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Der Traum von München Lesung zum 118. Geburtstag und zum 20jährigen Bestehen der OMG-Gesellschaft Beate Himmelstoß und Bernhard Butz lesen Hans Well und die Wellbappen musizieren 20 Jahre OMG-Gesellschaft. Da soll- te man sich schon etwas Besonderes einfallen lassen. Nach langem Über- legen entschied sich der Vorstand der Gesellschaft Texte zusammenzusu- chen, die Oskar Maria Grafs Verhältnis zu München beleuchten sollten. Keine leichte Aufgabe für Ulrich Dittmann, der die Auswahl besorgte. Als allgemein vorausgesetzt werden konnte Grafs Verhältnis zur Revolution in München, zu den ‘ver- silberten Jahren’ danach - ausführlich beschrieben in „Wir sind Gefangene“ bzw. in „Gelächter von außen“. Außerdem war sicher die immer wie- der verzögerte Heimkehr nach München mit dem Lederhosen-Eklat im Cuvilliés-Theater bekannt. Die Lesung zum 20jährigen Bestehen hatte es sich aber zur Aufgabe gestellt, Grafs ambivalentes Verhältnis zu Stadt, Landschaft und Menschen zu untersuchen, seine Vorahnungen, Befürchtungen, Äng- ste. Dass damit nicht der humorige Schriftsteller mit seinen saftigen Schnurren an diesem Abend im Mittelpunkt stand, war klar – nicht der lustige, unterhaltsame Graf sollte sprechen, sondern der verletzte Schriftsteller, der sich um die Freunde sorgt, aber so seine Probleme mit München hat. Und damit Grafs Einstellung authentischer gezeichnet werden konnte, wurde vor allem aus Briefen zitiert. Dieser Abend verlangte Gespür von den Lesenden, denn atemlose Heiterkeit war nicht angesagt, son- dern Mithineinversetzen in die schwierige Situation, in die Graf nach erfolgreichen Jahren geriet. Und Beate Himmelstoß und Bernhard Butz gelang es die Zuhörer mitzuneh- men, weil sie nuancenreich und sehr präzise lasen. Der Abend im „OskarMaria“ begann mit der Lesung des Traumes in der Einleitung zu „Gelächter von außen“. Damit ist der Tenor dieses Abends angegeben: Der in der „Einleitung“ von „Gelächter von außen“ geschil- derte Traum nach dem Hitlerputsch 1923 spricht – vorahnend - die Angst Oskar Maria Grafs vor den Nationalsozialisten und ihren Mitläufern an, seine Verfolgung und Hinrichtung, aber auch die Hilfe von Freunden in einer völlig neuen, unbe- kannten Welt, dem Exil. Damit sind die Leitmotive benannt, die der eifrige Briefschreiber Graf immer wieder anspricht: Im Brief an Lotte und Gottlieb Branz beklagt Graf, dass Erich Kästner die Lesung im Cuvilliés-Theater „torpediert“: Er fühlt sich von der Münchner Gesellschaft immer noch nicht ange- nommen. Aus seinen Erfahrungen heraus mit der proletarischen „Neuen Bühne“, an der er sich wohl fühlte, die aber keinerlei Unterstützung von der Stadt erhielt und deswegen pleite ging, verweigert er der Dichter- handschriftensammlung der Stadt- bibliothek seine Manuskripte: Das herrschende „Spießbürgertum“ wolle doch nicht ernsthaft „seine Manuskriptsammlung mit den Schriftzügen eines proletarischen Schriftstellers verunzieren.“ (Brief an Direktor Held, 1930) Noch deutlicher zeigt sich seine Gespaltenheit gegen- über München, die Graf in in seiner Streitschrift „Warum ausgerechnet wohnhaft in München?“ formuliert: Einerseits habe München „keinen Nimbus, keine Kunst- und Literaturgötter und keinen Politiker […], dem man sonderlich viel zutraut“, andererseits findet er „die unaufdringliche Respektlosigkeit“ als „geistige Essenz“ faszinierend, d.h., es könne der „Berühmteste und Begehrteste durch die Straßen gehen“ und „kein Mensch wird dich sonder- lich beachten. Du bist einer wie alle.“ (Notizbuch des Provinzschriftstellers OMG 1932) Seine Liebe zur Heimat jedoch äußert sich in dem eindring- lichen Brief an die Freunde (Offener Brief an Münchner Freunde,1945), die die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten überlebt haben. Deutlich spricht er hier den aufkom- menden Konflikt zwischen Emi- granten und Daheimgebliebenen an, der aber durch die gemeinsame Liebe zur Heimat – und das ist nicht nur Bayern - überwunden werden kann. Grafs Hoffnung, dass mit einer Bildungsoffensive in Zukunft Schlimmes verhindert werden kann, ist ständigen Schwankungen ausge- setzt: So glaubt er nicht an eine Heimkehr: Er verstehe „all das Enge, das schrecklich Provinzielle nicht mehr.“ Ihn grause es „vor dieser stu- ren, unbelehrbar nationalen deut- schen Wirklichkeit, vor diesem nie freiwerdenden Spießertum“. (Briefe an Max Stefl, 1946, und an Rudolf Adrian Dietrich, 1950). 1959 kommt Graf noch einmal auf seinen ersten Besuch in München zurück. Er berichtet von seinen Erfolgen auf der Lesereise nach dem Eklat im Cuvilliés-Theater, der ihn immer noch beschäftigt: „Die Herren Autoren dort hab ich gründlich ken- nen gelernt lauter kriechende Betbrüder und gewesene Nazis, die jetzt nichts mehr wissen.“ Graf will nicht mehr nach Deutschland, der Brief endet mit „München hasse ich geradezu schon.“ (Brief an Ernst Waldinger, 1959) Die Lesung schließt mit Nachrufen von Oskar Maria Graf und Mirjam Graf (Pseudonym Mary Graf) auf Karl Valentin: Für Graf ist Valentin Bernhard Butz, Beate Himmelstoß, Hans Wel Die Wellbappen Jonas, Tabea und Sarah Well Nachrichten der Oskar-Maria-Graf-Gesellschaft Das OMG-Journal 12. Jahrgang - Nr. 13 München, 25. März 2013 Preis: 1

DasOMG-Journal · derstärkste„Selbstdarstellermensch-licher Unzulänglichkeiten“, „der münchnerischste aller Münchner“, obwohlerschonvomÄußerenher keineswegs dem weit

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Der Traum von MünchenLesung zum 118. Geburtstag

und zum 20jährigen Bestehen der OMG-GesellschaftBeate Himmelstoß und Bernhard Butz lesenHans Well und die Wellbappen musizieren

20 Jahre OMG-Gesellschaft. Da soll-te man sich schon etwas Besondereseinfallen lassen. Nach langem Über-legen entschied sich der Vorstand derGesellschaft Texte zusammenzusu-chen, die Oskar Maria GrafsVerhältnis zu München beleuchtensollten. Keine leichte Aufgabe fürUlrich Dittmann, der die Auswahlbesorgte.Als allgemein vorausgesetzt werdenkonnte Grafs Verhältnis zurRevolution in München, zu den ‘ver-silberten Jahren’ danach - ausführlichbeschrieben in „Wir sind Gefangene“bzw. in „Gelächter von außen“.

Außerdem war sicher die immer wie-der verzögerte Heimkehr nachMünchen mit dem Lederhosen-Eklatim Cuvilliés-Theater bekannt.Die Lesung zum 20jährigen Bestehenhatte es sich aber zur Aufgabegestellt, Grafs ambivalentesVerhältnis zu Stadt, Landschaft undMenschen zu untersuchen, seineVorahnungen, Befürchtungen, Äng-ste. Dass damit nicht der humorigeSchriftsteller mit seinen saftigenSchnurren an diesem Abend imMittelpunkt stand, war klar – nichtder lustige, unterhaltsame Graf solltesprechen, sondern der verletzteSchriftsteller, der sich um dieFreunde sorgt, aber so seine Problememit München hat. Und damit GrafsEinstellung authentischer gezeichnet

werden konnte, wurde vor allem ausBriefen zitiert.Dieser Abend verlangte Gespür vonden Lesenden, denn atemloseHeiterkeit war nicht angesagt, son-dern Mithineinversetzen in dieschwierige Situation, in die Graf nacherfolgreichen Jahren geriet. UndBeate Himmelstoß und BernhardButz gelang es die Zuhörer mitzuneh-men, weil sie nuancenreich und sehrpräzise lasen.

Der Abend im „OskarMaria“ begannmit der Lesung des Traumes in derEinleitung zu „Gelächter von außen“.

Damit ist der Tenor dieses Abendsangegeben: Der in der „Einleitung“von „Gelächter von außen“ geschil-derte Traum nach dem Hitlerputsch1923 spricht – vorahnend - die AngstOskar Maria Grafs vor denNationalsozialisten und ihrenMitläufern an, seine Verfolgung undHinrichtung, aber auch die Hilfe vonFreunden in einer völlig neuen, unbe-kannten Welt, dem Exil.Damit sind die Leitmotive benannt,die der eifrige Briefschreiber Grafimmer wieder anspricht: Im Brief anLotte und Gottlieb Branz beklagtGraf, dass Erich Kästner die Lesungim Cuvilliés-Theater „torpediert“: Erfühlt sich von der MünchnerGesellschaft immer noch nicht ange-nommen. Aus seinen Erfahrungen

heraus mit der proletarischen „NeuenBühne“, an der er sich wohl fühlte,die aber keinerlei Unterstützung vonder Stadt erhielt und deswegen pleiteging, verweigert er der Dichter-handschriftensammlung der Stadt-bibliothek seine Manuskripte: Dasherrschende „Spießbürgertum“ wolledoch nicht ernsthaft „seineManuskriptsammlung mit denSchriftzügen eines proletarischenSchriftstellers verunzieren.“ (Brief anDirektor Held, 1930) Noch deutlicherzeigt sich seine Gespaltenheit gegen-über München, die Graf in in seinerStreitschrift „Warum ausgerechnet

wohnhaft in München?“ formuliert:Einerseits habe München „keinenNimbus, keine Kunst- undLiteraturgötter und keinen Politiker[…], dem man sonderlich vielzutraut“, andererseits findet er „dieunaufdringliche Respektlosigkeit“ als„geistige Essenz“ faszinierend, d.h.,es könne der „Berühmteste undBegehrteste durch die Straßen gehen“und „kein Mensch wird dich sonder-lich beachten. Du bist einer wie alle.“(Notizbuch des ProvinzschriftstellersOMG 1932) Seine Liebe zur Heimatjedoch äußert sich in dem eindring-lichen Brief an die Freunde (OffenerBrief an Münchner Freunde,1945),die die Schreckensherrschaft derNationalsozialisten überlebt haben.Deutlich spricht er hier den aufkom-

menden Konflikt zwischen Emi-granten und Daheimgebliebenen an,der aber durch die gemeinsame Liebezur Heimat – und das ist nicht nurBayern - überwunden werden kann.Grafs Hoffnung, dass mit einerBildungsoffensive in ZukunftSchlimmes verhindert werden kann,ist ständigen Schwankungen ausge-setzt: So glaubt er nicht an eineHeimkehr: Er verstehe „all das Enge,das schrecklich Provinzielle nichtmehr.“ Ihn grause es „vor dieser stu-ren, unbelehrbar nationalen deut-schen Wirklichkeit, vor diesem niefreiwerdenden Spießertum“. (Briefe

an Max Stefl, 1946, und an RudolfAdrian Dietrich, 1950). 1959 kommtGraf noch einmal auf seinen erstenBesuch in München zurück. Erberichtet von seinen Erfolgen auf derLesereise nach dem Eklat imCuvilliés-Theater, der ihn immernoch beschäftigt: „Die HerrenAutoren dort hab ich gründlich ken-nen gelernt – lauter kriechendeBetbrüder und gewesene Nazis, diejetzt nichts mehr wissen.“ Graf willnicht mehr nach Deutschland, derBrief endet mit „München hasse ichgeradezu schon.“ (Brief an ErnstWaldinger, 1959)Die Lesung schließt mit Nachrufenvon Oskar Maria Graf und MirjamGraf (Pseudonym Mary Graf) aufKarl Valentin: Für Graf ist Valentin

Bernhard Butz, Beate Himmelstoß, Hans Wel Die Wellbappen Jonas, Tabea und Sarah Well

Nachrichten der Oskar-Maria-Graf-GesellschaftDas OMG-Journal

12. Jahrgang - Nr. 13 München, 25. März 2013 Preis: 1 €

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der stärkste „Selbstdarsteller mensch-licher Unzulänglichkeiten“, „dermünchnerischste aller Münchner“,obwohl er schon vom Äußeren herkeineswegs dem weit verbreitetenBild des Münchners entspricht, „aberdie letzten Tiefen und Feinheiten desspezifisch Münchnerischen mit gera-dezu genialischer Präzision aufspür-te“. Und der Tod Valentins „löschtgleichsam etwas von der Seele desewigen, dennoch liebenswertenMünchens aus.“ Da ist sie wieder, dieKritik an München, das für den altenGraf zwar „gemütlich-phlegmatisch“ist, aber „noch nie ein besonderesVerständnis für wirklich Großesgezeigt hat“! (Aus: München verloretwas Unwiederbringliches. ZumTode des großen Komikers KarlValentin. In: An manchen Tagen, S.306ff.). Mirjam Graf stimmt OMG ineinem kurzen Artikel in derExilzeitschrift „ Aufbau“ zu, aber sie

betont versöhnlicher, dass Valentinfür die Münchner „eine Herzens-angelegenheit und ein Stück vonihnen selbst“ gewesen sei. (Aufbau,27.2.1948)

Beate Himmelstoß und BernhardButz lasen abwechselnd. Sie schaff-ten es, die stets schwankende HaltungGrafs heraufzubeschwören, seineUnentschlossenheit, seine Wut aufSpießer und Unbelehrbare und seineLiebe zur Heimat. Gebannt hörten dieAnwesenden zu.

Die musikalische Begleitung durchHans Well mit den Wellbappen - dieseFormation stand zum ersten Mal soauf der Bühne - konnte nicht besserauf die vorgetragenen Texte Grafsabgestimmt sein: Grafs Haltungwurde recht genau auf die Gegenwartübertragen. Und die Stimmung, diedie Musiker erzeugten, hätte Graf

sicher sehr gefallen: Es ging Bayrischund Südamerikanisch her, Volksliedund Gstanzl wurden virtuos darge-boten – zehn (!) verschiedeneInstrumente, die mit den Musikernzusammen kaum auf der kleinenBühne Platz hatten, kamen zumEinsatz: Nach einer zungenbrecheri-schen Aufzählung, wer alles unter denZuhörern sein könnte, folgte ein Liedüber die Spezlwirtschaft und dieSelbstbedienungsmentalität, über dieRechtslastigkeit und Blindheit maß-geblicher Politiker. Aber auch dieFremdenfeindlichkeit eines ThiloSarrazin wurde – stellvertretend –bitterböse aufgespießt, wenn einUrlauber am Roten Meer sich vor-stellt, wie Deutschland ausschaut,wenn es von den Moslems umgestal-tet wird. Höhepunkt war aber fürmich die selbstironische Lobpreisunggerade der Bayern, die Graf immerwieder angegriffen hat: „Please be

nice to the Bavarians/ tolerate us howwe are/ we are better than youthink …“ Und die Zeilen schließen:„Bavaria is in pole position/ becausewe have the right party und the rightreligion/ Bavarian heads are biggerthan those of you/ they have moreplace for a higher IQ/ we have thebest english and world best beer/ inbavarian we call it: mir san mir“. Dassdamit auch Oskar Maria Graf – in allseiner Widersprüchlichkeit – einwenig porträtiert wird, ist sicherlichbeabsichtigt.

An diesem Abend wurde ein OskarMaria Graf vorgestellt, der weit wegist von dem Schriftsteller, der in der-ben Erzählungen seine bayrischeHeimat zu charakterisieren vorgibt.Die Zuhörer bedankten sich mitlangem Beifall.

Joachim Moisel

Gerhard Polt liest Oskar Maria GrafLeseabend im Rahmen der Ausstellung „Braucht’s des?!“

am 13.4.2012 im Literaturhaus„Wenn ein Grantler einen anderen inSzene setzt, verspricht der Abendinteressant zu werden.“ (aus derAnzeige des Literaturhauses imInternet).Der Abend war interessant, nein, erwar mehr! Gerhard Polt las die Textevon Oskar Maria Graf, die er mit JörgHube zusammen vorgetragen hatte,eine Erinnerung an den verstorbenenBühnenpartner und Freund, damalsnoch musikalisch begleitet von derBiermösl Blos’n.Gerhard Polt wird an diesem Abendbegleitet von den Well-Kindern.Fröhliche, aber auchkritische Volksmusik,die Zuhörer werdenaufgefordert mitzusin-gen bzw. zu klatschen.Ein gelungenes Bei-programm, musikalischsehr stark, politischwenig betont. EinHöhepunkt war dannaber für mich, wieGerhard Polt „aufArabisch“ mit unglaub-licher Musikalität diebayerischen Gstanzlnergänzte.Gerhard Polt begann die Lesung mitGrafs Versuch über den bayrischenHumor (in: „Aus manchen Tagen“).Man stellt schnell fest, dass derHumor der beiden verwandt ist –wobei die Virtuosität des Vortrags vonGerhard Polt das noch unterstreicht:Graf vergleicht den österreichischenHumor mit dem bayrischen und ver-mutet, dass „das Bier stumpf, stör-risch, nörglerisch und auf irgendeineWeise wurschtig, das heißt animalischgleichgültig macht.“ Und mit einemweiteren Zitat lässt sich die geistigeVerwandtschaft beider belegen, wennGraf ausführt, dass man, um den bay-erischen Humor zu erklären, etwas

weitschweifig sein müsse:„Weitschweifigkeit oder besser, daslangsame, leicht umständlicheHeranpirschen an das Eigentlicheeiner Sache gehört zu unserer Natur.Alles Knappe, logisch scharfUmrissene ist uns zuwider. Wir sindfür das Kommode. ‘Kamott’, wie wires ausdrücken … Ein ‘kamotter’Mensch mag das Durchdenken, das inheutigen Zeiten so beliebte Zu-Ende-Denken nicht, er ist für dasBetrachterische … Denn wir haben esstets auf die strotzend-farbige Fülleabgesehen, nicht auf die farblose,ungewisse Tiefe. Was kommt denn,wenn man eine solche erreicht hat,schon dabei heraus? Eine sogenannte

‘ewige Weisheit’, die bei genaueremAnschauen nichts anderes ist als einegrundsolide Banalität, die sich vonden Sprüchen der Bibel bis zu unserenBauernregeln immer gleichbleibt.“Und Gerhard Polt führt uns dann anErzählungen Grafs mit seiner konge-nialen Vortragskunst vor, wo der bay-rische Humor anzutreffen ist: In derErzählung „Drei Liter“ z.B. verwei-gert die resolute Münchner MarktfrauRosalie Weiblinger den Hitler-Gruß,so dass die SA-Braunhemden hek-tisch-nervös und geradezu hilflos rea-gieren. Geradezu genial - mit derschon angesprochenen Musikalität –parodiert Gerhard Polt Hitler in derBegegnung mit dem hungrigen Graf

in einem Schwabinger Lokal. Auchwenn man als Zuhörer den TiradenHitlers nicht folgen kann, der perfektimitierte Wortklang schon allein zeigt,wie lächerlich sich der künftigeFührer präsentiert. OMG hört sich dasalles Dampfnudeln essend an undüberlässt dem wütenden Hitler dieBezahlung: „Ja, glauben Sie viel-leicht, ich hör mir Ihren Quatsch stun-denlang kostenlos an?!“ Diese Szenefindet sich im 7. Kapitel von„Gelächter von außen“, das bezeich-nenderweise den Titel trägt „DerBluthund taucht auf“.

In seinem Brief an dieFreunde Gustav und ElseFischer (1959) schreibtGraf: „Es ist die Angstvor uns selber, die unsnicht zum Leben kom-men lassen will, es istdas Eingesponnensein intausend lächerlicheDinge, die uns von Kindan mitgegeben wordensind, es ist die tiefeunausrottbare Lebens-feigheit, die uns alle sounglücklich macht, so

unfrei, so schauerlich gefangen imAlltäglichen. … In der Flucht inirgend etwas Glaubens- oderVernunftähnliches, in „Ideen“ versu-chen wir einen Halt zu bekommenund verlieren dadurch das eigeneLeben. Leben, leben muß man meineich, leben und sonst nichts. So einfachklingt das und keiner kann’s ...“Oskar Maria Graf musste ab 1934 imExil leben - von da aus betrachtet erdie Mitmenschen. Gerhard Poltschwärmt vom Ideal desBootsverleihers, der ‘kamott’ dasLeben betrachtet.Es war ein wundervoller Abend!

Joachim Moisel

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Sandra Wiest

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Jetzt erst ist dem Vorstand klar geworden, welche Leistung Christine Brand undRaimund Schwaiger für die OMG-Gesellschaft erbrachten, als sie dieHomepage zusammenstellten, diese im Netz veröffentlichten und jahrelangbetreuten. Das sie recht gut funktionierte, bewiesen die zahlreichen Hinweiseund Anfragen.Nach kontroversen Diskussionen im Vorstand einigte man sich im letzten Jahrauf eine Modernisierung. Die war auch notwendig, da nach dem frühen Tod vonFrau Brand niemand mehr die Seite betreuen konnte. Darüber hinaus warenzwei Fragen zu klären: Was soll bleiben, was neu hinzukommen?Zwei lange Abende im Designbüro ALBA folgten: Das Äußere wurde verän-dert, inhaltlich blieb vieles, wurde lediglich anders angeordnet, hinzu kamenbzw. wurden erweitert das „OMG-Alphabet“, die „Stimmen zu OMG“ und„Ausgewählte Texte“.Und das Wichtigste: Veranstaltungen werden wieder angezeigt!

JM

Schicksale melden sich nicht an

Zum Tod von Wolf EubaAm 24. Januar 2013 ist Wolf Euba,der große Literaturvermittler, uner-wartet verstorben.Er las bei vielen Veranstaltungen,und er war d i e Stimme desBayerischen Rundfunks.Die Freunde Oskar Maria Grafs undbesonders wir von der Oskar MariaGraf-Gesellschaft werden die sympa-thische, wortgewaltige Stimme diesesAusnahmekünstlers vermissen: Inallen Werken Grafs, die Wolf Eubabei uns vorstellte, erhielten dieFiguren durch sein unvergleichlichesSprachgefühl für Takt und Klangeinen selbstständigen Charakter.Durch seine Interpretation der Textewurden sie dem Zuhörer in ihrerjeweiligen Eigenheit lebendig.Im Literaturhaus, zu dessen„Hausheiligen“ Graf gehörte, lasWolf Euba anlässlich des jährlichenGedenken an Grafs Geburtstag am 22.

Juli zweimal: 2002 zum Thema„Fremde bayerische Heimat“ und2006 zum Motto „Heimat überall“,

begleitet von Maria Reiters ausdrucks-starker Ziehharmonika. Unver-gessen, wie Wolf Euba im „Dukatz“

(heute: „OskarMaria“) am Schlussder Lesung fast provozierend das„König Ludwigs-Lied“ anstimmteund die anwesenden Zuhörer mitsan-gen. So etwas hatte es in diesem In-Lokal, das ein anderes Publikumgewöhnt ist, noch nicht gegeben.Wolf Euba kannte seine Literatur. Sowar seine Handschrift war nicht nurbei der Auswahl von Graf-Textenspürbar, sondern er vermittelte in sei-nen zahlreichen Lesungen ein leben-diges und vielschichtiges Bild vonOskar Maria Graf und seinem Werk.Wolf Euba ist überraschend verstor-ben. Für die Oskar Maria Graf-Gesellschaft und deren Mitglieder einunwiederbringlicher Verlust. Dankbarsind wir, dass durch sein reichhaltigesSchaffen die Stimme auf Tonträgernerhalten und noch zu hören ist. Sowird er für uns unvergessen bleiben.

Sigi MeierMit freundlicher Genehmigung von Regine Schafarschik-Euba

Sie ist da!

Die neue HompageVier Treffer für OMG

Fast schon „Kulturgut“?Wir nehmen mit großer Freude wahr,wie sich für unseren Patron ganz neueTüren auftun. Vier solcherEröffnungen ergaben sich während derletzten sechs Monate. Nicht dass erdamit gleich zur klassischen Gips-Büste wird, er passt auf keinen Sockelund wird lange nicht zum „Kulturgut“erstarren! Als Gesellschaft spielenwir dabei nur sehr mittelbare Ver-ursacherrolle, trotzdem freuen uns dieStatistik und vor allem die Auswahl derRäume, die zu vermelden sind.

1) EUROPABettina Mittendorfer, die vor vielenJahren unser Geburtstagsprogramm„Mädchen – Frauen – Liebe“ gloriosbestritt und inzwischen den BayrischenFilmpreis als beste Darstellerin bekam(für die wir sie eh’ immer hielten) –also: Frau Mittendorfer hat imBayerischen Haus in Brüssel Grafgelesen; eine neue, von ihr selbstzusammengefügte Text-Auswahl:WEIBSBILDER. Graf ist damit zumBotschafter des Bundes-Landes aufge-rückt, wenn auch ohne Lederhose: AufTexte mit eben dieser aus dem früherenProgramm hat Bettina Mittendorferverzichtet. Dieses werden wir heueram 22. Juli im Literaturhaus hören.

2) POLITISCHE AKADEMIETUTZINGIm November las, anlässlich derKULTURNACHT TUTZING und alsAbschluss einer Pädagogen-Tagung,gestaltete Wolf Euba ein eigenesOMG-Programm, in dem er den politi-schen Graf – ohne Rücksicht auf dengenius loci – vorstellte. Er begeisterteeinen vollen Saal mit einer schlüssigenTextauswahl aus GEFANGENE,

GELÄCHTER und KALENDERGE-SCHICHTEN. – Wolf Euba warMitglied, er hat viele Abende Grafgewidmet, teils für die Gesellschaft,öfter noch in eigener Regie in seinenwöchentlichen Lesungen in derTheresienstraße in München. – Dielebhafte Erinnerung an den TutzingerAbend überschattete sein Tod.Niemand wird den SCHMALZER-HANS so lesen, wie er es konnte.

3) ODEONDas ist der Name eines MünchnerPlatzes, außerdem des einst berühmtenKonzertsaales, der jetzt Innenhof einesMinisteriums ist, und bezeichnet heuteeine kulturelle Veranstaltungsreihe derBayerischen Staatsregierung für ihreBeschäftigten. Im Herbst nun wird aufWunsch aus dem Innenministerium einsolcher Termin OMG gewidmet sein.Der Vorsitzende wird am 11. Oktoberum 14 Uhr im Innenministerium überGrafs Heimatvorstellung sprechen.

4) LANDWIRTSCHAFTIm Februar erreichte den Allitera-Verlag die Anfrage nach einem fortset-zungsweisen Abdruck der CHRONIKVON FLECHTING für das „BAYERI-SCHE LANDWIRTSCHAFTLICHEWOCHENBLATT. Man wünschte sichvon uns nur eine geeignete Einführung,die aber auf der Basis des Nachwortszur Allitera-Ausgabe leicht und sehrerfreut zu liefern war. Kann man sichetwas Schöneres vorstellen, als dassOMGs Bücher, vor allem dieserDorfroman, an heutige Leser aus ebendem Milieu gelangt, dessenUmwandlung OMG so gültig be-schreibt?

Ulrich Dittmann

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Verlag Michael Krüger„Ua-Pua-! Indianer-Dichtungen“Reprint der Originalausgabe 1921.Zeichnungen von Georg Schrimpf.Nachwort von Hans Dollinger

Jahrbücher (List Verlag)Bestellungen bei der OMG-Ges.OMG-Jahrbuch 1993 13.30 €OMG-Jahrbuch 1994/95 20.35 €OMG-Jahrbuch 1996 15.25 €OMG-Jahrbuch 1997/98 12.30 €OMG-Jahrbuch 2001 12.30 €

CDsUnser Oskar. Sprachoper über OMGvon Andreas und Sebastian HessDas Leben meiner Mutter (GustlBayrhammer)Wir sind Gefangene (Jörg Hube)Das bayrische Dekameron(Konstantin Wecker)Großkariert. Bedenkliches & Ver-gnügliches von Oskar Maria Graf(Wolf Euba, Maria Reiter)Reise in die Sowjetunion (Jörg Hube,Achim Höppner)„Verbrennt mich“ - Geschichten,Erinnerungen und Gespräche vonOskar Maria Graf„Made in Bavaria“. Geschichten undInterviews von und mit OMG.Gesprochen vom Autor

Impressum:Herausgeber und Verleger:OMG-Gesellschaft e.V. MünchenLiteraturhaus MünchenSalvatorplatz 1 · 80333 München

www.oskarmariagraf.deRedaktion: Ulrich Dittmann(verantwortlich im Sinne desPresserechts)Joachim Moisel

Redaktionsschluss dieser Ausgabe:20. März 2013Spendenkonto: StadtsparkasseMünchen Kto.-Nr. 455691,BLZ 701 500 00Verkaufspreis: 1 €

Nachdruck – auch in Auszügen – nurnach vorheriger Rücksprache mit derRedaktion.

Jahrbücher und HörbücherBücher von und über Oskar Maria Graf

List TaschenbuchDas Leben meiner MutterWir sind GefangeneBolwieserKalendergeschichtenDas bayrische DekameronDie WeihnachtsgansUnruhe um einen Friedfertigen

List HardcoverWerkausgabe in 16 Bänden

als Einzelbände lieferbar:Der AbgrundAn manchen TagenAutobiographische SchriftenBolwieser/Anton SittingerEr nannte sich BanschoDie Erben des UntergangsErzählungen aus dem ExilErzählungen aus der WeimarerRepublikDie Flucht ins MittelmäßigeDer harte HandelKalendergeschichten IKalendergeschichten IIUnruhe um einen FriedfertigenWir sind Gefangene

Helmut F. Pfanner (Hrsg.): OskarMaria Graf. Reden und Aufsätze ausdem Exil

Thomas Kraft (Hrsg.): Oskar MariaGraf. Ich lebe von Dingen geschau-kelt und lebe mich wund. Ausge-wählte Gedichte. Jahrbuch 1996 derOskar Maria Graf-Gesellschaft

Allitera VerlagJahrbücher der Oskar Maria Graf-Gesellschaft bei Allitera 2005, 2006,2008/9, 2010/11

Matthes&SeitzKatrin Sorko (Hrsg.): Oskar MariaGraf. Gesammelte Gedichte.„Manchmal kommt es, dass wirMörder sein müssen ...“

dtv Taschenbuch (läuft aus)Anton SittingerDas Leben meiner MutterWir sind Gefangene

Süddeutsche Zeitung BuchausgabeWir sind Gefangene

Kirchheim VerlagBriefe aus New York 1950-1962 anden Rudolstädter Verleger Karl Dietz(Hrsg. Ulrich Kaufmann)

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Unter Überschrift „Bunte Mischung“beschäftigt sich die Immobilienseiteder SZ am 15. März 2013 mit der BarerStraße. Der Artikel von Ingrid Weidnerschließt mit folgenden Worten:

„Mittlerweile zählt die Maxvorstadt zuden begehrtesten Wohnvierteln. DieUninähe und viele ruhige Hinterhöfe inder Barer Straße bieten urbanes Flair.Alte Wohnhäuser gibt es nur nochwenige, heute dominieren eherNachkriegsbauten. Ganze Straßenzügein dem dichtbebauten Viertel wurdenim Krieg zerstört. Auch an berühmteBewohner wie Lola Montez, denDichter Rainer Maria Rilke oder denMaler Paul Klee erinnert kaum nochetwas. Doch in der Barer Straße 37 istgut sichtbar der Hinweis angebracht,dass der Dichter Oskar Maria Graf zwi-schen 1919 und 1931 in einemAtelierhaus im Hinterhof wohnte. Dortim Rückgebäude befindet sich heutedas Auktionshaus Neumeister.In seinem sehr lesenswerten Roman„Wir sind Gefangene“ beschreibt Grafeindringlich die unruhigen Revo-lutionstage und die großen Umbrüchezu Beginn des 20. Jahrhunderts ausMünchner Perspektive. Wenn dieFrühlingssonne der grauen Barer Straßewieder Farbtupfer verpasst, füllen sichauch die Straßencafés und die großeWiese vor der Alten Pinakothek mitLeben. Gerade dort am historischen Ortbietet sich Grafs Buch als Lektüre an.“

OMG und derImmobilienmarkt

Wer Graf mag . . .Wer gerne OMG liest, obwohl er seltenein gutes Ende bietet, dem sei eineNeuerscheinung ans Herz gelegt:

Christine Lavant,Das Wechselbälgchen. Erzählung.Neu herausgegeben und mit einemNachwort versehen von Klaus Amann.Erschienen im Wallstein VerlagGöttingen 2012.

Zwar liegen schon Ausgaben diesesTextes der Kärntner Autorin vor, aber siealle leiden unter der Geringschätzung,die man Autoren entgegenbrachte, die imDialekt schreiben – die, wie man langemeinte, halt so reden,

Der Herausgeber hat mit großer Sorgfaltsich um die Interpunktion der Lavant(1915-1973) gekümmert, er hat ein bei-spielhaftes Nachwort verfasst und isthöchst verantwortlich mit einem Textumgegangen, dessen erste Lektüre denLeser/die Leserin über Tage verfolgenkann. Man kommt um die zweiteLektüre, die den ersten Eindruck vertieft,nicht herum, auch nicht darum, verwand-ten Seelen die Geschichte der Zitha zuerzählen: Es ist, hier muss man einmaldem Klappentext vorbehaltlos zustim-men, „Heimatliteratur im allermodern-sten Sinne“. Nachdem noch viele Texteder Lavant unveröffentlicht sind, und siewohl nun bei Wallstein eine gute„Heimat“ gefunden hat, darf man sichauf weitere neue Leseerlebnisse freuen.Das Buch ist immer zu haben beiLiteratur Moths in der MünchnerRumfordstraße, Münchens schönsterBuchhandlung.

Ulrich Dittmann

Die neue Ausgabe der Werke vonOskar Maria Graf wächst

„Ich dichtete und liefin der Revolution

herum.“Oskar Maria Grafs Münchner

Jahre 1911 bis 1933Als der Vorstand von dem Plan von FrauWucher erfuhr, einen „OMG-Stadt-führer“ von München zu machen, be-schloss er zweierlei. Einmal sollte dasBüchlein als Dankesgabe an dieMitglieder der Graf-Gesellschaft, die2012 ihr 20jähriges Bestehen feierte,verschickt werden. Zum anderen stellteFrau Wucher ihren Stadtführer nach derMitgliederversammlungam 4. 10. 2012in der Seidl-Villa vor. - begleitet vonintensiven Beiträgen der interessiertenMitglieder. J.M.

Die Ausgaben desAllitera Verlages

werden von UlrichDittmann betreut.

Er bezieht sichdabei auf die

diversen Stoff-bearbeitungen

Grafs.

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