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Das Zisterzienserkloster MARIENTAL bei Helmstedt ngß-ig88 Deutscher Kunstverlag AN Sonderdruck

Das Zisterzienserkloster MARIENTAL - MGH-Bibliothek · 2010. 12. 3. · '' R. Zaunick in Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 655 f. 't Erschien als Nr. XLIV der Epistolae Itinerariac,

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  • Das Zisterzienserkloster

    MARIENTAL bei Helmstedt

    ngß-ig88

    Deutscher Kunstverlag

    AN Sonderdruck

  • Bernd Ulrich Hucker

    Eulenspiegel in der Zisterzienserabtei Mariental

    Zur Entwicklungsgeschichte eines Klosterkobolds

    Sowohl das Eulenspiegelbuch' eines anonymen Braunschweiger Verfassers: aus der Zeit von i Soo bis i 5o2, als auch die örtliche, bisher kaum beachtete Tradition lassen Till Eulenspiegel im Kloster Mariental auftreten. Auf den ersten Blick könnte man vermuten, die lokale Überlieferung sei lediglich eine Reflektion auf die verbreitete Eulenspiegelhistorie 89, doch ist dem nicht so: vielmehr entpuppt sich der volksmündlich tradierte Stoff als originäre Sage vom genius loci Marientals, und mithin als Primärquelle, die dem Eulenspiegelautor bei der Aufzeichnung seiner Geschichte Pate gestanden hat.

    Der Bericht des Buches ist rasch wiedergegeben.; Danach beschloß Thyl vlenspiegel als alter, verdrossener Mann, etwas für sein Seelenheil zu tun und seine Tage als Mönch zu beschließen. Das Kloster seiner Wahl war die Abtei Mariental. Aufgrund der Tatsache, daß Eulenspiegel in den folgenden Historien nach Mölln im Herzogtum Lauenburg kommt und dort stirbt, hat man immer wieder die zunächst plausibel klingende Vermutung geäußert, es sei eigentlich das Kloster Marienwohlde bei Mölln gemeint. ' Doch angesichts des unüber-

    ' Die einzige textkritische Edition ist die von H. Knust, Till Eulenspiegel. Abdruck der Ausgabe vom Jahre ISIS, Halle 1884 [bis etwa 1940 noch mehrere Neudrucke mit derselben Jahresangabe] (Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts No. 55 u. 56); alle übrigen Faksimiledrucke und Editionen sind in meinem Eulenspiegel-Artikel in der Enzyklopädie des Märchens Bd. 4, Sp. 538-555, dort Sp. 554f., verzeichnet; die dort noch nicht berücksichtigte Ausgabe von W. Wunderlich, Dyl Vlenspiegel. In Abbildung des Drucks von ISIS, Göppingen 1982 (Litterae 96), ist in Wahrheit bloß die Wiedergabe des schlechten, weil retuschierten Faksimiles des Insel-Verlages von 1911. Zur angeblichen Verfasserschaft des Braunschweiger Zoll- und Akziseschreibers Hermen Bote vgl. E. Schröders Untersuchungen zum Volksbuch von Eulenspiegel, Göttingen 1988 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil. -hist. Klasse 3. Folge, Nr. 159), S. 88f. und dort W. Virmonds und meine Nachbemerkung S. io9. - Eine köstliche Abstrusität ist H. Zippels Abhandlung »Eulenspiegelautor Hermann Bote als Priesterkind? «, in: Mitteilungsblatt für Vor- u. Frühgeschichte 38,1987, S. 31-172, wo das Eulenspiegelbuch auf hanebüchene Weise für die Rekonstruktion der ja z. T. unbekannten Biographie Botes ausgewertet wird. »Da die Sachen, die Bote betreffen, oft ... entgegengesetzt zu

    den Angelegenheiten Eulenspiegels zu verstehen sind, ist der Klosterschwank der Anfang des ... Lebens des Hermann Bote« und, man staune, Mariental das Refugium des jungen, als Priesterkind unwillkommenen Hermann, der schließlich den Klostermau- ern entflieht. Eine schöne Kostprobe aus diesem Grubenhund ist der Beweis für den nirgends belegten Aufenthalt Botes in Mariental: weil Isegrim im Reinke Vos ins Kloster Elemar geht, ist - wie könnte es anders sein - Mariental gemeint, »>mar< = Mariental, >elem< = Elm, von Braunschweig aus gesehen führt die Straße nach Mariental am Elm vorbei« (S. 74 f. ).

    3 Hist. 89, BI. 123 r-124r der Ausgaben Straßburg 1515 und 1519; dem ältesten Exemplar von 151o/ ti fehlen die letzten Blätter mit dieser Historie, so daß der Text der Ausgabe von 1519, die in der Regel besser als die von 1515 ist, zugrundegelegt werden muß.

    4 So W. Lindow in seiner, nicht sehr brauchbaren Lese-Ausgabe (Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel, nach dem Druck von 1515 hrg. Stuttgart 1966) S. 2 S3 Anm. i.

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    4 iii 87. Holzschnitt zur Marientaler Historie

    des Eulenspiegel-Buches von i Soo, nach der Ausgabe Straßburg 15 15

    sehbaren Sachverhalts, daß Marienwohlde ein Birgitten-Frauenkloster war, die Historie

    aber einen Abt und einen Mönchskonvent nennt, haben die wichtigsten Kommentatoren,

    wie Johann Martin Lappenberg, Felix Bobertag und Edward Schröder sich eindeutig für die Zisterze Mariental bei Helmstedt ausgesprochen. ' Wie wir noch sehen werden, findet diese Zuweisung eine zusätzliche Stütze in der Illustration und der in der Tat auffällige Bruch im

    S J. M. Lappenberg, Dr. Thomas Murners Ulenspiegel [mit dem Text von 1519 hrg. ]. Leipzig 1854 (Neudruck Leipzig 1975) S. 287; F. Bobertag, Volksbücher des 16. Jahrhunderts. Eulenspiegel. Faust. Schildbürger, Bln. usw. o. J. (Deutsche National-Litteratur, Historisch-kritische Ausgabe

    25) S. 136; E. Sehrüder, wie Anm. 1, S. 53.

    152

  • 88. Mariental. Klosterkirche. Südflügel mit Treppe

    Itinerar seine Erklärung in der Existenz der örtlichen Uberlieferung, über deren Schauplatz sich der Autor glaubte nicht hinwegsetzen zu dürfen.

    Was nun weiter geschieht, ist, daß der Abt den Schalk aufnimmt und ihm das Amt eines Pförtners zuweist, für das ihm ein eigener Raum zusteht (so bleibstu in dinem gemach; Fisch-

    art nannte es das Porthäußlein. Dabei fiele nicht viel Arbeit an, lediglich Kost und Bier sei aus dem Keller holen und der Einlaß zu bewachen. »Du solt mir nit iederman in lassen, den dritten oder den fierden laß kum in/ dan so vil in lassen, sie fressen wol das kloster arm«6 Unschwer ist zu erraten, daß vlenspiegel sich das merkte und infolgedessen nur jeden Vierten in das Kloster ließ. »Als ir mich geheissen habt« ist die gewohnte Entschuldigung auf die Vorhaltung des Abtes, der ihm jetzt eine andere Aufgabe überträgt. Er möge eine Anwesen- heitskontrolle bei der Nachtmesse durchführen. Eulenspiegel brach einige Stiegen aus der Holztreppe, über die der Weg der Mönche führte, und schnitt die Zahl der Heruntergestürz-

    ten in ein Kerbholz, das er dem Abt mit der Frage übergab »wirdiger her, hab ich nun mein ambt vß gericht? « Bei Eulenspiegels Zählverfahren hatte sich u. a. der alte Prior ein Bein

    gebrochen. Der Schalk mußte nun das Kloster verlassen, der Abt gab ihm den beziehungs-

    reichen Wunsch »louff zu dem düffel« mit auf den Weg. 7 Der Schlußsatz der Historie (Also kam er gen Mollen ...

    ) ist, wie Edward Schröder ermitteln konnte, Zusatz eines Straßburger Bearbeiters, der im übrigen auch manches verstümmelt und mißverstanden hat. '

    ' Bl. iz3v; Johann Fischart, Eulenspiegel reimensweiß, wie Anm. io, S. 426 V. 12236. Die Verfluchung des Schalks findet sich an mehreren zentralen Stellen des Buches und hatte

    offensichtlich die Funktion, den Untergang des Buchhelden vorwegzunehmen. Er stirbt dann ohne alle Sakramente als Verdammter, vgl. B. U. Hucker, Das hansische Lübeck und Thyl Ulenspiegel, in: Eulenspiegel-Jahrbuch 18,1978, S. 16-2$, dort insbes. S. 22f.

    97

    153

  • It VIOL V, N', Phil: N11.111). W 1i) c. F"s Ncr ('ý'ItýrýO(`"}iF. Gýý f

    I'ItN>CI1IE1Il3 111 .C1 it'll ýOI. rJ*INBVn- ltd t- -\i. % NJnC

    89. Franz Ernst Brückmann aus Mariental. Kupferstich von 1737

    Die Holzschnittillustration zu dieser Historie, die sich nicht nur in den Straßburger Drucken von 1515,1519,1531,1539 und 1543 findet, sondern bemerkenswerter Weise,

    worauf noch zurückzukommen sein wird, auch in einer Bruder-Rausch-Ausgabe von

    8 So übertrug er das niederdeutsche sind tit volsliten mit vol schleißen, E. Schröder, wie Anm. 1, S. 53. Hinzuzufügen wäre, daß die niederländische Überlieferung eine Aufzählung der Landfahrer bewahrt, die das Kloster arm zu essen drohten: aftreckers, ende der onbescaemder ende bescaven

    menschen, W. Krogmann, Ulenspegel. Kritische Textausgabe, Neumünster 19f2 (Drucke des Vereins für Niederdeutsche Sprachforschung 11), S. 48 Z. 17f. Offenbar konnte der Bearbeiter mit den entsprechenden niederdeutschen Bezeichnungen nichts anfangen und ließ nur das so unver- ständliche dan so vil in lassen stehen. W. Virmond, Eulenspiegel und seine Interpreten, Berlin 1982 (Facetiae - Schriften der Arbeitsstelle für Hermen-Bote - und Eulenspiegelforschung 2) S. 20, vermutet, daß der Autor auch das Meisterlied »Der reiche Bauer als Pfründner" gekannt haben könnte. Dieses von Lappenberg, wie Anm. 4, S. 282-287 abgedruckte Lied läßt einen Bauern den Wagen schmieren und die Stufen beim Zählen herausbrechen, nennt allerdings keine Orte und ist frei von diabolisierenden Tendenzen, so daß man selbst bei der Annahme dieses literarischen Einflusses nicht um die Benutzung der Marientaler Überlieferung herumkommt. Hans Sachs dagegen hat für seinen Reimspruch M 488 sicher das Meisterlied und nicht, wie Virmond S. 103 noch

    IS4

  • 9o. Die Eulenspicgcltrrppr in dcr Klosterkirche Ivlaricntal

    87 I52o/3o9, zeigt die Treppe in der Klosterkirche, von der einige Mönche purzeln, dahinter Eulenspiegel mit verschränkten Armen. Von den jüngeren Illustratoren sind Tobias Stim-

    mer und Leonaert Bramer hervorzuheben. Jener schnitt die Holzstücke zu Fischarts

    96,97 Eulenspiegel, dieser ist der einzige, der die beiden in Historie 89 vorkommenden Streiche Tills zum Thema gewählt hat. '°

    Die verblüffende Ähnlichkeit der Architekturdetails auf dem ältesten Holzschnitt mit der Wirklichkeit ist auffallend, aber im Eulenspiegelbuch nicht ohne Analogie: weitere Holz-

    annahm, den Eulenspiegel zugrundegelegt, denn er nennt den Namen des Schalks nicht und koppelt

    wie das Meisterlied die beiden Motive aus Hist. 64 und 89. Bruder Rausch. Facsimileausgabe des ältesten niederdeutschen Druckes ... eingeleitet und mit einer Bibliographie versehen von R. Priebsch, Zwickau 1919 (Zwickauer Facsimiledrucke Nr. 28) S. 53 f. Nr. 3. Johann Fischaas Werke. Zweiter Teil: Eulenspiegel reimensweiß, hg. von A. Hauffen, Stuttgart

    o. J. (Deutsche National-Litteratur. Historisch-kritische Ausgahc i`); Lcomacrt Brauurs Zeich-

    nungen zum Tyl Ulenspiegel, hg. von E. W. Bredt, Leipzig 1924.

    I ii

  • schnittillustrationen zeigen mit deutlich naturalistischen Zügen den Altstadtmarkt in Braun- schweig, Rathaus und Roland in Magdeburg, Blauen und Roten Turm auf dem Schloß Bernburg, das erzbischöfliche Palatium in Bremen, den Blick über die Pegnitz zum Nürnberger Heilig-Geist-Spital und anderes mehr. " Der einzige wesentliche Unterschied zwischen dem Bild und der Wirklichkeit bildet die Bauweise der Treppen. Hier eine Steintreppe, dort Holzstiegen. Doch ist leicht festzustellen, daß die Steintreppe in jüngerer 87,88 Zeit hinzugefügt wurde. Kurzum, das Eulenspiegelbuch weist durch Text und Illustration übereinstimmend auf das '136/38 gegründete' Zisterzienserkloster Mariental hin, dessen Eulenspiegelüberlieferung uns nun beschäftigen wird.

    Eine Klosterbeschreibung von etwa 1760 nennt außer der noch heute bekannten Eulenspie-

    geltreppe eine Eulenspiegelcapelle im Bienengarten und Bilder des Schalks. '} Leider macht diese Aufzeichnung weiter keine Angaben darüber, welche Bewandtnis es mit diesen Denkmälern der Sage hatte. Dafür werden wir durch Berichte des Arztes und Naturwissen-

    schaftlers Franz Ernst Brückmann (1697-1753) reichlich entschädigt. Brückmann, dessen 89 Bildnis von '737 wir besitzen, war ein Sohn des Marientaler Amtmannes Franz Andreas Brückmann (1652-1720) und ist in den Mauern des Klosters aufgewachsen. '' Dieser Umstand verleiht seinen Nachrichten besonderen Wert, denn er wird mehrfach durch Einwohner und Dienstpersonal über den Eulenspiegel im Kloster berichtet bekommen haben. 1735 publizierte Brückmann, der als naturwissenschaftlich, vor allem geologisch interessierter Reisender weit in Mitteleuropa herumgekommen war, seine wichtige Schrift De signis urbium mnemonicis. '1 Mit dieser Abhandlung machte er die gelehrte Welt auf ein Phänomen im zünftischen Brauchtum der wandernden Handwerksgesellen aufmerksam, nämlich die zur Legitimation dienende Gewohnheit, sich besondere Merkmale der Städte

    und ihrer Bauwerke einzuprägen. Brückmann hat sich wiederholt mit diesen Denkmalen des Mittelalters befaßt und eine beträchtliche Sammlung von Handwerkerwahrzeichen vorge- legt. Als Beispiele aus dem ostfälischen Raum seien das Mumme-Männchen in Braun-

    schweig, der Ducatenscheisser in Braunschweig, der Esel auf Rosen in Halle, die steinernen Schäfer in Quedlinburg, das Wagenrad in Schöningen und die steinernen Kugeln am Wolfenbütteler Dammtor genannt. Mit seiner Sammlung und den dazugehörigen, durchaus kritischen Überlegungen muß Brückmann als Begründer der wissenschaftlichen Wahrzei-

    chenkunde gelten. '

    " B. U. Hucker, Das älteste Bildzeugnis vom Braunschweiger Altstadtmarkt, Braunschweig 1986 (Städtisches Museum Braunschweig - Miszellen 42).

    Z Über die Gründung vgl. meinen Beitrag . Friedrich II. von Sommerschenburg, Pfalzgraf von Sachsen - Reichsfürst und Klostergründer« in dieser Schrift.

    '; Beschreibung des Klosters Mariental von ca. 1760; vgl. K. Schattenberg, Till Eulenspiegel und der Eulenspicgelhof in Kneitlingen, Braunschweig usw. 1906, S. 79, wonach damals noch die Eulenspie-

    geltreppe und die Küche unter dem Namen Eulenspiegelstube bekannt waren. '' R. Zaunick in Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 655 f. 't Erschien als Nr. XLIV der Epistolae Itinerariac, Wolfenbüttel (insgesamt too Briefe, 1728-1741). 16 F. E. Brückmann: De signis urbium mnemonicis, Wolfenbüttel 1737 (Epistolae Nr. LIII); Sistens

    signa urbium mnemonica, Wolfenbüttel 1737 (Epistolae Nr. LIV); Sistens reliqua urbium et locorum signa mnemonica, Wolfenbüttel 1737 (Epistolae Nr. LV); De signis urbium mnemonicis,

    156

  • . t::; .,. ý :. ýýý_ý . -ý--ý- -- ., , ý. L. - -4- . _r-.:, =r' ^äs ' : _. cysý.: .. i .-- rY -=-

    yi. I )le h. ulcnspic clkuchc iin Kloster Nlariental

    92. Der Burgkobold Hinzelmann in der Küche. Radierung von 1704. Aus: Der vielförmige Hintzelmann, 1704 S. 126

    92 Etliche Wahrzeichen sind den Studien Brückmanns in Kupfer gestochen beigegeben.

    Bedauerlicherweise hat er keine Abbildung der Marientaler signa mnemonica veröffentlicht. Was schreibt Brückmann nun über Mariental, dessen signa strenggenommen natürlich keine

    Wahrzeichen sind, denn für ortsfremde Handwerksgesellen war im System der mittelalter- lichen Zisterzienserwirtschaft kein Platz. Hier zeige man »Erstens ein Bild des sogenannten Eulenspiegels, eines wohlbekannten und sehr spaßhaften Mannes, in Wandfarben an den

    Kreuzgang nahe der Kirchtür gemalt. Zweitens Treppen, die den Namen von diesem

    überaus absurden Mann tragen, vom Amtshaus in die Kirche führend, von denen er zu

    Wolfenbüttel 1739 (Epistolae Nr. LXXIX) und Sistens signa urbium mnemonica, Wolfenbüttel

    1739 (Epistolae Nr. LXXX), vgl. außerdem einzelne Briefe über die Wahrzeichen von Bamberg

    (1729, Ep. VIII), Quedlinburg (1730, Ep. XIX), Erfurt (1734, Ep. XXX) und Posen (1736, Ep. XLVIII). - W. Schäfer, Deutsche

    Städtewahrzeichen. Ihre Entstehung, Geschichte und Deutung.

    Erster Band, Leipzig 1858 (mehr erschien nicht); S. M. Haag und B. U. Hucker, Auf den Spuren der

    Gesellenwanderung, in: Bamberger Forschungsprojekte 198o-1985, Bamberg 1985, S. 181-191 (mit

    weiterer Literatur zur Wahrzeichenkunde).

    IS7

  • dunkler Nachtzeit ein oder zwei Stiegen entfernte, um auf Befehl des Abtes die zu den Gebetsstunden in die Kirche eintretenden Mönche zu zählen« und fügt hinzu, daß Eulen- spiegel für einige Zeit Klosterpförtner gewesen sei. "Noch ausführlicher ist sein Bericht von 1745: >'In diesem Kloster zeigen sie auch Bilder des berüchtigten Windbeutels Tyll Eulen- spiegel, in Farben gemalt, eins im Umgang der Kirche, unmittelbar an der Tür der Sakristei, das andere in der Nähe der Tür, die in das Kloster führt. Der Wandel der Zeit und die müßigen und mutwilligen Finger der Schüler haben diese Bilder zum größten Teil zerstört. Auch ist dort eine Kapelle oder vielmehr ihre Steinruine, gewöhnlich Eulenspiegels-Capelle genannt, im sogenannten Bienengarten, in diesem kleinen Gebäude sang der so albern benannte seine kanonischen Gebetszeiten. Sie zeigen auch hölzerne Stiegen, Eulenspiegels- Treppe, die vom Amtshaus in die Kirche führen, auf und von diesen zählte er auf Geheiß des Abtes nachts die Mönche, die die Kirche betraten und die Treppe hinabstiegen, als sie die erste und zweite Stiege durchbrachen. Ich füge seine Küche hinzu, Eulenspiegels-Kueche die im Amtshaus nahe der Treppe gezeigt wird. «'a

    *

    In einem ersten Schritt haben wir uns mit der Topographie der genannten Örtlichkeiten zu befassen. Nicht sicher lokalisiert werden kann die Eulenspiegelkapelle. Vielleicht bezieht

    sich dieser Teil der Sage auf die Fundamentreste der Apsiden der ersten, romanischen Klosterkirche, die östlich des Chores am Abhang zum heutigen Friedhof zu sehen sind. Aber es ist auch möglich, daß es sich um die Torkapelle am Nordwestausgang des Klosterbezirks handelt, die 1766 als Alte Kapelle bezeugt ist. '9 Soviel geht aus diesem Detail der Sage hervor, Eulenspiegel kann kein gewöhnlicher Mönch gewesen sein, wenn er seine Gebete getrennt von allen anderen abhalten mußte.

    '7 F. E. Brückmann, De signis urbium mnemonicis, wie Anm. 16, S. u: Vallis divae Mariae, coeno- bium ducatus Brunsvicensis, '/. mill. Helmsteto distans, monstrat r. effigiem sic dicti Eulenspiegels,

    viri notissimi, ridiculosi, colon bus parieti in peristylio, proxime ad templi januam adpictam 2. Scalar, nomen ab hoc subabsurdo viro retinentes, ex praetorio ad templum ducentes, ex quibus tempore nigro nocturno, jussu abbatis, gradu uno vel altero scalarum remoto, monachos, ad Noras sacras in templum euntes, numeravit prolapsos. Improbus hic homo per aliquot tempus in hoc monasterio ostiarius fait

    confer. Ejusdem viri inepti vitae curriculum, Fata ac (acta risu digna lingna Teutonica conscripta 8v- 18 F. E. Brückmann, Memorabilia vallis divae Mariae, Wolfenbüttel 1745 S. 383 f.: Monstrant et in hoc

    monasterio icones famosi nebulonis Tyll Eulenspiegels, coloribus pictos, unum in ambitu templi, statim ad portam aedium sacrarum et alterum sub porta, qua in monasterium itur. Temporis tractus juxta ac otiosi et petulantes stipendiatorum digiti has effigies multum perdiderunt. Adest et sacellum, vel potius istius tantum rudera saxea, vulgo Eulenspiegels-Capelle, in sic ditto apum horto; in hac aedicula nominates fatuus Noras suas canonicas cecinit. Monstrant et scalas, Eulenspiegels-Treppe, ligneas, quibus ex praefecturae domo in templum itur; in et ex his nocturno tempore, jussu abbatis, monachos templum intrantes et per scalar delabentes, nam gradem unum et alterum ex scalis dextraxerat, numeravit. Addo ejus culinam, Eulenspiege/s-Kueche, quae proxime ad has scalas in praefectura ostenditur. Facetias jocosas ab hoc ridiculo homine hic peractas, si legere et deridere placet, evolve ejus vitae curriculum, per pluribus nugis satis refertum.

    'y Lageplan des Klosters von J. M. Schüttelöffel (1766), abgebildet in: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Braunschweig, Bd. i Kreis Helmstedt, Wolfenbüttel 1896, S. 128.

    Ij8

  • &JA, Ikk

    l; ru. icr Kausch vor der Klosterptot tr. den Prior um Dienste bittend.

    Holzschnitt von 162c

    94. Bruder Rausch schnitzt Knittel für die Zisterziensermönchc. Holzschnitt von etwa 15 cc

    91 Die Eulenspiegelküche ist noch bis heute bekannt: darin soll Eulenspiegel gehaust haben. Es handelt sich um ein niedriges altes Gemach mit Tonnengewölbe, das sich hinter der Tur auf der halben Höhe der Eulenspiegeltreppe befindet. Früher war hier, wie ebenfalls bezeugt, der Zugang vom Gutshaus (dem früheren Amtshaus) zur Kirche.

    9o Wenn die Eulenspiegeltreppe hier neben seiner Küche liegt, so ist das zwar plausib, aber nicht zu dem, was die Historie von i Soo voraussetzt. Danach müßte der Schauplatz de,

    zweiten Eulenspiegelstreiches zwischen Chor und Dormitorium angesiedelt werden - da, 87,88 aber ist genau die Stelle, die mit der Holzschnittdarstellung übereinstimmt, also jene Treppe.

    die vom Obergeschoß des Ostflügels in die Kirche führt. Die Eulenspiegeltreppe de, Tradition ist eindeutig eine andere, als die des Eulenspiegelbuches. Diese Beobachtung führ

    uns darauf, daß der eigentliche Ort des Marientaler Eulenspiegels die Klosterküche gewesee ist. Dazu stimmt die lokale Variante des Streiches, wonach der Schalk beim Zählen im Beil

    gelegen habe. Faßt man die bei diesem ersten Schritt ermittelten Spezifika der Marientalcý Sage zusammen, so entsteht das Bild eines besonderen Klosterangehörigen (auch als Vo;;

    oder Küster bezeichnet), der in der Küche haust, wo er auch schläft, und den Mönchen, eher aber den Konversen, denn nur diese lebten im Westflügel, Streiche spielt! '

    Laut freundlicher Auskunft von Frau von Dewitz bei meinem Besuch in Mariental (Sommer 1978); vgl. auch oben Anm. 13. B. U. Hucker, Eulenspiegel, in: Enzyklopädie des Märchens Bd. q, Lfg. 2/3,1983, Sp. 538-555, dort Sp. 5 51 Anm. 28; in den Sagen aus dem Lande Braunschweig, hg. von Th. Voges, Braunschweig 1895, findet sich dazu kein Material, wohl aber Sagen über das ausschweifende Leben der Mönche, S. 197-200.

    159

  • 95 " Bruder Rausch wirft den Koch in den Kessel

    und stiftet Streit zwischen den Mönchen. Holzschnitt von 15 15

    Aus diesen eigenständigen Abweichungen ergibt sich, daß die Marientaler Sage nicht etwa erst durch den literarischen Einfluß des Buches entstanden ist, denn was hätte dann näher gelegen, als die im Buch abgebildete Treppe als »Eulenspiegeltreppe« auszugeben? Der Eulenspiegelautor mag um seiner literarischen Absicht willen Personenkreis und Örtlichkeit

    ausgetauscht haben, wie er es auch sonst gern tat, ohne dabei aber die alten Traditionsorte der Sage, wie Mölln, Bernburg, Kneitlingen anzutasten. Auch die Stoffe blieben noch so weit erhalten, daß der Leser sie wiederzuerkennen vermochte.

    *

    Kommen wir zum zweiten Schritt, denn nun wäre die Frage zu klären, um welche Sagengattung es sich handelt und wie alt sie ist. Den entscheidenden Fingerzeig gibt der

    i6o

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    Zeichnung von 1636/46

    92

    Aufenthaltsort des Marientaler Eulenspiegels: in Küche und Keller haust der spiritus familiaris eines Hauses, aber auch einer Burg oder eines Klosters. Es ist sicher kein Zufall,

    daß auch die Historie noch den besonderen Raum für Eulenspiegel angibt, und daß zu seinen Aufgaben gehöre, Bier und Kost aus dem Keller zu holen. »An einigen Orten hat fast jeder

    Bauer ... einen

    Kobold, der allerlei Hausarbeit verrichtet, in der Küche Wasser trägt, Holz

    haut, Bier holt, kocht ... und dergleichen« (Brüder Grimm). -'-' Im Niedersächsischen sind

    die Kobolde Hödeken und Hinzelmann am bekanntesten. Hinzelmann war der Burggeist

    von Hudemühlen an der Aller. Hödeken ist mobiler, er tauchte auf Winzenburg, in

    Lüneburg und in Hildesheim auf - hier wohnte er im Bischofshof, bei einem Kaufmann und in der Waschküche eines Domherren. " Diese beiden, aber auch andere Hausgeister

    J. und W. Grimm, Deutsche Sagen, Bd. 1,1893, Nr. 72. Ebend. Nr. 76 und 7$; weitere Hödeke-Sagen sind zusammengestellt bei K. Seifart, Sagen, Mär-

    chen, Schwänke und Gebräuche aus Stadt und Stift Hildesheim, 2. Aufl. hg. von H. Blume,

    Hildesheim usw. 1914, S. 59-67. Das erste, von Grimm übersehene Zeugnis der Hödeken-Sage hat

    Bote in seiner Cronecken der Sassen, Mainz 1493, bewahrt (cd. Leibniz, SS rer. Brunsvicensium

    Bd.; S. 338)!

    i61

  • 97. Leonaert Bramer. Ulenspiegel zählt die Mönche. Zeichnung von 1636/46

    zeichneten sich durch lärmendes Wesen aus. Mit dem Dienstpersonal legen sie sich an, wenn sie gefoppt werden. Ihren Schabernack, zumTeil aber auch härtere Racheakte, begleiten sie mit auffälligem Gelächter. 24 Will-Erich Peuckert verdanken wir eine luzide Untersuchung der Wandlungen der Ko-

    boldsfiguren in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Danach sieht die »ältere Generation der Lutherschen Zeiten« in ihnen noch gute Geister, die nur ihnen getanes Unrecht vergelten, während sie »für Luther und die von ihm aufgerichtete Kirche« nur noch »böse Teufel« sind. Der Diabolisierungsprozeß hat sich im Groben »um 1500« vollzogen. '' '4 Material über Kobolde findet sich bei: J. Grimm, Deutsche Mythologie Bd. 1,5.414-428 u. Bd. 3,

    S. 144- 146; O. Henne am Rhyn, Die deutsche Volkssage im Verhältnis zu den Mythen aller Zeiten

    und Völker mit über tausend eingeschalteten Originalsagen, z. umgearb. Aufl., Wien usw. 1879, S. 309-334; J. Lippert, Christentum, Volksglaube und Volksbrauch. Geschichtliche Entwicklung ihres Vorstellungsinhaltes, Berlin 1882,5.436-453; L. Jung, Pumphut - Ein Beitrag zur deutschen Volkssagenforschung, Phil. Diss. Marburg 1960; E. Lindig, Hausgeister, Frankfurt/M. usw. 1987 (Artes Populares, hg. v. L. Röhrich 14). W. -E. Peuckert, Deutscher Volksglaube des Spätmittelalters, Stuttgart 1942, S. 139-151, die Zitate dort S. 148.

    162

  • 98. Illustration von Klrmke, 195 5

    Diese Beobachtung liefert uns ein hilfreiches Kriterium. Gerade in diesem Punkt hat die

    Marientaler Überlieferung gegenüber dem Eulenspiegelbuch ihre Eigenständigkeit bewahrt.

    Während der Held des Buches überall diabolische Züge aufweist", vermissen wir diese in

    der Ortssage. Der Autor hat den Stoff in gleicher Weise behandelt, wie Luther den einer ihm

    begegnenden Koboldsage: »Da sie (nämlich ein Guardian mit einem Bruder) nu ... ins

    Kloster gingen, saß der Teufel auf der Schwell der Pforten, ... sie aber waren sicher, denn sie

    meinten, er wäre nu in ihrer Gewalt und Hand, und fragten ihn, was er wollte? Antwortete

    er, er wollte ihnen im Kloster dienen, und bat, man wollte ihn irgend an einem Ort ordenen, da sie seines Dienstes bedürften und ihn finden könnten. Da wiesen sie ihn in einen Winkel in

    der Küchen. Und damit man ihn kennen könnte, zogen sie ihm ein Mönchskappen an und bunden eine Schelle oder Glöcklin dran, als ein Zeichen, dabei man ihn kennete. Darnach

    riefen sie ihm, daß er sollt Bier holen. « Das tat er auch eifrig, aber als der Küchenjunge ihn

    ärgerte, warf er ihn über einen Balken, so daß der Guardian ihm schließlich »Urlaub gab«. 27

    26 Der Eulenspiegel-roman- liest sich streckenweise wie eine Persiflage auf das Leben Jesu; der

    antichristliche Held verstand es überdies, sich allen heilsnotwendigen Sakramenten und Bußübun-

    gen zu entziehen, so daß er schließlich als Verdammter in die Grube fährt: J. Lefebvre, Les fols et la

    folie, Paris 1968, S. 279ff. - S. Zöller, Der Schalk in der entfremdeten Gesellschaft, in: Till Eulenspiegel in Geschichte und Gegenwart hg. v. T. Cramer, Bern 1978, S. 7-28, dort S. 24-28; B. U. Hucker, Das hansische Lübeck, wie Anm. 7, S. 22-25. W. -E. Peuckert, wie Anm. 2$, S. 144-146.

    163

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    99. Illustration von (. Barlosius, i9:;

    Die Parallelen sind mit Händen zu greifen - diese und eine weitere, mecklenburgische Sage,

    wonach ein Küchen-Puk von den Mönchen für seine Dienste »ein kleid aus bunten Farben,

    mit Glöckchen behangen« erbatls, lösen ein Rätsel. Denn wie konnte es zu einer Kontamina- tion der alten, sich an einen straßenräubernden Landadligen aus Kneitlingen heftenden Sage29 mit den Erzählungen vom Kloster-Kobold kommen? Offenbar ist dieser ebenfalls mit Narrenkleidern begabt und Schellen behangen worden, so daß es keines großen Schrittes bedurfte, ihn in den Fresken des Kreuzganges wiederzuerkennen. Da mag sich unter biblischen und Heiligendarstellungen irgendeine bunte Narrenfigur befunden haben. Reste

    von Wandmalereien sind dort noch heute zu sehen. Zu diesem eher äußeren, örtlichen Anlaß tritt ein weiterer, struktureller: das Narrentum im

    allgemeinen wie der Eulenspiegelstoff im besonderen weisen enge Beziehungen zum Ko- boldwesen auf. Bereits Jacob Grimm hat darauf hingewiesen, wie sehr der Hofnarr in der Volkserzählung dem Kobold nahesteht. }° Und der Stoff der Eulenspiegelsage ist vielfach identisch mit dem, was man sich in Norddeutschland von Kobolden erzählte. Der Eulen-

    spiegel der lokalen Sage in Kneitlingen und Bernburg ist offensichtlich ein Kobold, da er dessen typische Kleidungsstücke, einen Hut, Zwergenwams, -käppchen, -trompete und -krug besaß, in Kneitlingen im Keller, in Bernburg hoch auf dem Turm wohnte, und sich

    28 J. Grimm, Deutsche Mythologie Bd. i, S. 424: der Klosterkobold bedung sich tunicam de diversis coloribus et tintinnabulis plenam aus, wie eine Aufzeichnung von 15 59 berichtet.

    29 Till v. Kneitlingen (1337-1351) ist nachgewiesen bei B. U. Hucker, War Tile von Kneitlingen (t339- 13 51) der historische Eulenspiegel? in: Braunschweigisches Jahrbuch 64,1983, S. 7-28.

    }°J. Grimm, Deutsche Mythologie Bd. 1, S. 416 Anm. 2.

    164

  • auch sonst koboldmäßig aufführte.; ' Doch auch der Held des Buches wird stellenweise deutlich als Kobold geschildert. Während der Autor sich ansonsten bemüht, den Schalk alle namhaften Messe- und Hansestädte besuchen zu lassen, werden einige Koboldsstreiche interessanterweise gerade dort lokalisiert, wo die Unholde tatsächlich bekannt waren, so in Hildesheim (Hist. 64), in Bernburg (Hist. 22) und Mariental. Es ist lohnend, sich einige der Motive daraufhin näher anzuschauen. Als Schabernack treibender Knecht dient Eulenspiegel in Küche und Keller auf einer Burg

    im Magdeburgischen (Hist. zo), bei einem Pfarrer in Büddenstedt (Hist. ii), bei einem Schuhmacher in Stade (Hist. 44), bei einem Kaufmann in Hildesheim (Hist. 64, Teil i) und im Kloster Mariental (was aber nur noch in einem Nebensatz zum Ausdruck kommt). Hierher gehört auch seine Tätigkeit am Braukessel in Einbeck (Hist. 47). Mit Brennholzbeschaffung befaßt er sich bei einem Gerber in Braunschweig (Hist. 56) und

    bei dem eben erwähnten Stader Schuhmacher. Daß der Kobold sich an Koch und Küchenjungen rächt, ist gut bezeugt, Bruder Rausch

    wirft den Koch sogar in den Kessel. Ebenfalls ein Lebewesen siedet Eulenspiegel beim Brauer in Einbeck (Hist. 47). Das Motiv des Haarezupfens, um damit Streit zu verursachen, begegnet bei Luthers

    Klosterkobold. Hier finden wir es auf die Diebe eines Bienenkorbes angewendet (Hist. 9). Streit stiftet Eulenspiegel ferner unter den Knaben seines Dorfes an der Saale (Hist. 4) und unter den Büddenstedtern (Hist. 13). Auch Bruder Rausch bringt es fertig, daß die Kloster- brüder erbittert aufeinander einschlagen. Er hat ihnen sogar die Knittel dafür geschnitzt. In koboldisches Gelächter schließlich bricht Eulenspiegel mehrfach aus: so in den Histo-

    rien 4,9,14 und 77. Die Historie 47 bildet sogar die Aneinanderkettung mehrerer Koboldsstreiche: Eulenspiegel verdingt sich als Küchenknecht, treibt mit dem Bier Unfug im Keller und läßt den zuvor überall »geschmierten« Wagen seines Herrn ausgerechnet auf dem Wege von Goslar nach Hildesheim verunglücken, also genau in jenem Landstrich, wo auch Hödeken sein Unwesen in der gleichen Weise trieb. 32 Schließlich räumt er mit großem Gepolter das Haus. Hier hat er sogar einen Namen, nämlich Bartholomäus133 Und wenn sein Dienstherr ihn kurz Doll nennt, so rückt er ihn durch diesen Namen ahnungslos in die Nähe der Kobolde.

    95

    3' Kneitlingen: A. Kuhn und W. Schwartz, Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche, Leipzig

    IS48 (Neudruck 1972), Nr. 171; H. -B. Krieger, Elmsagen, Braunschweig usw. 1967 S. 19 und B. U. Hucker, Eulenspiegel, wie Anm. t, Sp. SS1 Anm. 2S - Bernburg: Lappenberg, wie Anm. S, S. 242, I. Stieler, Turmbläser Till Eulenspiegel im Volksbuch und in der Bernburger Überlieferung, in: Eulenspiegel im Volksbuch und in der Bernburger Überlieferung, in: Eulenspiegel Jahrbuch 9, 1969, S. 10-13, ders., Bcrnburgs Eulenspiegel einst und jetzt, ebenda 10,1970, S. 17-2o; ders., Bernburgs Eulenspiegel in Bernburgs Überlieferung, Wissenschaft und Kunst, ebenda 11,1971, S. 26-29 und B. U. Hucker, Eulenspiegel, wie Anm. t, Sp. SS1 Anm. 29.

    3= K. Seifart, Sagen, wie Anm. 23, S. 6o Nr. 6. 33 Bartholomäus könnte durchaus als Koboldname durchgehen, denn die Volksüberlieferung weist ihn

    teils ins Wilde Heer, teils in die Nähe von Hexen, A. Kuhn und W. Schwartz, Sagen, wie Anm. 31, S. 5 16 - Doll erinnert deutlich an Drollen und

    Trolle.

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  • Die Bernburger Historie schließlich weist gewisse Ähnlichkeiten mit Luthers Erzählungen von den Kobolden des Herren von Rechberg und eines Edelherren aus der Gegend von Torgau an der Elbe auf: wie diese spielt Eulenspiegel einen reisigen Knecht, begleitet den Herrn auf Raubzügen und treibt auf dem Turm sein Unwesen (vgl. auch Hist. zo). 34 Die Hinterlassenschaft dieses Koboldes hatten wir schon kennengelernt. Er bekam seinen Namen von seinem Wohnsitz, dem Bernburger Eulenspiegel-Turm. Diese Bezeichnung bedeutet nichts anderes als »Eulenturm«, spiegel im Sinne von specula = \YVarte. 35 In der gut faßbaren Bernburger Sage besitzen wir den Schlüssel für die Kontamination der Kneitlinger Tillsage mit dem Eulenspiegelstoff im Mittelalter. Der Kneitlinger Raubritter verschmolz in der Erzählung mit dem Hausgeist des Hofes, und so bedurfte es nicht viel, damit den Bernburger Turmgeist zu verbinden, der ja ebenfalls an Raubzügen teilnahm. Auf diese Weise bekam der Stoff zugleich seinen Namen, nämlich den des Turmes. Dieser Name bezeichnete aber zugleich den Helden einer Möllner Hofnarrensage36, so daß jetzt mehrere Faktoren zusammenkamen, die es ermöglichten, die Marientaler Erzählungen dem größeren Sagenkreis zuzuordnen. Mehrfach war schon die Rede von dem Kobold Rausch. Bruder Rusch oder Rausch (soviel

    wie Lärmer, Stürmer) taucht zum ersten Mal in einer Erzählung über die dänische Zisterze Esrom auf, doch wird allgemein angenommen, daß die Sage aus Sachsen dorthingewandert ist. 37 Rausch geht in den Dienst des Klosters und wird in der Küche tätig. Dort wirft er den Koch in den Kessel, schnitzt Stecken und stachelt die Mönche zu einer Prügelei auf. Endlich

    verbannt der Abt den Unhold, der schon in der hochmittelalterlichen Erzählung als verkappter Teufel geschildert und auf den Bildern der volksläufigen Drucke von Bruder Rausch als solcher dargestellt wird. Hier haben wir einen gut bezeugten, wenn auch diabolisierten Klosterkobold, wie man ihn

    sich gut in einer niedersächsischen Zisterzienserabtei vorstellen kann. Die deutlichste Parallele zum Marientaler Kobold ist das Stecken-Motiv: Bruder Rausch kerbt Stecken und wirft eine Holzbank unter die Mönche, die sich bei einer Prügelei gegenseitig die Glied- maßen zerschlagen. 38 Die Marientaler Erzählung vom Eulenspiegel, der die Mönche »kerbt«, erscheint deutlich als Variante dazu. Die enge Verwandtschaft zwischen dem Marientaler Kobold und Bruder Rausch erhellt ferner daraus, daß zwei frühe Rausch- Ausgaben die Marientaler samt einem Teil der Hildesheimer Eulenspiegelhistorie (Hist. 64) aufgenommen haben. 39 Der englische Druck von z62o bringt von Historie 64 nur die

    3a W. -E. Peuckert, Volksglaube, wie Anm. 24, S. 142 f. 3s B. U. Hucker, Till Eulenspiegel, Beiträge zur Forschung und Katalog der Ausstellung, Braun-

    schweig 198o (Stadtarchiv und Stadtbibliothek Braunschweig - Kleine Schriften 5), S. 11 und 14 Anm. 20.

    36 B. U. Hucker, Eulenspiegel, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 4 (1987ff. ), SP-94-96; ders., Eulen- spiegel, wie Anm. 1, Sp. 539f-

    37 Uber Bruder Rausch vgl. oben Anm. 9 und Priebsch, wie unten Anm. 43. 38 Narrenbuch, Kalenberger, Peter Leu, Neithart Fuchs, Markolf, Bruder Rausch, hg. v. F. Bobertag,

    Berlin usw. 1884 (Deutsche National-Litteratur. Historisch-kritische Ausgabe 11), S. 372f. 39 R. Priebsch in seiner Ausgabe, wie Anm. 9, S. 37f.

    93-95

    94

    9S

    i66

  • Einschmierung des Wagens und von Historie 89 allein die Zählung der Mönche, doch in

    stark veränderter Form. Beide Streiche sind auf Bruder Rausch übertragen. In dem Kapitel

    »How the priour made frier Rush sexton« wird dieser Sakristan und meldet dem Prior die fehlenden Mönche, erst dann spielt er den Streich mit der defekten Treppe, worauf er wieder in die Küche versetzt wird. {° Beigefügt sind zwei Holzschnitte, die jeweils den Bruder Rausch, also einen Teufel in Mönchskutte zeigen. 4' Robert Priebsch, der seinerzeit beste Kenner des Rausch-Stoffes, nahm eine Entlehnung aus dem Eulenspiegel an. Das ist nun aber keineswegs zwingend, da nur einige ganz wenige Frühdrucke des seit dem Ende des

    i 5. Jahrhunderts publizierten Bruder Rausch erhalten sind, die eulenspiegelähnlichen Er-

    zählungen also durchaus schon in ihnen vorgekommen sein können. Bereits in der Kölner

    niederdeutschen Fassung von 1520/3o erscheinen zwei dem Eulenspiegel entnommene Holzschnitte, nämlich die Illustrationen zur Bienendiebhistorie und zur Marientaler Histo-

    rie, {= ohne daß das im Text seine Entsprechung fände. Dieser Umstand zeigt aber immerhin,

    wie deutlich den Zeitgenossen die enge Verwandtschaft der Stoffe vor Augen gestanden haben muß. In manchem dürfen wir uns die ja in weiten Teilen verlorene Sage vom Marientaler

    Hausgeist ähnlich wie die Bruder-Rausch-Sage vorstellen; sie danach zu rekonstruieren,

    geht jedoch nicht an. Der Marientaler ist im Gegensatz zum Esromer Kobold ein guter Geist. Er verrichtet Gebete in seiner Kapelle, wohnt ständig in der Klosterküche, wird offensichtlich verehrt, höchstens den Laienbrüdern spielt er einen Schabernack (wahr-

    scheinlich aber doch, weil sie ihn geärgert haben). Ich hebe diese Unterscheidungsmerkmale

    mit gutem Grund hervor, denn sie erlauben es uns, den Koboldglauben der Marientaler Klosterleute dem Mittelalter zuzuweisen. Der Glaube an den klösterlichen Hausgeist muß entstanden sein, ehe die Lutherzeit ihm den Stempel des Teufelskultes aufdrücken konnte, ja

    sogar ehe er in Zisterzienserkreisen durch den verbreiteten Bruder-Rausch-Stoff diabolisiert

    wurde. Vielleicht ist dieserspiritus claustralis schon mit der Vorstellungswelt der Alten in das

    Kloster eingezogen, als es gegründet wurde - ein recht bemerkenswertes Schlaglicht also auf die Frömmigkeit der Zisterzienser und deren Nischen. 43

    +' The historic oft friar Rush, London 16zo (Faksimile t8 to), S. 15-18. {' R. Priebsch im Bruder-Rausch-Faksimile, wie Anm.. 9, S. 68 Nr. 5 und 6. 42 R. Priebsch, wie Anm. 9, S. S3 f- 43 Eine aufschlußreiche Quelle bietet

    das Buch Dialogus miraculorum des Zisterziensers Caesarius von Heisterbach vom Beginn des 13. Jahrhunderts »mit seinen Teufeln und Gespenstern, ...

    Elben und Kobolden, vgl. A. Kaufmann, Caesarius von Heisterbach. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des

    12. und 13. Jahrhunderts, 2. Aufl., Köln 1862,5.126-157, dort 5.129, und P. Mc Guire, Friends

    and tales in the cloister: oral sources in Caesarius' of Heisterbach Dialogus Miraculorum, in:

    Analecta Sacri Ordinis Cisterciensis 36,1980, S. 167-245. Caesarius beruft sich auf überwiegend

    zisterziensische Gewährsleute. Mariental nennt er nicht, wohl aber die benachbarten Zisterzen

    Riddagshausen und Michaelstein (IV, 45; X, 4; XI, 36). Auch die Ursprungserzählung des Bruder

    Rausch findet sich in einem Codex des 13. Jahrhunderts aus einem norddeutschen Zisterzienserklo-

    ster; R. Priebsch, Die Grundfabel und Entwicklungsgeschichte der Dichtung vom Bruder Rausch,

    in: Prager Deutsche Studien 8,1908, S. 423-434, dort S. 424 f.

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