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WI – AUFSATZ Das Zusammenspiel von Projektsteuerung und interorganisationalem Lernen und dessen Effekt auf kulturelle Unterschiede in globalen ISE-Outsourcing-Projekten mit mehreren Dienstleistern Der Beitrag untersucht, wie die kulturellen Unterschiede, die weltweit verteilten Softwareentwicklungsprojekten unter Einsatz mehrerer Outsourcing-Dienstleister eigen sind, gemildert werden können. Als zentrales Ergebnis wird festgestellt, dass der Einfluss von informellen Steuerungsmechanismen und interorganisationalem Lernen auf die formale Steuerung nicht konstant bleibt. Er ändert sich vielmehr im Lauf der Zeit von der anfänglichen Bereitstellung operationaler Informationen hin zur Verringerung des formalen Managementaufwands. Im Gegenzug werden durch Transparenz infolge formaler Managementmechanismen wirksame informelle Steuerungsmechanismen und interorganisationales Lernen ermöglicht. Dieses Zusammenspiel unterstützt die Bewältigung kultureller Unterschiede durch die Harmonisierung tätigkeitsbezogener Werte und Verhaltensweisen. DOI 10.1007/s11576-012-0324-4 Die Autoren Prof. Dr. Roman Beck E-Finance Lab & Institut für Wirtschaftsinformatik Goethe-Universität House of Finance Grüneburgplatz 1 60323 Frankfurt am Main Deutschland [email protected] url: http://www.servicesscience.de Dr. Katharina Schott ( ) Institut für Wirtschaftsinformatik Goethe-Universität House of Finance Grüneburgplatz 1 60323 Frankfurt am Main Deutschland [email protected] Eingegangen: 2011-06-26 Angenommen: 2012-02-14 Angenommen nach zwei Überarbei- tungen durch Prof. Leidner. Online publiziert: 2012-05-26 This article is also available in Eng- lish via http://www.springerlink.com and http://www.bise-journal.org: Schott K, Beck R (2012) The Interplay of Project Control and Interorganiza- tional Learning: Mitigating Effects on Cultural Differences in Global, Multisource ISD Outsourcing Pro- jects. Bus Inf Syst Eng. doi: 10.1007/ s12599-012-0217-5. © Gabler Verlag 2012 1 Einführung Weltweit profitieren Unternehmen von hochentwickelten Sourcingstrate- gien unter Einbezug von Nearshore- und Offshore-Standorten. Im Gegen- satz zu Offshore-Outsourcing zielt das Nearshore- Outsourcing sowohl auf die Verminderung Offshore-spezifischer Herausforderungen, wie etwa erheblicher Zeitzonendifferenzen oder Sprachbarrie- ren, als auch auf die Nutzung Nearshore- spezifischer Vorteile, wie etwa engere Zusammenarbeit durch geografische Nä- he (z. B. Meyer and Stobbe 2007). In- ternational tätige Unternehmen nutzen in immer stärkeren Maße die Vorteile gemischter globaler Liefermodelle und organisieren die integrierte Erbringung von Dienstleistungen von Offshore-, Nearshore- und Onshore-Standorten (Willcocks et al. 2007). Jedoch bleibt die weltweit verteilte Erbringung von Dienstleistungen eine Herausforderung, besonders in Konstellationen, in de- nen Auftraggeber mit unterschiedlichen, weltweit verteilten Dienstleistern in ein und demselben Projekt zusammenar- beiten. Beispielsweise müssen in globalen Multisource-Projekten der Informations- systementwicklung (ISE) unterschiedli- che nationale und unternehmensspezifi- sche Kulturen zusammengeführt werden. Die wahrgenommene kulturelle Distanz zwischen Auftraggeber und Dienstleister wächst somit, und das erfordert verstärkt integrierte Managementansätze, um die- sen größeren Bedarf an Kommunikation und Koordination anzugehen (Carmel and Agarwal 2001; Hildenbrand et al. 2007). Die bisherige Forschung in den Berei- chen globale ISE und Outsourcing um- fasst unterschiedliche Strömungen und beleuchtet verschiedene Aspekte des Ma- nagements solcher Vorhaben. Ein großer Teil der empirischen Untersuchungen des WIRTSCHAFTSINFORMATIK 4|2012 177

Das Zusammenspiel von Projektsteuerung und interorganisationalem Lernen und dessen Effekt auf kulturelle Unterschiede in globalen ISE-Outsourcing-Projekten mit mehreren Dienstleistern;

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Das Zusammenspiel von Projektsteuerungund interorganisationalem Lernen und dessenEffekt auf kulturelle Unterschiede in globalenISE-Outsourcing-Projekten mit mehrerenDienstleisternDer Beitrag untersucht, wie die kulturellen Unterschiede, die weltweit verteiltenSoftwareentwicklungsprojekten unter Einsatz mehrerer Outsourcing-Dienstleister eigensind, gemildert werden können. Als zentrales Ergebnis wird festgestellt, dass der Einflussvon informellen Steuerungsmechanismen und interorganisationalem Lernen auf dieformale Steuerung nicht konstant bleibt. Er ändert sich vielmehr im Lauf der Zeit von deranfänglichen Bereitstellung operationaler Informationen hin zur Verringerung des formalenManagementaufwands. Im Gegenzug werden durch Transparenz infolge formalerManagementmechanismen wirksame informelle Steuerungsmechanismen undinterorganisationales Lernen ermöglicht. Dieses Zusammenspiel unterstützt dieBewältigung kultureller Unterschiede durch die Harmonisierung tätigkeitsbezogener Werteund Verhaltensweisen.

DOI 10.1007/s11576-012-0324-4

Die Autoren

Prof. Dr. Roman BeckE-Finance Lab & Institut fürWirtschaftsinformatikGoethe-UniversitätHouse of Finance Grüneburgplatz 160323 Frankfurt am [email protected]: http://www.servicesscience.de

Dr. Katharina Schott (�)Institut für WirtschaftsinformatikGoethe-UniversitätHouse of Finance Grüneburgplatz 160323 Frankfurt am [email protected]

Eingegangen: 2011-06-26Angenommen: 2012-02-14Angenommen nach zwei Überarbei-tungen durch Prof. Leidner.Online publiziert: 2012-05-26

This article is also available in Eng-lish via http://www.springerlink.comand http://www.bise-journal.org:Schott K, Beck R (2012) The Interplayof Project Control and Interorganiza-tional Learning: Mitigating Effectson Cultural Differences in Global,Multisource ISD Outsourcing Pro-jects. Bus Inf Syst Eng. doi: 10.1007/s12599-012-0217-5.

© Gabler Verlag 2012

1 Einführung

Weltweit profitieren Unternehmenvon hochentwickelten Sourcingstrate-gien unter Einbezug von Nearshore-und Offshore-Standorten. Im Gegen-satz zu Offshore-Outsourcing zielt dasNearshore- Outsourcing sowohl aufdie Verminderung Offshore-spezifischerHerausforderungen, wie etwa erheblicherZeitzonendifferenzen oder Sprachbarrie-ren, als auch auf die Nutzung Nearshore-spezifischer Vorteile, wie etwa engereZusammenarbeit durch geografische Nä-he (z. B. Meyer and Stobbe 2007). In-ternational tätige Unternehmen nutzen

in immer stärkeren Maße die Vorteilegemischter globaler Liefermodelle undorganisieren die integrierte Erbringungvon Dienstleistungen von Offshore-,Nearshore- und Onshore-Standorten(Willcocks et al. 2007). Jedoch bleibtdie weltweit verteilte Erbringung vonDienstleistungen eine Herausforderung,besonders in Konstellationen, in de-nen Auftraggeber mit unterschiedlichen,weltweit verteilten Dienstleistern in einund demselben Projekt zusammenar-beiten. Beispielsweise müssen in globalenMultisource-Projekten der Informations-systementwicklung (ISE) unterschiedli-che nationale und unternehmensspezifi-sche Kulturen zusammengeführt werden.Die wahrgenommene kulturelle Distanzzwischen Auftraggeber und Dienstleisterwächst somit, und das erfordert verstärktintegrierte Managementansätze, um die-sen größeren Bedarf an Kommunikationund Koordination anzugehen (Carmeland Agarwal 2001; Hildenbrand et al.2007).

Die bisherige Forschung in den Berei-chen globale ISE und Outsourcing um-fasst unterschiedliche Strömungen undbeleuchtet verschiedene Aspekte des Ma-nagements solcher Vorhaben. Ein großerTeil der empirischen Untersuchungen des

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Outsourcings globaler IS analysiert kul-turelle Unterschiede auf nationaler, orga-nisationaler und individueller Ebene so-wie die Art und Weise des Umgangs da-mit aus Sicht des Projektmanagements(z. B. David et al. 2008; Iacovou andNakatsu 2008; Winkler et al. 2007). Indiesem Zusammenhang zeigte sich, dassbesonders Steuerungsmechanismen undinterorganisationales Lernen zur Vermin-derung kultureller Unterschiede beitra-gen (Gregory 2010b).

Die Literatur zu den Bereichen welt-weite ISE und Outsourcing enthält ei-ne Vielzahl von Studien in Bezug aufSteuerungsthemen, sowohl hinsichtlichder Rolle von Verträgen (z. B. Gopal andSivaramakrishnan 2008; Lacity and Will-cocks 1998) und anderer formaler Steue-rungsmechanismen (z. B. Tiwana 2008)als auch bezüglich des Einflusses infor-meller Steuerungsmechanismen (Holm-ström Olsson et al. 2008). Weiterhin gibtes etliche Studien mit dem Hauptau-genmerk auf interorganisationalem Ler-nen, die sich hauptsächlich auf kultur-übergreifende (z. B. Nicholson and Sa-hay 2001; Vlaar et al. 2008; Walsham2002) und wissensbezogene (z. B. Kot-larsky et al. 2008; Leonardi and Bailey2008; Nicholson and Sahay 2004) The-men beziehen. Während sich diese Studi-en jeweils separat mit Steuerungsmecha-nismen und interorganisationalem Ler-nen befassen, hat die bisherige Litera-tur unserer Kenntnis nach die Beziehungvon Steuerungsmechanismen und inter-organisationalem Lernen vor dem Hin-tergrund kultureller Unterschiede wei-testgehend unbehandelt gelassen (Grego-ry 2010b), insbesondere in Form einerAnalyse, die sowohl die Perspektive derAuftraggeber als auch einer Mehrzahl vonDienstleistern umfasst.

Um diese Lücke anzugehen, wendenwir einen explorativen Forschungsansatzan, der das Zusammenspiel von forma-ler und informeller Steuerung mit deminterorganisationalen Lernen in globalenOutsourcingprojekten für ISE mit meh-reren Dienstleistern analysiert. Dement-sprechend zielen wir darauf ab, folgendeFrage zu beantworten:

Wie interagieren formale und infor-melle Steuerungsmechanismen undinterorganisationales Lernen undtragen so zur Verminderung kultu-reller Unterschiede in globalen ISE-Outsourcingprojekten mit mehrerenDienstleistern bei?

Um diese Frage zu beantworten, wen-den wir einen explorativen fallorientier-ten Forschungsansatz auf ein globalesMultisource-ISE-Outsourcingprojekt ei-nes großen deutschen Finanzinstituts an.Das Projektziel war das Reengineeringdes Onlinebankingsystems des Instituts;in dem Projektteam arbeiteten etwa 100Personen aus fünf Organisationen (Auf-traggeber und vier Dienstleister), ver-teilt über Deutschland, Spanien, Brasilienund Indien.

Wir beginnen den Bericht über die-ses Projekt und die gewonnenen Erkennt-nisse mit der Darstellung der Grundla-gen unseres Verständnisses von forma-ler und informeller Steuerung und inter-organisationalem Lernen. Nach der Be-schreibung der Fallstudie, der zugrunde-liegenden Untersuchungsmethodik unddes Untersuchungsergebnisses diskutie-ren wir die Erkenntnisse im Licht der be-stehenden Literatur. Der letzte Abschnittfasst Schlüsselergebnisse zusammen undzeigt Folgerungen für Forschung undPraxis auf.

2 Theoretischer Hintergrund:Steuerungsdynamik undinterorganisationales Lernen

Frühere Studien zum inländischen IS-Outsourcing betonen die allgemeine Be-deutung sozialer Fähigkeiten, die nichtnur Kooperationen zwischen den Orga-nisationen ermöglichen, sondern auchgegenseitiges Leistungsvermögen undVertrauen zwischen den Auftraggebernund den Dienstleistungsunternehmenfördern (Dibbern et al. 2003). Jedoch ent-hüllte eine kürzlich durchgeführte Über-sicht der IS-Outsourcing-Praxis, dassderartige globale Projekte sich noch wei-teren Herausforderungen zu stellen ha-ben (Lacity et al. 2009). Im Kontext welt-weiten ISE-Outsourcings ragt die Not-wendigkeit sozialer Kompetenzen heraus,denn die einzelnen Teilnehmer müssensich der globalen sourcingspezifischenDistanz zwischen Dienstleister und Auf-traggeber stellen. Unter dieser sogenann-ten Auftraggeber-Dienstleister-Distanzsind nicht nur die räumliche, ökonomi-sche und politische Entfernung zu ver-stehen, sondern auch und insbesonderekulturelle Unterschiede (Vogt et al. 2009;Winkler et al. 2007).

Diesbezüglich kann Führung erfolgendurch gemeinsames Vertrauen auf di-verse Führungsstile oder Steuerungsme-chanismen wie informelle oder formale

Steuerung zur Durchführung ökonomi-scher Transaktionen (Adler 2001; Brad-ach and Eccles 1989; Cannon et al. 2000).Im Bereich globalen IS-Outsourcings hatsich gezeigt, dass eine erfolgreiche Steue-rungsbalance mit Kombinationen unter-schiedlicher Steuerungsarten ein vielver-sprechender Weg ist, die solchen Projek-ten innewohnenden kulturellen Unter-schiede zu beherrschen (Gregory 2010a).

Die Literatur zur Steuerung gibt zweigrundsätzliche Modalitäten vor: forma-le und soziale Steuerung. Formale Steue-rung umfasst die Einrichtung und An-wendung festgelegter Regeln, Ziele undVorgehensweisen, um Leistung definie-ren, steuern und auswerten zu kön-nen (Das and Teng 2001). Üblicherwei-se beinhalten sie ausdrücklich Informati-onsaustausch, formale Berichtsrichtlini-en und regelmäßige Treffen der Verant-wortlichen in Schlüsselpositionen (Ink-pen and Currall 2004). In früheren Un-tersuchungen zum IS-Outsourcing wur-de eine Steuerungsperspektive benutzt,um zu zeigen, wie der Vertrag zwischenDienstleistern und Auftraggebern überdie formale Kontrolle von Verhalten undErgebnissen durchgesetzt wurde; dem-nach steuert der Auftraggeber das Verhal-ten und die Ergebnisse seines Dienstleis-ters (Choudhury and Sabherwal 2003).Soziale Steuerung umfasst auf Vertrau-en basierende Mechanismen und arbeitetmit der Entwicklung gemeinsamer Wer-te und Normen (Das and Teng 2001).Nach Das and Teng (1998) ist der ent-scheidende Unterschied zwischen forma-ler und sozialer Steuerung, dass „formalcontrol is more of a strict evaluation ofperformance while social control is aboutdealing with people“ (S. 501). Beispie-le sozialer Steuerung sind etwa Soziali-sation, Training und spontane Handlun-gen unter den Verantwortlichen der je-weiligen Partner (Das and Teng 1998).In der internationalen Literatur über IS-Outsourcing findet sich soziale Steuerungzumeist im Konzept informeller Steue-rung wieder (Choudhury and Sabherwal2003; Kirsch 1996).

Die Forschung richtet ihr Augenmerkvermehrt auf die Steuerungsdynamikund untersucht, wie und warum Steue-rungsmodalitäten sich während verschie-dener Projektphasen ändern. Beispiels-weise analysieren Choudhury and Sab-herwal (2003) die Entwicklung von ISE-Outsourcing-Projekten und decken ver-schiedene Faktoren auf, die die Wahl unddie Entwicklung der Steuerungsmecha-nismen beeinflussen. Um derartige Un-tersuchungen zu erweitern, beschreibt

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Tab. 1 Übersicht über das Multisourcing-Portfolio

Organisation Verantwortungsbereich Standorte

ARCHITECT • Definition des architektonischen Rahmens Zwei Standorte inDeutschland• Begleitung der Implementierung

IMPLEMENT • Funktionaler Entwurf Vier Standorte in Spanien

• Technischer Entwurf Ein Standort in Brasilien

• Implementierung

SCREEN • Entwurf der Endbenutzer-Schnittstelle Ein Standort in Deutschland

TEST • Softwaretest Ein Standort in Indien

Kirsch (2004), wie sich Steuerungsmoda-litäten während dreier Phasen eines inter-nen IS-Einführungsprojekts verändern.Änderungen in der Steuerung werden an-scheinend von Faktoren aus drei Kate-gorien ausgelöst: Projektkontext, Kontextder Beteiligten und globaler Kontext.

Neben der Steuerung erbringt auchdas interorganisationale Lernen einenBeitrag zur Verringerung kulturel-ler Unterschiede bei globalen IS-Outsourcingprojekten. Einerseits um-fasst interorganisationales Lernen eineAnhäufung relevanten Unternehmens-,funktionellen und kundenspezifischenWissens, sodass Dienstleister betriebs-wirtschaftliche Kenntnisse über dieAnwendungsbereiche ihrer Kunden,funktionelle Kenntnisse von deren IT-Infrastruktur und Systemen sowie spe-zifische Erkenntnisse von deren funk-tionalen Erfordernissen und Prozessenerwerben müssen (Dibbern et al. 2008).Andererseits gehört zu interorganisa-tionalem Lernen das wichtige Themades Wissenstransfers in globalen IS-Outsourcing-Projekten. In der Literaturwerden wiederholt die positiven Effekteerfolgreichen Wissenstransfers darge-stellt (z. B. Kotlarsky and Oshri 2005;Nicholson and Sahay 2004; Oshri et al.2007; Rottman 2008), und viele For-scher führen einen Mangel an Wis-senstransfer als hauptsächlichen Rück-schlag für globale ISE-Outsourcing-Projekte an (z. B. David et al. 2008;Dibbern et al. 2008; Gupta and Raval1999; Kliem 2004; Leonardi and Bailey2008). Zum Dritten bezieht sich interor-ganisationales Lernen in einem globalenZusammenhang ebenso auf kulturüber-greifende Themen und die Entwicklungeiner kulturellen Intelligenz, definiertals „a form of firm-level capability infunctioning effectively in culturally di-verse situations“ (Ang and Inkpen 2008,S. 338), da sowohl Auftraggeber als auchDienstleister Unterschiede ihrer Wertvor-stellungen und Arbeitspraxis verhandeln

und lernen müssen, sie für das Gelingendes Projektes anzupassen (z. B. Carmeland Agarwal 2001; Krishna et al. 2004;Levina and Vaast 2008).

Zusammengefasst hat sich gezeigt, dasssowohl Steuerungsmechanismen als auchinterorganisationales Lernen jeweils fürsich zur Verringerung kultureller Diffe-renzen beitragen. Bislang gibt es jedochnur geringe Kenntnisse über das Zusam-menspiel von formalen und informel-len Steuerungsmechanismen mit inter-organisationalem Lernen oder was dasZusammenwirken zur Verringerung kul-tureller Unterschiede in globalen ISE-Outsourcingprojekten unter Beteiligungmehrerer Dienstleister beitragen könn-te. Hinzu kommt, dass die meisten bis-herigen Untersuchungen Auftraggeber-Dienstleister-Zweierbeziehungen betref-fen, wohingegen die besonderen An-forderungen von Projekten mit meh-reren Dienstleistern keine Berücksichti-gung finden.

3 Forschungsmethoden

Wie ausgeführt, haben wir bislang keineausreichenden Kenntnisse über das Zu-sammenspiel von Steuerung und Lernenbei globalen IS-Outsourcing-Projektenmehrerer Dienstleister. Um dieses Ver-ständnis zu verbessern und zugleich diewechselseitigen Wirkungen auf kulturel-le Unterschiede aufzudecken, wendet dievorliegende qualitative Untersuchung ei-ne tiefgehende, explorative Einzelfallstu-die an (Stebbins 2001; Yin 2003). Diefolgenden Abschnitte beschreiben sowohlden zugrunde liegenden Fall (3.1) alsauch die Vorgehensweise der Datenbe-schaffung (3.2) und -analyse (3.3). Ei-ne Chronologie des gesamten Untersu-chungsprozesses wird am Ende des Kapi-tels dargestellt.

3.1 Fallbeschreibungen

Gegenstand der Analyse war ein globalesISE-Outsourcingprojekt zur Umgestal-tung des Onlinebankingsystems eines Fi-nanzdienstleisters. Das Projekt wurde indie Wege geleitet, da die alte Systemtech-nologie kostenintensives Expertenwissenerforderte und die entsprechenden War-tungsverträge ausliefen. Daher entschiedder Finanzdienstleister (BANK), das Sys-tem in eine neue Technologie zu über-führen. Bei der Entwicklung dieses neu-en Systems wandte BANK eine Mul-tisourcingstrategie an, um die Gefahrvon Abhängigkeiten zu reduzieren. Da-her wurden vier Dienstleister in das Pro-jekt eingebunden, wie in Tab. 1 zusam-mengefasst. Das Projekt begann im Ok-tober 2008 und wurde pünktlich underfolgreich im Dezember 2009 beendet.

ARCHITECT, ein spezialisiertes deut-sches Beratungsunternehmen, wurde mitdem Design der Softwarearchitektur desneuen Onlinebankingsystems betraut.IMPLEMENT, ein führendes interna-tionaler IT-Dienstleistungsunternehmendes Finanzsektors, war für den Betriebund die Wartung des alten Onlineban-kingsystems der BANK verantwortlich.Während des Umgestaltungsprojekteshatte IMPLEMENT die Verantwortung,die funktionalen und technischen Desi-gndokumente zu erstellen und das neueOnlinebankingsystem zu entwickeln. Umdies auf dem gewünschten Qualitäts-und Kostenniveau zu erreichen, wählteIMPLEMENT ein globales Leistungs-modell mit vier Standorten in Spanienund einem Captive Center in Brasili-en. Ein weiterer Dienstleister, SCREEN,war spezialisiert auf Entwicklung vonWeb-Anwendungen und in Deutschlandstationiert. Er war für den Entwurf derFront-End-Benutzerschnittstellen ver-antwortlich. Schließlich gab es noch deninternational tätigen IT-DienstleisterTEST, der für die Softwaretests verant-wortlich war, die in Indien durchgeführtwurden.

Auf diese Weise bestand die Bezugs-strategie von BANK nicht nur aus einerinternationalen Struktur, sondern auchaus Beiträgen mehrerer Dienstleister. Zuden nationalen kulturellen Unterschie-den, verursacht durch die geografischeVerteilung der Projektbeteiligten, kamenalso noch die unterschiedlichen Orga-nisationskulturen, die eine große Rol-le in dem Projekt spielten. Die nach-folgenden Beispiele zeigen die nationa-len und unternehmensbezogenen kultu-rellen Unterschiede besonders in Bezug

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auf arbeitsbezogene Werten und Prakti-ken. Der Projektmanager von BANK be-merkte besonders die Schwierigkeiten aufder nationalen Ebene:

Ebenso beeinflussen kulturelleAspekte die Zusammenarbeit. In-folge des Zeitdrucks mussten wirdeutlich zur Kenntnis nehmen, dassunsere spanischen Kollegen ein an-deres Verständnis von Zwischenzie-len und Zeitplanung haben. Wäh-rend des Arbeitstages verbrachtensie manchmal zwei Stunden mit derKaffeepause; dies ist in Deutsch-land ganz anders. Mit detaillier-ten Fortschrittskontrollen konntenwir zumindest unsere Erwartun-gen bezüglich Abläufen und Quali-tät klarstellen. Dies war eine großeHilfe.

Sein Assistent beschrieb ebenfalls auf-kommende Schwierigkeiten bei gleichzei-tigen Tätigkeiten der Projektteams ausSpanien und Indien:

Bei der Kommunikation ist es wich-tig, zwischen Gesprächen mit ei-nem spanischen Kollegen oder ei-nem aus Indien zu unterscheiden.Bei dem indischen Kollegen müssenexakt 100 % der Erwartungen spe-zifiziert werden, dann erhält manauch 100 %. Bei dem spanischenKollegen muss klar gemacht wer-den, was man nicht möchte, dannbekommt man das Gewünschte.

Über nationale kulturelle Differenzenhinaus wurden auch kulturelle Unter-schiede der einzelnen Organisationen inder neu geschaffenen Dienstleistungsko-operation sichtbar. Alle Dienstleistungs-unternehmen waren schon früher anProjekten von BANK beteiligt, hatten je-doch noch nie gemeinsam miteinandergearbeitet. Vor diesem Hintergrund tra-ten unterschiedliche Arbeitsgepflogen-heiten zu Tage und stellten eine Heraus-forderung für die Kooperation dar. Bei-spielsweise trat, ARCHITECT mit einemTeam von fünf erfahrenen Experten auf,die nach einem Onshore-Modell arbeite-ten. Bei IMPLEMENT war ein Team vonfünfzig Personen mit der Erledigung be-traut, die sich über fünf Standorte ver-teilten und unterschiedliche Kompeten-zen und praktische Erfahrungen aufwie-sen. Anfänglich verstand ARCHITECTdie Herausforderungen nicht, denen sichdas große, verteilte Projektteam von IM-PLEMENT gegenüber sah, mit der Not-wendigkeit, die Arbeit maßgerecht an die

Entwicklungsteams in Brasilien und Spa-nien zu verteilen. Ein Projektmanagervon ARCHITECT erklärte:

Die Architektur von Software hateinen ziemlich umfassenden Cha-rakter; wenn man sie verstehen will,muss man das ganze Bild sehen,IMPLEMENT ging jedoch auf dieWeise vor, die Aufgaben aufzuteilen,und die einzelnen Teile an die Ent-wickler zu geben. Diese sahen dahernie das ganze Bild.

Die Manager von IMPLEMENT bestä-tigten diese unterschiedliche Praxis underläuterten, dass ihr globales Dienst-leistungsmodell erforderlich machte, zu-nächst das System insgesamt anzusehen,um dann die Aufgaben in möglichst ei-genständige Unteraufgaben aufzuteilen.Damit konnten sie dann die Unteraufga-ben den Entwicklern mit den passendenKompetenzprofilen übertragen, um eineeffiziente Arbeitsweise zu erreichen. Da-her arbeiteten die verteilten Teams unab-hängig voneinander, was kritisch für dengeografisch verteilten Aufbau war.

3.2 Datenerhebung

In der Phase der Datenerhebung wurdensowohl Interviews geführt (Primärdaten)als auch Dokumente eingesehen, die imVerlauf des Projektes entstanden (Sekun-därdaten). Auf diese Weise ergänzten undvernetzten wir unsere Interviewdaten mitProjektpräsentationen, Zielverfolgungs-listen, Statusberichten und Lernergebnis-dokumenten, um eine umfängliche Da-tenlage zu erreichen. Bei der Primärda-tenerhebung (die im Juli und August so-wie im November und Anfang Dezem-ber 2009 stattfand) führten wir 25 Inter-views mit 22 Gesprächspartnern sowohlan Auftraggeber- als auch an Dienst-leisterstandorten. Wir stellen die demo-graphischen Informationen über die Ge-sprächsteilnehmer in Tab. 2 dar.

Abgesehen von einer Konferenzschal-tung zu einem Gesprächsteilnehmer inBrasilien fanden alle Interviews von An-gesicht zu Angesicht statt: 15 in Deutsch-land und 9 in Spanien. Jedes dauertezwischen einer und zwei Stunden, so-dass mehr als 38 Stunden zusammenka-men. Da die Unternehmensleitlinien vonBANK eine Tonaufzeichnung der Inter-views nicht zuließen (weder mit den An-gestellten von BANK noch der Dienstleis-tungsunternehmen), wurden ausführli-che Mitschriften angefertigt; insgesamt

wurden mehr als 130 Seiten Interview-mitschriften angefertigt.

Bei der Verteilung der Interviews überdie beteiligten Organisationen ergabensich Differenzen durch die unterschiedli-chen Teamgrößen. Zum Beispiel bestanddas Team von ARCHITECT aus fünf er-fahrenen Experten vor Ort, während dasTeam von IMPLEMENT zeitweilig ausmehr als 50 Mitarbeitern unterschiedli-cher Kompetenzen und Erfahrungen be-stand, die auf Nearshore- und Offshore-Standorte verteilt tätig waren. Tabelle 3zeigt die Verteilung der Interviewten.

Die Interviewpartner kamen von ver-schiedenen Organisationsebenen vonBANK und drei der vier Dienstleistungs-unternehmen, mit diversen Profilen undRollen, basierend auf unterschiedlichenFähigkeiten und Wissensebenen. Leiderkonnten wir trotz mehrfacher Anfra-gen kein Interview mit Mitarbeitern vonTEST führen. Die Unterschiedlichkeitunserer Gesprächspartner stellt jedoch si-cher, dass unsere Studie unterschiedlicheOrganisations-, Hierarchie- und Profes-sionalitätsperspektiven enthält. Die In-terviews wurden in Form eines Gesprächsnach einem Leitfaden mit grob struktu-rierten Fragen geführt. Die erstelltenNotizen wurden unmittelbar übertragenund zur Formulierung geeigneter Fragenfür zukünftige Interviews genutzt. Aufdiese Weise wurden die Fragen währendder Erhebung und Analyse mehrfach ver-bessert, besonders wenn der Bedarf anzusätzlichen Informationen erkennbarwurde, um aufkommende Themen odererste Ergebnisse zu bestätigen.

3.3 Datenanalysen

Die Datenanalyse begann mit der Kodie-rung der Interviewmitschriften. Wir er-mittelten, kennzeichneten und kategori-sierten die mit unserer Forschungsfragezusammenhängenden Phänomene durchVergleiche der Interviews untereinanderund der verfügbaren Sekundärdaten. Dievorläufigen Kodierungen enthielten Kon-zepte wie Projektbegründung oder Ein-führungsphase. Nachdem wir die Haupt-themen anhand der Häufigkeit ihres Auf-tretens aus den Interviewdaten ermittelthatten, verglichen wir erneut alle Da-ten mit diesen Konzepten, um zusätzli-che oder vergleichbare Aussagen ande-rer Interviewpartner zu finden. Auf die-se Weise erhärteten wir unsere Ergebnis-se und konnten die wichtigsten Manage-mentmechanismen und Lernthemen ausden Primärdaten erkennen. Zum Ende

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Tab. 2 Demographie derInterviewpartner Organisation Berufserfahrung

insgesamt(Durchschnitt)

Zugehörigkeit zumaktuellen Arbeitgeber(Durchschnitt)

BANK (9 Interviewpartner) 15 Jahre 7 Jahre

ARCHITECT (2 Interviewpartner) 6 Jahre 6 Jahre

IMPLEMENT (9 Interviewpartner) 14 Jahre 9 Jahre

SCREEN (2 Interviewpartner) 7 Jahre 5 Jahre

Tab. 3 Verteilung der Interviews über die Organisationen

Organisation Hierarchieebene/Rolle im Projekt Anzahl derinterviewtenPersonen

Anzahl derdurchgeführtenInterviews

BANK (Auftraggeber) Topmanagement 2 2

Projekt- und Teilprojektmanagement 5 6

Projektteam 2 2

ARCHITECT (Dienstleister) Topmanagement 1 1

Projekt- und Teilprojektmanagement 1 1

Projektteam 0 0

IMPLEMENT (Dienstleister) Topmanagement 3 4

Projekt- und Teilprojektmanagement 5 6

Projektteam 1 1

SCREEN (Dienstleister) Topmanagement 1 1

Projekt- und Teilprojektmanagement 1 1

Projektteam 0 0

Gesamt 22 25

des Analyseprozesses verglichen wir un-sere Ergebnisse mit der vorhandenen Li-teratur, um auftauchende Themen in un-seren Daten in Begriffe zu fassen. Wäh-rend dieses Vergleichs arbeiteten wir dieermittelten Themen weiter aus, indemwir die beschreibenden Kategorien zubedeutungskräftigeren Begriffen auf ei-nem höheren Abstraktionsniveau entwi-ckelten. So war das Forschungsteam wäh-rend des gesamten Ablaufs mit intensi-ven Überlegungen beschäftigt, um sicher-zustellen, dass keine bereits bestehendeTheorie den Daten aufgezwungen wur-de. Für die Kodierung und Konzeptuali-sierung wurde die Software ATLAS.ti be-nutzt. Tabelle 4 stellt die Chronologie desgesamten Untersuchungsprozesses dar.

4 Ergebnisse

Aus dieser explorativen Fallstudie erga-ben sich zwei Schlüsselergebnisse. Daserste bezieht sich auf das Zusammenspielder formalen und informellen Steuerungmit dem interorganisationalen Lernen inglobalen ISE-Outsourcingprojekten mit

mehreren Dienstleistern (Abschn. 4.1),das zweite bezieht sich auf den Verbesse-rungseffekt dieser Mechanismen auf kul-turelle Unterschiede in solchen Projek-ten (Abschn. 4.2). In der Folge erläu-tern wir das Entstehen dieser Ergebnis-se, beschreiben sie und sichern sie miterklärenden empirischen Zitaten aus denInterviews der Fallstudie ab.

4.1 Ergebnis 1: Zusammenspiel derformalen und informellen Steuerung mitdem interorganisationalen Lernen

Wir beginnen die Beschreibung diesesErgebnisses mit dem Einfluss formalerSteuerung auf informelle Steuerung undinterorganisationales Lernen. Den Datenist zu entnehmen, dass der Einsatz for-maler Steuerung sowohl das Entsteheninformeller Steuerungsmechanismen alsauch interorganisationaler Lernprozesseunterstützt, indem grundlegende Pro-jektparameter transparent gemacht wer-den.

Im untersuchten Projekt gab es bei-spielsweise knappe Zeitvorgaben, weil dieWartung der technischen Basis für die

Software des alten Systems auslief. Da-her war eine enge Projektführung von be-sonderer Bedeutung und BANK brachteeine detaillierte Untergliederung der Ar-beiten in Form einer Ablaufverfolgungs-matrix als formalen Steuerungsmecha-nismus zum Einsatz. Diese Ablaufverfol-gungsmatrix kam ursprünglich aus demProjektplan, der gemeinsam von allenBeteiligten erstellt wurde. Um mit auf-tauchenden Unterschieden in den Auf-fassungen zur Qualität und Genauigkeitumgehen zu können, erhöhten die Betei-ligten den Detaillierungsgrad des Ablauf-plans in einem Maße, das diesem unter-schiedlichen Verständnis gerecht wurde.Laut einem Projektmanager

lag der Fokus auf einer engenSteuerung des gesamten Projektfort-schritts, um sicherzustellen, dass al-le Beteiligten auf Kurs zu erfolgrei-chen Leistungen waren. Deshalb be-nutzten wir einen sehr detailliertenAblaufplan, der für jeden Teilbereichaufzeigte, wann er beginnen musste,durch wen, und auch nach welchenQualitätskriterien. Darüber hinaus

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Tab. 4 Chronologie des Forschungsprozesses

Nr. Prozessschritt Hauptgegenstand Nähere Beschreibung Ergebnis

1 Literaturanalyse • Identifikation relevant erLiteraturstränge• Genaue Analyse der Literaturinnerhalb dieser Stränge

• Einbezogene Literaturstränge:– Globales IS-Sourcing– IS-Projektmanagement

• Motivation• Forschungslücke• Spezifische Forschungsfrage• Theoretischer Hintergrund

2 Identifikation desForschungsfalls

• Definition zentraler Anforderungenbezüglich des Phänomens• Auswahl des passenden Falls inKooperation mit dem Praxispartner

• Anforderungsliste• Spezifische Analyseeinheit für dieUntersuchung

3 Datenerhebung • Identifikation der Interviewpartner• Interviews• Erhebung von Sekundärdaten

• Erste Interviewpartner vom höherenManagement benannt; weitere Partnervon den ersten Interviewten benannt• 25 Tiefeninterviews in Deutschlandund Spanien• Ausführliche Mitschriften• Zugang zu Dokumenten, die imProjektverlauf generiert wurden

• Insgesamt 22 Interviewpartner• Insgesamt ca. 38 Stunden Interviews• Projektverfolgungsblätter,Projektpräsentationen, Statusreports,Erfahrungen

4 Niederschrift derInterviews

• Anlage bereinigter Kopien• Ergänzung der Mitschriften durcherinnerte Details• Anfügung von Kommentaren

• Beschreibung der Atmosphärewährend der Interviews sowie derGefühle der Interviewpartner

• Insgesamt ca. 130 SeitenInterviewmitschriften

5 Datenanalyse • Freie Codierung• Gruppierung der Codes inKategorien und Identifikationwichtiger konzeptueller Themen• Verfeinerung der Konzepte

• Lesen der Mitschriften undDokumente sowie Unterstreichung dermit der Forschungsfragezusammenhängenden Beschreibungen• Zentrales Kriterium: Häufigkeit derErwähnung• Wiederholter Vergleich vonKonzepten und Interviewdaten• Gegen Ende des Analyseprozesses:Vergleich von Konzepten mit dereinschlägigen Literatur

• Anfängliche Codeliste• Anfängliche Konzepte• Endgültige Konzepte

6 Validierung derErgebnisse

• Diskussion der Interpretationenseitens der Forscher mit ausgewähltenInterviewpartnern

• Präsentation der wichtigstenErgebnisse und Einschätzung derRobustheit durch die Interviewpartner

half der Plan dem Projektteam, etli-che Verzögerungen zu erkennen undzu vermeiden, die durch wechselsei-tige Abhängigkeit der Aufträge in-folge der Beteiligung verschiedenerUnternehmen entstand. Als Folgemussten wir mehr als eintausendKnotenpunkte und Schnittstellen imAuge behalten.

Diese Ablaufverfolgungsmatrix erfüllteihren Zweck als formaler Steuerungs-mechanismus, weil sie half, den gesam-ten Projektfortschritt zu beobachten undschnell Planabweichungen und die Not-wendigkeit von Gegenmaßnahmen zu er-kennen. Weiterhin beeinflusste sie dieEntstehung von informellen Steuerungs-mechanismen und interorganisationalemLernen. Insbesondere erhielten die betei-

ligten Unternehmen durch die Anwen-dung dieser Matrix detaillierte Einblickein ihre verschiedenen Verantwortungsbe-reiche, die damit verbundenen Auftrags-portfolios und die sich daraus ergeben-den Aufträge für ihre Teilteams; ebensowurden organisationsübergreifende Ab-hängigkeiten erkannt. Die Interviewtenließen erkennen, dass diese Transparenzeinen erheblichen Beitrag zur Konflikt-und Verhandlungsvermeidung in Bezugauf Verantwortlichkeiten und Aufgaben-zuteilung lieferte. Das Projektteam konn-te vielmehr den Hauptfokus auf die Ko-operation aller Beteiligten richten, so-wohl was das Zusammenwachsen alsTeam als auch den Aufbau eines inte-grierten Prozesses für die Diensterbrin-gung betrifft. Der Projektmanager ei-

nes der Dienstleistungsunternehmen er-klärte das Fehlen von Verhandlungenfolgendermaßen:

Es ist zwingend, die Projektzieleund die darauf beruhende Planungvollständig zu verstehen und ih-nen stets höchste Priorität zu ge-ben. Das kann auch heißen, dasswir als Dienstleister an einem be-stimmten Punkt nachgeben müssen.Da wir uns aber auf das Gelingender Projektziele insgesamt konzen-trieren, akzeptieren wir das ohneDiskussion.

Obwohl BANK mit den Dienstleistungs-unternehmen noch nie in einem Um-feld mehrerer Dienstleister zusammenge-arbeitet hatte, entwickelten sie eine ge-

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meinsame Denkweise mit gleichen Nor-men und Werten, inklusive eines Team-geistes über Unternehmensgrenzen hin-weg, sowie eine absolute Zielorientie-rung. Auf diese Weise schaffte die for-male Steuerung Platz für aufkommendeinformelle Steuerung.

Das Entstehen einer gemeinsamen Hal-tung (als informeller Steuerungsmecha-nismus) wird besonders deutlich bei derveränderten Haltung von IMPLEMENT.IMPLEMENT unterschied sich in seinemEigenkonzept wegen der langen und in-tensiven früheren Zusammenarbeit mitBANK deutlich von den übrigen Betei-ligten. Dieser Dienstleister war an ei-ne große Unabhängigkeit bei der Durch-führung seiner Aufträge gewohnt sowiean nur begrenzte Kontrolle durch denAuftraggeber BANK.

In dem hier betrachteten Projekt wan-derten jedoch bestimmte, früher von IM-PLEMENT erledigte Aufgaben, wie dieRahmenarchitektur und die Tests derSoftware, aufgrund der Konstellation mitmehreren Dienstleistern zu anderen Or-ganisationen. Darüber hinaus wurdendie Aktivitäten von IMPLEMENT nichtmehr von BANK, sondern von einemweiteren, teilweise konkurrierenden Un-ternehmen (ARCHITECT) gesteuert. Somusste das Projektteam von IMPLE-MENT seine Haltung nicht nur inhaltlich(d.h. Erlernen der neuen Softwarearchi-tektur) sondern hinsichtlich seiner Rolleund Verantwortlichkeit in dieser organi-sationsübergreifenden Kooperation an-passen. Der Projektmanager von IMPLE-MENT beschrieb die Haltungsänderungund die daraus resultierende Zielorien-tierung des Teams folgendermaßen:

Sicherlich hätten wir lieber die Ver-antwortung für die Rahmenarchi-tektur gehabt, da dieser Bereich zuunserem Unternehmensportfolio ge-hört, aber der Kunde hat sich an-ders entschieden. . . , jetzt sind wiralso gemeinsam für dieses Projektverantwortlich. Folglich müssen wirden Projektzielen mehr Raum ge-ben als unseren eigenen Zielen alsDienstleister, um eine Win-win-Situation zu schaffen. Dies bedeu-tet oft auch, Unternehmensbindun-gen hintan zu stellen und sich alsintegriertes Projektteam mit einemgemeinsamen Ziel zu verstehen.

Diese Übernahme einer gemeinsamenprojektorientierten Haltung gab es beiden anderen Beteiligten ebenso, wie dasfolgende Zitat eines Seniormanagers vonARCHITECT bestätigt:

Meiner Meinung nach erledigte dasKernteam die Aufgabe der Koope-ration mehrerer Unternehmen her-vorragend. Ich verspürte eine großeBereitschaft zu informellem Han-deln statt auf vertragliche Detailsund feste Verantwortlichkeiten zupochen. Nach meiner Erfahrung istdies ein fundamentales Erfordernis,um schlussendlich Projekte erfolg-reich zu machen.

Was die Wirkung formaler Steuerung aufdas interorganisationale Lernen betrifft,wenden wir uns einem Beispiel aus derAufbauphase zu, als die Dienstleister ihreKooperation einübten und harmonisier-ten, um die gegenseitigen Erwartungenund Bedürfnisse abzustimmen. Durchdie Praktizierung und Verfestigung derVerteilung der Aufgaben und notwendi-gen Interaktionen während eines vorge-gebenen Zeitraumes am Anfang des Pro-jekts stellte BANK sicher, dass die Betei-ligten nicht nur ihre eigenen Rollen undVerantwortlichkeiten verstanden und ak-zeptierten, sondern auch die der anderen.Alle Projektbeteiligten empfanden diesePhase als wertvoll. Zum Beispiel erklärtedie Projektführung von IMPLEMENT:

Wir waren sehr daran interessiert,dieses Projekt schnell ans Laufen zubringen, um unsere eigenen Fähig-keiten nachzuweisen und ein aufVertrauen begründetes Verhältnis zuden übrigen Beteiligten zu errei-chen. (. . . ) Unser Ziel war, zu-nächst deren Unternehmenskultu-ren zu verstehen, um uns dannteilweise anzupassen zur Erbrin-gung einer reibungslosen integrier-ten Auftragserledigung.

In globalen ISE-Outsourcingprojektenmit mehreren Dienstleistern ist die Ver-antwortung für die Aufgabenerledigungverteilt, sodass ein Zusammenwirkenzwischen den Dienstleistern bestehenmuss, damit einzelne Lieferungen ausunterschiedlichen Verantwortungsberei-chen ineinander greifen und zu einererfolgreichen Gesamterledigung führen.Ein Mitglied des Projektteams von BANKfasste diese wichtige Phase zusammen:

Während dieser Phase übten undwerteten wir auf der Basis ausge-wählter Geschäftsvorfälle aus, wiedie gesamte Aufgabenerledigung zu-stande kam und wie sie sich inAblauf und Ergebnis darstellte.

Die Initialisierung dieser Kooperationmehrerer Unternehmen enthüllte auch

Ausführungsmängel, die den Unter-schiedlichkeiten nationaler und unter-nehmenseigener Kulturen zugeordnetwerden konnten. Derartige Unterschiedeergaben sich bei abweichenden Arbeits-weisen, inklusive der Werte (etwa Qua-litätsbewusstsein) und Praktiken (etwaAnsätze zum Wissenstransfer). Das Pro-jektteam sprach aktiv jeden Konflikt undjeden Fahler an und benutzte sie als Lern-instrumente, um das weitere Verhalten zuverbessern.

Wir beschreiben nun den Einfluss in-formeller Steuerung und organisationa-len Lernens auf die formale Steuerung.Aus unseren Erhebungen ergab sich, dasssich dieser Einfluss im Projektverlauf ver-ändert. Kurzfristig entwickelten sich ausinformeller Steuerung und Lernmecha-nismen wertvolle operationelle Informa-tionen, die den Beteiligten ermöglich-ten, die formale Steuerung auf Detai-lebene anzupassen. Im weiteren mittel-bis langfristigen Verlauf trugen informel-le Steuerungsmechanismen und interor-ganisationale Lernprozesse dazu bei, denBedarf an formaler Steuerung zu verrin-gern. D.h., dass unsere Daten Hinwei-se auf Änderungen in den Auswirkungenergaben. Im Folgenden stellen wir diesenEffekt an zwei Beispielen dar.

Wie wir schon erwähnten, praktizier-ten und passten die beteiligten Unter-nehmen ihre Kooperation an, um eineunproblematische Erledigung der Aufga-ben zu erreichen. Die Unternehmen er-mittelten deshalb funktionelle, prozess-hafte und technologische Schwerpunk-te und hielten Ausführungsmängel fest;dies ermöglichte ihnen, wichtige ope-rationelle Informationen zu erschließenund daraufhin ihre Projektzielverfolgungzu präzisieren (d.h. kurzfristiger Effektauf formale Steuerung). Ein Mitglied desProjektteams erläuterte:

Aus meiner Sicht war die Auf-bauphase zu Anfang des Projek-tes vernünftig und wichtig. Da wirdie Leistungen schnell erbringenmussten, waren auch die Problemeschnell zu bearbeiten. Als Konse-quenz konnte die Auswirkung dieserProbleme durch Neuterminierun-gen minimiert werden, und weitereVerbesserungsmaßnahmen konnteneingeleitet werden.

Am Anfang des Projektes unterstützteBANK in starkem Maß die Zusammen-arbeit zwischen den beteiligten Firmen,um die Rollen und Verantwortlichkeiten

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klar zu machen und einen stabilen Ar-beitsmodus zu unterstützen. Diese Be-mühungen um Koordination und Steue-rung wurden jedoch allmählich weniger,als sie durch sich selbst organisierendeMechanismen innerhalb der zunehmendreibungsloser funktionierenden Koope-ration aller Beteiligten ersetzt wurde (d.h.mittel- bis langfristige Wirkung auf dieformale Steuerung). So ergab sich dieVerringerung formaler Führung aus in-terorganisationalen Lernprozessen, wieein Projektmanager von IMPLEMENTbeschrieb:

Anfänglich organisierte (BANK)formale Treffen unter der Führungvon BANK, später gab es dann mehrund mehr direkte Kontakte zwischenden Unternehmen. BANK war nichtder Initiator, wurde aber immerinformiert, um die Transparenzaufrecht zu erhalten.

4.2 Ergebnis 2: Einfluss diesesZusammenspiels auf kulturelleUnterschiede

Wir beschreiben nun den positivenEinfluss des Zusammenspiels vonSteuerungsmechanismen und inter-organisationalem Lernen auf kultu-relle Unterschiede in weltweiten ISE-Outsourcingprojekten mit mehrerenDienstleistern. Aus unseren Daten ginghervor, dass diese Mechanismen denPartnern helfen können, nationale undaus der Unternehmenskultur herrüh-rende Differenzen durch die Harmo-nisierung der unterschiedlichen tätig-keitsbezogenen Werte und Praktiken zuüberwinden. Das heißt, die Daten ließenvermuten, dass der integrierte Gebrauchvon formalen und informellen Steuerun-gen sowie von interorganisationalem Ler-nen Verhaltensmuster, die ihre Wurzelnin nationalen und Unternehmenskultu-ren haben, dominieren und so ein Stückweit aufheben; auf diese Weise werdenbestehende Unterschiede nationaler undUnternehmenskulturen überbrückt unddas Aufkommen diesbezüglicher Kon-flikte nimmt ab. In der Folge beschreibenwir dieses Ergebnis detaillierter.

Bei diesem Projekt half das Zusam-menspiel zwischen formaler und infor-meller Steuerung und dem interorganisa-tionalem Lernen, die Risiken zu mindern,die mit nationalen und unternehmensbe-zogenen kulturellen Unterschiedlichkei-ten verbunden sind. Durch die Schaf-fung von Transparenz für jede einzel-

ne Auftragserbringung (d.h. durch An-wendung des formalen Steuerungsme-chanismus Traceability Matrix) passtendie Parteien ihre unterschiedlichen Auf-fassungen von Qualität und Genauigkeitan, zumindest in einem gewissen Maß.Der Projektmanager eines Dienstleisterserklärte:

Die „Traceability Matrix“ half beider Minderung der durch kulturel-le Unterschiede bedingten Risiken,indem sie klare Rollen und Verant-wortlichkeiten definierte, die Erken-nung von wechselseitigen Abhängig-keiten unterstützte und die gemein-samen Leistungen genau beschrieb.

Im folgenden anschaulichen Zitat erklär-te ein Mitglied des spanischen Projekt-teams die oben erwähnen kulturellenUnterschiede zwischen Deutschland undSpanien aus spanischer Sicht:

Beim Auftauchen von Problemen er-warteten wir, dass der Auftraggebersich einbrachte, um Hilfe und Un-terstützung zur Problemlösung un-abhängig vom Zeitplan zu leisten.

Im Lauf der Kooperation ergab sichjedoch, dass,

wenn man Aufträge für Deutscheerledigt, sie pünktlich und fehler-frei sein müssen. Die Qualitätser-wartungen sind hoch. Sie (deutscheKollegen von BANK und weiterenBeteiligten) bestehen auf pünktli-cher Lieferung in der vereinbartenQualität; sie halten sich enger anden Plan. Da war es sehr hilfreich,dass es dieses Nachverfolgungsin-strument gab, sodass wir den Sta-tus und die zukünftigen Aufgabenjederzeit sehen konnten.

Divergierende Normen und Werte wur-den parallel neu verhandelt und durchden Gebrauch informeller Steuerungs-mechanismen und interorganisationalerLernprozesse angepasst. Zum Beispielhalf die Entwicklung einer gemeinsamen,projektorientierten Leitlinie (d.h. infor-meller Führungsmechanismus) organi-sationsbezogene kulturelle Unterschiededurch Schaffung einer Projektkultur ausTeamgeist und Zielorientierung zu ver-ringern, während zugleich interorganisa-tionales Lernen dem Projektteam ermög-lichte, sich aufkommender Unterschied-lichkeiten in arbeitsbezogenen Praktikenanzunehmen. Dazu kommentierte einInterviewpartner einer höheren Ebene:

Aus meiner Sicht war die Haupt-begründung für den Erfolg desProjekts, dass die Projektmitarbei-ter unseres Unternehmens und derübrigen beteiligten Organisationenstets gewillt waren, die Ziele des Pro-jekts miteinander zu unterstützen.

Ein Projektmanager des Auftraggeberserklärte dies genauer:

Wir sprachen über unterschiedli-che Auffassungen, Missverständnis-se, Themen aus kulturellen Unter-schieden und verschiedenen Kom-munikationsstilen, und dachten ge-meinsam über positive und negati-ve Ereignisse in der Projektzusam-menarbeit aller Dienstleistungsun-ternehmen nach, immer das Zielvor Augen, die Zusammenarbeit zuverbessern.

Zusammengefasst ermöglichte das Zu-sammenspiel der formalen und informel-len Steuerungsmechanismen mit dem in-terorganisationalen Lernen dem Projekt-team, die wegen der nationalen und un-ternehmensbezogenen kulturellen Unter-schiede divergierende Werte, Normen,Praktiken und Erwartungen zu harmoni-sieren.

Die oben beschriebenen Ergebnissesind in Tab. 5 zusammengefasst.

5 Abschluss und Folgerungen

Mit dem Ziel, unser Verständnis für We-ge, kulturelle Unterschiede in internatio-nalen ISE-Outsourcingprojekten mehre-rer Dienstleister zu erweitern, wandtenwir eine explorative Form einer Einzel-falluntersuchung an. In der Folge sehenwir im Detail, wie informelle und for-male Steuerungsmechanismen und in-terorganisationales Lernen interagieren;weiterhin zeigen unsere Ergebnisse, dassdiese Interaktionen bei der Minderungkultureller Unterschiede in solchen Pro-jekten hilfreich sind. Um diesen Nutzenzu erhalten, ist jedoch zunächst forma-le Steuerung notwendig, da sie das Pro-jekt auf das Entstehen informeller Steue-rungsmechanismen und auf interorgani-sationales Lernen vorbereitet. Die Pro-jektbeteiligten sollten auch Änderungenin der Wirkungsweise informeller Steue-rung und interorganisationalen Lernensim Zeitablauf in Betracht ziehen, d.h.einen Wechsel von Informationen undRückwirkungen, die den Ansatz formalerSteuerung unterstützen (kurzfristig), hin

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Tab. 5 Elemente des konzeptuellen Rahmens

Zugrunde liegendes Problem Eingesetzte Methoden Erzielte Hauptresultate

Kategorien Konzepte

• Kooperation mehrerer Partner (ausnationaler und organisationalerPerspektive)• Unterschiede der Arbeitsweisen

FormaleSteuerung

• Traceability Matrix (im Textbeispielhaft erwähnt)• Gemeinsame auf Schablonenbasierende Statusberichte (im Textnicht beschrieben)• CMMI-Reviewprozess (im Textnicht beschrieben)

• Transparenz bezüglich Rollenund Verantwortlichkeiten jederPartei• Verzicht auf Verhandlungenund Feilschen

• Kooperation mehrerer Partner (ausnationaler und organisationalerPerspektive)• Unterschiede der arbeitsbezogenenWertvorstellungen

InformelleSteuerung

• Entwicklung einer gemeinsamenzielorientierten Einstellung (im Textbeispielhaft erwähnt)• Gesellige Aktivitäten, z. B.gemeinsames Essen (im Text nichtbeschrieben)• Förderung der Kollegialität imTeam (im Text nicht beschrieben)

• Weiterentwicklung im Team• Entwicklung einergemeinsamen Projektkultur

• Kooperation mehrerer Partner (ausnationaler und organisationalerPerspektive)• Unterschiede der Arbeitsweisenund der arbeitsbezogenenWertvorstellungen

Interorgani-sationalesLernen

• Initialisierungsphase (im Textbeispielhaft erwähnt)• Einsatz gemeinsamerStrukturierungswerkzeuge wieEreignisjournale, Wikis usw. (im Textnicht beschrieben)

• Einrichtung eines integriertenServiceerbringungsprozesses

zu einem tatsächlich verringerten Bedarfan und Einsatz von formaler Steuerung(mittel- bis langfristig). Zusammen kön-nen diese Mechanismen den Partnernhelfen, nationale und unternehmensbe-zogene kulturelle Unterschiede zu über-winden, indem sie die verschiedenen pro-jektbezogenen Werte und Praktiken har-monisieren.

Mit diesen Ergebnissen trägt die vorlie-gende Untersuchung zur globalen Soft-wareentwicklungsliteratur bei und ver-mittelt ein besseres Verständnis, wie mitkulturellen Unterschieden in weltweitenISE-Outsourcingprojekten mit mehrerenDienstleistern umzugehen ist. Weiterhinleisten wir einen Beitrag zur Steuerungs-dynamik in internationalen IS-Projekten:Diese Studie zeigt, dass Änderungen derSteuerungsmodalitäten während der Pro-jektphasen durch äußere Faktoren aus-gelöst werden können (z. B. Projekt-zusammenhang, Zusammensetzung derBeteiligten, weltweiter Zusammenhang,wie bei Kirsch (2004) zu sehen), aberauch durch das Zusammenspiel der ver-schiedenen Steuerungsarten innerhalbdes Steuerungsportfolios eines einzelnenProjekts. Schließlich liefert diese detail-lierte Fallanalyse Folgerungen für dieglobale Sourcingpraxis. Die Möglichkeit,formale Steuerungsmechanismen zu re-duzieren, ergibt einen gewichtigen Vor-teil für die Projektmanager weltweiter

ISE-Outsourcingprojekte mit mehrerenDienstleistern ebenso wie eine wahr-scheinliche Verringerung der normaler-weise hohen Overheadkosten des Mana-gements solcher Projekte.

Es gibt jedoch auch etliche Einschrän-kungen. Erstens hatten wir nicht dieMöglichkeit, Verantwortliche des Dienst-leisters TEST, der für die Tests der Soft-ware in einer neuen Institution in In-dien verantwortlich zeichnete, zu in-terviewen. Zweitens verlief die Anlauf-phase dieser Testinstitution nicht plan-mäßig, sodass während der Testpha-se gravierende Probleme für das Pro-jekt und die beteiligten Firmen entstan-den. Hier hätte es aus Gründen kultu-reller Unterschiede große Konflikte zwi-schen den Beteiligten geben können.Überraschenderweise war die Zusam-menarbeit allerdings durch große Har-monie gekennzeichnet, vielleicht, weil je-des beteiligte Unternehmen bereits frü-here Geschäftsbeziehungen mit BANKaufzuweisen hatte. Weitere Untersuchun-gen sollten ISE-Outsourcingprojekte des-halb im Zusammenhang neu zusam-mengestellter Dienstleisterteams im Hin-blick auf diese vorgeschlagene Erklä-rung überprüfen. Drittens beruhen unse-re Ergebnisse spezifisch auf großen tech-nologischen Entwicklungsprojekten derdeutschen Finanzdienstleistungsbranche.Dementsprechend ermutigen wir ande-re Forscher, die gestellten Fragen weiter

in anderen Zusammenhängen und Um-gebungen zu erforschen. Viertens könn-te unsere Analyse des Zusammenspielsvon formalen und informellen Manage-mentmechanismen mit dem Lernen inglobalen ISE-Outsourcingprojekten mitmehreren Dienstleistern erweitert wer-den, um weitere Aspekte herauszufindenund ein zunehmend differenziertes Bildder Interaktionen zu liefern.

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Zusammenfassung / AbstractRoman Beck, Katharina Schott

Das Zusammenspiel von Projektsteuerungund interorganisationalem Lernen und dessen Effekt auf kulturelleUnterschiede in globalen ISE-Outsourcing-Projekten mit mehrerenDienstleistern

Das Management von weltweit verteilten Softwareentwicklungsprojekten stellt ins-besondere in Bezug auf den Umgang mit kulturellen Unterschieden eine besondereHerausforderung dar. Bisherige Studien konnten zwar den positiven Effekt von ver-schiedenen Steuerungsmechanismen und interorganisationalem Lernen zeigen, lie-ßen die Interaktion zwischen diesen Mechanismen aber weitestgehend unberück-sichtigt. Die vorliegende Studie verwendet eine explorative Einzelfallstudie um ebendieses Zusammenspiel von formalen und informellen Steuerungsmechanismen so-wie von interorganisationalem Lernen sowie dessen Effekt auf kulturelle Unterschie-de zu untersuchen. Ein zentrales Ergebnis unserer Analyse ist, dass sich der Einflussvon informellen Steuerungsmechanismen und interorganisationalem Lernen auf for-male Steuerungsmechanismen über die Zeit verändert: kurzfristig werden zunächstoperative Informationen zur Feinsteuerung des formalen Managements zur Verfü-gung gestellt; mittel- bis langfristig wird dann aber eine Reduzierung des formalenManagementaufwandes ermöglicht.

Schlüsselwörter: Kulturelle Unterschiede, Formale Steuerungsmechanismen, Infor-melle Steuerungsmechanismen, Interorganisationales Lernen, IS-Outsourcing, Multi-sourcing, Global verteilte Entwicklung von Informationssystemen

The Interplay of Project Control and Interorganizational Learning:Mitigating Effects on Cultural Differences in Global, Multisource ISDOutsourcing Projects

Research into global, multisource, information systems development outsourcingprojects has uncovered management challenges, including cultural differences onmultiple levels. While control mechanisms and interorganizational learning havebeen shown to contribute to the mitigation of cultural differences in such projects,a gap persists regarding the effect of the interplay between these mechanisms. Thisstudy employs an exploratory single-case study design to analyze how formal andinformal control mechanisms and interorganizational learning interact and thus con-tribute to the mitigation of cultural differences in global, multisource, informationsystems development outsourcing projects. With the key finding that the influenceof informal controls and interorganizational learning on formal controls changes overtime, this research helps expand the domain of control dynamics in global IS projects.This study also contributes to literature on ways to handle cultural differences inglobal, multisource, IS outsourcing projects.

Keywords: Cultural differences, Formal control, Informal control, Interorganizationallearning, IS outsourcing, Multisourcing, Global information systems development

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