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Das Urteil der Körperlosen

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Nr. 443

Das Urteil der Körperlosen

Die Magier von Oth rüsten zum Angriff

von Horst Hoffmann

Nachdem der Dimensionsfahrstuhl Atlantis-Pthor im Randgebiet der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen war, hatte Atlan, wie erinnerlich, die Flucht nach vorn ergriffen. Zusammen mit Thalia, der Odinstochter, flog er ins Marantroner-Re­vier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wurde.

Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, bestanden Atlan und seine Gefährtin so manche tödliche Gefahr ge­meinsam – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde.

Nun, nach einer wahrhaft kosmisch anmutenden Odyssee, die Atlan letztlich mit seinen Freunden Razamon und Axton/Kennon zusammenführte und ihn sogar für kurze Zeit zurück nach Pthor gelangen ließ, befinden sich der Arkonide und seine Gefährten in der Gewalt von Duuhl Larx, dem Herrscher über das Rghul-Revier.

Pthor selbst kommt auch nach dem Abzug der Truppen des Duuhl Larx nicht zur Ruhe. Schuld daran sind diesmal die Bewohner der Höheren Welten, die eine Invasi­on ganz eigener Art auf den Dimensionsfahrstuhl gestartet haben.

Der Fehlschlag dieses »Überfalls aus dem Nichts« stellt Leenia, die auf Pthor be­findliche Beauftragte der Höheren Welten, vor Probleme, die kaum lösbar sind. Den­noch bewältigt Leenia ihre Aufgaben, und danach erwartet sie DAS URTEIL DER KÖRPERLOSEN …

3 Das Urteil der Körperlosen

Die Hautpersonen des Romans:Leenia - Sie trifft eine schicksalsschwere Entscheidung.Sator Synk - Ein wilder Mann aus Orxeya.Diglfonk - Ein Roboter.Atlan, Razamon und Axton/Kennon - Drei Männer auf dem Weg ins Ungewisse.Kolphyr, Koy, Fenrir und Chirmor Flog - Sie verlassen die Barriere von Oth.

1. Im Reich der Magier – das Ende der Hoffnung

Die Erleichterung darüber, allen Gefahren zum Trotz das Versteck wieder erreicht zu haben, wich namenlosem Entsetzen, als Kol­phyr und Koy, der Trommler, die Höhle be­traten. Sie sahen es in den Augen des Chirmor Flog, sie spürten es ihr Rückgrat herauf kriechen, sie fühlten, wie es ihnen die Kehle zuschnüren wollte.

Islars Anlage, das Gerät, in das sie all ihre Hoffnungen gesetzt und das zu vollenden sie das Wagnis auf sich genommen hatten, in den von den negativen Magiern beherrsch­ten Bergen der Barriere weitere Elemente zu holen, war zerstrahlt – unrettbar zertrüm­mert. Kolphyr schrie schrill auf und kniete neben den glasierten Resten der Anlage nie­der. Seine Hände fuhren über die wenigen Teile, die unversehrt geblieben waren, als weigerte sich sein Verstand, die bittere Wahrheit anzuerkennen. Wer oder was auch immer für die Zerstörung verantwortlich war – er hatte ganze Arbeit geleistet.

»Ich konnte nichts tun«, war Chirmor Flogs weinerliche Stimme zu hören. »Sie … sie tauchte wie aus dem Nichts in der Höhle auf. Sie war plötzlich da.«

»Sie?« fragte Koy leise, während der Bera immer noch vor den Überresten des Geräts kniete.

Fenrir war bei ihm und beschnupperte die Teile, die Kolphyr in die Hände nahm. Der riesige Kinderkopf des Neffen bewegte sich hin und her, als wolle er sich auf den aus ihm herauswachsenden Stümpfen auf die Zurückgekehrten zu bewegen. Die Augen mit den drei Pupillen hatten einen fiebrigen Glanz angenommen.

»Es war eine Frau, ein …« Flog bebte. »Ein Geist mit dem Körper einer Frau … vielleicht eine Magierin. Sie kam und richte­te ihre Augen auf die Anlage. Es waren furchtbare Augen. Ich versuchte, sie zurück­zuhalten, aber …«

Kolphyr stand auf und drehte sich zu Flog um.

»Eine Frau? Wirklich eine Frau?« Flog verstand die Frage nicht. »Es muß eine Magierin gewesen sein«,

wiederholte er. »Sie blickte die Anlage ein­fach nur an, und dann fuhren diese Strahlen aus ihren Augen. Sie zerschmolzen das Ge­rät. Sie hatte keine Waffen, versteht ihr? Die Strahlen kamen direkt aus ihr.«

Kolphyr schüttelte den mächtigen Kopf. »Du weißt so gut wie wir, daß kein Ma­

gier sich in die Höhle wagen würde, solange du darin bist. Es war keine Magierin.«

»Aber auch kein Mensch!« beharrte der Neffe des Dunklen Oheims. »Kein Mensch, kein Wesen dieser Welt kann so etwas tun!«

»Nein«, sagte Kolphyr gedehnt. »Kein Wesen dieser Welt …«

Koy sah den Gefährten forschend an, doch Kolphyr schien mit den Gedanken weit weg zu sein, so wie vor Stunden, als er plötzlich stehenblieb und auf etwas Be­stimmtes zu lauschen schien.

Koy wußte, daß es sinnlos war, ihm Fra­gen zu stellen – ebenso sinnlos wie vorhin.

»Hat diese … Erscheinung zu dir gespro­chen?« wollte er von Chirmor Flog wissen. »Hat sie vielleicht ihren Namen genannt?«

»Wer so wie sie kommt, um zuzuschlagen und sofort wieder zu verschwinden, nennt keinen Namen«, antwortete Flog finster. »Nein, Koy, sie zerstrahlte das Gerät und verschwand auf die gleiche Weise wieder, auf die sie gekommen war. Sie löste sich

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auf.« Heftig fügte er hinzu: »Ich verfluchte sie, und mein Fluch soll sie begleiten, egal wohin sie gegangen ist!«

Schweigen. Es gab nichts mehr zu sagen. Jeder der Anwesenden wußte, was die Ver­nichtung der Anlage bedeutete.

Nun gab es keine Hoffnung mehr, die Ma­gier von Oth von ihrer negativen Aufladung befreien zu können, keine Hoffnung, sie wieder normal werden zu lassen und mit ih­nen gegen die übermächtigen Gegner zu zie­hen.

Früher oder später würden sie nun den magischen Knoten, der die Große Barriere von Oth noch vom übrigen Pthor abschnitt, abschalten und den Dimensionsfahrstuhl überschwemmen. Und es gab nichts, das sie dann noch aufhalten konnte, nichts, das sie daran hindern konnte, Pthor wieder in jenes Instrument des Schreckens zu verwandeln, das es vor dem Tod der Herren der FE­STUNG gewesen war.

Kolphyr suchte fieberhaft nach einem Ausweg, doch kein Weg führte an der bitte­ren Erkenntnis vorbei, daß sie gescheitert waren. Und immer wieder mußte der Bera an die von Flog geschilderte Erscheinung denken – an die Art und Weise, wie sie ge­kommen und wieder verschwunden war, und daran, wie sie das Gerät vernichtete.

Konnte es noch Zufall sein, daß er vor wenigen Stunden, draußen zwischen den zerklüfteten Gipfeln der Barriere, das Gefühl gehabt hatte, Wommser sei zurückgekehrt?

»Was werden wir nun tun?« fragte Chirm­or Flog.

Kolphyr gab keine Antwort.

2. Das Ruinenschloß im EmmorkoTal

Sie waren gekommen – alle, die in der Lage gewesen waren, den Signalen aus der Dunklen Region zu folgen. Sie standen dicht aneinander gedrängt und wie erstarrt vor der breiten Treppe, die zum eigentlichen Schloß hinaufführte.

Leenia öffnete die Augen und ließ ein

Horst Hoffmann

letztesmal den Blick über sie schweifen. Es waren Tausende – Pthorer und von ihren Artgenossen zurückgelassene Trugen. Tau­sende von Wesen, die eines gemeinsam hat­ten: In ihren Bewußtseinen eingebettet, be­fanden sich die Bewußtseine der Körperlo­sen, die sich dem von Islars Gerät erzeugten, bis in die Höheren Welten hineinreichenden Sog anvertraut hatten und auf Pthor gestran­det waren. Ihre Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt. Sie hatten keine von negativer Aura freie Zone gefunden, nicht die Insel, die es ihnen gestatten sollte, sich nach vielen Jahr­tausenden wieder im Universum der Körper­lichen zu manifestieren und von dort aus ge­gen die Dunklen Mächte zu wirken, die die­se Welteninsel versklavten.

Sie waren in Pthorer und Nichtpthorer ge­fahren, doch die Träger wehrten sich gegen sie. Chaos war die Folge gewesen. Wer das fremde Bewußtsein in sich spürte, lief Amok oder verfiel in Trance. Die Körperlosen aber waren gefangen. Der Weg zurück in ihre ei­gene Daseinsebene war ihnen versperrt, so­lange sie nicht aus ihren Trägerbewußtsei­nen befreit waren. Diese Befreiung herbei­zuführen, war Leenias Aufgabe. Eine Auf­gabe, die ihre eigenen Kräfte bei weitem überstieg und sie dazu gezwungen hatte, al­les auf eine Karte zu setzen und das Risiko einzugehen, daß die Gestrandeten hier auf Pthor den Tod fanden. Sie bedurfte ihrer Hilfe und mußte sie der Gefahr aussetzen, ohne den Schutz, den ihnen (vom Wölbman­tel abgesehen, der die Aura der Schwarzen Galaxis filterte) offensichtlich die Trägerbe­wußtseine boten, an der negativen Aura zu­grunde zu gehen.

Leenia konnte als einzige Bewohnerin der Höheren Welten darin leben. Zu viele unbe­kannte Faktoren lagen ihrem Vorhaben zu­grunde, doch sie hatte keine Wahl. Ihr Ent­schluß stand fest, und der Augenblick des Handelns war gekommen.

Noch war das Tal frei von der negativen Aura. Noch wurden die Signale ausgestrahlt. Noch arbeiteten die Maschinen unter dem Ruinenschloß. Doch Leenia war inzwischen

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davon überzeugt, daß diese für eine eventu­elle Rückkehr der Lunen getroffen Vorkeh­rungen befristet waren.

Ein letzter Blick auf die aus allen Teilen Pthors herangekommenen Scharen. Die Sicht reichte auch bei Tag in der Dunklen Region kaum mehr als vierzig Meter weit. »Befallene«, so weit der Blick reichte.

Leenia schloß die Augen. Ihr ganzer Kör­per wurde von einem violetten Flimmern umspielt. Die ungeheuren Energien, die sie im Lauf der Nacht in sich aufgebaut hatte, drängten nach draußen. Sie mußte sie abge­ben, wenn sie nicht daran ersticken wollte.

Leenia konzentrierte sich auf eine Gruppe von zehn Trägern, die unmittelbar vor der Treppe standen, auf der Leenia sich befand. Vorsichtig schickte sie ihre psionischen Fühler aus, drang in die Bewußtseine der Träger ein und lokalisierte die Körperlosen in ihnen. Mit unendlicher Behutsamkeit schälte sie sie aus den Trägerbewußtseinen heraus, doch diesmal befreite sie sie nicht völlig, sondern lediglich soweit, daß sie mit ihnen Kontakt aufnehmen konnte, ohne von den Trägern gestört zu werden.

Könnt ihr mich empfangen? dachte sie in­tensiv.

Zehn Wesen, die vor Jahrtausenden den Schritt zur vergeistigten Intelligenz vollzo­gen und Aufnahme in die Gemeinschaft der Körperlosen gefunden hatten, antworteten fast gleichzeitig. Sie flehten.

Befreie uns, Leenia! Wir können uns noch nicht völlig lösen.

Einen Augenblick lang empfand Leenia so etwas wie stillen Triumph. Die darum ba­ten, von ihr in ihre Daseinsebene zurückge­schickt zu werden, hatten sie noch vor kurz­em dazu verurteilt, für unabsehbare Zeit in den Höheren Welten gefangen zu sein.

Leenia verdrängte diese Gedanken. Allein kann ich euch nicht alle retten. Ich

brauche eure Mithilfe. Was verlangst du von uns, Leenia? Er­

schrecken und aufkommende Panik. Befreie uns! Wir können in dieser Welt nicht leben!

Ihr müßt es können, für kurze Zeit. Bis

die letzten der hier befindlichen Brüder und Schwestern in der Lage sind, mit euch heim­zukehren!

Leenia dachte kurz daran, daß es nicht al­len Gestrandeten gelungen sein konnte, den Signalen zu folgen, und daß ihr auch dann, falls sie hier Erfolg haben sollte, noch eine Menge Arbeit bevorstand.

Du bringst uns in Gefahr. Leenia! Du spielst mit unserer Existenz!

Der Vorwurf in den Impulsen war nicht zu überhören. Und Leenia antwortete:

Ich habe nicht die Absicht, eure Lage auszunutzen. Ich habe eine Aufgabe zu erfül­len, und nur mit eurer Hilfe kann ich dies tun.

Wieder die bange Frage: Was erwartest du von uns? Ihr werdet entweder alle den Weg zurück

in unsere Heimat finden, oder keiner von euch. Ich werde euch befreien, wenn ihr mir versprechen könnt, daß ihr so lange mit mir arbeiten werdet, bis auch der letzte von euch befreit ist.

Was sollen wir tun? Jeder von euch wird wie ich unsere in

den Fremdbewußtseinen gefangenen Brüder und Schwestern befreien. Diese werden uns ebenfalls helfen. Es ist nicht schwer, aber es braucht viel Zeit. Je mehr von uns frei sind und uns unterstützen, desto schneller werden alle befreit sein.

Verstehen – doch in gleichem Maße Angst und Ablehnung.

Macht es uns allen nicht schwerer, als es ohnehin schon ist! So sei es, Leenia, kam es dann von zehn Bewußtseinen zugleich. Wir versprechen, zu bleiben, aber wir könnten sterben. Ich weiß es. Du aber wirst leben! Im Fall eures Todes hätte mein Leben kei­nen Sinn mehr, antwortete Leenia. Sie öffne­te sich den Artverwandten, und diese er­kannten, daß sie aufrichtig zu ihnen war. Be­freie uns, Leenia. Wir werden tun, was du verlangst.

Und auch in diesen Gedanken las Leenia nichts als Aufrichtigkeit.

Sie konzentrierte sich erneut und schälte

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die gefangenen Bewußtseine nun vollständig aus ihren Trägerbewußtseinen heraus. Noch einmal überkam sie der Zweifel. Doch dann spürte sie die Artverwandten neben sich.

Noch arbeitete die Maschinerie der Lunen …

Leenia erklärte den Körperlosen, wie sie vorzugehen hatten. Die zehn wandten sich den vor der Treppe Stehenden zu. Während Leenia sich auf eine weitere kleine Gruppe konzentrierte, spürte sie, wie die Befreiten ein Bewußtsein nach dem anderen erlösten und die aus ihren Gefängnissen Gerissenen in Leenias Sinn instruierten. Kein einziger Körperloser entschwand in die Höheren Welten.

Bald waren es Hunderte, die frei und da­bei waren, Leenias Beispiel zu folgen. Es war ein faszinierendes Erlebnis für Leenia. Sie kamen schneller voran, als sie zu hoffen gewagt hatte, und doch nicht schnell genug.

Es stellte sich heraus, daß die Energien der befreiten Körperlosen im Höchstfall da­zu ausreichten, drei Artverwandte aus den Trägerbewußtseinen herauszuschälen. Auch Leenias Kräfte ließen nach, nachdem sie et­wa fünfzig Körperlosen den »Sprung« aus ihren Trägern ermöglicht hatte.

Immer mehr Pthorer und Trugen brachen ohnmächtig vor dem Schloß zusammen. Doch die anderen, in denen noch die körper­losen Bewußtseine steckten, drängten nach, stiegen über die am Boden Liegenden, woll­ten so nahe wie möglich an Leenia heran­kommen.

Immer langsamer kamen sie und ihre Hel­fer voran. Leenia entband jene, deren Kräfte verbraucht waren, von ihrem Versprechen und schickte sie auf den Weg in die Höheren Welten.

Sie selbst kapselte sich für einige Minuten ab, um neue Energien aufzubauen.

Als sie sich dann auf die nächste Gruppe konzentrierte, stellten die Maschinen der Lu­nen ihre Arbeit ein.

Die Signale verstummten. Die negative Aura kehrte in das Emmor­

ko-Tal zurück.

Horst Hoffmann

Die um sie herum ausbrechende Panik drohte Leenia zu ersticken. Dutzende von befreiten Körperlosen katapultierten sich aus der Daseinsebene der Körperlichen heraus. Ihre stummen Schreie drohten Leenias Be­wußtsein zu sprengen. Sie geriet ins Tau­meln. Vor ihren Augen begannen die Ptho­rer und Trugen zu toben.

Aus! dachte Leenia. Tränen der Verzweif­lung und Enttäuschung traten in ihre Augen. Nicht einmal die Hälfte der Gestrandeten war frei!

Leenia verlor ihr Gleichgewicht und stürzte die Treppenstufen hinab – hinein in die Menge der Bewußtlosen.

3. Orxeya

In Orxeya war nach dem Abzug der Be­satzer Ruhe eingekehrt. Die Händler, die ih­re Stadt verlassen hatten, um in der Umge­bung in Verstecken darauf zu warten, Orxe­ya zurückzuerobern, waren in ihre Häuser zurückgekehrt und halfen den anderen, die geblieben waren, beim Wiederaufbau.

Ein Großteil der Verwüstungen, die beim Kampf gegen die Scuddamoren entstanden waren, war inzwischen behoben. Die Tru­gen, die nach den Scuddamoren gekommen waren, hatten selbst mit Hand angelegt. Die Kühlhallen arbeiteten wieder, das Goldene Yassel stand in alter Pracht am Rand des großen Marktplatzes, auf dem nun wieder Stände aufgebaut waren. Doch die Orxeya­ner, die an diesem Tag ins Zentrum ihrer Stadt gekommen waren, dachten nicht dar­an, zu kaufen oder zu verkaufen. Zwischen den Ständen saßen sie an langen Tischen und feierten die Befreiung Orxeyas. Frauen tranken ebenso aus den riesigen Krügen wie ihre Männer. Selbst Kinder durften herumto­ben, soviel sie wollten.

Der Wirt des Goldenen Yassels sorgte da­für, daß die Krüge nie leer wurden. Er be­dankte sich auf diese Weise für die Hilfe beim Wiederaufbau seiner Schenke. Braten wurden aufgefahren. Dröhnendes Gelächter

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und laute Trinksprüche waren bis zu den Stadtmauern zu hören, wo die Wachen in den Türmen sich ebenfalls einen guten Tag machten.

Je mehr Krüge geleert wurden, desto aus­gelassener wurde die Stimmung. Der Wirt des Goldenen Yassels hielt eine Rede, bis schließlich ein Hüne mit funkelnden Augen und schwarzem Bart auf den Tisch schlug.

»Das ist alles leeres Geschwätz!« polterte er los. Sein Name war Braker Hoyt, und er war nicht nur einer der reichsten Händler der Stadt, sondern seit dem Abzug der Besatzer auch neues »Gewicht« Orxeyas und somit eine Art Bürgermeister.

»Was ist leeres Geschwätz?« brüllte ein anderer vom Ende des Tisches. »Daß wir es den Kerlen gezeigt haben?«

Hoyt stand schwerfällig auf. Er schwankte schon ein wenig und mußte sich mit den Händen auf die Tischplatte stützen.

»Leeres Geschwätz!« wiederholte er. »Wie sollen wir richtig feiern, wenn er nicht bei uns ist?«

»Wer?« »Wie kannst du so dumm fragen, Ro­

gank? Synk natürlich!« »Der Angeber?« kam es von einer Zwei­

zentnerfrau. »Der, dem wir alles zu verdanken haben!«

brüllte Hoyt. Er hob seinen Krug, stellte fest, daß er leer war, und nahm sich kurzerhand den seines Tischnachbarn. Nachdem er aus­getrunken hatte, knallte er das Gefäß mit solcher Wucht auf die Platte, daß es zer­brach.

»Sator Synk und seine Pfundskerle von Robotern!« brüllte er. »Ihr wißt ganz genau, daß ich nie sein Freund war. Ganz im Ge­genteil! Gronk, du bist mein Zeuge. Habe ich ihn nicht verprügelt, als er damals beim Jahresfest meine Schwester belästigte?«

»Sie wollte belästigt werden«, rief jemand von einem der anderen Tische.

Hoyt fuhr herum. »Wer sagt das?« Ein Orxeyaner, ebenso groß wie das

»Gewicht«, erhob sich und stemmte die Fäu­

ste in die Hüften. »Ich sage das, Menser Synk!« »Der saubere Vetter von Sator«, kommen­

tierte die Zweizentnerfrau laut. »Der sich seiner geschämt hat, als er noch nicht der große Held war.« Sie spuckte aus. »Pah! Angeber sind sie alle beide. Alle Synks sind Großmäuler und Nichtskönner!«

Vier Männer und drei Frauen fuhren von den Bänken auf, schnappten nach Luft und fluchten. Eine junge Frau schleuderte ihren Krug nach der Dicken. Die wich aus, und das Gefäß schickte den ihr gegenüber Sit­zenden ins Reich der Träume.

»Das nimmst du zurück, alte Fettschach­tel!« brüllte Menser. Auch er schwankte schon heftig, war aber immer noch klar ge­nug, um zu sehen, daß seine Verwandten auf dem Sprung standen.

»Nichts nehme ich zurück, Nichtsnutz! Komm doch her, wenn du was willst!«

Nun erhoben sich auch die Verwandten der Dicken. Die ganze Gars-Sippe starrte die Synks wütend an – Männer, Frauen und Kinder. Sogar der alte Guntam Gars, einer der ältesten Bürger Orxeyas, rief mit heller Fistelstimme: »Ja, kommt doch. Wir werden es euch schon zeigen!«

Braker Hoyt, das Gewicht hob beide Hän­de. Er schwitzte, als er erkannte, was unwei­gerlich kommen würde. Raufereien gehörten zu jedem echten Fest in der Stadt, aber es war noch zu früh dazu. Normalerweise fie­len die Synks, Gars, Hoyts und wie die Sip­pen alle hießen, erst am Abend, wenn das Bier ausgegangen war, übereinander her.

»Wartet!« schrie Hoyt. »Setzt euch wie­der hin und trinkt! Später könnt ihr dann …«

Eine Bratenkeule, die ihm ins Gesicht flog, brachte ihn zum Schweigen. Der Tisch, an dem die Synks saßen, wurde umgestoßen. Mit Gebrüll stürzten die Angehörigen der Sippe sich auf die Zweizentnerfrau und de­ren Anhang. Gandel Gars blies ihrerseits zur Attacke, und im Handumdrehen war die schönste Rauferei im Gange. Gandel packte zwei Synks am Hals und schlug ihre Köpfe gegeneinander. Von hinten schlug ihr je­

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mand einen Krug über den Schädel. Gandel ließ die Synks einfach los und drehte sich ganz langsam um. Braker Hoyt, der noch den Griff des Kruges in der Hand hatte, ver­suchte aus der Reichweite ihrer Arme zu kommen, doch schon wurde er gepackt. Gandel holte Schwung und schob ihn über die Tischplatte. Stühle und kleinere Bänke flogen. Die beiden Synks waren wieder auf den Beinen und zerrten die Zweizentnerfrau mit vereinten Kräften zu Boden. Hoyt war wieder heran und leerte ein Faß mit abge­standenem Bier über ihrem Gesicht aus. Gandel schimpfte und spuckte. Dann war die ganze Gars-Sippe heran und begrub so­wohl Gandel als auch die Synks und ihren Bürgermeister unter sich. Es wurde getreten, geschlagen, gebissen, bis von ganz unten im Knäuel aus Orxeyanern der Ruf erscholl:

»Es lebe Orxeya!« Die Raufenden hielten ein. »Es lebe Orxeya!« schallte der Ruf aus

Dutzenden von Kehlen über den Marktplatz. »Es lebe unsere freie Stadt!«

»Es lebe Sator Synk!« kam es dumpf von Hoyt.

»Meinetwegen auch der!« Gandel richtete sich auf und schüttelte

drei Männer ab, die wie Kletten auf ihrem Rücken saßen.

»Wirt! Neue Krüge!« brüllte sie. Wenige Minuten später standen die Ti­

sche und Bänke wieder an ihrem alten Platz. Die Orxeyaner saßen, tranken und wischten sich das Blut von Stirn, Lippen und Kinn. Es kam zu den bekannten Verbrüderungssze­nen. Gandel Gars trank zuerst mit Braker Hoyt, dann mit Menser Synk Versöhnung. Dann hielt Hoyt eine Rede. Vom Sieg über die Scuddamoren sprach er, vom Sieg über die Trugen, vom Sieg über alle, die es noch einmal wagen sollten, sich mit den Bewoh­nern Orxeyas anzulegen – den heldenhaften Orxeyanern.

»Und als Botschafter unseres Heldentums zieht unser aller Sator Synk nun allein über Pthor, um mit den Besatzern aufzuräumen, wo sie sich vielleicht noch versteckt halten.

Horst Hoffmann

Ich frage euch, hat er das verdient?« Hoyt trank einen weiteren Krug aus, rülpste unge­niert und ballte die Fäuste. »Hat er das ver­dient, daß wir hier ohne ihn feiern und rau­fen? Er, dem ich meine geliebte Schwester zur Frau geben wollte, und …«

»Ich denke, du hättest ihn grün und blau geschlagen, als er sie belästigte?« fragte je­mand, der sich vorsichtshalber gleich duck­te.

»Wahrscheinlich, weil er sie nicht genug belästigte«, kam es von einem anderen, we­niger Vorsichtigen. Als der Rufer zwischen den Scherben zweier Krüge bewußtlos am Boden lag, schlug Hoyt mit der Faust auf den Tisch.

»Ich sage euch, er hat es nicht verdient! Und ich sage euch noch etwas. Noch heute nacht breche ich auf, um ihn zu suchen! Nie­mand soll sagen können, Orxeyaner ließen einander im Stich!«

»Ach?« fuhr Gandel auf. »Soll das hei­ßen, wir ließen Sator im Stich?«

»Nimm das, wie du willst. Ich jedenfalls weiß, was ich zu tun habe. Ich werde Sator finden, und wenn er in einer Klemme steckt, haue ich ihn da heraus!«

»Ich bin dabei!« rief jemand. Innerhalb weniger Minuten hatten sich

acht Orxeyaner demonstrativ hinter Hoyt ge­schart. Gandel Gars erhob sich. Aus zusam­mengekniffenen Augen blickte sie das Ge­wicht an.

»Du glaubst, ich ließe dich allein ziehen, Braker?« Sie lachte dröhnend. »Frauen von Orxeya! Sollen wir unsere Männer allein in die Ferne ziehen lassen?«

»Bloß nicht!« rief eine der Synks. »Wer weiß, was sie alles ohne uns anstellen. Viel­leicht kommen sie nie wieder!«

»Wenn ich dich so ansehe, kann ich mir das gut vorstellen!«

»Wer war das?« Als die zweite Rauferei des Tages vorüber

war, begab sich auch Gandel Gars zu Hoyt. »Ich werde dich stellvertretend für die

Frauen Orxeyas begleiten und aufpassen, daß ihr keine Dummheiten macht«, verkün­

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dete sie. Hoyt erschrak, machte zwei Schrit­te zurück und streckte abwehrend die Arme aus.

»Keine Widerrede, Braker! Wie viele sind wir? Zehn? Das reicht.« Es war inzwischen dunkel geworden. Im Schein der Feuer rund um den Marktplatz verschwanden die Or­xeyaner in ihren Häusern, um entweder ih­ren Rausch auszuschlafen oder sich für den Aufbruch vorzubereiten. Braker Hoyt hoffte bis zum letzten Augenblick, daß einer der Männer so klug gewesen wäre, Gandel Gars ein Schlafmittel in den Kräutertee zu tun, den sie allabendlich trank. Doch diese Hoff­nung zerschlug sich, als er sie gestiefelt und gespornt mit ihrem Yassel am Treffpunkt stehen sah. Um ihre beachtlichen Hüften trug sie einen breiten Gürtel, an dem ein Breitschwert in der Scheide baumelte.

»Endlich kommst du, Braker. Ich habe da­für gesorgt, daß mein Vetter Molron in dei­ner Abwesenheit das Gewicht von Orxeya, ist. Hast du etwas dagegen?«

»N … nein«, seufzte Hoyt. Hoyt bereute längst seinen Entschluß,

nach Synk zu suchen. Er schwor sich, nie wieder eine Rede zu halten, wenn er betrun­ken war. Aber einen Rückzieher konnte er sich jetzt nicht mehr erlauben. Er hätte sich zum Gespött gemacht.

So biß er die Zähne zusammen, bis alle zehn Mitglieder des Trupps beisammen wa­ren.

»Worauf warten wir noch?« fragte Gan­del. »Gehen wir, oder wollen wir hier fest­wachsen?«

»Wir gehen, Gandel«, seufzte Hoyt. »Wir gehen …«

Warum geschah nichts? Warum kehrten die Besatzer nicht zurück, so daß ihm das er­spart blieb, was nun vor ihm lag?

Die anderen Männer waren ebenso begei­stert wie er selbst. Schweren Herzens gab Hoyt das Zeichen zum Aufbruch. Die Or­xeyaner bestiegen ihre Reittiere. Das östli­che Stadttor wurde geöffnet, und unter dem Jubel derer, die ihren Rausch mittlerweile ausgeschlafen hatten, brach man auf.

Der Hufschlag der Yassels hallte über die Straße der Mächtigen, als sich die Kolonne in Richtung Zbahn in Bewegung setzte.

Und wo, dachte Hoyt, sollen wir dich su­chen, Sator? Verdammt, warum konntest du auch nicht in Orxeya bleiben!

Sie ritten in die Nacht hinein. Es war jene Nacht, in der Leenia in der Großen Barriere von Oth Islars Anlage zerstörte und Sator Synk in Wolterhaven davon träumte, mit seinen RobotGuerillas zu neuen Taten auf­zubrechen.

Gegen Mittag des folgenden Tages sahen die Orxeyaner zu ihrer Linken die Ebene von Kalmlech, wo früher die Horden der Nacht gehaust hatten. Sie konnten nicht ah­nen, daß in nicht allzu großer Entfernung vor etwa einer Stunde zwei Zugors notgelan­det waren, und daß Sator Synk sich in einem von ihnen befunden hatte.

Sie vermuteten ihn in der FESTUNG oder in ihrer Nähe.

*

Sator Synk stand vor Diglfonk, das Schwert, das er aus der Feste Grool mitge­nommen hatte, in beiden Händen und zum Schlag erhoben.

»So warte doch, Sator Synk!« schnarrte Diglfonks Kunststimme. »Ich kann dir erklä­ren, was geschah. Du hast den Zugor nicht richtig behandelt, und …«

»Schweig!« herrschte der Orxeyaner den Robotdiener an. »Es war Gyk … Gyk …« Synk holte tief Luft. »Es war Eins, der sei­nen Zugor mißhandelte. Und du bist an al­lem schuld! Dein Herr Soltzamen versicher­te mir, daß er euch untersuchen lassen woll­te, und daß ihr künftig gehorsame Diener sein würdet. Ich sehe, daß das nicht so ist, und jetzt werde ich euch behandeln!«

Diglfonk schwebte blitzschnell zur Seite, als Synks Schwert herabsauste. Dort, wo er gerade gestanden hatte, bohrte sich die Spit­ze der Waffe in den weichen Boden. Synk tobte, doch nun wußte Diglfonk, daß er bei der Notlandung nicht aus der Hypnose er­

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wacht war und immer noch glaubte, alle Ro­boter seien eine besondere Art organischen Lebens. Mehr noch. Für Synk existierten keine Maschinen mehr, gleich welcher Art. Zugors waren für ihn Tiere, »Flugdrachen«. Für jedes technische Gerät fand Synks Un­terbewußtsein eine Analogie aus dem Tier­reich. Synks Wut auf die Roboter war also nicht sein wiedererwachter Roboterhaß, son­dern »nur« der Zorn über den Verlust der Zugors, die wahrscheinlich nie mehr würden starten können. Und Synk wollte so schnell wie möglich zur FESTUNG, um den Odins­söhnen zu beweisen, was in ihm steckte – in ihm und seinen Guerillas.

»Bleib stehen!« kreischte der wilde Mann aus Orxeya. »Kämpfe wie ein Mann, Digl­fonk. Sieh ein, daß du deine Strafe verdient hast!« Der Roboter sah ein, daß es wirklich das beste war, sich zu stellen und die »Bestrafung« über sich ergehen zu lassen. Es hatte keinen Sinn, Synk noch mehr zu reizen. Seine Wutanfälle verrauchten in der Regel schnell. Gleich würde er es wieder be­dauern, so grob zu »seinen« Robotern gewe­sen zu sein. Also schnarrte Diglfonk:

»Verfüge über uns, Herr.« Er rührte sich nicht von der Stelle, als

Synk das Schwert erneut hob. Die Klinge sauste herab, doch im letzten Moment führte der Orxeyaner sie an Diglfonk vorbei.

»Du bereust eure schändliche Handlungs­weise?« fragte er mit zusammengekniffenen Augen und deutete auf den Zugor, den Gy-kogsbeeden alias »Eins« geflogen hatte. »Du gibst zu, daß Eins das Tier ohne Grund quäl­te und es dadurch so in Schrecken versetzte, daß es in der Luft den Halt verlor und ab­stürzen mußte?«

Synks so plötzlich erwachte Tierliebe war einer der unerwünschten Nebeneffekte der Prozedur, der ihn die Roboter in Wolterha­ven unterzogen hatten, um ihn von seinem Wahn und der Schizophrenie, die die Robo­ter bei ihm vermutet hatten, zu heilen. In Wirklichkeit war auch er ein Opfer der Inva­sion gewesen, die aus dem Nichts über Pthor hereingebrochen war und den Dimensions-

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fahrstuhl mit fremden Bewußtseinen über­schwemmt hatte, und nicht die Roboter, son­dern Leenia war es gewesen, die Synk vom in ihn gefahrenen körperlosen Bewußtsein befreien konnte, bevor sie vor den Robotdie­nern die Flucht ergriff.

Was sollte Diglfonk antworten? Eines der Gebote, daß Synk ihm und den zwölf ande­ren eingeschärft hatte, lautete: Ihr sollt mich nicht anlügen!

So bemühte Diglfonk all seine Kenntnisse über das organische Leben auf dem Dimen­sionsfahrstuhl Pthor und produzierte schließ­lich folgende Geschichte:

»Ich gebe zu, daß Eins dem Zugor Qualen verursachte, als er den Raubvogel erschlug, der sich auf ihn gestürzt und in seiner Haut festgebissen hatte.«

»Raubvogel?« Synks Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Wovon sprichst du?«

»Von dem Raubvogel, der sich so schnell auf den Zugor stürzte, daß nur wir … Robo­ter mit unseren feinen Sinnen ihn wahrneh­men konnten. Gykogsbeeden reagierte blitz­schnell und verhinderte so, daß der Zugor ernstlich verletzt werden konnte. Leider war es schon zu spät. Der Schreck hatte den Zu-gor gelähmt und ließ ihn abstürzen.«

Synk starrte Diglfonk an, dann Eins. Was hatte er von dieser Eröffnung zu halten? Log Diglfonk ihn an, oder sagte er die Wahrheit?

Synk sah wieder vor sich, wie der Zugor mit Eins hinter der Steuersäule (für ihn der »Hals« des Zugors) plötzlich bockte und wie Eins gegen den Hals schlug. Je länger er nachdachte, desto einleuchtender erschien ihm Diglfonks Erklärung.

Mit dem Glauben an seine treuen Roboter kehrte der Glaube an sich selbst zurück. Na­türlich, so mußte es gewesen sein. Keiner der Burschen hätte gewagt, irgend etwas zu tun, das ihr Herr nicht gutheißen würde. Sie hatten viel zuviel Angst vor seinem Zorn, wie Synk jetzt mit eigenen Augen sah. Sie standen da wie vor Angst und Respekt er­starrt.

Unbewußt mochte der Orxeyaner spüren, daß er bei einer Auseinandersetzung mit den

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Robotern unweigerlich den kürzeren gezo­gen hätte. So steckte er sein Schwert in die Scheide und zeigte sich großzügig.

»Ich will dir glauben, Diglfonk. Wenn es wirklich so war, hatte Eins überhaupt keine Schuld.«

»Er wollte nur helfen, Herr.« Synk nickte, ging auf Gykogsbeeden zu

und legte diesem die Hand auf die Schulter. »Du hattest guten Willen«, sagte er in fei­

erlichem Tonfall. »Deshalb verzeihe ich dir. Doch beim nächstenmal will ich informiert werden, bevor ihr eigenmächtig etwas tut.«

»So soll es sein, Sator Synk!« schnarrten dreizehn Roboter im Chor. »Verfüge über uns!«

Mißtrauisch wie immer, suchte der Or­xeyaner vergeblich nach einem Zeichen von Spott. Er nickte zufrieden und sah zu den Zugors hinüber.

»Was jetzt, Diglfonk?« wandte er sich wieder an den Kommandanten seiner Trup­pe. »Habt ihr festgestellt, ob sie noch fliegen können?«

»Die Strapazen wären zu groß für sie«, antwortete der Robotdiener. »Einen Flug bis zur FESTUNG würden sie nicht aushalten.«

»Du meinst, wir würden sie quälen, falls wir sie zum Weiterflug zwängen?«

»Genauso ist es, Herr.« Synk schüttelte den Kopf und trat an eine

der Flugmaschinen heran. Traurig tätschelte er die metallene Außenhülle.

»Ihr Braven«, murmelte er. »Habt keine Angst. Wir werden zu Fuß weitergehen und euch …«

Synk fuhr herum und fragte: »Was geschieht mit ihnen, wenn wir sie

hier zurücklassen? Werden Raubtiere kom­men und sie angreifen?«

»Nein, Sator Synk«, meldete sich ein Ro­boter, den Synk »Neun« getauft hatte. »Sie können kurze Flüge unternehmen und so je-dem Verfolger entkommen. Sie sind Männ­chen und Weibchen. Vielleicht zeugen sie Nachkommen, und eines Tages können wir hierher zurückkommen und eine ganze Zu-gor-Familie vorfinden.«

Im nächsten Augenblick zuckte Neun hef­tig zusammen. Es gab ein dumpfes Ge­räusch, dann lag er reglos am Boden. Die beiden rotierenden Scheiben an seiner Vor­derseite bewegten sich nicht mehr.

»Was hast du mit ihm angestellt, Digl­fonk?« herrschte Synk seinen speziellen Freund an. »Du hast ihn desaktiviert!«

Synk erstarrte. Er wurde bleich, dann knallrot im Gesicht. Er schluckte und starrte Diglfonk aus weit aufgerissenen Augen an. Auch die Roboter schienen vom Blitz ge­troffen worden zu sein.

Synk hatte gesagt: desaktiviert! Fast eine Minute verging, bevor der Or­

xeyaner wieder zu reden in der Lage war. »Was war das?« fragte er schweißgeba­

det. »Ich hatte das Gefühl, als ob … als ob ich auf einmal ein anderer wäre. Was habe ich gesagt, Diglfonk?«

Diglfonk wußte, daß die Hypnose noch wirkte, aber sie war bereits so weit abge­klungen, daß Synk in Zuständen hochgradi­ger Erregung (und die waren bei ihm nicht selten) unterschwellig begriff, mit wem er da wieder durch die Lande zog. Es war un­bedingt erforderlich, die Gedanken des Or­xeyaners wieder auf anderes zu lenken.

»Du fragtest mich, ob ich Neun dafür be­strafte, daß er ungefragt redete. Ja, Sator Synk. Das tat ich, denn ich kann keine Dis­ziplinlosigkeit unter deinen Dienern dul­den.«

Ein Appell an die Eitelkeit und die Aben­teuerlust Synks war nötig. »Disziplinlosigkeit ist der Beginn des Unter­gangs!« dozierte Diglfonk also. »Und wir müssen stark sein, damit wir dir, Sator Synk, zu neuem Ruhm verhelfen können, bevor wir in der FESTUNG den Odinssöhnen ge­genüberstehen.« Um ganz sicherzugehen, fügte Diglfonk laut schnarrend hinzu: »Es lebe unser Herr Sator Synk! Es lebe seine Heimatstadt Orxeya!«

»Es lebe Wolterhaven!« kam es von Sechs, der gleich darauf neben Neun im Gras lag.

Und Synk war gerührt. Er bemerkte gar

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nicht, was mit Sechs vorgegangen war. Digl­fonk hatte ihn ebenso wie Neun durch einen Zwangsimpuls desaktiviert, und spätestens jetzt sollte den anderen klar sein, daß nur er in dieser brisanten Lage zu reden hatte. Es war gefährlich und dumm, den Bogen zu weit zu spannen. Sich paarende Zugors! Nichts war schlimmer, als Synk Grund zum Verdacht zu geben, die Roboter machten sich über ihn lustig.

Doch Diglfonks Worte hatten ihre Wir­kung nicht verfehlt. Sator Synk legte ihm beide Hände auf den schwebenden Kugel­körper. Eine Träne rann ihm über die Wange und verschwand im roten, bis auf die Brust reichenden Bart.

»Wie sehr habe ich mich doch in dir ge­täuscht, mein treuer Freund Diglfonk«, brachte Synk stockend hervor. »Kannst du mir vergeben, daß ich dich so schlecht be­handelte? Nein, sag jetzt nichts mehr.«

Sator Synk, der Raufbold mit dem wei­chen Herzen, trat zurück und wischte sich die Wange ab. Er atmete ein paarmal tief durch. Dann musterte er seine Truppe. Schlagartig wurde er ernst.

»Ihr habt es gehört!« brüllte er in Feld­herrnpose. »Ihr habt alle gehört, was euer Kommandant Diglfonk sagte. Ihr beide, auf­gestanden!« Blitzschnell aktivierte Diglfonk Sechs und Neun wieder und warnte sie laut­los vor weiteren Unbedachtsamkeiten. »Disziplin ist Macht!« rief Synk. »Wir wer­den den feinen Herren in der FESTUNG zei­gen, wer die Macht hat! Wir werden unseren Weg zu Fuß fortsetzen. Wir marschieren so­fort los. Ihr hört auf mich und auf Diglfonk, der mein volles Vertrauen genießt!«

Wie lange wohl? empfing Diglfonk. Der Impuls kam von Gykogsbeeden. Willst du mich jetzt auch desaktivieren, Diglfonk? Du wirst Sator Synk immer ähnlicher. Du rea­gierst wie ein Organischer!

Diglfonk entgegnete nichts. Er wußte, daß der Vorwurf nicht ernst gemeint war. Es war von Vorteil, sich zum Schein Synks Denk­weise anzupassen.

Sator Synk befahl ihm, seiner Truppe den

Horst Hoffmann

Aufbruchsbefehl zu geben. Der Orxeyaner ging selbst noch einmal zu den Zugors, ver­abschiedete sich von ihnen und versprach ih­nen, sie eines Tages zu besuchen, dann, wenn sie mit ihren Kindern hier eine neue Heimat gefunden hätten.

Es erschien ihm ganz logisch, daß die Zu­gors sich vermehrten. Denn wo sollten sie in einer Welt ohne Maschinen sonst herkom­men?

*

Dies war die Lage auf Pthor – zwei Tage nach der Invasion der Bewußtseine:

In der Dunklen Region kämpfte Leenia verzweifelt um ihre noch nicht befreiten Art­verwandten in den Körpern von Trugen und Pthorern. Sie gab nicht auf, obwohl nun, da die dunkle Aura wieder allgegenwärtig war, nur noch wenige Körperlose bei ihr blieben und halfen, bis ihre Energie gerade noch da­zu ausreichte, sich in ihre eigene Dasein­sebene zurückzukatapultieren.

Wie in Orxeya, wurde auch anderswo auf Pthor der Abzug der Besatzer gefeiert, wenn auch nicht gerade so überschwenglich und dadurch getrübt, daß ganze Familien und Stämme auseinandergerissen worden waren, als einzelne Mitglieder sich veränderten und tobend ihre Dörfer und Häuser verließen.

Balduur, der Odinssohn, befand sich ebenso wie Caidon-Rov in der Feste Grool unter denjenigen Opfern der Invasion, die nicht zur Dunklen Region gelangt waren, obwohl auch die Körperlosen in ihnen die Signale empfangen hatten.

Balduur wurde von seinen Brüdern fest­gehalten, und Caidon-Rovs Angst, die Feste Grool zu verlassen, war stärker als der Drang nach Osten.

Auf die bereits von Leenia »befreiten« Trugen, die Duuhl Larx auf Pthor zurückge­lassen hatte, wurde ein neues Kesseltreiben entfacht. Diejenigen, die den aufgebrachten Pthorern entkamen, hielten sich überall auf Pthor versteckt und warteten vergeblich auf die Rückkehr des Neffen. Ihrer Mentalität

13 Das Urteil der Körperlosen

entsprechend, wagten sie es nicht, auf eige­ne Faust etwas zu unternehmen. Trugen brauchten Befehle, und die bekamen sie nicht.

Sator Synk und seine Robot-Guerillas waren auf dem Weg zur FESTUNG. Digl­fonk stand in ständigem Kontakt mit Wolter­haven, wo man von seinen Berichten alles andere als erbaut war. Synk hätte die ver­streuten Atlanter sammeln und ihnen helfen sollen, in ihre Dörfer und Städte zurückzu­kehren. Er hätte sie darauf vorbereiten sol­len, neuen Invasoren aus den Tiefen der Dunklen Galaxis wirksamer gegenüberzu­treten als bisher. An beides dachte er nicht mehr. Ihm ging es darum, seine Eitelkeit zu befriedigen. Angesichts dessen verstummten die Forderungen nicht, Synk einfach fallen­zulassen.

Die Odinssöhne Sigurd und Heimdall standen den unbegreiflichen Vorgängen auf Atlantis hilflos gegenüber. Nun, da sie die Macht hatten, wußten sie nichts damit anzu­fangen. Sie waren viel zu sehr verunsichert und warteten insgeheim auf den nächsten Schlag der Dunklen Mächte, an die sie Atlan verraten hatten.

Und im Norden der Großen Barriere von Oth marschierten die negativen Magier auf, bereit, den Dimensionsfahrstuhl zu über­schwemmen und ihn abermals in ein Instru­ment des Schreckens zu verwandeln. Koy, Kolphyr, Chirmor Flog und Fenrir befanden sich noch in ihrem Versteck und sahen hilf­los zu. Der ehemals so mächtige Neffe konn­te nichts tun – oder er wollte es nicht. Wäh­rend Pthor seinen Flug aus dem Rghul-Re­vier heraus und tiefer in die Schwarze Gala­xis hinein fortsetzte, zermarterten sich Licht­jahre entfernt drei Männer die Köpfe dar­über, was hinter dem Spuk steckte, der Du­uhl Larx dazu veranlaßt hatte, seine Streit­macht von Atlantis zurückzuziehen und wel­ches Schicksal er ihnen zugedacht hatte, nachdem er notgedrungen darauf verzichten mußte, sie exekutieren zu lassen.

4. An Bord der MARSAPIEN

Alles deutet darauf hin, daß Duuhl Larx mit uns nach Cagendar zurückfliegt. Viel­leicht hat er Pthor tatsächlich aufgegeben, auf keinen Fall aber seine Rache. In uns sieht er nach wie vor die Hauptschuldigen an seinem Scheitern. Ich bin angeklagt, ge­meinsame Sache mit Chirmor Flog gemacht und die Magier dazu aufgehetzt zu haben, Pthor mit Chaos zu überziehen.

Ich bin nicht einmal sicher, ob das, was Larx dazu zwang, Pthor vorerst den Rücken zu kehren, tatsächlich das Werk der Magier ist. Natürlich wäre es für sie ein leichtes, die Pthorer und Larxens Truppen verrückt spie­len zu lassen, regelrecht zu verzaubern, aber warum taten sie es dann nur bei einigen Tau­send und nicht bei allen?

Extrasinn? Er wird euch nach Cagendar bringen

und vielleicht erst dort entscheiden, was er mit euch anfangen wird. Ihr seid wertvoll für ihn, vergiß das nie! Möglicherweise denkt er bereits jetzt daran, wie er jene, die mächti­ger sind als er, mit euch erpressen kann, um seine eigene Haut zu retten.

Du meinst den Dunklen Oheim? Und die Neffen der inneren Reviere. Spekulationen anstelle von Logik, Extra­

sinn? Extrapolationen auf der Basis von Erfah­

rungswerten. Es gibt unumstößliche, natur­gegebene Gesetzmäßigkeiten, Atlan!

Und je weiter Pthor in die Schwarze Gala­xis vordringt, desto mächtigeren Neffen wird es gegenüberstehen, glaubst du. Kön­nen wir die Schwarze Galaxis tatsächlich mit Andromeda vergleichen, wo wir auch zuerst nur relativ unbedeutenden Hilfsvöl­kern begegneten, dann den Maahks, den Te­frodern, schließlich den Meistern der Insel, die selbst noch über eine Hierarchie der Macht verfügten?

Hier ist alles hundertmal komplizierter. Was wird sein, wenn Larx sich täuscht

und die wahren Mächtigen nur über uns la­chen?

Auch er lachte über euch. Du weichst aus, Extrasinn? Keine Ant­

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wort auf eine dumme Frage, meinst du? Du hast recht. Larx würde die Exekution nach­holen lassen, und diesmal würde er sich eine teuflischere Methode ausdenken können, um uns ins Jenseits zu befördern.

Rechne nicht mit dem Tod, Narr! Auch falls Larx euch nicht als Druckmittel einset­zen kann, wird er Verwendung für drei Kämpfer haben, auch wenn sie jetzt noch ge­gen ihn sind!

Hör auf! Lebo Axton schläft. Razamon sieht mich

schweigend an, aber seine Miene spricht wieder einmal Bände.

Wir sind wieder ganz am Anfang, willst du sagen, Freund – oder?

Mit einem Unterschied. Wir wissen mittlerweile, daß der Dunkle

Oheim eine weitreichende Verwandtschaft hat.

Und unter Verwandten gibt's Ärger, so­bald mehr als zwei zusammen sind. In unse­rem Fall reichen allein diese beiden schon.

Vielleicht können wir noch ein wenig nachhelfen …

5. Das Ruinenschloß im Emmorko-Tal

Leenia hatte die Stunden nicht gezählt. Bald würde es Nacht sein und die Finsternis in der Dunklen Region vollkommen. Sie stand zwischen den Trägern und mußte sie sich mit Gewalt vom Leib halten. Wie viele Körperlose befanden sich bereits wieder in den Höheren Welten? Zweitausend? Drei­tausend? Nur wenige waren geblieben, nach­dem sie befreit waren, und halfen ihr. Lang­sam aber sicher schrumpfte die Zahl der noch in ihren Trägerbewußtseinen stecken­den Artverwandten zusammen. Es waren noch knapp tausend mehr. Leenias Helfer befreiten jeweils zwei, höchstens drei von ihnen und katapultierten sich dann, als sie es in der dunklen Aura nicht mehr aushalten konnten, in ihre Daseinsebene hinauf. Lee­nia empfand kaum noch etwas. Die Ver­zweiflung, die sie für kurze Zeit gelähmt

Horst Hoffmann

hatte, war überwunden. Sie arbeitete wie ein Automat. Zehn Träger, eine Viertelstunde Pause, um neue Energien aufzubauen, dann die nächsten zehn. Jetzt endlich bekam sie auch aus den Höheren Welten selbst wieder Unterstützung. Die Energien flossen in stär­kerem Maß als zuvor in ihren Anzug und von dort in ihren Körper. Leenia schrieb es den Befreiten zu, daß die Körperlosen ihre passive Haltung aufgegeben hatten. Sie mußten ihnen Leenias aussichtslose Lage klargemacht haben, was ihr darüber hinaus endlich bewies, daß die Befreiten tatsächlich den Weg zurück in ihre Heimat gefunden hatten und nicht irgendwo zwischen den Da­seinsebenen gestrandet waren.

Dadurch angestachelt, arbeiteten Leenia und ihre Helfer wie besessen weiter, schäl­ten Bewußtsein um Bewußtsein aus seinem Gefängnis, ignorierten die Aura, die ins Em­morko-Tal zurückgekehrt war.

Als es dunkler zu werden begann, standen noch etwa hundert Träger vor dem Ruinen­schloß. Längst hatte eine Massenflucht der »kurierten« Pthorer und Trugen eingesetzt. In der Regel blieben sie nach dem Eingriff eine Stunde lang bewußtlos liegen. Dann, als sie erkannten, wo sie sich befanden, flohen sie Hals über Kopf. Die Dunkle Region war neben der Großen Barriere von Oth der schlimmste Ort auf Pthor, den sie sich vor­stellen konnten. Als sie hierherkamen, wa­ren nicht sie es, die den Signalen gefolgt wa­ren. So strömten sie aus dem Tal. Leenia konnte ihnen nicht helfen. Sie hatte genug mit den noch als Bewußtseinsträger fungie­renden Wesen zu tun. Noch war die Angst vor dem, was in der dunklen Region lauern mochte, zu groß, als daß sich die Pthorer gleich auf die verhaßten Besatzer gestürzt hätten, doch Leenia war sicher, daß sich dies ändern würde, sobald sie einen Weg aus der Dunklen Region heraus gefunden hatten.

Viele würden es nicht schaffen. Dann endlich kam der Augenblick, im

dem Leenia dem letzten Träger gegenüber­stand. Sie dankte den Helfern und schickte sie in die Höheren Welten.

15 Das Urteil der Körperlosen

Das letzte gestrandete Bewußtsein wurde behutsam aus dem Trägerbewußtsein her­ausgeschält. Als es frei war, vernahm Lee­nia:

Wirst du mit mir kommen? Nein, antwortete sie. Noch nicht. Sie schaffte es nicht, die Zweifel aus ihren

Gedanken zu verscheuchen. Du willst auf Pthor bleiben, unter den

Körperlichen leben? Leenia wich der Frage aus, obwohl sie ih­

re Entscheidung längst getroffen hatte. Ich habe noch Arbeit vor mir, sendete sie.

Es gibt noch Gestrandete, die den Weg hier­her nicht antreten konnten.

Sie konnte den Artverwandten nicht täu­schen.

Du weißt, was dich erwartet, solltest du nicht zurückkehren.

Ich weiß es. Verbannung aus den Höhe­ren Welten.

Für immer, fügte der Körperlose hinzu. Und Verlust der dir von uns verliehenen Fä­higkeiten.

Leenia antwortete nicht. Plötzlich hatte sie wieder das Gefühl, ersticken zu müssen. Sie sprang und materialisierte am Ufer des Flusses Xamyhr. In der Dunkelheit erkannte sie eine Gruppe von Trugen, die den Weg aus der Dunklen Region heraus gefunden hatten und nun ein Versteck vor den Ptho­rern suchten. Sie benutzten die am Tag vor­her errichtete Brücke aus aneinandergebun­denen Baumstämmen, um das Westufer des Flusses zu erreichen, und verschwanden in der Nacht. In unregelmäßigen Abständen folgten ihnen weitere, unterschiedlich große Gruppen.

Leenia brauchte Ruhe, bevor sie sich dar­an machen konnte, nach den letzten Gestran­deten zu suchen. Sie war müde. Die Ener­giezufuhr aus den Höheren Welten hatte sich wieder vermindert.

Eine erste Reaktion der Körperlosen auf ihre Wankelmütigkeit? Eine Warnung? Lee­nia sprang in das Gebiet westlich der Senke der verlorenen Seelen, wo sie so lange her­umgeirrt war, bevor sie den Ruf vernahm.

Hier fand sie bald ein Versteck, in dem sie vor Überraschungen sicher sein konnte. Doch Ruhe fand sie nicht.

*

So vieles ging Leenia in dieser Nacht im Kopf herum. Durfte sie sich gegen den Be­fehl auflehnen, nach Beendigung ihrer Ar­beit in die Höheren Welten zurückzukehren? Beging sie nicht Verrat an den Artverwand­ten? Was sie jetzt war, verdankte sie allein der Gemeinschaft. Sie wußte, welch große Hoffnungen in sie gesetzt worden waren – in sie, die als einziges Mitglied der Gemein­schaft in der Lage war, unbegrenzt lange in der Aura der Schwarzen Galaxis zu existie­ren.

Doch der von den Artverwandten vorge­zeichnete Weg war nicht der ihre! Zu vieles hatte sich ereignet, das sie beeinflußte, bevor sie in die Höheren Welten gerufen wurde. Die Begegnung mit Körperlichen, die Ver­bindung mit Wommser. All das hatte sie ge­prägt. Sie war nicht das, was die Körperlo­sen sich erhofft hatten, als sie sie vor langer Zeit auf Pthor deponierten. Sie konnte nicht untätig warten, bis man ihr in der Höheren Welten neue, ihr oftmals wenig sinnvoll er­scheinende Aufträge erteilte. Leenia hatte nicht die Geduld einer Unsterblichen. Vor allem aber hatte sie begriffen, daß der Kampf gegen die Dunklen Mächte der Schwarzen Galaxis hier und jetzt geführt wurde – in der Daseinsebene der Körperli­chen und durch Körperliche. Er hatte begon­nen, als Pthor die Schwarze Galaxis erreich­te, und der Mann, der als Katalysator ge­wirkt hatte, hieß Atlan. Er war verschollen, und noch zitterten die zu Hilfsvölkern der Dunklen Mächte gemachten raumfahrenden Rassen vor ihren Herren, doch Leenia sah den Tag kommen, an dem sie sich erheben würden. Auf diesen Tag hinzuarbeiten, an der Seite von Körperlichen – das war ein Ziel, das einen Sinn in Leenias Existenz brachte.

Sollten die Körperlosen sie verbannen. Ei­

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nes Tages würden sie einsehen müssen, daß sie richtig gehandelt hatte. Leenias Ent­schluß stand fest, als sie sich bei Tagesan­bruch erhob und ihr Versteck verließ.

Was blieb, war die bange Frage, in wel­chem Maß und ob überhaupt die Körperlo­sen ihr ihre Kräfte rauben konnten – die Fä­higkeit, von einem Ort zum anderen zu springen, die Fähigkeit zu espern und telepa­thischen Druck auf andere auszuüben – und die Fähigkeit, ihre Körperenergien zu bün­deln und durch die Augen abzugeben.

Leenia wußte noch viel zu wenig über sich selbst.

Doch vorerst konnte sie sicher sein, daß die Körperlosen ihr ihre Kräfte belassen würden. Sie mußte in ihrem Sinn funktions­fähig bleiben, solange der letzte Gestrandete nicht auf den Heimweg geschickt war.

Leenias Unterbewußtsein verdrängte die Frage, ob sie nach der Verbannung und nach dem Aussetzen des Energieflusses durch den als Empfänger fungierenden Anzug über­haupt noch existieren konnte. Ob ihr Körper real oder nur eine perfekte Projektion war.

Leenia konzentrierte sich auf die Impulse der Gestrandeten. Es waren weniger, als sie zunächst noch angenommen hatte. Dies er­leichterte ihre Aufgabe – und es verkürzte die Zeit bis zur Entscheidung über ihr künf­tiges Schicksal.

Der erste Impuls. Er kam aus der Nähe. Leenia sprang und materialisierte in der

Feste Grool.

*

Schon im ersten Augenblick wußte sie, daß es diesmal schwieriger als sonst sein würde, das gestrandete Bewußtsein aus dem des Trägers herauszuschälen. Die Abstoßre­aktion des hageren Mannes, der ihr jetzt ebenso erstarrt wie alle anderen Träger zu­vor gegenüberstand, war nur schwach. Erst­mals sah sich Leenia damit konfrontiert, daß ein Träger das in ihn geglittene Fremdbe­wußtsein behalten wollte.

Den Grund dafür fand sie in den Gedan-

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ken des Hageren. Caidon-Rov litt so sehr unter seiner Ein­

samkeit in der Feste, daß er im Lauf der Zeit eine schwere Psychose entwickelt hatte. Nachdem sein Herr – Porquetor oder Yunt­haal, beide Namen bildeten verschwommen eine Einheit in seinem Denken – gestorben war, war er ganz allein in der Feste zurück­geblieben und seitdem immer wieder daran gescheitert, Besucher für immer bei sich zu halten. Ein solcher Besucher war das fremde Bewußtsein, das er nur spüren, aber nicht verstehen oder begreifen konnte, für Caidon-Rov. Er wehrte sich mit allen Mitteln dage­gen, es freizugeben, und die verzweifelten Versuche des Körperlosen in ihm, aus dem Gefängnis seines Bewußtseins auszubre­chen, verursachten schlimmere Tobsuchts­anfälle als Leenia dies bei anderen »Befallenen« erlebt hatte Caidon-Rov litt darunter – sowohl geistig als auch körper­lich. Er bot einen mitleiderregenden An­blick. Leenia wußte, daß sie ihn als Wrack zurücklassen würde, wenn sie das getan hat­te, was unumgänglich war. Sie schickte ihre telepathischen Fühler aus und lokalisierte das gefangene Bewußtsein des Artverwand­ten. Sofort reagierte Caidon-Rov. Die Um­klammerung wurde stärker. Leenia mußte ihren Druck verstärken, um das Bewußtsein freizuschälen. Caidon-Rovs Unterbewußt­sein lieferte ihr einen heftigen Kampf. Es war kaum möglich, Kontakt zum Körperlo­sen aufzunehmen. Schweren Herzens ließ Leenia schockartig soviel paramentale Ener­gie in ihn überfließen, daß Caidon-Rovs Be­wußtsein gelähmt wurde. Sie befreite den Artverwandten. Erst als sie ihn nicht mehr spürte, zog sie sich aus Caidon-Rov zurück. Sie wünschte, daß sie etwas für den Un­glücklichen hätte tun können, doch er mußte allein mit seinem Schicksal fertig werden. Leenia mußte weiter. Sie entmaterialisierte.

6. Im Reich der Magier

Koy, Kolphyr, Chirmor Flog und Fenrir hatten keine Möglichkeit, zu verfolgen, was

17 Das Urteil der Körperlosen

außerhalb der Höhle vor sich ging. Nach ih­ren Erfahrungen mit den negativ geworde­nen Magiern hüteten sie sich davor, ihr Ver­steck zu verlassen. Immerhin hatte es nicht den Anschein, als würden die Magier sie zu belagern versuchen. Alles deutete darauf hin, daß sie zum Sturm auf Pthor antraten und keinen anderen Gedanken kannten, als die Macht über den Dimensionsfahrstuhl an sich zu reißen.

Der erste Schock über die willkürliche Zerstörung der Anlage war inzwischen über­wunden. Koy und Kolphyr berieten, was sie tun konnten. Sie hatten sich den Realitäten zu beugen. Der Neffe hielt sich zurück.

Koy und Kolphyr kamen überein, die nächste Nacht abzuwarten und dann die Höhle zu verlassen, um zu versuchen, zu­mindest bis zur Grenze der Großen Barriere von Oth durchzukommen und sich dort ein neues Versteck zu suchen, falls die Magier den magischen Knoten nicht bereits abge­schaltet hatten.

Chirmor Flog sagte nichts dazu. Er schien sich in einem apathischen Zustand zu befin­den, die Augen geschlossen und völlig ru­hig. Natürlich konnte dies täuschen. Kolphyr traute dem Neffen immer noch nicht. Fenrir machte einen großen Bogen um Flog und fletschte die Zähne, wenn er ihm zu nahe kam. Vielleicht brütete Flog in Wirklichkeit schon Pläne aus, wie er wieder zu Macht kommen und sich seiner Begleiter entledi­gen konnte, wenn er sie nicht mehr brauchte. Vorerst war er auf sie angewiesen. Sie muß­ten ihn tragen, wenn er mit ihnen die Höhle verlassen wollte. Und es konnte kaum in sei­nem Interesse liegen, allein hier zurückzu­bleiben. Flog glaubte, daß ihm eine Magie­rin erschienen wäre. Und sie könnte zurück­kommen – diesmal nicht, um eine Maschine zu zerstören …

Die seltsame Blase, die am Torso des Neffen haftete und ihn mit Nahrung versorg­te schimmerte so schwach, daß sie nur bei genauem Hinsehen zu erkennen war.

Ein letztes Geschenk der Magier, um ihn am Leben zu erhalten, dachte Kolphyr.

Der Bera wußte nicht, was er von dem »weiblichen Geist« zu halten hatte. War er dabei, sich selbst etwas vorzumachen, wenn er die Erscheinung mit Wommser in Verbin­dung brachte? War es doch eine Magierin gewesen?

Es waren Gedanken, die nichts einbrach­ten. Und doch verbrachte Kolphyr den Rest des Tages damit, in Erinnerungen an jene Zeit zu schwelgen, in der Wommser unter dem Velst Schleier herangewachsen war. Er hatte ihn gespürt! Die Nacht brach herein, und Koy drängte zum Aufbruch. Kolphyr versuchte, ihre Chancen abzuschätzen, an den Magiern vorbei bis zur Grenze der Bar­riere und von dort aus in andere Bereiche von Pthor zu gelangen. Es war sinnlos. Es gab zu viele unbekannte Faktoren. Fenrir trabte aus der Höhle, witterte, verschwand für kurze Zeit, kehrte zurück und blieb drau­ßen stehen, als wollte er sagen, daß momen­tan die Luft rein war. Kolphyr nahm Chirm­or Flog vorsichtig auf die mächtigen Arme, ohne daß der Neffe darauf reagierte. Die Passivität des Neffen versetzte den Bera in Zorn. Fast war er versucht, Chirmor Flog doch zurückzulassen. Für einige Augen­blicke sah er wieder nur das Monstrum in ihm, in dessen Namen soviel Leid über gan­ze Völker gekommen war. Dann riß er sich zusammen und dachte an Atlan und das Zweckbündnis, das dieser mit dem Neffen geschlossen hatte. Daran hatte er sich vor­erst zu halten. Außerdem konnte nur Flog garantieren, daß die Gruppe von den Magi­ern in Ruhe gelassen wurde, obwohl es nach der Zerstörung der Anlage daran Zweifel ge­ben durfte.

Natürlich wußte der Neffe um diese Ab­hängigkeit der anderen von ihm und provo­zierte sie vielleicht absichtlich. Vielleicht wollte er sehen, wie groß ihre Geduld war.

Kolphyr würde ihm nicht den Gefallen tun, die Fassung zu verlieren. Koys Miene verriet ebenfalls Unbehagen, aber auch er riß sich zusammen. Nur Fenrir zeigte offen seine Ablehnung. Und das leichte Zusam­menzucken des Torsos immer dann, wenn

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der riesige Wolf in seine Nähe kam, bewies, daß Chirmor Flog Angst hatte.

Sie verließen die Höhle. Es war stockdun­kel. Fenrir ging voraus.

Die vier ungleichen Wesen waren die ganze Nacht hindurch unterwegs, mußten Felsspalten und Hügel umgehen und immer auf der Hut vor Fallen der Magier sein. Mit ziemlicher Sicherheit wurden sie beobachtet, wenn auch kein Magier sich zeigte.

Als der Morgen graute, hatten sie die ei­gentliche Barriere hinter sich. Vor ihnen lag das Land zwischen dem Sitz der Magier und der Straße der Mächtigen.

Fenrir rannte plötzlich davon. Kolphyr und Koy riefen ihm nach, doch er hörte nicht auf ihre Warnungen. Jetzt war er dort, wo sich die Energiebarriere um Oth spannen mußte – und er lief weiter. Erst nach etwa einem halben Kilometer blieb er stehen.

»Sie haben ihn abgeschaltet«, sagte Koy leise. Seine Broins bebten leicht. »Der magi­sche Knoten, Kolphyr … er besteht nicht mehr.«

»Ja«, antwortete der Bera nur. Er brauchte nicht auszusprechen, was das bedeuten konnte.

Hatten die negativ gewordenen Magier ihr Reich bereits verlassen?

Es gab nur eine Möglichkeit, dies heraus­zufinden.

Fenrir wartete auf sie. Kolphyr sagte mit schriller Stimme:

»Komm, Koy. Hier haben wir nichts mehr verloren.«

Schweigend setzten die beiden mit Flog auf Kolphyrs Armen ihren Weg fort. Koy hatte sich mehrmals angeboten, den Neffen zu tragen, doch der Bera hatte abgelehnt – nicht nur, weil er die größeren Kräfte hatte, er wollte Chirmor Flog so nahe wie möglich bei sich haben, um eine Teufelei des Neffen im Ansatz erkennen und ersticken zu kön­nen.

Es war totenstill. Nichts rührte sich. Kein Wind strich über die Landschaft. Der Him­mel war frei von Organschiffen oder pa­trouillierenden Trugen-Fahrzeugen.

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»Ich hätte erwartet, daß sie die Barriere nicht aus den Augen ließen«, wunderte sich Koy. »Gerade jetzt, wo die Magier den Schirm abgeschaltet haben …«

»Vielleicht haben sie ihre Taktik geän­dert«, vermutete Kolphyr. »Möglicherweise hat Duuhl Larx bereits Kontakt mit den Ma­giern aufgenommen und eine Einigung er­zielt. Vielleicht überläßt er ihnen Pthor, wenn sie ihm gegenüber loyal bleiben und ihn als Herrn anerkennen.«

»Was mag dann aus Atlan geworden sein?«

Die beiden ungleichen Freunde hatten Fenrir inzwischen erreicht. Gemächlich trot­tete das große Tier neben ihnen her, die Au­gen auf den Neffen gerichtet.

»Er hoffte, daß es uns gelänge, die Magier bis zu seinem und Larxens Eintreffen zur Vernunft zu bringen.«

Kolphyr antwortete nicht. Falls Duuhl Larx Erfolg gehabt hatte und ein Bündnis mit den Magiern eingegangen war, brauchte er Atlan nicht länger. Dank war von ihm nicht zu erwarten. Doch es wäre unlogisch von ihm gewesen, den Arkoniden und seine beiden an Bord der MARSAPIEN gefange­nen Freunde umzubringen. Sie waren zu wertvoll.

»Er wird es nicht wagen, Atlan zu töten«, bestätigte Chirmor Flog Kolphyrs Gedan­ken, als hätte er sie lesen können.Für einen Augenblick kam Leben in den Torso. Kol­phyr packte ihn fester. »Er wird ihn ausspie­len wollen.« Flog bebte, als er schrie: »Aber noch lebe ich, Duuhl Larx!«

Fenrir fletschte die Zähne. Sein Nacken­fell richtete sich auf. Augenblicklich schwieg der Neffe wieder.

Die Gruppe marschierte weiter. Vor allem Koy war erschöpft von den Strapazen der Nachtwanderung.

»Wir werden uns ein Versteck für den Tag suchen«, sagte Kolphyr. Er dachte an die Bunker entlang der Straße der Mächti­gen. »Dort kannst du ein paar Stunden schla­fen, während ich versuche, jemanden zu fin­den, der uns sagen kann, was vorgefallen ist,

19 Das Urteil der Körperlosen

während wir in der Barriere von Oth wa­ren.«

Und irgend etwas mußte geschehen sein – etwas völlig Unerwartetes. Der Bera spürte es. Koy spürte es. Und selbst Fenrir machte den Eindruck, als wäre er verunsichert. Es war zu still. Wenn schon keine Trugen, so hatte Kolphyr erwartet, Magier zu finden, oder zumindest Spuren, die darauf hindeute­ten, daß sie ihren Machtbereich verlassen hatten.

Nichts. Es war so ruhig, daß es fast schi­en, ganz Pthor sei von seinen Bewohnern verlassen worden.

Kolphyr hütete sich vor voreiligen Schlüssen.

Koy versuchte, seine Erschöpfung zu ver­bergen. Hier, auf freiem Gelände, waren sie nicht sicher. Gegen Mittag sahen sie in der Ferne endlich die Straße der Mächtigen zwi­schen Orxeya und Zbahn, jenen Abschnitt, der einst von Thalia in der Maske des Odins­sohnes Honir kontrolliert worden war. Eine Strecke von knapp fünfzig Kilometern lag hinter ihnen. Koy konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, doch er wies alle An­gebote Kolphyrs, eine Rast einzulegen, zu­rück.

Dann, nach einer Viertelstunde, sahen sie den Bunker.

*

Er schien verlassen zu sein. Von weitem war lediglich ein Erdwall zu erkennen unter dem Betonklötze hervorschauten, die will­kürlich übereinandergelegt zu sein schienen. Zwischen ihnen klaffte eine dunkle Öffnung. In solchen Bunkern hatten Pthorer während der Kroloc-Invasion Schutz gesucht und sie nach dem Sieg über die Spinnenartigen meist wieder verlassen. Einige jedoch, die aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, hatten sich in ihnen häuslich eingerichtet. Andere Bunker waren erst hinterher in Be­sitz genommen worden – in der Regel von Flußpiraten, deren Schiffe von den Scudda­moren zerstört worden waren oder die keine

Beute mehr machen konnten, nachdem der Handel fast gänzlich zusammengebrochen war und keine Schiffe von Kaufleuten mehr den Regenfluß passierten. Die Piraten hatten sich über ganz Atlantis ausgebreitet und lau­erten anderen auf, die ebenfalls aus ihren an­gestammten Gebieten vertrieben worden wa­ren.

»Fenrir«, sagte Koy. »Kolphyr und ich se­hen uns dort drüben erst einmal um. Du bleibst hier und bewachst unseren Freund.«

Der Fenriswolf knurrte. »Ich gehe allein«, sagte Kolphyr. »Du bist

zu schwach und …« »Wir gehen beide«, schnitt der Trommler

ihm das Wort ab. Er setzte sich in Bewe­gung, ohne sich noch einmal umzusehen. Schimpfend legte Kolphyr den Neffen ab und schärfte Fenrir ein, daß er Flog in Ruhe zu lassen habe. Nur widerwillig blieb der Wolf zurück.

Koy und der Bera hatten keine Deckung. Das Gelände war völlig eben, und das Gras reichte Koy nur bis zu den Knien.

»Du bleibst hier«, sagte Kolphyr, als sie nahe genug an den Bunker heran waren, um nun Einzelheiten erkennen zu können. Er war größer als die, die sie bei ihrer Flucht vor Atzbälls Scuddamoren gesehen hatten. Und aus dem Erdwall ragte ein Teil eines größeren metallischen Gegenstands heraus, der nur notdürftig mit Erde und Gras be­deckt worden war – vor nicht allzu langer Zeit.

»Wahrscheinlich ein Zugor«, erklärte Kolphyr leise. »Leg dich flach hier ins Gras und halte dich bereit. Wenn ich angegriffen werden sollte, dann gebrauche deine Bro­ins.«

Koy stellte keine weiteren Fragen und ge­horchte. Als er im Gras lag, ging Kolphyr langsam weiter. Der Riese bewegte sich zur Seite, um aus dem Blickwinkel jener zu ge­raten, die vielleicht aus dem Bunkereingang herausspähten. So gab er Koy freie »Schußlinie«. Er erreichte den versteckten Zugor, ohne daß etwas geschah. Noch ein­mal sah er sich um. Weder von Koy noch

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von Fenrir und dem Neffen war etwas zu se­hen. Er hoffte, daß die eventuellen Bewoh­ner des Bunkers den Trommler noch nicht gesehen hatten, bevor er sich in Deckung legte, so daß sie annehmen mußten, er käme allein.

Nichts regte sich beim Bunkereingang. Kolphyr tat so, als interessierte ihn nur der Zugor. Er befreite ein Stück vom Erdreich und bewegte sich dabei langsam auf den Bunker zu, ohne sich noch einmal danach umzusehen. Er mußte die Bewohner heraus­locken und gab ihnen so die beste Gelegen­heit, sich aus ihrem Versteck zu schleichen und ihn einzukreisen.

Als auch nach etwa zehn Minuten nichts geschehen war, glaubte der Bera schon fast, daß er übervorsichtig gewesen wäre. Er wandte sich vom Zugor ab und drehte sich dem Bunkereingang zu.

Zwei Männer in Lumpen standen in der Öffnung zwischen den Betonblöcken. Beide hatten Waffen auf ihn gerichtet.

Kolphyr hörte Schritte hinter sich. Ein dritter Mann kam über den Hügel gelaufen und postierte sich mit schußbereitem Strah­ler hinter ihm.

Kolphyr blickte sich schnell um. Der Pi­rat, an seiner Kleidung und dem Narbenge­sicht eindeutig als solcher zu erkennen, war zu weit von ihm entfernt, als daß er ihn überraschend hätte überwältigen und als Schutzschild gebrauchen können.

»Bleib stehen, wo du bist!« rief jetzt einer der beiden im Eingang. Keine weiteren Männer zeigten sich. Kolphyr dachte an Koy und daran, daß der Trommler alle drei im Visier haben mußte, und hoffte, daß Koy ab­warten würde. Fenrir wäre ihm jetzt eine große Hilfe gewesen, aber es war wichtiger, daß er den Neffen bewachte.

»Was willst du?« kam es von dem Piraten hinter Kolphyr.

Der Bera streckte die Arme weit von sich, um zu zeigen, daß er waffenlos war, und drehte sich langsam um.

»Nicht schießen«, rief er. »Ich bin auf der Flucht. Ich sah den Bunker und den Zugor.

Horst Hoffmann

Könnt ihr mich aufnehmen?« »Was glaubst du, wer wir sind?« rief einer

der Männer im Eingang. »Wir haben selbst Sorgen genug. Mach, daß du weiterkommst und laß dich hier nicht wieder sehen.« Mit einem bösen Grinsen fügte der Pirat hinzu: »Und schlage dir den Zugor aus dem Kopf. Der fliegt nicht mehr. Nun hau ab!«

»Warte!« kam es von dem anderen. »Wer sagt uns, daß er allein ist? Vielleicht hat ihn nur jemand vorgeschickt – jemand, der Grund dazu hat. Nur ein Verrückter begibt sich heutzutage allein hierher.«

»Stimmt das?« wollte der Mann hinter Kolphyr wissen.

Jetzt kam er, die Waffe weiter im An­schlag, langsam näher. Es war ein Strahler, wie Kolphyr ihn bei den Scuddamoren gese­hen hatte. Er begann sich einiges zusam­menzureimen. Der Zugor, der Strahler und der Bunker. Der Zugor war gründlich einge­scharrt worden. Aus der Nähe betrachtet, sah es so aus, als wäre dies schon vor Wochen geschehen, noch bevor die Trugen kamen. Vermutlich hatten die Piraten einen Scudda­morenTrupp überwältigt und waren mit des­sen Fahrzeug hierher gelangt.

»Wir haben nichts, was für euch von Wert wäre«, sagte er, an die beiden Piraten im Bunkereingang gewandt. Er tat so, als achte er nicht auf den, der immer näher kam.

»Aha! ›Wir‹ hast du gesagt. Wer sind die anderen? Sie sollen sich zeigen.«

»Es ist nur einer.« Kolphyr drehte sich in die Richtung, in

der Koy lauerte, und rief seinen Namen. Mittlerweile war er sicher, daß er es nur mit diesen drei Männern zu tun hatte. Es war nicht seine Absicht, sie von Koy töten zu lassen. Die Piraten hatten keinen Grund, sie umzubringen. Im Gegenteil dachte Kolphyr, daß sie froh sein würden, starke Verbündete zu bekommen, um auf Raubzüge zu gehen. Er mußte irgendwie ihr Vertrauen gewinnen. Gegen die Strahler kam er nicht an. Es ging nur darum, solange einen Unterschlupf zu bekommen, bis sie wieder ganz bei Kräften waren und erfahren hatten, was während ih­

21 Das Urteil der Körperlosen

res Aufenthalts in der Großen Barriere von Oth hier geschehen war.

Koy erhob sich. Von Fenrir und dem Nef­fen brauchten die Piraten vorläufig nichts zu wissen. Vielleicht hatten sie davon gehört, daß der Neffe verschleppt worden war. Viel­leicht wußten sie auch, wie er aussah und was er Duuhl Larx wert war.

»Das ist mein Freund«, sagte der Bera zu dem Mann im Eingang, der der Wortführer der Piraten zu sein schien. »Wir brauchen ein Versteck, wie ich euch schon sagte. Nehmt uns auf. Ihr werdet es nicht bereuen. Wir sind stark und zusammen haben wir bessere Aussichten, falls die Trugen …«

»Hör ihn dir an, Wolth«, rief der Pirat hinter Kolphyr. Er war jetzt kaum noch drei Schritte vom Bera entfernt. »Er redet von den Trugen! Diese jämmerliche Figur will uns helfen!«

Wolth, der Anführer, grinste. »Gegen die Trugen willst du uns beiste­

hen?« Die Aussicht schien ihn zu belustigen. Kolphyr registrierte es. Was war mit den Trugen? »Ich zeige dir, wie sehr wir euch brauchen!« Wolth schoß und setzte das Gras vor Kolphyrs Füßen in Brand. Der Strahl seiner Waffe schnitt eine tiefe Furche in den Boden. Kolphyr drehte sich zu Koy um, der immer noch in etwa fünfzig Meter Entfer­nung wartete, und rief ihm zu:

»Der Zugor, Koy!« Die Piraten blickten überrascht zum

Trommler hinüber. Koy hatte verstanden. Seine Broins begannen gegeneinander zu schlagen. Augenblicke später explodierte der Zugor. Erdreich, Gras und Metallteile wurden in die Höhe geschleudert. Geblendet rissen die beiden im Eingang die Hände vor die Augen. Kolphyr reagierte blitzschnell. Der völlig überraschte Pirat hinter ihm wur­de von einem Faustschlag zu Boden ge­streckt. Bevor die beiden im Bunkereingang ihre Überraschung überwinden konnten, war der Bera heran und schickte auch sie ins Reich der Träume.

»Du kannst kommen!« rief er Koy zu. »Und bringe Fenrir und Flog mit. Aber seid

vorsichtig!« Kolphyr konnte nicht ganz ausschließen,

daß sich doch noch Piraten im Bunker be­fanden. Er trat vorsichtig durch den Ein­gang. Vor ihm lag ein großer quadratischer Raum mit Wänden aus Betonblöcken und Lehm, in dem mehrere Talgkerzen brannten. Kolphyr mußte sich bücken, um nicht mit dem Kopf an die durch Balken abgestützte Decke zu stoßen. Auf dem Boden lagen Decken. An den Wänden waren Kisten ge­stapelt. Säcke mit Nahrungsmitteln und mit Wasser gefüllte Schläuche lagen zwischen ihnen.

Keine Spur von weiteren Piraten. Als Kolphyr wieder aus dem Bunker trat, waren die anderen schon heran. Koy trug den Nef­fen. Fenrir beschnüffelte die bewußtlosen Piraten und sprang dann auf den Erdwall. Als er zurückkehrte, zerrte er den Mann, der Kolphyr von hinten bedroht hatte, zum Bun­ker. Die beiden anderen hatte der Bera be­reits hineingetragen. Er fesselte alle drei mit herumliegenden Stricken.

Chirmor Flog wurde in eine Ecke auf zwei Decken gelegt. Kolphyr nickte Koy zu.

»Du kannst schlafen. Ich kümmere mich um die hier.« Er schnitt eine Grimasse und deutete auf die Gefesselten.

»Glaubst du, daß sie etwas wissen?« »Vielleicht mehr, als wir erwartet haben«,

antwortete der Bera. Als Koy fragend blick­te, sagte er: »Es könnte sein, daß die Trugen sich nicht mehr auf Pthor befinden.«

*

Wolth kam als erster zu sich. Er zerrte an seinen Fesseln, als er merkte, in welcher La­ge er sich befand, und gab es auf, als er die Sinnlosigkeit seiner Bemühungen einsah.

Haßerfüllt starrte er den Bera an, der es sich vor ihm und seinen Kumpanen bequem gemacht hatte. Dann erst sah er Chirmor Flog und erschrak. Fenrir nahm er kaum wahr.

»Du weißt also, wer er ist«, sagte Kolphyr und deutete auf den Torso. »Ihr habt uns

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hereingelegt! Das ist …« »Chirmor Flog. Du kennst ihn also?« »Ich weiß, was man sich auf Pthor über

ihn erzählt«, knurrte der Pirat. »Von wem?« Wolth schwieg. »Spätestens morgen brechen wir wieder

auf und verlassen euch. Ihr werdet frei sein, wenn ihr mir sagt, was ich wissen will. Kei­ner krümmt euch ein Haar, wenn ihr antwor­tet.«

»Wer seid ihr?« »Das hat dich nicht zu interessieren,

Wolth. Wir sind Reisende.« Kolphyr schnitt erneut eine Grimasse und gab glucksende Geräusche von sich, als erheiterte er sich an seinen eigenen Worten. Schlagartig wurde er ernst. »Komm nicht auf den Gedanken, den Sturen zu spielen. Mein Freund hier«, Kol­phyr sah zu Fenrir hinüber, »versteht weni­ger Spaß als ich.«

Der riesige Wolf fletschte die Zähne und knurrte leise.

»Ich sehe, daß du verstehst«, sagte Kol­phyr, als Wolth heftig zusammenzuckte und bleich wurde.

»Halte mir das Biest vom Leib.« Die Au­gen des Piraten wurden zu schmalen Schlit­zen, als er Kolphyr wieder ansah. »Was willst du wissen? Wer garantiert mir, daß ihr uns auch wirklich laufen laßt?«

»Ich, und das muß dir genügen.« Kolphyr nahm eine der Strahlwaffen, die er neben sich auf den Boden gelegt hatte, und begann damit zu spielen.

»Laß das! Ich sage dir, was du wissen willst!«

»Schon besser. Was ist mit den Trugen? Haben sie Pthor verlassen?«

»Alle! Sie sind alle abgehauen, und nie­mand weiß, warum. Vielleicht hat es etwas mit den …«

»Sprich weiter.« »Es gibt Kranke auf Pthor. Überall. Sie

fallen einfach um und liegen wie tot da. Dann beginnen sie zu toben. Jedenfalls be­gann dies, bevor die Trugen und die Organ­schiffe verschwanden.«

»Dann ist Pthor frei?«

Horst Hoffmann

»Frei!« Wolth lachte rauh. »Du siehst, wie frei wir sind. Ein Trümmerhaufen ist Pthor! Zuerst kamen die Scuddamoren, dann die Trugen, die das zerstörten, was die Scud­damoren übrigließen. Und was blüht uns als nächstes?«

Kolphyr fragte sich, woher Wolth so gut über die Auswirkungen der TrugenHerr­schaft Bescheid wußte, wenn seine Vermu­tung stimmte, daß er und seine beiden Kum­pane schon zur Zeit der Scuddamoren hier Zuflucht gefunden hatten.

»Vielleicht die Magier?« forschte der Be­ra weiter.

Wolth tat erstaunt. »Die Magier? Bist du verrückt? Die sollen

bloß in ihren Bergen bleiben! Das fehlte uns noch! Glaubst du im Ernst, wir hätten uns hier einquartiert, wenn der Schirm nicht über Oth läge?«

»Sie haben ihn abgeschaltet.« »Du lügst!« »Es stimmt. Ihr habt nichts von ihnen be­

merkt? Sie haben die Barriere nicht verlas­sen?«

Wolth hielt Kolphyrs Blick stand. Der Mann war ahnungslos, das stand fest.

»Du willst uns für dumm verkaufen! Wie­so sollten sie die Barriere verlassen?«

In Wolths Stimme schwang Angst mit, was nichts damit zu tun haben mußte, daß er über die Vorgänge in der Großen Barriere von Oth Bescheid wußte. Die Magier waren allen Pthorern unheimlich, besonders sol­chen, die wie die Piraten vom Kampf mit handfesten Gegnern lebten und ziemlich abergläubisch waren.

Kolphyr ging nicht auf die Frage ein, son­dern gab sich damit zufrieden, daß die Ma­gier offenbar noch warteten, bevor sie los­schlugen. Er wollte Wolth nicht unnötig in Angst versetzen. Fenrirs Anblick genügte, um seine Zunge zu lösen.

Inzwischen waren auch die anderen bei­den Piraten erwacht. Kolphyr stellte weitere Fragen, bis er alles aus ihnen herausgeholt hatte, was sie über den gegenwärtigen Zu­stand des Dimensionsfahrstuhls wußten.

23 Das Urteil der Körperlosen

Und das war weit mehr, als sie wissen konnten, nachdem sie nun ausgesagt hatten, vor dem Erscheinen der Trugen hierherge­langt zu sein und ihr Versteck nur ein paar­mal verlassen zu haben, um andere Heimat­lose bei der Straße der Mächtigen zu über­fallen. Wolth versicherte, daß sie nur einmal Glück gehabt hätten und die Beraubten wei­terziehen ließen. Kolphyr glaubte ihm nicht. Doch im Augenblick hatte es wenig Sinn, weiter in sie zu dringen.

Der Bera begab sich zu Koy, Flog und Fenrir. Koy schlief tatsächlich fest. Kolphyr fragte sich, was es mit dieser »Krankheit« auf sich haben mochte, der die Pthorer nach Wolths Angaben zu Hunderten zum Opfer gefallen waren – alle fast zur gleichen Zeit. Er spürte, daß der Marsch und die Strapazen im Reich der Magier ihn doch einiges an Kraft gekostet hatten, und beschloß, eben­falls ein paar Stunden zu schlafen. Wenn sie weiterzogen, würden sie eine fremde Welt betreten, die alles an Konzentration von ih­nen verlangte. Fenrir lag nun ruhig neben Koy, blickte kurz zum Bera herüber, dann ließ er die Piraten nicht mehr aus den Au­gen. Kolphyr schlief nicht wirklich. Er döste vor sich hin und dachte an Wommser und das Wesen, daß Chirmor Flog gesehen ha­ben wollte.

Ein Wesen, das aus den Augen Tod und Verderben versprühen konnte.

*

Kolphyr schreckte aus seiner Versunken­heit auf, als Fenrir zu knurren begann. Der Bera war sofort wieder hellwach. Koy sch­lief noch. Flog befand sich an Ort und Stelle, ebenso wie die Piraten. Kolphyr stand den­noch auf und kontrollierte ihre Fesseln.

Sie waren unversehrt. Der Bera sah Fenrir fragend an, woraufhin dieser aufsprang und schwanzwedelnd zu einer Stelle in der Bun­kerwand lief, wo zwei der Vorratskisten auf­einander gestapelt waren. Er schnüffelte eif­rig, doch nicht an den Kisten, sondern an der Wand, die auch dort aus Betonblöcken und

als Füllmasse benutztem Lehm bestand. Kolphyr konnte nichts Auffälliges ent­decken, doch Fenrir begann nun, mit der Pfote zwischen der untersten Kiste und der Wand zu scharren. Lehm kam heraus, dann plötzlich konnte der Wolf den Vorderlauf tief in einen Spalt stecken, der nicht allein durch sein Kratzen entstanden war.

»Du willst mir etwas zeigen, das hinter den Kisten ist?« fragte der Bera mit einem Blick auf die Piraten, die vor Schreck bleich geworden waren. Und jetzt glaubte Kolphyr, einen erstickten Schrei zu hören.

»Sei still, Fenrir! Hör auf zu scharren!« Der Wolf gehorchte nur widerwillig. Kol­

phyr lauschte, und nun hörte er es ganz deut­lich. Jemand stöhnte und wimmerte – ein Mensch.

»Wen habt ihr dort versteckt?« Kolphyr stellte sich breitbeinig vor die Piraten. Er war über Wolth gebeugt. Seine Faust befand sich vor dem Gesicht des Mannes. »Ich will eine Antwort! Wer ist hinter den Kisten?«

Wolth sah ihn trotzig an. Kolphyr winkte Fenrir herbei.

Das wirkte. »Du darfst sie nicht wegrücken«, sagte

Wolth hastig und blickte zu den Kisten hin­über. »Laß sie stehen. Sie … sie bringen uns um! Sie sind schon tot!«

»Wer sind ›sie‹?« Kolphyr bückte sich noch tiefer. Seine Hand legte sich um Wolths Hals. »Ein Toter wimmert nicht! Al­so! Wen habt ihr dort versteckt?«

»Es sind … Kranke!« brachte der Pirat heftig hervor. »Aber sie sind tot! Sie waren tot! Sie …« Wolth zerrte an den Fesseln. »Ihr dürft sie nicht anrühren. Sie sind krank, verstehst du nicht?«

Ohne zu antworten, richtete der Bera sich auf, trat vor die beiden Kisten und schob sie zur Seite, als ob es sich um leere Pappkar­tons handelte. Wolth schrie. Fenrir bellte und knurrte.

Kolphyr sah in einen dunklen Stollen. Das Stöhnen war nun lauter zu vernehmen. Plötzlich stand Koy neben ihm und hielt ei­ne der Talgkerzen in der Hand. Schweigend

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drängte er sich am Bera vorbei und ging vor­aus in den Stollen. Gebückt folgte Kolphyr, bis sich der Stollen verbreiterte und in einen zweiten Raum mündete. Er war kleiner als der eigentliche Bunker, aber dafür höher. Durch eine Öffnung in der Decke fiel ein schwacher Lichtschein.

Koy stand erschüttert vor den beiden Ge­fesselten, die fast vollkommen in schmutzi­ge Laken eingewickelt und von Kopf bis Fuß eingeschnürt waren. Nur die Gesichter waren frei und tief in den Höhlen liegende Augen blickten den Trommler und Kolphyr voller Entsetzen an. Die beiden Unglückli­chen – es handelte sich um einen Mann und eine Frau, beide noch jung – konnten kein Glied bewegen. Sie stöhnten nicht mehr. Koy hatte das Gefühl, jemanden vor sich zu haben, der glaubte, den Henker kommen zu sehen, der seinen Qualen ein Ende machte.

»Diese Teufel«, flüsterte Koy. Seine Stimme bebte in ohnmächtigem

Zorn. Wie lange mochten die beiden schon hier liegen, von den Piraten dazu verurteilt, elend zu verhungern und zu verdursten?

»Gib mir die Kerze«, sagte Kolphyr. »Und befreie sie.«

Koy gehorchte. Während er die Stricke löste, dachte Kolphyr an das, was Wolth ihm über Pthor erzählt hatte. Hier hatte er die Antwort auf seine Fragen von vorhin. Diese beiden Menschen mußten ihnen von den Vorgängen auf dem Dimensionsfahrstuhl berichtet haben, bevor sie zum Sterben hier­her gelegt worden waren. Fenrir hatte sich an ihm vorbeigedrängt und beschnüffelte die Eingeschnürten.

»Komm zurück!« rief der Bera schrill. Es hatte keinen Sinn, die Unglücklichen

noch mehr zu verängstigen. Sie gaben kei­nen Laut von sich. Sie schrien nicht einmal, als sie den Wolf sahen. Sie waren jetzt plötzlich völlig geistesabwesend. Ihre Blicke fanden kein Ziel mehr, waren weit in die Ferne gerichtet.

Kolphyr fühlte sich zunehmend unbehag­licher. Von welcher Krankheit sollten sie be­fallen sein, außer, daß sie halbverhungert

Horst Hoffmann

und infolge des tagelangen Liegens in dieser Gruft fast wahnsinnig waren?

Koy hatte die Stricke mittlerweile alle ge­löst und schälte die beiden Körper aus den Tüchern. Kolphyr rechnete damit, mißge­staltete, von Wunden oder Ausschlägen überzogene Körper zu sehen. Statt dessen warf die Kerze nun ihr Licht auf zwei abge­magerte unbekleidete Leiber. Diese Men­schen waren nicht krank. Kolphyr spürte es. Blutergüsse an verschiedenen Stellen deute­ten auf die Behandlung hin, die sie von den Piraten erfahren hatten. Sie lagen hier, um zu sterben.

Und doch war Wolths Angst echt gewe­sen. Kolphyr zermarterte sich das Gehirn, während Koy den jungen Mann berührte und seinen Kopf vorsichtig hob. Er reagierte nicht. Dafür stieß die Frau jetzt einen heise­ren Schrei auf. Ihr Blick war nicht länger entrückt. Sie starrte Kolphyr an, versuchte sich aufzurichten, klappte förmlich zusam­men, als ihre Muskeln ihr den Dienst versag­ten, und wand sich schreiend und winselnd wie ein Tier auf den Laken. Sie wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt und versuchte immer wieder, den Oberkörper aufzurichten. Fenrir knurrte. Kolphyr rief ihn zurück, und nun begann auch der Mann zu toben. Von einem Augenblick zum andern veränderte er sich völlig. Sein Gesicht verwandelte sich in eine Fratze des Wahnsinns. Koy sprang ent­setzt zurück.

»Was ist das, Kolphyr?« fragte der Trommler flüsternd.

»Sie sind nicht krank!« sagte der Bera heftig.

Wieder ein Schrei, doch diesmal kam er nicht von den Tobenden. Fenrir fuhr herum. Kolphyr konnte ihn nicht halten, als er durch den Stollen zurück in den eigentlichen Bun­ker rannte.

Chirmor Flog schrie wieder, er schrie Kolphyrs und Koys Namen. Die beiden sa­hen sich an. Dann hastete der Trommler hin­ter Fenrir her. Kolphyr bückte sich wieder, als er durch den Stollen lief.

Was er sah, ließ ihn erstarren.

25 Das Urteil der Körperlosen

Fenrir stand drei Meter vor Wolth, die Nackenhaare aufgerichtet, die Zähne ge­fletscht. Koy wagte sich nicht zu rühren, und auch Kolphyr unterdrückte den Impuls, sich auf den Piraten zu stürzen, als er den Strah­ler in dessen noch gefesselten Händen sah.

Die Waffe war auf den Torso des Neffen gerichtet.

»Da haben wir euch komplett beisam­men«, knurrte Wolth. »Los, bindet uns los. Und keine Mätzchen. Ich erschieße die Miß­geburt bei der ersten verdächtigen Bewe­gung!«

7. Die Ebene von Kalmlech

Sator Synk setzte sich und wartete trotzig, bis die Roboter stehenblieben und zu ihm zurückkamen. Er kochte vor Wut. Wie lange sollte er noch Geduld mit diesen mißratenen, ungehorsamen, widerspenstigen Gesellen haben?

»Diglfonk!« »Ja, Sator Synk?« »Komm her! Hierher zu mir!« Synk saß

auf einem Stein. Mit dem Zeigefinger deute­te er auf eine Stelle des mit Unkraut be­wachsenem Bodens etwa einen Meter vor seinen ausgestreckten Füßen.

Diglfonk schwebte heran, was Synk als eine weitere Provokation ansah. Er schweb­te, so wie er und die anderen zwölf die gan­ze Zeit über geschwebt waren, während Synk sich die Füße wund gelaufen hatte.

Diglfonk kam vor seinem Herrn zum Stillstand.

»Verfüge über mich, Herr!« Synk zuckte zusammen. Ruhig bleiben, ermahnte er sich. Ganz ru­

hig. Nicht provozieren lassen, auch nicht von Diglfonks unschuldigem Getue. Wie oft hatte er sich von ihm schon täuschen lassen? Wie oft hatte er ihm verziehen, nur um bei nächster Gelegenheit wieder so maßlos ent­täuscht zu werden?

»Diglfonk«, sagte der Orxeyaner ganz ru­hig. Er sah, wie die anderen zwölf Roboter sich halbkreisförmig um Diglfonk scharten.

»Dein Herr Soltzamen fragte mich, ob ich euch hasse.«

Synk machte eine Pause und ließ seine Worte wirken. Immer noch war er ruhig.

»Ich hasse euch nicht. Das ist Unsinn. Ich bin ein gutmütiger Orxeyaner, wie ihr alle wißt.«

Diglfonk rührte kein Glied. Keiner der Roboter sagte etwas. Synk nickte bedächtig.

»Ich hasse euch nicht«, wiederholte er. Dann sprang er auf und brüllte so laut, daß in der Ferne eine Schar Vögel aufgeschreckt in die Lüfte stieg und laut schnatternd da­vonflog: »Aber ich hätte gute Lust, euch alle zu Klump zu hauen! Soltzamen sagte, ihr wäret kuriert! Das war ebenso gelogen wie seine Versicherung, daß die Besatzer ver­schwunden seien! Und wenn ich etwas nicht ausstehen kann, so sind das Lügen und Ver­räter!«

»Herr …«, setzte Diglfonk an, doch Synk winkte barsch ab.

»Schweig, Verräter! Antworte nur auf meine Fragen. Sind die Trugen von Pthor verschwunden? Sind die geflohen, wie Soltzamen mir sagte?«

»Die Besatzer haben Pthor verlassen«, er­klärte Diglfonk trocken.

»So?« Synk kreischte und bekam ein rotes Gesicht. Er griff nach dem Knauf des Schwertes. »Und wen hätten wir diese Nacht fast erwischt, wenn ihr euch nicht so ver­dammt dumm angestellt hättet?«

»Trugen, Sator Synk.« »Besatzer! Eimerköpfe! Jemanden, den es

gar nicht gibt, wie? Ich will dir sagen, was ich denke, Diglfonk. Ich denke, daß ihr alle mich anlügt, und das schon die ganze Zeit. Und daß ihr Saboteure seid!«

»Du irrst dich, Sator Synk. Der Herr Soltzamen sagte nur, daß die Flotte des Du­uhl Larx sich von Pthor zurückgezogen ha­be. Er sagte nicht, daß nicht vielleicht noch vereinzelte Trugen auf Pthor herumstrei­fen.«

Synk hatte die Worte des Robotbürgers nicht mehr so genau im Kopf, als daß er Diglfonks Behauptung hätte nachprüfen

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können. Er befahl den Robotern, zu schwei­gen und setzte sich wieder hin. Tatsache war, daß der Herr Soltzamen ihn durch seine Auskunft irregeführt hatte, ob nun gewollt oder ungewollt.

Synk sah sich um. Sie befanden sich un­gefähr in der Mitte der Ebene von Kalmlech, wenn er sich auf seinen Orientierungssinn verlassen konnte. Im Nordosten war der Taamberg schwach zu erkennen. Im Süden mußte die Straße der Mächtigen liegen.

Das Land ringsum war uneben. Überall zeigten sich noch die Spuren der Ungeheuer, die hier gehaust hatten. Es gab Erdhöhlen, große Mulden, in denen die Monstren sich gewälzt hatten, Spuren gewaltiger Füße. Das Unkraut wucherte oft meterhoch. Nur hier und da standen vereinzelte Bäume und Sträucher. Alles andere hatten die Horden der Nacht niedergewalzt. Angeekelt dachte Synk an die Kadaver der Riesen, an denen er mit seiner Truppe vorbeigekommen war, als sie die Trugen verfolgt hatten. Die Eimer­köpfe …

Es waren acht gewesen. Als Synk sie ge­sehen hatte, waren alle Vorsätze, zur FE­STUNG zu marschieren, wie weggeblasen. Es gab nur noch die Besatzer und die Jagd auf sie. Synk hätte sie gefangen, wäre es nicht Nacht gewesen, als sie ihnen begegne­ten. Und die Trugen waren ebenso über­rascht gewesen wie er selbst. Jedenfalls er­griffen sie Hals über Kopf die Flucht, als sie ihn und die Roboter sahen. Die ganze Nacht hindurch hatte Synk sie verfolgt, und er war auch jetzt noch davon überzeugt, sie über­wältigt zu haben, hätten die Roboter ihn nicht durch ihr unmögliches Verhalten im­mer wieder aufgehalten.

Am Morgen war von den Besatzern nichts mehr zu sehen gewesen, aber es gab außer den Erdhöhlen und den Mulden keine Ver­stecke für sie. Synk war sicher, daß sie sich im Süden befanden, vielleicht auf dem Weg zur Straße der Mächtigen. Und er wollte nicht eher Ruhe geben, bis er sie eingeholt und herausgefunden hatte, was es mit ihnen auf sich hatte.

Horst Hoffmann

Synk war bereit zu glauben, daß die Hauptstreitmacht des Neffen Duuhl Larx sich zurückgezogen hatte. Am Nachthimmel waren keine Organschiffe als winzige Punk­te mehr zu sehen, wie dies vor Tagen noch der Fall gewesen war. Aber es gab noch Trugen auf Pthor. Wie viele? Und warum?

Aus irgendeinem Grund wollte Diglfonk anscheinend nicht, daß Synk sie einfing und verhörte. Synk war sich dessen völlig sicher. Er stellte eine entsprechende Frage, in der Erwartung, eine weitere Lüge zu hören.

»Sie stellen keine Bedrohung mehr dar«, antwortete der »Kommandant« von Synks Gnaden.

»Aha! Und woher willst du das wissen?« »Sie sind krank. Deshalb wurden sie zu­

rückgelassen.« Synk holte tief Luft. »Und das habt ihr die ganze Zeit über ge­

wußt? Ihr habt gewußt, daß sich noch Besat­zer auf Pthor aufhalten und es mir ver­schwiegen?«

»Das hielten wir für unsere Pflicht, Herr. Es gibt wichtigere Aufgaben für uns als …«

»Jaja!« unterbrach der Orxeyaner ihn. »Pthorer aufsammeln und zusammenfüh­ren.« Wieder sprang er auf. »Ich ruhe nicht eher, bis ich weiß, daß auch der letzte Ei­merkopf keinen Schaden mehr anrichten kann! Diglfonk, ich will eine klare Antwort: Hat euch euer Herr Soltzamen befohlen, mich daran zu hindern, sie zu jagen?«

»Nein«, antwortete Diglfonk. Das war keine direkte Lüge. Der Herr

Soltzamen hatte nur verschwiegen, daß es noch Trugen auf Pthor gab, in der Hoffnung, daß sie Synk nicht gerade über den Weg lie­fen. Aus dem gleichen Grund hatte er ja auch darauf verzichtet, Synk über die »Epidemie« aufzuklären. Für den Orxeyaner waren die Trugen, die er jagte, also noch die gleichen Wesen, die er als Besatzer kennen­gelernt hatte. Er konnte nicht wissen, daß es sich um eine Gruppe handelte, die von Lee­nia bereits von den Körperlosen, die in sie gefahren waren, befreit worden waren, be­vor die Signale von der Dunklen Region ka­

27 Das Urteil der Körperlosen

men. »Werdet ihr mich daran hindern, sie ein­

zufangen, wenn ich sie gefunden habe? Eine klare Antwort, Diglfonk!«

»Nein, Sator Synk. Niemand von uns wird dich zu hindern versuchen.«

»Versprichst du das?« »Wozu bedarf es eines Versprechens?«

fragte der Roboter. »Wir sind hier, um dir zu dienen, Sator Synk – und um dich zu be­schützen.«

»Ich kann mich selbst beschützen! Digl­fonk, ich warne euch. Sobald ich merke, daß ihr falsches Spiel mit mir treibt, mache ich ernst. Ich zerlege dich wie ein junges Yassel im Fleischerhof von Orxeya!«

Als er keine Antwort erhielt, nickte Synk grimmig und stand auf. Er strich sich über die Kleidung, rückte den Gurt mit dem Schwert zurecht, und stemmte die Fäuste in die Hüften.

»Also gut. Wir gehen jetzt weiter. Wir ge­hen, hört ihr? Fahrt eure Gliedmaßen aus und geht auf ihnen, wie, das soll mir egal sein. Und sollte ich gezwungen sein, euch der Reihe nach zu verprügeln, dann nicht et­wa, weil ich euch hasse, sondern allein aus disziplinarischen Gründen. Wir verfolgen die Eimerköpfe, stellen sie und nehmen sie gefangen. Ist das verstanden worden?«

»Verfüge über uns, Herr!« kam es von dreizehn Robotdienern zugleich.

Synk seufzte, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und stieß eine Reihe von Flüchen aus, bevor er den Befehl zum Abmarsch gab. Die kleine Streitmacht marschierte nach Süden. Synk ging voran, die Roboter folgten im Gänsemarsch. Immer wieder drehte der Orxeyaner sich um, um sich zu vergewissern, daß sie auch wirklich alle gingen. Dabei wurde er das Gefühl nicht los, daß ihre Tentakel mehr oder weniger nur über den Boden schleiften, und sie in Wirklichkeit doch schwebten.

Ich hasse sie nicht! sagte Synk sich im­mer wieder. Nein, ich hasse sie nicht! Aber manchmal müßte man sie einfach abschalten können! Synk erschrak. Abschalten? Lebe­

wesen einfach abschalten? Verstohlen blickte der Orxeyaner sich

wieder um. Einer hinter dem anderen folgten sie ihm. Gleichmäßig. Teilnahmslos. Mono­ton die Tentakel bewegend. Sie wirkten wie …

Synk spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß und in den Schlagadern häm­merte. Er zitterte leicht. Woran erinnerten sie ihn – nicht nur in diesem Moment, son­dern schon ein paarmal zuvor?

Es mußte etwas mit dem Herrn Soltzamen zu tun haben, mit dem Aufenthalt in Wolter­haven. Aber so sehr Sator Synk sich auch bemühte – er kam nicht dahinter. Und er brauchte einen klaren Kopf.

Er zwang sich dazu, sich auf die Trugen zu konzentrieren. Später, wenn er diese ge­fangengenommen hatte, würde er Zeit ha­ben, sich mit den Robotern wieder eingehen­der zu beschäftigen.

*

Sie waren etwa zwei Stunden ohne Unter­brechung marschiert, als sie das Fahrzeug sahen. Es war ein Tore, wie er vor allem von den Technos in der Senke der verlorenen Seelen benutzt wurde. Das Fahrzeug glich einem Zugor, nur saß die Schale auf Rädern mit dicken Reifen.

So war es für Sator Synk dann auch ein bodengebundener Verwandter des Zugors, eines der vielen seltsamen Tiere, die es neu­erdings auf Pthor gab.

Neuerdings? Unsinn! dachte der Orxeyaner. Es hat sie

natürlich schon immer hier gegeben – nur kamen sie mir bisher immer irgendwie an­ders vor.

Auch dies war etwas, worüber er bei Ge­legenheit nachzudenken hatte.

Als Synk den Tore erreichte, stellte er fest, daß bis vor kurzem weitere zwei dieser Kreaturen an dieser Stelle gestanden hatten. Die Spuren im hier nur von dünnem Moos bewachsenen Boden zeigten deutlich, daß sie sich vor nicht allzu langer Zeit fortbe­

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wegt hatten. Vielleicht vor Stunden. Und Synk sah noch etwas anderes.

»Ha!« schrie er triumphierend. Er kniete sich hin und strich mit der Hand über den Boden. »Sie waren hier! Diglfonk, sieh dir das an. Spuren von Eimerköpfen. Sie waren hier und haben die beiden anderen Tores ge­raubt. Sie sind mit ihnen weitergeflohen.« Er stand wieder auf und deutete auf die Reifen­spuren, die von dieser Stelle fort führten. »Nach Süden, wie ich vermutete.«

Diglfonk gab keinen Kommentar. Synk ignorierte ihn einfach. Er spürte, daß

er seinem Ziel ein gutes Stück nähergekom­men war und nun die Zügel fest in seiner Hand behalten mußte.

»Zwei von euch steigen mit mir in den Tore. Zwei und Drei. Diglfonk, du schwebst mit den anderen neben uns her.«

Die angesprochenen Robotdiener ge­horchten, als Synk über den Rand des scha­lenförmigen Fahrzeugs kletterte – vorsich­tig, um dem Tore keine Schmerzen zuzufü­gen. Eins hatte er absichtlich bei Diglfonk draußen gelassen, hatte er doch nur zu gut noch vor Augen, wie der seinen Zugor be­handelt hatte.

Synk wußte, wie man das Fahrzeug zu steuern hatte. Natürlich lieferte ihm sein Un­terbewußtsein wieder Analogien aus dem Tierreich für alle Instrumente. So setzte er das Fahrzeug vorsichtig in Bewegung. Die zehn Roboter neben dem Tore teilten sich. Jeweils fünf eskortierten ihn zu beiden Sei­ten. Bald jagte er mit Höchstgeschwindig­keit nach Süden. Noch waren die Spuren der von den Trugen benutzten Tores gut zu er­kennen, auch, als das Moos wieder dem Un­kraut und hohen Gräsern wich. Daß diese sich noch nicht wieder aufgerichtet hatten, bestätigte Synks Annahme, daß die Gejagten keinen allzu großen Vorsprung hatten.

Er machte es sich auf der Bank vor den Steuerinstrumenten bequem und sah mit Ge­nugtuung, wie die Roboter draußen anschei­nend Mühe hatten, das Tempo mitzuhalten. Immer wieder fielen einige etwas zurück, doch Synk dachte nicht daran, zu verlangsa-

Horst Hoffmann

men. Nach etwa einer halben Stunde Fahrt sah er zwei dunkle Punkte in der Ferne vor sich. Mit einem Triumphgeschrei machte er seiner Begeisterung Luft.

»Da sind sie! Diglfonk, gleich haben wir sie. Ich warne dich noch einmal!«

»Wir werden dich nicht behindern, Sator Synk. Was beabsichtigst du mit ihnen zu tun?«

»Ich frage sie aus. Ich muß wissen, wie viele von ihnen es noch auf Pthor gibt und wo sie sich versteckt halten. Danach bringe ich sie zur FESTUNG.«

Er lachte still in sich hinein. Ein besseres »Geschenk« hätte er den Odinssöhnen gar nicht mitbringen können. Die beiden Punkte wurden schnell größer.

Viel zu schnell. »Warum fliehen sie nicht weiter?« fragte

Synk verwundert. »Sie müssen uns doch längst gesehen haben?«

»Sie werden angegriffen«, erklärte Digl­fonk.

»Angegriffen? Unsinn! Wer sollte sie hier …?«

Sator Synk verschluckte den Rest des Sat­zes. Die beiden Tores waren nun bereits in Einzelheiten zu erkennen.

Und noch etwas anderes. Wie ein Berg ragte das vorzeitlich anmu­

tende Ungeheuer vor den Fahrzeugen auf. Jetzt sprangen Trugen heraus und rannten in alle Richtungen davon.

»Aber das ist …« Synk suchte nach Wor­ten. Der Angstschweiß brach ihm aus den Poren. »Es gibt keine lebenden Ungeheuer mehr in Kalmlech! Diglfonk, sag etwas! Du weißt doch sonst immer alles!«

Immer noch raste der Tore mit Höchstge­schwindigkeit auf die Trugen und den Dra­chen zu, ein Monstrum von mindestens fünf Meter Höhe und ebenso breit.

»Es besteht die Möglichkeit«, sagte Digl­fonk nun schnarrend, während er nahe am Rand des Tores schwebte, »daß einige der Ungeheuer die Katastrophen überlebten, die zum Ende der Horden der Nacht führten. Sie könnten sich in einem mumifizierten Zu­

29 Das Urteil der Körperlosen

stand befunden haben und unter bestimmten Voraussetzungen erwachen. Die Wahr­scheinlichkeit dafür beträgt aber lediglich 2,53 Prozent.«

»Da siehst du sie, deine 2,53 Prozent!« brüllte der Orxeyaner. Erst jetzt kam er auf die Idee, den Tore abzubremsen. Aber es war schon zu spät.

Das Monstrum richtete sich zu seiner vol­len Größe auf und stieß ein markerschüttern-des Gebrüll aus. Es ließ von den Trugen ab.

Es hatte Synks Tore gesehen. Es kam mit weiten Sprüngen heran.

*

Das Brüllen des aus seiner Starre erwach­ten Ungeheuers war weit über die Ebene von Kalmlech zu hören, bis hin zur Straße der Mächtigen, wo zehn Gestalten sich langsam in Richtung Osten bewegten.

Die Orxeyaner blieben wie vom Blitz ge­troffen stehen.

»Was ist das?« fragte Braker Hoyt, darum bemüht, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Es gibt doch keine Ungeheuer mehr. Die Horden der Nacht sind …«

»Du hast doch Ohren!« fuhr Gandel Gars ihn an. »Glaubst du, die Bäume brüllen so? Seht ihn euch an, Orxeyaner! Euer Gewicht zittert vor Angst!«

»Wer? Ich?« Hoyt war herumgefahren und starrte die

Zweizentnerfrau zornig an. »Wer sonst?« Bestürzt sah Hoyt, wie sich die Augen der

anderen auf ihn richteten. Sie alle hatten den Schrecken in den Gliedern stecken.

»Ich werde euch zeigen, wer hier Angst hat!« brüllte er. »Ich sehe nach, was es mit eurem ›Ungeheuer‹ auf sich hat. Vielleicht ist Sator in Gefahr!«

Er war sich dessen bewußt, daß dies an den Haaren herbeigezogen war, aber wie sonst sollte er Gandels Sticheleien, die sie schon während des ganzen Weges von sich gegeben hatte, entgegentreten?

»Ha!« machte Gandel laut. »Daß ich nicht

lache!« »Ich kenne keine Furcht! Außerdem ha­

ben wir Waffen! Wer folgt mir?« Nun sah sich Gandel in die Defensive ge­

drängt. Hoyt meinte es ernst! Einen Rück­zieher konnte auch sie sich nicht mehr erlau­ben.

So kam es, daß die zehn Orxeyaner mit schlotternden Knien, aber entschlossen wir­kenden Mienen die Straße der Mächtigen verließen.

Und als sie die ersten Trugen sahen, war das Brüllen vergessen.

8. Die FESTUNG

Balduur sah die Brüder kommen. Er saß zusammengekauert in einer Ecke des dunklen Raumes, in den sie ihn gesperrt hat­ten, und starrte sie wütend an.

Wollten sie ihn wieder fesseln? Oder wa­ren sie gekommen, um ihn zu quälen, wie so oft während der letzten Tage, als sie ihn mit Gewalt daran hinderten, den Signalen zu fol­gen, die nun nicht mehr zu hören waren?

Er wartete, bis sie heran waren und wie­der begannen, ihm ihre törichten Fragen zu stellen. Der Anblick seiner Peiniger reichte aus, um Balduurs Bewußtsein den Anderen in ihm für kurze Zeit zurückdrängen zu las­sen. Warum hatten sie ihn nicht gehen las­sen, als noch Zeit dazu war? Nun gab es kein Ziel mehr für ihn. Alles war so sinnlos geworden. Die Euphorie, die ihn auf wun­derbare Weise so sehr geschmerzt hatte, war vorüber. Was blieb, war blinder Haß.

»Ganz ruhig, Bruder«, hörte Balduur. Er sah Heimdall an. Welches Recht hatte er noch, ihn seinen Bruder zu nennen? Er und Sigurd. Beide waren sie an seinem Zustand schuld. Hätte er sich ihnen nur nicht ange­schlossen, wäre er nur in seinem Heim ge­blieben, bei seinen Erinnerungen …

»Kannst du mich verstehen?« fragte Si­gurd jetzt. Balduur wartete, spannte all seine Muskeln an, ließ sie so nahe herankommen, daß er sie mit einem Satz erreichen konnte.

Dann sprang er. Mit einem wilden Schrei

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stürzte er sich auf Sigurd, schlug ihm die Faust in den Magen und stieß ihn zur Seite. Heimdall machte entsetzt einen Schritt zu­rück. Hinter ihm war die offene Tür, die in die Freiheit führte. Balduur konnte klar ge­nug denken, um zu wissen, daß Heimdall ihm kräftemäßig weit überlegen war.

Er ließ sich fallen und wand sich am Bo­den, so als ob er wieder von den furchtbaren Krämpfen gepackt wäre. Als Heimdall sich über ihn beugte, stieß er ihm beide Füße ge­gen die Brust, sprang auf und rammte ihm die Schulter in die Seite, als der Bruder schon taumelte. Heimdall fiel schwer zu Bo­den.

Sigurd richtete sich auf. Blut rann über seine Lippen und das Kinn herab. Balduur versetzte ihm einen Schlag mit beiden Fäu­sten gegen den Kopf und begann zu rennen.

Die Tür. Hinter ihr lag die nach oben füh­rende Treppe. Sigurd und Heimdall waren allein gekommen. Balduur hechtete die Stu­fen hinauf, als ob ihm tausend Dämonen im Nacken säßen. Ein breiter Gang. Türen. Der Odinssohn blieb stehen, holte Atem, sah sich gehetzt um.

Wohin konnte er sich wenden? Wo war er sicher vor den Brüdern und den anderen, die sich noch in der FESTUNG aufhielten?

Weiter nach oben! Balduur spürte, wie der Andere wieder

nach ihm greifen wollte. Er geriet in Panik und rannte ziellos auf die nächste Treppe zu.

Er erreichte sie nicht mehr. Das, was in ihm steckte, ergriff erneut Be­

sitz von ihm. Balduurs Beine versagten ihm den Dienst. Er stürzte vornüber und blieb einen Augenblick wie ein gefällter Baum liegen. Die Schmerzen waren unerträglich. Balduur wand sich und stieß heisere Schreie aus. Mit letzter Kraft kämpfte er um die Kontrolle über sich. Er stemmte sich vom Boden ab, brachte den Oberkörper in die Höhe, warf den Kopf in den Nacken und sah die Frau.

Balduur erstarrte. Irgend etwas griff in sein Bewußtsein.

Horst Hoffmann

*

Leenia empfing die Gedanken der sich schnell nähernden Odinssöhne. Sie zögerte keinen Augenblick. Inzwischen hatte sie schon Routine darin entwickelt, die gefange­nen körperlosen Bewußtseine aus ihren Trä­gern zu befreien. Innerhalb einer Minute hatte sie mit dem Artverwandten in Balduur Kontakt aufgenommen, ihn freigeschält und auf den Weg in die Höheren Welten ge­schickt. Noch zwei! dachte sie erleichtert. Noch zwei Bewußtseine, dann war ihre Mis­sion erledigt – und die Stunde der Entschei­dung da.

Sigurd und Heimdall stürmten in den Kor­ridor. Sigurd blutete am Kopf und aus dem Mund und mußte von Heimdall gestützt werden. Dennoch hätte er sich auf den am Boden Liegenden gestürzt, wäre Leenia nicht schnell vor Balduur hingetreten.

»Laßt ihn«, sagte sie. »Er ist wieder er selbst.«

»Was …?« Sigurd riß sich los und stützte sich gegen eine Wand. Er sah Balduur an, dann Leenia. »Ich kenne dich. Du bist …«

»Ich bin die, der du die Möglichkeit gabst, zu ihrem Volk zurückzukehren, Si­gurd – in ihre Heimat.« Wehmut überkam sie bei dem Gedanken daran, daß ihr diese Heimat bald für immer verschlossen sein konnte. »Ich bin Leenia, und ich bin nach Pthor zurückgekehrt.«

»Ja!« stieß Heimdall hervor. »Um uns diese Plage zu bringen! Wir hatten recht. Du bist nichts als ein Instrument der Dunklen Mächte, des Dunklen Oheims selbst!«

»Schweig!« Leenias Augen blitzten auf. Ihr Blick war voller Verachtung, als sie sag­te: »Ihr seid es doch, die sich zu Werkzeu­gen des Dunklen Oheims machen ließen. Wie töricht war ich gewesen, zu glauben, daß ihr den Mut besäßet, Widerstand zu lei­sten! Du, Sigurd, bist nicht mehr der Mann, der das Risiko auf sich nahm, mir die GOL'DHOR anzuvertrauen. Seht in einen Spiegel, der eure Seele zeigt! Ihr habt nicht

31 Das Urteil der Körperlosen

das Recht, über andere zu urteilen!« »Schweig, du …« Heimdall näherte sich

mit drohender Gebärde. Leenia wich keinen Schritt zurück. So nahe vor ihr, daß er sie mühelos hätte greifen können, blieb Heim­dall stehen, doch seine Arme waren jetzt ge­senkt. Vielleicht erinnerte er sich an Leenias Fähigkeiten, an seinen unfreiwilligen Auf­enthalt in der Höhle, die ihr so lange als Versteck gedient hatte.

»Wo ist dein Mut geblieben, Heimdall?« höhnte Leenia. »Ich werde jetzt gehen, aber seid gewiß, daß wir uns wiedersehen, früher als ihr denkt. Laßt euren Bruder Balduur in Ruhe. Er wird bald zu sich kommen und glauben, aus einem bösen Traum erwacht zu sein. Dann kann er euch wieder Gesellschaft leisten, wenn ihr euch überlegt, wie ihr eure kostbaren Köpfe aus der Schlinge ziehen könnt. Aber haltet euch eines immer vor Au­gen. Wer mit den Dunklen Mächten gemein­same Sache macht, besiegelt seinen eigenen Untergang. Und ihr werdet untergehen, falls ihr euch nicht besinnt – entweder durch sie oder mit ihnen!«

Leenia entmaterialisierte, kaum daß sie zu Ende gesprochen hatte.

Heimdall und Sigurd sahen sich betroffen an.

»Wer ist sie?« fragte Sigurd leise, den Blick auf die Stelle gerichtet, an der Leenia eben noch gestanden hatte. »Wer ist sie, Bruder?«

Heimdall fluchte und winkte barsch ab. »Eine Verrückte!« Er kniete neben Baldu­

ur nieder und drehte den Bewußtlosen auf den Rücken. »Er lebt.«

»Was glaubtest du?« fragte Sigurd, ohne Heimdall anzusehen. »Sie hat es nicht nötig, Schwache umzubringen. Ich habe Angst vor ihr, Heimdall. Angst vor ihren Worten.«

»Bist auch du verrückt geworden?« fuhr der Finstere auf. »Wir sind stark, weil wir uns mit der Macht verbündet haben!«

»Ist es wirklich so?« Sigurds Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.

*

Kolphyr sah ein, daß er keine Wahl hatte, wollte er nicht am Tod Chirmor Flogs schul­dig sein. Wolth spaßte nicht. Einer seiner beiden Kumpane lag so, daß er einen der von Kolphyr eingesammelten Strahler mit den Füßen hatte aufnehmen und Wolth in die gefesselten Hände bugsieren können.

»Zurück, Fenrir«, befahl der Bera. Der Fenriswolf begab sich knurrend zu

Koy und blieb dort in geduckter Haltung ste­hen. Chirmor Flogs Torso bebte vor Angst. Er schrie immer noch. Seine riesigen Augen waren starr auf die Mündung der Waffe ge­richtet.

»Na los!« bellte Wolth. »Wird's bald?« Als Kolphyr einen Schritt auf ihn zu

machte, schüttelte er heftig den Kopf. »Du nicht, Kerl! Der Kleine soll mich los­

binden, und dann die anderen.« Wortlos ging Koy an Kolphyr vorbei und

beugt sich über den Piraten. »Vorsichtig!« knurrte Wolth. »Ich schieße, sobald du die kleinste Dummheit machst!«

Koy löste zuerst die Fußfesseln, dann die um Wolths Handgelenke. Kolphyr überlegte fieberhaft, wie er Herr der Situation werden konnte. War es nicht töricht, anzunehmen, daß die Piraten den Neffen verschonen wür­den, sobald sie frei waren? Sie würden sie alle umbringen. Koy konnte seine Broins hier im Bunker kaum einsetzen.

Wolth sprang auf, die Waffe weiterhin auf Chirmor Flog gerichtet. Er rieb sich mit der freien Hand die Gelenke.

»Jetzt die anderen!« befahl er. Koy gehorchte. Kolphyr rührte sich noch

immer nicht. Wolth grinste ihn an und bück­te sich, um zwei weitere Strahler aufzuhe­ben. Er wartete, bis die beiden anderen Pira­ten neben ihm standen, dann reichte er ihnen die Waffen.

»Stell dich zu deinen Freunden!« fuhr er Koy an. »Ihr Narren! Ihr habt sie also gese­hen? Es war euer Fehler, die Kisten zur Sei­te zu rücken. Sie sind krank, das sagte ich euch doch. Und ihr wart bei ihnen. Ihr wer­det bei ihnen bleiben!«

Wolth lachte rauh. Er winkte mit dem

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Strahler. »Geht in den Stollen. Na los! Macht schon!«

»Sie sind nicht krank«, sagte der Bera ru­hig, ohne Anstalten zu machen, der Auffor­derung nachzukommen. »Ihr wißt es so gut wie wir. Ihr wolltet sie sterben lassen.«

»Natürlich wollten wir das, bevor sie uns anstecken konnten. Sie leben noch, eh?« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Es ist eine Seuche, die ganz Pthor befallen hat! Ich will nicht wie sie verrecken! Ihr geht nicht?« Wolth zielte auf Kolphyrs Kopf. »Dann erle­digen wir euch hier. Kessan, Jalb, erschießt die anderen. Wir verschwinden von hier!«

Kolphyr erkannte, daß ihm keine Sekunde Zeit blieb. Er stürzte vor, schlug Wolth die Waffe aus der Hand und riß den Piraten von den Beinen. Doch die anderen beiden rea­gierten schneller, als er gedacht hatte. Sie sprangen blitzschnell zurück. Einer von ih­nen packte Chirmor Flog und benutzte den schreienden Neffen als Schild. Fenrir, be­reits im Sprung, drehte sich in der Luft und prallte gegen eine Kiste. Wolth kam auf die Beine und machte einen Satz von Kolphyr weg. Im Nu hatte er wieder einen Strahler in der Hand.

»Schießt sie nieder!« schrie er Kessan und Jalb zu. Wieder zielte er auf den Bera, doch plötzlich weiteten sich seine Augen. Kol­phyr sah nicht, was sich hinter seinem Rücken im Stollen tat. Doch plötzlich spürte er Wommser.

Violettes Licht erfüllte nun den Bunker. Eine Gestalt drängte sich an Kolphyr vorbei. Chirmor Flog schrie auf.

Und die Piraten senkten die Waffen. Mit schreckgeweiteten Augen machten sie einen Schritt um den anderen zurück. Die Strahler fielen aus kraftlosen Händen auf den Boden. Leenia schritt an Kolphyr und Koy vorbei und trieb die drei regelrecht vor sich her. Sie tat nichts und sagte nichts. Sie blickte sie nur an.

Doch die Piraten erlebten die Hölle. Wolth schrie gellend auf und fuhr auf dem Stiefelabsatz herum. Er schrie noch, als er aus dem Bunker heraus war und davonrann-

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te, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. Kessan und Jalb rannten hinter ihm her.

Leenia stand in der Mitte des Bunkers. Als sie sich zu Kolphyr und Koy umdrehte, stand ein trauriges Lächeln in ihrem Gesicht.

»Das ist sie!« schrie Chirmor Flog. »Die Magierin! Das ist die Frau, die Islars Anlage zerstörte!«

Leenia blickte Kolphyr an, und dieser lä­chelte nun ebenfalls. Er sah grotesk aus, als sich sein Froschmaul von einem Ende des Gesichts zum anderen zog.

»Nein«, sagte der Bera, als er Leenia die Hand reichte. »Keine Magierin, Flog. Sie ist … Wommser?«

*

Leenia schüttelte stumm den Kopf. Lange sah sie Kolphyr an, als ob sie dem, was von Wommser noch in ihr war, die Gelegenheit geben wollte, seinen Elter zu betrachten, ihn stumm zu begrüßen, sich ganz der Erfüllung einer langen Sehnsucht hinzugeben. Sie ver­spürte ein Gefühl tiefer Dankbarkeit in sich. Endlich sagte sie: »Nicht Wommser, Kol­phyr. Ich bin Leenia und trage Wommser in mir. Einen Teil von ihm, vielleicht nur einen Funken. Lange Zeit waren wir Partner. Ich weiß vieles über dich.«

»Partner?« fragte der Bera überrascht. Auch er schien vergessen zu haben, daß sie nicht allein im Bunker waren. Chirmor Flog sorgte dafür, daß er in die Wirklichkeit zu­rückfand.

»Tut doch etwas! Sie hat die Anlage zer­stört! Sie ist eine von ihnen! Ich habe keine Gewalt über sie!«

»Schweig!« herrschte Kolphyr den Neffen an. Doch auch Koy wurde unruhig.

»Ich weiß ja nicht, was ihr beide euch zu erzählen habt«, sagte er etwas gereizt. »Aber sie ist uns eine Erklärung schuldig, Kolphyr. Sie allein ist schuld, wenn die Magier Pthor überfallen.«

»Was soll das heißen?« fragte Leenia überrascht. Doch gleichzeitig las sie es in Koys Gedanken. In ihrem Gesicht zeigte

33 Das Urteil der Körperlosen

sich Bestürzung. »Das wollte ich nicht«, sagte sie. Chirmor

Flogs Worte fielen ihr wieder ein, als er sie von der Zerstörung abhalten wollte. »Ich mußte es tun, um zu verhindern, daß …« Sie zuckte die Schultern. »Ich erkläre alles spä­ter. Ich …« Fast flehend blickte sie Kolphyr an. »Bitte laßt mich jetzt allein. Ich gehe vor den Bunker, denn ich weiß nicht, was mit mir geschehen wird, und ich will euch nicht in Gefahr bringen.«

»Die beiden im Raum hinter dem Stol­len«, sagte Kolphyr ruhig. »Du warst bei ih­nen?«

»Ja. Sie werden bald zu sich kommen. Sie sind außer Gefahr. Wenn ich bis dahin nicht zurück bin, gebt ihnen zu essen und vor al­lem zu trinken.« Leenia las kurz in Kolphyrs Gedanken. »Sie werden euch sagen, was auf Pthor geschah. Und auch du wirst alle Ant­worten erhalten, Kolphyr.«

Ohne ein weiteres Wort drehte Leenia sich um und verließ den Bunker. Fenrir wollte hinter ihr her laufen, doch Koy hielt ihn zurück.

»Ihr laßt sie einfach gehen?« kreischte Chirmor Flog. »Tötet sie! Sie will uns ver­nichten! Sie ruft ihre Freunde herbei! Tötet sie!«

Mit einem Satz war der Bera bei ihm. Er holte mit dem rechten Arm aus, hatte die Faust geballt und sah den Neffen an, als wollte er ihn allein durch seine Blicke ver­nichten. Im letzten Moment beherrschte er sich.

»Halte den Mund«, fuhr er Flog an. »Noch ein Wort von dir, und ich kann für nichts mehr garantieren.«

Der Neffe starrte Kolphyr ungläubig und entsetzt an, sagte aber nichts mehr.

»Komm mit mir, Koy«, sagte der Bera. »Du auch, Fenrir.«

Sie gingen durch den Stollen zu den bei­den Fremden, die noch bewußtlos auf den Laken lagen, in die die Piraten sie einge­wickelt hatten wie Mumien.

Kolphyrs Gedanken waren bei Leenia und Wommser, dessen Nähe er nach wie vor

spürte. Was hatten ihre Worte zu bedeuten? Was sollte mit ihr geschehen, fragte er sich.

Auch als die beiden Bewußtlosen endlich erwachten, hatte er keine Antwort darauf er­halten. Koy hatte inzwischen einen der Was­serschläuche und krustiges Brot aus einer der Kisten geholt. Er gab zuerst der Frau, dann dem Mann zu trinken. Sie schluckten gierig. Das Wasser rann ihnen aus den Mundwinkeln. Koy stützte sie, so gut es ging. Nach einer Weile waren sie soweit, daß sie wieder aus eigener Kraft sitzen konnten.

»Könnt ihr uns verstehen?« fragte der Trommler.

Die Frau nickte. Sie warf Kolphyr und Fenrir ängstliche Blicke zu. Auch Koy schi­en ihr nicht ganz geheuer zu sein, doch sie begriff, daß sie diesen dreien ihre Freiheit und ihr Leben zu verdanken hatte.

»Ihr habt von den Piraten nichts mehr zu befürchten«, erklärte Koy mit ruhiger Stim­me. »Sie sind fort. Sie haben euch überfal­len?«

Wieder nickte die Frau. Koy versuchte sie einzuordnen. Welchem Volk gehörte sie an? Einem der Stämme aus dem Blutdschungel? Aber ihre Haut war hell, fast völlig weiß. Und das kurzgeschorene Haar schimmerte orangefarben.

»Wir kamen zur Straße der Mächtigen«, sagte jetzt ihr Begleiter. »Dann war plötzlich alles …« Er zuckte die Schultern und mach­te eine Geste mit den Händen, die Koy nichts sagte. »Ich kann mich nicht erinnern, was geschah. Plötzlich waren wir gefesselt. Dann war wieder alles dunkel. Es war, als ob wir immer wieder für wenige Augen­blicke zu uns gekommen wären. Beim letz­ten Mal sahen wir euch.«

»Ich verstehe«, sagte Koy und verstand gar nichts.

»Was war mit uns?« fragte die Frau. »Waren wir … krank?«

»Vielleicht. Es ist vorbei. Ihr dürft nicht mehr daran denken. Wer seid ihr? Woher kommt ihr?«

»Ihr nennt diesen Ort die Senke der verlo­

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renen Seelen. Mit den verlorenen Seelen sind wir gemeint, oder? Ja, wir waren in ei­nem der Glaspaläste gefangen und konnten nach dem Erwachen aus der Senke fliehen. Seither ziehen wir rastlos umher.« Der Mann starrte einen Moment lang finster auf den Boden. »Wir wissen, daß wir nicht in unsere Heimat zurückkehren können. Viel­leicht finden wir hier ein Zuhause … eines Tages …«

»Was geschah auf Pthor, bevor ihr … krank wurdet? Bitte versucht euch zu erin­nern. Es ist wichtig für uns.«

Die beiden sahen sich an. »Bringt uns hier heraus«, bat die Frau. Kolphyr und Koy halfen den beiden, auf

die Beine zu kommen und stützten sie, bis sie im eigentlichen Bunker angelangt waren. Sie konnten nun aus eigener Kraft stehen.

»Wir können euch nicht sagen, was mit uns geschah, aber wir sahen, daß Pthorer, bei denen wir gerastet hatten, plötzlich die Kontrolle über sich verloren. Gleich darauf kam es über uns. Wir verließen sie und müs­sen bis hierhergekommen sein. Allerdings weiß ich nicht, wie.«

Koy nickte. In einem wachen Augenblick hatten sie den Piraten von dem, was sie be­obachtet hatten, erzählt, und diese hatten daraus ihre Schlüsse gezogen und sie lebend begraben, aus Furcht vor Ansteckung. Daß sie sie nicht töteten, zeigte, daß sie sie schon für halbtot gehalten haben mußten.

Koy und Kolphyr erfuhren noch einige Einzelheiten, mit denen sie jedoch nicht viel anfangen konnten. Koy gab ihnen wieder zu trinken und weichte etwas Brot im Wasser auf.

»Kümmere dich um sie«, sagte Kolphyr. »Ich gehe nach draußen.«

Koy begriff, was den Freund trieb. Er sag­te nichts und nickte nur.

Kolphyr fand Leenia ganz oben auf der Kuppe des Erdwalls. Sie saß zusammenge­kauert im Schneidersitz und hatte den Kopf in den Armen verborgen. Als sie Kolphyr kommen hörte, schrak sie zusammen und sah sich nach ihm um, doch ihre Augen wa-

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ren weit in die Ferne gerichtet. Sie schienen durch ihn hindurch zu blicken. Tränen ran­nen über Leenias Wangen.

Kolphyr setzte sich in einigem Abstand neben sie und wartete.

9. Das Urteil der Körperlosen

In den Höheren Welten herrschte Erleich­terung darüber, daß es dem Großteil der Ge­strandeten durch Leenias Hilfe gelungen war, den Weg zurück zu finden, aber es herrschte auch Trauer um die 327 Mitglieder der Gemeinschaft, die in ihren Trägerkör­pern den Tod gefunden hatten, bevor sie aus ihnen befreit werden konnten. Es waren je­ne, deren Träger auf dem Marsch in die Dunkle Region in den Fluten des Xamyhr den Tod gefunden hatten oder von aufge­brachten Pthorern erschlagen worden waren, weil sie in den Körpern von Trugen steck­ten.

Ebenfalls mit Erleichterung wurde regi­striert, daß es keinen zweiten Sog geben würde. Die Körperlosen ergingen sich in Selbstvorwürfen über ihr unbedachtes Vor­gehen, als sich ein großer Teil von ihnen dem ersten Sog so übereilt anvertraut hatte. Leenia hatte dafür gesorgt, daß dies kein zweites Mal geschehen konnte. Sie hatte keine Schuld am Tod der 327 Körperlosen. Sie hatte ihre Aufgabe so gut bewältigt, wie es ihr nur möglich gewesen war. Und den­noch gab es keine Entschuldigung mehr für ihre Weigerung, mit den letzten Befreiten in die Höheren Welten zurückzukehren. Noch weniger war ihr Vorwurf zu akzeptieren, die Gemeinschaft würde an den Realitäten in der Ebene der Körperlichen vorbeisehen und scheitern müssen, wenn es in ihr kein Um­denken gab. Die beiden Körperlosen, die Leenia als letzte aus ihren Trägerbewußtsei­nen befreit hatte, waren mit dieser Botschaft zurückgekehrt. Leenia hatte ihnen ihre Ent­schlossenheit offenbart, solange unter den Körperlichen zu verweilen, bis sie eine Möglichkeit gefunden hatte, Atlan zu finden und ihm im Kampf gegen die Dunklen

35 Das Urteil der Körperlosen

Mächte beizustehen. Sie hatten sie nicht um­stimmen können, auch nicht, als auch sie ihr damit drohten, daß sie für immer aus der Gemeinschaft und somit aus den Höheren Welten verbannt werden würde. Leenia hatte es in Kauf genommen und war auf Pthor zu­rückgeblieben.

Es war den Körperlosen nicht mehr mög­lich, sie gegen ihren Willen zurückzuholen.

Sie hatte die Gestrandeten gerettet, doch als das Instrument versagt, als das sie nach der Vorstellung der Gemeinschaft gegen die Dunklen Mächte eingesetzt werden sollte. Leenia hatte eigene Vorstellungen ent­wickelt – Vorstellungen, die durch die Denkweise der Körperlichen geprägt und für die Gemeinschaft nicht tragbar waren.

Sie stellte ein unkalkulierbares Risiko dar und mußte, allein aus dem Gesichtspunkt der Sicherheit der Höheren Welten heraus, verbannt werden.

Diejenigen Mitglieder der Gemeinschaft, denen die Strafe zu hart erschien, die sie auch jetzt noch in Schutz nehmen wollten, mußten sich den Argumenten der anderen beugen.

Leenia wurde verstoßen. Die Körperlosen kappten die unsichtbaren Verbindungen zwi­schen ihr und den Höheren Welten. Der Weg zurück war ihr versperrt. Ihr Anzug würde keine Energien mehr aus dem überge­ordneten Kontinuum zapfen können.

Leenia gehörte fortan zu den Körperli­chen und würde wie sie zu leben haben. Die­jenigen ihrer Fähigkeiten, die auf den Ener­gien basierten, die sie bisher wie selbstver­ständlich hatte zapfen können, würden in­nerhalb kurzer Zeit erlöschen.

Stille machte sich in den Höheren Welten breit. Die Körperlosen empfanden trotz allen Zorns den Verlust als schmerzlich. Sie wür­den einen neuen Anfang zu machen haben, um Einfluß auf das Geschehen in der Ebene der Körperlichen nehmen zu können.

Leenia spielte in ihren Planungen keine Rolle mehr.

Sie wurde weiterhin beobachtet wie alle Körperlichen, die als Katalysatoren der Ent­

wicklung in ihrer Ebene wirkten – das war alles.

Und jene Mitglieder der Gemeinschaft, die sich immer wieder beharrlich dagegen gesträubt hatten, sie in alle Geheimnisse der Schwarzen Galaxis einzuweihen, sahen sich in ihrer Vorsicht bestätigt.

*

Leenia spürte, wie die Verbindung zu den Höheren Welten abriß, die sie die ganze Zeit über nur unterschwellig gespürt hatte, die aber immer bestanden hatte. Es war, als ob sich ein Teil ihrer Seele von ihr ablöste und in unbekannte Fernen davontrieb.

Das Urteil! Die Strafe! Sie hatte sie erwartet, und doch kam ihr

erst jetzt so recht zu Bewußtsein, was dieser Schritt für sie bedeutete. Plötzlich fröstelte sie. Es war kalt, furchtbar kalt. Die Kälte kam aus ihr heraus und schien sie wie eine unsichtbare Wolke einzuhüllen.

Niemals mehr würde sie in der Gemein­schaft der Körperlosen die Geborgenheit finden, die ihr hier niemand geben konnte. Nie mehr die Erfüllung spüren, die sie ge­funden hatte, als sie nach der ruhelosen Zeit auf Pthor den Ruf gehört hatte und ihm ge­folgt war.

Aber sie hatte nicht anders handeln kön­nen. Ich mußte es tun! redete sie sich immer wieder ein. Hier ist mein Weg, und ich muß ihn gehen!

Doch es schmerzte so sehr. Leenia kauer­te sich noch mehr zusammen, doch sie fand keine Wärme. Sie konnte keinen Zorn, ge­schweige denn Haß auf die Gemeinschaft empfinden. Sie liebte sie und wußte, daß auch die Körperlosen nicht anders handeln konnten. Doch Leenia gehörte hierher. Hier konnte sie wirken – im Sinn der Gemein­schaft. Die Beschneidung ihrer Freiheit wäre auf lange Sicht ihr Tod gewesen. Leenia zit­terte. Sie wußte, daß Kolphyr in der Nähe war und wartete. Sie war ihm unendlich dankbar dafür, daß er ihr die Zeit ließ, wie­der zu sich zu finden. Daß er ihr das Gefühl

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gab, das sie gerade jetzt nötiger brauchte als alles andere – das Gefühl, nicht ganz allein zu sein. Noch einmal brach es aus ihr her­aus. Noch einmal bäumte sie sich gegen ihr Schicksal auf.

Könnt ihr mich denn nicht begreifen! schrie es lautlos in ihr. Gibt es keinen ande­ren Weg?

Sie wußte, daß sie keine Antwort mehr er­halten würde. Hatte sie bereits begonnen, sich zu verändern?

Leenia esperte, ohne den Kopf zu heben. Sie konnte Kolphyrs Gedanken noch emp­fangen. Sie las Sorge aus ihnen heraus, auf­richtige Sorge nicht nur um Wommser, ge­paart mit Mitleid und mühsam unterdrückter Neugier.

Wann würde sie zum erstenmal auf Mau­ern stoßen, wenn sie zu espern versuchte? Wann würde sie beim Versuch, zu springen, feststellen müssen, daß sie sich keinen Zen­timeter weit mehr fortbewegen konnte?

Sie unterdrückte den Versuch, es jetzt gleich zu versuchen. Weshalb sollte sie die Energie, die jetzt noch in ihr war und für die es keinen Ersatz mehr geben würde, unnötig verbrauchen?

Leenia zwang sich dazu, den Kopf zu he­ben. Sie sah Kolphyr und brachte ein ver­krampftes Lächeln zustande. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht.

Kolphyr stand auf und kam zu ihr. Sanft legte er seine mächtigen Hände auf ihre Schultern.

»Nun bin auch ich heimatlos«, sagte sie. »Wie du, Kolphyr, wie so viele Wesen hier auf Pthor.«

»Du bist nicht heimatlos, solange du Freunde hast«, sagte der Bera leise. War die Grimasse, die er schnitt, als Aufmunterung gedacht?

»Und ich habe Freunde?« »Ja«, sagte er. »Wenn du unsere Freund­

schaft willst.« Von ihren Gefühlen plötzlich übermannt,

warf sie sich an die Brust des Riesen und schluchzte hemmungslos. Kolphyr strich ihr

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sanft über den Rücken und redete beruhi­gend auf sie ein. Sein eigenes Schicksal fiel ihm ein. Er war in gewisser Weise immer darauf vorbereitet gewesen, allein zu sein und allein zu bleiben. Und sie?

Kolphyr war froh, daß Koy und Fenrir sich jetzt nicht zeigten. Er wartete geduldig, bis Leenia sich beruhigt hatte. Sie löste sich von ihm und richtete sich auf, hob die Schultern, atmete tief und fest durch, als wollte sie sagen: »Es ist vollbracht!«

Dann begann sie Kolphyr von sich zu er­zählen. Sie berichtete davon, wie sie sich mit Wommser vereint hatte und was sie mit Kolphyrs ehemaligem Symbionten erlebt hatte. Die Worte sprudelten über ihre Lip­pen, als wollte sie sich einen viel zu lange auf ihr lastenden Ballast von der Seele re­den. Der Bera unterbrach sie nicht ein einzi­ges Mal. Fasziniert hörte er die Geschichte Wommsers – bis zu dessen Selbstaufgabe, die Tod und doch Beginn eines neuen Le­bens in Leenia gewesen war. In gewisser Weise war es Wommser, der zu ihm sprach. Kolphyr erfuhr schließlich alles über die ge­strandeten Körperlosen und gewann ein ab­gerundetes Bild von den derzeitigen Ver­hältnissen auf Pthor.

Es dämmerte bereits, als Leenia zu spre­chen aufhörte. Kolphyr nahm ihre Hand.

»Komm«, sagte er. Sie folgte ihm willig in den Bunker zu­

rück, wo Koy und Fenrir warteten. Chirmor Flog gab unverständliche Laute von sich, als er Leenia neben Kolphyr sah. Ein Blick des Beras genügte, um ihn zum Schweigen zu bringen.

»Wir übernachten hier«, sagte Kolphyr. »Morgen brechen wir auf. Wir gehen zur FESTUNG.« In knappen Sätzen berichtete er Koy, was er von Leenia erfahren hatte. »Ich glaube, wir haben eine neue Verbünde­te gefunden.«

Koy sah Leenia fragend an. Als sie schwach lächelte, streckte er ihr die Hand entgegen.

Leenia ergriff sie. Fenrir kam heran und besiegelte den Bund auf seine Weise, indem

37 Das Urteil der Körperlosen

er die beiden Hände beleckte.

10. Die Ebene von Kalmlech – Wiedersehen auf Orxeyanisch

Synk wurde kreidebleich im Gesicht. Noch bevor der Tore zum Stehen kam, sprang er heraus. Er rollte ein paarmal um die eigene Achse und spuckte Unkraut aus, als er auf die Beine kam. Diglfonk war bei ihm. In etwa fünfzig Meter Entfernung stand der Tore. Zwei und Drei verließen ihn erst jetzt und kamen schnell herangeschwebt, um sich schützend vor Synk zu postieren.

»Geht mir aus der Sicht!« schrie der Or­xeyaner. Er riß das Schwert aus der Scheide und fuchtelte damit wild in der Luft herum.

Die Roboter gehorchten. Sofort bereute Synk, daß er ihnen den Befehl gegeben hat­te. Das Ungeheuer war noch etwa zweihun­dert Meter entfernt und noch größer, als es auf den ersten Blick gewirkt hatte. Mit je-dem Sprung der mächtigen Hinterbeine legte es zwanzig Meter zurück. Synk blickte in einen weit aufgerissenen Rachen mit mehre­ren Reihen langer, spitzer Zähne.

Hundert Meter, fünfzig … Der Anblick lähmte den Orxeyaner für

Sekunden. Wieder erscholl das furchtbare Brüllen und drohte Synks Trommelfelle zum Platzen zu bringen. Der Boden unter seinen Füßen bebte.

Dreißig Meter. Schon glaubte der Held der Schlacht um Pthor, den stinkenden hei­ßen Atem des Monstrums zu riechen. Und es sprang wieder – genau auf ihn zu.

Synk schrie gellend auf und erwachte aus seiner Starre. Er rannte zur Seite. Dort, wo er gerade noch gestanden hatte, landete der tonnenschwere Körper des Drachen mit der Wucht eines vom Himmel fallenden Felsens. Wieder bebte die Erde.

Der Kopf des Monstrums fuhr herum. Gelbe Augen mit Schlitzpupillen suchten ihr Opfer und fanden es. Synk rannte weiter, schlug Haken und suchte verzweifelt nach einer Deckung.

Der nächste Sprung. Der zehn Meter lan­

ge Schwanz des Ungeheuers peitschte über den Boden und streifte den Orxeyaner mit der Spitze. Synk wurde zu Boden geschleu­dert. Er drehte sich auf den Rücken, das Schwert noch in der Hand, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen.

Jetzt war das Monstrum heran, der riesige Rachen über ihm. Der Speichel des Unge­heuers tropfte auf Synks Kleidung. Synk schrie wie am Spieß und hieb mit dem Schwert nach dem Schädel des Monstrums. Eine Lippe wurde aufgerissen. Gelbes Blut spritzte daraus hervor. Das Ungeheuer brüll­te und stieg kerzengerade in die Höhe.

Synk sprang auf, rannte so schnell er konnte, doch schon bebte die Erde wieder, und er spürte den heißen Atem des Drachen im Nacken. Er drehte sich nicht mehr um, sondern rannte weiter.

Wieso war das Monstrum eigentlich nur hinter ihm her? Warum taten die Roboter nichts, um ihm zu helfen? Warum versuch­ten sie nicht wenigstens, es abzulenken?

»Diglfonk!« schrie Synk im Laufen. »Helft mir doch! Diglfoooonk!«

Gerade so, als ob er es gerufen hätte, brüllte das Ungeheuer wieder. Es sprang, kam dicht hinter dem Orxeyaner auf, sprang erneut. Synk stolperte und sah einen Augen­blick lang einen riesigen Schatten über sich hinweg gleiten. Dann war es vor ihm.

Der Orxeyaner sah sich gehetzt um. Digl­fonk und die anderen zwölf Roboter schwebten heran, aber viel zu langsam.

»Das tut ihr absichtlich!« brüllte Synk. Unbändiger Zorn erfaßte ihn. Er begann

zu toben. Der Schwanz des Monstrums peitschte wieder über den Boden. Synk sah ihn auf sich zu kommen und warf sich nach hinten. Er fuhr über ihn hinweg. Synk hatte aufgehört zu denken. Nur blinde Wut be­stimmte jetzt sein Handeln. Er sprang auf, nahm den Griff des Schwertes in beide Hän­de und rannte damit gegen den Drachen an, gerade als dieser sich wieder mit aufgerisse­nem Rachen über ihn beugen wollte. Sator Synk kannte in diesem Moment keine Angst mehr. Wenn er hier schon untergehen sollte,

38

von seinen Robotern schmählich im Stich gelassen, dann mit fliegenden Fahnen. Er unterlief die mächtigen Kiefer des Ungeheu­ers, sah etwas in seinem Hals pulsieren und stieß das Schwert bis zum Heft hinein. Die Wucht seines Anlaufs war so stark, daß sie ihn noch ein Stück vorwärts riß und gegen den Halsansatz des Drachen prallen ließ. Ein Brüllen wie aus tausend Trompeten erfüllte die Luft, als das riesige Tier sich auf die Hinterbeine aufrichtete. Synk konnte nichts sehen. Das Drachenblut spritzte in einem armdicken Strahl aus der durchbohrten Hals­schlagader und besudelte ihn von oben bis unten. Plötzlich bekam er einen so heftigen Stoß in die Seite, daß er mehrere Meter weit taumelte, bevor er sich von etwas gepackt fühlte und den Boden unter den Füßen ver­lor. Noch einmal hörte er das furchtbare Brüllen des tödlich verwundeten Mon­strums. Noch einmal bebte die Erde, und dann war es plötzlich still. Synks strampeln-de Füße fanden wieder Boden. Wer oder was ihn gepackt hatte, ließ ihn los. Synk stürzte aufs Gesicht und blieb liegen.

Lebe ich noch? dachte er. Warum höre ich nichts mehr?

Aus seinen Haaren und aus dem Bart tropfte Drachenblut. Ein Grashalm stach in seiner Nase und juckte. Synk nieste. Und als ob das ein Signal gewesen wäre, brach plötzlich ohrenbetäubendes Gebrüll los, das dem des Ungeheuers kaum nachstand. Synk schrak zusammen. Er lebte also wirklich noch! Und das waren die Stimmen von … Mit einem Ruck richtete er sich auf. Er wischte sich mit einem Ärmel über die Au­gen, bis er wieder etwas sehen konnte, zu­erst nur verschwommen, dann deutlicher. Zehn Orxeyaner kamen johlend und mit aus­gestreckten Armen auf ihn zu gerannt, an ih­rer Spitze ein Alptraum von einer Frau. Der Anblick brachte Sator Synk endgültig wie­der zur Besinnung. Er sprang auf. Der Mo­ment, den ihm die Orxeyaner Zeit ließen, um sich zu betrachten, genügte, um festzu­stellen, daß er aussah, als hätte ihn jemand bis zum Kopf in einen Trog mit gelber Farbe

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getaucht. Seine Kleidung, seine Hände, die Haare – alles war schmutziggelb. Und er stank erbärmlich.

Das störte Gandel Gars wenig. Sie war als erste heran und schlang ihre dicken Arme um ihn. Synk bekam keine Luft mehr. Er fühlte sich wieder in die Luft gehoben und strampelte auf allen vieren. Er schrie um Hilfe. Jetzt drängten sich alle zehn Orxeya­ner um ihn. Er kannte sie alle. Aber sie brachten ihn in ihrer Begeisterung um! Was hatten sie überhaupt hier zu suchen?

»Hört auf!« schrie er, als er für einen Au­genblick wieder Luft bekam. »Laßt mich los! Diglfonk! Befreit mich!«

Diesmal gehorchten die Roboter. Tentakel legten sich von hinten um die Orxeyaner und rissen sie zurück. Um Gandel von Synk zu lösen, bedurfte es der vereinten Anstren­gungen zweier Roboter. Doch endlich war Synk frei. Er setzte sich hin und atmete hef­tig ein und aus. Die zehn Orxeyaner schlu­gen nach den Robotern, zeterten und fluch­ten.

»Haltet sie fest, Diglfonk!« rief Synk. »Haltet sie mir vom Leib, bis ich euch be­fehle, sie loszulassen!«

»Aber Sator!« rief Braker Hoyt. »Erkennst du uns nicht? Wir sind es, deine Freunde!«

»Und wir werden dich im Triumphzug nach Orxeya tragen!« schrie Gandel Gars. »Sator, der Drachentöter!«

»Haltet den Mund!« brüllte Synk. Drachentöter? Jetzt erst kam er dazu, sich umzudrehen

und zu sehen, was aus dem Ungeheuer ge­worden war. Und da lag es vor ihm, die Hin­terbeine gespreizt, die mächtigen und tödli­chen Kiefer auf dem Boden zwischen den Gräsern. Der Boden war aufgewühlt vom Stampfen der gewaltigen Beine im Todes­kampf.

Synk spürte einen Kloß im Hals. »Diglfonk!« rief er krächzend. Der Roboter schwebte heran. »Verfüge über mich, Herr.« »Diglfonk«, sagte Synk und zeigte vor­

39 Das Urteil der Körperlosen

sichtig auf das Ungeheuer. »War das wirk­lich ich? Ist es wirklich tot?«

»Du hast es getötet, Sator Synk.« Synk schluckte ein paarmal. Er sah den

Griff des Schwertes aus dem Hals des Un­tiers ragen. Seine Waffe. Seine Hand war es gewesen, die den Drachen gefällt hatte.

»Diglfonk?« »Ja, Herr?« »Ich bin ein … Held.« »Du warst immer ein großer Held, Sator

Synk.« Diese kleine Übertreibung genügte, um

Synk seine Selbstbeweihräucherung been­den und auf dem Stiefelabsatz herumfahren zu lassen.

»Und ihr habt mich im Stich gelassen! Ich befahl euch, mir zu helfen. Ihr wolltet mich sterben lassen. Ist es nicht so?«

»Es bestand keine Notwendigkeit zum Eingreifen, Sator Synk. Wir wußten, daß du das Ungeheuer töten konntest. Erst als es dich im Todeskampf mit seinem Gewicht zu erschlagen drohte, griffen wir ein.«

»Hole mir mein Schwert!« Diglfonk gehorchte. Synk sah ihm zu, wie

er die Waffe aus dem Hals des toten Mon­strums zog. Sagte er die Wahrheit? Er brauchte Zeit, um über alles nachzudenken. Viel zuviel war auf einmal auf ihn einge­strömt. Woher kam das Ungeheuer, wo doch die Horden der Nacht nicht mehr existieren sollten? Was wollten die Orxeyaner von ihm? Natürlich hätte er sich unter anderen Umständen über ihr Erscheinen gefreut, aber warum mußte ausgerechnet Gandel Gars da­bei sein? Ausgerechnet Gandel! Synk sah sie vor sich, wie sie ihn schon einmal in ihre Pranken genommen hatte, in jener Nacht, als Orxeya den Sieg über die Dalazaarenhorden feierten, deren Angriff auf die Stadt nur mit viel Mühe abgewehrt werden konnte.

Er war damals sehr betrunken gewesen … »Deine Waffe, Herr.« Wortlos nahm Synk das Schwert entge­

gen. Die Klinge war gelb von Drachenblut, ebenso wie er. Synk sah die Yassels in eini­ger Entfernung stehen. Sie kamen langsam

näher, nachdem sie beim Anblick des Unge­heuers wohl alle das Weite gesucht hatten. Auf ihren Rücken befanden sich Wasser­schläuche.

»Vier!« rief Synk und deutete mit der Spitze des Schwertes auf den Roboter, der Braker Hoyt mit seinen Tentakeln förmlich eingewickelt hatte. »Laß ihn los!«

Hoyt kam frei und rieb sich die schmer­zenden Gelenke. Er fuhr herum und versetz­te Vier einen Tritt. Dann erst kam er kopf­schüttelnd auf Sator Synk zu.

»Sator, was ist in dich gefahren? Wieso hetzt du deine Maschinen auf uns, wenn wir dich doch nur hochleben lassen wollen. Du hast einen Drachen getötet! Ganz Orxeya wird ein Fest veranstalten, das du in deinem ganzen Leben nicht …«

»Sei still, Braker!« befahl Synk und hob drohend das Schwert, als Hoyt ihm zu nahe kommen wollte. »Was redest du von Ma­schinen? Ich kenne keine Maschinen. Wirf nicht mit Fremdwörtern um dich und hole einen der Wasserschläuche!«

»Aber Sator, du …« »Einen Wasserschlauch, Braker!« Synk schnitt eine solche Grimasse, daß

Hoyt heftig zusammenfuhr. Er begriff nicht, was in Synk gefahren war, aber er nickte schließlich.

»Wie du meinst, Sator …« Kurz darauf war er mit dem Schlauch zu­

rück. Diglfonk nahm ihn ihm auf Synks Be­fehl hin ab und schwebte damit in die Höhe, bis er sich genau über seinem Herrn befand. Dann zog er die Stöpsel heraus. Synk wusch sich das Blut aus den Haaren und dem Bart, doch es mußten noch zwei weitere Schläu­che herhalten, bevor er einigermaßen sauber war.

Er atmete auf. »Jetzt könnt ihr sie loslassen, Eins bis

Zwölf«, wies er seine Roboter an. Die Orxeyaner fluchten und kamen vor­

sichtig näher. Sator Synk erwartete sie wie ein Kriegerdenkmal, beide Hände auf dem Knauf des Schwertgriffes, ein Fuß auf dem Hals des toten Monstrums.

40

*

Es war dunkel geworden. Die Orxeyaner saßen um ein Feuer herum, das die Roboter in einer Bodenmulde angelegt hatten. Sie selbst hielten sich auf Synks Geheiß etwas abseits und brachten nur dann und wann neues Holz und Reisig.

»Ihr seid Dummköpfe!« sagte der Drachentöter.

Er schüttelte den Kopf und blickte zuerst Braker, dann die anderen Orxeyaner der Reihe nach an. Nur Gandel sparte er aus. Ihr zweiter Versuch, ihn in ihre Arme zu neh­men, hatte ihr ein paar blutende Kratzer ein­gebracht. Seitdem ignorierte sie ihn belei­digt.

»Narren!« fuhr Synk in seiner Beschimp­fung fort. »Wieso habt ihr die Eimerköpfe laufen lassen, als ihr sie schon so gut wie ge­fangen hattet? Jetzt können wir wieder zuse­hen, daß wir sie irgendwo finden.«

»Aber Sator«, sagte Hoyt. »Was küm­mern uns ein paar Eimerköpfe? Es sind Ver­sprengte, die von ihrer Flotte zurückgelassen wurden. Sie sind völlig ungefährlich. Und als wir dich mit dem Ungeheuer kämpfen sahen …«

»Da hattet ihr nichts Besseres zu tun, als sie ziehen zu lassen. Glaubtet ihr, ich hätte eure Hilfe gebraucht?«

»Natürlich nicht, Sator! Wir werden allen in Orxeya von deinem heldenhaften Kampf berichten, wenn wir zurück sind, und alle zum Schweigen bringen, die noch immer an dir zweifeln. Es wird ein Fest werden, das ohne Beispiel ist!«

»Daraus wird nichts, Braker. Ich habe nicht die Absicht, mit euch nach Orxeya zu­rückzugehen.« Hoyt ließ vor Erstaunen das gebratene Stück Drachenfleisch fallen, das er sich gerade in den Mund schieben wollte.

»Du machst Scherze, Sator. Wieso willst du nicht zurück? Hast du etwa vor, mit dei­nen Blechkerlen weiter herumzuziehen und Jagd auf harmlose Eimerköpfe zu machen?« Hoyt nahm dem neben ihm Sitzenden einen

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Schweren Krug aus den Händen und reichte ihn Synk. »Hier, trink erst mal, Sator.«

Synk wollte ablehnen, doch dann sah er ein, daß er sich wie ein Ekel benahm. Hoyt und die anderen neun hatten einen langen Weg auf sich genommen, nur um ihn zu fin­den. Auch wenn er nicht mit ihnen gehen konnte, mußte er ihnen dankbar sein. Wie groß mußte sein Ruhm inzwischen gewor­den sein, wenn sie die Strapazen der Suche auf sich genommen hatten.

Außerdem war er der einzige, der noch nüchtern war. Ein Schluck konnte nicht schaden.

Aus dem einen Schluck wurden mehrere, und als Synk den Krug an Hoyt zurückgab, war dieser leer. Synk wischte sich den Schaum aus dem Bart und leckte sich genie­ßerisch die Lippen. Echtes orxeyanisches Bier, noch dazu von der stärksten Sorte, war schon etwas anderes als das Gebräu, das ihm in Wolterhaven vorgesetzt worden war.

Die Welt sah schon ganz anders aus. Wa­rum sträubte er sich eigentlich dagegen, ge­feiert zu werden? Er sah dorthin, wo der Drache lag. Ganz egal, wie das Ungeheuer die Flutwelle und die anderen Katastrophen überlebt hatte, die das Ende der Horden der Nacht herbeigeführt hatten – es war ein Glücksfall für ihn gewesen, daß es ausge­rechnet ihm über den Weg gelaufen war.

Die Eimerköpfe liefen ihm nicht davon. Er hatte Zeit, sie zu jagen.

»Siehst du, Sator«, sagte Hoyt und stieß Synk verschwörerisch mit dem Ellbogen in die Seite. »So gefällst du mir schon besser. Komm, jetzt mußt du uns von deinen Aben­teuern erzählen.«

Hoyt schnitt ein weiteres Stück vom Bra­ten ab und gab es Synk. Der nahm es und aß. Drachenfleisch schmeckte besser, als er ge­dacht hatte. Vor allem das Fleisch eines selbsterlegten Drachen.

Dann kam der nächste Krug und machte die Runde. Wieder gab Synk ihn geleert zu­rück. Und jetzt war er in der richtigen Stim­mung, um von seinen Großtaten zu berich­ten. Er begann zu reden, und zehn Augen­

41 Das Urteil der Körperlosen

paare hafteten auf seinen Lippen, als er seine Erlebnisse seit seinem Aufbruch aus Orxeya gestenreich zum besten gab. Doch als er auf seinen Aufenthalt in Wolterhaven und den Flug mit den Zugors zu sprechen kam, griff ihm Hoyt in den Arm.

»Augenblick, Sator. Du redest von … Zu­gors?«

»Natürlich! Wovon sonst? Ich sah also, wie Gyk … Gyk …«, er holte tief Luft, »wie Eins sich am Hals seines Tieres zu schaffen machte und rief ihm zu, er solle …«

»Sator!« kam es von Gandel Gars. »Zugors sind keine Tiere! Es sind Maschi­nen! Maschinen wie deine Roboter! Ein Haufen Blech, sonst nichts!«

Synk blieb der Bissen im Hals stecken. Unter dem Wort »Maschinen« konnte er sich nichts vorstellen. Es existierte für ihn nicht. Wohl aber das Wort »Blech«.

Er würgte und hustete. Hoyt klopfte ihm auf die Schulter, bis er das Fleisch ausspuck­te.

»Blech, sagst du?« Synk sah Gandel an wie ein Wesen aus einer anderen Welt. »Meine Roboter … Blech? Bist du noch zu retten? Es sind Wesen genau wie ihr, zwar etwas seltsam gewachsen, aber deshalb noch lange nicht minderwertiger als ihr, Gandel. Ich verbiete dir, sie zu beleidigen!«

»Er ist verrückt«, sagte einer der anderen. »Total verstört. Sator, wie lange hast du nichts mehr getrunken?«

»Was willst du damit sagen?« fuhr Synk den Mann an, einen weitläufigen Verwand­ten von ihm. Seine Augen waren zu schma­len Schlitzen geworden.

»Er meinte nur«, versuchte Hoyt zu be­schwichtigen, »daß du ganz schön betrunken sein mußt, wenn du die Blechkerle und so­gar Zugors schon als Lebewesen ansiehst. Aber ich weiß ja, daß du uns auf den Arm nehmen willst.« Hoyt lachte dröhnend und schlug Synk wieder auf die Schulter. »Fast wäre es dir gelungen, alter Junge! Gandel ist schon ganz weiß im Gesicht geworden.«

Synk sprang auf und schmetterte den Krug, den Hoyt ihm gereicht hatte, ins Feu­

er. »Ich lasse mich von euch nicht für dumm verkaufen! Wer noch einmal behauptet, ich sei betrunken und meine Roboter seien nur Blech, der kann sich seine Zähne aus dem Feuer holen!«

Synk zitterte. Seine Augäpfel rollten wild. Braker Hoyt machte den anderen ein Zei­chen, daß sie schweigen sollten, und ver­suchte noch einmal, den Drachentöter zur Vernunft zu bringen.

»Hör mir zu, Sator. Keiner von uns käme je auf den Gedanken, dich für dumm zu ver­kaufen. Meinetwegen sind die Roboter eben nicht aus Blech. Wenn ich sie mir so ansehe, sind sie wirklich gut gewachsene Pthorer. Vergessen wir's. Feiern wir deinen Sieg über den Drachen. Und morgen ziehen wir …«

»Nein!« Synk zitterte jetzt immer stärker. Hoyt erschrak und zog sich unwillkürlich et­was von ihm zurück. Irgend etwas ging in Sator vor, aber was?

»Nein!« kreischte Synk wieder. »Wir ver­gessen es nicht. Ich werde euch beweisen, daß sie keine Maschinen sind …«

Er verstummte. Sekundenlang sah es so aus, als wäre er zu Stein erstarrt. Er sah Hoyt an, dann Gandel, dann drehte er den Kopf.

Diglfonk und Eins bis Zwölf befanden sich etwa zwanzig Meter von der Gruppe entfernt. Ihre Körper schimmerten im Schein des Feuers dunkelrot. Es sah so aus, als sch­liefen sie.

»Habe ich eben … ›Maschinen‹ gesagt, Braker?« fragte Synk ganz leise, als fürchte er sich von seinen eigenen Worten.

»Das hast du gesagt, Sator.« Maschinen! Irgend etwas rebellierte in Synks Bewußt­

sein. Er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, aber nicht, weil er zuviel getrunken hätte. Er wurde plötzlich von heftigem Schwindel gepackt und mußte sich setzen.

»Diglfonk!« krächzte er. »Komm her!« Hoyt rückte ein weiteres Stück zur Seite,

als er sah, wie Synk sein Schwert zog. Gan­del Gars schrie überrascht auf. Der Braten war vergessen. Aller Augen waren nur auf

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Synk und den Roboter gerichtet, der auf ihn zu schwebte und nun zum Stillstand kam.

»Verfüge über mich, Herr!« »Diglfonk!« Synks Stimme war kaum

mehr als ein Flüstern. »Ich muß jetzt etwas tun, das du vielleicht nicht gleich verstehen wirst.«

Kaum hatte er ausgesprochen, da sprang er auch schon auf und schlug mit der flachen Seite der Klinge gegen Diglfonks Kugelkör­per. Es gab einen harten, metallischen Laut.

Diglfonk hielt still. Synk kratzte mit der Schwertspitze über die Kugel.

Kein Tropfen Blut sickerte daraus hervor. Es gab keine Wunde.

Synk atmete tief ein und legte das Schwert zur Seite. Er starrte in die Flam­men.

»Wirst du mir eine Frage beantworten, Diglfonk – ganz ehrlich?«

»Verfüge über mich, Herr!« Das war es. Dieses ewige »Verfüge über

mich, Herr!«. Die ganze Zeit über, die seit der Notlandung vergangen war, hatte Synk sich schon gefragt, woran ihn diese Phrase erinnerte. Es war zum Greifen nahe, aber ei­ne dunkle Wand schien sich vor Synks Den­ken zu schieben, wenn er zu ergründen ver­suchte, was es war.

»Diglfonk, seid ihr Maschinen?« Der Roboter gab keine Antwort. Ein paar

Lämpchen blinkten an ihm auf. »Seid ihr Maschinen, Diglfonk?« Synk

war aufgesprungen und brüllte jetzt. »Antworte! Seid ihr …?«

Wieder spürte Synk den Schwindel. Alles begann sich nun um ihn herum zu drehen. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte. Dies war der Augenblick, dem Diglfonk mit Ban­gen entgegengesehen hatte. Die Erinnerung brach in Sator Synk durch, aber noch wirkte die Hypnose dem entgegen. Der Konflikt in Synks Bewußtsein konnte den Schutzbefoh­lenen umbringen, wenn Diglfonk nun nicht handelte.

Hebe die Hypnose auf! kam lautlos der Befehl aus Wolterhaven.

Diglfonk zögerte nun nicht mehr. Er fuhr

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seine Tentakel aus, packte Synk und schwebte mit ihm zu den anderen Robotern hinüber, ehe die verblüfften Orxeyaner be­griffen, was geschah. Dann erscholl ihr Ge­brüll, als sie einer nach dem anderen auf die Beine kamen und Diglfonk nachsetzten.

»Auf sie!« schrie Gandel Gars mit erho­benen Fäusten. Sie hob Synks Schwert auf und fuchtelte damit wild in der Luft herum. »Sie wollen Sator umbringen! Haut sie in Stücke, Orxeyaner!«

*

Diglfonk allein konnte den Eingriff nicht vornehmen. Er brauchte Gykogsbeedens As­sistenz, so wie in Wolterhaven, als Synks Gehirn so bearbeitet worden war, daß es für ihn keine Roboter und keine Maschinen mehr gab. Nur so hatten die Robotbürger verhindern können, daß Sator Synk in sei­nem Wahn starb, alle Roboter hassen zu müssen und sich gleichzeitig tief in ihrer Schuld zu befinden. Jetzt war die umgekehr­te Situation gegeben. Synk würde sterben, wenn man ihm seine völlige Erinnerung und damit den Roboterhaß nicht zurückgab.

Haltet mir und Gykogsbeeden die Orxeya­ner fern! befahl Diglfonk Zwei bis Zwölf. Aber achtet darauf, daß keiner von ihnen verletzt wird!

Eine Anweisung, die nicht leicht in die Tat umzusetzen war. Zwei bis Fünf bildeten die Abschirmung für Diglfonk und Gykogs­beeden, die nötig war, um sie in Ruhe arbei­ten zu lassen, während Sechs bis Zwölf sich den anrennenden Orxeyanern entgegenstell­ten. Gandel Gars' Schwert traf einen von ih­nen so empfindlich, daß er gleich außer Ge­fecht gesetzt wurde. Fäuste prasselten auf die Robotdiener nieder, die weisungsgemäß nur ihre Tentakel und, sofern sie dazu ka­men, ihre Injektionsdüsen einsetzten, um die Pthorer zu lähmen.

Während um sie herum der Kampf tobte, machten sich Diglfonk und Gykogsbeeden an die Arbeit. Synk war mittlerweile be­täubt. Diglfonk fuhr einen Tentakel mit

43 Das Urteil der Körperlosen

mehreren Saugnäpfen aus, die sich unter Synks Haar schoben und am Schädel fest­setzten. Elektrische Impulse wurden durch sie geleitet und erreichten das Gehirn des Patienten. Gykogsbeeden hatte sich eben­falls an Synk angeschlossen und registrierte die Reaktionen des Gehirns auf die Impulse. Auf einem Bildschirm auf seiner Brust wur­de sichtbar gemacht, was der Orxeyaner dachte. Noch waren Scharen von Robotern darauf zu sehen, denen das Blut aus von Synk geschlagenen Wunden floß. Sie waren organisch. Erst allmählich begannen sie sich zu verändern. Ein Zugor stürzte in Synks Phantasie ab und blutete. Der nächste zerfiel bereits in metallene Einzelteile.

Diglfonk mußte die Behandlung unterbre­chen, als von irgendwoher ein Stiefel geflo­gen kam und die rotierende Scheibe auf sei­nem Kugelkörper traf. Sofort zeigten sich wirre Bilder auf Gykogsbeedens Monitor, und Synks Herzschlag wurde schwächer. Es dauerte fast eine Minute, bis sein Puls wie­der normal war und eine weitere Minute, bis die Hypnose vollends rückgängig gemacht worden war.

Diglfonk und Gykogsbeeden lösten sich von ihrem Patienten. Wenn Synk erwachte, würde er wieder der Alte sein, und das be­deutete für die dreizehn Roboter nichts Gu­tes.

Er darf die Orxeyaner nicht mehr sehen, wenn er zu sich kommt! kam es aus Wolter­haven. Schafft sie weit genug fort!

Diglfonk verstand zwar nicht sofort, wozu dies gut sein sollte, aber er gehorchte. An­scheinend sahen die Robotbürger die Or­xeyaner als Störfaktoren an, die Synk nega­tiv beeinflußten und die Pläne, die man in Wolterhaven mit ihm hatte, gefährdeten.

Diglfonk gab den Befehl, die noch nicht betäubten Orxeyaner zu lähmen und sie dann auf ihre Reittiere zu binden. Sie wehr­ten sich verbissen, allen voran Gandel Gars, und der Morgen graute bereits, als sie als letzte an ihr Yassel gefesselt war.

Es dauerte eine Weile, bis die Roboter herausgefunden hatten, wie sie die Tiere in

Bewegung setzen konnten. Schließlich wa­ren die zehn Yassels mit ihren noch bewußt­losen Reitern jedoch auf dem Weg in die Richtung, in der Orxeya lag, und sie würden so lange weitertraben, bis die Orxeyaner zu sich kamen. Bis dahin waren sie weit genug fort und Synk längst erwacht. Die Robotdie­ner nutzten die Ruhe vor dem Sturm dazu, gegenseitig die während des Kampfes ent­standenen kleinen Schäden zu beheben. Dann warteten sie.

*

Sator Synk schlug die Augen auf. Er lag auf dem Rücken. Langsam drehte er den Kopf. Er sah zuerst die Feuerstelle, an der noch einige Holzscheite glommen, die lee­ren Krüge und das, was vom Drachenbraten übriggeblieben war. Dann richtete er sich auf. Er saß für Sekunden wie schlaftrunken inmitten der Roboter. Dann fuhr er sich mit der Hand über die Stirn. Seine Finger fanden die Narbe, die von der Operation in Wolter­haven zurückgeblieben war, und betasteten sie vorsichtig. Er blickte an sich herab und schien darüber erstaunt zu sein, daß er ange­kleidet und unverletzt war. Danach musterte er die dreizehn Roboter der Reihe nach.

Sie rühren sich nicht, dachte er. Sie haben allen Grund dazu.

Es war, als ob ein Nebel vor seiner Erin­nerung läge. Die Notlandung mit den Zu­gors, die Jagd auf die Trugen, der Drache, das Auftauchen der Orxeyaner …

»Wo sind sie, Diglfonk?« fragte er, immer noch abwesend wirkend.

Diglfonk war überrascht. Er hatte einen Tobsuchtsanfall erwartet. Inwieweit hatte die Aufhebung der Hypnose seine Erinne­rungen beeinträchtigt? Wußte er, was vorge­fallen war? Erinnerte er sich an alles, nur daß jetzt eben Zugors wieder Zugors und Roboter wieder Roboter gewesen waren?

»Wir haben sie nach Hause geschickt«, erklärte Diglfonk. »Sie suchten Streit mit dir, und wir konnten nicht zulassen, daß dir etwas geschah, Sator Synk.«

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Synk nickte bedächtig. Diglfonk kannte diese Ruhe, die er jetzt wieder ausstrahlte, nur zu gut.

»Wo ist mein Schwert?« Diglfonk reichte es ihm. Er hatte es Gan­

del Gars abgenommen, bevor Vier sie auf ihr Yassel gebunden hatte.

Wann kam der Wutausbruch? Sator Synk stand auf. Er sah das von ihm

getötete Ungeheuer und nickte grimmig, als er sich das Schwert in die Scheide steckte.

»Ich hatte einen Traum«, sagte er dann. »Ich träumte, ihr wäret keine Blechkerle, sondern lebende Wesen. Sogar Zugors wa­ren plötzlich aus Fleisch und Blut.« Synk sah Diglfonk durchdringend an, als lauerte er auf etwas. Diglfonk schwieg. »Ein seltsa­mer Traum, nicht wahr?« Dann platzte es aus ihm heraus: »Aber es war kein Traum, daß ihr mich durch euer stümperhaftes Ver­halten daran hindertet, einen Haufen Eimer­köpfe gefangenzunehmen! Wo sind sie jetzt, Diglfonk? Warum habt ihr sie nicht verfolgt, als ich mit dem Ungeheuer kämpfte?«

Diglfonks Überraschung wurde immer größer. Kein Wort davon, daß die Roboter ihm nur zögernd zu Hilfe gekommen waren, kein Wort davon, daß sie eigenmächtig ge­handelt hatten. Synk verriet durch nichts, ob er überhaupt bemerkt hatte, daß Diglfonk und Gykogsbeeden sich hier und vorher in Wolterhaven an seinem Gehirn zu schaffen gemacht hatten. Die Nacht am Lagerfeuer, selbst den Kampf mit dem Ungeheuer über­ging er, als hätte es sich nur um unbedeuten­de Ablenkungen gehandelt.

»Wir mußten uns bereit halten, um einzu­greifen, solltest du dem Monstrum unterlie­gen, Sator Synk«, antwortete Diglfonk. Vor­sichtshalber fügte er gleich hinzu: »Jetzt se­hen wir ein, wie unlogisch unsere Sorge war.«

Synk bedachte seinen speziellen Freund mit einem undefinierbaren Blick.

»Wir jagen sie weiter«, sagte er. »Untersucht die Tores!«

Die Fahrzeuge waren nicht mehr zu ge­brauchen. Das Ungeheuer hatte Synks Tore

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förmlich in den Boden getreten, als es bei seiner Verfolgung »zufällig« auf ihm lande­te. Die beiden anderen waren zusammenge­stoßen, nachdem die Trugen sie in Panik verlassen hatten.

»Wir gehen zu Fuß weiter«, entschied der Drachentöter. »Ich sagte, wir gehen, Digl­fonk! Die Trugen können nur zur Straße der Mächtigen geflohen sein. Dort werden wir sie früher oder später finden.«

Erleichtert darüber, daß Synks Aggressio­nen sich noch gegen die Trugen richteten, gab Diglfonk den Befehl an Eins bis Zwölf weiter.

»Einen Augenblick noch«, rief der Or­xeyaner, als sich die Roboter schon zum Gänsemarsch formiert hatten. »Der Drache! Trennt seinen Kopf ab und nehmt ihn mit. Ich werde ihn Heimdall zum Geschenk ma­chen, zusammen mit den Eimerköpfen.«

Diglfonk dankte seinem unbekannten Konstrukteur, daß er ihn als nichtorgani­sches Wesen geschaffen hatte. Zwei und Drei trennten den Kopf des Ungeheuers mit Laserstrahlen säuberlich ab und versahen ihn mit AntigravPlättchen und einer Leine, so daß sie ihn wie einen Luftballon hinter sich her ziehen konnten.

»Diglfonk«, sagte Sator Synk, als die Ko­lonne sich endlich in Bewegung gesetzt hat­te. »Es kommt mir vor, als ob ich gewisse Dinge nicht mehr so recht in Erinnerung hät­te.« Er fuhr mit dem Zeigefinger bedeu­tungsvoll an der Stirnnarbe entlang. »Aber früher oder später werde ich dahinterkom­men, woher ich diese Narbe habe. Ich hoffe für dich, daß ihr nichts damit zu tun habt.«

11. Die Straße der Mächtigen

Die Gruppe erreichte die Straße am späten Nachmittag. Fenrir lief wie gewohnt ein Stück voraus. Er wartete, bis Koy, Kolphyr, Leenia und Chirmor Flog das nur noch an wenigen Stellen altsilbern schimmernde fünf Meter breite Band erreicht hatten. Es gab niemanden mehr, der die Straße der Mächti­gen für Honir sauber hielt. Die Burkolls, die

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diese Aufgabe zu bewältigen hatten, waren verschwunden. Staub und Unrat bildeten ei­ne graubraune Schicht.

Niemand war zu sehen, weder herumir­rende Trugen nach Pthorer. Fenrir knurrte wieder verhalten, als Kolphyr mit dem Nef­fen auf dem Arm in seine Nähe kam.

Koy hatte den beiden ehemaligen Schlä­fern, die sie im Bunker gefunden hatten, an­geboten, sie zu begleiten. Doch diese hatten dankend abgelehnt. Sie war wieder bei Kräf­ten und wollten weiterziehen, um irgendwo einen Platz zu finden, an dem sie sich nie­derlassen konnten, einen Ort, an dem sie vor den Wirren dieser Zeit einigermaßen sicher sein konnten. Der Grund lag auf der Hand. Die Exotin war schwanger.

Schweigend setzte die Gruppe ihren Weg fort. Koy nahm Kolphyr den Neffen ab und ging mit dem Fenriswolf und Chirmor Flog auf dem Arm voraus, um den Bera wieder mit Leenia alleinzulassen.

Leenia registrierte es dankbar. Kolphyrs Nähe machte ihren Schmerz erträglicher. Die Verbannung zeigte erste Folgen.

Sie war nicht mehr in der Lage, die Ge­danken ihrer Begleiter zu empfangen, außer wenn sie sehr erregt waren. Dann nahm sie noch vage Eindrücke und Gedankenbilder wahr. Und es bedurfte keines Versuchs, um zu wissen, daß sie auch nicht mehr entmate­rialisieren konnte. Schneller, als sie es er­wartet hatte, war die Energie, die noch aus den Höheren Welten in ihr gewesen war, von ihrem Körper abgebaut worden. Jetzt glaubte sie, ein inneres Gleichgewicht er­reicht zu haben. Ihr Körper produzierte ge­nau jene Menge an Energie, die sie brauchte, um leben zu können. Und er blieb stabil. Zu­mindest diese Sorge war unbegründet gewe­sen.

Dagegen spürte sie, daß sie in den Augen­blicken der Bedrohung nach wie vor jene Energien produzieren konnte, die sie bün­deln und durch die Augen abgeben konnte, um sich zu verteidigen. Dieser Vorgang ent­sprach in etwa der Adrenalinzufuhr zum Ge­hirn eines Menschen, wenn er in Erregung

und Angst geriet. Kolphyr sagte etwas. Leenia sah ihn fra­

gend an. »Du träumst schon wieder von Vergange­

nem«, hörte sie den Bera sagen. »Gib es auf und denke an die Zukunft.«

Sie lächelte schwach. »Gibt es keinen anderen Weg?« fragte sie.

»Müssen wir zur FESTUNG?« »Dort laufen die Fäden zusammen«, sagte

Kolphyr. »Wenn wir Verbündete finden wollen, dann am ehesten dort.«

»Bei den feigen Odinssöhnen?« Leenia lachte verächtlich. »Ihr könntet durch mich Ärger bekommen.« Erst jetzt erzählte sie von ihrem letzten kurzen Aufenthalt in der FESTUNG. »Vielleicht sollte ich in der Nä­he warten, wenn ihr zu den Odinssöhnen geht.«

»Das kommt nicht in Frage!« Kolphyr schnitt eine Grimasse. »Wir werden Sigurd, Balduur und Heimdall unsere Hilfe anbieten und uns mit ihnen beraten, falls sie anneh­men. Doch sollten sie sich überheblich und stur zeigen, werden wir ihnen klar machen müssen, daß sie nicht länger die Mächtigen sind, für die sie sich halten. Außerdem hat Balduur allen Grund, dir dankbar zu sein.«

»Sie haben Atlan verraten – und Pthor«, sagte Leenia mit finsterer Miene. Sie über­legte, ob sie ihren neuen Freunden etwas über die Anlagen unter dem Ruinenschloß erzählen sollte. Bisher hatte sie darüber ge­schwiegen. Vielleicht fänden sie dort Hilfe gegen die Magier. Vielleicht fand sie etwas, das sie nach Hause bringen konnte …

Kolphyr wollte etwas entgegnen, als Fenr­ir plötzlich vor ihnen stehenblieb, witterte und knurrte. Koy griff in sein Nackenfell und versuchte, ihn zu beruhigen.

»Dort kommt jemand«, sagte der Tromm­ler. Er deutete nach Norden, wo nun einige dunkle Punkte zu sehen waren, die sich be­wegten. Ein paar von ihnen blinkten, wenn sie das Licht des Wölbmantels reflektierten.

»Roboter?« fragte Kolphyr. Koy zuckte die Schultern.

»Laßt uns warten, bis sie näher heran

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sind«, sagte er. Und sie warteten. Als auch die Fremden

stehenblieben, waren sie so weit heran, daß Kolphyr erkennen mußte, wen sie da vor sich hatten.

»Das ist der Kerl, der mit uns zu den Ma­giern wollte!« rief er vergnügt aus. »Dieser angebliche Held mit seinem seltsamen Ro­boter! Jetzt hat er …« Kolphyr versuchte, die Maschinen zu zählen. »Jetzt hat er min­destens ein Dutzend davon bei sich!«

Auch Leenia lächelte plötzlich. »Sator Synk«, sagte sie. »Auch ihn mußte ich von einem Körperlosen befreien. Er lebt also.«

Leenia gab sich keine Mühe, ihre Erleich­terung zu verbergen. Kolphyr und Koy sa­hen sie erstaunt an, bis sie knapp schilderte, in welchem Zustand sie Synk zuletzt gese­hen hatte – in Wolterhaven.

»Dann sollten wir uns ihm schnell zu er­kennen geben«, meinte Koy. »Bei seinem Temperament kommt er sonst noch auf die Idee, die Roboter auf uns zu hetzen.« Koy grinste. »Dabei sollten wir kaum zu ver­wechseln sein, was, Großer?«

Kolphyr hatte bereits die Hände an den Mund gelegt und brüllte: »Wir sind es, Synk! Deine Freunde! Kommt her und geht mit uns!«

Zögernd nur setzte die Kolonne sich in Bewegung und kam näher. Synk mochte ein schlechtes Gewissen Koy und Kolphyr ge­genüber haben, weil er sie verlassen hatte, kurz bevor das Bombardement auf die Große Barriere von Oth durch Atzbälls Or­ganschiffe begann.

Dann stand er mit seinen dreizehn Robo­tern vor ihnen. Er bekam große Augen, als er Leenia sah.

»Du hier?« fragte er überflüssigerweise, bevor er die anderen begrüßte. »Ich hätte nicht gedacht, daß wir uns einmal wiederse­hen würden, nach dem, was in der FE­STUNG geschah.«

»In der FESTUNG?« fragte Koy verwun­dert. »Ich dachte, du hättest ihn zuletzt in Wolterhaven gesehen, Leenia?«

Sie winkte schnell ab, aber schon war

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Synks Neugier erwacht. »In Wolterhaven? Wann? Ich kann mich

nicht erinnern.« »Es war nichts«, sagte Leenia schnell.

»Du konntest mich nicht sehen, in dem Zu­stand, in dem du dich befandest.« Sie wollte ihm erklären, weshalb sie in Wolterhaven gewesen war, doch Synk brüllte bereits:

»Diglfonk!« Der kugelförmige Roboter schwebte an

seine Seite. »Verfüge über mich, Herr!« »Verfüge über mich, verfüge über mich!

Fällt dir nie etwas anderes ein? Was war in Wolterhaven mit mir los? In welchem Zu­stand befand ich mich?« Er fuhr wieder mit der Hand über die Narbe. »Was habt ihr mit mir angestellt, wovon ich nichts weiß?«

Synks Hand fuhr von der Stirn zum Griff des Schwertes. Leenia, die ihre unvorsichti­gen Worte bereute, trat schnell auf ihn zu und legte nun ihrerseits die Hand auf sein Gelenk.

»Du warst krank, Sator. Die Roboter ha­ben dich mit mir zusammen geheilt.«

Es war, als hätte ihre Berührung auf Synk ähnlich gewirkt wie die Berührung des Kö­nig Midas. Er wurde zwar nicht zu Gold, aber der Zorn verschwand aus seinem Ge­sicht und wich einer seltsamen Sanftheit. Synk errötete und stammelte:

»Du … du hast mich geheilt? Was war denn mit mir?«

»Ich erkläre es dir später, Sator.« Leenia tat so, als sähe sie den Drachen­

kopf, den die Roboter im Schlepptau führ­ten, erst jetzt.

»Hast du etwa dieses Ungeheuer erlegt, zu dem der Schädel gehörte?«

»J … ja«, brachte Synk zögernd heraus. Dann begann er von seiner Heldentat zu er­zählen. Koy und Kolphyr stießen sich belu­stigt hinter seinem Rücken an. Leenia tat be­eindruckt und hörte geduldig zu. Hauptsa­che, dachte sie, er vergaß für einige Zeit die Roboter.

»Du lernst sehr schnell, wie man mit Sterblichen umzugehen hat«, flüsterte Koy

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ihr zu, als Synk endlich geendet hatte. An den Drachentöter gewandt, sagte er: »Sator Synk, wir sind auf dem Weg zur

FESTUNG. Du solltest uns mit deinen Ro­botern begleiten. Wir können jeden kräftigen Mann gebrauchen.«

»Zur FESTUNG?« Synk kniff die Augen zusammen. »Wieso? Sind die Eimerköpfe in diese Richtung geflohen? Habt ihr sie gese­hen?«

»Eimerköpfe?« »Die Trugen. Ich war ihnen auf den Fer­

sen, als das Ungeheuer auftauchte. Ich ruhe nicht eher, als bis ich sie erwischt habe.« Synk lachte rauh. »Die Robotbürger wollten mir einreden, ich sollte mich um die ver­streuten Pthorer kümmern. Aber das ist nicht nach meinem Geschmack. Ich will kämpfen, solange es Gegner auf Pthor gibt.«

»Dann hast du dir die falschen Gegner ausgesucht«, sagte Kolphyr. »Die Trugen sind harmlos. Die, die jetzt noch hier sind, sind froh, wenn sie sich irgendwo ver­stecken können. Bald können wir es mit wirklichen Gegnern zu tun haben, Sator. Mit Gegnern, die uns mehr zu schaffen machen können als Scuddamoren und Trugen zu­sammen.«

»Wer ist das?« wollte der Orxeyaner wis­sen.

»Die Magier. Der Schirm um die Große Barriere von Oth besteht nicht mehr. Als wir sie verließen, bereiteten sie sich aller Wahr­scheinlichkeit nach gerade darauf vor, Pthor zu überschwemmen. Sie sind ohne Ausnah­me negativ geworden. Ihr Angriff kann je-den Augenblick erfolgen, und dann wäre es besser, wir befänden uns bereits in der FE­STUNG.«

Synk wurde bleich. »Die Magier?« Es war ihm anzusehen,

daß er lieber gegen handfestere Gegner kämpfte, und seien es Drachen.

»Komm mit uns, Sator«, sagte nun Lee­nia. Sie lächelte ihn an, und Synks Wider­stand schmolz unter diesem Lächeln dahin wie Butter in der Sonne.

»Du hast recht«, sagte der Held von Orxe­

ya, wobei er versuchte, eine möglichst grim­mige Miene aufzusetzen. »Gemeinsam sind wir stark. Wir werden es diesen Magiern zeigen. Gehen wir?«

Kolphyr wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Synks Stimmungen wechsel­ten wie Tag und Nacht. Wie sehr Synk von seinen eigenen Worten überzeugt war, konn­te der Bera nicht sagen, aber eines wurde ihm klar.

Sator Synk war dabei, sich zu verlieben. Die nun um einen Orxeyaner und drei­

zehn Roboter verstärkte Gruppe setzte sich erneut in Bewegung. Noch war es ein weiter Weg bis zu FESTUNG. Kolphyr hoffte, daß die Magier noch zögern würden, die Große Barriere von Oth zu verlassen, bis sie ihr Ziel erreicht hatten.

Ohne Zweifel stellten die Roboter eine wertvolle Verstärkung dar. Ob dies jedoch auch auf Synk zutraf, bezweifelte Kolphyr im stillen. Der Raufbold schien nicht im ent­ferntesten zu erfassen, welche Gefahr die Magier darstellten.

Kolphyr selbst hatte es schwer, sich das Chaos vorzustellen, das sie über Pthor brin­gen konnten.

In diesen Augenblicken, als er an der Spitze der Kolonne marschierte, die viel zu langsam vorankam, konnten sie ihr Reich bereits verlassen.

Kolphyr machte sich klar, daß sie einen Angriff der Magier wahrscheinlich erst be­merken würden, wenn es schon zu spät für eine Gegenwehr war. Sie kamen aus dem Dunkel, und sie kämpften nicht wie die Geg­ner, mit denen es jene, die für die Freiheit des Dimensionsfahrstuhls kämpften, bisher zu tun gehabt hatten.

*

Gandel Gars stieg von ihrem Yassel, be­trachtete die Lagerstelle und trat wütend in die verkohlten Holzscheite des Feuers.

»Sie sind weg!« brüllte sie. »Diese ver­dammten Blechkerle haben ihn entführt!« Sie rieb sich die schmerzenden Handgelenke

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mit den roten Striemen, wo sich die Fesseln in ihr Fleisch geschnitten hatten. »Auch da­für werden sie büßen!«

»Ihre Spuren«, sagte Braker Hoyt und deutete auf die nach Süden führende Linie aus plattgewalzten Sträuchern und Gräsern, die sich noch nicht wieder aufgerichtet hat­ten.

Gandel nickte grimmig. »Laßt uns sehen, ob noch Fleisch an dem

Drachen ist, damit wir unsere Vorräte auf­stocken können. Dann brechen wir auf. Wir reiten die Nacht hindurch.«

Die Orxeyaner stiegen von ihren Reittie­ren, zogen Messer aus den Gürteln und be­gaben sich zum erlegten Ungeheuer. Sie schnitten große Stücke Fleisch aus den kräf­tigen Hinterbeinen und dem Rücken, wälz­ten sie in Salz und steckten sie in große Beu­tel, die sie dann wieder an ihren Sätteln be­festigten.

Sie stiegen wieder auf. Gandel nahm einen Krug aus ihrem Gepäck, öffnete ihn und trank. Dann rief sie:

»Los, Männer! Es lebe Orxeya!« »Es lebe Sator Synk!« brüllte jemand.

Gandels Krug flog ihm an den Kopf. Hoyt mußte den Bewußtlosen an seinem Yassel festbinden, bevor der Ritt nach Süden be­gann.

»Auch mit Sator habe ich ein Wort zu re­den«, knurrte die Zweizentnerfrau. »Auch wenn er ein Held ist, lasse ich mich von ihm nicht behandeln wie eine …«

Sie verschluckte den Rest, als sie Hoyts Grinsen sah.

12. An Bord der MARSAPIEN – Atlans Weg ins Ungewisse

Du hattest recht, Extrasinn – wie immer. Wir befinden uns im Landeanflug auf Ca-

gendar. Was immer Duuhl Larx noch mit Pthor im Sinn haben mag – es sieht so aus, als hätten wir damit nichts mehr zu tun.

»Er muß Angst haben«, knurrt Razamon. Wenn ich ihn jetzt betrachte, bin ich heil­

froh, ihn nicht zum Gegner zu haben. Zu

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vieles hat er heruntergeschluckt. Irgendwann bricht der Vulkan aus, und dann gnade Gott demjenigen, der ihm zu nahe kommt.

»Große Angst. Warum sonst läuft er im­mer noch in dieser Energieaura herum?«

Razamon sieht mich an, als wollte er fra­gen, wann wir endlich losschlagen. Ja, wir werden einen Fluchtversuch wagen müssen, aber noch ist es zu früh dazu. Wir müssen warten, bis wir gelandet sind. Vielleicht ge­lingt es uns, Larx so zu provozieren, daß er uns sagt, was er mit uns vorhat.

Unser Leben ist jedenfalls im Augenblick nicht bedroht. Er braucht uns. Und hier müs­sen wir ansetzen.

Da ist er. Halte dich zurück, Razamon. Ich weiß,

wie es in dir aussieht, Freund. Glaubst du, mir ginge es anders? Aber wir müssen war­ten!

Duuhl Larx in seiner Energieaura. Vier Trugen, alle schwer bewaffnet, schirmen ihn zusätzlich ab.

Er verkündet uns, daß wir bald in seinen tiefsten Kerkern sitzen werden, bevor er dar­über entscheidet, was weiter mit uns zu ge­schehen hat. Er wird ausfallend. Will er uns provozieren oder sind seine Beschimpfun­gen ein Zeichen seiner Hilflosigkeit?

Rede nur, Larx. Ich möchte nicht in dei­ner Haut stecken. Du denkst an Chirmor Flog, wenn du uns beschimpfst? An den Dunklen Oheim, der dir im Nacken sitzt? An den Neffen, der das Revier beherrscht, in das Pthor hineintreibt, und der vielleicht den Triumph einheimst, der dir versagt blieb?

Duuhl Larx verläßt den Raum. Die Be­waffneten bleiben zurück. Ihre Strahler sind auf unsere Köpfe gerichtet. Hinter ihnen, über der Tür, erhellt sich ein Monitor. An­scheinend sollen wir die Landung beobach­ten und einen Vorgeschmack auf das be­kommen, was uns erwartet.

Die MARSAPIEN steht jetzt zwischen anderen Organschiffen. Eine halbe Armee kommt auf uns zu. War es richtig, zu war­ten, Extrasinn? Hätten wir nicht doch wäh­rend des Fluges losschlagen sollen?

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Es war richtig und falsch. Ihr wäret bei dem ab. Versuch, die MARSAPIEN zu erobern oder Warte, Duuhl Larx. Du magst dich unbe­den Neffen in eure Gewalt zu bringen, getö- siegbar fühlen, in deiner Aura und mit dei­tet worden. Andererseits stehen eure Chan- nen Truppen. Aber noch leben wir, und ich cen zur Flucht jetzt schlechter als je zuvor. schwöre, du wirst noch bereuen, daß du uns

Sehr tröstend. nicht hast exekutieren lassen. Ihr habt einen Aufschub bekommen.

Nützt ihn! Darauf kannst du Gift nehmen!Die Trugen umringen uns und führen uns

E N D E

Weiter geht es in Atlan Band 444 von König von Atlantis mit:Land ohne Sonnevon Hans Kneifel