte  schließen können. Die jüngste Beobachtung ließ Daan‐Bar am Ergebnis solcher Auswertungen allerdings zweifeln. Daan‐Bar  zog die  Jacke  enger  um die  Schultern. Der Wind  pfiff 

über die Straßen und ließ den Schnee fast waagrecht durch die Luft fliegen. Es war schmerzhaft kalt, aber Daan‐Bar drückte sich  in der Nähe  des  Parkplatzes  herum,  auf  dem  Laar‐Pan  seinen  Gleiter normalerweise abstellte. Er  brauchte  nicht  lange  zu  warten.  Daan‐Bar  hatte  sich  das 

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amtliche Kennzeichen gemerkt. Es war Laar‐Pans Gleiter, der  sich durch  den  Schneesturm  kämpfte  und  endlich  auf  dem  üblichen Platz zum Stillstand kam. Daan‐Bar  legte  die Hand  über  die  Augen,  um  besser  sehen  zu 

können,  aber  es  half  nicht  viel.  Das  Schneetreiben  ließ  nur  eine vermummte Gestalt erkennbar werden, die den Gleiter verließ und eilig den schmalen Weg zum Haus entlangtrabte.   

3.  »Was willst du?« fragte Laar‐Pan entsetzt und hielt alle Arme in die Höhe. Die Aktentaschen hatte er fallengelassen. »Geld?« »Zwei Schritte zurück zur Wand, dann dreh dich um!« stieß Daan‐

Bar hervor. Er hatte Laar‐Pan überrascht, als der Emulator gerade die Tür zu 

seiner Wohnung geöffnet hatte. Mit  einem Fuß  stieß Daan‐Bar die Tür  zu, während  er mit den  unteren Armen dem Verhafteten die Handschellen  anlegte,  ihn  mit  der Waffe  in  der  oberen  Rechten bedrohte  und  die  Linke  dabei  war,  Laar‐Pan  nach  Waffen  zu durchsuchen. »Ich  habe  keine Waffe«,  stieß  Laar‐Pan  hervor.  Er  hatte  beide 

Köpfe gewendet. Der linke Kopf sah völlig verständnislos drein, im rechten Gesicht spiegelte sich Panik beim Anblick der Waffe. Daan‐Bar stieß den Emulator in seine Wohnung hinein. »Du hast jetzt zwei Möglichkeiten«, sagte er scharf, während er die 

Waffe auf den Verhafteten gerichtet hielt. »Entweder du redest jetzt und  freiwillig,  oder  wir  werden  dir  die  Zungen  mit  unseren Methoden zu lösen wissen. Also, gibst du es zu?« »Was, beim Licht Gaulats, soll ich zugeben? Ich habe nicht einmal 

das kleinste Gebot übertreten.« »Ich weiß«, lächelte Daan‐Bar. »Das ist mit ein Grund, weshalb ich 

hier bin.« 

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Er hielt dem Gefangenen sein Dienstkennzeichen hin, das  ihn als Mitglied der Tabu‐Jäger auswies, allerdings als rangniedriges. »Weil ich nichts getan habe, verhaftest du mich?« Laar‐Pan begann am ganzen Leib zu zittern. Offensichtlich war er 

nicht  nur  emotionell  am  Ende  seiner  Kräfte,  sondern  auch verstandesmäßig völlig überfordert. »Außerdem hast du keine lebenden Angehörigen«, hielt Daan‐Bar 

dem Emulator vor. »Wie  sollte  ich«,  stieß  Laar‐Pan  hervor.  »Ich wurde  als  einziger 

Überlebender  einer  Raumschiffskatastrophe  geborgen,  ohne  jedes Identitätspapier. Meine Eltern müssen an Bord gewesen sein, aber es hat  sich  nicht  feststellen  lassen, wer  sie  gewesen  sind. Das  Schiff wurde durch eine Explosion völlig zerstört. Meinen Namen habe ich von der Behörde bekommen.« »Wann ist das gewesen?« fragte Daan‐Bar. »Ich war damals ein Säugling«, antwortete Laar‐Pan. Er sah, daß 

es ihm nicht ans Leben ging, wenigstens nicht sofort, und beruhigte sich ein wenig. Daan‐Bar stieß eine Verwünschung aus. »Das wird sich feststellen lassen«, sagte er drohend. »Arbeitest du 

auch zu Hause?« »Mein Anschluß steht dort drüben. Du brauchst nur die Klappe zu 

öffnen.« In dem Fach fand sich der Standardanschluß für den Großrechner 

der  Stadt.  Daan‐Bar  schaltete  das  Gerät  ein  und  stellte  über  den städtischen  Rechner  eine  Verbindung  zum  Rechner  seines  Amtes her. Der Kode, den er schnell eintippte, berechtigte ihn zum Zugriff auf allgemeine Daten – mehr war in diesem Fall auch nicht nötig. Es dauerte zwei Minuten, dann rollte die Akte des Laar‐Pan über 

den  Bildschirm.  Er  war  tatsächlich  im  Alter  von  sechs Monaten aufgefischt  worden.  Ein  Rettungsschiff  hatte  als  einziges Überbleibsel  des  Fährschiffs  zwischen  den  beiden  Planeten  die Notboje  gefunden.  Das  Kind  wurde  von  Amts  wegen  mit  dem 

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Namen Laar‐Pan ausgestattet und war in staatlichen Organisationen erzogen worden. Daan‐Bar murmelte eine Verwünschung.  In seinem Eifer hatte er 

vergessen,  sich diese Daten  schon vorher geben zu  lassen. Er kam sich ziemlich lächerlich vor. »Und was ist mit deinen Schuhen?« fragte er, obwohl er mit keiner 

Antwort rechnete, die ihm in irgendeiner Form weiterhalf. »Was soll damit sein? Es sind bequeme Schuhe. Ich bestelle schon 

seit Jahrzehnten immer dieses Modell, ich kann darin besonders gut laufen, weißt du, und ich muß sehr viel laufen in meinem Beruf.« Daan‐Bar schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Du verbrauchst sehr viele Schuhe«, stellte er fest. »Und deswegen  legst du mir Handschellen an? Weil  ich ein paar 

Schuhe mehr  brauche  als  andere? Weiß  dein Vorgesetzter  davon, was du hier veranstaltest? Ich werde mich beschweren.« In Daan‐Bars Augen glomm ein gefährliches Feuer auf. Wenn  Laar‐Pan  sich  tatsächlich  beschwerte,  hatte  er 

selbstverständlich keine Aussicht auf Erfolg – Daan‐Bar würde den Vorgang verschwinden  lassen. Aber auf dem Weg zu seinem Büro wurde  dieser  Vorgang  von  einer  Instanz  nach  der  anderen  zur Kenntnis genommen, und dann war es unausbleiblich, daß der eine oder  andere  sich  fragte,  warum  wohl  der  Leiter  der Sicherheitsorganisation  auf  eigene  Faust  Verhaftungen  vornahm. Das durfte unter keinen Umständen geschehen. »Das  wirst  du  nicht  tun«,  sagte  Daan‐Bar  leise.  Mit  beiden 

Augenpaaren starrte er sein Gegenüber an. Laar‐Pan erbleichte. »Ich werde schweigen«, sagte er nach einigem Zögern. Daan‐Bar  löste  seinem Gefangenen  die Handfesseln.  Er  sah  ein, 

daß er einen Fehler gemacht hatte. »Du  solltest  den  Vorfall  vergessen«,  sagte  Daan‐Bar.  Um  den 

Handelsvertreter  für den Schreck ein wenig zu entschädigen,  legte Daan‐Bar ihm ein paar Sonderbezugsscheine auf den Tisch. Der Alte sah es und lächelte. 

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»Von mir wird niemand etwas erfahren«, sagte er. Daan‐Bar  ließ  seine Waffe wieder  in der Kleidung verschwinden 

und verließ verdrossen die Wohnung. Auf der Straße schlug er sich den Kragen hoch, damit ihm der Schnee nicht in den Nacken rieseln konnte. Er murmelte eine Verwünschung.   

*  Laar‐Pan  spähte  aus  dem  Fenster.  Er  konnte  den  unfreundlichen Besucher  im  Schneetreiben  verschwinden  sehen.  Laar‐Pan  nickte langsam. »Also doch«, sagte er leise. Dann ging er hinüber zu seinem Rechneranschluß und wählte eine 

Nummer.  Wenig  später  tauchte  auf  dem  Bildschirm  das wohlvertraute Gesicht des Emulators auf. »Ich grüße dich, Laar‐Pan«, sagte Ziir‐Tinc freundlich. »Ich habe gerade Besuch bekommen«, berichtete Laar‐Pan sofort. 

»Jemand  von  der  Sicherheitsorganisation.  Ich  müßte  mich  sehr täuschen, wenn es nicht Daan‐Bar gewesen ist.« »Der Leiter der Behörde?« Laar‐Pan nickte. »Ich habe sein Bild oft genug gesehen. Er kam allein – und er hat 

nach den Schuhen gefragt.« Über  die  Gesichter  von  Ziir‐Tinc  flog  ein  Lächeln.  Auf  dem 

Verstandeskopf  wirkte  es  überlegen,  auf  dem  Gefühlskopf  ein wenig spöttisch. »Ich habe es geahnt«, sagte Ziir‐Tinc. »Es hat lange gedauert, aber 

unser Trick hat funktioniert.« »Ein sehr gefährlicher Trick, wie  ich  finde«, antwortete Laar‐Pan. 

»Mir  schlottern  noch  jetzt  alle  vier Knie. Als Daan‐Bar  bemerkte, daß  er  bei mir  nicht weiterkam, war  ich  so  leichtsinnig,  ihm mit einer Beschwerde zu drohen. Er hat mich angesehen, als wollte er 

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mich gleich auf der Stelle ermorden.« »Er hat es nicht getan«, sagte Ziir‐Tinc gelassen. »Und jetzt bist du 

außer  Verdacht,  ein  für  allemal.  Sollte  jemals  eine  Spur  zu  dir führen,  solange Daan‐Bar  im Amt  ist, wird  er  selbst dafür  sorgen, daß man dich in Ruhe läßt.« »Wer  hat  eigentlich  diese  verrückte  Idee  ausgebrütet?  Über 

Mittelsmänner  in  der  Sicherheitsbehörde  den Verdacht  genau  auf uns zu lenken?« »Das  ist  meine  Idee  gewesen«,  antwortete  Ziir‐Tinc  zufrieden. 

»Gerade  in dieser Zeit müssen wir ungestört arbeiten können, und was wäre  da  hilfreicher  als  eine  amtliche Überprüfung,  die  jeden Verdacht aus der Welt schafft.« »Ich  bin  nicht  ganz  sicher,  ob  dieser  Plan  auch  wirklich 

funktioniert«, sagte Laar‐Pan. »Dieser Daan‐Bar scheint mir ein sehr gefährlicher Mann  zu  sein,  intelligent  und  ehrgeizig,  das  ist  eine üble Kombination, wenigstens aus unserer Sicht.« »Völlig richtig«, stimmte Ziir‐Tinc zu. »Aber er ist auch eitel, und 

wenn du von der Summe  seiner Begabungen und Fähigkeiten die Eitelkeit abziehst, bleibt nicht mehr sehr viel übrig.« »Du wirst es wissen. Laufen die Vorbereitungen plangemäß?« Ziir‐Tinc machte eine Geste der Zustimmung. »Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen«, sagte er zufrieden. 

»Im übrigen –  ich brauche einen Satz neuer Schuhe. Hast du daran gedacht?« »Sie werden dir  in der  nächsten Zeit  zugehen«,  versprach Laar‐

Pan, dann trennte er die Verbindung. Zur Gänze beruhigt hatte ihn Ziir‐Tinc nicht. Es blieb ein Rest von 

Unsicherheit – ein sehr bedrohlicher Rest.   

*  Daan‐Bar schlürfte langsam das heiße Getränk. Die Wärme, die sich 

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in  seinem Magen ausbreitete,  trug etwas dazu bei,  seinen Mißmut zu dämpfen. Er empfand seinen Rückzug aus Laar‐Pans Wohnung als  demütigend.  Eine  solche  Panne  durfte  ihm  in  seiner  Stellung nicht unterlaufen. Daan‐Bar  sah  auf  die Uhr.  Bis  die  nächst  Fähre  nach Walgon  II 

startete, würden noch sieben Stunden vergehen. Der  Flug  nach  Walgon  II  würde  fast  einen  ganzen  Tag  in 

Anspruch nehmen, desgleichen der Rückflug – falls Daan‐Bar auch dann wieder eine Fähre benutzte. Er würde drei bis vier Tage sein Büro  nicht  aufsuchen  können.  Schaffte  er  es,  bei  seiner  Rückkehr einen  verhafteten  Emulator  vorzuweisen,  fiel  das  nicht weiter  ins Gewicht. Kam er hingegen mit  leeren Händen zurück, würde man ihm mit Sicherheit lästige Fragen stellen. Die anderen Gäste nahm Daan‐Bar nicht wahr. Er grübelte vor sich 

hin. Schließlich kam er zu einer Entscheidung. Er wollte alles auf eine 

Karte setzen. Von der Bedienung  ließ er sich eine Verbindung zu seinem Büro 

herstellen.  Daan‐Bars  Stellvertreter,  ein  schweigsamer Walgonier, dessen  Gesichter  von  einem  nicht  auskurierten  Magenleiden deutlich  geprägt waren, meldete  sich  nach  kurzer  Zeit. Daan‐Bar kam sofort zur Sache. »Ich  brauche  einen  schnellen  Raumjäger,  das  schnellste Modell, 

das wir haben«, ordnete er an. »Einsitzer?«  fragte  sein  Stellvertreter  knapp  zurück, während  er 

gleichzeitig  auf  der  Rechnertastatur  herumfingerte  und  die Bestellung eingab. Daan‐Bar  wollte  mit  dem  Emulator  als  seinem  Gefangenen 

zurückkehren,  und  wahrscheinlich  war  es  dann  auch  besser,  ein oder zwei Wachen mitzunehmen. »Viersitzer«, antwortete Daan‐Bar. »Wann kann der Jäger startklar 

sein?« »In weniger als einer Stunde, wenn es sein muß. Wir müßten die 

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Flotte um Hilfe bitten, die sind in solchen Sachen sehr flink.« Daan‐Bar rümpfte die Nasen. »Meinetwegen«, sagte er schließlich. »Ich bin  in einer Stunde am 

Raumhafen.« »Ich  bekomme  gerade  die  Bestätigung.  Der  Jäger  wird  dann 

startklar sein.« Daan‐Bar  nickte  zufrieden  und  trennte  die  Verbindung. 

Anschließend bezahlte  er das Getränk, obwohl  er als Mitglied des Herrschaftsrats Waren und Dienstleistungen normaler Art  jederzeit ohne  Bezahlung  anfordern  konnte. Das war  eines  der  Privilegien, das  mit  dem  Aufstieg  in  den  Herrschaftsrat  verbunden  war.  In seiner  jetzigen  Lage  erschien  es  Daan‐Bar  allerdings  ratsam,  sich nicht als Herrschaftsratmitglied erkennen zu lassen. Das  Schneegestöber  hatte  keineswegs  nachgelassen. Es  sah  ganz 

danach  aus,  als  würde  in  absehbarer  Zeit  der  innerstädtische Verkehr völlig zusammenbrechen. Daan‐Bar  hatte  richtig  kalkuliert.  Bei  diesem  Chaos  auf  den 

Straßen brauchte er fast eine Stunde, bis er den Raumhafen erreicht hatte.  Während  er  den  Gleiter  abstellte,  überflog  er  die Ansammlung von Schiffen auf dem Hafen. Wenn  man  die  Tatsache  berücksichtigte,  daß  es  außer  den 

Walgoniern  selbst  kein Volk  gab,  gegen  das man  die  Flotte  hätte einsetzen können, mußte man die Raumflotte unter dem Oberbefehl des  Herrschaftsrats  geradezu  als  gigantisch  bezeichnen  – siebenundvierzig  kampftüchtige  Schiffe  standen  allein  auf  diesem Raumhafen und warteten auf einen Einsatz. Und es gab  insgesamt siebzehn  Raumhäfen  für  militärische  Zwecke  auf  den  beiden Planeten des Systems. Der flinke Jäger, der auf Daan‐Bar wartete, war in dieser Zahl noch 

nicht  einmal  enthalten,  er  wurde  zu  den  Beibooten  gerechnet. Immerhin war  er  schnell genug, die Distanz  zwischen den beiden Planeten  in zwei Stunden zu bewältigen –  im Extremfall wäre die Reise  noch  schneller  vonstatten  gegangen,  aber  die 

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Überlichttriebwerke wurden innerhalb der Ewigen Barriere nur sehr selten eingesetzt. Daan‐Bar  ließ den Jäger starten und durchquerte die Atmosphäre 

von Walgon I. Auf  einem  der  Monitoren  war  eine  Darstellung  des  gesamten 

Systems  zu  sehen  – deutlich war  zu  erkennen, daß  es  nicht mehr lange dauern konnte, bis die beiden Planeten und die beiden Sonnen in einer geraden Linie standen. Daan‐Bar konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Für  gewöhnliche Walgonier  war  das  Sternenzauberei  –  und  so 

sollte es auch bleiben, nach dem Willen des Herrschaftsrats. »Hm«, murmelte Daan‐Bar. »Warum eigentlich nicht?« Er  änderte  den  Kurs  seines  Jägers.  Statt  des  kürzesten  Weges 

zwischen den beiden Planeten wählte er einen Kurs, bei dem nach einiger Zeit Walgon I vor den beiden Sonnen zu sehen sein würde. Perfekt war die Konstellation zu dieser Zeit noch nicht, aber Daan‐Bar würde  sich  einen  annähernden Eindruck  von dem  Schauspiel verschaffen können, auf das die mystischen Rebellen der Paudencer so sehnsüchtig warteten. Daan‐Bar wußte, daß er nur einen Planeten und zwei Sonnen zu 

sehen  bekommen  würde,  alles  andere,  was  die  Paudencer behaupteten, war Aberglaube und Unfug. Daan‐Bar stieß ein unterdrücktes Lachen aus. Das  Erwachen  bei  den  Paudencern würde  schrecklich  sein. Der 

große  Tag  würde  kommen,  nichts  würde  geschehen,  und  die Paudencer würden überaus enttäuscht sein. Es  hatte  seine  Gründe,  daß  der  Herrschaftsrat  die  Paudencer 

bisher  außerordentlich  gnädig  behandelt  hatte.  Diese Untergrundbewegung  wurde  gleichsam  offiziell  geduldet,  alle anderen  feindlichen  Bestrebungen  allerdings  gnadenlos  bekämpft. Nicht zuletzt dieser Strategie hatten es die Paudencer in den letzten Jahrzehnten zu verdanken gehabt, daß  ihre Zahl so angeschwollen war. 

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Wenn in absehbarer Zeit der große, geheimnisvolle Tag verstrich, ohne daß sich etwas änderte, würde die Untergrundbewegung der Paudencer mit einem Schlag in sich zusammenbrechen – von dieser Niederlage würden  sie  sich viele Generationen  lang nicht  erholen. Im Grunde würden sich diese Narren mit ihrem eigenen mystischen Unfug das Grab schaufeln. Daan‐Bars  Jäger  näherte  sich  der  vorausberechneten  Position. 

Daan‐Bar warf einen Blick auf den Panoramaschirm. Gaulat begann gerade hinter Paudenc zu verschwinden, und von 

links schien Walgon I auf dieses Gebilde zuzukriechen. Daan‐Bar änderte den Kurs ein wenig. Das  Licht  von  Paudenc  war  nun  sehr  grell  und  weiß,  an  den 

Rändern  von  grünlichen  Schleiern  durchsetzt.  Es  war  ein beeindruckendes Schauspiel, fand Daan‐Bar. Walgon  I  stand  erheblich näher  am  Jäger  als die  beiden  Sonnen 

und wirkte dadurch scheinbar, ebenso groß wie die Sonnen. Daan‐Bar hatte den Kurs exakt berechnet. Als schwarze Scheibe begann sich Walgon I vor das Bild der Sonne 

zu schieben. Die Bewegung des Jägers ließ diesen Vorgang erheblich schneller werden, als er sich am großen Tag vollziehen konnte. Mehr als ein Drittel der beiden Sonnen war nun vom Schatten des 

Planer ten bedeckt. Daan‐Bar  spürte,  wie  eine  leise  Übelkeit  in  ihm  aufstieg.  Ihm 

wurde unbehaglich zumute. Das gründliche Training, das er hatte absolvieren müssen, ließ ihn 

die  Gefühlsausbrüche  seines  rechten  Gehirns  unterdrücken.  Kalt und nüchtern musterte er mit dem linken Kopf das Bild, während er rechts beide Augen geschlossen hielt. Von Paudenc war nur noch eine grell strahlende Sichel zu sehen, 

die sich immer mehr verkleinerte. Daan‐Bar verzögerte den  Jäger. Er wollte die  letzten Augenblicke 

des Schauspiels in die Länge ziehen. Langsam  wurde  die  Sichel  schmaler  und  schmaler.  An  den 

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Rändern des Walgon‐Schattens  lohte und waberte die Korona der beiden  Sonnen,  die  nur  unter  diesen  Bedingungen  überhaupt  zu sehen war. Dann war es soweit. Walgon I deckte scheinbar beide Sonnen ab. Daan‐Bar sah das Bild, nickte und begann zu  lachen. Ohne es zu 

wollen, öffnete er die Augen des rechten Kopfes. Das Bild traf ihn wie ein körperlicher Schlag. Er verstand nichts – und begriff doch alles. Nur der  rechte Kopf 

war  in  der  Lage,  den  Inhalt  dieses  Bildes  aufzunehmen,  und  er schickte Gefühlswelle auf Gefühlswelle durch Daan‐Bar. Zuerst  ergriff  ihn  fürchterliche  Angst,  die  ihm  den  Atem 

abschnürte. Die schwarze Scheibe von Walgon I vor dem lodernden Hintergrund der Sonnenkorona erschien ihm wie die Verkörperung des Todes. Daan‐Bar  spürte, wie  er  zu  zittern  begann,  seine Hände  ballten 

sich zu Fäusten, die Knöchel verfärbten sich weiß, die Nägel gruben sich tief ins Fleisch, und er spürte den Schmerz nicht. Nach  der  Angst  kam  die  Trauer,  der  Schmerz  einer  völligen, 

hoffnungslosen Einsamkeit,  ein  Strudel der Verzweiflung,  der  ihn nicht mehr loslassen wollte. Gleichzeitig wurden  ihm die Zusammenhänge deutlich – was  es 

hieß, in der Ewigen Barriere eingesperrt zu sein, ohne die geringste Hoffnung und Aussicht auf Änderung. Maßlose Wut stieg  in  ihm auf. Das Zittern seines Körpers wurde 

immer  heftiger.  In  seinen durcheinanderwirbelnden Gedanken  riß er die Ewige Barriere ein, zertrümmerte und vernichtete sie. Unglaublicher  Haß  auf  die  Mächte,  die  die  Walgonier  in  der 

Ewigen Barriere eingesperrt hatten, wühlte ihn auf. Der  Jäger  flog weiter,  das  Bild  löste  sich  auf. Weißschimmernd 

tauchte Paudenc auf, und Daan‐Bar spürte, wie sich die Krämpfe in seinem  Körper  lösten.  Sein  Atem  ging  tiefer  und  ruhiger,  seine Gesichtszüge entspannten sich. Er  kannte  jetzt  die  Zusammenhänge,  und  er wußte,  daß  er  sie 

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niemals würde vergessen können. Er wußte jetzt, daß die Walgonier ihre schreckliche Haft hinter der 

Ewigen  Barriere  nicht  jahrtausendelang  hätten  ertragen  können, wäre  nicht  kurz  nach  dem  Beginn  der Haft  das  Gesetz  über  die Komissurotomie erlassen worden. Kein Walgonier hätte ohne diesen Eingriff lange leben können, er wäre wahnsinnig geworden. Tiefer Frieden breitete sich in Daan‐Bar aus, er lächelte auf beiden 

Gesichtern. Er wußte  jetzt, daß der große Tag  tatsächlich die Wende bringen 

mußte,  auf  die  die  Paudencer  hofften. Der Anblick,  der  sich  ihm geboten  hatte,  würde  die  ganze  Bevölkerung  in  ähnlicher Weise aufwühlen wie ihn, vielleicht noch stärker. Dieser Tag würde das Ende des Herrschaftsrats bringen. Danach 

würden  sich  die Walgonier  niemals  wieder  einer  rein  logischen, vernunftmäßigen  Gesellschaft  unterordnen.  Das  herrschende System mußte auseinanderbrechen. Und Daan‐Bar freute sich darauf.   

4.  Ziir‐Tinc verließ die Wohnung seines Klienten mit einem Gefühl der Verbitterung. Wieder  einmal waren  seine Bemühungen  vergeblich gewesen  –  einem Walgonier, der  im Zweifelsfall  seinem Verstand mehr  traute  als  seinen wachen  Sinnen, war  nicht  zu  helfen,  auch wenn er sich noch so quälte. Der  Antigravlift  brachte  Ziir‐Tinc  auf  die  Straße.  Es  war 

Mittagszeit, und die Straßen waren fast leer. Nur ab und zu jagte ein Gleiter  an  Ziir‐Tinc  vorbei,  als  er  langsam  den Weg  nach Hause antrat. Schlimm war, daß er selbst es nur selten vermochte, die  Impulse 

seiner beiden Gehirne zu koordinieren; wieviel schwerer mußte das jemandem fallen, der es noch nie versucht hatte. 

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Unwillkürlich sah Ziir‐Tinc hinauf zum Himmel. Paudenc stand vor Gaulat,  jeder konnte  es  sehen. Der  entscheidende Tag kam  immer näher. »Was werden sie unternehmen?« murmelte Ziir‐Tinc. Er war nicht so dumm, seinem Gegner Tatenlosigkeit oder Mangel 

an  Intelligenz  zu  unterstellen.  Der  Herrschaftsrat  wußte  von  der Existenz  der  Paudencer,  und  Ziir‐Tinc  kannte  die  Mittel  der Gaulater  gut  genug  –  sie  hätten den Paudencern  auf  ganz  andere Art und Weise zusetzen können. Vor  wenigen  Wochen  erst  hatten  die  Ordnungskräfte  eine 

Geheimorganisation  ausgehoben,  eine  weitverzweigte Verbrecherbande, die zwei Jahrzehnte lang ihr Unwesen auf beiden Planeten  getrieben  hatte.  Ziir‐Tinc  hatte  die  Berichte  über  die Fahndung und Festnahme der Bande genau studiert und sich über seine geheimen Kanäle einige weitere Informationen besorgt. Daher wußte er genau, daß der Herrschaftsrat die Paudencer  längst hätte nahezu verschwinden  lassen können, wenn  es dem Herrschaftsrat gepaßt hätte. »Sie haben etwas vor, ganz bestimmt. Aber was?« Er  benutzte  einen  der  großen  Personengleiter,  die  bis  zu 

vierhundert Fahrgäste schnell und bequem  transportieren konnten. Auf  dem  Sektor  erwies  sich  die  sture  Städtearchitektur  des Herrschaftsrats ausnahmsweise einmal als günstig – das öffentliche Netz von Gleitern war nahezu perfekt. Keine Einstiegsstation war von einer Wohnung weiter als dreihundert Meter entfernt, und die Gleiterbusse fuhren in Abständen von drei bis vier Minuten. Mit nur einmaligem  Umsteigen  konnte  man,  eine  günstige  Witterung vorausgesetzt, binnen einer halben Stunde von  jedem Ort der Stadt an jeden anderen gelangen. Gewohnheitsmäßig wechselte Ziir‐Tinc mehrfach  den Gleiter;  er 

hielt  sorgfältig  Ausschau,  ob  ihn  jemand  verfolgte. Wie  er  nicht anders erwartet hatte, ließ man ihn in Ruhe. In  der Nähe  seiner Wohnung  allerdings  stieß Ziir‐Tinc  auf  eine 

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unangenehme  Überraschung.  Das  Kennzeichen  eines  geparkten Privatgleiters kam ihm bekannt vor. Es war einer der Unterführer der Sektion sieben, die auf einem der 

anderen Kontinente von Walgon II arbeitete. »Was  fällt  dem  Burschen  ein?« murmelte  Ziir‐Tinc  grimmig.  Er 

hatte  immer  dafür  gesorgt,  daß  niemand  seine  Spuren  verfolgen konnte – und jetzt suchte ihn einer der Unterführer privat auf. Hastig  sah  sich Ziir‐Tinc um. Von  Spitzeln war nichts  zu  sehen, 

allerdings wußte  Ziir‐Tinc,  daß  es  technische Geräte  gab,  die  das Nachschnüffeln  zu  einem  Kinderspiel  werden  ließen.  Winzige Kameras,  mikroskopisch  kleine  Mikrophone  und  allerlei  andere Dinge. Ziir‐Tinc entschloß sich, seine Wohnung dennoch aufzusuchen. Der  Unterführer  der  Sektion  sieben  war  ein  schlanker  junger 

Mann,  der  nervös  mit  allen  zwanzig  Fingern  spielte  und  einen gehetzten  Eindruck machte.  Er wartete  vor  der Wohnungstür  auf Ziir‐Tinc  und  riß  alle  vier  Augen  weit  auf,  als  er  den  Emulator erkannte. »Du?« stammelte er. »Wundert dich das?«  fragte Ziir‐Tinc grimmig. Niemand war auf 

dem Gang. Er geleitete den jungen Mann in die Wohnung. »Aber  ja doch«,  stieß Ollon‐Tur  hervor,  sichtlich  außer  Fassung. 

»Dich wollte ich gar nicht besuchen. Ich habe mir diese Adresse von Freunden geben lassen, weil ich einen guten Seelenheiler brauche.« Das war natürlich ein unglaublicher Zufall, aber leider nicht mehr 

aus der Welt zu schaffen. »Setz dich«,  sagte Ziir‐Tinc, während  er die Kleidung wechselte. 

»Falls du Hunger hast oder Durst – bediene dich.« Ollon‐Tur schüttelte die Köpfe. »Ich kann jetzt nichts essen«, klagte er. »Ich habe Probleme.« »Worum  geht  es?«  fragte  Ziir‐Tinc  und  nahm  gegenüber  von 

Ollon‐Tur Platz. »Meine Frau«, sagte Ollon‐Tur kläglich. »Ich habe es bis  jetzt vor 

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ihr geheimgehalten, daß ich zu euch gehöre, denn ich weiß, daß sie überzeugte  Gaulaterin  ist.  Nun  hat  sie  es  aber  herausbekommen und  setzt mich  unter  Druck.  Entweder  soll  ich  die  Organisation verlassen, oder sie verläßt mich.« »Und du willst beides nicht«, vermutete Ziir‐Tinc. Mit  solchen Problemen wurde er des öfteren konfrontiert.  In der 

Regel  schlug  Ziir‐Tinc  dann  vor,  daß  der  Bedrängte  die Organisation  verließ,  jedenfalls  nicht  mehr  mitarbeitete.  Auf  ein Mitglied mehr oder weniger kam es nicht mehr an. »Richtig«,  bestätigte  Ollon‐Tur.  »Sie  hat  mir  eine  fürchterliche 

Szene gemacht. Aber das wäre noch zu ertragen. Sie verlangt aber von mir als Beweis, daß ich wirklich nicht mehr dazugehöre … daß ich alles verrate, was  ich über die Paudencer weiß. Und eines weiß ich ganz sicher – ich will mich nicht von meiner Frau trennen.« Ziir‐Tinc stieß einen Seufzer aus. Das Problem war ohnehin gewichtig genug, aber jetzt konnte er zu 

einer  echten  Krise  werden  –  Ollon‐Tur  war  das  einzige  nicht ranghohe Mitglied der Paudencer, das Ziir‐Tincs offizielle  Identität kannte. Ziir‐Tinc  betrachtete  sein  Gegenüber.  Ollon‐Turs  rechter  Kopf 

zeigte  Verzweiflung  und  sehr  viel  Angst,  das  rationale  Gesicht spiegelte Ratlosigkeit wider. »Hältst du es für möglich, Zeit zu gewinnen?« fragte Ziir‐Tinc. »Ein  paar  Tage  vielleicht,  aber  ganz  bestimmt  nicht  mehr«, 

antwortete Ollon‐Tur.  »Ich  glaube  zu wissen, was  dir  durch  den Kopf geht. Du rechnest auf die Große Magische Synopse, darauf, daß sie alles zum Guten wendet, auch die Einstellung meiner Frau, nicht wahr?« Ziir‐Tinc lächelte. »Ich glaube  fest daran«,  sagte  er. Ollon‐Tur beugte  sich vor und 

sah Ziir‐Tinc scharf an. »Wie  fest?«  fragte er  leise. »So  fest, daß du mir zumutest, meine 

Partnerschaft zu riskieren?« 

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Ziir‐Tinc zog die Lippen zusammen. Wie fest war sein Glaube an Paudenc? Daß der große Tag kommen 

würde, stand außer Zweifel. Nichts konnte die Sterne und Planeten aus ihren vorgezeichneten Bahnen werfen. Aber  der  gewaltige  Eingriff  in  das  Schicksal  der Walgonier,  der 

mit  diesem  Tag  verbunden  war  –  war  er  ebenso  sicher vorgezeichnet? Oder war er nur Schimäre, eine geistige Ausgeburt der Hoffnungslosigkeit? Ziir‐Tinc  dachte  an  die  geheimnisvolle  Stimme  der 

Emulatorquelle. Hatte  er die Worte wirklich  gehört,  oder  hatte  er halluziniert? »Gewißheit«,  murmelte  Ziir‐Tinc.  »Absolute,  unanfechtbare 

Gewißheit – es gibt sie nicht.« »Ich verlange keine absolute Gewißheit, Ziir‐Tinc.  Ich wüßte nur 

gerne, wieviel du selbst aufs Spiel setzen würdest.« Ziir‐Tinc lächelte. »Ich wage mein Leben«, sagte er einfach. »Wenn die Gaulater mich 

zu fassen bekommen …« Er wußte aus der Überlieferung der Emulatoren, daß ein Emulator 

nur sterben konnte, wenn ein neuer Emulator bereits geboren war – aber in der Geschichte der Walgonier war diese Voraussage niemals exakt überprüft worden. Gewiß – Ziir‐Tinc hatte seinen Vorgänger gekannt und er wußte auch, daß er mehr als dreimal so alt war, wie ein  Walgonier  bei  bester  Pflege  an  Jahren  überhaupt  erreichen konnte. Rein körperlich fühlte sich Ziir‐Tinc dem Tode nicht nahe. Aber  was  wurde  aus  dieser  extremen  Langlebigkeit  oder 

Unsterblichkeit, wenn die Gaulater alles daransetzen, ihn zu töten? Das  Entstehen  eines  Emulators,  seine  ganz  besonderen 

Fähigkeiten und Wirkungsweisen waren schon absonderlich genug. In welcher Weise wirkte das Emulatorprinzip? Griff es gestaltend in das Wesen und den Charakter eines einzelnen Walgoniers ein? Oder erreichte es durch Manipulation allen Geschehens, daß ein Emulator einfach nicht gefangengenommen und getötet werden konnte? 

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Was  würde  geschehen,  wenn  Ziir‐Tinc  sich  den Sicherheitsbeamten  stellte,  von  ihnen  zum  Tode  verurteilt  und hingerichtet werden  sollte? Würde  dann  in  einem Augenblick  ein neuer Emulator entstehen? Würden die Schüsse ihm nichts anhaben können? Oder griffen unbekannte Schicksalsmächte ein und  ließen die  Waffen  unbrauchbar  werden  oder  die  Henker  bewußtlos umfallen? Es  gab  keine  Antworten  auf  diese  Fragen,  und  in  diesem 

Augenblick empfand Ziir‐Tinc seine Existenz als Emulator weniger als Auszeichnung, sondern vielmehr als schreckliche Bürde. »Ich werde dir  sagen, was  ich  tun werde«,  sagte Ollon‐Tur und 

stand  auf.  »Ich werde meine Frau  ein paar Tage  lang hinzuhalten versuchen. Ich werde ihr Gewissensqualen zeigen, die ich gar nicht einmal  zu  spielen  brauche,  denn  ich  fühle  mich  innerlich  wie zerrissen. Ich werde ihr versprechen, mich den Behörden zu stellen –  und  ich  werde  sie  ein  paar  Tage  lang  belügen.  Sie  wird fürchterlich böse auf mich sein, aber damit werde ich fertig werden können.« Ollon‐Tur sah Ziir‐Tinc scharf an. »Am Morgen des großen Tages werde ich mich tatsächlich stellen 

– ich werde euch nicht verraten können, es wird für die Gaulater zu spät sein, um noch etwas unternehmen zu können. Unser Programm wird ablaufen können wie geplant. Geht alles gut, könnt  ihr mich später befreien – das Risiko nehme  ich auf mich. Geht es daneben, werde  ich  alles  erzählen, was  ich weiß  – dann könnt  ihr  zusehen, wie ihr damit fertig werdet. Ist das ein anständiger Vorschlag?« Ziir‐Tinc nickte. »Ich  kann  ihn  annehmen«,  sagte  er  langsam.  »Du  nimmst  eine 

große Last von meinen Schultern.« Ziir‐Tinc schloß den jungen Paudencer in seine Arme. »Wir werden es schaffen«, sagte er zuversichtlich. Er geleitete Ollon‐Tur zur Tür und öffnete sie.  

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 * 

 Daan‐Bar wußte  sofort, daß  er  jetzt den Emulator gefunden hatte. Von  Ziir‐Tinc  strahlte  etwas  aus,  das  Daan‐Bar  an  das  Erlebnis während  seines Fluges  erinnerte  –  an die Freude, die  er  am Ende empfunden hatte, und an die Zuversicht. Neben Ziir‐Tinc stand der junge Paudencer, den Daan‐Bar für sein 

Spiel herangezogen hatte. Ollon‐Tur konnte natürlich nicht wissen, daß seine Frau seit vielen 

Jahren auf der Gehaltsliste der Sicherheitsbehörden stand und alles, was  sie  von  Ollon‐Tur  erfuhr,  an  die  Dienststellen weitergab.  Er wußte auch nicht, daß die Berichte seiner Frau immer spärlicher und gehaltloser  geworden waren;  in  den  Akten  der  Sicherheitsorgane wurde  sie ungeachtet  ihres offiziellen Status  längst  als unbewußte Paudencerin  geführt.  Und  was  Ollon‐Tur  ebenfalls  nicht  wissen konnte,  war  die  Tatsache,  daß  Daan‐Bar  die  Frau  nur  mit  einer Drohung  dazu  hatte  verleiten  können,  Druck  auf  ihren  Mann auszuüben  –  Daan‐Bar  hatte  sie  persönlich  aufgesucht,  sich  zu erkennen  gegeben,  und  ihr  unmißverständlich  klargemacht,  daß Ollon‐Tur  für  immer  verschwinden  würde,  wenn  sie  Daan‐Bars Befehl nicht ausführte. Es war gelaufen, wie Daan‐Bar  es geplant hatte. Ollon‐Tur hatte 

sich  in  seiner  Verzweiflung  an  seine  Kameraden  unter  den Paudencern  gewandt.  Daß  Ollon‐Tur  beim  ersten  Versuch tatsächlich  bis  zum  Emulator  vordringen  würde,  hatte  Daan‐Bar allerdings nicht zu hoffen gewagt. »Zurück«, sagte Daan‐Bar. Die beiden Paudencer hoben die Arme. Daan‐Bar trat ein und schloß die Tür hinter sich. »Ich  kenne  ihn«,  stieß Ollon‐Tur  hervor.  Seine  Gesichter waren 

weiß vor Schrecken. Ziir‐Tincs Ratio‐Gesicht zeigte Unverständnis, der Gefühlskopf hatte einen Ausdruck der Neugierde. »Es  ist  Daan‐Bar«,  sagte  der  Emulator  gelassen.  »Oberster 

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Dienstherr aller Tabu‐Jäger.« Daan‐Bar lächelte, dann steckte er die Waffe weg. Ollon‐Tur machte Anstalten,  sich  unverzüglich  auf Daan‐Bar  zu 

stürzen,  aber  Ziir‐Tinc  hielt  ihn  mit  einer  energischen Armbewegung davon ab. »Ich wittere  eine Überraschung«,  sagte Ziir‐Tinc.  Er  beugte  sich 

etwas vor und sah Daan‐Bar sehr genau an. Daan‐Bar lächelte noch immer. »Es  ist  so, wie du vermutest«,  sagte er  freundlich. »Ich bin nicht 

gekommen, um euch zu verhaften. Ich will euch vielmehr helfen.« »Das glaube, wer will«, stieß Ollon‐Tur heftig hervor. Daan‐Bar  berichtete  kurz  und  knapp, was  ihm  bei  seinem  Flug 

nach Walgon  II  zugestoßen war. Über die Gesichter von Ziir‐Tinc flog ein  triumphierendes Lächeln, während Ollon‐Tur vor Staunen ganz starr stand. »Es  ist  so, wie  ich es  sage«,  schloß Daan‐Bar  seine Erklärung ab. 

»Dieser  Tag  wird  das  Schicksal  unseres  Volkes  von  Grund  auf ändern.« »Hm«,  machte  Ziir‐Tinc.  »Wenn  die  Wirkung  jetzt  schon  zu 

spüren ist …« Der Kommunikator meldete sich mit einem hohen Piepston. Ziir‐Tinc runzelte die Brauen, dann ging er zu dem Gerät hinüber. 

Das Gesicht einer Frau erschien auf dem Bildschirm. Sie sah an Ziir‐Tinc  vorbei,  ihre  Gesichter  war  von  Ratlosigkeit  und  Schreck gezeichnet, der Gefühlskopf wies eine deutliche Schamröte auf. »Loon‐Ryt«,  rief Ollon‐Tur  aus und  trat  an das Gerät.  »Weshalb 

rufst du mich hier an?« »Gerade waren vier Tabu‐Jäger hier«, rief die Frau aufgeregt. »Sie 

wollten wissen, wo du bist, und  ich war so erschrocken, daß  ich es ihnen gesagt habe.« Ollon‐Tur und Ziir‐Tinc wechselten rasche Blicke. Daan‐Bar preßte 

die Kiefer aufeinander. Er stieß einen Fluch aus. 

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»Der  oberste  aller  Spitzel  wird  selbst  bespitzelt«,  murmelte  er. Irgend  jemand  in  seiner  Dienststelle  hatte  sich  vermutlich  in sämtliche  Kommunikationsstränge  eingeschaltet  und  bekam  jede Auskunft  erteilt, die  auch Daan‐Bar  angefordert  hatte. Vermutlich der harmlos erscheinende Abteilungsleiter, der hoffte, durch diesen pfiffigen  Trick  seinen Vorgesetzten  ausschalten  und  selbst  dessen Amt übernehmen zu können. »Sie müssen bald bei euch sein«, sagte Loon‐Ryt. »Was machst du 

da eigentlich? Hat er dir helfen können?« »Ich hoffe es«, stieß Ollon‐Tur hervor. Fragend wandte er sich an 

Ziir‐Tinc, der wiederum sah Daan‐Bar an. Daan‐Bar zuckte die Achseln. »Ich  kann  euch  jetzt  nicht mehr  helfen«,  sagte  er  bitter.  »Meine 

Zeit ist abgelaufen, ich werde jetzt genauso gejagt wie ihr.« »Hast du Freunde, Loon‐Ryt, bei denen du dich ein paar Tage lang 

verstecken kannst?« fragte Ziir‐Tinc die junge Frau. »Sicher, aber was hilft das uns?« »Zeit  gewinnen«,  antwortete  Ziir‐Tinc.  »Alles,  was  wir  jetzt 

brauchen, ist Zeit. Die Umstände arbeiten für uns, aber wir müssen unbedingt  verhindern,  daß  die  Tabu‐Jäger  noch  irgendwelche Gegenmaßnahmen treffen können.« »Vielleicht haben wir noch eine Chance«, murmelte Daan‐Bar. Er 

zog  die  Fernsteuerung  des  Raumjägers  aus  der  Tasche. Mit  ihrer Hilfe konnte Daan‐Bar nicht nur das Fahrzeug an  jeden beliebigen Ort  lenken,  er  konnte  auch  eine  allerdings  etwas  grobe Ferninspektion durchführen. Die Leuchtdioden zeigten an, daß der Jäger noch intakt war. »Ich  bin  sicher,  du  hast  einen  geheimen  Fluchtweg  aus  deiner 

Wohnung«, sagte Daan‐Bar. Der Emulator nickte. »Wir werden  ihn  benutzen,  aber  vorher  trenne  die Verbindung. 

Loon‐Ryt braucht nichts zu erfahren, was man  ihr möglicherweise entlocken könnte.« Mit  einem Handgriff  schaltete Ziir‐Tinc den Kommunikator  aus, 

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ohne sich um die Proteste des Paares zu kümmern. »Gehen  wir«,  sagte  Daan‐Bar.  »Wohin  soll  ich  meinen  Jäger 

bestellen?« Ziir‐Tinc nannte einen Ort am Rand der Stadt, dessen Koordinaten 

Daan‐Bar sich merkte. Als vorsichtiger Mann gab er sie noch nicht weiter, sondern ließ den Jäger nur aufsteigen und eine weite Runde über die Stadt fliegen. Ziir‐Tinc öffnete unterdessen einen Schrank und schob die Kleider 

zur  Seite.  Ein  Knopfdruck  ließ  die  Rückseite  des  Schrankes verschwinden, die Öffnung eines Schachtes wurde sichtbar. »Wo führt das hin?« fragte Ollon‐Tur. »Zur Energieversorgung des Hauses«, antwortete Ziir‐Tinc. »Wir 

müssen  aber  sehr  vorsichtig  sein  – diesen  Fluchtweg habe  ich  für eine extrem gefährliche Lage vorgesehen, und so  ist er auch selbst ausgefallen.« Daan‐Bar,  der  als  einziger  eine Waffe  besaß,  schwang  sich  als 

erster in den Schacht. Die Röhre war gerade groß genug, um einem Walgonier Platz zu 

bieten. Es  gab  kein Licht,  und  von  einer  glatten Verkleidung war nicht die Rede. Daan‐Bar schürfte sich Hände und Gesicht auf, als er in die Tiefe glitt. »Du mußt dich bücken!« erklang von oben die Stimme von Ziir‐

Tinc. »Du wirst eine Platte finden. Hebe sie an und schlüpfe in das Loch, aber geh nicht weiter!« Daan‐Bar  folgte  der  Anweisung.  Er  war  froh,  das  Schachtende 

verlassen  zu  können,  denn  Ziir‐Tinc  hatte  sich  wahrhaftig  einen lebensgefährlichen Endpunkt ausgesucht – unmittelbar neben dem Landeplatz,  der  auf  drei  Seiten  von Mauerwerk  begrenzt wurde, stand  ein  großer  Energieerzeuger,  dessen  Kontakte  frei  lagen. Funkenbündel elektrischer Entladungen tanzten auf den Polen und ließen Daan‐Bar die Haare zu Berge stehen. Er kroch in das Loch hinein – es führte zu einem Abwasserschacht, 

der horizontal unter der Erde verlief. Wenig später erschien Ollon‐

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Tur, als letzter kam Ziir‐Tinc. Der Emulator war ein wenig außer Atem. »Von  hier  aus  kann  ich den Antigravschacht  stillegen«,  sagte  er 

keuchend. »Und von oben kann man ihn nicht wieder einschalten – und  es werden  Stunden  vergehen,  bis  die  Tabu‐Jäger  diesen  Ort erreicht haben können.« Daan‐Bar schüttelte den Kopf. »Sie werden  die  Pläne  des Hauses  aus  dem Rechner  holen  und 

sehr  bald  genau  wissen,  daß  der  Schacht  genau  auf  dem Abwasserkanal endet.« »Auch das wird Zeit kosten«, stieß Ziir‐Tinc hervor. »Kommt, ich 

werde euch den Weg zeigen.«   

5.  Selbst in seiner Zeit als junger Tabu‐Jäger, als er ausgebildet worden war,  hatte  Daan‐Bar  nicht  soviel  Schmutz  und  Unrat  auf  der Kleidung  und  am  Körper  gehabt.  Durch  die  Abwässer  einer Millionenstadt zu krabbeln, war eine Tortur für Auge, Ohr und vor allem für die Nase. Es stank bestialisch. »Wir  können  ein  wenig  verschnaufen«,  stieß  Ziir‐Tinc  hervor. 

»Wie sieht dein Plan aus, Daan‐Bar?« »Wenn es gelingt, schnappen wir uns die Raumjäger und starten 

damit.« »Man wird  sofort die Verfolgung aufnehmen, und  innerhalb der 

Ewigen  Barriere  gibt  es  nirgendwo  einen  Platz,  an  dem wir  uns verstecken könnten.« »Es gibt einen«, sagte Daan‐Bar, »und wir sind völlig sicher dort.« »Welchen Ort meinst du?« fragte der Emulator. »Die  Verlängerung  der  Achse  Gaulat‐Paudenc‐Walgon  I«, 

antwortete Daan‐Bar. »Wer uns dort zu nahe zu kommen versucht, wird das gleiche erleben wie ich.« 

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»Hm«, machte Ziir‐Tinc. »Kein schlechter Gedanke. Aber ich kann mich nicht tagelang dort verstecken. Ich werde hier gebraucht.« »Dann  trennen  sich  jetzt  unsere  Wege«,  sagte  Daan‐Bar  und 

drückte dem Emulator die Hände. »Wir werden uns wiedersehen – in wenigen Tagen schon!« »Hoffentlich«, sagte Ollon‐Tur, dem ersichtlich nicht wohl war bei 

dem Gedanken,  die  Flucht  an  der  Seite  des  obersten  Tabu‐Jägers weiterzuführen. »Ich  kenne  einen Weg,  der  uns  ins  Freie  führt«,  sagte Ziir‐Tinc. 

»Dort gehen wir auseinander.« Der  Ort  war  nach  kurzer  Zeit  erreicht.  Ziir‐Tinc  kehrte  in  das 

Abwässersystem  zurück,  um  an  einem  anderen  Ausgang  das Tageslicht  zu  erreichen.  Daan‐Bar  und  Ollon‐Tur  krochen  eine Leiter hoch, stemmten eine schwere Platte zur Seite und erreichten so die Oberfläche. »Jetzt  wird  es  spannend«,  sagte  Daan‐Bar.  Er  betätigte  die, 

Fernsteuerung. Der  Raumjäger  mußte  bei  seinem  Rundkurs  über  die  Stadt 

ohnehin sehr bald an dieser Stelle vorbeikommen, und so dauerte es nicht lange, bis das Fahrzeug in Sicht kam. »Wenn  jemand  an  Bord  ist,  verschwindest  du  in  den Kanälen«, 

bestimmte Daan‐Bar. »Ich decke dir den Rückzug.« »Kein  Waffengebrauch  meinetwegen«,  stieß  Ollon‐Tur  hervor. 

»Wir Paudencer arbeiten nicht mit solchen Mitteln.« »Nicht alle, einer tut es«, sagte Daan‐Bar. Er wußte, daß ein Kampf früher oder später unausbleiblich wurde, 

wenn ihm die Tabu‐Jäger im Nacken saßen. Erfuhr  man  im  Herrschaftsrat  von  der  Wirkung  der  Großen Magischen Synopse, dann würde der Herrschaftsrat Mittel und Wege finden, die Wirkung dieses  Schauspiels  zu  verhindern, und  sei  es dadurch,  die  ganze  Bevölkerung  für  einen  Tag  einzusperren. Die Paudenc‐Katharsis,  wie  Daan‐Bar  für  sich  die  eigentümliche Wirkung  der Konstellation  genannt  hatte, war  offenbar  nur  dann 

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wirksam, wenn das Bild vom rechten Schädel wahrgenommen und verarbeitet wurde, es wirkte nur auf die Emotionen der Walgonier, nicht  auf  ihren  Verstand.  Es  war  auch  möglich,  daß  der Herrschaftsrat  für  diesen  Tag  das  Tragen  von  Augenbinden vorschrieb  –  ein  einfaches,  billiges,  leicht  zu  kontrollierendes Hilfsmittel. Dazu durfte  es nicht kommen, das war Daan‐Bars Wille, und  er 

war bereit, dafür zu kämpfen. Der Raumjäger schwebte heran und setzte auf. Die Mannschleuse 

öffnete sich. »Ich gehe hinüber. Erst wenn ich dir ein Zeichen gebe, kommst du 

nach!« bestimmte Daan‐Bar. Der  Raumjäger  war  leer,  Daan‐Bar  brauchte  nur  einige 

Augenblicke, um das  festzustellen und Ollon‐Tur  heranzuwinken. Der  junge Paudencer nahm auf dem Sitz des zweiten Piloten Platz, während Daan‐Bar das Triebwerk hochfahren ließ. Ein Knopfdruck  setzte  automatisch  den  Rettungsalarm  in Kraft. 

Breite  Gurte  legten  sich  um  die  Körper  der  beiden  Walgonier, außerdem  schaltete  sich  die  autarke  Notversorgung  für  den Vorderteil  des  kleinen  Schiffes  ein,  der  im  Ernstfall  zugleich  als Rettungsboje fungierte. Sehr  echt  schoß  der  Jäger  in  den Himmel  hinauf.  Sobald  er  die 

Wolkendecke  durchstoßen  hatte,  erkannte  Daan‐Bar  auf  dem Bildschirm einen Pulk von größeren Schiffen der Flotte. »Man erwartet uns bereits«, stieß er grimmig hervor. Sein rechter 

Kopf  hatte  die  Augen  geschlossen.  Es  kam  jetzt  darauf  an,  alle Emotionen  beiseite  zu  lassen und  ganz  rational  und  kaltblütig  zu handeln. Die Verfolger beschleunigten, die Jagd hatte begonnen. Daan‐Bar  wußte,  daß  sein  Schiff  schneller  war  als  die  großen 

Einheiten, aber es gab auch Raumtorpedos, die erheblich  schneller waren als der schnellste Jäger. Ollon‐Tur war ziemlich bleich. 

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»Jetzt  brauchst  du  noch  keine Angst  zu  haben«,  stieß Daan‐Bar hervor, während er das Triebwerk bis zum Äußersten beanspruchte. »Ich bin völlig  sicher, daß  sie wenigstens mich  erst  einmal  lebend haben wollen.« »Und wenn nicht?« fragte Ollon‐Tur. »Dann  bekommen  sie  uns  tot«,  antwortete Daan‐Bar.  Er war  in 

diesem Augenblick  froh,  daß  er  selbst  in  einer  so  kritischen  Lage imstande  war,  seine  Emotionen  völlig  zu  unterdrücken. Ausnahmsweise machte  sich  die  strenge  Trennung  von  Verstand und  Gefühl  einmal  bezahlt,  keine  Furcht,  keine  Panik  ließ  ihn zittern. »Ich  möchte  nur  wissen,  warum  man  dir  nachspioniert  hat«, 

murmelte Ollon‐Tur nervös. Daan‐Bar zuckte mit den Schultern. »Ich  habe  keine  Ahnung«,  sagte  er.  »Wir  werden  es  später 

erfahren!« Er rechnete sich aus, daß er etwas länger als eine Stunde brauchen 

würde, um die sichere Zone erreichen zu können – viel Zeit für eine lange,  gefährliche Verfolgungsjagd. Vom  vordersten der Verfolger löste sich ein Energieschuß, aber die Entfernung war entschieden zu groß. Der  Treffer  auf  die  Schutzschirme  des  Jägers  hatte  nur  den einen,  erfreulichen  Effekt,  das  Schiff  noch  ein wenig  schneller  zu machen, als es ohnehin schon war. Daan‐Bar lächelte, als er sah, wie heftig Ollon‐Tur bei dem Treffer 

erschrak. »Keine Panik«, sagte er. »Sie sind viel zu weit entfernt, und in ein 

paar  Minuten  werden  sie  uns  überhaupt  nicht  mehr  erreichen können.« Eine  Viertelstunde  verging,  ohne  daß  sich  etwas  Besonderes 

ereignete. Der  Jäger  raste durch den Raum,  schnurgerade  auf das ersehnte Ziel zu. Daan‐Bar änderte den Kurs ein wenig. Er wollte so nahe wie möglich an die Ewige Barriere heran. Dort 

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mußte  der  kegelförmige  Wirkungsbereich  der  Paudenc‐Katharsis besonders  groß  sein  –  groß  genug  hoffentlich,  um  die  ganze Verfolgerflotte auf einmal erfassen und ausschalten zu können. Abenteuerliche  Spekulationen  jagten  durch  Daan‐Bars  Hirn. 

Vielleicht war es nach diesem Coup möglich, auch andere Verbände der Walgon‐Flotte anzulocken. War die Raumflotte erst einmal  für die  Sache  der  Paudencer  gewonnen,  hatte  der  Herrschaftsrat ausgespielt. Da wenig  für  ihn zu  tun war – der  Jäger behielt  seinen Kurs bei 

und  raste  rechnergesteuert  durch  das  All  –,  gab  sich  Daan‐Bar seinen Träumen hin. Mit  der  Flotte  hinter  sich  konnte  er  leicht  den  Herrschaftsrat 

absetzen und  entmachten. Wer  sollte danach aber über die beiden Walgon‐Planeten  regieren?  Paudencer  waren  in  hohen Regierungsämtern  wahrscheinlich  nur  in  sehr  geringer  Zahl anzutreffen, auf der Ebene der obersten Entscheidungsträger gab es keinen  einzigen, der dem Paudenc‐Glauben anhing. Daan‐Bar war der einzige. Daan‐Bar begann breit zu grinsen, als  ihm  einfiel, daß  jedem  im 

Herrschaftsrat  das  gleiche  passieren  konnte  wie  ihm.  Wie Seifenblasen platzten seine Träume von der Herrschaft über Walgon auseinander, und er war nicht einmal verärgert darüber. »Hä?« machte Daan‐Bar, als ihn ein Geräusch aus seinen Träumen 

aufweckte. »Ich fragte, was das ist«, wiederholte Ollon‐Tur und zeigte auf den 

Bildschirm. Daan‐Bar wandte den Kopf und erstarrte. »Bei Paudenc!« entfuhr es ihm. »Raumminen!« Er stieß einen Fluch aus. Jemand – wahrscheinlich die Flotte im Auftrag des Herrschaftsrats 

– hatten den ganzen Bereich  zwischen Walgon  II und der Ewigen Barriere mit Treibminen vollgepackt – und zwar boshaft genau  im Wirkungsbereich der Paudenc‐Katharsis. 

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Daan‐Bar sah auf den anderen Schirm. Die  Verfolgerflotte war weit  entfernt,  aber wenn  Daan‐Bar  den 

Flug jetzt abbremste, war sie im Handumdrehen nahe heran. Weiterfliegen war glatter Selbstmord. Deutlich  konnte  Daan‐Bar  auf  den  Orterschirmen  die  endlos 

langen Energiefäden sehen, die von den Minen ausgingen und wie die Tentakel eines Ungeheuers  sich durch den Raum  schlängelten. Ein  Schiff,  das  auch  nur  einen  dieser  Tentakel  berührte,  war verloren  –  der  Tentakel  zog  die Mine  in  Blitzeseile  an  das  Schiff heran, und dann ging eine atomare Ladung hoch, die ausreichend stark war, um auch das stärkste Schiff der Walgonflotte in Atome zu zerblasen. »Was machst du?« schrie Ollon‐Tur. Daan‐Bar handelte wie in Trance. Er spürte bei klarem Verstand, daß ihm die Kontrolle über seinen 

Körper entglitt. Der rechte Kopf hatte den Körper übernommen, die emotionale  Seite  seines  Ichs  bewegte  die Hände,  ließ  sie  über  die Tastatur des Rechners huschen. Bei  klarem  Verstand  sah  Daan‐Bar,  wie  seine  durchgedrehten 

Gefühle  einen  Linearsprung  einleiteten,  eine winzige  Strecke  nur, aber dennoch viel zu lang. Das Schiff mußte in der Ewigen Barriere zerschellen, unweigerlich. 

Auch  im Linearflug war es nicht möglich,  sie zu durchbrechen.  In Daan‐Bars  Logikgehirn  tauchten  wie  auf  einem  Leseschirm  die Daten  der  letzten  Fehlversuche  auf.  Auch  stark  modifizierte Aggregate hatten es nicht geschafft. Seit dem Tag, da das System der Doppelsonne  eingekerkert  worden  war,  hatten  die  walgonischen Wissenschaftler  immer wieder  versucht,  ein Mittel  zu  finden,  die Ewige Barriere  zu durchbrechen  oder  zu überlisten. Keiner dieser Versuche war erfolgreich gewesen, nicht einmal Robotsonden hatten das  System  verlassen  können.  Gerade  die  Tatsache,  daß jahrhundertelang  betriebene  aufwendige  Forschung  völlig  ohne brauchbares  Ergebnis  geblieben  war,  hatte  der  Barriere  ihren 

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entsetzlichen Beinamen eingetragen. »Nein!«  schrie Ollon‐Tur,  als  er  erkannte, was Daan‐Bar  zu  tun 

beabsichtigte. Auch bei  ihm brachen die Emotionen durch – grauenvolle Angst 

und eine unbezähmbare Wut auf Daan‐Bar, der den Jäger mit seinen beiden Insassen dem sicheren Untergang zusteuerte. Ollon‐Tur  spannte  wutbrüllend  die  Muskeln  an.  Schnalzend 

platzten  die  Gurte  auseinander,  dieser  Kraftentfaltung  waren  sie nicht gewachsen. Daan‐Bars  Logik  und  Ratio  ließen  ihn  an  die  Testwerte  dieser 

Gurte  denken,  danach mußte  Ollon‐Tur  das  Zehnfache  normaler Körperkraft  aufgeboten  haben,  um diesen Kraftakt  vollbringen  zu können. Ollon‐Tur  stürzte  auf  Daan‐Bar  zu,  versuchte,  ihn  an  dem 

selbstmörderischen Vorhaben zu hindern, aber Daan‐Bar packte zu und schleuderte den tobenden Ollon‐Tur einfach zur Seite. Klargeistig kam Daan‐Bar zu dem Ergebnis, daß auch sein Körper 

emotional bis zum Äußersten aufgeputscht war. Ollon‐Tur  landete auf dem Boden und blieb dort liegen. Auf der Leuchtanzeige  tickten die Sekunden herunter. Sie zeigte 

an,  daß  nur  noch  sieben  Sekunden  vergehen  mußten,  bis  die Linearetappe eingeleitet wurde. Daan‐Bar  sah mit  dem  linken Kopf  auf  einen  anderen Wert.  Er 

zeigte  an,  daß  in  acht  Sekunden  der  Raumjäger  die  erste  der Raumminen erreichen würde. Die sieben Sekunden verstrichen sehr langsam. Daan‐Bar  empfand  keinerlei  Furcht.  Er  registrierte  völlig 

gefühlskalt, was um  ihn herum vorging, wie die Leuchtfinger der Treibminen  näher  zu  kommen  schienen,  wie  die  Verfolgerflotte verzögerte, um nicht selbst ins Verhängnis zu rasen. Dann war die Wartezeit vorbei. Im  gleichen  Augenblick,  in  dem  der  Jäger  in  den  Hyperraum 

vorstieß, verlor Daan‐Bar das Bewußtsein. 

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*  »Wo sind wir?« fragte Ollon‐Tur. Daan‐Bar lächelte. »Auf der Lebensseite der Wirklichkeit«, sagte er sanft. »Wir leben 

noch, aber frage mich nicht, warum.« Ollon‐Tur kam hoch. Er war vor  einer halben Minute wieder zu 

sich  gekommen.  Daan‐Bar  hatte  bereits  vor  fünf  Minuten  das Bewußtsein wiedererlangt. »Was  ist  das?«  fragte  Ollon‐Tur  und  deutete  auf  den 

Panoramaschirm. »Das Nichts«, antwortete Daan‐Bar. »Der freie Raum – er ist völlig 

leer.« »Leer?« »Es ist nichts zu sehen, absolut nichts«, antwortete Daan‐Bar. Völlig verwirrt und erschüttert sank Ollon‐Tur auf den Sessel des 

Zweiten Piloten. Die Gurte, die er zerrissen hatte, baumelten seitlich daran herab. Daan‐Bar  konnte  die  Verwirrung  seines  Begleiters  sehr  gut 

begreifen, seine eigene Bestürzung war noch weit größer gewesen. Als Mitglied des Herrschaftsrats hatte er natürlich Kenntnisse über die Geschichte  der Walgonier  gehabt,  die  über  den Wissensstand der einfachen Leute weit hinausgingen. So wußte Daan‐Bar, daß die Walgon‐Planeten vor Urzeiten einmal 

das Kerngebiet eines mächtigen Sternenimperiums gewesen waren, eines Machtbereichs, der sich nach Tausenden von besiedelten oder unterworfenen  Sonnensystemen  bemaß.  Walgon  war  gefürchtet gewesen  zu  seiner  Zeit,  seine  Raumflotten  hatten  jeden  Gegner erbarmungslos  niedergeworfen,  und  wegen  der  unerbittlichen Tyrannei der Walgonier in ihrem Sternenimperium hatte es Gegner genug  gegeben.  Und  waren  die  inneren  Rebellionen 

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niedergeschlagen, beschäftigte sich die Flotte damit, weitere Welten aufzustöbern, mit Zwangskolonisten zu besiedeln, oder aber, wenn die  Welten  eigenes  Intelligenzleben  hervorgebracht  hatten,  diese Intelligenzen  zu  unterwerfen.  In  der Wahl  der Mittel  waren  die Vorväter der heutigen Walgonier nicht zimperlich gewesen. Daan‐Bar,  der  die  Praktiken  des Herrschaftsrats  kannte,  konnte 

mit  dem  verharmlosenden  Ausdruck  »nicht  zimperlich«  etwas anfangen  –  wenn  er  sich  die  Szenen  vorstellte,  die  damals  zum Alltag  der Walgon‐Herrschaft  gehört  hatten, wurde  ihm  schlecht, und er schämte sich Walgonier zu sein. Dann  aber,  an  einem  Tag  der Großen Magischen  Synopse, war  es 

vorbei gewesen mit den großen Tagen Walgons. Von da an hatte es nur  das  System  der  Doppelsonne  gegeben,  und  im  Lauf  vieler Jahrhunderte  waren  die  glanzvollgrausamen  Zeiten  in Vergessenheit geraten. Das alles wußte Daan‐Bar. Nach diesem Wissen hätte es dort draußen Sterne geben müssen – 

nicht  nur  einen  oder  zwei.  Er  hätte  eine  ganze  Galaxis  sehen müssen,  Kugelsternhaufen,  Dunkelwolken,  Millionen  von Einzelsternen. Mit vielen dieser Begriffe konnte Daan‐Bar gar keine rechte Vorstellung verbinden – unter dem Wort Galaxis stellte sich Daan‐Bar etwas ungeheuer Großes vor. Es gab aber keine Sterne, keinen einzigen. »Müßten wir nicht Sterne  sehen können?«  fragte Ollon‐Tur. »Ich 

habe  davon  reden  hören,  daß  es  sie  geben  soll.  Sehr  viele  sogar, mindestens zwanzig oder dreißig.« »Es gibt keinen einzigen«, antwortete Daan‐Bar rauh. »Und wo ist Gaulat? Und Paudenc?« »Auch  verschwunden«,  sagte  Daan‐Bar.  »Es  gibt  nichts  außer 

uns.« »Nichts?« »Überhaupt nichts.« Es  war  unmöglich,  sich  das  vorzustellen.  Ein  völlig  leeres 

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Universum, in dem nichts existierte außer einem kleinen Raumschiff und seinen beiden Passagieren. Ollon‐Tur schlug die Hände vor das Emotionsgesicht und begann 

zu schluchzen. Sein Rationalkopf verdrehte die Augen und fiel nach hinten. Daan‐Bar holte tief Luft. Er hatte es drei Minuten lang versucht, aber ohne Ergebnis. Auch 

von Walgon war  nichts  zu  sehen. Die  Ewige  Barriere  schien  das Walgon‐System von einem absolut leeren Universum abzutrennen. Da es nicht den geringsten Bezugspunkt für irgend etwas gab, ließ 

sich  auch  nicht  mehr  feststellen,  wo  der  Raumjäger  in  dieses Parallel‐ oder Überuniversum oder was auch  immer eingedrungen war. Was das hieß, lag auf der Hand. Der  Jäger  mit  seinen  Passagieren  war  abgeschnitten  für  alle 

Ewigkeit.  Irgendwann  in  den  nächsten  Wochen  würde  der Sauerstoff ausgehen, und dann mußten die beiden Insassen sterben. Danach würde ein Totenschiff durch ein leeres Universum gleiten. 

Es gab nichts, was diesen Flug hätte aufhalten oder hindern können. Es  gab  keinen  kosmischen  Staub,  der  das  Schiff  im  Lauf  von Jahrmillionen hätte abbremsen oder zerschmirgeln können. Es gab keine Sonne,  in der es hätte verglühen können. Bis zum Ende aller Zeiten  –  falls  es  in  diesem  absonderlichen  Universum  überhaupt eine  Zeit  gab  – würde  das  Schiff weitertreiben,  und  kein Wesen würde die Leichen von Daan‐Bar und Ollon‐Tur  jemals zu Gesicht bekommen. Daan‐Bar  begann  zu  lachen.  Er  lachte,  bis  ihm  über  beide 

Gesichter die Tränen liefen. »Ich möchte wissen, was daran so erheiternd ist«, fragte Ollon‐Tur 

und sah Daan‐Bar boshaft an. Daan‐Bar wischte sich die Tränen ab. »Entschuldige«,  sagte  er.  »Mir  wurde  gerade  bewußt,  wie 

ehrgeizig  ich  bin. Und mir wurde  bewußt,  daß  ich  zur  Krönung 

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dieses Ehrgeizes  etwas  bekommen werde, was  außer mir  und dir wahrscheinlich keinem anderen Lebewesen  jemals beschieden  sein wird. Dagegen verblaßt alles, was es überhaupt gegeben hat.« »Und was wäre das?« »Unser  Grabmal«,  sagte  Daan‐Bar  und  deutete  auf  den 

Panoramaschirm,  der  nichts  anderes  zeigte  als  Schwärze.  »Das größte Grabmal aller Zeiten – ein ganzes Universum, ganz für uns.«   

6.  Daug‐Enn‐Daug  begrüßte  mich  überschwenglich.  Er  schien außerordentlich  erleichtert  zu  sein, mir  zu begegnen. Er war  auch der erste, der zur allgemeinen Lagekonferenz an Bord der Futurboje erschien. »Gefällt es dir bei uns?« fragte ich den Vulnurer. Daug‐Enn‐Daug gab einen verhaltenen Laut von sich. »Ich  kann  nicht  klagen«,  sagte  er  dann.  »Und  doch  habe  ich 

Probleme.« »Schildere sie, vielleicht kann ich für Abhilfe sorgen.« Welches  sein  vordringliches  Problem  sein  würde,  wußte  ich 

bereits.  Ich war  außerordentlich  überrascht  gewesen,  als mich  ein Funkspruch  von  den Vulnurer‐Schiffen  erreicht  hatte,  des  Inhalts, daß  dort  der  Emulator  der Vulnurer,  eben Daug‐Enn‐Daug, mich erwartete. »Ich weiß nicht, wie ich überhaupt hierhin gekommen bin«, sagte 

der Vulnurer.  »Plötzlich war  ich  an  Bord  der MORGEN,  und  ich habe keine Erklärung dafür, noch weniger für den Umstand, daß ich damit die Namenlose Zone verlassen habe.« »Wir  werden  dieses  Problem  klären«,  versprach  ich.  »Im 

Augenblick  allerdings  sehe  ich  auch  nicht  den  Ansatz  zu  einer Lösung. Wie kommst du mit den anderen Vulnurern aus?« Daug‐Enn‐Daug  machte  eine  Geste,  die  ich  als  Ausdruck  von 

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Verlegenheit deutete. »Man  behandelt mich  sehr  freundlich,  fast  ehrerbietig.  Ja, man 

scheint mich sogar für eine Art Anführer zu halten. Man hat mir den Titel eines Vul‐Mono verliehen.« »Stört es dich?« »Ich  kenne  mich  bei  meinen  eigenen  Artgenossen  nicht  aus«, 

gestand Daug.  »Ich kenne die Regeln  ihrer Gesellschaft  zu wenig, auch wenn mir  Borallu  in  jeder Hinsicht  behilflich  ist.  Ich  bin  zu lange von meinem Volk getrennt gewesen.« »Ich weiß«, antwortete ich nachdenklich. »Können wir dich sprechen?« fragte eine helle Stimme hinter mir. 

Ich drehte mich um. Es war  eine kleine Abordnung der BRISBEE‐Kinder, die aufgetaucht war – Lara, Menizza und Jauter. »Was kann ich für euch tun?« fragte ich. Jauter lächelte verhalten. »Vielleicht  können wir  etwas  für  dich  tun«,  sagte  er  freundlich. 

»Und für uns, zur gleichen Zeit.« »Das  hört  sich  geheimnisvoll  an«,  sagte  ich.  »Setzt  euch  und 

erzählt.« »Es ist so«, sagte die vierzehnjährige Lara. »Wir haben Heimweh.« »Nach der Namenlosen Zone?« »Mehr nach der Welt, auf der wir aufgewachsen  sind. Dies alles 

hier ist sehr fremd für uns, wir fühlen uns hier nicht richtig wohl.« »Das kann ich verstehen, aber wie kann ich euch dabei helfen?« Lara lächelte verschmitzt. »Es  sieht  so  aus,  als  hätten  wir  schon  versucht,  uns  selbst  zu 

helfen«,  sagte  sie.  »Wir  saßen  neulich  zusammen und plauderten, und wir waren  sehr  traurig  vor Heimweh. Und  irgendwie  ist  es dann passiert. Wir bekamen Kontakt zur Namenlosen Zone.« »Ihr könnt ganz allein Kontakt aufnehmen?« fragte ich. »Wenn  wir  uns  zusammentun,  jederzeit«,  antwortete  Menizza. 

»Damals hatten wir Kontakt zu einem Wesen, und wir haben dieses Wesen hierher geholt.« 

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Daug‐Enn‐Daug sprang auf. »Ihr meint mich«, stieß er hervor. »Vermutlich«,  antwortete  Jauter.  »Ganz  genau  wissen  wir  das 

nicht,  denn  es  ist  nebenbei  passiert.  Aber  inzwischen  haben  wir nachgedacht und ein wenig nachgeprüft, was wir können.« »Und zu welchem Ergebnis seid ihr gekommen?« Jauter holte tief Luft. »Wenn  du  willst,  können  wir  die  ganze  SOL 

hinübertransportieren«, sagte er laut. »Die SOL?« Die  Kräfte  dieser  Kinder  waren  unsagbar  groß.  Bei  der  SOL 

handelte  es  sich  schließlich  um  ein  Raumschiff  von  geradezu gigantischen Abmessungen. »Wir könnten es«, sagte Lara zuversichtlich. »Aber es wird wohl 

nicht gehen.« Ich ahnte, worauf sie anspielten. Schnell stellte  ich eine Funkverbindung zur SOL her. Breckcrown 

Hayes erschien auf dem Bildschirm, er sah müde aus. »Neuigkeiten?« fragte er nach einer knappen Begrüßung. Ich deutete auf die Kinder. »Unsere freundlichen Helfer haben mir gerade anvertraut, daß sie 

sich zutrauen, die ganze SOL in die Namenlose Zone zu befördern. Frag mich  nicht, wie  sie  das machen  –  es  genügt mir,  daß  sie  es können.« »Mir  auch«,  antwortete  Hayes.  »Erzähle  das  niemandem,  die 

Stimmung ist nicht danach.« »Widerstand?« »Ganz erheblich«, erklärte er. »Es gibt ein paar an Bord, die euch 

nicht  einmal Wasser  und  Brot  hinüberschicken würden, wenn  es nötig wäre. Viele Solaner sind die ganze Sache gründlich  leid – zu einem neuen Vorstoß  in die Namenlose Zone wirst du hier kaum jemanden verlocken können.  Ich halte entsprechende Versuche  für völlig sinnlos.« 

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»Ich danke dir für den Rat«, antwortete ich. »Aber  unsere  Schiffe«,  stieß  der  Emulator  der  Vulnurer  hervor. 

»Ist es möglich …?« Jauter nickte. »Wenn wir uns  auf die  Schiffe  verteilen, wird  es möglich  sein«, 

sagte er. »Auch  die MJAILAM  und  die  FARTULOON  können  wir  noch 

mitnehmen«,  erklärte  Menizza.  »Wir  müssen  uns  nur  gut koordinieren.« Hayes sah von dem Bildschirm auf mich herab. »Wenn du es willst – so kannst du es machen. An Bord der beiden 

Schiffe  sind  nur  Freiwillige.  Wenn  sie  zustimmen,  kannst  du losfliegen.  Den  Vulnurern  haben wir  nichts  zu  befehlen  oder  zu verbieten, und was die Kinder angeht …« »Wir wollen zurück …«, sagten sie alle drei zur gleichen Zeit. »Du  hörst  es,  Atlan. Meinen  Segen  hast  du.  Aber,  wie  bereits 

gesagt,  rechne  nicht mit Hilfe  von  der  SOL. Mir  sind  die Hände gebunden, die Stimmung ist eindeutig gegen jede weitere Eskapade, wie es hier genannt wird.« Ich wölbte die Brauen. »Ich  kann  es  nicht  ändern«,  sagte Hayes.  »Jedenfalls  nicht  sehr 

schnell. In der letzten Zeit hat es entschieden zuviel Durcheinander gegeben.« Er lächelte. »Vergiß  nicht,  daß  nicht  alle  Solaner  so  abenteuerlustig  und 

nervenstark sind wie du.« Ich nickte. »Dann werden wir  es  so machen«,  entschied  ich.  »Wir  verteilen 

die Kinder auf die fünf Schiffe, ich bleibe an Bord der Futurboje, die den  Wechsel  ohne  Hilfe  der  Kinder  bewerkstelligen  kann.  Ich nehme an, daß es auf dem gleichen Weg möglich sein wird, der SOL Nachrichten zukommen zu lassen?« Die Kinder bestätigten meine Vermutung mit einem Nicken. 

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»Einverstanden«, sagte Breckcrown Hayes. »Ich wünsche euch viel Glück, und ich hoffe, ihr werdet es nicht brauchen.« Er lächelte schwach und schaltete ab. Ich  sah  die  BRISBEE‐Kinder  an.  Die  drei  strahlten.  Was  den 

Solanern  offenbar  zu  gefährlich  und wagemutig  erschien, war  für diese Kinder wohl die Erfüllung eines Herzenswunsches.   

*  »Die  Namenlose  Zone«,  stellte  ich  fest.  »Das  Experiment  hat funktioniert.« Daß  die  Futurboje  in  die  Namenlose  Zone  vordringen  würde, 

stand für mich fest, ein wenig aber hatte ich daran gezweifelt, ob es den BRISBEE‐Kindern  tatsächlich möglich  sein würde,  fünf Schiffe hinüberzutransportieren. Sie waren dazu fähig. Eines nach dem anderen tauchte auf, erst die 

drei Vulnurer‐Schiffe, dann die MJAILAM und die FARTULOON. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Schnell war  eine  Sprechfunkverbindung  zwischen den  einzelnen 

Schiffen  hergestellt.  Auf  einem  separaten  Bildschirm  waren  die Gesichter  von  Borallu, Daug‐Enn‐Daug  und Hage Nockemann  zu sehen.  Diese  drei  hatten  sich  zusammengefunden,  um  die anstehenden  wissenschaftlichen  Probleme  zu  erörtern  und möglicherweise zu  lösen. Wenn  ich Nockemanns Gesichtsausdruck richtig interpretierte, schienen die drei gut zu harmonieren. »Da  wären  wir«,  sagte  ich  zufrieden.  »Nun  müssen  wir 

entscheiden, was wir unternehmen sollen.« Daug‐Enn‐Daug zuckte zusammen. »Kontakt!« stieß er hervor. »Womit?« fragte ich sofort. Der Emulator der Vulnurer schwankte ein wenig. »Die  Lichtquelle«,  sagte  er  leise.  »Sie  hat  mit  mir  Kontakt 

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aufgenommen.« »Wo ist sie? Wir brauchen den genauen Standort!« »Sie  hält  sich  verborgen«,  verkündete Daug‐Enn‐Daug mit  einer 

seltsam verfärbten Stimme. »Man ist ihr auf der Spur.« »Wer ist man! Die Zyrtonier?« Daug‐Enn‐Daug machte eine Geste der Zustimmung. »Sie  wird  sich  zur  gegebenen  Zeit  bei  uns  melden  und  auch 

zeigen, wenn es die Umstände zulassen.« Also  mußten  wir  vorläufig  ohne  die  Hilfe  der  Lichtquelle 

auskommen,  so  betrüblich  das  auch war.  Immerhin  schien  sie  in Sicherheit vor den Zyrtoniern zu sein. »Ich begreife«, murmelte Daug‐Enn‐Daug.  »Langsam klären  sich 

die Zusammenhänge.« Seine  Augen  blickten  starr.  Der  weitaus  größte  Teil  seiner 

Wahrnehmung  war  nach  innen  gerichtet,  auf  die  Botschaft  der Lichtquelle, die für uns nicht hörbar war. »Ich verstehe«, murmelte Daug‐Enn‐Daug. »Sie  ist die eigentliche 

ordnende  und  positive  Kraft  unseres  Volkes  –  und  auch  der Zyrtonier.  Ich ahne, daß sie der wahre Emulator der Vulnurer und Zyrtonier ist.« Daug‐Enn‐Daug  kehrte  völlig  in  die  Wirklichkeit  zurück,  der 

Kontakt war unterbrochen. »Was hat die Lichtquelle gesagt?« wollte ich wissen. Hage Nockemann  sah Daug  so  gierig  nach  Information  an,  daß 

man den Eindruck gewinnen konnte, er wolle sich auf den Emulator stürzen. »Die  Lichtquelle  drückte  Freude  aus«,  sagte  Daug‐Enn‐Daug. 

Seine Stimme klang wieder völlig normal. »Es sei an der Zeit, sagte sie mir, daß  sich das Gleichgewicht der Kräfte  in der Namenlosen Zone  verschiebt.  Dazu  seien  die  Vulnurer  von  besonderer Bedeutung. Große  Veränderungen müßten  gewagt  und  die  Pläne der Zyrtonier durchkreuzt werden.« »Das  ist  zu  vage«,  sagte  ich.  »Hat  die  Lichtquelle  sich  nicht 

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deutlicher ausgedrückt?« Daug‐Enn‐Daug verneinte. »Mehr  konnte  ich  nicht  erfahren«,  sagte  er  betrübt.  »Und  jetzt 

schweigt die Lichtquelle.« »Hm«, machte ich. Viel war es nicht, was die Lichtquelle verraten 

hatte, mehr Andeutungen als präzise Informationen. »Ortung!« gellte ein Schrei durch die Zentrale der Futurboje. Ich fuhr herum. »Einzelheiten!« forderte ich. »Wir empfangen sehr schwache Hyperfunksignale«, bekam ich zu 

hören. »Unglaublich verwaschen, wie gefiltert.« »Entfernung?« »Unterschiedlich. Das nächste Signal ist achtundvierzig Lichtjahre 

entfernt, das fernste knapp einhundert. Jetzt ist es verschwunden.« »Weitermachen«, bestimmte ich. »Was hat das zu bedeuten?« Auf  dem  Monitor  der  Funkverbindung  konnte  ich  Hage 

Nockemann  sehen,  der  die  einlaufenden  Daten  musterte.  Der Wissenschaftler wirkte aufgeregt. Dann sah er auf. »Ich habe einen Verdacht«, begann er. Ich machte eine energische 

Handbewegung. »Die  Schockfronten  weichen  auf«,  erklärte  Nockemann.  »Was 

dafür  verantwortlich  ist, weiß  ich  nicht.  Es  hat  den Anschein,  als würden  die  Schockfronten  langsam  aber  sicher  durchlässig.  Die Stärke  der  ankommenden  Impulse  ist  nicht  proportional  der Entfernung der Impulsquelle.« »Das heißt im Klartext?« »Du  magst  mich  für  einen  Aufschneider  halten,  aber  dieser 

Auflösungseffekt  scheint  um  so  stärker  zu  sein,  je  näher  das betreffende System an unserem derzeitigen Standort liegt – und der Effekt wandert mit uns. Oder, wenn du es noch optimistischer hören willst – wir bewirken das.« »Unglaublich«, entfuhr es mir. »Ist  das  der Wandel,  von  dem  die  Lichtquelle  sprach?«  wollte 

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Daug wissen. »Wir werden es sehen«, antwortete ich. »Neue  Ortung,  diesmal  völlig  klar  und  eindeutig.  Ein 

Raumfahrzeug, sehr klein und sehr weit entfernt.« In  einer  normalen Galaxis wäre  dieses  Fahrzeug wahrscheinlich 

gar  nicht  einmal  anzumessen  gewesen,  aber  von dem Nichts, das uns umgab, hob es sich trotz seiner geringen Größe und der großen Entfernung deutlich ab. »Wir sehen nach«, entschied ich. »Und wir bleiben zusammen.« Die  Kommandanten  leiteten  einen  kurzen  Linearflug  ein.  Das 

fragliche  Objekt  war  neunzig  Lichtjahre  von  uns  entfernt,  ein Flohsprung für unsere Schiffe. Sobald wir  in den Normalraum  zurückkehrten  –  sofern man die 

Namenlose  Zone  überhaupt  so  nennen  konnte  –  wurden  die Meßergebnisse deutlicher. »Ähnlich  einer  Space‐Jet«,  lautete  die  Auswertung  der 

Ortungsergebnisse. »Schiff nimmt Fahrt auf, hält auf uns zu.« In  der Namenlosen  Zone mußte man  auf  böse Überraschungen 

gefaßt  sein.  Ich  löste  Alarm  aus  –  es  konnte  sich  auch  um  eine fliegende Bombe handeln. »Das  Schiff  kommt  vermutlich  aus  dem  Sonnensystem  in  der 

Nähe«, erklärte Hage Nockemann plötzlich. »Sonnensystem?« »Die  Daten  sind  noch  immer  gestört«,  berichtete  der 

Wissenschaftler.  »Die Meßergebnisse  können  einstweilen  nur mit Hilfe der Positronik zusammengesetzt werden. Danach gibt es vor uns ein System mit einer Doppelsonne und zwei Planeten. Zu sehen ist  es  nicht,  dafür  ist  die  Schockfront  noch  zu  stark  –  aber  es  ist anmeßbar  für unsere  Instrumente. Tut mir  leid  für unsere Buhrlo‐Freunde, aber es sieht danach aus, als würden wir  in nächster Zeit auf ihre Teppelhoff‐Begabung verzichten können.« »Fremdes Raumfahrzeug verzögert, geht längsseits MJAILAM.« Ich überlegte kurz. Die Funkverbindung war so hervorragend, daß 

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ich  darauf  verzichten  konnte,  dem  oder  den  Fremden  persönlich gegenüberzutreten. »Wenn möglich an Bord nehmen«, bestimmte ich. »Andockmanöver  bereits  eingeleitet«,  erklang  es  aus  den 

Lautsprechern.  »Schiff  hat  zwei  Mann  Besatzung.  Sie  verlassen gerade  das  Schiff.  Analyse  der  abgelassenen  Schiffsatmosphäre ergibt Sauerstoffatmer. Jetzt Sichtkontakt.« Ich  konnte  ein  leises  Schmunzeln  nicht  unterdrücken.  Es  war 

immer  eine  sehr  aufregende  Sache,  einem  unbekannten  Volk  zu begegnen, aber sie wurde  in diesem Augenblick ein wenig grotesk durch den Umstand, daß er gleichsam hinter geschlossenen Türen stattfand. Was  ich davon erfuhr, war der knappe, sachliche Report der  Frau,  die  das  Andockmanöver  durchgeführt  hatte.  Zu  sehen bekam  ich  die  Gesichter  der  Kommandanten  und  der Zentralebesatzungen. »Grundform  humanoid,  Haut  leicht  bläulich  schimmernd.  Vier 

Arme, vier Beine – und zwei Köpfe.« »Oha«, entfuhr es mir. Unwillkürlich mußte ich an Iwan Iwanowitsch Goratschin denken, 

eine der monströsesten Kreaturen, die  jemals den Namen Mensch getragen  hatten  –  und  charakterlich  eine  Perle, wie man  sie  nur äußerst  selten  fand.  Der  Doppelkopfmutant,  erbgeschädigt  durch eine  Kernwaffenexplosion  im  Sibirien  des  zwanzigsten Jahrhunderts,  hatte  sich  immer  wieder  für  seine  Mitmenschen eingesetzt, für ihre Freiheit und Sicherheit immer wieder das eigene Leben gewagt – für die gleichen Mitmenschen, die ihn wegen seiner Gestalt nicht  als  ihresgleichen  ansahen. Goratschin war  längst  tot. 3432 im Kampf gegen Agenten Ribald Corellos gestorben … Zurück in die Wirklichkeit, meldete sich der Extrasinn. Unwillkürlich nickte ich. Goratschin, das lag zeitlich und räumlich 

entsetzlich weit entfernt. Im  Hintergrund  des  MJAILAM‐Bildes  tauchten  die  beiden 

Fremden nun auf. Sie näherten sich der Kameraoptik. 

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Offenbar hatten sie bereits  festgestellt, daß unsere Atemluft auch für sie verträglich war. Die Helme waren zurückgeschlagen. Es  folgte das übliche Ritual. Begrüßung mit Gesten und Mienen, 

dann  Hinweis  auf  den  Translator.  Danach  wurde  Vokabular ausgetauscht, bis die positronischen Übersetzer  in der Lage waren, einen einwandfreien Dialog zu ermöglichen. Die  eindeutige Eröffnung des Gesprächs  ging  von den  Fremden 

aus.  Einer  der  beiden  zog  eine  Waffe  aus  seiner  Kleidung  und übergab sie einem Besatzungsmitglied der MJAILAM. Von diesem Zeitpunkt  an  konnten wir  sicher  sein,  es mit  Freunden  zu  tun  zu haben. »Wir gehören zum Volk der Walgonier«, erklärte einer der beiden 

Fremden,  der  sich  als  Daan‐Bar  vorgestellt  hatte.  »Es  ist  uns gelungen,  die  Ewige  Barriere  um  unser  System  zu  durchdringen. Niemals zuvor ist das gelungen.« . Ich sah Daug‐Enn‐Daug an. Offenbar  begannen  die  Bastionen  des  Bösen  in  der Namenlosen 

Zone  allmählich  zusammenzubrechen.  Die  Sklaverei  hinter  den Schockfronten  hörte  auf  –  es  fragte  sich  nur,  was  für  Völker  es waren, die nun ihre Freiheit wiedererlangten.   

7.  VISION: »SPOODIES« Ich werfe  einen  Blick  auf  Breckcrown Hayes. Das Gesicht wirkt 

sehr blaß, die Augen liegen tief in den Höhlen. Schwermut drücken seine Züge aus. Ich weiß, daß es ihm sehr schlecht geht. Jeder andere hätte längst 

um Ablösung gebieten, die Last der Verantwortung für die SOL auf jüngere, kräftigere Schultern gelegt. Nicht so Breckcrown Hayes. Er ist High Sideryt, er wird als High Sideryt sterben. Was ihn noch auf den  Beinen  hält,  ist  sein  eiserner  Wille.  Er  zwingt  seinen 

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ausgemergelten Körper  von  einem  Tag  auf  den  anderen  ins  Joch, hält  hier  Beratungen  ab,  sieht  dort  nach  dem  Rechten,  trifft Entscheidungen, leitet und regelt. Seine Arbeit ist ein wenig leichter geworden. In  der  Zeit,  die  hinter  uns  hegt,  haben  sich  die Verhältnisse  an 

Bord der SOL stabilisiert. Das Mißvergnügen, der verdeckte Unmut, sie  sind  verschwunden.  Eine  Kette  unglaublicher  Abenteuer  liegt hinter uns, aber  in den  letzten beiden  Jahren wurden die Gefahren geringer, die wir zu bestehen hatten, die Aufgaben waren leichter zu lösen, das Schiff  selbst geriet nie wieder  in  scheinbar aussichtslose Gefahrenlagen. Vor  allem  haben  die  Solaner  den  Auftrag  der  Kosmokraten 

akzeptiert. Sie wollen selbst das Ziel erreichen, das uns aufgetragen ist. Als gäbe es eine geheime Verschwörung an Bord, wird überall angepackt  und  gehandelt.  Die  Solaner  haben  sich zusammengefunden,  auch  verbunden  durch  den  Willen,  ihrem High Sideryt das Leben zu erleichtern. Vieles, was man früher  ihm aufgebürdet  hätte,  wird  nun  ohne  ihn  entschieden  und durchgeführt, auch wenn es schwerer  fällt und mühseliger  ist. Die Solaner  scheinen  zu  spüren,  daß  die  Lebensflamme  ihres  High Sideryt zu flackern begonnen hat. »Wir sind bald am Ziel«, sage  ich. In Hayes Gesicht verzieht sich 

kein Muskel, er scheint durch mich hindurchzusehen. »Gut«, sagt er schließlich und steht auf. Von einem Augenblick auf den anderen  ist er wieder voll da. Er 

muß erschöpft und ausgelaugt sein, aber seine Bewegungen zeigen die  alte  Kraft  und  Schnelligkeit.  Er  ist  zielstrebig  und kurzentschlossen wie eh und je. »Gehen wir in die Zentrale«, schlägt er vor. Er wirft einen Blick auf 

die Service‐Tastatur. An diesen kleinen Zeichen kann man erkennen, wie  es  um  ihn  steht.  Früher  hätte  er  sich  bei  dieser  Gelegenheit Kaffee  bestellt,  in  einer  selbstmörderischen  Stärke,  die  einen Siganesen  zum  ertrusischen  Schwergewichtsmeister  hätte 

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aufputschen können.  Jetzt  zögert  er  einen Augenblick,  lächelt und hebt den Blick. Wir  verlassen  die  Klause.  Sie  hat  noch  immer  einen  eher 

mönchischen Zuschnitt. Alle Versuche, Hayes mit ein wenig Luxus zu verwöhnen, hat er abgeblockt. Er ist an Bord, um eine Aufgabe – seine  Aufgabe  –  zu  erfüllen,  nicht  um  auf  weichen  Kissen herumzuliegen  und  sich  von  freundlichen  Solanerinnen Komplimente anzuhören. In der Zentrale der SOL ist es ruhig. Jedermann versieht gelassen und routiniert seinen Dienst. Im Linearflug bewegen wir uns auf den Koordinatenpunkt zu, den 

wir erreichen sollen. »Noch zwanzig Minuten, schätzungsweise«, sagt der Pilot. Hayes nickt. Ich  spüre  die  Beklemmung,  die  ihn  befallen  hat.  In weniger  als 

einer  halben  Stunde  sind wir  am  Ziel,  damit  ist  der Auftrag  der Kosmokraten erfüllt. Danach gibt es nichts mehr zu tun – jedenfalls nichts, von dem wir jetzt wüßten. Ich spüre, daß Hayes mit seinen Gedanken bereits in der Zukunft 

ist. Was wird aus der SOL werden, wenn der Auftrag erledigt  ist? Wie werden sich die Solaner entscheiden? Für ein freies, ungebundenes Herumvagabundieren im Weltraum? 

Für  eine  Rückkehr  in  die  heimatliche Milchstraße?  Für  ein  Leben ohne  großes  Ziel? Oder  für  einen  neuen Auftrag,  von wem  auch immer er kommen mochte? Eines steht fest: nach dem Abschluß dieses Auftrags wird die SOL 

nicht mehr das gleiche Schiff sein. Die Ereignisse der  letzten  Jahre, mochten sie auch noch so gefährlich gewesen sein, haben der SOL und  den  Solanern  einen  Stempel  aufgedrückt.  Schon  jetzt  geht  es mitunter bei privaten Zusammenkünften hoch her: »Weißt du noch, damals … als wir Hidden‐X… und dann die Vulnurer …? Es  sieht  fast  danach  aus,  als  sollten  die  turbulenten  Zeiten  der 

letzten Jahre allmählich zur »guten alten Zeit« der SOL werden, ein 

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Gedanke, der niemand mehr amüsieren kann als mich, wenn ich an die Hindernisse denke, die mir von den Solanern in den Weg gelegt worden sind. »Rückkehr in den Einsteinraum in zehn Minuten.« Allmählich zeichnet sich unser Ziel genauer ab. Es  scheint  eine  linsenförmige Spiralgalaxis  zu  sein, Durchmesser 

etwa  einhunderttausend Lichtjahre. Eine  erste  Schätzung der Zahl der Sonnen erreicht den Wert von einhundert Milliarden. Der größte Teil  dieser  gigantischen Masse  ist  im  Zentrum  zusammengeballt, weiter draußen entsprechen die Sternverteilung und die Sterntypen weitgehend dem, was ich von der Milchstraße her kenn. Die Milchstraße. Erinnerungen  bestürmen  mich.  Jetzt,  so  nahe  dem  Abschluß 

meines Auftrags, schließt sich der Gestaltbogen. Ist dies wirklich der Abschluß – das Ende eines Abenteuers, das 

vor  Jahrtausenden begonnen hat,  in  jenem Augenblick,  in dem  ich aus der Werkstatt der Kosmokraten den Zellaktivator empfing, den ich noch immer trage. Damals hat es angefangen, mit dem auf die wüste und barbarische 

Erde verschlagenen Kristallprinzen von Arkon. Zehn  Jahrtausende lang  Versteckspiel,  einhundert  Jahrhunderte  lang  Bemühungen, dieses wilde  Planetenvolk  in  den  Raum  vorstoßen  zu  lassen.  Ein Mann  gegen  einen  Planeten,  vergebliche  Liebesmüh. Hat Absicht der Kosmokraten dahintergestanden, mich diese schier endlos lange Spanne Zeit auf Terra zu isolieren? Sollte ich geprägt werden durch dieses Asyl wider Willen? Ich habe viel gesehen in dieser langen Zeit. Ich habe gesehen, wie 

sich die großen Pyramiden der Ägypter  in die Höhe stemmten. Ich habe  die  Türme  gesehen,  gebaut  aus  Festungstrümmern  und Menschenschädeln – es waren die einzigen Bauwerke, die Timuri‐Lenk  auf  seinen  Raubzügen  von  eroberten  Städten  und  ihren Bewohnern zurückließ. Tamerlan hatten ihn andere genannt, und er trug  voll  Stolz  seinen  schrecklichen  Beinamen:  terror  mundi, 

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Schrecken der Welt, oder Geißel Gottes. Ich  habe  gesehen, wie Rom  brannte  und  Troja  fiel. Gottkönigen 

und  in  Selbstvergötterung  verfallenen Kaisern  habe  ich  gedient  – und sie für meine Zwecke einzuspannen versucht. Herrscherirrsinn und Sklavenelend habe ich bis in die letzte Faser studieren können. Wozu das alles? Ich  habe  den Mongolensturm  erlebt,  jene  ungeheuerliche Masse 

aus  Pferdeleibern,  gepanzerten  Reitern  und  hageldicht  fallenden Pfeilen,  die  alles  vor  sich  her  warf,  aus  der  Steppe  des  Ostens heranbrausend,  gut  geschult,  gut  geführt  und  nahezu unwiderstehlich. Ich habe die Pest durch Europa rasen sehen, die Zeit,  in der sich 

die  Leichen  auf  den  Straßen  türmten,  weil  niemand  sie wegzuschaffen wagte, in denen Menschen sich bis auf die Knochen geißelten,  um  der  Pest  zu  entgehen,  während  andere  sich schrankenlosem Hedonismuß  hingaben,  um  die  letzten  Tage  und Stunden ihres Lebens so genußreich zu verbringen wie nur möglich. Hat das  einen  Sinn gehabt? Gehört  es  irgendwie  zusammen mit 

dem, was sich jetzt dem nähert? Ich  habe Nero  erlebt  –  und  Seneca. Die  Polos  sind meine Gäste 

gewesen wie der  legendäre  Ibn Batutta.  Ich habe mit Michelangelo gesprochen – und mit  jenem Fürsten des Grauens, der den Namen des Großinquisitors trug. Und immer benutzte ich Waffen. Mal  nur  das, was mir  die Natur  gegeben  hatte.  Fartuloon,  der 

dicke  Bauchaufschneider,  der mich  in  der waffenlosen Kunst  des Dagor  unterwiesen  hatte;  der  sanftäugige  Mönch  im  gelben Gewand, der mich die Anmut des Tai‐Chi‐Chuan  lehrte – und die tödliche Variante des Kung‐Fu. Schwerter  hatte  ich  geführt,  den  kurzen  römischen Gladius wie 

das  germanische  Griffzungenschwert,  die  mittelalterlichen Beidhänder,  die Krummsäbel  des  Janitscharen,  die  schmiegsamen Damaszenerklingen,  die  prachtvollen  Raufdegen  toledanischer 

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Fertigung. Ambrustbolzen  hatten  mir  die  Haut  geritzt,  ich  hatte 

Blasrohrpfeile abgewehrt, bei Azincourt hatte ich es mit den ebenso eleganten wie furchtbaren Langbögen der englischen Bogner zu tun gehabt,  und  wie  es  sich  anhört,  wenn  ein  geschickt  geworfener Tomahawk angesaust kommt, weiß ich bis heute. Paßt  das  zusammen?  Gibt  dieses  wirre, manchmal  heitere,  des 

öfteren aber blutige Mosaik am Ende ein Bild? Was  gehört  nicht  alles  dazu?  Wie  lange  habe  ich  über  koans 

meditiert, bis sich satori einstellte? War es nützlich, das Hatha‐ und Rama‐Yoga  zu  erlernen,  an  den  Quellen  der  Kunst?  Hat  es irgendeinen,  noch  so  absonderlichen  Bezug  zu  dem,  was  sich  in wenigen Minuten vollenden wird? Bilder steigen auf, werden scharf und verschwimmen wieder, um 

anderen Erinnerungen Platz zu machen. Die architektonisch völlig mißratene Kapelle,  in der Papst Sixtus 

zu beten pflegte, die nach  ihm die  sixtinische heißt und doch nur berühmt  ist  wegen  zweier  Männer,  die  darin  Unvergeßliches, Unwiederbringliches schufen. Ich sehe den alten Mann vor mir, wie er  sich  allein,  fast  ohne  Gehilfen  abschindet,  die  frischen  Farben selbst anrührt und  sie auf den  feuchten Putz aufträgt.  Jeder Strich muß sitzen, nichts  läßt sich nachträglich mehr ändern, und das auf dem Rücken  liegend,  auf  einem  schwankenden Gerüst, hoch über dem  Boden,  einen mit Kerzen  besteckten Hut  auf  dem Kopf,  um wenigstens  ein  bißchen Licht  zu haben.  Jahr um  Jahr hat  er diese Sklaverei  der  Kunst  ertragen,  dabei  gleichzeitig  Bramantes kümmerliche Pläne verbessert und der Vittoria Colonna einige der schönsten Sonette geschrieben, die  je verfaßt wurden. Was  für  ein Genie,  dieser  dick‐schädlige  Toskaner,  der  sich  als  alfresco‐Maler betätigte,  als Bronzegießer,  als Poet,  als Baumeister, und der doch nur  eines wollte  –  dem weißen,  strahlenden Marmor  aus Carrara Meisterwerke  entmeißeln  wie  seinen  unglaublichen  David.  Ein Großfürst  in  jeder Kunst,  in der  er  sich  versuchte  – Michelangelo 

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Buonarotti. Der kleine Mann mit dem Mausegesicht, der die Finger nicht von 

Würfeln und Karten lassen konnte, der ein Vermögen verspielte, das er nicht hatte, weil er dem vertraute, was er in unglaublichem Maß besaß,  seinem  unerschöpflichen  Schatz  an Melodien;  der Briefe  in einer Fäkalsprache schrieb, die seine Nachwelt in Staunen versetzte, der nach einmaligem Anhören einer mehrstimmigen,  langen Messe imstande  war,  sie  nahezu  fehlerfrei  Note  für  Note  aus  dem Gedächtnis  aufzuschreiben  und  fast  in  den  Geruch  ketzerischer Zauberei  geriet,  der  immer  am  Rand  des  Ruins Meisterwerk  um Meisterwerk schrieb, um zuletzt am hitzigen Frieselfieber zugrunde zu  gehen  und  in  einem  unbekannten  Massengrab  verscharrt  zu werden – Mozart. Oder der bleiche  junge Mann mit den Buchhaltermanieren, scheu 

und zurückhaltend, niemals auffällig, gewaltig nur  in dem, was er still  für sich schrieb und am  liebsten vernichtet hätte, der  in seinen Erzählungen Ängste und Verzweiflung auslotete bis an die Grenze des Wahnsinns, der den Käfig seiner Neurosen bis  in  jeden Winkel kannte, jede Mauerritze darin, wie sein Brief an den Vater beweist – und doch noch imstande war, diese innere Grenze zu überwinden – Franz Kafka. »Es kann nicht mehr lange dauern!« Die Stimme von Breckcrown Hayes. Mit  wem  soll  ich  ihn  vergleichen?  Mit  den  Condottieri  der 

Renaissance,  den  streitbaren  Fürsten  des Mittelalters?  Er  hat  die Selbstzucht eines Samurai, als sei das bushido für ihn geschaffen. Oder mit Robert Falcon Scott? Irgendwo zwischen Südpol und der 

Welt, ein enges Zelt, von grauenvollen Stürmen umtost, die Freunde sind bereits tot oder liegen im Sterben, und er schreibt, führt seinen Bericht  fort, macht Notizen,  obwohl  er weiß,  daß  die  Zahl  seiner Stunden gering  ist. Ruhig  schreibt  er weiter, bis  seine  erkaltenden Finger den Stift kaum mehr zu halten vermögen. »Schickt  dieses  Tagebuch  meiner  Frau«,  lautet  die  letzte 

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Eintragung. Bei klarem, einsichtigen Verstand wird der Stift geführt, durchstreicht das Wort Frau und setzt in klarer Erkenntnis darüber Witwe. Etwas von diesem Mann  ist  in Breckcrown Hayes. Er steht neben 

mir, sieht auf den Panoramaschirm. Bald wird das Ziel auftauchen. Er wendet sich um, hält mich fest, bevor ich fallen kann. Der Ansturm der Gedanken  ist übermächtig. Alle  Schleusen des 

Gedächtnisses  sind  geöffnet. Wirr  springen  die  Erinnerungen  hin und her. Perry Rhodan, Bully, Gucky – schemenhaft tauchen die Gesichter 

auf und verschwinden wieder. Auris von Las‐Toor – die  schöne Frau von Arkon, die  ich  liebte, 

und die Perry Rhodan liebte. Crysalgira,  die  Prinzessin  von  Arkon,  die  vertraute  Gefährtin 

meiner Abenteuer als entrechteter Kristallprinz, verfolgt und gejagt vom eigenen Onkel, dem Brudermörder. Thalia, die ich nach langen, gemeinsamen Kämpfen verlor. Mirona 

Thetin, ebenso schön wie gefährlich als Faktor I der MdI. Warum  denke  ich  gerade  jetzt  an  diese  Frauen,  die  meinen 

Lebensweg begleitet haben? Ich lasse meinen Blick durch die Zentrale der SOL schweifen. Es ist 

sehr  ruhig, wenn es eine Aufregung gibt, wird  sie zumindest  sehr gut versteckt. Mich scheint niemand zu beachten, und mir ist es recht so. Ich versuche zu begreifen was in diesem Augenblick geschieht. Ich bin an Bord der SOL,  ich bin Atlan, und alles, was  ich  sehe, 

rieche, berühre, ist real. Und doch spüre ich, daß es nicht real ist. Ich komme mir vor wie  in einem überaus perfekt  inszenierten Traum. Jedes Detail stimmt, aber die Summe aller dieser Details ist nicht die Wirklichkeit. Ich möchte aus diesem Traum aufwachen. Er ängstigt mich  –  nicht weil  es  konkrete Gefahren  gäbe,  sondern wegen der Stimmung des Unwirklichen, die mich erfaßt hat. Breckcrown Hayes lächelt. Ich weiß, daß er zufrieden ist. Er kann 

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mit sich zufrieden sein, er hat Unglaubliches geleistet in den letzten Jahren.  Er  hat  sogar  den  legendären  Chart  Deccon  vergessen machen.  Breckcrown Hayes  ist  der High  Sideryt  der  SOL,  an  ihm wird  man  seine  Nachfolger  messen,  und  sie  werden  es  schwer haben, nach ihm zu bestehen. »Kontakt!« Die  SOL  fällt  in  den  Normalraum  zurück.  Die  scheinbare 

Bewegung der Sterne auf dem großen Panoramaschirm hört auf. »Wir sind am Ziel«, sagt Breckcrown Hayes. »Noch nicht ganz«, antworte ich. Die Taster durchstreifen das Weltall, auf der Suche nach dem, was 

wir  am  Zielgebiet  finden  sollen.  Jetzt  endlich  wird  das  Rätsel gelüftet, hinter dem wir so lange Zeit hergejagt sind. Was erwartet uns dort? Irgendeine gewaltige Raumstation? Ein Empfangskommando der 

Kosmokraten? Die Abgesandten eines Sternenreichs? »Wir haben etwas gefunden«, höre ich von der Ortung. »Sieht sehr 

seltsam aus.« »Projektion!« verlangt Breckcrown Hayes. Auf dem Panoramaschirm wird  ein Bild dessen  gezeichnet, was 

die Fernortung hat erfassen können. »Sieht  aus  wie  ein  energetischer  Bienenschwarm«,  sagt  jemand 

und lacht dazu. Auf dem Schirm erscheint ein annähernd kugelförmiges Gebilde, 

das zu leben scheint. Gleich einer Amöbe breitet es sich hierhin und dorthin aus, dehnt und streckt sich, zieht sich wieder zusammen. Es scheint zu pulsieren. Was ist es? Ich weiß, daß dieses Gebilde das Ziel unserer langen Reise ist. Eine 

Gefahr,  die  wir  zu  beseitigen  haben?  Ich  kann  mir  nur  schwer vorstellen, daß es im Kosmos eine Gefahr gibt, die die Kosmokraten nicht bestehen könnten – und wenn doch, dann sind sie ganz sicher nicht durch die SOL oder meine Person zu retten. Es wäre lächerlich 

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anzunehmen,  sterbliche  Wesen  wie  wir,  an  die  Gesetze  des Einsteinraumes gebunden, könnten zu Helfern von Wesen werden, die  die Grenzen  dieser Gesetze wahrscheinlich  längst  überstiegen haben. »Langsam  heranfliegen«,  ordnet  Breckcrown  Hayes  an.  Er  geht 

langsam  zu  seinem  Sessel  hinüber,  läßt  sich  hineinfallen.  Seine Finger  huschen  über  die  Tastatur.  Wenig  später  erscheint  die unvermeidliche  Portion Kaffee. Hayes  sieht mich  an,  verzieht das hagere Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Varnhagher‐Ghynnst«, sagt er zufrieden. Den Namen  kennen wir,  aber wir wissen  nicht, was  sich  damit 

verbindet. Das Gebilde scheint näher zu kommen. Das Abbild wird schärfer. 

Der Vergleich mit dem Bienenschwarm verstärkt sich. Wenn  es  Energiebienen  sind,  dann  ist  es  ein  riesiges  Volk. 

Wahrscheinlich  Milliarden  von  Einzelwesen,  die  einander umkreisen, durcheinander schwirren. Auch  eine  äußere  Struktur  wird  erkennbar.  Hauchfeine  Linien 

ziehen  sich  als  dichtes  Netzwerk  über  den  Energieschwarm,  im Näherkommen  werden  diese  Linien  stärker  und  deutlicher erkennbar. »Wir haben einen Asteroidenschwarm gefunden«, erklingt es von 

der Ortung. Auch die Massetaster haben etwas gefunden, auch ihre Ergebnisse werden auf den Schirm projiziert. Da  ist  der  energetische  Bienenschwarm,  umgeben  von  einem 

dunklen Netz, das die ganze Versammlung umschließt. Je näher wir kommen, um so dichter scheint dieses Netz zu werden. In  der  Nähe  dieses  Gebildes  driften  Dutzende  von  Asteroiden 

durch den Raum.  Im Näherkommen vergrößert  sich  ihre Zahl, die Messungen erfassen jetzt auch kleinere, unscheinbarere Objekte. »Gesamtmasse  der  kosmischen  Kleinkörper  ergibt  zusammen 

einen kleinen Planeten, einen sehr kleinen.« »Planeten ohne Sonne gibt es nicht, es sei denn, jemand hat daran 

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herumgefingert«,  sagt  Breckcrown  Hayes.  Vorsichtig  nippt  er  an dem brühheißen Kaffee. Barkon, schießt es mir durch den Kopf. Der sonnenlose Planet im 

Leerraum zwischen der Milchstraße und dem Andromedanebel.  In dieser Abschlußphase unserer Abenteuer, in der seltsam abstrakten Stimmung, in der ich mich befinde, bekommen selbst Assoziationen ein anderes Gewicht. Warum denke ich gerade jetzt an Barkon – nur wegen der geringen Ähnlichkeit? Oder verknüpft sich hier und jetzt, was ich alles erlebt habe? Eines  wird  für  mich  in  diesem  Augenblick  überdeutlich  – 

entweder ist dies das Ende, oder es ist ein neuer Anfang. Und  wenn  es  Neubeginn  ist,  ich  spüre,  daß  ich  mit  dieser 

Vermutung  ins  Schwarze  treffe,  dann  war  alles  bisherige  nur Ouvertüre, das eigentliche Konzert beginnt erst.   

8.  VISION: »SPOODIES« Fahrtlos treibt die SOL durch den Raum. Riesenhaft zeichnet sich 

das rätselhafte Gebilde auf den Schirmen ab. Jemand hat bereits Bezeichnungen geprägt. Spoodies werden die  seltsamen Energien genannt, die  im  Innern 

des  leuchtenden  Gebildes  durcheinander  schwirren.  Eine Ausmessung  hat  ergeben, daß das  Feld der  Spoodies  knapp  zehn Lichtminuten groß ist und annähernd kugelförmig. Das  hört  sich  nach wenig  an, wenn man  an  die millionenfache 

Lichtgeschwindigkeit  denkt,  die  die  Lineartriebwerke  erreichen können.  Nimmt  man  als  Maßstab  aber  das  Sonnensystem  der Terraner, werden die Proportionen deutlicher – die Erde  ist knapp acht Lichtminuten von Sol entfernt. Die Spoodie‐Kugel schließt also ein  Volumen  ein,  in  das man mühelos  Sonne  und  Erde  auf  der Umlaufbahn hineinpacken könnte. Mit Milliarden  ist die Zahl der 

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Spoodies viel zu gering veranschlagt. Da von dem Feld gleichsam nur  die  Oberfläche  zu  erkennen  ist,  können  wir  das  Innere  des Gebildes nicht erkennen. Möglich,  daß  die  Spoodies  wie  Elektronen  auf  einem 

Kugelkondensator  nur  auf  der Oberfläche  herumschwirren,  selbst dann  ist  ihre Zahl gigantisch. Füllen sie aber die ganze Kugel aus, wächst die Zahl in astronomische Größenordnungen. Für  das  dichte Netzwerk,  das  den  Schwarm  zusammenzuhalten 

scheint,  hat  jemand  den  Namen  Raumtang  geprägt.  Auf  den Bildschirmen  erscheint  der  Raumtang  als  ein  Netz  breiter, blauschwarzer Linien, von dunkelroten Blasen durchsetzt. Messungen  haben  ergeben,  daß  der  Raumtang  lebt.  Eine 

Lebensform, die mir wenig anheimelnd erscheint. Die Buhrlos an Bord hingegen sind entzückt. Sie erkennen in dem 

Raumtang eine, wenn auch sehr entfernt, verwandte Lebensform. Ich kann die Buhrlos verstehen. Der Akt der Schöpfung, dem sie 

ihre Entstehung verdanken, nähert sich dem Ende. Es ist abzusehen, daß  es  in  ein paar  Jahrhunderten kaum noch Buhrlos geben wird. Zwar  bekommen  Buhrlo‐Frauen  nach  wie  vor  Kinder,  aber  der weitaus  größte  Teil  dieser  Kinder  gehört  zum  Normaltypus  des Solaners – nur selten noch werden echte Buhrlos geboren. Die  Wissenschaftler  haben  ausgerechnet,  daß  die  Spezies  der 

Buhrlos  nur  dann  Aussichten  auf  Fortbestehen  hat,  wenn  jede Buhrlo‐Frau  im  Lauf  ihres  Lebens  sieben Kinder  zur Welt  bringt. Die  Gesamtpopulation  der  Buhrlos  würde  dann  unmerklich langsam um den Faktor 1,007 wachsen, normale Lebensverhältnisse vorausgesetzt.  Die  gleichen  Wissenschaftler  haben  auch ausgerechnet,  daß  wegen  des  dann  entstehenden Geburtenüberschusses  vom  Normaltyp‐Solaner  die  SOL  in spätestens drei  Jahrhunderten  entschieden  zu klein würde, um  all diese  Solaner  unterbringen  zu  können.  Und  relativ  zur Gesamtbevölkerung  der  SOL  würden  die  Buhrlos  eine  immer kleiner werdende Minderheit werden. 

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Was sollen wir hier? »Nun?«  fragt  Hayes.  »Was  hast  du  vor?  Dies  sind  die 

geheimisvollen  Koordinaten  von  Varnhagher‐Ghynnst,  die  du aufsuchen  sollst.  Wir  sind  am  Ziel,  jetzt  bestimme  du,  was  zu geschehen hat.« »Ich werde mir eine Space‐Jet nehmen«, sage ich, »und damit das 

Spoodie‐Feld genauer erkunden.« Der Name Spoodie gefällt mir, er klingt irgendwie heiter. »Wen willst du mitnehmen?« »Bjo  vor  allem«,  antworte  ich  ohne Zögern.  »Wenn  dieses Zeug 

lebt, wird es wohl Gedanken haben.« Bjo steht in meiner Nähe. Er nickt. »Bis  jetzt  habe  ich  nichts  erfassen  können«,  sagt  er.  »Jedenfalls 

nicht  von  den  Spoodies.  Und  die  Gedankenvorgänge  bei  diesem Raumtang sind so verworren, daß ich nichts Klares erkennen kann.« »Das kann sich ändern, wenn wir näher heran sind«, sage ich. Wir machen uns fertig. Die Space‐Jet steht startklar im Hangar. Bjo 

übernimmt  die  Steuerung.  Außerdem  ist  noch  eine  Gruppe  von sieben Freiwilligen an Bord, Solaner, von denen ich bislang nur den Namen  und  das  Gesicht  kenne.  Die  Sache  scheint  mir  nicht sonderlich gefährlich zu sein, und so habe ich nichts dagegen, sie an Bord zu haben. Die  sieben, vier Frauen und drei Männer, machen ein  solches  Unternehmen  zum  ersten  Mal  mit  und  zeigen  sich bemerkenswert ruhig. Die SOL schießt die Space‐Jet aus dem Hangar. Das  Spoodie‐Feld  mit  seinem  weißblauen  Licht  bestrahlt  den 

Riesenkörper der SOL. Einmal mehr sehe ich, wie gigantisch dieses Schiff ist. Ruhig und massig hängt die SOL im Raum. »Kaum zu glauben, daß wir all das überstanden haben, ohne einen 

Teil der SOL zu verlieren«,  sagt die Funkerin. Rhana Gernat heißt sie,  eine  Frau  mittleren  Alters  mit  grauen  Haaren  und  flinken, klugen Augen. Ich nicke. 

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Bjo steuert die Space‐Jet langsam auf das Spoodie‐Feld zu. Verglichen mit dem Feld  ist selbst die SOL ein winziges Gebilde, 

noch winziger erscheint die Space‐Jet. »Vielleicht  ist da drin  irgendwo  eine  Sonne  verborgen,  oder  ein 

ganzes  Planetensystem«,  sagt  Thorn  Beiden,  ein  schlanker  junger Techniker. »Möglich wäre es«, antworte ich. »Aber die Massetaster haben im 

Innern keinen entsprechend großen Körper orten können.« »Vielleicht  ist  das  hier  die  Sonne,  eine  ganz  neue,  unbekannte 

Form von Sonne«, setzt er seine Spekulationen fort. »Das Spoodie‐Feld  ist  in seinem Innern genauso kalt wie außen«, 

antworte ich ruhig. Einhundert Kilometer sind nach kosmischen Maßstäben nicht sehr 

viel. Von der SOL und von dem Spoodie‐Feld sind wir nun genau gleichweit entfernt. Ich sehe, wie Bjo zusammenzuckt. »Der  Raumtang!«  ächzt  er  und  greift  in  die  Steuerung.  »Er 

attackiert uns!« Mein Kopf fährt herum, ich schaue auf den Panoramaschirm. Wie Peitschenschnüre kommen  sie herangeschossen, breitlappige 

Bänder des Raumtangs. Sie schnellen auf uns zu. Ein harter Schlag geht durch die Space‐Jet, irgendwo kreischt Metall auf. Bjo  schiebt  den  Beschleunigungshebel  nach  vorn.  Die  Space‐Jet 

entfernt sich von dem Raumtang, aber nur scheinbar. Wir schleifen die  Bänder  hinter  uns  her,  sie  dehnen  sich  und  ziehen  weitere Tangtentakel hinter sich her. »Geht es?« frage ich. »Knapp«,  sagt  Bjo.  Er  schüttelt  den  Kopf,  als  wolle  er  einen 

lästigen Druck loswerden. »Verbindung zur SOL«, rufe ich. »Steht!« antwortet Rhana ruhig. »Monitor vier.« Breckcrown Hayes ist zu sehen. »Können wir helfen?«  fragt er gelassen. »Wir können  sehen, daß 

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euch der Tang eingefangen hat.« »Er wird uns nicht bekommen«, stoße ich hervor. Die ganze Zelle 

der Space‐Jet ächzt und knirscht. Der Tang hat sich um den Körper gewickelt und zieht und zerrt daran. »Zerschießt die Verbindung  zwischen uns und dem Tang«,  rufe 

ich. »Aber macht schnell – das Zeug gewinnt an Kraft.« Die  Geschwindigkeit,  mit  der  wir  uns  der  SOL  nähern,  wird 

immer geringer – als hingen wir an  einer  langen Gummileine, die sich immer mehr strafft und sich immer weniger dehnen läßt. »Punkt Null!«  stößt  Bjo  hervor. Die  Space‐Jet  beschleunigt  nicht 

weiter, obwohl alle Triebwerke mit Vollschub arbeiten. Die SOL  ist noch dreißig Kilometer entfernt, noch  immer bewegen wir uns auf das  Mutterschiff  zu,  aber  mit  immer  geringer  werdender Geschwindigkeit.  Das  Extrahirn  liefert mir  knapp  die  Ergebnisse seiner Kalkulation. Ungefähr sieben Kilometer vor der SOL werden wir gänzlich zum Stillstand kommen, danach wird uns der Tang zu sich heranziehen. »Erschreckt  nicht«,  ruft  Breckcrown  Hayes.  »Wir  zielen  knapp 

hinter euch.« »Los, fang an damit, das Zeug wird lästig.« Hayes  hat  kleinere  Thermokanonen  einsetzen  lassen,  das müßte 

eigentlich genügen. Es genügt nicht. Dort, wo  die  Strahlen  auf  den  Tang  auftreffen,  beginnt  er  grell 

aufzuleuchten. Feuerbälle entstehen und gleiten an den Fängen des Raumtangs  auf  die  große  Tanghülle  zu.  Es  sieht  fast  so  aus,  als würde sich das unheimliche Wesen davon ernähren. »Mehr!« ruft Bjo. Der  Tang  um  die  Space‐Jet  herum  beginnt  sich 

zusammenzuziehen.  Das  Knirschen  und  Ächzen  wird  immer stärker.  Ich  sehe,  daß  einigen  an  Bord  der Angstschweiß  auf  der Stirn steht. Noch sind alle ruhig und gefaßt, keiner fällt in Panik. Hayes setzt größere Kaliber ein, ergebnislos. 

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»Hilf uns mit den Traktorstrahlprojektoren!« rufe ich. »Bereits eingeleitet!« erklingt die Stimme des High Sideryt. Ich spüre, wie ein Ruck durch die Space‐Jet geht. Sie macht einen 

Satz auf die SOL zu. Der Tang kämpft, um uns festhalten zu können. »Wir schaffen es«, stößte Bjo hervor. »Wir kommen näher.« Die  blauweiß  bestrahlte Hülle der  SOL  taucht  vor  uns  auf. Nur 

noch zwei oder drei Kilometer, eine lächerlich geringe Entfernung. Dann sehe ich, wie Bjo kreideweiß wird. »Hayes!« schreit er. »Traktor aus, schnell.« Der Ruf kommt zu spät. Ich  sehe,  wie  Bjo  mit  einem  Gewaltmanöver  die  Space‐Jet 

zurückschießen läßt; er gibt alle Kraft auf die Impulstriebwerke, die uns von der SOL fortstoßen sollen. Und  auf  einem  anderen  Schirm  sehe  ich,  wie  eine  ungeheure 

schwarzblaue Masse von hinten an uns heranschießt, die Space‐Jet berührt wie ein Sprungbrett und von dort auf die SOL zuschnellt. Hayes hat begriffen und reagiert. Die Space‐Jet zuckt zurück. Die 

Beschleunigung  ist  so  stark,  daß  die  Andruckabsorber  nicht mitkommen. Das  Rettungssystem  schießt  seine Gurte  heraus  und fesselt  uns  an  die  Sitze,  während  uns  vom  Andruck  die  Luft wegbleibt. In rasender Fahrt entfernt sich die Space‐Jet von der SOL, auf die 

sich  der  gigantische  Fangarm  des  Raumtangs  zubewegt.  Das Zurückschnellen der Space‐Jet  lähmt den Schwung dieses Angriffs, aber er reicht dennoch aus. Während der Andruck wieder normal wird, sehe ich, wie sich die 

ersten  Fäden  des  Raumtangs  um  das  Mittelstück  der  SOL  zu schlingen  beginnen,  und  von  hinten  schieben  sich  ungeheure Tangmassen heran, um das Schiff vollständig einzuhüllen. Hayes  reagiert,  wie  man  es  von  einem  High  Sideryt  erwarten 

kann.  Durch  die  Räume  der  SOL  gellt  Alarm,  alle  Triebwerke werden hochgefahren. Die SOL ruckt an. Wir hängen mit unserer Space‐Jet mitten in dem 

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Tanggewirr,  und  wir  können  hören,  wie  die  Zelle  der  Space‐Jet zusammengedrückt wird. »Trennung!« ertönt Hayesʹ Kommando. Die SOL  teilt  sich. Das Mittelstück kämpft mit den Tangmassen, 

die  wie  eine  Sturmflut  heranbranden,  die  beiden  SOL‐Zellen entfernen  sich  ungefährdet.  Hunderte  von  Kilometern  lange Tentakel  schießen  den  Kugelkörpern  nach,  können  sie  aber  nicht erreichen. Von der SZ‐1 wird eine Transformbombe abgefeuert. Sie trifft eines der Tangbündel, das nach der SZ‐1 greift. Grellweiß steht der Ball der atomaren Explosion vor dem Schwarz des Weltraums, aber  er  bewirkt  nicht,  was  sich  die  Besatzung  erhofft  hat. Aufgesplittert  in  Dutzende  kleiner  weißer  Energiebälle  wird  der anbrandende  Energiesturm  der  Transformbombe  über  das Netzwerk  des  Tangs  abgeführt  und  auf  weite  Bereiche  der Oberfläche verteilt. Irisierende Blitze zucken über das Tangnetz. Wir  haben  jetzt  keine  Zeit,  uns  um  die  SOL  zu  kümmern. Wir 

müssen die eigene Haut retten. »Bjo, versuche durch das Tangnetz durchzustoßen  ins eigentliche 

Spoodie‐Feld!« Bjo nickt. Die Space‐Jet beschleunigt. Ich wende schnell den Blick. 

In  den  Augen  der  anderen  flackert  Todesangst.  Ich  kann  sie verstehen. Eingesperrt  in  eine winzige  Space‐Jet haben  sie  erleben müssen,  wie  sich  die  riesige  SOL  nur  durch  Flucht  hat  retten können. Unerbittlich klammert sich der Tang an uns  fest, auch das Mittelstück  der  SOL  hat  er  im  Griff,  aber  die  Maschinen  dieses Schiffes  sind  stark  genug, den Zug des Tangs  auszugleichen. Wie lange noch? Ich  kann  sehen, wie  die  Triebwerke  der  SOL  arbeiten,  aber  das 

Schiff  bewegt  sich  nicht  um  Haaresbreite.  Sind  wir  nur hierhergekommen, um in einer Todesfalle zugrunde zu gehen? »Achtung!« ruft Bjo. Auf dem Panoramaschirm kommt die Oberfläche des Raumtangs 

näher.  Noch  immer  wandern  kleine  Energiebälle  über  die 

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Netzstruktur,  leuchten  auf  und  verlöschen  wieder.  Es  ist  ein faszinierender Anblick – atemberaubend schön und atemberaubend gefährlich zugleich. Zum Glück  sind wir  bereits  festgeschnallt,  sonst  hätten wir den 

Aufprall  schwerlich  überstanden.  Überall  an  Bord  geht  die Einrichtung  zu  Bruch,  als  die  Space‐Jet mit  einer Kante  über  den Tang schrammt und zu kreiseln beginnt wie ein Diskus. Schreie werden  laut. Die  Beleuchtung  fällt  für  einige  Sekunden 

aus, dann setzt die Notbeleuchtung ein. Mattes Licht dringt in die Zentrale der Space‐Jet, ein kühles Blau, 

in dem sich unsere bleichen Gesichter sehr sonderbar ausnehmen. Ich sehe als erstes nach dem Raumtang. Er hat sich von uns gelöst, die Fäden schnellen zum Netz zurück. 

Ein Blick auf die SOL, sie ist nicht zu sehen. Ich versuche zu begreifen, was sich vor meinen Augen abspielt. Hunderttausende,  wenn  nicht Millionen  von  winzigen  Körpern 

schwirren vor dem Panoramaschirm, eingehüllt in ein sanftes blaues Leuchten. Ab und zu prallt einer dieser Körper gegen die Zelle der Space‐Jet. Es hört sich an wie sanfter Hagelschlag. Bjo  läßt die Space‐Jet  stoppen. Wenig  später  steht  sie  fahrtlos  im 

Innern des Spoodie‐Schwarms. »Wir  sollten  eines  oder mehrere  dieser Dinger  an  Bord  holen«, 

schlage ich vor. »Ich fange ein paar in der Schleuse ein«, sagt Bjo. Für  ein paar Sekunden öffnet  er die Mannschleuse, dann  läßt  er 

die  Verschlüsse  wieder  einrasten.  Ich  gebe  Anweisung,  die Raumanzüge anzulegen – wir wollen auf der Hut sein. Die  innere  Schleusentür  ist  hermetisch  verschlossen.  Durch  ein 

Fenster werfen wir einen ersten Blick auf die Spoodies. Sie  liegen  zu  Tausenden  auf  dem  Boden  der  Schleuse  und 

krabbeln durcheinander. Eines sitzt genau auf dem Fenster. Ich sehe es mir genau an. Der  Spoodie  ist  ungefähr  zwei  Zentimeter  lang  und  etwa  fünf 

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Millimeter dick. Der Körper ist geformt wie ein schlanker Konus, die Farbe ist silbern. Am schmaleren Ende des Spoodies kann ich einen dünnen Augenring erkennen, des weiteren einen Doppelrüssel und einen  schmalen  Haarkranz.  Mit  vier  winzigen,  aber  klar erkennbaren Beinpaaren hält sich der Spoodie auf dem Fenster fest. »Ich weiß nicht, ob die Dinger harmlos sind oder nicht«, sagt Bjo, 

der neben mir steht. »Kannst du  telepathisch etwas erkennen?«  frage  ich. Bjo schüttelt 

den Kopf. »Nichts«, lautet seine knappe Antwort. »Glaubst du wirklich, daß 

es diese Dinger sind, um derentwillen wir hierher gekommen sind?« Ich kann es mir auch nicht vorstellen. All die Mühen, Gefahren und Aufregungen – nur wegen ein paar 

Billionen winziger Insekten. Gewiß, sie sehen recht hübsch aus, aber das  ist kein Grund, die  SOL durch den Weltraum  zu  jagen. Mehr noch – die  lange, gefahrvolle Suche nach diesem Ort, die Hetzjagd nach den verlorengegangenen Koordinaten, haben Leben gekostet, das von Solanern und das anderer Geschöpfe. Und das nur, damit wir die silbernen Spoodies bestaunen können? »Wir  sollten  ein  paar  davon  genauer  untersuchen«,  schlage  ich 

vor. Der Vorschlag klingt einfach, aber wie  führt man  ihn durch?  Ich 

habe  keine  Lust,  in  der  Space‐Jet  ein  paar  tausend  Spoodies herumwimmeln zu  lassen – schließlich  ist es auch denkbar, daß sie eine ungeheure Gefahr darstellen. Wir versuchen es mit einem Robot, der sich  in die Schleuse wagt 

und nach kurzer Zeit  zurückkehrt. Auf  seiner Oberfläche  sitzt  ein Dutzend Spoodies. Drei davon packen wir, den Rest vernichten wir mit unseren Waffen. Die wissenschaftlichen Möglichkeiten an Bord der Space‐Jet  sind 

nicht die besten, wir können nur sehr oberflächlich Untersuchungen durchführen.  Aber  bereits  die  ersten  Ergebnisse  sind  ebenso aufschlußreich wie verblüffend. 

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Sie sehen zwar aus wie kleine Lebewesen, diese Spoodies, aber bei näherer Betrachtung  scheinen  sie  eher  eine Art Mikromaschine  zu sein – als Bjo versehentlich eines zerbricht, zerfällt es  in sehr harte Mikroteilchen,  die  keinerlei  Lebensspuren  mehr  aufweisen.  Gern würde  ich mich näher mit diesen  seltsamen Wesen  befassen,  aber dazu  fehlt uns die Zeit. Außerdem können wir  feststellen, daß der Doppelrüssel  der  Spoodies  aufgeteilt  ist  in  einen  Saugrüssel  und einen, der  ein  Sekret  absondert,  für dessen Untersuchung uns die Mittel fehlen. Wesen, die stechen, saugen und Sekrete absondern, sind mir nicht 

gerade  geheuer. Wir  sperren  die  Spoodies  in  einen  transparenten Käfig,  in  dem  sie munter  herumkrabbeln,  dann wenden wir  uns anderen Problemen zu. Die Lage sieht nicht besonders günstig aus. Wir  stecken  mit  der  Space‐Jet  in  einem  Spoodie‐Schwarm  fest. 

Wenn wir versuchen, den Raumtang wieder zu durchbrechen, wird er uns mit großer Wahrscheinlichkeit einfangen und zerquetschen. Das  Mittelteil  der  SOL  zerrt  noch  immer  am  Klammergriff  des Tangs und kommt nicht von der Stelle. Was ist in dieser Lage zu tun? Eine  echte  Chance  zum  Durchbruch  haben  wir  nur,  wenn  wir 

genügend  schnell  sind.  Aber  unser  Flug  führt mitten  durch  den Spoodie‐Schwarm hindurch, und unter diesen Bedingungen werden wir nie die Geschwindigkeit erreichen, die wir brauchen. Es führt keine Gedankenmogelei an der harten Erkenntnis vorbei – 

wir sitzen fest und wissen uns nicht zu helfen. Das Ziel ist erreicht, aber wir können nichts mehr unternehmen.   

9.  Tyari sah mich aufmerksam an. Ich  nickte  langsam.  Mit  ihr  allein  besprach  ich  die  seltsamen 

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Visionen, die mich  immer wieder überfielen. Gerade erst hatte  ich ein  Teil  einer  solchen  Geschichte  erfahren  –  auf  eine  sehr eigentümliche Weise. Das, was  ich  sah,  hörte  und  fühlte, wirkte  außerordentlich  real. 

Wäre  ich mit  einem  Fetzen meines  Bewußtseins  nicht  völlig  klar geblieben,  hätte  ich  den Unterschied  zur  Realität  nicht  bemerken können. So aber saß  ich  in meiner Kabine, starrte  ins Leere und versuchte 

mir  die  Bilder  einzuprägen.  Sie  erfüllten mich mit  nicht  geringer Sorge. »Was  ist es diesmal?«  fragte Tyari.  Ich wiederholte  ihr kurz, was 

ich  gesehen  hatte.  Die  Fortsetzung  der  Geschichte  drängte  in meinem Geist nach vorn. Noch bildete sie den Hintergrund meiner Wahrnehmung,  aber  ich  war  sicher,  daß  sie  sich  bald  in  den Vordergrund  schieben  und  erschreckend  echt  Gestalt  annehmen würde. »Ist das alles?« fragte Tyari. Ich schüttelte den Kopf »Es geht weiter«, antwortete ich. »Aber ich 

habe  jetzt nicht die Zeit, mich damit zu befassen. Wir wollen nach Walgon vorstoßen, das geht vor.« Tyari lächelte. »Woher willst du das wissen?« fragte sie sanft. Ich zuckte mit den 

Schultern. Ich kannte mich selbst und meine Möglichkeiten gut genug, um zu 

wissen,  daß  ich  nicht  im  üblichen  Sinn  halluzinierte.  Und  eine derartige  Prophetengabe  hatte  sich  noch  nie  zuvor  bei  mir bemerkbar  gemacht.  Es  gab  nur  eine  plausible  Erklärung  –  die Visionen kamen von außen. Aber woher? Von wem? Und was steckt dahinter? Ich  fand beim besten Willen keine Antwort  auf diese Frage. Die 

raumzeitliche Quelle der Visionen herausfinden zu wollen, hielt ich für  wenig  sinnvoll  –  außerdem  wäre  wenig  damit  gewonnen gewesen. Wichtiger war, wer sie mir schickte. 

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Es  gab  viele  Möglichkeiten.  Parzelle  beispielsweise.  Die  letzte Vision  hatte  viel  mit  meinem  Auftrag  zu  tun.  Wollten  mir  die Kosmokraten  mit  einem  solchen  Phantasiebild  wichtige Informationen weitergeben, über Art und Umfang dieses Auftrags? KING  fiel mir  ein, aber  es konnten auch die Zyrtonier  sein.  Ihnen war zuzutrauen, auch wenn  ich mir das  technisch‐biologisch nicht vorstellen  konnte,  daß  sie  meine  Erinnerungen  anzapften, hochrechneten  und mir  dann  diese  Visionen  schickten,  um mich geistig  zu  zermürben.  Aufmunternd  jedenfalls  war  diese  letzte Vision  nicht  gewesen,  eher  niederschmetternd.  Am  Ende  meiner langen Fahrt mit der SOL stand ein Feld voll Mikromaschinchen, in dem ich mit Freunden hoffnungslos festsaß. Tyari  erinnerte mich  an  die Möglichkeiten  der  Lichtquelle,  aber 

auch in diesem Fall war ich nicht überzeugt. Die Sache blieb überaus rätselhaft. Ein Gedanke beschäftigte mich ganz besonders. Waren  diese  Visionen  Abbilder  einer  vorweggenommenen 

Wirklichkeit, also ein Einblick  in meine Zukunft und auch die der SOL?  Oder  handelte  es  sich  lediglich  um  Projektionen,  geistige Hochrechnungen, Spekulationen? War  das, was  ich  sah  und  erlebte,  die Zukunft  –  oder  nur  eine 

denkbare Spielart der Zukunft? War das die Zukunft, was dann? Ich erinnerte mich an Ernst Ellert, 

den Teletemporarier, der in die Zukunft hatte reisen können – auch er hatte vor dem gleichen Problem gestanden. Konnte  ich  jetzt munter mit der  SOL drauflos  fliegen,  ohne mir 

Sorgen machen  zu müssen,  nur weil  ich wußte,  daß  ich mit  dem Schiff die langersehnten Koordinaten erreichen würde? Auf die Spitze getrieben: Was wurde aus den Visionen, wenn  ich 

mir  eine  Waffe  nahm,  an  die  Schläfe  setzte  und  abdrückte? Zellaktivator hin, Zellaktivator her – solche Eingriffe in mein Leben verkraftete  auch  kein  Zellaktivator.  Was  wurde  dann  aus  den Abbildern der Zukunft – in denen ich ja nach wie vor lebte? Es gab  eine  einfache Lösung  für das Problem  –  ich brauchte die 

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Visionen nur perfekt aufzuzeichnen und mich dann umzubringen. Ging das daneben, aus welchen Gründen auch immer, dann konnte ich davon ausgehen, daß meine Zukunft wenigstens bis zum Eintritt der Spoodie‐Vision in die Realzeit völlig gesichert war. Ob ich mich von  hohen  Felsen  stürzte,  Gift  schluckte  oder  mich  kopfüber  in Himmelfahrtskommandos  stürzte  –  mir  konnte  nichts  passieren, denn in der Vision war ich noch frisch und munter, und in meinem Visionsgedächtnis  war  von  schweren  Verletzungen  oder dergleichen nichts enthalten. Klappte  der  Selbstmord,  würden  zumindest  meine  Freunde 

wissen,  daß  es  eine  solche  Möglichkeit  der  Zukunftsvoraussage nicht gab – natürlich hatte ich keine Lust, das Experiment zu wagen. Auf diese  Frage  bekam  ich  also  auch  keine Antwort. Außer mit 

Tyari wollte  ich mit  niemandem darüber  sprechen  –  nach  all den Aufregungen  der  Vergangenheit  waren  die  Solaner  bis  obenhin gesättigt  mit  Problemen,  und  meinen  ganz  besonders. Wahrscheinlich  hätte  ich  ihnen  damit  nur  einen  handfesten Vorwand  geliefert,  mich  entweder  einzusperren  und  auf  meinen Geisteszustand  untersuchen  zu  lassen,  oder mich  kurzerhand  von Bord zu weisen. »Was willst du jetzt tun?« »Erst einmal das erledigen, was mir vordringlich erscheint – den 

Vorstoß nach Walgon. Wenn es stimmt, daß die Schockfronten sich auflösen, ist das nicht nur wichtig für die Solaner und mich, sondern für viele Völker in der Namenlosen Zone – und vermutlich auch für viele Systeme außerhalb der Namenlosen Zone. Die meisten Völker, die  hier  eingesperrt  worden  sind,  neigen  nach  wie  vor  zu  stark aggressivem Verhalten, um es einmal sehr behutsam auszudrücken. Werden  all  diese  Horden  und  Raumflotten  wieder  freigelassen, können sie sich entweder wechselseitig bekriegen – oder sie rotten sich zusammen und überfallen im Verbund friedliche Systeme. Das müssen wir verhindern, wenn wir es können. Und dazu brauchen wir so schnell wie möglich die neuesten Informationen. Im Walgon‐

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System werden wir sie bekommen.« Ich  stand  auf  und  verließ  meine  Kabine.  In  der  Zentrale  der 

Futurboje  bestand  noch  die  Konferenzschaltung mit  den  anderen Schiffen. »Ich  schlage  vor,  daß  die  drei  Vulnurerschiffe  vorläufig  noch 

außerhalb  des  Systems  bleiben. Mit  der  Futurboje,  der MJAILAM und  der  FARTULOON  werden  wir  in  das  System  eindringen. Außerdem  schlage  ich vor, daß der Emulator der Vulnurer, Daug‐Enn‐Daug,  und  Borallu  mich  an  Bord  der  Futurboje  begleiten. Außerdem sollen die Walgonier an Bord kommen. Ihr Schiff können wir mitnehmen, in einem der MJAILAM‐Hangars.« Die Kommandanten waren damit einverstanden. Nach kurzer Zeit 

trafen die beiden Vulnurer an Bord der Futurboje ein, wenig später erschienen die Walgonier. Als sie die Vulnurer sahen, blieben sie wie angewurzelt stehen. »Das  ist es«, flüsterte Daan‐Bar. Er deutete auf die Vulnurer. »Sie 

bewirken es, kein Zweifel, es ist ihr Einfluß.« »Wovon redest du?« fragte ich. Daan‐Bar  schien Mühe zu haben,  seine Gedanken  zu ordnen. Er 

holte  tief Luft.  Ich sah, daß sein Emotionsgesicht von Respekt,  fast schon Ehrfurcht gezeichnet war. »Die Wirkung der Vulnurer auf mich«, stieß er hervor. »Es ist das 

gleiche  wie  bei  der  Paudenc‐Katharsis,  allerdings  ein  wenig schwächer.« Daug‐Enn‐Daug und Borallu wirkten ein wenig erstaunt, während 

in mir der Verdacht aufstieg, daß es vor allem das Erscheinen der Vulnurer als gestaltender positiver Kraft zuzuschreiben war, daß die Schockfronten brüchig wurden. Wenn das stimmte, hatten wir beim Vorstoß ins Walgon‐System eine hervorragende Trumpfkarte in der Hinterhand. »Fliegen wir los«, bestimmte ich. Die Vulnurerschiffe blieben zurück, als die drei anderen Einheiten 

beschleunigten. 

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Das Ziel unseres Anflugs war klar; es war jener Fleck am Rand des Walgon‐Systems,  an  dem  der  Hyperfunkverkehr  und  andere Hyperimpulse das  System  besonders  leicht  zu  verlassen  schienen. Dort  war  höchstwahrscheinlich  die  systemumspannende Schockfront besonders dünn, vermutlich handelte es sich bei diesem Gebiet um den Walgonschatten auf der Oberfläche der Schockfront. Ich sah, daß die beiden Walgonier sehr aufgeregt wurden, als wir 

uns der Eindringstelle näherten. Wenig später entspannten sich ihre Gesichter,  wir  hatten  die  Schockfront  durchdrungen,  ohne  etwas davon gespürt zu haben. Im nächsten Augenblick aber gellte der Alarm durch alle Räume. Die Raumflotte der Walgonier war nicht  faul  gewesen. Zwanzig 

Schiffe  lauerten unmittelbar hinter der Schwachstelle des Systems, außerdem wimmelte der Raum von Treibminen. Ich preßte die Lippen aufeinander. »Trennen!« bestimmte ich. Unsere Schiffe  schwärmten  auseinander. Die Futurboje hielt  sich 

näher  an  der MJAILAM,  während  die  FARTULOON  einen  Kurs flog, der sie weit von uns entfernte. Eine der Treibminen berührte uns. Auf dem Monitor konnte  ich 

sehen, wie  der  Energiefaden  unseren  Schutzschirm  berührte,  sich zusammenzog  und  die  Treibmine  bis  dicht  an  unser  Schirmfeld brachte.  Die  darauf  folgende  Detonation  entlockte  den  beiden Walgoniern einen leisen Schrei des Erschreckens, der Mann, der die Belastung des Schirmfelds überwachte, verzog nur die Lippen. »Keine Gefahr, wenn sie nicht in ganzen Bündeln auftreten.« Ich nickte zufrieden. »Wir räumen auf alle Fälle eine Gasse frei, wer weiß, wozu wir sie 

brauchen können.« Vor  allem  konnten wir  damit  den Walgoniern  einen  gehörigen 

Schock versetzen. Eine der Minen nach der anderen ging hoch, aber unbeirrt  setzten unsere  Schiffe  ihren  Flug  fort. Eine  tiefe,  schmale Bresche  schlugen  wir  in  das  Minenfeld.  Um  die  Wirkung  zu 

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vergrößern,  fächerten wir unsere Schirmfelder weiter auseinander, dadurch vergrößerte sich die Zahl der Minen, die gezündet wurden. Die  FARTULOON  hatte  das  Minenfeld  bereits  passiert.  Die 

Walgonschiffe,  die  sich  im  Walgon‐Schatten  recht  langsam  und behutsam  bewegten,  wurden  nun  schneller  und  aggressiver.  Sie begannen die FARTULOON zu jagen. Natürlich  hatten  wir  den  Raumjäger  der  Walgonier  kurz 

untersucht.  Der  Stand  der  walgonischen  Technik  entsprach ungefähr dem, was wir von der SOL kannten. Allerdings hatten wir wenig  über  die  Geschütze  der  walgonischen  Schiffe  erfahren können, und so sah ich diese Verfolgungsjagd mit einiger Besorgnis. Die FARTULOON zeigte sich von der Jagd wenig beeindruckt. Die 

ersten  Treffer  in  ihre  Schirmfelder  steckte  sie  klaglos  weg  und änderte ihren Kurs nicht um Haaresbreite. Ich sah hinüber zu Daan‐Bar. Er mußte sich in der Waffentechnik 

seines Volkes einigermaßen auskennen. Seine Gesichter zeigten, daß er  sehr  gespannt  war  und  auch  ein  wenig  erschrocken,  als  die Wirkung der Schießerei ausblieb. Ich erlaubte mir ein Lächeln. Offenbar brauchten wir mit unserer 

Defensivbewaffnung die Kanonen der Walgonier nicht zu fürchten. Dennoch  galt  es,  vorsichtig  zu  sein  –  es  konnte  Überraschungen geben, von denen weder wir noch Daan‐Bar etwas ahnten. Eine dieser Überraschungen ließ nicht lange auf sich warten. Eine 

zweite Flotte der Walgonier erschien, offenkundig mit dem einzigen Auftrag, die Flucht aus dem System unmöglich zu machen. Daß sie uns tatsächlich hindern konnten, brauchten die Walgonier 

nicht zu wissen. Für uns reichte als Hindernis aus, daß wir uns den Fluchtweg  hätten  rücksichtslos  freischießen  müssen  –  solche Handlungen kamen  für uns nicht  in Frage. Und  so  spürte  ich  ein Unbehagen,  als  ich  sah,  wie  die  dreißig  Schiffe  starke  Flotte  die Einbruchstelle abzuriegeln begann und Schwärme von positronisch gesteuerten  Raumtorpedos  aussetzte,  die  in  der  Nähe  der Eindringstelle ihre Kreise zogen und auf Beute warteten. Wenn zwei 

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oder  drei  dieser  Torpedos  gleichzeitig  in  unsere  Schirmfelder einschlugen, war  es mehr  als  fraglich,  ob  die  Schutzschirme  dem gewachsen waren. »Ihr weicht einem Kampf aus?« fragte Daan‐Bar. »Wir  verabscheuen Blutvergießen«,  erklärte  ich  ihm.  »Wenn wir 

kämpfen,  dann  nur,  wenn  wir  unausweichlich  dazu  gezwungen werden.« »Hm«, machte Daan‐Bar zweifelnd. »Wo  können wir den Emulator  eures Volkes  finden?«  fragte  ich 

den Walgonier. »Wenn  er  sich  nicht  abgesetzt  hat,  auf Walgon  II,  dem  äußeren 

Planeten.« Die Walgonier  arbeiteten  uns  in die Hand.  Sie  hatten wohl  vor, 

uns  nicht  sofort  zu  vernichten,  sondern  erst  einmal gefangenzunehmen und zu befragen. Ihre Manöver deuteten darauf hin, daß sie uns zu einem ganz bestimmten Ort abdrängen wollten. Auf  den  Funkfrequenzen  der  Walgonier  herrschte  ziemliches 

Durcheinander. Offenbar war die gesamte Flotte  in Marsch gesetzt worden, ein Vorgang, der  in der  jüngeren Geschichte des Systems kein Vorbild hatte. »Kannst  du  etwas  spüren?«  fragte  ich  Daug‐Enn‐Daug.  Der 

Emulator der Vulnurer machte eine Geste des Zweifels. »Nichts Genaues«, antwortete er. »Ein großer Teil der Walgonier 

scheint  mir  recht  aggressiv  zu  sein,  aber  ich  habe  auch  den Eindruck, als hätten sie nicht mehr sehr viel Erfahrung im Umgang mit ihren Waffen.« »Das stimmt«, warf Daan‐Bar ein. »Da es keinen greifbaren Feind 

gibt, den man bekämpfen könnte,  ist der Dienst  in der Flotte nicht sehr beliebt.« »Das  soll  uns  nur  recht  sein«,  sagte  Tyari.  Sie  lächelte  mir 

ermutigend zu. Sehr  stark war  die  Flotte  der Walgonier  nicht,  obendrein  hatten 

ihre  Kommandanten  keine  Kampferfahrung.  Vielleicht  waren  sie 

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noch  nie  gezwungen  gewesen,  die  Leistungsfähigkeit  ihrer Schiffskonstruktionen voll auszuloten. Die Haken, die die  FARTULOON  schlug,  setzten die Walgonier 

immer  wieder  in  Staunen,  auch  wir  schafften  es  immer  wieder, unseren  lästigen Verfolgern  zu  entgehen,  obwohl  sich  deren Zahl immer mehr  vergrößerte. Aus  allen Winkeln  des  Systems  kamen Schiffe herangejagt, um sich an der Jagd zu beteiligen. Wir  hatten  inzwischen  die  Umlaufbahn  des  äußeren  Planeten 

erreicht  und  näherten  uns  der  kürzesten  Flugroute  zwischen  den beiden  Planeten.  Dort  rief  unser  Erscheinen  beinahe  eine  Panik hervor. Die Besatzungen der harmlosen Fähr‐ und Transportschiffe hatten  Angst,  in  einen  Konflikt  verwickelt  zu  werden,  und versuchten, außer Reichweite zu kommen. In ihrem Bemühen, nicht in  das  erwartete  Gefecht  hineingezogen  zu  werden,  landeten  sie nicht  selten  genau  auf den Routen der Kriegsschiffe. Das  Fluchen der Kommandanten klang aus den Lautsprechern. Ich sah, daß Daan‐Bars Emotionsgesicht einen Anflug von Scham 

zeigte. Wahrscheinlich  genierte  er  sich,  daß  wir  mit  der  stolzen Walgon‐Flotte derart Katz und Maus spielten. Die  FARTULOON  hatte  es  besonders  schwierig.  Sie  wurde 

hartnäckig verfolgt, und da die FARTULOON natürlich nicht daran dachte,  sich  den  Weg  durch  die  aufgescheuchten  Frachtraumer freizuschießen, mußte sie verzögern und Ausweichmanöver fliegen, die sie immer näher an die Geschütze der Walgonier heranbrachten. Den  größten  Teil  der  Treffer  konnten  die  Schirmfelder  wohl verkraften,  aber  einen  konzentrierten  Beschuß  aus  allen  Einheiten hätte das Schiff wohl schwerlich überstanden. »Wenn  sie  euch  zur  Landung  zwingen  wollen,  laßt  es  zu«, 

bestimmte ich über Funk. Auch uns versuchte man abzudrängen, auf den äußeren Planeten 

zu. Da wir dort Ziir‐Tinc, den Emulator der Walgonier, vermuteten, hatten wir nichts dagegen. Wenn wir Kontakt mit  ihm aufnehmen wollten, mußten wir ohnehin landen. 

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Walgon II kam näher. Es war eine hübsche Welt, die allerdings im Näherkommen Anzeichen  städtebaulicher Barbarei zeigte – Städte, die  wie  vom  Reißbrett  in  die Wirklichkeit  gesprungen  aussahen, erschreckend  logisch  und  zweckdienlich  entworfen,  ohne  das geringste Bemühen um  ästhetische Kriterien. Auch die Landschaft zeigte eine Ordnungsstruktur, die wegen ihrer deutlich erkennbaren Regelmäßigkeit  erschreckend wirkte.  So  konnten wir  aus der Luft erkennen,  daß weite Gebiete  offenbar  zu Monokulturen  verurteilt waren,  mit  den  entsprechenden  Verarbeitungsanlagen  an  den Rändern der riesigen Areale, die  jeweils nur mit einer Nutzpflanze bewachsen  waren.  Die  Wasserläufe  waren  stark  begradigt  und größtenteils regelrecht einbetoniert. Zweckdienlichkeit schien das Prinzip zu sein, nach dem das Leben 

auf  den  Walgon‐Planeten  eingerichtet  worden  war.  Daß Wohnmaschinen  und  andere  menschenfeindliche  städtebaulichen Prinzipien, Gewalttätigkeit geradezu herausforderten, hatte sich bei den Walgoniern noch nicht herumgesprochen. Auf der Erde hatten Fachleute  schon  vor  Jahrtausenden  erkannt,  daß  die  Zahl jugendlicher  Straftäter  signifikant  mit  der  Größe  und  Höhe  der jeweiligen Wohnblocks korrelierte. »Das dort ist die Hauptstadt!« rief Ollon‐Tur aus und deutete auf 

die größte der Häuseransammlungen. »Werden wir dort Ziir‐Tinc finden?« fragte ich. »Dort am ehesten«, antwortete Daan‐Bar. »Dann  landen wir  dort!«  entschied  ich.  Ein  kurzer  Funkspruch 

von  der  FARTULOON  informierte  mich  darüber,  daß  dort  das gleiche Manöver eingeleitet wurde. Auch die FARTULOON suchte sich  einen  Landeplatz  in  unmittelbarer  Nähe  der  planetaren Hauptstadt. Langsam gingen wir tiefer. Die Flotte der Walgonier setzte uns nach. Ab und zu  trafen noch 

Schüsse unsere Schirmfelder, aber der Beschuß wurde schwächer, je tiefer wir sanken. Offenbar waren die Walgonier nicht so skrupellos, 

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ihre  eigene  Hauptstadtbevölkerung  in  Gefahr  zu  bringen.  Mit schwachen Geschützen  konnten  sie uns  nach wie  vor  bestreichen, ohne  damit  etwas  erreichen  zu  können.  Starke  Geschütze einzusetzen,  verbot  sich  inzwischen  von  selbst  –  hätten  unsere beiden Schiffe tatsächlich einen Wirkungstreffer abbekommen, hätte eine  nachfolgende Detonation der Reaktoren die  gesamte  Stadt  in Schutt und Asche gelegt. Das wollten die Walgonier nicht riskieren. Wir kamen bei diesem makabren Spiel moralisch nicht besser weg 

als  die  Walgonier  –  immerhin  waren  wir  es,  die  gleichsam  die Bewohner  der  Hauptstadt  als  Geiseln  benutzten.  Angesichts  der Tatsache,  daß  man  uns  ohne  jeglichen  Kontaktversuch  sofort angegriffen hatte, zögerte ich nicht, zu diesem Mittel zu greifen. Im Ernstfall, das stand von vorneherein fest, würden wir uns lieber auf Gedeih  und  Verderb  ergeben,  als  die Walgonier  in  der  Stadt  in ernsthafte Gefahr zu bringen. Die  MJAILAM  und  die  Futurboje  berührten  den  Boden  des 

Planeten und kamen zur Ruhe. Wie eine Traube hing die Flotte der Walgonier über uns. Ein Teil 

der  Schiffe  ging  in  einen  Parkorbit,  der  Rest  setzte  ebenfalls  zur Landung  an. Damit war die  zweite Runde des  Spiels  eröffnet.  Ich beschloß,  den  Walgoniern  Zeit  zu  geben,  sich  eine  Strategie auszudenken.   

10.  VISION: »SPOODIES« Langsam  treibt die Space‐Jet durch das Gewimmel der Spoodies. 

Um  uns  herum  ist  das  kalte  blaue  Leuchten,  das  dieses  Feld kennzeichnet. Bei der  riesenhaften Ausdehnung des ganzen Feldes ist nicht zu hoffen, daß wir darin etwas  finden, was man als einen Planeten ansehen könnte. Unser Ziel  ist es, ein Stück durch diesen Spoodie‐Schwarm zu  treiben und an einer anderen Stelle aus dem 

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Schwarm  wieder  hervorzubrechen,  nach  Möglichkeit  dort,  wo dieser  widerliche  Raumtang  nicht  auf  einen  solchen  Durchbruch vorbereitet ist. Mehr können wir im Augenblick nicht tun. Die  Stimmung  an  Bord  ist  gespannt. Von  der  SOL  ist  natürlich 

nichts zu sehen und wegen des energetischen Leuchtens auch nichts mehr  zu  orten. Während  wir  durch  einen  Kosmos  aus  Spoodies driften,  kann  das  Mittelstück  der  SOL,  nur  wenige  tausend Kilometer entfernt, seinem Ende entgegengehen. Ich  sehe  mir  die  Mitglieder  der  Besatzung  an.  Ihre  Gesichter 

zeigen  Beherrschtheit,  mühsam  gewahrt.  Sie  haben  Angst,  wen wundert  das.  Einzig  Bjo  zeigt  einen  Ausdruck  unerschütterlicher Ruhe.  Seine  schräggestellten  Augen  blicken  gelassen  auf  die Kontrollen,  während  er  die  Space‐Jet  durch  den  Spoodie‐Wirbel steuert. Währenddessen sind zwei unserer Begleiter dabei, sich weiter um 

die Spoodies zu kümmern. Zu irgend etwas müssen diese seltsamen Geschöpfe  nützlich  sein  –  ich  kann mir  nicht  vorstellen,  daß  der ganze Auftrag der Kosmokraten, diese Koordinaten betreffend, nur darin bestehen soll, daß wir die Spoodies nur anstaunen. Sie müssen eine Funktion haben, eine Funktion, die dem Rang der Kosmokraten und der Wichtigkeit meines Auftrags entspricht. Bjos  Augen,  gerade  noch  halb  geschlossen,  öffnen  sich.  Er  hat 

jenen Blick, den er stets aufsetzt, wenn er mit seinen Psi‐Fähigkeiten etwas im Weltraum orten oder erkennen kann. »Aus!« Ich drehe mich um. »Was gibt es?« frage ich. Korn Hander kratzt sich heftig den Schädel. »Das Biest ist mir entwischt, und jetzt hat es mich gestochen.« Ich  bin  sofort  alarmiert.  Es  gibt  zwei Möglichkeiten  –  entweder 

sind  diese  Spoodies  ungeheuer  nützlich,  oder  sie  bedeuten  eine große Gefahr. 

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»Warum hast du deinen Raumanzug geöffnet?« frage ich scharf. »Ohne Pfeife kann  ich nicht arbeiten, und  im Anzug  ist  schlecht 

qualmen.« »Das  ist  kein  Grund,  elementare  Sicherheitsvorkehrungen  zu 

vernachlässigen!  Zeig  her,  vielleicht  können  wir  den  Spoodie finden.« Er kommt zu mir, neigt den Kopf und hält mir seine bräunlichen 

Wuschelhaare hin. »Wo hat es dich gebissen?« »Hier«,  sagt er und deutet auf  eine bestimmte Stelle des Kopfes. 

Vorsichtig  streiche  ich  die Haare  auseinander.  Ein  Fluch  entfährt mir. »Was kannst du sehen?« fragt Korn. »Der Spoodie hat dich nicht nur gebissen. Er hat deine Kopfhaut 

ein  Stück  aufgeschlitzt  und  sitzt  jetzt  unter  der Haut.  Ich werde versuchen, ihn zu entfernen.« »Tu das nicht«, sagt Korn und entzieht mir den Kopf. »Das Vieh wird dich möglicherweise umbringen«, sage ich scharf. 

Korn sieht mich überlegen lächelnd an. »Das wird er nicht tun«, antwortet er mir. »Ich weiß es.« Meine  Besorgnis  steigt.  Sondert  der  Spoodie  etwa  eine 

Rauschdroge ab, ein Halluzinogen oder ein Mittel, das seine Wirte gefügig macht? Ich bin jetzt sehr sicher, daß es sich bei den Spoodies um Parasiten handelt, um Schmarotzer, die sich vom Blut des Wirtes ernähren. »Ich  werde  den  Spoodie  entfernen«,  sage  ich  energisch.  »Wir 

dürfen kein Risiko eingehen.« Korn schüttelt den Kopf. »Er  tut  mir  gut,  ich  spüre  es.  Als  hätte  ich  ein  paar  Stunden 

unglaublich gut und tief geschlafen.« Die  anderen  drängen  sich  heran,  lauschen  der  Unterhaltung. 

Durch die Frontscheiben der Helme kann  ich die Gesichter  sehen. Auch die anderen sind sehr besorgt. 

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»Korn, spiel nicht verrückt. Laß dir das Ding entfernen, bevor es zu spät ist. Selbst wenn du  jetzt den Eindruck hast, als ginge es dir besser,  kann das  eine Täuschung  sein. Und wenn du  recht  haben solltest, bekommst du einen neuen Spoodie.« Ich habe natürlich überhaupt nicht vor,  ihm einen neuen Spoodie 

zu geben, wenn der alte erst einmal entfernt ist. Das Ding wirkt auf die  Psyche,  das  ist  offensichtlich.  Korn  weigert  sich  mit  einer unbegreiflichen Halsstarrigkeit  – wie  ein  Süchtiger,  dem man  die Droge  wegnehmen  will,  und  der  selbstverständlich  jede  Menge Ausreden parat hat, warum er von der Droge nicht lassen kann. »Atlan!«  erklingt  Bjos  Stimme  vom  Pilotensitz.  »Ich  habe  etwas 

gefunden.« »Kümmert  ihr  euch  um  Korn,  ich will  sehen, was  Bjo  entdeckt 

hat.« Ich gehe zu Bjo hinüber. Er deutet auf den Panoramaschirm. »Sieh selbst. Dort drüben!« »Geh näher heran«, bestimme ich. Ein Gebilde schält sich aus dem 

Wirrwarr des  Spoodie‐Strudels. Es  sieht  aus wie  ein menschlicher Körper. Ein Opfer der Spoodies? »Wir nehmen ihn an Bord«, bestimme ich. »Beeilt euch!« Wenig  später  ist  der  Tote  aufgefischt.  Er muß  tot  sein,  denn  er 

trägt  im  freien Raum keinen Anzug. Robots  schaffen die Spoodies aus der Schleuse und nehmen den Körper an Bord. Vorsichtig wird die Schleuse geöffnet. Ich  gehe  im Raumanzug  hinüber  zu dem Körper,  sehe  ihn  an  – 

und pralle zurück. Es  ist mein  eigenes Gesicht,  das  ich  ansehe. Meine  Züge, wenn 

auch kantig und verzerrt, aber die wesentlichen Merkmale stimmen. Der Körper  ist  größer  als meiner, und  er  sieht  aus,  als  hätten die Spoodies bereits an ihm genagt. Noch bevor ich mich von meinem Schreck erholt habe, richtet sich 

der Leichnam auf. In den Augenhöhlen erkenne ich zwei Spoodies, die mich anglänzen. 

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»Festhalten!«  rufe  ich,  aber  der  Fremde  hat  sich  in  Bewegung gesetzt.  Ohne  mich  zu  beachten,  spaziert  er  in  die  Zentrale  der Space‐Jet.  Wer  ihn  aufzuhalten  versucht,  wird  einfach  zur  Seite gedrückt. Der Fremde baut sich neben Bjo auf. Er spricht kein Wort, aber er zeigt mit Gesten, was er beabsichtigt. Die Space‐Jet soll Fahrt aufnehmen. Bjo sieht mich an. Unsere Lage 

ist verzweifelt, und der Fremde  scheint zu wissen, wie er handeln muß. »Folge seinen Anweisungen!« Bjo  nickt  und  gehorcht.  Mit  einer  weit  ausholenden 

Handbewegung  teilt der Fremde den  Spoodie‐Schwarm vor uns  – die  Spoodies  schwirren  auseinander,  die  Bahn  ist  frei. Hinter mir werden Rufe der Verblüffung  laut. Bjo  beschleunigt die  Space‐Jet, während der Fremde vor uns einen Kanal in den Spoodie‐Schwarm zeichnet. So schnell wir auch fliegen – der Kanal ist offen. Dann  erreichen  wir  die  Ummantelung.  Die  Spoodies  flitzen 

auseinander, das häßliche Netz des Raumtangs beginnt sich vor uns zusammenzuziehen.  Längst  weiß  ich,  daß  dieser  Raumtang  ein Lebewesen  ist  –  es  scheint  uns  gespürt  zu  haben  und  trifft  seine Maßnahmen. Gerade  noch  rechtzeitig  schlüpfen  wir  hindurch.  Tangtentakel 

greifen  nach  uns,  schlängeln  aber  an  uns  vorbei. Bjo  beschleunigt mit Werten, die die Space‐Jet bis zum äußersten belasten. Ich weiß, daß  er  der  einzige  ist,  der  das  kann.  Seine  Wahrnehmung  ist unglaublich  feinnervig,  zudem  ist  er  das  reaktionsschnellste Lebewesen, das ich kenne. Der Fremde deutet an, wie er den weiteren Kurs haben will. Bjo 

folgt seinen Anweisungen. Der Kurs führt zum Mittelteil der SOL. Wir stoßen Laute des Entsetzens aus, als wir das Schiff sehen. Das 

Mittelteil  ist nahezu vollständig von Raumtang bedeckt,  jedenfalls die  gesamte Vorderseite. Bjo  schlägt  auf Anweisung des  Fremden einen Haken und nähert sich dem Mittelteil von hinten. 

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Dieser  Anblick  schreckt  mich  noch  mehr  –  ein  Schwarm  von Beibooten ist dabei, die SOL zu verlassen. Ich  stelle  eine Funkverbindung her. Breckcrown Hayes  erscheint 

auf dem Schirm. »Du läßt die SOL evakuieren?« Er nickt. »Frauen und Kinder gehen von Bord. Der Raumtang hat ein paar 

Türen geknackt und erobert das Schiff, Abschnitt für Abschnitt. Wir kämpfen  gegen  ihn  an,  aber  wir  haben  bisher  noch  kein  Mittel gefunden. Und wer ist das?« Ich zucke die Schultern. »Jemand, den wir  aufgefischt haben«,  sage  ich. Hayes betrachtet 

eine Zeitlang die Bewegungen des Fremden. »Sieht eher aus, als habe er euch aufgefischt«, sagt er trocken. Von 

diesem Augenblick an hat der Fremde einen Namen – Fischer. »Wir kommen an Bord«, sage ich. »Einverstanden«,  sagt  Hayes.  Neben  ihm  taucht  ein  vertrautes 

Gesicht auf – Hallam Blake. »Noch an Bord?« frage ich. »Wir werden  es  schaffen«,  sagt Hallam  grinsend.  »Mein  Bauch 

meint das auch.« Ich  grinse.  Hallams  übersensibler  Magen,  der  auf 

unheilverkündende  Anzeichen  mit  Krämpfen  reagiert,  ist  einmal von  einem Bordwissenschaftler  als  parahyperultrasensibler Psi Ulcus bezeichnet worden. Weit im Hintergrund kann ich jetzt die beiden Kugelsegmente der 

SOL  erkennen. Von  dort  schwirrt  eine Meute  Beiboote  heran.  Ich vermute, daß sie Männer, Waffen und Roboter heranschaffen. Ich ahne, daß wir entweder die SOL retten oder das Mittelteil der 

SOL  und  Breckcrown  Hayes  verlieren  werden.  Nie  und  nimmer wird er von Bord gehen. Er wird sich in seiner Klause einschließen, aus der wir  ihn nicht werden herausholen können – der Raumtang wird es dann  tun. Hayes wird bis zum äußersten seiner Kräfte um 

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die SOL kämpfen – aufgeben wird er sie nur zusammen mit seinem Leben. Ein Mann und sein Schiff – beide einzig in ihrer Art. »Wir stoßen zu euch«, sage ich. Bjo steuert die Space‐Jet auf einen 

Hangar zu. Katastrophenstimmung.  Aus  den  Lautsprechern  können  wir  ab 

und  zu  Seufzer  und  Schluchzer  hören.  Für  die  Solaner  ist  dieser Exodus  gleichbedeutend mit dem Untergang  eines Kontinents  auf der Erde. Dennoch vollzieht sich das Manöver mit größter Präzision. Wir landen in einem der Hangars. Das Schleusenkommando treibt 

uns  zur  Eile,  das  Schiff  wird  sofort  mit  Frauen  und  Kindern bemannt  und wieder  auf  die  Reise  geschickt.  Auf  dem  Rückflug wird  es  Männer  von  einer  der  SOL‐Zellen  mitbringen, wahrscheinlich auch eine ganze Anzahl Frauen, die sich seit langem das  Vorrecht,  für  ihre  Sache  kämpfen  zu  können,  nicht  mehr nehmen lassen. Eine junge Frau geht an mir vorbei, den Strahler lässig geschultert. 

Ich  werfe  einen  kurzen  Blick  in  ihr  Gesicht.  Das  ist  kein überschäumender  Patriotismus,  kein  Heldenehrgeiz,  der  sich  in diesen  Zügen  spiegelt  –  es  ist  die  klare  Entschlossenheit  eines intelligenten  und  mutigen  Menschen,  sich  nicht  unterkriegen  zu lassen, von nichts und niemandem. Ich  suche Hayes  in der Zentrale  auf. Der  Panoramaschirm  zeigt 

jetzt nicht mehr den Weltraum  –  er  zeigt  einen  Schnitt durch das Mittelstück  der  SOL.  Schwarzschraffiert  sind  die Gebiete,  die  der Raumtang  bereits  hat  erobern  können.  Außerdem  ist  eine Außenaufnahme  zu  erkennen  –  sie  zeigt, wie  sich  der  Raumtang langsam an der Hülle vorbeiarbeitet, um die SOL auch von hinten angreifen zu können. Hayes deutet gelassen auf eine bestimmte Sektion der SOL. »Wenn  er hier vordringt, können wir  einpacken«,  sagt der High 

Sideryt. »Unsere Maschinen laufen noch immer mit Vollast, um den Zug auszugleichen. Und dort werden sie bedroht – gelingt es dem Raumtang, unseren Antrieb lahmzulegen …« 

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Hayes macht  ein  schlürfendes Geräusch.  Ich  habe  es  oft  gehört, abends  in  der  Bretagne,  wenn  die  Fischer  die  frisch  gefangenen bretonischen Austern aus der Schale schlürfen. Fischer steht neben uns und sieht sich das Diagramm an. Er sieht 

bei Licht befrachtet reichlich scheußlich aus. »Noch  etwas«,  sagt  Hayes  und  sieht mich  an.  »Der  Raumtang 

scheint dich zu kennen.« »Mich?« »Er  bildet  immer  wieder  Figuren  aus,  die  dich  nachformen, 

ziemlich  schlecht,  wie  ich  zugeben  muß,  aber  durchaus  ähnlich. Natürlich fallen unsere Leute auf schwarzgrüne Atlans nicht herein, aber  fröhlich  stimmt  sie  dieser  Anblick  nicht.  Sie  haben  deinen Nachbildungen auch einen Spitznamen verpaßt – Hallu‐Atlan.« »Sehr  witzig«,  sage  ich.  »Als  erstes  möchte  ich  die  Montur 

loswerden.« Ich  streife den Raumanzug ab. Fischer wendet einen Augenblick 

lang  den  Kopf  und  sieht  uns  an.  In  seinem  holzschnittartigen Gesicht bewegt  sich nichts. Was  ist das  für ein Ding? Ein Mensch, ein Robot, irgend etwas? »Nimm  ihn mit,  vielleicht  kann  er  nützen«,  sagt Hayes. Hallam 

Blake taucht neben ihm auf, er lächelt schwach. »Ich  hoffe,  du  schaffst  es wieder  einmal«,  sagt  er  leise.  »Meine 

Familie wird es dir danken.« »Wieviel Häupter  zählt  sie  inzwischen?«  frage  ich, während  ich 

den Anzug in eine Ecke schiebe. »Fünf«,  sagt  Hallam.  »Das  sechste  ist  unterwegs.  Hoffentlich 

wieder ein Mädchen.« »Die Knaben, die  jetzt  in den Windeln  liegen, werden  es dir  zu 

danken wissen«, gebe ich zurück. »Du  kennst  meine  Töchter  nicht«,  antwortet  Hallam  grinsend. 

»Die Männer, die sich um sie bemühen, werden es verflucht schwer haben.« Keine dreißig Sekunden dauert der kurze Dialog, dann hat uns die 

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Wirklichkeit  im  Griff.  Auf  den  Gängen  werden  Verletzte vorbeigetragen. Es hat auch schon Tote gegeben. Ich  greife  mir  eine  Waffe,  sehe  Hallam  an.  Auch  er  hält  eine 

langläufige Waffe  in der Hand. Außerdem hat er einen Strahler an der Hüfte. »Gehen wir!« Wir verlassen die Zentrale. Der Antigravlift und die Laufbänder 

bringen uns näher an die Orte, an denen der Kampf zwischen dem Raumtang und den Solanern tobt. Mit  stampfenden  Schritten  marschieren  Kampfrobots  an  uns 

vorbei. Hayes wirft  alles  ins Gefecht, was  die  SOL  nur  hergeben kann. Wir erreichen eine Sektion, die vom Raumtang gesäubert worden 

ist.  Zerbrochene  Waffen  liegen  herum,  dazwischen  ein  halbes Dutzend Roboter,  total zerstört. Der Raumtang  ist ein hartnäckiger Gegner, der ununterbrochen Nachschub an die Front werfen kann. Vor  einem  Schott  bleiben  wir  stehen.  Dahinter  ist  Lärmen  zu 

hören, das Zischen von Schüssen, das heisere Rufen von Männern, ab und zu die hellere Stimme einer Frau dazwischen. Ich öffne das Schott. Sofort schießen die ersten Fäden des Raumtangs auf uns zu. Ich  reiße  die Waffe  hoch  und  feuere.  Sonnenheiße Glut  peitscht 

den  Fäden  entgegen und  verschmort  sie,  aber der  größte Teil der Waffenenergie  wird  von  den  Fäden  absorbiert,  über  vielfältige Kanäle weitergeleitet und rast als energetische Verstärkung zurück in  das  Hauptnetz  des  Tangs.  Die  vordersten  Fäden  können  wir damit  zerstören,  aber  gleichzeitig  stärken wir  alles, was  noch  auf uns zu brandet. Es scheint ein hoffnungsloser Kampf zu sein. Vor uns schreit ein Mann, schrill und laut. Ich sehe eine Frau, die 

ihre Waffe fallen läßt, das Vibratormesser aus dem Gürtel reißt und nach  vorn  stürzt.  Wild  und  verbissen  hackt  sie  auf  das Tanggestrüpp ein. Zertrennt fallen die Einzelstränge auf den Boden und beginnen davon zu kriechen. 

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Auch  ich  lege  die  Energiewaffe  beiseite  und  greife  nach  dem Vibratormesser. Neben der Frau versuche  ich, den umschlungenen Mann  freizukämpfen.  Es  gelingt  uns,  aber  als  er  endlich  frei  ist, bricht er besinnungslos zusammen. »Bring ihn zum nächsten Arzt«, sagt die Frau und streicht sich die 

schweißnassen Haare aus der Stirn. »Beeile dich.« »Ich bleibe hier«, sage ich. Die Frau wendet sich kurz um. »In  deinem  Alter?«  fragt  sie,  dann  erkennt  sie  meine  Augen. 

Offenbar hat sie mich wegen meiner weißen Haare  für einen Greis gehalten. Sie lacht kurz. Mit  Einzelschüssen  zerstöre  ich  die  abgetrennten  Fäden  des 

Raumtangs. Sie vergehen – und sie können die Energie nicht mehr ableiten an das Muttergeflecht. Gibt uns das eine Chance? Eine Hand  legt sich auf meine Schulter.  Ich  fahre herum. Fischer 

sieht mich an. Das Gesicht beginnt zu zerbröckeln. Die Spoodies  lösen  sich aus 

den Augenhöhlen,  einer  fliegt genau  auf mich  zu.  Ich  schlage  ihn mit der Hand aus der Luft. Es hilft nichts. Fischer zerfällt. Aus  der  menschenähnlichen  Gestalt  wird  ein  Schwarm  von 

Spoodies,  die  über  uns  herfallen.  Verzweifelt  versuche  ich,  den Angriff abzuwehren, aber es sind zu viele. Die Frau schreit auf. Im  Innern Fischers beginnt es zu  leuchten. Allmählich schält sich 

seine wahre Gestalt heraus. Eine  dreißig Zentimeter  dicke  Stange,  knapp  zweieinhalb Meter 

hoch,  mit  verschiedenen  Öffnungen  und  Tentakeln.  Eines  der Tentakel berührt einen Strang des Raumtangs, der weiß aufleuchtet und als Asche auf den Boden fällt. Um  mich  herum  schreien  die  Menschen.  Auch  ich  kann  ein 

Stöhnen nicht unterdrücken.  Ich spüre, wie sich der Spoodie unter meine Haut schiebt, über meinem Gehirn. 

Page 101: Das Sonnen-Tabu

Im gleichen Augenblick weiß  ich alles, was  ich über die Spoodies wissen muß. Sie saugen tatsächlich Blut aus den Körpern ihrer Wirte – aber sie 

bezahlen  dafür,  überaus  ehrlich.  Das  Drüsensekret,  das  sie absondern,  hat,  je  nach  Träger,  stimulierende  Effekte.  Es  macht stärker  und  intelligenter,  stärkt  die  Leistungsfähigkeit  in  jeder Hinsicht. Das ist meine Mission. Ich weiß jetzt, was zu tun ist. Wir  werden  den  Raumtang  verjagen.  Er  gehört  nicht  zum 

Spoodie‐Feld,  er  stammt  von  einem  unheimlichen Gegner,  dessen Name mir in diesem Augenblick bewußt wird – Seth‐Apophis. Mit Hilfe der Spoodies werden wir diesen Raumtang bezwingen. 

Wir werden eine große Ladung der Spoodies an Bord nehmen. Sie werden, wie ich, im Auftrag der Kosmokraten ihre Arbeit tun. Und ich weiß, daß der Kern dieser Arbeit noch vor mir liegt.   

ENDE   Bei den Walgoniern,  einem  in die Namenlose Zone verbannten Volk,  ist die Auseinandersetzung zwischen den Kräften des Negativen und oppositionellen Kräften des Positiven voll entbrannt. Der Kampf ist sozusagen ein Zweikampf der Welten – und ein Duell um den Frieden …  DUELL UM DEN FRIEDEN – das ist auch der Titel des Atlan‐Bandes 671. Der Roman wurde ebenfalls von Peter Terrid geschrieben.