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Das Weltraumtor

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  • Das WeltraumtorTHE DOOR THROUGH SPACE

    TERRA ASTRA- Band 1

    Freunde werden zu Todfeinden - der Spielzeugmacher will es so

    von MARION ZIMMER BRADLEY

    Diese e-Book besteht zu 100% aus chlorfrei gebleichten, recyclebaren, glcklichen Elektronen.

  • 5 TERRA ASTRA

    1.

    Jenseits der Raumhafentore jagten die Mnner von Kharsa einen Dieb. Ich hrte die schril-len Schreie und das Trampeln zahlloser Fe; beides klang ein wenig anders als bei Men-schen, und das Echo in den dunklen, staubigen Straen unterstrich diesen Eindruck noch.

    Der Platz selbst lag verlassen da im Licht der roten Mittagssonne des Planeten Wolf.Die alte, sterbende Sonne Phi Coronis gab nur blasses Licht, das kaum wrmte. Die bei-den schwarzgekleideten Posten am Raumhafentor dsten unter dem hohen Bogen mit demEmblem Terras. Einer der beiden, ein junger, stupsnsiger Bursche, der erst seit ein paarWochen hier war, spitzte die Ohren und drehte sich dann zu mir um.

    He, Mr. Cargill, Sie sprechen doch ihre Sprache? rief er. Was ist dort drauen los?

    Ich ging vor das Tor und lauschte. Der Platz war noch immer eine weite Leere. Auf dereinen Seite lag der Raumhafen mit dem weien Wolkenkratzer des terranischen Hauptquar-tiers, auf der anderen Seite ein Nest aus niedrigen Htten und Straenschreinen. Aus demkleinen Raumhafencafe roch es nachJaco, und die dunklen Strchen fhrten hinunter nachKharsa, in die Altstadt, wo die Einheimischen wohnten. Whrend ich lauschte, kamen dieSchreie nher und hallten ber den Platz.

    Und dann sah ich ihn. Er rannte geduckt, und ein Steinhagel flog um seinen Kopf. Er oderes war klein, behend und trug einen weiten Mantel. Der Mob hinter ihm lie noch keineGesichter erkennen, und auch das, was sie schrien, verstand ich noch nicht. Aber ich wute,da seine Verfolger nach seinem Blut drsteten.

    Es gibt rger, sagte ich, und da ergo sich auch schon die Menge ber den Platz. Derfliehende Zwerg sah so rasch nach allen Seiten, da auch jetzt sein Gesicht noch nicht zuerkennen war, und dann rannte er wie von einer Schleuder abgeschossen direkt in RichtungRaumhafentor.

    Heulend und kreischend folgte ihm die Menge. Sie kam nur bis zur Platzhlfte und bliebdann anscheinend in einem Anfall wiederkehrender Vernunft unvermittelt stehen. Die Kpfewandten sich von einer Seite zur anderen.

    Ich trat ein paar Schritte zurck, bis ich auf den unteren Stufen des Raumhafengebudesstand, und sah ber die Menge. Die meisten warenChaks, die pelzigen, mannsgroen Nicht-menschen von Kharsa, und sie gehrten nicht den besseren Klassen an. Ihre Felle warenungepflegt, und die schmutzigen Schwnze sahen aus, als seien sie von Motten zerfressen.Die Lederschrzen hingen in Fetzen an ihnen herunter.

    Ein paar Menschen erkannte ich nun auch, aber die waren der Abschaum von Kharsa. DasEmblem Terras dmpfte den Blutdurst des Mobs ein wenig; da und dort war auch ein bichenUnbehagen zu spren.

    Einen Augenblick lang hatte ich den kleinen Kerl aus den Augen verloren, doch dann sahich ihn wieder. Nur ein paar Schritte von mir entfernt hatte er sich in einen schattigen Winkelgeduckt. Auch der Mob entdeckte ihn nun wieder; ein Heulen der Wut und Enttuschungerhob sich, und jemand schleuderte einen Stein, der mich fast am Kopf streifte und vor denFen des in schwarzes Leder gekleideten Postens niedersauste. Er ri den Kopf in die Hhe,und pltzlich hatte er seinen Schocker in der Hand.

    Das htte eigentlich reichen mssen. Auf Wolf hatten Feuer und zerfetzte Atome die Ge-setze Terras geschrieben, und die damit gezogene Linie war von Anfang an eindeutig. DieMnner derSpaceforcemischten sich nicht in die Angelegenheiten der Altstadt oder in dieder Eingeborenenstdte. Wenn aber die Gewalt vor dem strahlenden Emblem Terras nicht

  • Das Weltraumtor 6

    haltmacht, dann ist die Strafe hart und erfolgt schlagartig. Im allgemeinen reicht allein derenDrohung.

    Terranan! brllte jemand, und Affensohn!

    Die Posten standen nun Schulter an Schulter hinter mir. Der stupsnasige Junge war blageworden. Schnell, Cargill! rief er mir zu. Schnell, kommen Sie hinter das Tor! Wenn ichschieen mu...

    Sein lterer Kamerad winkte ihm, er solle schweigen. Warte, Cargill! sagte er, und ichnickte zum Zeichen, da ich verstanden hatte. Du sprichst doch ihre Sprache. Sage ihnen,sie sollen sich schnellstens verziehen. Verdammt, ich will doch nicht schieen mssen!

    Ich ging die Stufen hinab und auf den Platz hinaus, direkt auf die wtende Menge zu.Selbst mit zwei schwerbewaffneten Posten hinter mir war das keine angenehme Sache, undmich berlief auch eine Gnsehaut, aber ich hob meine Hnde zu einer Friedensgeste.

    Zieht euren Mob vom Platz zurck! rief ich ihnen im Kharsa-Dialekt zu. Er unterliegtdem Friedensabkommen! Eure Streitigkeiten knnt ihr anderswo fortsetzen!

    Da und dort bemerkte ich eine Bewegung in der Menge. Sie staunten darber, in ihrerSprache und nicht in Terra-Standard angesprochen zu werden. Vor langer Zeit hatte ich dieErfahrung gemacht, da ich wenigstens den Vorteil des berraschungseffektes hatte, wennich sie in ihrer Sprache anredete, und wenn es auch nur eine Minute war.

    Dann brllte einer aus der Menge: Wir gehen sofort, wenn ihr ihn ausliefert! Er hat keinRecht auf terranischen Schutz!

    Ich ging auf den Verfolgten zu, der sich noch mehr zusammenkauerte, und ich stie ihnleicht mit dem Fu an. Steh auf. Wer bist du?

    Die Kapuze fiel von seinem Kopf, als er langsam auf die Fe kam. Er zitterte heftig.Ich sah ein pelziges Gesicht, eine samtige, zuckende Schnauze und groe, weiche, goldeneAugen, die Intelligenz und wahnsinnige Angst ausdrckten. Was hast du angestellt? Kannstdu nicht reden?

    Er zeigte ein Krbchen vor, das er unter dem Mantel versteckt hatte; es war ein ganzgewhnliches Hausiererkrbchen. Verkaufe Spielzeug. Fr Kinder. Hast du Kinder?

    Ich schttelte den Kopf, schob das Wesen weg und warf nur einen raschen Blick in dasKrbchen; was ich sah, waren wunderschn gearbeitete Pppchen, Tiere, Prismen und Kri-stallkreisel. Schau, da du verschwindest, riet ich dem Zwerg, aber schnell! Die Straehinunter!

    Wieder vernahm ich einen Schrei aus der Menge, und er klang sehr drohend: Er ist einSpion von Nebran!

    Nebran... Der kleine Nichtmensch brabbelte etwas und duckte sich hinter mich. Ich sah,wie er gebckt in die Richtung der groen Tore lief und dann, als die Menge ebenfalls dorthindrngte, pltzlich einen Haken schlug und zum Straenschrein jenseits des Platzes rannte.Er bentzte jede Mauernische als Deckung, denn immer wieder prasselten Steine hinter ihmher. Und dann verschwand der kleine Spielzeugverkufer im Schrein.

    Aaah! schrie die Menge vor Wut, aber sie zog sich zurck und lste sich schlielich auf.Innerhalb von drei Minuten lag der Platz wieder leer unter der blaroten Mittagssonne.

    Der junge Posten atmete erleichtert auf, fluchte krftig und schob seinen Schocker in dasGrtelhalfter. Wohin ist nun der Zwerg eigentlich verschwunden? fragte er verblfft.

    Die anderen zuckten die Achseln. Wer wei das schon? Hast dus gesehen, Cargill?

    Mir war es so vorgekommen, als habe er sich in den Straenschrein geflchtet und sichdann in Luft aufgelst, aber ich war ja schon lange genug auf Wolf und wute daher, da

  • 7 TERRA ASTRA

    man auf diesem Planeten seinen Augen besser nicht traute. Das sagte ich ihnen auch, undder Junge fluchte erneut. Der Vorfall schien ihn gergert oder aufgeregt zu haben. Passiertdas hier oft? fragte er.

    Stndig, versicherten ihm seine Kameraden und blinzelten mir zu.

    Der Junge gab sich noch nicht zufrieden. Wo haben Sie denn die Sprache gelernt, Mr.Cargill? fragte er.

    Ich bin schon ziemlich lange auf Wolf, erklrte ich ihm kurz, drehte mich auf demAbsatz um und ging zum Hauptquartier. Unwillkrlich hrte ich trotzdem noch, was sieredeten.

    Kleiner, weit du denn nicht, wer er ist? Das ist Cargill vom Secret Service. Vor sechsJahren war er der beste der Abwehr, aber dann... Der Posten flsterte nun, so da ich seinefolgenden Worte nicht mehr verstand.

    Was, zum Teufel, ist mit seinem Gesicht passiert? hrte ich den Jungen noch fragen.

    Daran htte ich ja nun wirklich gewhnt sein mssen. Seit sechs Jahren hrte ich solcheBemerkungen immer und berall. Nun ja, wenn ich ein bichen Glck hatte, dann brauchteich sie nicht mehr lange zu hren. Ich ging die weien Stufen zum Wolkenkratzer hinauf,um die letzten Formalitten zu erledigen, die mich fr immer von Wolf wegfhren wrden.Vielleicht ans andere Ende der Galaxis - irgendwohin. Es war mir egal, wo ich dann landete,wenn ich nur nicht meine Vergangenheit wie ein Medaillon um meinen Hals zu tragen hatte.Sie stand mir sowieso ins narbige, geschundene Gesicht geschrieben.

    2.

    Terra hatte ihren Fu auf mehr als vierhundert Planeten gesetzt, die um dreihundert Son-nen kreisten. Die Farbe der jeweiligen Sonne und die Anzahl der Planetenmonde wurdenunwichtig, wenn man das Gebude eines Hauptquartiers betrat, denn dann war man immerund berall auf der Erde. Vielen Erdenmnnern war die Erde schon fremd geworden - wiemir, um nur ein Beispiel zu nennen. Meine Schritte hallten in den hohen Marmorkorridoren,und vor dem grellen, kaltgelben Licht mute ich die Augen zusammenkneifen.

    Die AbteilungVerkehrherrschte zwischen Glas, Chrom, poliertem Stahl, Spiegeln, Fen-stern und riesigen elektronischen Bromaschinen. Ein TV-Monitor, der den gesamten Raum-hafen berwachte, nahm fast eine ganze lange Wand ein. Der Raumhafen war ein riesigesvon Quecksilberlampen blau-wei erhelltes Areal, und an einem wolkenkratzerhohen Ster-nenschiff schwrmten die Ameisenheere der Bodenmannschaften, die das auf der Rampestehende Schiff fr den nchsten Tag startfertig machten. Den Raumkreuzer sah ich mir einwenig genauer an, denn auf dem sollte ich abreisen.

    Ich ging weiter. In den zahllosen spiegelnden Flchen sah ich mich als groen, mage-ren, von den Jahren unter einer blassen Sonne gebleichten Mann, der auf beiden Wangenund um den Mund tiefe Narben hatte. Noch nach sechs Schreibtischjahren schienen mir diesauberen Kleider eines Geschftsmannes von der Erde nicht recht zu passen, und ohne mirdessen bewut zu werden, ging ich noch immer in der ein wenig vorgebeugten Haltung derTrockenstdter von den Coronisebenen.

    Der Beamte hinter dem Schild TRANSPORTE war ein kleiner, rattengesichtiger Mannmit Sonnenlampenbrune.

    Kann ich etwas fr Sie tun? fragte er mich.

    Ich bin Cargill. Haben Sie einen Pa fr mich?

  • Das Weltraumtor 8

    Er starrte mich an, denn ein Pa fr ein Sternenschiff ist eine Raritt, die sonst nur profes-sionellen Raumfahrern zusteht, und ich sah gar nicht so aus, als gehre ich zur Zunft. Ichmu erst mal meine Unterlagen nachsehen, antwortete er und drckte verschiedene Knpfeauf der glnzenden Schreibtischplatte. Schatten kamen und verschwanden, und ich sah michselbst halb reflektiert als wackeligen Schatten in einem Wasserfall rasender Farben. Endlichberuhigten sich die Bilder, und der Beamte konnte Namen ablesen.

    Brill, Cameron... ah. Cargill, Race Andrew, Department 38, Transfer. Sind Sie das?Ich bejahte, und er drckte noch weitere Knpfe, bis pltzlich sein Gehirn eine Verbindung

    herzustellen schien. Er lie seine Hand ber den Knpfen schweben. Sind Sie Race Cargillvom Secret Service, Sir?Der Race Cargill?

    Da sehen Sies ja, erwiderte ich und deutete auf das projizierte Muster unter der Glaso-berflche.

    Wissen Sie, ich dachte... das heit, jeder hielt es fr selbstverstndlich... ich meinte, ichhrte...

    Sie meinten, Cargill sei vor langer Zeit ermordet worden, weil sein Name nirgends mehrauftauchte? Ich lachte suerlich, sah mein Bild, das sich allmhlich in Schatten auflste,und sprte die seit langem geheilte Narbe an meinem Mund, die mein Lachen zu einemGrinsen verzerrte. Ja, ich bin dieser Cargill. Seit sechs Jahren war ich im 38. Stock undverwaltete einen Schreibtisch, mit dem jeder andere auch htte fertig werden knnen. Siezum Beispiel.

    Er ri vor Staunen den Mund auf. Dieses Hasenherz von einem Mann hatte nie den Mutgehabt, die sicheren, vertrauten Grenzen der Handelsstadt zu berschreiten. Wollen Sievielleicht sagen, daSie der Mann sind, der verkleidet nach Charin ging und den Lisseerforschte? Der die Schwarzen Berge und Shainsa ausgekundschaftet hat? Und Sie habendann sechs Jahre an einem Schreibtisch gesessen? Das ist doch kaum zu glauben, Sir.

    Mein Mund verkniff sich unwillkrlich. Das hatte ich ja selbst kaum fr mglich gehalten,solange ich an diesem Schreibtisch sa. Der Pa?

    Jawohl, Sir. Sofort, Sir. Er drckte mehrere Knpfe, und dann glitt eine Plastikkarteauf den Tisch. Ihre Fingerabdrcke, bitte? Er drckte meine Finger auf die noch weichePlastikoberflche, so da der Abdruck unauslschbar fr immer festgehalten war, und schobdas Krtchen anschlieend in den Schlitz einer Pneumorhre.

    Wenn Sie an Bord des Schiffes gehen, werden Ihre Fingerabdrcke mit diesen hier vergli-chen, erklrte er mir. Sie knnen an Bord gehen, sobald die Bodenmannschaft das Schifffr startfertig erklrt. Eine Stunde, vielleicht auch zwei wird es schon noch dauern. Undwohin gehen Sie von hier aus, Mr. Cargil?

    Zu irgendeinem Planeten im Hyadesnebel. Vainwal, glaube ich.Und wie ist es dort?Woher soll ich das wissen? Ich war auch noch nicht dort. Ich wei nur, da Vainwal eine

    rote Sonne hat und da der terranische Legat einen erfahrenen Abwehrbeamten braucht, dener aber sicher nicht an einen Schreibtisch nagelt.

    Ein wenig Neid und sehr viel Respekt klangen in der Stimme des kleinen Mannes mit:Darf ich... Ihnen einen Drink anbieten, Mr. Cargill, ehe Sie an Bord gehen?

    Oh, vielen Dank, aber ich habe noch einiges zu erledigen. Das stimmte zwar nicht, aberich wollte, verdammt noch mal, meine letzten Stunden auf Wolf nicht mit einem hasenherzi-gen Schreibtischterraner verbringen, der seine Abenteuer aus zweiter Hand bezog.

    Als ich jedoch das Bro und den Wolkenkratzer verlassen hatte, wnschte ich fast, ichhtte seine Einladung angenommen. Es dauerte ja doch noch mindestens eine Stunde, bis das

  • 9 TERRA ASTRA

    Schiff freigegeben wurde, und in dieser Stunde konnte ich nichts tun, als nur Erinnerungennachzuhngen, die ich besser vergessen wrde.

    Die Sonne stand nun schon etwas tiefer. Phi Coronis ist eine sterbende Sonne, und hatsie um die Mittagszeit den Zenit berschritten, wirft sie lange, blartliche Zwielichtschat-ten. Vier von den fnf Wolf-Monden drngten sich am Himmel eng aneinander und warfenviolettes Licht in die blarote Dmmerung.

    Ich ging durch blaue und purpurrote Schatten ber den leeren Platz und sah in die eine oderandere Seitenstrae hinein. Ein paar Schritte noch, und ich befand mich in einem schmutzi-gen Slum, den eine ganze Welt von der strahlenden Handelsstadt trennte. Kharsa barst nahezu vor menschlicher und nichtmenschlicher Aktivitt. Ein winziges, nacktes, goldpelzigesKind scho zwischen zwei Kieshusern heraus, verschwand wieder, und sein Lachen klangwie brechendes Glas.

    Ein kleines Tier, ein Zwischending zwischen Schlange und Katze, kroch ber ein Dach,breitete lederhutige Schwingen aus und flatterte auf den Boden. Aus dem offenen Straen-schrein kam ein Schwall suerlicher, scharfer Gerche, und eine plumpe, nichtmenschlicheGestalt warf mir von innen her einen mimutigen Blick aus grnen Augen zu.

    Ich kehrte um. So nahe an der Handelsstadt war es nicht gefhrlich. Selbst auf wildenPlaneten wie Wolf respektierte man die Gesetze Terras in Hr- und Sichtweite ihres Haupt-quartiers. Aber seit einem Monat gab es hier und in Charin immer wieder Aufstnde. Eineinzelner, unbewaffnerter Terraner mute also damit rechnen, als Leiche auf die Stufen desWolkenkratzers gelegt zu werden.

    Es hatte eine Zeit gegeben, da ich ganz allein von Shainsa zur Polarkolonie gewandert war.Ich hatte es verstanden, in der Nacht aufzugehen, schbig und unverdchtig auszusehen; ichtrug um die Schultern einen zerschlissenen Hemdmantel und als Waffe nur einen rasiermes-serscharfen Dolch unter der Mantelschnalle. Ich hatte es gelernt, ebenso auf den Fuballenzu gehen wie jeder Trockenstdter, und ich sah weder so aus, noch roch oder sprach ich wieein Terraner.

    Dieser rattengesichtige Bursche aus der AbteilungVerkehr hatte Erinnerungen in mirgeweckt, die ich besser vergessen htte. Sechs Jahre eines langsamen Todes hinter einemSchreibtisch seit dem Tag, da Rakhal Sensar mich gezeichnet hatte; die Narben in meinemGesicht bedeuteten berall auerhalb der Sicherheit terranischer Gesetze auf Wolf mein To-desurteil.

    Rakhal Sensar - in hilflosem Ha ballte ich meine Hnde zu Fusten.Knnte ich nur Handan ihn legen!

    Rakhal war es gewesen, der mich zum erstenmal durch die Gchen und Winkel vonKharsa gefhrt hatte und mich die Dialekte von einem Dutzend verschiedener Stmme lehrte;von ihm lernte ich den zirpenden Schrei der Ya-Mnner, die Wege der Katzenmnner aus denRegenwldern, das Argot der Diebesmrkte, den Schritt der Trockenstdter von Shainsa undDaillon und Ardcarran, dieser ausgedrrten Stdte aus Salzstein, die sich auf dem Grundevon Wolfs verschwundenen Ozeanen ausgebreitet hatten. Rakhal stammte aus Shainsa, warein Mensch mit einem von Salz und Sonne gegerbtem Gesicht und hatte, seit wir Kinderwaren, fr die Abwehr beim terranischen Nachrichtendienst gearbeitet. Gemeinsam hattenwir diese ganze Welt durchwandert, und wir waren glcklich gewesen.

    Ich wei nicht, weshalb unsere uralte Freundschaft dann pltzlich zerbrach. Noch heuteist mir nicht klar, warum es an diesem Tag zu einer Explosion zwischen uns kam. Er warverschwunden und hatte mich als gezeichneten Mann zurckgelassen. Und einsam war ichauch, denn Juli war mit ihm gegangen.

  • Das Weltraumtor 10

    Meine Gedanken liefen die alten Bahnen zurck. Juli, meine kleine Schwester, klammertesich an Rakhals Hals, und ihre grauen Augen sprhten Ha. Seit damals hatte ich sie nichtmehr gesehen.

    Das war nun sechs Jahre her. Ein weiterer Vorfall hatte mir bewiesen, wie wenig ich demSecret Service noch von Nutzen sein konnte. Rakhal war verschwunden, aber er hatte miretwas hinterlassen: mein Name stand berall auerhalb der Reichweite terranischer Gesetzeauf den Todeslisten. Als gezeichneter Mann verschwand ich hinter dem Schreibtisch. Dashatte ich dann solange wie mglich ertragen.

    Magnusson hatte Verstndnis gezeigt, als es nicht mehr ging. Er war der Chef des gesam-ten Secret Service auf Wolf, und ich htte eigentlich sein Nachfolger werden sollen, aber erverstand mich, als ich um meine Entlassung bat. Er hatte fr meine Versetzung und fr denPa gesorgt, und heute noch sollte ich also den Planeten verlassen.

    Ich war nun wieder an jenem Straenschrein angelangt, in dem der kleine Spielzeugver-kufer verschwunden war. Er sah aber ebenso aus wie viele tausend anderer schmutziger,stinkender Schreine des Gottes Nebran, jenes Krtengottes, dessen Gesicht und Symbol aufWolf allgegenwrtig ist. Langsam ging ich weiter.

    Das Licht hinter den Vorhngen des Raumhafencafes zog mich an, und ich ging hinein.Ein paar Raumhafenleute in Bereitschaftsausrstung tranken Kaffee, und neben den Spiegelnam anderen Ende hockten einige pelzigeChaks.Drei groe, wettergebrunte Trockenstdterin blau-roten Hemdmnteln standen an einem Wandregal und aen mit unnachahmlicherWrde eine terranische Mahlzeit.

    In meiner Geschftskleidung fhlte ich mich fehl am Platz. Was hatte ein Zivilist hier zwi-schen den Uniformen der Raumleute und dem bunten Glanz der Trockenstdter zu suchen?

    Ein stupsnsiges Mdchen mit alabasterfarbenem Haar brachte mirJacound ses Ge-bck, und ich lie mich damit in der Nhe der Trockenstdter nieder. Ihr Dialekt klang mirweich und vertraut in den Ohren. Einer machte, ohne seine Stimme zu heben, Bemerkungenber mein Aussehen, meine vermutliche Abstammung und persnlichen Gewohnheiten, unddas alles in der bildhaften, obsznen Ausdrucksweise von Shainsa.

    Das war an der Tagesordnung. Der Humor auf Wolf ist kaum mit dem menschlichen zuvergleichen. Der beste Witz ist der, wenn man einen Fremden, vorzugsweise einen Terraner,kritisiert und beleidigt, am besten so, da er es auch hren, wenn auch nicht verstehen kann.Ich war in meiner Zivilkleidung ein erwnschtes Witzobjekt.

    Die leiseste Mibilligung in Blick oder Geste htte einen dauernden Verlust an Wrdebedeutet, das, was die Trockenstdterkihar nennen.

    Ich beugte mich ihnen also nur entgegen und erklrte in deren Dialekt, da ich hoffte,eines Tages die Gelegenheit zu haben, ihre Liebenswrdigkeit zu erwidern. Nun htten sielachen und eine boshafte Bemerkung ber meine Kenntnis ihrer Sprache machen mssen,um dann die Hnde zu kreuzen; mit dieser Geste htten sie ihre Anzglichkeiten auf sichselbst bezogen. Dann lud man sich zu einem Drink ein, und die Sache war mit einem Lachenaus der Welt geschafft.

    Nicht so hier und heute. Der grte von ihnen wirbelte herum und schttete dabei seinGetrnk um. Das alabasterhaarige Mdchen kreischte, und ein Stuhl polterte zu Boden. Alledrei standen mir gegenber und griffen nach ihren Mantelschnallen.

    Ich trat einen Schritt zurck und griff ebenfalls nach meinem Dolch. So nahe am Haupt-quartier wrden sie mich wohl nicht umbringen, aber meine Lage war unangenehm. Mit dreiMnnern konnte ich wohl kaum fertig werden. In Kharsa hatte man den Dolch sehr schnellin der Hand, und war ich tot oder schwer verletzt, dann war es eben ein Unfall.

  • 11 TERRA ASTRA

    Die Chakssthnten und plapperten aufgeregt; die Trockenstdter funkelten mich wtendan, und ich wartete auf den Moment der Explosion. Aber dann wurde mir pltzlich klar, dasie nicht mich anfunkelten, sondern etwas, das hinter mir stand. Die Dolche verschwandenhinter den Mantelschnallen.

    Und dann rannten sie, lieen umgestrzte Tische und Sthle und zerbrochenes Geschirrhinter sich, so eilig hatten sie es. Ich atmete erleichtert auf. Etwas hatte diesen RauhbeinenGottesfurcht beigebracht, aber es war nicht mein Narbengesicht, sondern - ein Mdchen.

    Sie war schlank, und ihr Haar glnzte wie schwarzes gesponnenes Glas, in dem Ster-nenglanz zu schimmern schien. Ein schwarzer Glasgrtel umspannte ihre schmale Taille, unddas grellweie Kleid war ber der Brust mit einer groben Stickerei verziert, die das Symboldes Krtengottes Nebran darstellte. Das Gesicht des Mdchens war marmorbla und feingezeichnet; es war das Gesicht einer Trockenstdterin, ganz menschlich und ganz weiblich,aber von fremdartiger Ruhe. Die groen Augen glhten rot, und um ihre roten Lippen lagein fast unmenschliches, boshaftes Lcheln.

    Sie sah mich an, als wundere sie sich, weshalb ich nicht mit den anderen davongeranntwar. Dann verschwand das Lcheln und machte einem fast bestrzten Ausdruck Platz. Demdes Wiedererkennens?

    Jedenfalls hatte sie mich, egal, wer oder was sie war, vor einer blen Rauferei bewahrt. Ichwollte ihr danken, doch dann bemerkte ich, da sich das Caf geleert hatte. Selbst dieChakswaren durch die Fenster geflchtet; ich sah gerade noch einen verschwindenden Schwanz.

    Dann trat ich einen Schritt vorwrts, sie einen zurck; pltzlich stand sie drauen aufder dunklen Strae. Ich folgte ihr sofort, doch ich bemerkte nur noch einen Luftwirbel. DerStraenschrein war leer, und von dem Mdchen konnte ich keine Spur entdecken.

    Und ich wute genau, da dieses Mdchen den Schrein betreten hatte und sich dann inRauch aufgelst haben mute. Wie der kleine Spielzeugverkufer, den sie gejagt hatten.

    Augen glommen durch das Dunkel, und ich ging weiter. Niemand schien auf der Straezu sein, doch die kleinen Gerusche des Lebens waren da. Man beobachtete mich also. Eskonnte gefhrlich werden, wenn man sich allzu nachdrcklich mit einem Straenschreinbeschftigte.

    Ich wandte mich also um und berquerte zum letzten Mal den Platz. Vor mir hatte ich diewolkenkratzerhohe Realitt des Sternenschiffes, und das verschwundene Mdchen reihte ichin die endlose Flle der Rtsel auf Wolf ein, die ich niemals mehr lsen wrde.

    Wie sehr irrte ich mich!

    3.

    Unter dem Tor zum Raumhafen blieb ich noch einmal stehen und warf einen letzten Blickzurck auf die Altstadt von Kharsa. Ein paar Sekunden lang spielte ich mit dem Gedanken,in einer dieser dunklen Gassen zu verschwinden. Wenn man wei, wie man es anzustellenhat, kann man auf Wolf leicht untertauchen. Ich hatte es einmal ganz genau gewut.

    Wenn ein Erdenmensch sehr viel Glck hat und vorsichtig ist, bleiben ihm uerstenfallszehn Jahre im Nachrichtendienst, und ich hatte sogar zwei Jahre darber. Ich wute genug,um meine terranische Identitt wie einen abgetragenen Mantel zurcklassen zu knnen. Ichkonnte Rakhal suchen, unsere Blutfehde bereinigen, Juli wiedersehen...

    Aber wie? Wie sollte ich Juli gegenbertreten? Als der Mrder ihres Mannes? Die Blut-fehde auf Wolf ist ein entsetzliches, grausames Ritual, das in einem Duell endet. Verlie ich

  • Das Weltraumtor 12

    die Sicherheit terranischer Gesetze, dann mute ich irgendwann und irgendwo auf Rakhaltreffen. Einer von uns beiden hatte dann zu sterben.

    Nur einmal blickte ich zurck auf die dunklen, winkeligen Straen, die vom Platz ausgin-gen. Dann drehte ich mich um. Das harte Licht tat meinen Augen weh, und das Sternenschiffragte drohend vor mir auf.

    Ein weigekleideter Steward nahm meine Fingerabdrcke und fhrte mich zu einer sarg-groen Zelle. Er brachte mir Kaffee und belegte Brote. Nachdem ich gegessen hatte, schnall-te er mich geschickt und fest auf die Beschleunigungscouch. Die Gurte schnitten mir insFleisch. Eine lange Nadel stach in meinen Arm; das Narkosemittel hielt mich dann in einemDmmerschlaf, denn sonst war der unheimliche Beschleunigungsdruck nicht zu ertragen.

    Tren schlugen zu, Summer vibrierten durch das Schiff, Mnner trampelten durch dieKorridore und riefen einander in der Raumfahrersprache Befehle oder Gre zu. Von vierWorten verstand ich eines. Das war mir auch egal, und ich schlo die Augen. Am Endemeiner Reise gab es einen anderen Planeten, eine andere Welt, eine andere Sprache, einanderes Leben.

    Mein Leben als Erwachsener hatte ich auf Wolf verbracht. Juli war als Kind unter einerroten, sterbenden Sonne aufgewachsen. Aber ich nahm ein Paar groer, rotglhender Augenund gelocktes, schwarzes Haar, das wie gesponnenes Glas glnzte, in die unergrndlicheTiefe meines Schlafes mit.

    Jemand rttelte mich wach.

    Cargill, he, aufwachen! Aufwachen, Mensch!

    Ich mute aus meinem Dmmerschlaf heraus nach Worten tasten. Was ist denn los? Waswollt ihr? Meine Augen schmerzten. Zwei Mnner in schwarzer Lederkleidung beugtensich ber mich. Wir waren also noch innerhalb der Schwerkraftgrenzen.

    raus aus der Beschleunigungscouch! Schnell, du mut mit uns kommen!

    Was... Eine Einsicht durchstie die Mauer des Sedativs. Nur ein Krimineller wird aufdiese Art aus einem startbereiten Schiff geholt, einer, der gegen interstellare Gesetze versto-en hat. Gesetzlich gesehen war ich ja noch auf dem Planeten.

    Ich wei von keiner Anklage...

    Habe ich ein Wort von Anklage gesagt? fauchte der eine.

    Halte die Klappe, er hat doch schon die Spritze, sagte der andere. Schau mal, wandteer sich an mich und sprach jedes Wort betont deutlich aus. du mut jetzt aufstehen und mituns kommen. In drei Minuten mssen wir vom Schiff sein, sonst schlgt der KoordinatorKrach. Bitte, komm mit uns.

    Ich taumelte durch den hellen, leeren Korridor, und die beiden Mnner muten mich fest-halten. Wer mich sah, konnte denken, ich sei ein Flchtling, der illegal den Planeten zuverlassen versuchte.

    Die Druckschleusen taten sich auf. Ein uniformierter Raummann stand mit der Uhr. DieStartabteilung...

    Wir tun doch, was wir knnen, unterbrach ihn der eine.

    Cargill, kannst du laufen?

    Als ich auf der Leiter war, zitterten mir die Beine. Das violette Mondlicht hatte sich zueiner dsteren Malvenfarbe vertieft, und ein scharfer Wind blies mir Sand ins Gesicht. Was,zum Teufel, ist nun eigentlich los? fragte ich die beiden Mnner, die mir halfen. Ist mitmeinem Pa etwas nicht in Ordnung?

  • 13 TERRA ASTRA

    Der eine schttelte den Kopf. Wie soll ich das wissen? Wende dich an Magnusson. Vonihm kommt der Befehl.

    Das werde ich auch, murmelte ich, verlat euch drauf.

    Sie sahen einander an. Verdammt, unter Arrest steht er ja nicht, meinte einer. Ich konntedie beiden in meinem Zustand nicht auseinanderhalten. Warum sollen wir ihn wie einenVerurteilten herumschleifen? Cargill, kannst du jetzt allein laufen? Du weit doch, wo dasBro des Secret Service ist. Der Chef braucht dich ganz dringend.

    Obwohl ich ganz genau wute, da es jetzt keinen Sinn hatte, Fragen zu stellen, wollte ichetwas wissen. Wird das Schiff fr mich aufgehalten? Ich sollte damit abreisen.

    Das nicht, antwortete der Mann und machte eine Kopfbewegung zum Raumhafen. Ichschaute mich um und sah gerade noch, wie das Schiff sich auf einem Feuerkissen abhob undin den Wolken verschwand.

    In meinem Kopf wurdees rasch klarer, und gleichzeitig kam der Zorn. Schlielich ar-beitete ich nicht mehr fr Magnusson, und welches Recht hatte er dann, mich von einemSternenschiff herunterzuholen, als sei ich ein Verbrecher? Ich kochte vor Wut, als ich in seinBro platzte.

    Das Bro des Secret Service war voll rosa-grauem Morgenlicht und dem gelben Lam-penschein. Magnusson sa an seinem Schreibtisch und sah aus, als habe er in der Uniformgeschlafen. Er war ein Bulle von einem Mann.

    Tut mir unendlich leid, da ich dich in allerletzter Minute herunterholen mute, Race.Fr Erklrungen blieb keine Zeit mehr, sagte er.

    Ich funkelte ihn wtend an. Es scheint, als knnte ich nicht einmal unbehelligt den Pla-neten verlassen! Die ganze Zeit, als ich hier war, hast du gemeckert, und jetzt, wo ich wegwill... Allmhlich habe ich es grndlich satt, stndig herumgeschoben zu werden!

    Magnusson machte eine Geste der Beruhigung. Hre erst einmal zu... Vor seinem Schreib-tisch sa eine Gestalt in einem Sessel, den Rcken mir zugewandt. Pltzlich drehte sie sichum; ich stand wie erstarrt da und glaubte an eine Halluzination.

    Dann schrie die Frau: Race! Race! Kennst du mich denn nicht mehr?

    Ich tat einen taumelnden Schritt vorwrts, dann noch einen. Und sie rannte auf mich zu;ich fing sie auf, und sie warf die Arme um meinen Hals.

    Juli! Du?

    Oh, Race, ich dachte, ich msse sterben, als Mack sagte, du seist schon auf dem Schiff.Nur der Gedanke an ein Wiedersehen mit dir hat mich am Leben gehalten. Sie weinte undlachte zugleich und drckte ihr Gesicht an meine Schulter.

    Ich lie sie ein wenig weinen, und dann hielt ich meine Schwester auf Armlnge von mir.Einen Augenblick lang hatte ich die sechs Jahre, die zwischen uns lagen, vergessen. Aberdann sah ich sie doch, denn sie waren in Julis Gesicht eingegraben. In ihren grauen Augenhockte ein Entsetzen, das ich nicht kannte.

    Unter den weiten Falten ihres Pelzmantels sah sie zerbrechlich aus. Sie war gekleidet wieeine Frau aus den Trockenstdten, und um ihre Handgelenke lagen die juwelenbesetztenFesseln jener Frauen. Die silbernen Ketten zwischen den Armbndern ihrer Fesseln klirrtenleise, als sie ihre Hnde von meinem Hals nahm.

    Was ist denn los, Juli? Wo ist Rakhal?

    Sie zitterte, und erst jetzt bemerkte ich, da sie sich in einem Schockzustand befand. Erist fort. Ich wei nicht, wo er ist. Und oh, Race, Race, er hat Rindy mitgenommen!

  • Das Weltraumtor 14

    Ihre Stimme klang, als weine sie, doch ihre Augen waren trocken. Sie schien schon zuviele Trnen vergossen zu haben. Sanft drckte ich sie in den Sessel zurck, und dort sasie wie eine Puppe. Ihre Hnde fielen an den Seiten herab, und die Ketten klirrten. Wer istRindy? fragte ich.

    Juli bewegte sich nicht. Meine Tochter, Race, flsterte sie, unser kleines Mdchen.

    Nun, Cargill, fragte Magnusson, und seine Stimme klang hart, htte ich dich abreisenlassen sollen?

    Rede keinen Unsinn! fuhr ich ihn an.

    Ich frchtete, du wrdest dem armen Kind erzhlen, sie solle geflligst selbst mit ihrenFehler leben. Fhig dazu wrst du ja, knurrte Magnusson.

    Mack, sagte Juli, ich habe mich vor dir gefrchtet. Dir war es ja auch nicht recht, alsich Rakhal heiratete.

    Alles vergessen, grunzte Magnusson, und ich habe fnf eigene Kinder, Miss Cargill...Mrs.... Er schwieg irgendwie bedrckt, denn er wute, da es in den Trockenstdten einetdliche Beleidigung ist, whlt man eine unpassende Anrede.

    Sie erriet den Grund seines Zgerns. Bitte, Mack, nenne mich Juli, wie frher. Das istjetzt ganz in Ordnung.

    Du hast dich verndert, bemerkte er ruhig. Gut denn, Juli. Erzhle nun Race, was dumir gesagt hast. Alles.

    Sie wandte sich an mich. Ich htte nicht fr mich selbst...

    Das wute ich, denn Juli war stolz, und sie hatte immer den Mut gehabt, mit ihren eigenenFehlern zu leben. Aber nun wute ich, da es nicht nur um die Klage einer verlassenen Frauoder um die ihres Kindes beraubte Mutter ging. Ich setzte mich, beobachtete sie und hrteihr zu.

    Du hast einen Fehler gemacht, Mack, als du Rakhal aus dem Service entlieest, begannsie. Auf seine Art war er der loyalste Mann, den du je auf Wolf hattest.

    Magnusson schien nicht damit gerechnet zu haben, da sie darauf anspielte. Er sah finsterdrein und rutschte unbehaglich in seinem Sessel herum. Doch Julie schien auf seine Antwortzu warten, denn sie sprach nicht weiter. Juli, erwiderte er deshalb, er lie mir keine Wahl.Ich wute doch nie, wie es in seinem Kopf aussah. Hast du eine Ahnung, was sein letzterHandel den Service gekostet hat? Und hast du das Gesicht deines Bruders genau angesehen,Juli?

    Langsam hob sie die Augen zu mir auf, und ich sah, wie sie zusammenzuckte. Ich wute,wie ihr zumute war. Seit drei Jahren hatte ich mich geweigert, in einen Spiegel zu schauen,und mein Drahtverhau von einem Bart diente nur dem einen Zweck - meine Narben zuverdecken und mir die Tortur des tglichen Rasierens zu ersparen.

    Rakhal sieht auch nicht besser aus. Sogar schlimmer, flsterte sie.

    Das ist eine gewisse Genugtuung, antwortete ich, und Mack starrte uns verblfft an.

    Aber selbst jetzt ahne ich noch nicht einmal, worum es eigentlich geht, fiel er mir insWort.

    Das wirst du auch nie begreifen. Wie oft hatte ich ihm das schon gesagt! Nur einer, derlange genug in den Trockenstdten gelebt hat, versteht es. Aber warum darber reden? Juli,erzhle weiter. Was fhrt dich nun eigentlich hierher? Und was ist mit dem Kind?

    Ich mu ganz von vorne anfangen, sonst knnt ihr gar nichts verstehen, meinte sie ver-nnftig. Zuerst arbeitete Rakhal als Hndler in Shainsa.

  • 15 TERRA ASTRA

    Das berraschte mich nicht. Die Trockenstdter waren praktisch die Trger des gesamtenHandels zwischen Wolf und Terra, und es war eigentlich ihr Verdienst, wenn die Terranerauf einer Welt, die nicht einmal zur Hlfte menschliches Leben aufwies, im allgemeinenfriedlich leben konnten.

    Die Menschen der Trockenstdte lebten praktisch zwischen diesen beiden Welten. Sie hat-ten mit den ersten Schiffen von Terra gehandelt und auf diese Art den Weg fr ein Imperiumfreigemacht. Trotzdem behielten sie ihren Stolz und ihre abweisende Haltung bei. Sie hat-ten sich niemals dazu hergegeben, sich terranisieren zu lassen, wie es auf anderen Planetenblich war.

    Handelsviertel gab es aber in den Trockenstdten nicht. Ein Erdenmensch, der sich un-geschtzt in eine dieser Trockenstdte begab, sah sich tausend Toden gegenber. Einige be-haupteten, die Mnner von Shainsa, Daillon und Ardcarran htten den Rest des PlanetenWolf an die Terraner verkauft, um diese von ihren eigenen Stadttoren fernzuhalten.

    Selbst Rakhal, der doch mit den Terranern seit seiner Jugendzeit zusammengearbeitet hat-te, war schlielich zu eigenen Entscheidungen gekommen und seine eigenen Wege gegangen.Es waren nicht die Wege Terras.

    Und das war es, was Juli nun sagte. Ihm gefiel nicht, was Terra auf Wolf tat. Ich weinicht recht, ob es mir gefllt...

    Hast du eine Ahnung, wie Wolf ausgesehen hat, als wir kamen? unterbrach Magnussonsie. Hast du die Sklavenkolonie, das Dorf der Idioten gesehen? Dein eigener Bruder gingnach Shainsa und erforschte den Lisse.

    Und Rakhal half ihm dabei, erinnerte ihn Juli. Er versuchte sich auch nach seinemAusscheiden aus gewissen Dingen herauszuhalten. Er htte einiges verraten knnen, waseuch zum Schaden gereicht htte, denn zehn Jahre im Dienste Terras...

    Das wute ich, aber auf keinen Fall wollte ich Juli erzhlen, da ich ihn whrend sei-nes jedem Terraner unerklrlichen Wutausbruches zu tten versucht hatte. Beide hatten wirgewut, da dann der Planet Wolf fr uns beide zu klein war. Wir konnten einander nichtewig ausweichen. Ich war in der Terranerzone einen langsamen Tod gestorben. Der Rest desPlaneten gehrte ihm.

    Aber er hat ihnen niemals etwas erzhlt! Er war einer der loyalsten Menschen...

    Ja, ja, grunzte Mack, ich wei, er ist ein Engel. Nun, weiter...

    Aber sie erzhlte nicht, sondern stellte eine Frage, die anscheinend vom Thema wegfhrte.Stimmt es, da das Imperium eine Belohnung ausgesetzt hat fr einen funktionierendenMaterietransmitter?

    Das Angebot steht seit mehr als dreihundert Jahren terranischer Zeitrechnung. Eine Mil-lion Credits. In bar. Aber behaupte jetzt nur nicht, er habe vorgehabt, einen zu erfinden.

    Das glaube ich nicht, aber ich meine, er hat von einem gehrt, den es schon geben soll.Mit diesem Geld, meinte er, knnte man ja glatt die Terraner aus Shainsa hinauskaufen. Unddamals fing alles an. Er ging und kam zu den seltsamsten Zeiten, und nie sagte er etwasdarber. Er sprach berhaupt nicht mehr mit mir.

    Wann war das ungefhr?

    Vor vier Monaten etwa.

    Das heit also, um die Zeit der Aufstnde in Charin.

    Sie nickte. Ja, zur Zeit des Geisterwindes war er dort. Mit Messerstichen in den Ober-schenkeln kehrte er zurck. Er wollte mir nichts erzhlen. Race, du weit, von Politik verste-he ich nichts, und ich will auch nichts davon wissen. Aber um diese Zeit kam das Groe Haus

  • Das Weltraumtor 16

    in Shainsa in andere Hnde. Ich bin berzeugt, Rakhal hatte damit etwas zu tun. Und dann...Sie verschrnkte ihre zusammengeketteten Hnde. Dann versuchte er Rindy mit hineinzu-ziehen. Das war heller Wahnsinn! Er brachte ihr Spielzeug aus den Stdten des Tieflandesmit, ich denke aus Charin. Nichtmenschliches Spielzeug. Das Zeug ngstigte mich. Aber ersetzte sich mit Rindy in die Sonne und lie sie hineinschauen. Das Kind babbelte allerhandwirres Zeug von kleinen Menschen, Vgeln und einem Spielzeugmacher.

    Die Ketten an ihren Hnden klirrten leise. Ich starrte sie dster an. Sie beschrnkten siekaum in ihrer Bewegungsfreiheit, denn sie waren lang. Sie waren ein symbolischer Schmuck,und die meisten Frauen in den Trockenstdten trugen sie ihr Leben lang. Trotzdem war mirdieser Anblick unbehaglich.

    Wir hatten einen schrecklichen Streit, fuhr Juli fort, und damals drohte ich ihm auch,ihn zu verlassen und Rindy mitzunehmen, weil ich Angst vor diesem Spielzeug hatte. Ichwarf das Zeug weg, und am nchsten Tag... Sie vermochte nicht mehr weiterzusprechenund schluchzte herzzerbrechend. Ich versuchte sie zu beruhigen. Er nahm mir Rindy weg!fuhr sie endlich fort. Oh, Race, er ist verrckt, wahnsinnig! Ich glaube, er hat Rindy. Race,er hat all ihr Spielzeug zerbrochen!

    Bitte, Juli, bitte, flehte Magnusson erschttert. Wenn wir es mit einem Irren zu tunhaben...

    Ich darf gar nicht daran denken, da er ihr etwas zuleide tun knnte! Er drohte mir, wennich je hierher ginge, wrde ich sie niemals wiedersehen. Ich mute aber kommen, und wennes einen Krieg zur Folge htte. Bitte, Mack, bitte, unternimm nichts gegen ihn. Er hat meinKind, meine kleine Rindy... Sie schlug ihre Hnde vor das Gesicht.

    Mack nahm einen Wrfel mit dem dreidimensionalen Bild seines ltesten, fnfjhrigenJungen in die Hand und spielte nervs damit. Juli, wir werden sehr vorsichtig sein. Aberdu mut verstehen, da wir ihn finden mssen. Wenn es nur die Mglichkeit eines Materie-transmitters in den Hnden von Terrafeinden gibt...

    Das verstand ich zwar auch, aber Julis verngstigtes Gesicht stellte sich bei mir zwischendieses Bild und ihr Unglck. Ich umklammerte die Armlehne des Sessels mit solcher Kraft,da das Plastik splitterte.Wre es Rakhals Hals gewesen...

    Mack, sagte ich, la mich das erledigen. Juli, soll ich Rindy suchen?Ein Hoffnungsschimmer flog ber ihr Gesicht, doch er starb fast im gleichen Moment.

    Race, er wird dich tten. Oder dich tten lassen.Versuchen wird er es jedenfalls, gab ich zu. Sobald Rakhal erfuhr, da ich mich auer-

    halb der Terranerzone aufhielt, drohte mir der Tod. Seit meinen Jahren in Shainsa wute ichdas. Doch jetzt war ich ein Erdenmensch und hegte nur Rachegefhle.

    Verstehst du denn nicht? Sobald er wei, da ich mich auerhalb der terranischen Zo-ne befinde, wird er sich gegen mich wenden und an keinen anderen Zwist mehr denken.Wir erreichen damit zweierlei: Er kommt aus seinem Versteck heraus, und falls er in einerVerschwrung steckt, wird er sie vergessen.

    Ich musterte die zitternde Juli, und pltzlich schnappte etwas in meinem Gehirn. MeineHnde krallten sich in ihre Schultern. Und ich werde ihn nicht tten, verstehst du? Ich werdedie ganze Hlle aus ihm herausprgeln. Ich werde wie ein Erdenmensch mit ihm umgehen.Nein, tten werde ich ihn nicht. Hast du gehrt, Juli? Denn es ist viel, viel schlimmer fr ihn,wenn ich ihn einfange und ihn dann am Leben lasse.

    Magnusson kam auf mich zu und lste meine verkrampften Finger von Julis Schultern.Das kannst du nicht tun, Cargill, sagte er. Weiter als bis Daillon wrdest du niemals kom-men. Seit sechs Jahren warst du nicht mehr auerhalb der Zone. Und auerdem... Er sah

  • 17 TERRA ASTRA

    mich voll an. Race, das sage ich nicht gerne, aber Menschenskind, gehe doch zu einemSpiegel und sieh dich an! Glaubst du, ich htte dich sonst je aus dem Secret Service zurck-gezogen? Wie, zum Teufel, willst du diese Narben verbergen?

    In den Trockenstdten gibt es viele Mnner mit Narbengesichtern. Rakhal wird sich andas meine wohl gut erinnern, aber sonst wird keiner mir einen zweiten Blick zuwerfen.

    Magnusson trat zum Fenster. Unter ihm breitete sich die helle Handelsstadt aus und da-hinter die endlose Wildnis. Ich hrte fast, wie das Getriebe in seinem Gehirn arbeitete. Un-vermittelt drehte er sich um.

    Race, ich habe schon frher solche Gerchte gehrt, aber du bist der einzige Mensch, dersie bis zu ihrem Ursprung verfolgen kann. Frher htte ich dich kaltbltig hinausgeschicktund damit gerechnet, da du dabei umkommst. Jetzt kann ich es nicht mehr. DieSpaceforcewird ihn aufstbern.

    Ich sprte, wie Juli den Atem anhielt. Nein, das wirst du nicht, erwiderte ich. Deinerster Schritt...

    Rindy war in seiner Hand, und wie ich Rakhal kannte, lagen ihm leere Drohungen nicht.Wir drei wuten nur allzu genau, was er tun wrde, wenn der lange Arm Terras sich nachihm ausstreckte. La, um Himmels willen, dieSpaceforceaus dem Spiel. Es soll aussehenwie eine persnliche Angelegenheit zwischen Rakhal und mir, und so wollen wirs halten.Denke daran, er hat das Kind.

    Magnusson seufzte. Ja, ich wei. Und auerdem... Wie viele Terraner sind nach all diesenAufstnden noch auf dem Planeten? Ein paar tausend, das ist alles. Wenn wir eine Rebellionriskieren, haben wir verspielt. Ein Blutbad wollen wir ja schlielich nicht anrichten. Klar,Bomben, Strahlengewehre und Lhmungswaffen haben wir genug, aber wrden wir auchwagen, sie einzusetzen? Und nachher, was dann? Wir sind hier, damit der Topf nicht ber-kocht, und um planetare Zwischenflle zu vermeiden, nicht sie auf die Spitze zu treiben.Und deshalb mssen wir Rakhal in die Hnde bekommen. Gib mir einen Monat Zeit,bat ich. Dann kannst du dich hineinknien, falls es ntig sein sollte. In einem Monat kannRakhal nicht viel gegen Terra unternehmen. Und mir knnte es gelingen, Rindy aus allemherauszuhalten.

    Magnussons Augen wurden hart. Wenn du meinem Rat zuwiderhandelst, kann ich dich,falls du in einen Schlamassel gertst, nicht herausholen. Und Gott sei dir gndig, wenn duMaschinen in Gang bringst, die du dann nicht mehr aufhalten kannst.

    Das wute ich. Ein Monat ist kurz, und Wolf hat einen Durchmesser von vierzigtausendMeilen. Die Hlfte davon ist unerforscht. Berge und Wlder sind durchsetzt mit Stdten derNicht- und Halbmenschen, in denen noch niemals ein Terraner war.

    Rakhal suchen, das hie einen Stern im Andromedanebel herauspicken wollen. Ganz un-mglich war es jedoch nicht.

    Okay, Cargill, sagte Mack schlielich langsam. Wir sind also alle verrckt, ich ebensowie du. Versuche es auf deine Art.

    4.

    Zur Zeit des Sonnenunterganges war ich reisefertig. In der Handelsstadt hatte ich nichtsmehr zu erledigen, denn meine ganze Ausrstung hatte ich schon veruert, ehe ich an Borddes Sternenschiffes gegangen war. Ich war also vllig unbeschwert von materiellen Gtern.

    Mack hatte noch immer Bedenken, aber ich hatte fast den ganzen Tag in den Archiven desNachrichtendienstes verbracht, um mein Gedchtnis aufzufrischen. Meine alten Berichte aus

  • Das Weltraumtor 18

    Shaina und Daillon waren meine aufschlureichsten Quellen. Einer der fr uns arbeitendenNichtmenschen war ausgeschickt worden, irgendwo in der Altstadt die Ausstattung einesTrockenstdters zu kaufen oder sonstwie zu erwerben und auch die brigen Dinge, die ichmitzunehmen gedachte. Am liebsten wre ich selbst gegangen, denn ich brauchte ein wenigbung. Allmhlich wurde mir nmlich klar, wieviel ich inzwischen vergessen haben mute,aber niemand sollte wissen, da Race Cargill Wolf nicht verlassen hatte, ehe es mir in denKram pate.

    In Kharsa durfte mich auch niemand sehen; erst mute ich mich als Trockenstdter ver-kleidet haben, denn diese Verkleidung war mir vor Jahren zur zweiten Natur geworden.

    Gegen Sonnenuntergang ging ich durch die sauberen Strchen der Terranerstadt zumHause Magnussons, wo Juli auf mich wartete.

    Die meisten Mnner des Zivildienstes und auch die, welche im Dienst des Imperiumsstehen, kommen von der Erde oder ihr naheliegenden Planeten wie Proxima und Alpha Cen-taurus. Sie sind ledig, wenn sie abreisen, und bleiben es auch, oder sie heiraten Mdchen ausden Planetenvlkern. Joanna Magnusson war eine der wenigen Erdenfrauen, die zusammenmit ihrem Mann vor zwanzig Jahren gekommen war. Unter ihnen gibt es wieder zwei Arten.Sie machen ihr Quartier zu einem Heim - oder zur Hlle. Joanna hatte aus ihrem Haus eineErdenecke gemacht.

    Ich wurde mir niemals klar darber, was ich vom Haushalt der Magnussons halten sollte.Unter einer roten Sonne leben und ins gelbe Licht kommen, auf einer Welt von Wolfs wilderSchnheit leben und so leben wie auf dem Heimatplaneten - ich verstand es nicht. Abervielleicht war ich einen Schritt hinter ihnen zurckgeblieben. Ich hatte mich angepat, unddas war irgendwie verdammenswert. Damit hatte ich aber auch die Fhigkeit verloren, michin die alte Welt einzufgen.

    Joanna, eine gemtliche, ein bichen rundliche Frau von etwa vierzig, ffnete die Tr undgab mir die Hand. Komm herein, Race. Juli wartet schon auf dich.

    Es ist reizend von dir... Wie sollte ich meine Dankbarkeit ausdrcken? Ich war mit Julivon der Erde gekommen, als sie noch ein Kind war. Mein Vater war Offizier auf dem altenSternenschiffLandfallund kam bei einem Unglck auf Prokyon ums Leben. Mack Magnus-son hatte mir eine Stelle im Nachrichtendienst besorgt, weil ich vier auf Wolf heimischeSprachen flieend sprach und zusammen mit Rakhal in Kharsa herumstreifte, wann immeres mir mglich war.

    Sie hatten Juli in ihr Haus aufgenommen und sie wie eine jngere Schwester gehalten. Siehatten auch Rakhal gern gehabt und also nicht viel gesagt, als damals der Bruch erfolgte. Dieschreckliche Nacht, als Rakhal und ich einander fast umgebracht htten und er mit bluten-dem Gesicht gekommen war, um Juli mit sich zu nehmen, hatte sie zutiefst verletzt. Zu mirwurden sie nur um so freundlicher.

    Unsinn, Race! unterbrach mich Joanna sofort. Was sollten wir denn sonst tun? Sie zogmich die Halle entlang. Hier kannst du mit ihr reden.

    Ich zgerte. Wie geht es Juli? fragte ich.Besser, glaube ich. Ich habe sie in Metas Zimmer zu Bett gebracht, und sie hat seither fast

    stndig geschlafen. Sie kommt wieder in Ordnung. Ich gehe, damit du mit ihr reden kannst.Sie ffnete die Tr und verschwand.

    Juli war wach und schon angekleidet, und ihr Gesicht zeigte nicht mehr die Versteinerungdes alten Schmerzes. Sie war traurig und hatte Angst, aber sie war nicht mehr hysterisch.

    Das Zimmer war klein. Auch der Chef des Secret Service bezog kein groes Gehalt, dennein Cop lebt nirgends ppig, besonders nicht mit fnf Kindern. Deshalb sah das Zimmerauch aus, als habe jeder von den Fnfen ein Stck davon zerlegt.

  • 19 TERRA ASTRA

    Ich setzte mich auf einen viel zu niedrigen Stuhl. Juli, sagte ich, viel Zeit haben wirnicht. Ehe es dunkel ist, mu ich in der Stadt sein. Ich will wissen, was Rakhal tut, wie erjetzt ist. Denke daran, da ich ihn seit Jahren nicht gesehen habe. Erzhle mir alles, was duweit, von seinen Freunden, seinen Vergngungen - einfach alles.

    Und ich glaubte immer, du kennst ihn besser als ich. Juli wickelte stndig ihre Kettenum die Finger, und das machte mich nervs.

    Es ist Routine, Juli. Polizeiarbeit. Ich mchte methodisch vorgehen.

    Sie konnte mir nicht sehr viel sagen. Es ist ziemlich einfach, auf Wolf zu verschwinden.Juli wute, da er mit den neuen Herren des Groen Hauses Shainsa auf freundschaftlichemFu stand, aber sie kannte nicht einmal deren Namen.

    Joanna klopfte an die Zimmertr und kam herein. EinChakist drauen, der dich sehenwill, Race, meldete sie mir.

    Ich nickte. Wahrscheinlich bringt er mir meine Kleider. Kann ich mich hier umziehen,Joanna? Und wrdest du mir diese Sachen hier aufheben, bis ich zurckkomme?

    An der Tr sprach ich mit dem pelzigen Nichtmenschen im Jargon von Kharsa, und erhndigte mir ein Bndel Lumpen, wie mir schien, aus. Es hatte innen einen harten Kern.Ich hre Gerchte in Kharsa, sagte derChakleise, vielleicht wird es ntzen,Raiss. DreiMnner von Shainsa sind in der Stadt. Suchen eine Frau, die verschwunden ist, und einenSpielzeugmacher. Kommen bei Sonnenaufgang wieder. Vielleicht kannst du mit ihrer Kara-wane reisen.

    Ich dankte ihm und nahm das Bndel mit ins Haus. Im leeren Hinterzimmer zog ich michvllig aus und wickelte das Bndel auf. Ich fand weite, gestreifte Kniehosen, einen schbi-gen, abgetragenen Hemdmantel mit riesigen Taschen und einen Grtel mit Schlingen, vondem die Goldverzierungen lngst abgerieben waren, so da das Grundmetall durchschien.Dazu gehrten knchelhohe Stiefel mit zusammengeknoteten Schnrsenkeln in verschiede-nen Farben. Auch eine Handvoll Amulette war dabei. Ich whlte die gebruchlichsten ausund hngte sie mir um den Hals.

    Ein kleiner Krug aus dem Bndel enthielt die Gewrze, mit denen der Trockenstdterseine Nahrung zu wrzen pflegt. Ich rieb mit einem der Pulver meinen Krper ein, steckteeine Prise davon in die Manteltasche und kaute ein paar getrocknete Beeren. Die Gerchewaren scharf, und frher hatte ich sie gut gekannt.

    Ich fand auch einen Dolch, der im Gegensatz zu den abgetragenen Kleidern nagelneu war,und seine Klinge glich der eines Rasiermessers.

    Ich schob ihn hinter die Mantelschnalle und fhlte mich sofort sicherer. Es war die einzigeWaffe, die ich mit mir zu fhren wagte.

    Der letzte harte Gegenstand war ein flaches Holzkstchen mit Deckel. Innen war es in vieleschaumgummigeftterte Fcher geteilt, von denen jedes winzige Linsen enthielt. Auf Wolfwaren optische Glser ebenso kostbar wie Juwelen. Es waren Kamera- und Mikroskoplinsen,sogar etliche Brillenglser. Es muten mindestens hundert Stck sein.

    Sie waren mein Vorwand fr meine Reise nach Shainsa. Einige terranische Erzeugnissewie Vakuumrhren, Transistoren, Linsen, Alkohol und kleine, feinmechanische Werkzeugesind ihr Gewicht in Platin wert. Selbst in Stdten, die noch kein Terraner betreten hatte,wurden sie zu exorbitanten Preisen gehandelt, und der Handel damit ist ein Privileg derTrockenstdte. Rakhal handelte mit feinen Drhten und chirurgischen Instrumenten, wie Julimir erzhlt hatte. Wolf ist ein nichtmechanisierter Planet und hat nie eine entsprechendeIndustrie oder wenigstens die Anstze dazu entwickelt.

  • Das Weltraumtor 20

    Ich ging wieder in Julis Zimmer. In einem Spiegel betrachtete ich mich. Jede Spur derterranischen Zivilbediensteten war in den schbigen, schlechtsitzenden Kleidern unterge-gangen. Ich war ein groer, narbiger Trockenstdter.

    Joanna wurde bla, als sie mich sah. Du meine Gte, Race, fast htte ich dich nichterkannt! Sie lchelte nervs.

    Ja, flsterte Juli, so erinnerst du mich mehr an... an...

    Die Tr wurde aufgerissen, und Mickey Magnusson stampfte herein. Er war ein kleiner,krftiger Bursche, der von einer Sonnenlampe braungebrannt war und vor Gesundheit strotz-te. In seiner Hand hielt er einen kleinen Gegenstand, von dem bunte Blitze ausgingen.

    Ich lachte den Kleinen an, und erst dann fiel mir ein, da ich ja fremd aussah und er michwohl kaum in meiner Verkleidung erkannte. Er zog sich vorsichtig zurck, und Joanna legteihm beruhigend eine Hand auf die kleine Schulter.

    Mickey wackelte auf Juli zu und hielt ihr das glnzende Ding entgegen, das er sehr zulieben schien. Juli bckte sich zu ihm hinunter und breitete die Arme aus, aber dann verzerrtesich ihr Gesicht, und sie versuchte, ihm das Spielzeug wegzunehmen.

    Mickey, was ist das? fragte sie.

    Gehrt mir! sagte er und versteckte es hinter dem Rcken.

    Bitte, zeige es mir! bat Juli, und langsam brachte der Junge seine Hand hinter demRcken hervor. Es war ein Kristallprisma in Sternform, das in einem Rahmen hing. DerStern schwang frei, und man konnte ihn zum Tanzen bringen, und dann erschienen immerwieder neue komische Gesichter.

    Mickey war begeistert, weil er im Mittelpunkt des Interesses stand, und mit jeder Drehungerschien ein neues, bejubeltes Gesicht, manchmal menschlich, manchmal nichtmenschlich,immer aber ein wenig verzerrt. Auch mein Gesicht und das Joannas und Julis kamen alsKarikaturen heraus.

    Juli war auf den Boden geglitten, sttzte sich mit beiden Hnden auf und war leichenbla.Race! rief sie Race, du mut zu erfahren versuchen, woher er dieses... dieses Ding hat!

    Ich bckte mich und schttelte sie. Was ist denn los mit dir? Sie war wieder in denschlafwandlerischen Zustand des Entsetzens zurckgeglitten, in dem ich sie heute frh gese-hen hatte. Das ist kein Spielzeug, flsterte sie. Rindy hatte auch eines. Joanna, woher hatMickey dieses Ding? Entsetzt deutete sie auf den schwingenden Stern.

    Joanna berlegte. Nun, das wei ich selbst nicht. Vielleicht hat einer derChakses ihmgegeben. Es wird aus dem Basar stammen. Er liebt es sehr. Juli, stehe vom Boden auf!

    Juli zog sich auf die Beine. Rindy hat auch eines. Es... erschreckte mich. Stundenlang sasie da und schaute hinein. Ich habe dir davon erzhlt, Race. Einmal warf ich das Ding weg,und als sie aufwachte, brllte sie stundenlang und suchte es schlielich im Abfallhaufen, aufden ich es geworfen hatte. Dabei hat sie sich alle Fingerngel abgebrochen, bis sie es fand.

    Du sollst dich darber nicht so aufregen, meinte Joanna mit leisem Tadel in der Stimme.So sehr hngt Mickey auch wieder nicht daran, und ich werde es sowieso wegwerfen. Siedrehte den kleinen Burschen zur Tr um und gab ihm einen auffordernden Klaps. Du wirstsicher mit Race noch allein sprechen wollen, ehe er abreist. Viel Glck, Race, wohin duauch immer gehen willst. Sie hielt mir ihre Hand entgegen. Und wegen Juli mache dirkeine Sorgen, fgte sie hinzu. Wir passen auf sie auf.

    Juli stand am Fenster und sah hinaus in die rote Sonne. Joanna hlt mich fr verrckt,Race, sagte sie.

    Nein, nur fr erregt.

  • 21 TERRA ASTRA

    Rindy ist ein eigenartiges Kind, eine richtige Trockenstdterin. Aber ich bilde es mirnicht nur ein, Race. Es gibt da etwas... Sie begann wieder zu schluchzen.

    Hattest du Heimweh, Juli?

    Ein bichen. Wenigstens in den ersten Jahren. Aber ich war glcklich, Race, glaube esmir. Trnen glnzten auf ihrem Gesicht. Bitte, glaube mir, da ich es nie auch nur eineMinute lang bereut habe.

    Darber bin ich froh, bemerkte ich dster.

    Nur dieses Spielzeug...

    Vielleicht ist es der Schlssel zu irgend etwas. Auch mich hatte das Ding an etwaserinnert, und ich versuchte, es in meinem Gedchtnis zu finden. Ich hatte nichtmenschlichesSpielzeug in Kharsa gesehen, es sogar fr Macks Kinder gekauft.

    Nur einmal hatte ich so etwas gesehen, und das war gestern gewesen. Der Spielzeugver-kufer hatte in seinem Korb eine Anzahl dieser Prismen gehabt; jener, der im Straenschreinverschwunden war.

    Wie hatte er ausgesehen? Ich konnte mich nicht recht erinnern. Juli, fragte ich, hast duje einen kleinen Mann gesehen, vielleicht einemChakhnlich, nur ein wenig kleiner undbucklig? Er verkauft Spielzeug...

    Sie sah mich verstndnislos an. Nein, das glaube ich nicht. In den Polarstdten gibt esallerdings Zwergchaks, ich kann mich aber nicht erinnern, je einen gesehen zu haben.

    Ach, es war nur eine Idee. Aber ich mute darber nachdenken. Ein Spielzeugverkuferwar verschwunden. Rakhal hatte, ehe er verschwand, alle Spielsachen von Rindy zerschla-gen. Und der Anblick eines Spielzeugs aus geschnittenem Kristall hatte bei Juli fast einenhysterischen Anfall ausgelst.

    Ich glaube, ich sollte gehen, ehe es ganz dunkel ist, sagte ich, schlo meinen Mantel,prfte den Sitz meines Dolches und zhlte das Geld, das mir Mack als Vorschu ausgezahlthatte. Ich will nach Kharsa gehen und mich einer Karawane nach Shainsa anschlieen.

    Gehst du zuerst nach Shainsa?

    Wohin denn sonst?

    Juli lehnte sich an die Wand. Sie sah sehr zerbrechlich und Jahre lter aus, als sie war.Dann warf sie Arme um meinen Hals. Die Kette an ihren Hnden schlug mir schmerzhaft insGesicht. Race, Race, er wird dich tten! schrie sie. Wie soll ich damit leben knnen?

    Du kannst mit einer ganzen Menge auf deinem Gewissen leben, antwortete ich undnahm ihre Arme von meinem Hals. Ein Kettenglied blieb an der Schnalle meines Mantelshngen, und wieder schnappte etwas in mir. Ich nahm die Kette, ri mit aller Kraft daran undzerbrach sie. Ein Ende traf Juli unter dem Auge. Ich zerrte an den Armfesseln, bis ich siegeffnet hatte. Dann warf ich das ganze Zeug in eine Ecke.

    Verdammt! brllte ich, damit ist es jetzt vorbei! Du wirst nie mehr dieses widerlicheZeug tragen! Vielleicht verstand Juli nach sechs Jahren Trockenstadt, was sechs Schreib-tischjahre fr mich gewesen waren.

    Juli, ich werde deine Rindy finden, und ich bringe dir deinen Rakhal lebend. Aber fragemich nicht, wie ich das mache. Lebend. Mehr wei ich selbst nicht.

    Er wrde leben, wenn ich mit ihm fertig war. Gerade noch leben.

    5.

  • Das Weltraumtor 22

    Es dmmerte schon, als ich schbig und unverdchtig durch eine Seitentr auf den Raum-hafenplatz schlpfte. Dort, wo die gelben Lampen aufhrten, begann die Altstadt, in der eserst nachts richtig lebendig wurde. Aus den Kieselhusern eilten Mnner und Frauen, Men-schen und Nichtmenschen auf die mondbeschienenen Straen hinaus.

    Ich glaube nicht, da man mich bemerkte, aber wenn, dann hielt man mich sicher fr einenVagabunden aus den Trockenstdten, der ein wenig neugierig war, wie es in der Welt derFremden von den anderen Sternen zuging. Nun kehrte er dorthin zurck, wohin er gehrte.Ich bog in eines der kleinen Hintergchen ein.

    Kharsa kannte ich, doch in den vergangenen sechs Jahren hatte ich es nur gelegentlich beiTag gesehen.

    Die Strae stieg an. Bei einer Kehre sah ich zurck; unter mir lag der hellerleuchteteRaumhafen, und wie ein schwarzer, vielfenstriger Riesenschatten stand der Wolkenkratzerim rot-violetten Licht der Monde da. Ich drehte ihm den Rcken zu und ging weiter.

    Am Rand des Diebesmarktes blieb ich vor einem Weinhaus stehen, in dem Trockenstdtergern gesehen waren. Ein goldfarbenes Nichtmenschenkind murmelte etwas, als es an mirvorbeiging, und fast bekam ich nun Lampenfieber. War der Dialekt von Shainsa auf meinerZunge eingerostet? Mit Spionen machte man auf Wolf kurzen Proze, und eine Meile vomRaumhafen entfernt bot mir das Gesetz Terras ebensowenig Schutz wie auf einem der Mon-de. Ich hatte ja auch keinen Schocker mehr auf dem Rcken. Und jemand mochte sich derGeschichte eines Erdenmannes erinnern, der verkleidet nach Shainsa gegangen war...

    Ich zog den Hemdmantel fester um meine Schultern und ging hinein. Rakhal wartete ja aufmich, wenn auch nicht hinter dieser Tr. Irgendwo. Und in Shainsa gibt es ein Sprichwort:Ein Weg ohne Anfang hat kein Ende.

    Was mochte Rakhal tun, wenn er wirklich zum Renegaten geworden war? Unwillkrlichstrich mein Finger ber die Narbe an meinem Mund. In diesem Augenblick dachte ich nuran Rakhal und an die Blutfehde zwischen uns; an meine Rache.

    Drinnen brannten rote Lampen. Ein paar Mnner lmmelten auf schmutzigen Sofas. Ichfand einen leeren Platz, lie mich nieder und benahm mich automatisch so ungeniert, wiesich jeder Trockenstdter innerhalb eines Hauses benimmt. In der ffentlichkeit sind sieformell, halten sich stocksteif, unter sich sind sie mehr als zwanglos. Nur einer, der einenMrder zu frchten hat, ist auf der Hut.

    Ein Mdchen mit einem auf den Rcken baumelnden Zopf kam zu mir. Sie war eineAngehrige der untersten Klasse, denn sie trug keine Kettenfesseln. Ihr Pelzrock war schbigund schmutzig. Ich bestellte Wein. Als er kam, fand ich ihn erstaunlich gut, denn es warder se, trgerische und verfhrerische Wein von Ardcarran. Ich trank ihn langsam undschluckweise.

    Falls eine Karawane nach Shainsa morgen aufbrche, wte man es hier. Dann brauchteich nur ein Wort fallenzulassen, da ich dorthin zurckzukehren gedachte. Eine Einladungwar selbstverstndlich. Das war eine Sitte, die sich nicht umgehen lie.

    Ich schickte das Mdchen ein zweites Mal nach Wein. Da stand einer der Mnner in meinerNachbarschaft auf und kam zu mir herber. Er war selbst fr einen Trockenstdter gro, undirgendwie kam er mir ein wenig bekannt vor. Sein Hemdmantel war aus Seide, die dick mitmetallischen Fden durchwoben und mit schweren Stickereien geschmckt war. Der Griffseines Dolches war aus einem einzigen grnen Stein geschnitten. Er blickte mich lange an.

    Eine Stimme vergesse ich nie, sagte er, doch an dein Gesicht erinnere ich mich nicht.Bin ich dir irgendwie verpflichtet?

  • 23 TERRA ASTRA

    Ich hatte mit dem Mdchen den Jargon von Kharsa gesprochen, doch dieser Mann redetemit mir im Singsang von Shainsa. Ich gab keine Antwort, sondern lie ihn durch eine Gesteverstehen, er mge sich doch setzen. Auf Wolf ist die formelle Hflichkeit eine komplizierteAngelegenheit; eine direkte Frage wird als Grobheit betrachtet, eine direkte Antwort alsZeichen von Dummheit. Einen Drink?

    Ich habe mich unaufgefordert zu dir gesetzt, erwiderte er und winkte dem Zopfmdchen.Bring uns besseren Wein als dieses Splwasser! befahl er.

    Nun erkannte ich ihn, und ich bi mir auf die Lippen. Das war doch dieses Gromaul ausdem Raumhafencafe, und der Bursche rannte beim Anblick des Mdchens mit dem gestick-ten Krtengott auf der Brust davon. Aber er hatte mich im drftigen Licht nicht erkannt.Deshalb rckte ich nun absichtlich in den helleren Lampenschein. Erkannte er mich auchjetzt nicht als den Terraner, den er erst in der vergangenen Nacht herausgefordert hatte, dannwrde mich niemand erkennen. Er starrte mich nachdenklich an, zuckte die Achseln und goWein in die Glser.

    Wenig spter wute ich, da er Kyral hie und als Hndler mit Draht und feinen Werk-zeugen durch die nichtmenschlichen Stdte zog. Ich hatte ihm den Namen gesagt, den ichgewhlt hatte: Rascar.

    Du denkst daran, nach Shainsa zurckzukehren? fragte er.

    Das konnte eine Falle sein, und ich zgerte ein wenig, doch die Frage erschien mir harm-los. Ich antwortete daher mit einer Gegenfrage. Warst du lange in Kharsa? Einige Wo-chen. Hast du Handel getrieben? Nein. Ich suchte nach einem Mitglied meiner Familie.

    Hast du ihn gefunden?

    Sie, sagte Kyral und spuckte zeremonis. Nein, ich habe sie nicht gefunden. WelcheGeschfte hast du in Shainsa?

    Ich, sagte ich lachend, suche dort nach einem Mitglied meiner Familie.

    Er kniff die Augen zusammen, als vermute er, da ich ihn verspotten wolle, aber dieTrockenstdter halten sich bedingungslos an die Sitte, sich nicht in die Angelegenheitenvon Fremden zu mischen. Er stellte daher keine Fragen mehr.

    Ich knnte noch einen Mann brauchen, der mir bei den Ladungen hilft, sagte er. Kennstdu dich mit Packtieren aus? Wenn ja, dann kannst du im Schutz meiner Karawane reisen.

    Ich sagte ihm zu, und dann berlegte ich mir, da er doch eigentlich Juli und Rakhalkennen mute. Kennst du einen Hndler, der sich Sensar nennt? fragte ich ihn.

    Seine Augen musterten meine Narben, doch dann schien ein Vorhang ber sein Gesichtzu fallen, aber ich sah noch ein zufriedenes Aufleuchten in seinen Augen. Nein, log er undstand auf. Wir reisen beim ersten Morgenlicht. Richte deine Sachen her. Er warf mir etwaszu, und ich fing es im Flug auf. Es war ein Stein mit Kyrals eingraviertem Namen in denSchriftzeichen von Shainsa. Wenn du willst, kannst du bei der Karawane schlafen. ZeigeCuinn dieses Ding.

    *

    Kyrals Karawane lagerte auf einem Brachfeld jenseits der Stadtgrenzen von Kharsa. Un-gefhr ein Dutzend Mnner war mit den Packtieren beschftigt. Es waren Pferde, die gr-tenteils aus Darkover stammten. Den ersten Mann, der mir begegnete, fragte ich nach Cuinn.Er deutete auf einen stmmigen Burschen in einem glnzenden roten Hemdmantel, der aufeinen jungen Mann einschimpfte, weil er den Sattel bei seinem Tier falsch aufgelegt hatte.

  • Das Weltraumtor 24

    Die Sprache von Shainsa ist gut, wenn man fluchen will, aber Cuinn hatte ein Spezialtalentdafr. Ich blinzelte bewundernd, whrend ich wartete, bis er wieder Atem holen mute, soda ich ihm Kyrals Siegel zeigen konnte.

    Ich hatte damit gerechnet, und im Licht seiner Laterne erkannte ich ihn als den zweitenTrockenstdter, der mich im Caf angerempelt hatte. Cuinn besah sich kaum den Stein unddeutete auf eines der Packpferde. Da kannst du deine Habe aufladen, sagte er, und dannerklrst du diesem schwammhirnigen Sandalentrger - das war eine besonders schlimmeBeleidigung fr einen Trockenstdter -, wie er einen Packsattel festziehen mu.

    Auch er schien mich nicht erkannt zu haben. Ich nahm den Sattelriemen und fhrte ihndurch die Schlaufe. So geht es, erklrte ich dem Jungen, und Cuinn hrte nur so lange zufluchen auf, um mir anerkennend zunicken zu knnen. Dann deutete er auf einen HaufenKisten und andere Packstcke.

    Hilf ihm, das Zeug da aufzuladen. Bei Tagesanbruch brechen wir auf. Damit ging erweiter, um einen anderen anzufluchen.

    Kyral kam in der Morgendmmerung, und wenige Minuten spter war das Lager nur nochein kleiner Berg Abfall. Wir waren unterwegs.

    Trotz Cuinns Fluchen war Kyrals Karawane gut gefhrt und ebenso gut ausgestattet. ElfMnner waren Trockenstdter, sehr tchtig und schweigsam, die meisten auch sehr jung.Mit den Tieren gingen sie geschickt um, und nachts saen sie an den Feuern und wrfeltenschweigend.

    Drei Tage spter begann ich mir Cuinns wegen Sorgen zu machen.

    Natrlich war es ausgesprochenes Pech, alle drei Mnner vom Raumhafencafe in dieserKarawane zu finden, aber er schien mich nicht einmal bei Tageslicht zu erkennen. Der zweitewar ein Junge, der mich berhaupt nicht beachtete.

    Anders war es mit Cuinn. Er stand etwa im gleichen Alter mit mir, und seine zornigen,scharfen Augen waren von einer Schlauheit, der ich nicht ganz traute. Er beobachtete michimmer wieder, und wenn er sich mit mir unterhielt, stellte er mir ziemlich direkte Fragen, dieeinem Trockenstdter sonst nicht erlaubt waren. Ich rechnete schon mit der Notwendigkeit,ihn zu tten, ehe wir Shainsa erreichten.

    Wir berquerten die Vorberge und zogen den Bergen entgegen. In den ersten paar Tagenwar ich immer ein wenig kurzatmig, doch dann gewhnte ich mich rasch an die dnnereLuft, und ich fgte mich leicht in die Gemeinschaft der Karawane ein.

    Gelegentlich wurde der Pfad so steil und schmal, da die Mnner absteigen muten, umdie Tiere allein ihren Weg finden zu lassen. In diesen Hhen war die Sonne um die Mit-tagszeit heller und rter als in der Ebene, und die Trockenstdter, die aus dem Tiefland derSeegrnde kamen, zogen sich Sonnenbrand und Blasen zu. Ich war ja unter der gleiendenErdensonne aufgewachsen, und die rote Sonne von Wolf tat mir nichts zuleide. Schon dashtte mich verdchtig machen knnen, und Cuinns mitrauische Augen beobachteten mich.

    Dann berquerten wir die Psse und begannen den langen Abstieg durch die Wlder. Jetztwaren wir im Gebiet der Nichtmenschen. Wir stemmten uns gegen den Geisterwind undumgingen das Land um Charin, denn die Wlder waren von den schrecklichen Ya-Mnnernbewohnt, vogelhnlichen Kreaturen, die zu Kannibalen werden, wenn der Geisterwind weht.

    Spter wand sich der Pfad durch dicke Wlder aus indigofarbenen Bumen und grau-purpurnen Bschen, und nachts hrten wir das Heulen der Katzenmnner. Nachts stelltenwir Wachen auf, und die Dunkelheit war voll huschender Schatten, seltsamer Gerusche undGerche.

  • 25 TERRA ASTRA

    . Trotzdem vergingen die Tage ziemlich ereignislos - bis zu jener Nacht, da ich zusammenmit Cuinn Wache hatte. Ich stand am Rand des Lagers, und hinter mir loderte das Wachfeuer.Die Mnner schliefen und schnarchten am Feuer. Die Packtiere lagen an Hoppelleinen undschnaubten unbehaglich.

    Hinter mir hrte ich Cuinns Schritt. Am Waldrand raschelte und wisperte etwas, und ichdrehte mich zu ihm um, da ich ihn darauf aufmerksam machen wollte. Doch ich sah ihn anden Rand der Lichtung huschen.

    Zuerst dachte ich mir nichts dabei und ging ein paar Schritte auf die Stelle zu, wo erverschwunden war. Aber dann sah ich zwischen den Bumen ein Licht flackern. Es war dieLaterne, die Cuinn in der Hand hielt, und er signalisierte damit!

    Ich nahm meinen Dolch aus der Mantelschnalle und folgte ihm. Im schwcher werdendenLicht des Wachfeuers glaubte ich glhende Augen zu sehen, die mich beobachteten. Ichtat einen Satz, und da wlzten wir uns auch schon auf dem Boden. Ich griff nach seinemHandgelenk, um den Dolch in seiner Hand von meinem Hals wegzudrcken. Sei doch keinNarr! keuchte ich. Ein Schrei, und das ganze Lager ist wach. Wem hast du signalisiert?

    Im Licht der zu Boden gefallenen Laterne sah er fast nichtmenschlich aus. Er lie seinenDolch fallen. La mich los, sagte er.

    Ich stand auf und versetzte seinem Dolch einen Tritt. Steck das Ding weg, fauchte ichihn an. Was, zum Teufel, hast du dir dabei gedacht. Willst du uns die Katzenmnner auf denHals schicken?

    Einen Augenblick lang schien er verwirrt zu sein, doch dann verschlo sich sein Gesichtwieder. Kann ein Mann nicht einmal ein paar Schritte zur Seite gehen, ohne gleich ermordetzu werden? murrte er.

    Ich sah ihn wtend an, doch ich war mir klar, da ich nichts Handfestes gegen ihn vor-bringen konnte. Ich htte auch mein Messer gezckt, wenn mich jemand von rckwrts an-gesprungen htte. Das machst du besser nicht noch einmal, sagte ich daher nur. Wir sindschlielich alle ziemlich nervs.

    Weitere Zwischenflle gab es in dieser und der nchsten Nacht nicht. In der bernchstenjedoch lag ich in Mantel und Decke gewickelt am Feuer und sah Cuinn aus seiner Bettrolleschlpfen und davonhuschen. Einen Moment spter bemerkte ich in der Dunkelheit einenLichtschein, aber ehe ich aufstehen und den Burschen zur Rede stellen konnte, kehrte erzurck, musterte vorsichtig die schnarchenden Mnner und kroch in seine Decken.

    Als wir im nchsten Lager abluden, kam Kyral zu mir. Hast du in letzter Zeit etwasUngewhnliches bemerkt? fragte er. Ich habe das Gefhl, wir werden verfolgt. Morgenwerden wir endlich diese Wlder hinter uns haben, und dann liegt eine offene Strae bisShainsa vor uns. Falls etwas passiert, dann diese Nacht.

    Ich berlegte mir, ob ich ihm von Cuinns Signalen sagen sollte, doch dann verwarf ich denGedanken. Ich hatte in Shainsa meine eigenen Geschfte, und warum sollte ich mich in dieIntrigen anderer Leute mischen?

    Heute wirst du wieder mit Cuinn Wache halten. Die alten Mnner dsen, und die jungentrumen. Sonst knnen sie das ruhig tun, aber diese Nacht will ich jemanden auf Wachehaben, der die Augen offenhlt. Kennst du Cuinn von frher her?

    Nie gesehen.

    Komisch. Ich hatte doch das Gefhl... Er zuckte die Achseln, drehte sich um und bliebstehen. berlege dirs nicht zweimal, das Lager zu alarmieren, falls du etwas bemerkst.Besser ein falscher Alarm als ein berfall, der uns im Schlaf berrascht. Das wre schlecht,

  • Das Weltraumtor 26

    wenn es zum Kampf kme. Wir haben zwar alle Dolche, aber ich glaube, im ganzen Lagerist nicht ein einziger Schocker zu finden. Hast du vielleicht zufllig einen?

    Nachdem die Mnner sich zum Schlaf um das Feuer gelegt hatten, kam Cuinn, der dieLagergrenzen abschritt, zu mir. Weit du, fragte er, was dort im Wald los ist?

    Keine Ahnung. Vielleicht Katzenmnner auf Beutegang. Sie knnten der

    Meinung sein, Pferde seien eine gute Mahlzeit - oder wir.

    Meinst du, es knnte zu einem Kampf kommen?

    Das kann ich nicht sagen. Er musterte mich einen Augenblick. Und wenn es dazukommt?

    Dann kmpfen wir. Aber sofort hielt ich den Atem an, denn Cuinn hatte in der Stan-dardsprache der Erde mit mir gesprochen, und ich hatte automatisch in der gleichen Sprachegeantwortet. Er grinste. Das dachte ich mir! Und was willst du dagegen tun? fragte ichund packte ihn grob an der Schulter.

    Das hngt von dir ab und von dem, was du in Shainsa willst. Sage mir die Wahrheit. Washast du in der Terrazone getan? Er gab mir keine Zeit zu einer Antwort. Du weit doch,wer Kyral ist, oder?

    Ein Hndler, erwiderte ich, der mir einen Lohn zahlt und sich im brigen um seineeigenen Angelegenheiten kmmert. Ich zog mich zurck, hatte die Hand an meinem Dolchund machte mich auf einen Angriff gefat. Doch er machte keine verdchtige Bewegung.

    Kyral hat mir gesagt, da du nach Rakhal Sensar gefragt hast, sagte er. Sehr klug. Aberich htte dir sagen knnen, da er Rakhal nie gesehen hat. Ich...

    Er brach ab, denn aus dem Wald ertnte ein langes, schauriges Heulen. Wenn du siehergezogen hast... knirschte ich.

    Er schttelte den Kopf. Ich mute versuchen, den anderen Bescheid zukommen zu lassen,aber es geht nicht. Wo ist das Mdchen?

    Ich hrte kaum, was er sagte, denn ich vernahm das leise Splittern von Zweigen und einenschleichenden Schritt. Ich drehte mich um, da ich das Lager alarmieren wollte. Cuinn packtemich am Arm. Schnell! Sage erst, wo das Mdchen ist. Gehe zurck und sage ihr, da esnicht geht! Wenn Kyral Verdacht schpft... Den Satz beendete er nie. Hinter uns ertntewieder dieses schauerliche Heulen. Ich stie Quinn weg, und dann war pltzlich die ganzeNacht erfllt von geduckten Gestalten, die wie ein Wirbelwind ber uns herfielen.

    Ich brllte das Lager wach. Jeder hatte um sein Leben zu kmpfen. Ich rannte, noch immerbrllend, auf die Lichtung zu, wo wir die Pferde angebunden hatten. Ein schlanker, schwarz-pelziger Katzenmann schnitt eben die Hoppelleine eines Pferdes durch. Ich warf mich aufihn, doch er hieb mir seine nadelspitzen Krallen in die Schulter. Ich stie mit meinem Dolchzu und ri ihn aufwrts. Die Krallen zogen sich in meiner Haut zusammen, und ich sthntevor Schmerz. Und dann fiel das Wesen heulend von mir ab und schlug mit den Tatzen in dieLuft. Dann lag es still.

    Vier Schsse pfiffen in kurzer Folge ber die Lichtung. Es mute also doch jemand einePistole haben, obwohl Kyral nicht damit gerechnet hatte. Eines von diesen Katzenwesenkreischte. Etwas packte mich am Arm, doch ich stie mit dem Dolch zu; als Krallen inmeinen Rcken schlugen, ging ich zu Boden und rollte mich herum.

    Das Ding fiel schlaff von mir ab.

    Rascar, hrte ich ein keuchendes Sthnen. Ich wirbelte herum und sah Kyral zu Bodengehen unter mindestens einem halben Dutzend wtender Nichtmenschen. Ich warf mich aufeinen, ri ihn weg, stie das Messer in seine Kehle...

  • 27 TERRA ASTRA

    Ich hrte einen miauenden Warnschrei. Dann tauchten die pelzigen Wesen so leise, wiesie gekommen waren, im Wald unter. Kyral sa benommen auf dem Boden. Von seiner Stirnflo Blut, und sein Arm war bis auf den Knochen aufgerissen.

    Nun mute jemand das Kommando bernehmen. Licht machen! schrie ich. Wenn wirgenug Licht haben, kommen sie nicht wieder. Sie sehen nur in der Dunkelheit!

    Jemand schrte das Feuer. Die drren Zweige brannten hell. Einen von den Jungen schick-te ich davon, damit er jede verfgbare Laterne anznde. Vier tote Pelzwesen lagen in derLichtung; die lie ich fortschaffen. Dann sah ich nach Kyral. Er blutete aus einer flachenWunde am Kopf, doch die Armverletzung war bedenklicher. Trotzdem bestand er darauf,sich um die Verletzungen der anderen kmmern zu wollen.

    Alle hatten Wunden, doch sie waren nicht schwer. Das stellten wir ziemlich erleichtertfest, bis pltzlich jemand fragte: Wo ist denn Cuinn?

    Er war nirgends. Kyral wollte ihn suchen lassen, doch ich hatte das Gefhl, wir wrdenihn ja doch nicht finden. Vielleicht ist er mit seinen Freunden verschwunden, knurrte ichund erzhlte ihm von den Signalen. Kyral blickte sehr ernst drein.

    Das httest du mir sofort sagen sollen, begann er, aber vom anderen Ende der Lichtunghrten wir Rufe. Wir eilten hinber und stolperten fast ber eine am Boden liegende Gestalt,deren blinde Augen zu den Monden hinaufstarrten.

    Es war Cuinn.

    6.

    Nachdem wir den Wald verlassen hatten, lag die Strae zu den Trockenstdten frei vor uns.Ein paar Mnner hinkten noch einige Tage, andere hatten Armwunden davongetragen, aberich glaubte es Kyral, als er sagte, eine Karawane, die nur einen einzigen berfall abzuwehrenhabe, sei besonders glcklich.

    Der Gedanke an Cuinn verfolgte mich. Den Katzenmnnern hatte er nicht signalisiert,dessen war er sicher; seine Frage nach dem Mdchen bewies das und lie mich nicht mehrlos. Fr wen hatte er mich gehalten? Er mute glauben, ich sei in eine Sache verstrickt, dieich nicht kannte. Aber wer waren die anderen, denen er Signale gab, egal, ob er damit einenAngriff der Katzenmnner heraufbeschwor, bei dem er schlielich das Leben einbte?

    Da Kyral davon berzeugt war, da ich ihm das Leben gerettet hatte, fiel der grte Teil derVerantwortung fr die Karawane nun mir zu. Das machte mir sogar Spa, denn es lenkte michein wenig von meinen eigenen Sorgen ab. In den Tagen und Nchten der Karawanenreisewurde ich langsam wieder zu dem Trockenstdter, der ich einst gewesen war. Ich wutegenau, wie leid es mir tun wrde, schlossen sich erst einmal die Stadttore von Shainsa hintermir, denn dann gab es fr mich nur wieder die Blutfehde und meine eigenen Schwierigkeiten.

    Wir verlieen die direkte Strae nach Shainsa, da Kyral die Absicht hatte, einen halbenTag in Canarsa zu bleiben, denn diese ummauerte Stadt der Nichtmenschen versprach guteGeschfte.

    Einen Ruhetag haben wir dringend ntig, und die Schweigenden kaufen von mir, obwohlsie wenig Handel treiben mit Menschen. Und dir bin ich etwas schuldig. Du hast doch Linsenbei dir? In Canarsa kannst du bessere Preise dafr erzielen als in Ardcarran oder Shainsa.Begleite mich, dann will ich fr dich sprechen.

    Kyral war seit jener Nacht immer ungemein freundlich zu mir, und wollte ich mich nichtselbst verraten, mute ich auf seinen Vorschlag eingehen. Viel Lust hatte ich dazu allerdingsnicht. Selbst mit Rakhal hatte ich niemals eine Stadt der Nichtmenschen betreten.

  • Das Weltraumtor 28

    Auf Wolf leben Menschen und Nichtmenschen schon seit undenklichen Zeiten nebenein-ander, und nicht immer ist der Mensch der berlegene. Menschen und die relativ dummenhumanoidenChakskonnten mich jederzeit fr einen Trockenstdter halten, aber die Nicht-menschen lieen sich nicht so leicht tuschen.

    Trotzdem begleitete ich Kyral und nahm die Linsen mit, die in den Trockenstdten einkleines Vermgen wert waren.

    Canarsa schien innerhalb der Mauern eine Stadt wie jede andere zu sein. Die Huser warenrund wie Bienenstcke, die Straen leer. Nur eine einzige Gestalt im Kapuzenmantel begr-te uns und gab uns Zeichen, da wir folgen sollten. Das Material, aus dem seine Kleidungbestand, war sehr glnzend und grob wie Sackleinwand.

    Das, was unter der Kapuze war, erschien mir schrecklich. Das Wesen hatte weder die Ge-stalt noch den Gang von etwas Menschenhnlichem, und mein Primatenbewutsein kauertesich zitternd in einen Winkel. Kein Auenstehender darf je die Schweigenden in ihrer wirk-lichen Gestalt sehen, flsterte Kyral mir ins Ohr. Ich glaube, sie sind taubstumm, aber seijedenfalls uerst vorsichtig.

    Und ob ich das sein werde! wisperte ich zurck und war heilfroh, da die Straen soleer waren. Ich wagte es nicht einmal, das vor uns dahingleitende Wesen von hinten genauerzu beobachten.

    Der Handel wurde in einer offenen Binsenhtte abgewickelt, die aussah, als habe mansie ganz schnell errichtet. Wenn wir gegangen sind, reien sie die Htte wieder ein undverbrennen das Material, flsterte mir Kyral zu. Fr die Schweigenden haben wir sie all-zusehr vergiftet. Meine Familie handelte seit Jahrhunderten mit ihnen, und wir sind fast dieeinzigen, die je ihre Stadt betreten haben.

    Dann schwebten zwei Schweigende, ebenfalls in Kapuzenmntel gehllt, in die Htte. Eswar der seltsamste Handel, den ich je erlebt hatte.

    Kyral legte seine kleinen Stahlwerkzeuge und die Rollen dnnen Drahtes aus, und ichpackte meine Linsen aus. Die Schweigenden sprachen weder ein Wort, noch bewegten siesich, aber durch einen dnneren Fleck im grauen Schleier sah ich einen Schimmer, der durch-aus ein phosphoreszierendes Auge sein konnte; dieser Schimmer bewegte sich, als mustereer die ausgelegten Waren.

    Mir verschlug es fast den Atem, als pltzlich da und dort, wo vorher noch etwas gele-gen hatte, nichts mehr war. Drahtscheren, chirurgische Instrumente und Megerte und fastsmtliche Drahtrollen waren verschwunden, und auch in den Reihen meiner Linsen gab esLcken. Smtliche Mikroskoplinsen waren verschwunden. Kyral schien darber nicht er-staunt zu sein. Mir fiel ein, was ich gelegentlich ber die Schweigenden gehrt hatte, undmir wurde klar, da sie eben auf diese Art ihre Geschfte machten.

    Kyral deutete auf ein Werkzeug, auf einen besonders schnen Satz Linsen und die letzteDrahtrolle; nur das Werkzeug blieb brig, alles andere verschwand. Dann lie Kyral dieHand fallen.

    Ich blieb bewegungslos sitzen und wartete auf das, was kommen sollte. Ich irrte michauch nicht, denn an den leeren Stellen erschienen kleine Lichtpunkte, die zu blauen, rotenund grnen Edelsteinen wurden. Ich wei wenig ber deren Wert, aber mir schien, da diesesGeschft fair sein mute.

    Kyral runzelte die Brauen und deutete auf einen der grnen Steine. Er verschwand, und einblauer erschien an seiner Stelle. Wo ein Satz feinster chirurgischer Instrumente gelegen hatte,zeigte Kyral auf den blauen Stein, schttelte den Kopf und hob drei Finger. Einen Augenblick

  • 29 TERRA ASTRA

    spter lag ein zweiter blauer Stein dort. Doch Kyral hielt seine drei Finger unbeweglich indie Hhe; die blauen Steine verschwanden, und dann lagen wieder die Instrumente da.

    Doch Kyral gab nicht nach und hielt eine volle Minute lang seine drei Finger hoch. End-lich schickte er sich an, die Instrumente wegzunehmen. Ein kleiner Luftwirbel, und sie ver-schwanden. Drei blaue Steine lagen da. Die Prozedur amsierte mich ein wenig, denn sieunterschied sich kaum von jedem anderen Handelsgeschft. Jedenfalls hatte ich aber keineLust, die von ihnen gebotenen Preise anzuzweifeln.

    Ich packte also die von ihnen nicht akzeptierten Linsen wieder ein und half Kyral, seineWaren zu verstauen, welche die Schweigenden nicht gewnscht hatten. Ich konnte mir je-doch nicht recht vorstellen, was die Schweigenden mit den zahlreichen Rollen feinen Drahtesanfangen wollten.

    Unseren Rckweg durch die Straen legten wir ohne Begleitung zurck. Kyral schienziemlich erleichtert zu sein und war recht gesprchig. Es sind Psychokinetiker, erklrte ermir, wie viele der nichtmenschlichen Rassen. Ich glaube, das mssen sie auch sein, dennsie haben weder Hnde noch Augen. Manchmal berlege ich mir allerdings, ob wir Trocken-stdter mit ihnen handeln sollten.

    Was meinst du damit? fragte ich, obwohl ich ihm gar nicht recht zugehrt hatte, dennich dachte nur immer wieder darber nach, wie die Gegenstnde verschwunden und pltzlichwieder da waren. Dieser Anblick hatte etwas in mir aufgerhrt; vielleicht war es irgendeineErinnerung, ein vages Gefhl drohender Gefahr. Fabar war dieses Gefhl nicht; eher war esein unbestimmtes Unbehagen, das mich qulte.

    Wir von Shainsa leben zwischen Feuer und Flut, fuhr Kyral fort. Auf der einen Seitedie Erde, auf der anderen etwas, das vielleicht noch schlimmer ist. Wir wissen so wenigvon den Schweigenden und denen, die ihnen hnlich sind. Wer wei, ob wir ihnen nicht dieWaffen liefern, mit denen sie uns einmal zerstren werden. Pltzlich schwieg er und starrtein eine der Straen hinein.

    Sie fhrte zwischen zwei Reihen von Bienenkorbhusern hindurch; in einem der Huserhatte sich eine Tr geffnet, die Kyral gebannt anstarrte. Da sah ich das Mdchen.

    Haare wie gesponnenes schwarzes Glas fielen ihr in harten Wellen um die Schultern, undin den roten Augen glitzerte eine seltsame Bosheit. ber den weien Falten an ihrer Brustglitzerte eine Stickerei mit dem Zeichen des Gottes Nebran, der hlichen Krte.

    Kyral schluckte heftig. Seine Hand fuhr an die Kette mit den Amuletten um seinen Hals.Mechanisch vollzog ich dieselbe Bewegung und beobachtete Kyral, ob er nun wieder davon-rennen wrde. Wie versteinert stand er eine volle Minute da und tat dann mit ausgebreitetenArmen einen Schritt auf das Mdchen zu.

    Miellyn! rief er, und seine Stimme klang herzbewegend eindringlich. Miellyn! Miel-lyn!

    Diesmal drehte sich das Mdchen um und floh. Die weien Gewnder wehten hinter ihrdrein, und darunter sah ich ihre rennenden Fe. Dann verschwand sie zwischen zwei Hu-sern.

    Ehe Kyral ihr nachlaufen konnte, hatte ich seinen Arm gepackt. Mensch, bist du verrcktgeworden? In einer Stadt der Nichtmenschen rennen? fauchte ich ihn an.

    Er wehrte sich nur einen Augenblick lang und seufzte. Schon gut. Ich werde nicht...Dann schttelte er meine Hand ab.

    Er schwieg, bis wir die Stadttore von Canarsa hinter uns hatten. Ich dachte nicht mehr andie Stadt, denn in meinem Kopf war nur noch Platz fr dieses Mdchen, dessen Gesicht ich

  • Das Weltraumtor 30

    nicht vergessen hatte, seit es mich damals gerettet hatte. Was steckte hinter dem erneutenAuftauchen der Schwarzhaarigen?

    Kennst du dieses Mdchen? fragte ich Kyral, als wir weitergingen. Ich wute allerdingsgenau, da die Frage berflssig war. Kyrals Gesicht sah verschlossen aus, und von seinerFreundlichkeit war nichts mehr zu bemerken.

    Jetzt kenne ich dich, sagte er. Du hast mich vor den Katzenmnnern gerettet und jetztwieder in Canarsa, so da meine Hnde gebunden sind. Doch es ist von bel, mit jenen zutun zu haben, die der Krtengott berhrt hat. Er spuckte geruschvoll auf den Boden. Indrei Tagen werden wir in Shainsa sein. Halte dich fern von mir.

    7.

    Shainsa ist die erste aus einer ganzen Reihe von Trockenstdten im Bett eines seit langemausgetrockneten Ozeans. Sie liegt im Mittelpunkt einer riesigen Alkaliwste. Die Sonne vonMillionen Jahren hat sie gebleicht und ausgedrrt. Die Huser sind hoch und weitlufig undhaben breite Fenster. Die einfacheren bestehen aus sonnengetrockneten Ziegeln, die elegan-teren aus dem Salzstein der Klippen, die sich hinter der Stadt erheben.

    In den Trockenstdten machen Nachrichten schnell die Runde. War Rakhal in der Stadt,dann wrde er bald erfahren, da ich angekommen war, und er wrde auch wissen oder ver-muten, weshalb. Meine Verkleidung htte meine eigene Schwester getuscht, aber ich wutenur allzu genau, wie vermessen es gewesen wre, htte ich auch nur eine Sekunde damitgerechnet, Rakhal tuschen zu knnen. Er hatte ja schlielich jene Verkleidung geschaffen,die nun ich selbst war.

    Am folgenden Tag wute ich, da er sich nicht in Shainsa aufhielt. Doch ich blieb in derStadt, um auf etwas zu warten, was geschehen mute. Nachts schlief ich in einem Kmmer-chen neben einem Weinladen und bezahlte fr dieses Vorrecht einen Preis, der einem Palastwohl angestanden htte. Tglich um die Mittagszeit berquerte ich den unter der roten Sonneschlfrig daliegenden ffentlichen Platz von Shainsa.

    Vier Tage ging das so weiter. Niemand nahm auch nur Notiz von dem schbig gekleidetenMann ohne Namen, von dessen Geschften man nichts wute. Nur ein paar schmutzige Kin-der mit fahlem, verfilztem Haar schienen mich zu bemerken, wenn sie ihre Spiele auf demwindverblasenen Platz spielten. Sie sahen mir ohne Neugier und ohne Angst in das vernarbteGesicht, und mir kam der Gedanke, da Rindy unter ihnen sein knnte.

    Htte ich noch als Erdenmensch empfunden, dann htte ich sicher eines der Kinder ge-fragt, oder dessen Vertrauen zu gewinnen versucht. Doch mein Spiel ging um grere Dinge.

    Am fnften Tag beachteten mich nicht einmal mehr die Kinder, so alltglich war ich ihnengeworden. Auf dem grauen Moos des Platzes dsten ein paar alte Mnner mit Pergamentge-sichtern. Ich ging gerade zum gepflasterten Ende des Platzes, als pltzlich einem H