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Das Zeitmoment in der mathematisehen Theorie des wirtschaftlichen Gleiehgewichtes 1) Yon P. N. Rosenstein-Rodan, Wien Wean wir bier yon der mathematisehen Theorie des wirtschaftliehen Gleieh- gewiehtes spreehen, so haben wit nicht etwa eine besondere Spielart der iiko- nomisehen Theorie im Auge, ein spezieltes Theorem einer besonderen Schule odex eine nut dieser Schule eigentiimliehe Auffassung des Wirtsehaftsprozesses, sondern wir greifen diese Theorie heraus, well sie die bisher exakteste und pr~i- ziseste Formulierung eines allen 5konomisehen Sehulen gemeinsamen Gedanken- ganges bietet, so dal~ die ihr etwa naehgewiesenen Mangel alle anderen Formu- lienmgen nur noeh seh~rfer treffen. Die Theorie des wirtschaftlichen Gleiehgewichtes ist so alt wie die l~ational- 6konomie selbst. Der Ausgleichsmeehanismus yon Angebot und Naehfrage ist das Fundameat aller wissenschaftliehen 0konomik und sein Kerngedanke ist bei all den bedeutenden Verbesserungen der Fassung und Formulierung der gleiche geblieben. Es ist aber erfahrungsgem~ig gefiihrlieh, wenn ein Gedanke - - zur Selbstverstii.ndlichkeit geworden - - ohne weitere Analyse ilbernommen wird: man iibersieht hiebei ]eicht die Voraussetzungen, die er implieite in sich schlieBt, und ist sich der Grenzen seiner AnwendungsmSglichkeit oder der Notwendigkeit des weiteren Ausbaues nieht immer bewuBt. Dies ist aueh bei der Theorie des wirtsehaftliehen Gleichgewiehtes tier Fall. Sie besagt kurz und einfach folgendes: Der Preis eines Gutes bildet sieh auf die Dauer in dem Punkte, in dem sich Angebot und Naehfrage decken. Wiire der Preis hiiher, so wiirde die Naehfrage sinken, das Angebot steigen --der Preis miigte sinken; wiire der Preis niedriger, so wiirde die Naclffrage steigen, das Angebot sinken - - der Preis miil~te steigen. Diese Weehselwirkungen mtissen sich also auf die Dauer so ausgleichen, dab es fiir ein Gut zu seinem Gleieh- 1) Vortrag gehalten vor der ,,NationalSkonomisehen Gesellsehaft" in Wiea, am 22. Juni 1928. 51ational5konomie. I. Bd., I.H. ~)

Das Zeitmoment in der mathematischen Theorie des wirtschaftlichen Gleichgewichtes

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Das Zeitmoment in der mathematisehen Theorie des wirtschaftlichen Gleiehgewichtes 1)

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P. N. Rosenstein-Rodan, Wien Wean wir bier yon der mathematisehen Theorie des wirtschaftliehen Gleieh-

gewiehtes spreehen, so haben wit nicht etwa eine besondere Spielart der iiko- nomisehen Theorie im Auge, ein spezieltes Theorem einer besonderen Schule odex eine nut dieser Schule eigentiimliehe Auffassung des Wirtsehaftsprozesses, sondern wir greifen diese Theorie heraus, well sie die bisher exakteste und pr~i- ziseste Formulierung eines allen 5konomisehen Sehulen gemeinsamen Gedanken- ganges bietet, so dal~ die ihr etwa naehgewiesenen Mangel alle anderen Formu- lienmgen nur noeh seh~rfer treffen.

Die Theorie des wirtschaftlichen Gleiehgewichtes ist so alt wie die l~ational- 6konomie selbst. Der Ausgleichsmeehanismus yon Angebot und Naehfrage ist das Fundameat aller wissenschaftliehen 0konomik und sein Kerngedanke ist bei all den bedeutenden Verbesserungen der Fassung und Formulierung der gleiche geblieben. Es ist aber erfahrungsgem~ig gefiihrlieh, wenn ein Gedanke - - zur Selbstverstii.ndlichkeit geworden - - ohne weitere Analyse ilbernommen wird: man iibersieht hiebei ]eicht die Voraussetzungen, die er implieite in sich schlieBt, und ist sich der Grenzen seiner AnwendungsmSglichkeit oder der Notwendigkeit des weiteren Ausbaues nieht immer bewuBt. Dies ist aueh bei der Theorie des wirtsehaftliehen Gleichgewiehtes tier Fall.

Sie besagt kurz und einfach folgendes: Der Preis eines Gutes bildet sieh auf die Dauer in dem Punkte, in dem sich Angebot und Naehfrage decken. Wiire der Preis hiiher, so wiirde die Naehfrage sinken, das Angebot steigen - -der Preis miigte sinken; wiire der Preis niedriger, so wiirde die Naclffrage steigen, das Angebot sinken - - der Preis miil~te steigen. Diese Weehselwirkungen mtissen sich also auf die Dauer so ausgleichen, dab es fiir ein Gut zu seinem Gleieh-

1) Vortrag gehalten vor der ,,NationalSkonomisehen Gesellsehaft" in Wiea, am 22. Juni 1928.

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gewiehtspreise und - - da dies bei allen Giitern der Fall ist - - zu einem allgemeinen

wirtschaftlichen Gleiehgewichtszustande kommen muil. tteben wit nun die sieh

so zu einem Gleichgewichtszustande kompensierenden Kr~ft¢ heraus, so sehen

wir seehs ~erschiedene Wirkungenl):

1. Nachfrage--~Preis 2. Preis--~Nachfrage

3. Angebot---~Preis 4. Preis-÷Angebot

5. Angebot--~Nachfrage 6. Naehfrage--~Angebot

Da die Wirkungen 5 und 6 in 1--4 bereits enthalten sind, geniigt uns die Be-

traehtung yon 1--4.

Die Annahme, dail diese vier Wirkungen zu einem Gleiehgewicl~tszustande

fiihren, setzt voraus, da~ sieh eine jede dieser Wirkungen in derselben Zeit ~)

voll auswirken kannS): dal3 also in derselben Zeitspanne, in der die Naehfrage

2) Wit gebrauchen bier den Begriff ,,Wirkungen" fiir irreversible Abh~ngigkeiten. 3) Die Gteiehgewichtstheorie mul~ bier zwei Hypothesen aufstellen: 1. dab die

vier Wirkungen gleichzeitig einsetzen und 2. daft sie yon gleicher Dauer sind. Entspr~che diese zweite Annahme (des simultanen Rhythmus der wirtsch~tlichen Erscheinungen) der Wirkliehkeit, w~re Sie also als Realhypothes e zul~ssig, so wiire aueb ]ene erste Annahme, dutch welehe ,yon der Zeit abstrahiert" wird, yon grSBter Fruchtbarkeit. Indes steht die zweite Annahme durehaus nicht im Einktang mi~ tier Wirklichkeit, sie ist lediglieh ein zu bestimmten Zwecken vorgenommener metho* discher Kunstgriff, eine Formalhypothese, durch die die Synchronisierung der ~irtschaitlichen Erseheinungen erst sinnvoll und damit jene ,,Aussehattung der Zeit'" erst miiglieh wird, die die Fruchtbarkeit und den Geltungsbereieh der Erkl~irun~ weitestgehend einengt.

Die hnnahme des simultanen Rhythmus der wirtschaftlichen Erseheinungen wird yon Pareto ausdriieklieh hervorgehoben im,,Manuel" III., Chap. 10 (Siehe S. 135t). Ihre Bedeutung im Systemgebaude der ,,mathematisehen Sehule" ist aueh dadurch gekennzeichnet, dab sie A. De Pietri Tonelli als erste der allgemeinen Voraus- setzungen des wirtschafflichen Gleichgewichtes anfiihrt. (Siehe seine Artikelseri~ ,,Determinazione del problema dell' equilibrio delle transformazioni economiche. Sup posti, dati, incognite, equazioni e risultati. Sintesi dei teoremi dell' equitibrio eco- nomieo. ,R iv i s t a di Politica Eeonomiea", Rein, 1928.) Die deutsche ~ber- setzung eines Teiles dieser Artikel: ,,Bestimmung des wirtschaftliehen Gleiehgewiehtes der Giiterumwandlungen. Bekannte, Unbekannte und Gleichungem Zusammen- iassung" in.,,Jahrbiiehern fiir NationalSkonomie und Stat is t ik ~', September 1928, enth~lt die Auiziihlung der Voraussetzungen ]edoch nieht.

3) Warm die Wirkung einer Daten~nderung als yell zur Entfaltung gelangt an- gesehen werden kann, ob darunter nur die einer Xnderung unmittelbar folgenden eder aueh die erst naeh mehreren Zeitinterva]len folgenden mittelbaren Wirkungen zt~ subsumieren sind -- all diese Fragen barren noeh einer besonderen Untersucbung. Vgl. hiezu vet allem die Ausfiihrungen O. Mergensterns fiber die ,Zeitqualita~ der Preise" in ,,Wirtsehaftsprognose", Wien 1928, S. 62-65.

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auf den Preis wirkt, auch der Preis auf das Angebot wirkt, dail in derseIben Zeitspanne, in tier das Angebot auf den Preis, auch der Preis auf die Nachfrage ~virkt usw. W~re dies nicht der Fall, so miil]te es zu keinem Gleichgewichts- zustande kommen. Denn wenn z. B. der Preis auf die Naclffrage schneller wirkt als auf das Angebot, so wtirde in dem Zeitpunkte, in dem der Preis (die Preis- ~ndenmg) die Nachfrage bereits voll, das Angebot abet nut zum Teil oder gar nicht ver~ndert hat, diese bereits voll in Erscheinung getretene Ver~nderung der Nachfrage auf die noch nicht oder noch nicht ganz in Erscheinung getretene Ver~nderung des Angebotes - - infolge der yon den Mathematikern angenommenen Interdependenz der 5konomisehen GrSl]en - - modifizierend einw~lrken, sie kSnnte jene Bewegung ver~ndern, die notwendig war, um den Gleichgewichtszustand herzustellen -- diese Ver~inderung wiirde naeh Annahme der Interdependenz ihrerseits wieder auf die anderen Bewegungen modi[izierend wirken, so daI~ es bei Annahme eines verschiedenen Rhythmus (einer Disproportionalitfit der Tempi) der Bewegungen, nut ein Zufall w~re, wenn es zu einem Gleiehgewiehts- zustande k~ime. Um das exakt zu formulieren, ist die Zeitspanne, in der eine der vier Wirkungen voll zur Auswirkung gelangt, zu fixieren. Bezeichnen wir mit tl die Zeitspanne, in der die Naehfrage auf den Preis wirkt; mit t~ die Zeit- spanne, in der der Preis auf die Naehfrage, mit t 3 die Zeitspanne, in der das Angebot auf den Preis und mit t~ die Zeitspanne, in der der Preis auf das Angebot wirkt, und setzen wit diese Par t ia lgeschwindigkei ten (Zeitkoeffiziente~l) vor die vier Wirkungen, so sehen wit, dal] es zu einem Gleichgewiehtszustande kommt, wenn die vier Zeitkoeffizienten der Wirkungen gleich grol~ sind, wenn also t 1 = t 2 ----- f8 = ta- Sind sie nicht gleieh groin, so kSnnen zwei F~lle eintreten: 1. Die Zeitkoeffizienten gehen verschiedene Ver~inderungsphasen dt~ch, his sie gleich grofl werden - - d. h. es kommt erst nach einem l~ingeren Zeitintervall zum Gleiehgewichtszustand; 2. die Veranderung einer Wirkung raft infolge des nicht- s imul tanen Rhy thmus der Wirkungen immer andere Ver~inderungen hervor, es kommt gewissermaiien zu einem perpetuum mobile der Vergnderungen~), die Zeitkoeffizienten werden nie gleich grol~ - - es kommt tiberhaupt zu keinem Gteiehgewiehtszustande. Wenn es also zu einem Gleichgewichtszustande kommen soll, so mii~te in der Theorie naehgewiesen werden, da~ zumindest diese letzte Konstellation der Zeitkoeffizienten nieht eintritt. Infolge del Niehtbeaehtung des Zeitmomentes sind aber diese Zeitkoeffizienten nichi

~) ,,Fenomeni dinamici ehe si perpetuano indefinitamente" sagt M. Pantaleoni (,,Di aletmi fenomeni di dinamiea economica". Memoria presentata all' Associazione per il progresso delle seienze, Padova 1909; abgedruckt in ,,Erotemi di Economia", Bd. II., Bari 1925.)

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einmal aufgestelltl), gesehweige denn untersucht worden, d. h. dag in dem

scheinbar so umfassenden Gleichungssystem der mathematisehen Schule zu-

mindest noch die vier Zeitkoeffizienten bestimmt werden miigten, damit das

Gleichungssystem des realen Gleiehgewiehtszustandes wirklieh gesehlossen sei.

Das Problem der Bestimmung der Zeitkoeffizienten ist noeh einer n~heren

Betrachtung zu unterziehen. Da Angebot und Nachfrage keine ori~n~ren 5ko-

nomischen Gr6gen, sondern selbst Folgen, Komposita anderer iikonomischer

Elemente sind, mug eine genaue Analyse des Zeitmomentes schon ab ovo bei

den einfaehsten iikonomischen Bestimmungsstiicken: dem Bedfirfnissystem und

dem Gfitervorrate, einsetzen. ~) Ein jedes dieser Bestimmungsstiicke mld~ nlit

einem Zeitindex versehen werden. Die Zeitindizes a) eines Wirtscha~tssubjektes

(%, ~b, ~¢, . . . ~ ) stehen in verschiedener Abhiingigkeit voneinander: sie kSnnen einander in ihrer Wirkung verst~rken ( % - - ÷ + %), oder abschw~ichen

(:a ~ , ~ ~¢), oder voneinander unabh~ingig sein. In ihrer Gesamtheit ergeben

1) Die Analyse der Zeitkoeffizienten hat man sieh, wie wit oben zeigten, dutch die mit tIilie der Formalhypothese yore simultanen gleichen Rhythmus aller wirt- sehaftliehen Erscheinungen vorgenommene ,,Aussehaltung der Zeit" entbehrlich gemacht.

8) Diese Analyse sowie die Aufrollung des generellen Zeitproblems in der reinen iikonomischen Theorie hoffe ieh demniichst in einem Buche: ,,Zeit in der Wirtschaft" zu bieten.

a) Die Mannigfaltigkeit dieser individualwirtschaftliehen Zeitindizes, die in ihrem Zusammenwirken die sozialwirtschafttichen Zeitkoeitizienten ergeben, ist eine schier Imendliche; es wird deswegen praktiseh unmSglich sein, alle Zeitindizes zu erfassen und zu bestimmen. Dies stellt jedoeh keine prinzipielle theoretisehe Schwierigkeit dar, da ja zuerst nieht die zahlenm~liige Bestimmung einzelner konkreter PreisgrSften, sondern ein genereller Einblick in die Art des Funktionierens des Preismechanismus dutch die reine i)konomische Theorie geboten werden soll: (v. Pareto, ,,Manuel" Chap. III., 217 u. 218, S. 233--234) die mathematische Theorie triigt ,,einen alge- braischen, nieht axithmetisehen Charakter" (W. S. Kohn). - Abel' aueh fiir dis praktische Erfassungist der Unterschied gegeniiber der zeiflosen 0konomie kein wesent- licher. Genau so wie z. B. nieht alle BediirfnisreguDgen konkret erfal~t werden kSnnen, die weitgehende Paralellit~t der inneren (:~hnlichkeit der Natnr der I~Ienschen) nnd ttul~eren Bedingungen auch da abet eine Uniformit~it sehaift, die die Typenbildung ermSglicht, genau so ist auch eine Ordnang in das seheinbar unentwirrbare Chaos der Zeitindizes hereinzubringen and eine Gruppierung in t.ypische KonsteUationen zu erreiehen~ die das Problem der Zeitkoeffizienten aueh einer praktisehen LSsung zug~nglieh macht. Die neuesten Arbeit~n der amerikanisehen mathematisch-statistischen Nationallikonomen haben gerade dutch die Einbezlehung des Zeitmomentes aueh praktisehe, iiberaus wertvolle LSsungsresultate aufzuweisen (H. L. Moore, H. Sehultz, C. F. Roos, G. C. Evans, u. a.)

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sie die Ze i tpa rame te r der Individualnachfrage (oder des Individualangebotes) T = / (~, %, ¢¢ . . . . ~,) bei Annahme yon 50 Wirtsehaftssubjekten (I.~L.):

TI =/x(Za, Vb, ~:¢, . . . . tn);

Tn =12(%, ~b, ~¢, . . . . ~) ;

TL =/~o(%, vJ,, ~¢, . . . . ~,~)"

Die Zeitparameter der Individualnachfragen (Individualangebote) al ler ein

Wirtschaftssystem bildenden Wirtschaftssubjekte (in unserem Beispiel I.--L.) ergeben die Partialgeschwindigkeiten der Gesamtnachfrage (des Gesamt- angebotes), die Zeitkoeffizienten:

tl = F1 (Tx, Tn, Tirl, .... TL); t2 = F2 (T~, Tm Tin, . . . . TL); t8 = Fa (W~, W~, Wm . . . . . TL);

t4 = F4 (TI, TH, Tin, . . . . TL). Die Zeitkoeffizienten stehen endlich aueh untereinander in Abhangigkeit:

tl = ~1 (t~, t~, g4); t~ = ¢ ~ (t,, t~, t4); t a = (l)4~(t1, t2, t,); t4 = ¢P4 (t~, t~, t~).

Bei der dutch die moderne 5konomische Theorie als bereehtigt erwiesenen An- nahme, dab die (individuetlen) Zeitindizes und Zeitparametel' ve rsch iedener Wirtschaftssubjekte voneinander unmittelbar unabh~n~g sind, 1) (d. h. da6 sie nur dm'ch die Preise hindurch und nicht direkt untereinander im Zusammen- hange stehen), kSnnen die Zeitkoeffizienten eindeutig kausal bestimmt werden:~) 3)

~) Die Berechtigung dieser Annahme folg~ aus dem Grundprinzip des metho- disehen Individualismus. Vgl. die analogen Bemerkungen bei tier Kritik an der Au~stellung des Begriffes des ,,sozialen Nutzens" in der iikonomisehen Theorie in meinem Artikel ,,Grenznutzen", ttdw. d. Stw., 4. Aufl., IV. Bd., S. 1204/1205.

2) (Jber die praktische Erfassungsmi~giichkeit der Zeitkoeffizienten und ihre yon dieser Frage unabhiingige theoretisehe Bedeutung gilt dasselbe, was oben (siehe S. 132, Fuf~note 3) fiber die Zeitindizes ausgefiihrt wurde.

3) W~ren die Zeitindizes verschiedener Wirtschaftssubjekte untereinander ab- hiingig (~a~--++ ebn; ~crt--+-- ~al; ¢bI unabhi~ngig yon eau; usw.) so stfinden die Zeitkoeffizienten untereinander nieht in einer eindeutig-kausalen, sondern in einer stoehastisehen Abhitngigkeit und wi~ren mit Itilfe der Korrelationsreehnung zu er° fassen. Da die reine 5konomische Theorie nut mit elementaren und nicht mit Dureh- sehnittsgr~igen operiert, die Zeitkoeffizienten abet bei dieser Annahme probabilistisehe Durehschnittsgriil~en (Wabrseheinlichkeitsga'SBen) darstellten, witren in dem Gleichangs-

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Damit kSnnte ein das Zeitmomeut voll berfieksicbtigendes System der reinen Wirtschaftstheorie aufgesteUt werden, welches eindeutig-kausale Gesetzm~l~ig-

keiten ableitet, d. h. Resultate yon dela~elben Exaktheitsgrade, wie die der zeit- losen (~konomik.

Das Gleichungssystem der mathematiscben Schule, welches weder die Zeit- indizes noch die Zeitkodfizienten einschlie~t, kann also den realen Gleichgewiehts- zustand keineswegs erfassen.

Was bedeutet nun die Erkenntnis, da~ nicht alle Wirtschaftsprozesse in eiaen

Gleichgewichtszustand miinden? Die Vorstellung vom wirtschaftlichen Gleich- gewichte ist uns allen sehr vertraut und einleuehtend, wit glauben es in der Wirk- liehkeit wahrzunehmen, anderseits bemerken wir Unstimmigkeiten und Ab-

wcichungen, die uns die Reinheit des Gteichgewichtsbildes verwischen. Die Analyse dcr Partialgeschwindigkeiten (Zeitkoeffizienten) der wir~scha~tlichen Prozesse ist geeignet bier Aufkl~rung zu bringeu. Die Cambridger 5kouomische Schule hat vor der Lausanner Sehule den einen Vorteil der Darstellung, dal~ sic vor dem allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewiehte die partiellen Gleich-

gewichte, d. h. die Gleichgewichte auf den einzelnen Teilm~irkten untersucht. Wenn wit ihr darin folgen und die Zeitkoeffizieuten auf den einzelnen Teilm~rkten analysieren, so werden wir sehen, daft es Teilm~rkte gibt, auf denen die Zeit-

koeffizienten ann~ihernd gleich gro~ sind, so dal3 es dort wirklich zu einem Gleich- gewichtszustand kommt (z. B. am Geldmarkt) - - daraus erkl~'t es sich, weshalb uns auch in. der Wirklichkeit die Vorstellung vom wirtschaftliehen Gleichgewichte so bekannt und vertraut ist - - wir sehen aber auch, da~ es andere Teilm~rkte

gibt, auf denen die Zeitkoeffizienten verschieden grol~ sind (z. B. in der Schwer- industrie, wo die Nachfrage auf den Preis schneller wirkt, als der Preis auf das Angebot) - - dies erkl~rt uns, weswegen wir in der Wirklichkeit keinen durch-

gehenden atlgemeinen Gleichgewichtszustand sehen. II. Wie kam es nun, dab Pare to die Rolle und die Bedeutung des Zeit-

momentes iibersehen oder vernachl~issigen kounte ? In der Einleitung zttr Theorie

des Gleichgewiehtes (,,Manuel" III. 10. S. 148.) sagt er etwa folgendes: Wenn wir hier kurzerhand yon einer iikonomisehen Erscheinung spreehen, so ist dies eine Ungenauigkeit: wir sollten korrekter Weise immer von ein er 5ko n o mis che n

system des Gleichgewiehtszustandes nicht nur die die vier Griii]en tl, t~, ~,, ¢4, sondern die sic bildenden unzlihligen Griil~en • zu bestimmen, damit das Gleichungssystem eines realen Gleiehgewichtszustandes wirklich gesehlossen sei. Ers~ die die Zeit- indizes einschlieBenden Gteiehtmgen gaben uns also theoretisehe Preiskurven, wiihrend die die Zeitkoeffizienten einsehliei}enden Gleiehungen uns nur statistisehe Preisk~lrven gaben.

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Erscheinung in einer Zei te inhei t 1) spreehen. Da wir dies aber jedesmal wiederholen miit~ten, so wiire dies sehr schleppend; wit bitten deswegen den geneigten Leser, die Worte ,,in einer Zeiteinheit" immer zu subintelli~eren, wenn wir yon einer 5konomischen Erscheinung sprechen. -- Der Leser war zwar sehr geneigt, bemerkte aber dennoch, dafl nicht alle 5konomischen Erscheinungenin einer Zeiteinheit auftreten, sondern dal~ es solche gibt, die in einer, und solche, die nur in mehreren Zeiteinheiten auftreten, so dal~ die Annahme eines gleichen simultanen Rhythmus aller 5konomischen Erscheinungen unhaltbar ist. Der Grmldfebler (sofern es sich um die Erfassung eines realen Gleichgcwichtszustandes handelt) ist also nicht etwa der, dal~ die mathematisehe (wie jede exakte)Theorie die beweglichen sieh veriindernden GrSffen fixiert, als unver~indert betraehtet-- denn, wiiren diese GrSi~en yon gleicher Dauer, w~ren sic iiquitempora!, so kSnnte der wirkliche Ablauf der wirtsehaftliehen Prozesse durch eine Reihe yon ,,sukzessiven Gleichgewichten" erfaBt werden, yon denen jedes einzelne dutch das Gleichungs- system definiert w~ire - - sondern der Grundfehler beruht darin, daI~ die Theorie alte Ver~inderungen und Wirkungen als Kr~ifte yon gleiehem simultanem Rhythmus ansieht, als Kriifte, die sich Mle in der gleichen Zeiteinheit auswirken, wiihrend in der Wirklichkeit ein jcdes der sukzessiven Gleiehgewichte verschieden weir m die Zeit reicht)) Der Hinweis Paretos auf die zu subintelligierenden Worte ,,in einer Zeiteinheit" - - fin ganzen einige Zeilen yon den 600 Seiten des ,,Manuel" - - ist neben Jevons' ,,Elimination der Zeit" die einzige Stelle, a) der ~lteren 4) mathe- matisehen Literatur, in der auf das Zeitmoment explicite eingegangen wird.

Der dogmenhistorischen Vollst~ndigkeit hMber sei noch kurz die Begriindung besprochen, die Jevons fiir die Aussehaltung des Zeitmomentes gibt, In tier Theorie der Dimensionen 5konomiseher GrSl~en (III. Kapitel) bezeichnet er die Quantit~t der gegebenen Giiter mit M (nach)fasse) und sagt: Wenn wir nun

1) Ebenso Jevons: ,,It is the rate of supply, rate of production, rate of con- sumption per unit of time that we shall be really treating". Theory of Political Economy, 4. A. 1924, S. 65.

~) Die Bestimmungsgriinde der an einem Markt gleichzeitig sich bildenden Preise ~'erschiedener Giiterarten reiehen vcrsehieden weir in die Vergangenheit zuriick, so da6 die zugleich bestehenden versehiedenen Preise fiir die wirtsehaftstheoretische Betrachtung durchaus nicht ~qnitemporal sind.

3) Die Probleme der ,,offenen Zyklen" (cieli non chiusi, cycles ouverts) bei Pareto und Barone enthalten implieite das Zeitproblem, jefioch z. T. aueh in anderem Zu- sammenhange.

4) Die jiingste Etappe in der mathematischen Schule befal~t sich bereits explicite mit dem Zeitproblem, so die sehon erwiihnten Al'beiten.von H. L. Moore, H. Schultz, C~. F. Roos, G. C. Evans, z. T. auch Amoroso.

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etwa 100 S~cke Getreide gegeben haben, so sagt uns das zun~hst noch gar nichts; wir wissen nieht, ob das viel oder wenig ist, alles hiingt davon ab, fiir welche Zeit wit damit auskommen mtissen. Die Bezeiehnung M geniigt also nicht, wir

~f W_t miissen sic ins VerhNtnis zur Zeit setzen, miissen also immer -~- oder M gegeben haben. Da das Zeitmoment derart grundlegend wichtig ist, mufl man

es bis in die letzten Elemente der/3konomie einfiihren, man muB es also auch bei den Bedfirfnissen selbst berticksichtigen. Wit haben gesehen, dab die Intensi- t~tt des Bediirfnisses J nebst dem gegebenen Giitervon'at M T- ' fiir das wirtschaft- liche Handeln entscheidend ist, und kaben also M J T J. Nun ist abet auch die hltengt~t des Bedtirfifisses allein nicht ausreichend, wir mfissen auch die Dauer T des Bediirfnisses beriieksichtigen, miissen also noch T hinzuffigen und haben dann M J T T -1. T und T -1 heben sich auf, so dM~ wir auf dieseWeise die Zeit nicht zu berficksichtigen brauchen. -- Die zwei gnmdlegenden Fehler dieses Beweises sind ganz offenkundig: 1. kann man die Intensit~t des Bedtirfnisses yon seiner Dauer nicht trennen, da es kein zeitloses Bediirfnis, Bediirfnis ohne Dauer gibt; 2. sind abet die beiden sich aufhebenden T nicht gleich --das eine T-' symbolisiert die Zeit als Wirtschaftsperiode, z. B. ein Jahr, das andere T symbolisiert die

Dauer des Bediirfnisses, also etwa ein paar Stunden - - , die beiden T sind ganz verschiedene Griil~en: sie heben sich nicht auf. Diese Fehler bemerkte man abel" gar nicht und auger diesen zwei Stellen bei Jevons und Pare to findet man bei

den ,,Mathematikern" keine explicite Begr'tindung ftir die Ausschaltung der Zeit.

III. Wenn wir derart die beiden Be~tindungen fiir die ,,Ausschaltung der Zeit" und damit die Annahme eines realen Gleichgewichtszustandes als Aus- gangspunkt der theoretischen Analyse Iiir verfehlt erkliiren, so negieren wir deswegen noch keineswegs den Weft und die Fruchtbarkeit der Gleichgewichts- methode3) Zweifellos hat die ,,mathematische" wie jede statisehe Theorie nur Gleichgewichtstendenzen erkl~iren und den realen Verlauf des Wirtschafts- prozesses als Abweichungen von dem Gleichgewichtszustand auffassen wollen. Zu diesem Zwecke wird ein Ablauf des Wirtschaftsprozesses unter der Annahme betrachtet, dal~ keine Daten~inderung eintritt, und hiebei angenommen, dat~ sich nach mannigfachen Schwankungen ein (Gleichgewichts)zustand herausbildel~

1) Infolge einer unvorsichtigen Tm'minologie -- man spricht vom Gleichgewicht, ohne ausdriieklich zu unterscheiden, ob es sich um ei~e Tendenz oder um eJnen bereits erreichten Zustand hande]t -- unterliiuft abet vie]en Nationaliikonomen, insbesondere auch den Konjunkturtheoretikern oft die Verwechslung zwischen dem realen Gleich- gewiehtszustand und der Gleichgewichtstendenz, wean sie etwa yon dem ,Gleich- gewicht der Volkswirtschaft" oder gar yore ,,Ungtelchgewicht" oder ,,Nichtgleich- gewicht der Volkswirtschaft" sprechen.

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wird~ der unver~ndert fortdauert. Der Gleichgewiehtszustand wird framer als

Ausgangspunkt der Untersuehung genommen. Dies brin~ bekanntlich ei~e Reihe von Schwierigkeiten.

1. Es muB nicht framer zu einem G]eiehgewichtszustand kommen. Wir sahen oben, dab es zu keinem Gleichgewichtszustande kommt in dem Falle, in dem

die Zeitkoeffizienten nie gleich ~oB werden. IVlaal diirfte also schon deswegen nicht framer den Gleichgewiehtszustand als Ausgangspunkt der Betrachtung nehmen, x)

2. Die Annahme des GIeichgewichtszustandes setzt eine fixierte Wirtsehafts- periode voraus. In Wirklichkeit ist aber die Wirtschaftsperiode eine Variable;

die Annahme, sie set konstant, ste]lt einen nur in der ersten Erk]~rungsefappe zul~sigen (deft aber unumgangliehen) methodisehen Kunstgriff dar. Auf die sehr komplizierte Problematik der Wirtschaftsperiode- den Kern des Problems der Zeit in der wirtsehaft und somit heute das Zentralproblem der iikonomisehen Theorie -- kann hier nicht welter eingegangen werden3)

3. Die Gleiehgewiehtstheorie gibt uns die Riehtung, die Tendenz des Wirt- sehaftsablaufes an, ohne irgendwie anzugeben, wie welt der Ablauf des Wirt-

schaftsiarozesses yon diesem Zustaad entfernt ist. Dieser Zustand wiirde erreieht werden, wenn alle Kr~ifte die voile Zeit hiitten, sich auszuwirken, wenn keine Dateni~nderung vet Erreichung des Gleiehgewiehtszustandes eintr~ite, a) Wem~

nun abet eine Daten~nderung vet Erreidmng des Gleiehgewichtszustandes ein- tritt, so wirken zuniichst die Krafte, die auf die Erreichung des Gleichgewichts-

zustandes I hhlwirkten, noch eine Zeitlang fort, daneben wirken die neuen Kr~ifte auf die Erreichung des Gleichgewichtsznstandes II. Diese beiden nebeneinander

x) Selbst wenn wit yon dem Fall des ,,endegenen perpetuum mobile" der Daten (in dem die Zeitkoeffizienten nie gleieh grol~ werden) absehen, mug man noch ans- driicklich betonen, dab die Annahme der Konstanz der Daten nur ftir kurze Zeit- perioden einen Sinn hat. Bet der Betrachtung langer Zdtperioden, wiixen die Resultate zu formah es miiBte die Veriinderung selbst als ein Dat;um erfaBt werden Minnen.

~) S. hiezu Hans Mayer: Untersuchung zu dem Grundgesetz der wirtschaft- lichen Wertrechnung, Ztsehr. f. Volksw. u. Sozp. N. F. 1921 und 1922. Meinen Art. ,,Grenznutzen" IIndw. d. Stw. 4. Aufl. IV. Bd. insb. S. 1197-1198. W. Kromp- hardt : ,,Die Systemidee im Aufbau der Casselschen Theorie", Leipzig 1927.

~) ,,Certain results will follow on certain causes, provided no great change, wor- king in a different direction, set in before the effects of these causes have time for full development." ,,Though the causes perhaps begin to produce the effects assiga~ed to them, they have not gone far before their influence is modified or even overborne by other causes with different tendencies." (A. Marshall: Industry and T~ade, 4. ed. London 1923, S. 185. Spen'ung yon mir.)

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bestehenden, jedoeh urs~ehlieh nicht ,,~iquitemporalen", sieh zum Teil entgegen- wirkenden Kr~ifte rufen Reibungserscheinungen, Friktionen, hervor, die fiir den

realen Wirtsehaftsablauf gerade charakteristisch sind, yon der Gleiehgewiehts- theorie aber nicht erkl~irt werden. 1) Besonders ktar und scharf formuliert dies L. Amoroso: ,,Die Grundannahme der Gleiehgewiehtstheorie ist, dal~ di~ Funk- tionen . . . sich mit der Zeit 11icht ver~ndern. Daraus folgt, dal~ das 6ko-

nomische System unter der Einwirkung von Kr~iften, denen es unterworfen ist, nach einer kleineren oder gr61~eren Zeitspanne, yore Anfa.ngszustand ausgehend

den vorausgesehenen Gleiehgewichtszustand notwendigerweise erreichen mull. 2) In Wirkliehkeit ver~ndern sich aber die Funktionen mit der Zeit. Das 5kono- mische System bewegt sich unter der Einwirkung yon bestimmten Kr~ften S vom Anfangszustand Azum Endzustand B. Bevor jedoch noch B erreicht wurde,

ver~ndern sieh die Kr~fte S und werden zu S' , so dal~ auch das System die

Riehtung weehselt nnd sich, sich yon B entfernend, zu einem neuen Gleieh- gewiehtszustand B' bewegt. Dieser ist noeh nieht erreieht, wie die Kr~ifte S'

sieh neuerlieh ver~ndern und zu S" werden, so da~ das System sieh yon B' ent- fernt und sieh zum dritten Zustand B" bewegt usw. Die nen entstehenden Kr~fte

(le forze rive) S, S', S " . . . vermengen sieh nun in jedem hIoment mit den Kr~ften T, T', T " . . . , welehe die inneren Widerst~nde (Reibungen) ausdrticken, die das System jeder Neuerung entgegensetzt und die - - wenigstens zum Teil - -

dem entsprechen, was die Tr~igheit (inerzia) in der Mechanik ist. Das S tud ium der sukzessiven Veri inderungen dieser Kr~f te und der ihnen ent- spreehenden Anpassungen des Systems bi ldet das Objekt der 6ko- nomischen Dynamik." (La meccanica economica, Giorn. d. Econ. 1924,

S 52.) Ein Beispiel mag uns die Rolle des Zeitmomentes in der Theorie des wirt-

sehaftlichen Gleichgewichtes verdeutlichen:

1) Die Nic~tbeachtung der Friktionserscheinungen ist bekanntlich die Todsiinde tier Theorie yon der Harmonie atler Interessen. Der Ausgleichsmechanismus von Angebot und NacMrage soll jeder ,,Stiirung" mit einer zum Gleichgewicht fiihrenden Bewegung begegnen. Trite die StSrung erst bei erreichtem Konkurrenzpreisniveau ein ohne dal3 eine andere StSrung vor Erreiehung des neuen Konkurrenzpreisniveaus ihr folgte, die Wirkungen des KonkmTenzautomatismus w~iren so wie sic die Theorie beschreibt. In Wirkliehkeit rafft abet die Disproportionalit~it der Tempi der wirt- sehafttiehen Erseheinungen die Ausgleichswirkungen weg, das Konkurrenzpreis- niveau wird iiberhaupt nieht erreicht und kann folglich die erwarteten giinstigen Wirkungen gar nicht ausl~isen.

~) Diese Folgerung haben wir mit dem Hinweis auf die M5glichkeit eines ,,endo- genen perpetuum mobile °̀ der ~nderungen bestritten.

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Das Zeitmoment in der Theorie des wirtschaftlichen Gleichgewichtes 139

In der Ebene XOY l~iuft ein Hase l~ings der Mauer (OP) in der Richtung yon A--+.B. Ein Hund im Punkte C verfolgt ihn. Wtirde er riehtig kalkulieren,

so mti~te er dem Hasen den Weg abschneiden und in der Richtung yon C---~B taufen - - dies w~ire die kiirzeste Strecke. Er verfolgt ihn aber in der Weise, dab

er yon jedem Punkte, in dem er den Hasen sieht, jeweils die kiirzeste Strecke l~uft, um ihn zu erreichen. Im Punkte C sieht er den Hasen in A und l~uft in

der Riehtung auf A. Inzwisehen ist der Hase weitergelaufen. Im Punkte D sieht der Hund den Hasen in E und l~uft nun in der Riehtung naeh E bis F.

Im Punkte F sieht er den Hasen in G und t~iuft bis H usw. Die wirklich durch- laufene Strecke CDFH wird bier mit Hilfe der Punktallinien DA, FE, HG

Y: • o ~ / / / / / / / / / / / / / / / / / / . a p

0 'X

erkl~irt - - diese Linien geben die Richtung an und bieten die Analogie zur Gleich- gewichtsmethode. Auch die gibt uns die Richtung an, wit miil~ten abet aul~er der Richtung noeh die L~inge der Punktallinien (Zeitmoment) kennen, um die wirklich durchlaufene Strecke bestimmen zu k6nnen. Die allgemeine Richtung (Tendenz) der Abh~ngigkeit ist uns durch die Gleichgewichtsmethode gegeben,

das gentigt abet nieht, um den Wirtschaftsablauf zu bestimmen - - es kSnnte anstatt CDFH ebensogut CL M oder CJK sein - - , d e r genaue Verlauf ist nieht fixiert, dazu brauehen wir die L~inge der Punkta.llinien: das Zeitmoment. Dies

illustriert uns deutlieh, wie das Zeitmoment jenes fehlende Bestimmungsstiick ist, das a llein den ~bergang yon der qualitativen ZU der ebenso exakt gefal~ten quantitativen ()konomie ermSglicht, welche nicht nur die Richtung, die Tendenz der Abh~ngigkeit, sondem a uch das Ausma~ der Abh~ngigkeit genau bestimmen kSunte.

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140 P. N. Rosenstein-Rodan:

Fassen wit das bisher Gesagte kurz zusammen: Wir sahen, dal] die Wirksamkeit des Ausgleichsmechanismus von Angebot und Naehfrage es zur Voraussetzun~ hat, d ~ die vier in Betracht kommenden Wirkungen sieh alle in der gleichen Zeit auswirken. Wir miissen folglich die Konstellationen der Zeitkoeffizientel) analysieren, am zu erkennen, ob es zu einem Gleichgewichtszu~ande kommt. Drei F~ille sind hiebei mSglich: 1. Die Zeitkoeffizienten sind gleich groin: es kommt sofort zu einem Gleiehgewichtszustand. 2. Sie siad nicht gleich groG, werden e$ abet nach mehreren Veriinderungsphasen: es kommt erst nach einer gewissen Zeit zum Gleichgewichtszustand. 3. Sie sind nieht gleich groii and werden es auch nicht: es kommt iiberhaupt zu keinem Gleichgewichtszustande. Es h~itte zmnindest dieser dritte Fall ats unmSglich dargelegt werden miissen, wenn man yore Gleichgewichtszustande spricht. Jedenfalls mfissen die Zeitkoeffizienten in das Gleichungssystem aufgenommen werden. Die Ausschaltung der Zeitkoeffi- zienten beruht bei Pareto auf der unhaltbaren Voraussetzung eines simultanen gleichen Rhythmus aller 5konomisehen Erscheinungen, bei Jevons auf einer falschen psycholo~schen Voraussetzung and einem logisehen Fehler.

IV. Damit ist alles Wesentliehe bereits gesagt. Es seien nut noch kurz die besprochenen M~nget am Gleiehungssystem der Mathematiker aufgezeigt. Za diesem Zwecke sei nach allgemein iiblichem Muster ein ganz vereinfachtes Schema entworfen, bei dem die Vereinfachung darin beruht, dal~ eine reine Tausehwirt- sehaft (zun~ichst nur mit Konsumgiitern fiir kurze Zeitperioden, also ohne INach- produktion) angeaommen wird, in der die Ware vom Prodnzenten nur verkauft, abet nieht konsumiel~ werden kann, was am Wesen der Sache niehts ~indert und das Schema weseatlieh vereinfacht. Gegeben sind uns dann 1. die Quanten der zum Verkauf gelangenden m Giiterarten, 2. fiir jeden n Kgufer sein Ein- kommen, das ganz ausgegebea werdea soll und 3. seine Nutzenskala fiir die m Gtiter. Gesucht sind 1. Quanten der m Giiter, die von den n K~ufern gekauft warden; 2. Preise der m Gtiter. Folgende Gleiehungen kSnnen anfgestellt werden:

I. Fiir jeden der n K~iufer die Indifferenzlinien oder Nutzenskalen ftir m GtiteP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . n ( m - - l )

II. Fiir jeden der n K~nfer der Ausdruck, dal~ das ganze Ein- kommen ausgegeben wird, das hell't, dal~ das Einkommen gleich ist den Quanten der m Gtiter real ihrem Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . n

III. Ftir m Giiter derAusdruck, dal] Angebot undNaehfrage sieh decken m

Zusammen: n (m--l) + n -4- ni = re(n-(-1)

~) Es sind nur n(m-1) Gleiehungen gegeben und nicht etwa rim. Denn wenn beim gegebenen Giitern m - I Rangordnungen der Gfiter bestimmt sind, ergibt sieh die letzte yon sclbst.

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Das Zeitmoment in der Theorie des wi~'tseha['tlichen Gleichgewichies I~I

Unbekannte sind: Preise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . m

Endquanten der m-Giiter bei n-K~iufern . . . . . mn Zusammen . . . m (n + 1)

Der Schwerpunkt des ganzen Systems liegt in den Gteiehungen III, also in tier Annahme, dab Angebot und Nachfrage sich decken. Das ganze Gleichungs- system bestimmt ftir jedes Gut den Preis, bei dem Angebot und Nachfrage sich

deeken. Wenn wit aus dem Gleichungssystem die Gleichungen III streiehen, so kSnnen wit aus den Gleiehungen I und II die Abh~ingigkeit tier Nachfrage yore Preis ableiten (weil man bei einer Preisiinderung die Griil~e der 5[aclffrage auf Grundlage der Indifferenzlinien und der auf sie aufgeteilten Einkommen bestimmen kann), die Gleiehungen I und II bestimmen also dieWirkung des Preises auf die Naehfrage. Dies ist die einzige Wirkung, die dutch das Gleiehnngssystem

erfaBt ist. Die ~undlegende Annahme, dal] Angebot und ~aclffrage sich decken, ist dutch das Gleichnngssystem selbst nicht erfaBt, sie steht a u ~ erh a 1 b des Gleichungs- systems und beruht auf der Voraussetzung, dal~ die Verk~ufer bei grSi~erer Nach- frage die Preise steigern werden - - sie be ruh t also selbst auf der Annahme einer bes t immten Wirkung der Nachfrage auf den Preis, einer Wir-

kung, die, wie wir gesehen haben, durch das Gle ichungssys tem der Gle iehgewiehts theor ie nieht erfafit ist. 1) Es ist dies abet ein grundlegender

Fehler der ,,Mathematiker", die -- offenbar Opfer der mathematisehen Symbolik, nach der es gleieh ist, welehe GrSl3e Funktion und welche Argument i s t - die funktionelle Abhangigkeit falsch auslegen und bei der Weehselwirkung zwischen Preis und Nachfrage annehmen, dab die Funktion N----/(P) gleich ist der inversen Funktion P = ~(N). In der gegebenen Abhangigkeit der Nachfrage yore

Preis glauben die ,,Mathematiker" eo ipso aueh sehon die Abhangigkeit des Preises yon der Naehfrage gegeben zu haben; sie nehmen also an, dab wenn N = / 1 (P), so auch P = ~1 (N) - - w~ihrend es nur riehtig ist, dal~ wenn N = 11 (P), so

P = ]3 (N). Damit ist ein grundlegender Mangel des Lausanner Systems d a n d e r .

~) In einer iiberaus seharfsinnigen und anregenden Abhandlung ,,Zu den Fragen der modernen Weft- und Preistheorie" (polniseh), Ekonomista, Warschau 1925 nnd 1927, begriindet der russische NationalSkonom W. S. Kohn damit seine Ab]ehnung tier eindeutig-kausalen Preistheorie und fordert eine probabilistische Preistheorie, die nieht die konkrete GrSBe, sondern nut die mathematische Hoffnung des Preises abzuleiten h~itte. Diese statistische Methode der Preistheorie sei ]edoch keine idio- graphische, sondern eine durehaus nomothetisehe. Von den Abh~ngigkeiten seien ]eweils nur die einzelnen einfachen Abh';ingigkeiten korrelationstheoretisch zu unter- suehen. Daft dieser Analyse der einfaehen Abh~ngigkeiten eine Synthese aller Ab- h~ingigkeiten folgen mull, vermag er indes nicht zu leugnen, wenn er auch glaubt, dai~ die Zeit fiir diese Synthese noeh nieht gekommen sei.

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I~2 P.N. Rosenstein-Rodan: Das Zeitmoment, in der mathematischen Theorie

Das einfachste Schema der Tauschwirtschaft mit Konsumgtitern ist hier nur ftir die Betraehtung kurzer Zeitperioden aufgeste]lt worden. Bei der Be- trachtung langer Zeitperioden kommen die Produktionserscheinungen hinzu. Sie werden bekanntlieh dutch zwei weitere GMehungskategorien erfal~t.

IV. Preis --Produktionskosten fiir jedes Gut. V. Gleichheit aller Giiterquanti~ten beim Tau~ch. Es ist klar, dal~ hier, wo der Unterschied in der Gesehwindigkeit der Wir-

kungen Preis--~Naehfrage (2) und Preis--~Angebot (4) besonders augenfN]ig ist, ulle die oben besprochenen Mfi.ngel nut umso sch~rfer hervortreten.

Aus diesen Miingeln ergibt sich die Folgerung, daI3 die Annahme der all- gemeinen gleichen Interdependenz a.ller (ikonomischen Griil~en, die yon den ,,Mathematikern" mit grSgtem Naehdruck hervorgehoben wird, fallen ge- lassen werden toni3. ~) Es gibt in Wirklichkeit keine allgemeine Inter- dependenz, sondern nut verschiedene irreversible Dependenzen. Hier hMt sich die 5sterreichische Variante der Theorie vie] n~her an die Wirk- liehkeit a|s die Lausanner. Diese hat mit der Almahme der Interdependenz ~mr alas Verdienst, dag sie jeweils zur Fragestellung zwingt, ,,]iegt eine Depen- denz vor, wie gro~ ist sie ?" (wobei die Antwort lauten mu], da] sie versehieden grol3, auch Null sein kann). Bekanntlich konnte iibrigens keiner der Mathe- matiker die Annahme der Mlgemeinen Interdependenz konsequent durchftihren. In der Theorie der offenen Zyklen ist sie aueh ausdriicklich fallen gelassen worden. Der weitere Ausbau des mathematischen Systems wird an die Theorie der offenen Zyklen ankniipfen miissen.

~) ,,Da jedes Element in gleichem Grade an jedes andere gebunden ist, mu~ der Zeitraum, der zwisehen der Anfangsbewegung und ihrer Wirkung auf die iibrigen Systemelemente verstreieht, fiir jedes der Systemelemente gleich angesetz~ werden. Die Annahme differierender Zeitspannen sprengt die allgemeine Interdependenz." (A. Liiwe: Wie ist Konjunkturtheorie iiberhaupt miiglieh? Weltwirtsch. Archly 24. Bd. 1926, S. 184.)