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Das AOK-Forum für Politik, Praxis und Wissenschaft Spezial 12/2009 Generationen-Wechsel +++ Konzepte, Projekte, Ergebnisse NACHWUCHSSUCHE IN DER SELBSTHILFE SPEZIAL

NACHWUCHSSUCHE IN DER SELBSTHILFE Generationen-Wechsel · keit von außen vorgegebener, motivierender Rahmenbedin-gungen jedoch keineswegs aus. Im Gegenteil: Symbolische An-erkennungskulturen

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Das AOK-Forum für Politik, Praxis und WissenschaftSpezial 12/2009

Generationen-Wechsel+++ Konzepte, Projekte, Ergebnisse

NACHWUCHSSUCHE IN DER SELBSTHILFE

SPEZ

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STARTSCHUSS

Generationenwechsel in der Selbsthilfevon Herbert Reichelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

ÜBERBL ICK

Ohne Spaß nix losvon Frank Schulz-Nieswandt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

WISSENSCHAFT

»Das Internet kann nicht mithalten«Interview mit Christopher Kofahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

REPORTAGE

In der Gruppe unter Freundenvon Annegret Himrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

ERFOLGSREZEPTE

Zukunft sichernvon Martin Danner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

PRAX ISBE ISP IELE

Internet erleichtert den Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Nachwuchs übernimmt die Initiative . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Selbstbewusstsein tanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Aus Kindern werden Erwachsene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

STANDPUNKTE

Balance zwischen Information und Spaß . . . . . . . . . . . . 16Das Leben dreht sich nicht nur um Krankheit . . . . . . . . 16

Web

tipp

sIn

halt

Literatur

� F. Schulz-Nieswandt, U. Köstler Genossenschaftliche Selbsthilfe von Senioren. Motive und Handlungsmuster bürgerschaftlichen Engagements.Stuttgart, 2009

� F. Schulz-Nieswandt u. a.Generationenbeziehungen.Netzwerke zwischen Gabebereitschaftund Gegenseitigkeitsprinzip.Berlin, 2009

� GKV-Spitzenverband (Hrsg.)Leitfaden zurSelbsthilfeförderungBerlin, 2009

� AOK-Bundesverband•G+G Spezial 11/05 »Kinder brauchen Zukunft«

•G+G Spezial 11/06 »Vernetzung ist alles«

•G+G Spezial 11/07 »Zuhause in der Fremde«

•G+G Spezial 12/08 »Gemeinsam stark«

Internet

� www.aok-bv.deAOK-Bundesverband, mit ausführlichen Informationen zu den gesetzlichen Grund-lagen der Selbsthilfe. Unter –> Mediathek–> G+G –> G+G-Spezial stehen alle Spezial-Hefte als Download zur Verfügung.

� www.aok.deAOK-Versichertenportal, mit Angaben zu den Selbsthilfe-Ansprechpartnern derjeweiligen Landes-AOK

� www.bag-selbsthilfe.de Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfevon Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V.

� www.arthrogryposis.deInteressengemeinschaft Arthrogryposis(IGA) e.V.

� www.dccv.deDeutsche Morbus Crohn / Colitis ulcerosaVereinigung (DCCV) e.V.

www.amsel.deamsel-Landesverband der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft in Baden-Württemberg

� www.bkmf.deBundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e.V.

� www.bkmf-netzwerkberuf.deNetzwerk zur beruflichen Integrationkleinwüchsiger Menschen.

� www.uke.deUniversitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.Informationen zur Patientenorientierungund Selbsthilfe unter –> Zentrum für Psychosoziale Medizin –> Institut für Medizin-Soziologie –> Arbeitsgruppe Patientenorientierung und Selbsthilfe

� www.patientenbeauftragte.deBeauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten

� www.nakos.deNationale Kontakt- und Informations-stelle zur Anregung und Unterstützungvon Selbsthilfegruppen

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Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/09, 12. Jahrgang 3

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Die Gesundheitskasse hat großes Interesse an einer

lebendigen und schlagkräftigen Selbsthilfestruktur.

Die AOK fördert deshalb seit vielen Jahren die gesundheit-

liche Selbsthilfe auf Bundes-, Landes- und kommunaler

Ebene. Damit Selbsthilfeorganisationen auch in Zukunft

erfolgreich arbeiten, brauchen sie gute Konzepte für die

Nachwuchsgewinnung. Von Herbert Reichelt

S T A R T S C H U S S

Generationenwechselin der Selbsthilfe

Längst sind sich alle darüber einig: »Selbsthilfemacht gesünder«, Gruppen geben Kraft zumLeben. Ohne das bürgerschaftliche Engagementchronisch Kranker und ihrer Angehörigen wären

Institutionen, Organisationen und Professionen nichtselten überfordert. Hinzu kommt die zunehmendegesellschaftliche Relevanz der Selbsthilfebewegung.Nicht überraschend also, dass Selbsthilfe in allen wis-senschaftlichen Abhandlungen auf diese Art wert-geschätzt wird.

Die gesetzlichen Krankenkassen unterstützen dasbürgerschaftliche Engagement in der Selbsthilfe undstellen Fördergelder für die Arbeit der Verbände undSelbsthilfegruppen zur Verfügung. Die Ausgaben dergesetzlichen Krankenkassen haben sich zwischen2000 und 2008 mehr als vervierfacht – 2008 habensie insgesamt rund 39 Millionen Euro bereitgestellt,davon allein die Gesundheitskasse knapp 14 Millio-nen Euro.

Trotz dieser positiven Entwicklung und Wertschät-zung machen aktive Ehrenamtler immer häufiger dieErfahrung, dass es schwierig scheint, junge Leute fürdie traditionelle Selbsthilfe zu gewinnen – oder siesogar zu motivieren, aktiv die Nachfolge für ein Ehren-amt anzutreten.

Wir stellen uns mit diesem Heft deshalb den Fragen:Gibt es einen Wandel des Selbstverständnisses derSelbsthilfe? Welche gesellschaftlichen Hintergründeund Veränderungen sind für die Zukunft der Selbst-hilfe möglicherweise von Bedeutung? Welche Auswir-kungen haben diese Faktoren auf die Bereitschaftbesonders der jungen Generation, sich der Selbsthilfeanzuschließen? Müssen sich die langjährig bewährtenStrukturen der Selbsthilfe ändern, um weiterhin attrak-tiv zu sein für eine junge Generation?

Gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft(BAG) Selbsthilfe haben wir versucht, diese Fragen zubeantworten und Ihnen einige gute zeitgemäßeBeispiele aus der Selbsthilfepraxis zusammenzustellen– als gedanklicher Anstoß für Ihre künftigen Erfolgs-strategien.

Dr. Herbert Reichelt ist Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes.

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Potentieller Selbsthilfe-Nachwuchs mit

verändertem Anspruch an die Selbsthilfe

Gründer-generation

Selbsthilfeakteure Selbsthillfeak

Aktive Nachfolge- generation

neue, attraktive Angebotsformen

Selbstv

ermarktung durch soziales Marketing

Die Organisationen und Verbände der gesundheit-lichen Selbsthilfe auf Landes- und Bundesebenehaben sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte einenfesten Platz in der Struktur un-

seres Gesundheitswesens erobert. Siesind in Deutschland etwa in die Instan-zen der gemeinsamen Selbstverwaltungintegriert und werden mittlerweile alsAkteure mit spezifischem Know-Howanerkannt.

Um die Arbeit der Selbsthilfe auch in Zukunft sicherzu-stellen, stellt sich zunehmend die Frage, wie sich Nachwuchserfolgreich zum mitmachen motivieren lässt. Dieses »Nach-wachsen« erweist sich somit als Thema eines nachhaltigenGenerationenwandels. Im Rahmen einer optimalen Gene-rationenmischung stellt sich in allen Organisationen dieFrage, wie Kontinuität und Innovation, wie Tradition undWandel, wie Arbeitsweisen und Ideen, wie Praxis und Selbst-verständnisse vermittelt werden können. Wie können Orga-

nisationen lernend weiter bestehen und dabei permanent dieIdentität der Organisation kulturell vererben? Sich diesenFragen zu stellen und daran zu arbeiten, ist eine Organisa-

tionsleistung, die bereits als ein StückProfessionalisierung der Selbsthilfe zuverstehen ist. Um Menschen für dieIdeen und die daraus resultierenden En-gagementformen zu motivieren unddauerhaft in die Arbeit zu integrieren,muss die Selbsthilfe ihre Ideen prägnant

zum Ausdruck bringen. Dafür braucht sie auf allen Ebenenihrer Aktivität externes wie internes Sozialmarketing – undim weitesten Sinne sicher auch ein Personalmanagement.

Selbsthilfe verjüngen. Auch Selbsthilfeaktivitäten, die sicheher informell definieren, müssen sich den Problemen einesorganisatorischen Lebenszyklus stellen: Wie entsteht dieSelbsthilfe, wie kann sie sich stabilisierend entwickeln, even-tuell wachsen, dann aber auch verjüngen und Kompetenz-

Die Bereitschaft für ein bürgerschaftliches Engagement ist nach wie vor groß. Trotzdem brauchenSelbsthilfeverbände neue Strategien, um den Nachwuchs zu begeistern. Denn die Ansprüche der jüngeren Generation an gemeinnützige Arbeit haben sich verändert. Von Frank Schulz-Nieswandt

ÜBERBLICK

Ohne Spaß nix los

Die Selbsthilfe brauchtSozialmarketing auf allenHandlungsebenen.

4 Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/09, 12. Jahrgang

Professionalisierung der Selbsthilfe

Die Ansprüche junger Menschen an ein bürgerschaftliches Engagement haben sich verändert. Wer die Motive und Erwartungen zukünftiger Generationen inEinklang bringen will mit den verschiedenen Angebotsformen in der Selbsthilfe, braucht ein gutes Sozialmarketing. Quelle: Schulz-Nieswandt

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mischungen aus verschiedenen Altersgruppen erwirken? Nebendem Alter können die Geschlechterzusammensetzung, aberauch die gewünschten Bildungsschichtungen und die ethno-kulturelle Zusammensetzung wichtige Parameter für die Zu-sammensetzung einer Gruppe sein. Wenn beispielsweise in be-stimmten Stadtvierteln mit einem hohen Ausländeranteilgemeindezentrierte und somit wohnumfeldbezogene Angeboteentwickelt werden, macht es Sinn, auch auf eine entsprechendeGruppendurchmischung zu achten.

Der Bedarf in der Selbsthilfe wächst. Klar ist: Die Bedarfs-felder der Selbsthilfe im Gesundheitswesen werden nichtweniger, sondern mehr. Neben dem Problem der Betroffenen-Selbstorganisation im Fall seltener Krankheiten bestehen inmodernen Gesellschaften immer vielfältigere Aufgaben imBereich der chronischen Erkrankungen, der Hilfe- und Pflege-bedürftigkeit und der verschiedenen Formen von Behinde-rung. Es stellt sich also die Frage, wie die betroffenen Men-schen sowie ihre Angehörigen zunächst Zugang zumSelbsthilfesektor finden, sich anschließend regelmäßig beteiligenund sich schließlich dort auch nachhaltig engagieren.

Verschiedene Studien belegen, dass das bürgerschaftlicheEngagement insgesamt – anders als häufig medial verbreitet –nicht rückläufig ist. Allerdings ist die soziale Gegenseitig-keits-Selbsthilfe nicht genauso gut erforscht wie das Ehren-amt. Kann man daher mit Blick auf das anstehende Problemder Nachhaltigkeit der gesundheitlichen Selbsthilfe das Wis-sen aus der Ehrenamtsforschung auf den Selbsthilfesektorübertragen? Diese Frage ist nicht mit einem eindeutigen »Ja«oder »Nein« zu beantworten. Es gibt jedoch zumindest einigeParallelen in der Erforschung der Motivhaltungen des Engage-ments – den viel diskutierten Strukturwandel des »alten«

zum »neuen« Ehrenamt eingeschlossen. Demnach wollenviele Menschen auch heute noch sozial sinnvoll aktiv wer-den, dabei aber möglichst selbstbestimmt und nicht etwafremdbestimmt arbeiten – und vor allem den Spaß an derSache nicht aus den Augen verlieren.

Diesen Wunsch, soziale Sinnhaftigkeit mit subjektiverFreude zu kombinieren, sollte man nicht voreilig als kultu-relle Erosion des Engagements charakterisieren. »Indivi-dualisierung« schließt soziale Bindung und Netzwerk-Orientierung der Menschen gar nicht aus, meint auch nichteinfach »Egoismus«. Es geht vielmehr um eine Form desEngagements, die sehr aufgabenorientiert ist, bei der Fremd-bestimmung eher abgelehnt und der gesellschaftliche Einsatzmit einem ausgeprägten Autonomiestreben verknüpft wird.

Ein solches Engagement ist sehr stark von inneren Motivengeprägt und somit sehr fundiert. Das schließt die Notwendig-keit von außen vorgegebener, motivierender Rahmenbedin-gungen jedoch keineswegs aus. Im Gegenteil: Symbolische An-erkennungskulturen sind ebenso wichtig wie maßvoll gewährtematerielle Anreize, beispielsweise eine Aufwandsentschädigung.

Freude am Engagement. Aus den Forschungsbefunden zurehrenamtlichen Arbeit lassen sich erste wichtige Schluss-folgerungen für das anstehende Problem der Nachwuchs-gewinnung ziehen. Generell ist es nach wie vor kein Problem,Menschen für ein bürgerschaftliches Engagement zu begeis-tern, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Nicht nurdas (Gemeinwohl-) Produkt muss sozial anerkannt sein –auch die Rahmenbedingungen müssen einen motivierendenCharakter haben und den beteiligten Menschen die Mög-lichkeit geben, das ehrenamtliche Engagement mit subjek-tiver Freude zu kombinieren.

Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/09, 12. Jahrgang 5

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Generell steht das soziale Engagement der Menschen in einemVerteilungskampf mit anderen sozialen Aktivitäten (bei-spielsweise Sport oder Treffen mit Freunden) bei insgesamtknappen Zeitbudgets. Insofern stellen sich für die MenschenFragen nach dem Nutzen beziehungsweise den Kosten ihresEngagements durch zwangsweisen Verzicht auf andere Ak-tivitäten. Dieses Argument sollte jedoch nicht missverstandenwerden als Rückfall in das Menschenbild des einfachen »homooeconomicus«. Allerdings müssen auch Menschen, die be-reit sind, ihre Kräfte für das Gemeinwohl zu investieren, –und das ist nach wie vor die Mehrheit – mit der individuel-len Knappheit ihrer Ressourcen kritisch umgehen.

Tabuisierung von Problemen. Wo also liegt der Unterschiedzwischen dem allgemeinen Ehrenamt und der Arbeit in derSelbsthilfe? Während beim klassischen Ehrenamt die Rol-lenverteilung zwischen Hilfeempfän-ger und Helfer klar ist, müssen bei derSelbsthilfe Menschen für die spezifischeForm der Gegenseitigkeits-Hilfe ge-wonnen werden. Das Problem hierbeiist, dass sich manche Menschen zwargerne für Andere sozial engagierenmöchten, aber nicht unbedingt als Teil einer möglicherweisestigmatisierten »Merkmals-Gemeinschaft«. Das hängt mitsubjektiven Neigungen zur Privatisierung oder gar Tabuisie-rung von Problemen zusammen.

Solche Barrieren für die aktive Praktizierung der Gegen-seitigkeits-Hilfe müssen also überwunden, Zugangspfadezur sozialen Selbsthilfe eröffnet und geebnet werden. Daswäre Ideen-Management, programmatische Öffentlichkeits-arbeit. Das bedeutet im Kern, dass der individuelle und ge-genseitige »Nutzen«, der aus der Selbsthilfearbeit gezogenwerden kann, mit hoher Ausdruckskraft kommuniziert wer-den muss. Voraussetzung hierbei bleibt, das Menschengenau diese Hilfe brauchen: Befähigung zur Bewältigungder Lebensführung angesichts von Krankheit oder Behinde-rung. Das kann für die unmittelbar Betroffenen gelten oderaber auch für Gegenseitigkeits-Hilfen der mittelbar betroffe-nen, familiären und nicht-familiären Angehörigen. Es ist alsofür den Erfolg der Nachwuchsgewinnung unabdingbar, dieseKernkompetenz der Selbsthilfe – die Hilfe zur Krankheits-bewältigung – als gesellschaftlichen Nutzen deutlich erkenn-bar zu machen.

Erwerb von Handlungskompetenzen. Ein weiterer Aspektdürfte für das Sozialmarketing und für die damit zusam-menhängende »Personalrekrutierung« hoch relevant sein: Inder neueren Forschung wird nicht mehr nur der gesellschaft-liche Nutzen des bürgerschaftlichen Engagements in seinenverschiedenen Formen betont. Das Engagement ist gleich-zeitig auch Ort des Erwerbs biographisch wichtiger Hand-lungskompetenzen. Das gilt für Menschen aller Lebensphasen.Aber gerade Jugendliche und junge Menschen können hierwichtige Lernfelder entdecken.

Eine mögliche Barriere für den unmittelbaren Zugang jungerMenschen zur Selbsthilfe kann darin bestehen, dass sich derenPräferenzen immer stärker auf Informationsmärkte reduzieren.Dann suchen die Betroffenen nicht mehr den direkten Kon-takt zu einer Selbsthilfegruppe, sondern beschaffen sich dieInformationen beispielsweise im Internet. Diesem Trend fol-gend, haben auf dem Gebiet der neuen Medien fast alle Selbst-hilfeorganisationen eine neue Angebotspalette erschaffen.

Alltagstaugliche Lebensführungsstile, Bewältigungsstrate-gien und Widerstandsmechanismen gegen eine Erkrankungkönnen jedoch nicht allein über eine internetbasierte Infor-mationsbeschaffung wirksam werden. Sie bedürfen der Situa-tion des gemeinschaftlichen Erlernens und Erwerbens indynamischen Selbsthilfegruppe-Prozessen. Da die Bedeutungeines modernen Internetauftrittes als wichtiger Teil derSelbsthilfearbeit deutlich zugenommen hat, stellt sich

natürlich die Frage, ob die klassischeSelbsthilfegruppe für die jüngerenGenerationen überhaupt noch »wett-bewerbsfähig« ist.

Die bisherige Forschung zum bür-gerschaftlichen Engagement konnteallerdings darlegen, dass in der Motiv-

Konstellation neben dem Aspekt der Bedarfsdeckung immerauch das Gesellungsmotiv eine wesentliche Rolle spielt. An-thropologisch gesehen gehört der Wunsch nach Erfahrungs-austausch in einer Gemeinschaft also ebenso zur Motivationfür den Besuch einer Selbsthilfegruppe wie der Wunschnach Information.

Selbsthilfearbeit hat Zukunft. Damit das bürgerschaft-liche Engagement auch in der speziellen Form der Selbsthilfe-arbeit eine fruchtbare Zukunft hat, muss es den Selbsthilfe-verbänden unbedingt gelingen, die Motive der Gesellung,der subjektiven Freude an der Art und Weise der Zeitver-wendung und der sozialen Sinnhaftigkeit zu kommunizieren.Dazu bedarf es eines zielgerichteten Sozialmarketings. Hier-zu muss die Selbsthilfebewegung noch mehr soziale Phanta-sie aufbringen und darf diese Notwendigkeit auch nicht alsÖkonomisierung missverstehen.

Insbesondere dort, wo die Selbsthilfeaktivitäten immernoch von der Gründergeneration getragen werden, muss derGenerationenwandel bald gelingen, damit keine Brüche ent-stehen. Für die bislang tragenden älteren Generationen imVereinswesen bedeutet das die Pflicht des Loslassens, für denNachwuchs ein Hineinwachsen in die Rollen und die damitverbundenen Verantwortlichkeiten – was nicht so trivial ist,weil diese Rollenübernahmen auch noch Freude bereitenmüssen. Dass dann im Laufe der »Selbsthilfe-Biographie«beides kaum noch zu unterscheiden sein wird, ist nicht un-wahrscheinlich. �

Professor Dr. Frank Schulz-Nieswandt ist Direktor des Seminars fürSozialpolitik der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultätder Universität zu Köln.

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Das soziale Engagementsteht in einem Vertei-lungskampf mit anderensozialen Aktivitäten.

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Christopher Kofahl ist Diplom-Psychologe und leitet am Universitätsklinikum

Hamburg-Eppendorf am Zentrum für Psychosoziale Medizin die

»AG Patientenorientierung und Selbsthilfe«.

E-Mail, Homepage, Twitter – neue Medien werden in der Selbsthilfe immer wichtiger. Christopher Kofahl warnt jedoch vor einer Überbewertung. Nach wie vor gilt: Die zuverlässigsten Informationenüber eine Krankheit und deren Therapie bekommt man beim Besuch der Selbsthilfegruppe vor Ort.

»Das Internet kann nicht mithalten«

Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/09, 12. Jahrgang 7

WISSENSCHAFT

Viele Selbsthilfeorganisationen beklagen Mitgliederschwund und Vergreisung – zu Recht?

Das Bild stellt sich sehr heterogen dar.Zwar beklagen einige Selbsthilfeorganisa-tionen ein »Ausbluten« aufgrund fehlen-den Nachwuchses, auf der anderen Seitehaben über 50 Prozent der Verbände so-gar einen Mitgliederzuwachs in derGrößenordnung von fünf bis zehn Pro-zent. Dabei lässt sich ein Zusammen-hang zwischen dem Alter der Gruppeund der Mitgliederentwicklung feststel-len. Es sind besonders die großen, eta-blierten und älteren Selbsthilfeorganisa-tionen, die eine Stagnation verzeichnen.Demgegenüber steht eine große Anzahljüngerer Gruppen, die erst in den 90erJahren gegründet wurden, als noch ein-mal ein Boom an Neugründungen zuverzeichnen war. Diese Spätgründersind zumeist fokussiert auf sehr selteneKrankheiten oder Umwelterkrankungenund haben bislang kaum Probleme mitschrumpfenden Mitgliederzahlen.

Was sind geeignete Konzepte, um neue Mitglieder zu gewinnen – insbesondere junge Mitglieder?

Gerade jüngere Selbsthilfegruppenmit-glieder wollen nicht die ganze Zeit nurüber ihre Krankheit reden. Viele Grup-pen bieten deshalb Freizeitangebote, beidenen eine Aktivität im Vordergrundsteht, die auch einen präventiven Cha-rakter haben kann – beispielsweise Nor-dic-Walking. Auch Aktionstage oder ge-meinsame Ferienfreizeiten kommen gutan und helfen, Nachwuchs für dieSelbsthilfe zu gewinnen. Wenn es dar-um geht, die vorhandenen Mitglieder

auch für die Übernahme eines Ehren-amtes zu begeistern, können spezielleFortbildungsangebote ein guter Anreizsein. Viele Selbsthilfeverbände treten be-reits extrem professionell auf – mancheMitglieder lassen sich dadurch verun-sichern. Sie können sich einfach nichtvorstellen, dass sie auf so hohem Niveaumithalten können und bleiben deshalb

lieber im Hintergrund, anstatt selberein Ehrenamt anzustreben. Hier kön-nen Fortbildungsangebote – etwa einRhetorikkurs – helfen. So unterstütztman nicht nur die praktische Arbeit despotenziellen Gruppenleiters, sonderndrückt gleichzeitig auch die Wertschät-zung gegenüber dem Ehrenamtler aus.

Haben sich die Gründe für den Eintritt in eine Selbsthilfegruppe seit den 70er Jahren verändert?

Früher wie heute ist der wichtigsteGrund für den Eintritt in eine Selbsthilfe-gruppe das Bedürfnis nach Information.Das Internet wird gerne als Konkurrentder Selbsthilfe in der Mediengesellschaftdargestellt. Doch das stimmt nicht. DasInternet ist wichtig, kann aber Gesprächenicht ersetzen. Bestimmte Informatio-nen bekommt man nach wie vor ambesten in der Selbsthilfegruppe – insbe-sondere, wenn es um regionale Informa-tionen geht. In den Gruppen erhält manbeispielsweise am ehesten die Informa-

tion, welcher Arzt in der Umgebung gutmit einem bestimmten Krankheitsbildvertraut ist.

Wie wird die gesundheitlicheSelbsthilfe heute in der Bevölkerungwahrgenommen?

Umfragen belegen eine hohe Bereit-schaft für ein Engagement in einerSelbsthilfegruppe. Wir stellen aber aucheine erhebliche Diskrepanz zwischendiesen Umfragewerten und den hartenFakten fest. Tatsächlich ist nämlich nurein vergleichsweise kleiner Teil der Be-völkerung wirklich in der Selbsthilfe ak-tiv. Ein Grund hierfür liegt unter ande-rem in der mangelnden Information,wie und wo man eine solche Gruppefindet. Da hapert es oft – insbesonderebei bildungsfernen Schichten.

Wie wird in der Selbsthilfe dieKooperation mit anderen Akteuren im Gesundheitswesen erlebt?

Andere Akteure des Gesundheitswesenswie Ärzte, Krankenhäuser und Kranken-kassen sind für die Selbsthilfe wichtigeMultiplikatoren und Kooperationspart-ner. Die Zusammenarbeit mit diesenPartnern wird überwiegend positiv be-urteilt. Krankenkassen werden etwa we-gen ihrer Aufgeschlossenheit gegenüberder Selbsthilfe als patientenorientiert er-lebt. Das ist auch kein Wunder, dennfür die Kassen ist es ein großes Glück,dass wir in Deutschland eine so aktiveSelbsthilfebewegung haben. Hier leistendie Patienten für sich selbst gute Arbeit– die rund 39 Millionen Euro, welchedie Kassen jährlich bereitstellen, sindsinnvoll investiertes Geld. �

»Viele Selbsthilfeverbändetreten extrem professionellauf. Manche Mitgliederschreckt das ab. «

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Die Kastanienallee liegt im Berliner Stadtteil PrenzlauerBerg. Im zweiten Stock wohnt Patricia Carl. Dieattraktive junge Frau öffnet die Tür. Ihre blondenHaare reichen bis zum Kinn, die grauen Augen um-

spielt ein aufgeschlossenes Lächeln. Patricia Carl ist 25 Jahre altund 1,22 Meter groß. Ihre Wohnung ist hell, geschmackvolleingerichtet mit warmen Grüntönen. Eine Garderobenleistehängt auf »Kinderhöhe«, alle anderen Möbel haben die üblichen

Maße. Wer sich genau umsieht, entdeckt einige Plastikhocker,wie sie nach dem Staubwischen manchmal stehenbleiben: Klei-ne Hilfen, wenn ein Buch zu weit oben im Regal steht.

Schnelle Diagnose vom Kinderarzt. Patricia Carl ist klein-wüchsig. Bis zu ihrer Geburt 1984 war das in ihrer Familienoch nicht vorgekommen. Ihre Eltern und die zwei älterenBrüder sind normal groß. Als das Baby vier Monate alt ist, be-merkt die Mutter, dass die Gelenke merkwürdig knacken. Sieteilt ihre Beobachtungen dem Kinderarzt mit, der schnell dierichtige Diagnose stellt: eine von mehreren hundert Formendes Kleinwuchses.

1988, Patricia Carl ist vier Jahre alt, rufen Eltern kleinwüch-siger Kinder in Bremen den »Bundesverband für Kleinwüch-sige Menschen und ihre Familien«, kurz BKMF ins Leben. Patricia Carls Eltern, die im brandenburgischen Wandlitz woh-nen, erfahren über Freunde aus Hannover von dem Verein. AlsDDR-Bürger können sie der westdeutschen Selbsthilfegruppeaber nicht beitreten. Diesen Schritt tun stellvertretend dieFreunde. Sie versorgen die Carls mit Informationen, denn denEltern geht viel im Kopf herum: Was wird aus unserem Kind?Wächst es vielleicht doch noch? Wie können wir es fördern?Wie ergeht es anderen Eltern? Wo gibt es medizinische, worechtliche Informationen? Fragen, die der BKMF beantwortenkann. Heute zählt er weit über 3.000 Mitglieder: kleinwüchsigeMenschen, Angehörige und wissenschaftliche Experten.

Unbeschwerte Erlebnisse.1990, ein Jahr nach dem Mauerfall,nehmen die Carls zum ersten Mal am bundesweiten Treffen desBKMF, dem Kleinwuchsforum, teil. Für das Kind sind dieTreffen unbeschwerte Erlebnisse: Spiel und Spaß, nette Betreuer.Ein Bewusstsein für den Kleinwuchs existiert noch nicht.»Wahrscheinlich ging es mir ähnlich wie dem Mädchen, dasmich auf dem letzten Treffen gefragt hat, warum ich so kleinbin. Ihr älterer Bruder hat ihr dann erklärt, dass ich kleinwüch-sig bin – genau wie sie selbst.«

Für Patricia Carl waren die Kontakte zum BKMF eingebettetin eine weitgehend normale Kindheit. In der Schule galten fürsie die gleichen Bedingungen wie für die Mitschüler. Nur beimSportunterricht wurden die Leistungsanforderungen auf ihreKörpergröße abgestimmt. Und die Eltern? Haben sie die Toch-ter besonders behütet oder übermäßig angespornt? »Beides kam

In der Gruppe unter FreundenPatricia Carl ist von klein auf in die Selbsthilfe hineingewachsen. Beim Bundesverband für Kleinwüchsige Menschen hat sie viele Freundschaften geschlossen – die Vereinsarbeit ist für sie heute ein wichtiger Teil ihrer Freizeit geworden. Von Annegret Himrich

REPORTAGE

Ein kleiner Plastikhocker hilftPatricia Carl dabei,

auch höher hängende Regale leicht zu erreichen.

8 Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/09, 12. Jahrgang

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Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/09, 12. Jahrgang 9

vor«, erinnert sie sich. »Aber das tun ja viele Eltern. Mal müssensie ihr Kind bremsen, mal ermutigen.« Sie erinnert sich an diesechste Klasse, als sie unbedingt Basketball spielen will. Da istdie Mutter skeptisch. »Das ist nicht der richtige Sport für Dich.Du wirst umgerannt.« Die Tochter ist sauer. »Ich habe aberschnell gemerkt, dass sie Recht hat«, erzählt sie schmunzelnd.»Ansonsten haben mir meine Eltern immer vermittelt: WennDu zu etwas Lust hast, probier es aus und fin-de heraus, wie weit Du kommst.«

Eine beeindruckende Gemeinschaft. Beson-ders gehadert hat sie mit ihrem Kleinwuchsnie. »Sicher, in der Pubertät habe ich manch-mal im Selbstmitleid geschwelgt. Wieso binich anders? Warum bin ich so klein? Aber welcher Teenager istschon mit seinem Aussehen zufrieden?« So erlebt auch sie vor-übergehende Tiefs und überwindet sie. Der BKMF trägt dazubei. Sie erinnert sich noch, wie es war, als sie mit 15 nach zweiJahren wieder an einem Kleinwuchsforum teilnahm. »Ich hattedamals kein großes Selbstbewusstsein. Ich war unsicher undhatte Angst, dort niemanden mehr zu kennen.« Doch ihre Be-denken wurden schnell zerstreut. Mehrere hundert kleinwüch-sige Menschen, versammelt an einem Ort – eine beeindrucken-de Gemeinschaft. »Das war ein tolles Erlebnis, ich wurde sofortherzlich aufgenommen und habe mich sehr stark gefühlt. MeinSelbstwertgefühl bekam einen enormen Schub.«

Mit 16 macht Patricia Carl ihren Schulabschluss. Dochbevor sie ihre Ausbildung zur Bürosachbearbeiterin bei der Ge-meinde Wandlitz beginnen kann, folgen zwei Operationen.Wie viele Kleinwüchsige hat sie extreme O-Beine. Die Ope-rationen sollen die Fehlstellung beheben und Spätfolgen vor-beugen. Nach einem Jahr kann sie wieder besser laufen. Nachder Ausbildung wechselt sie zum Bundesministerium für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Berlin. Fürden Weg zur Arbeit braucht sie einen PKW. Die Bundesagenturfür Arbeit bezahlt den Führerschein und beteiligt sich an denAnschaffungskosten für ein Auto mit extra hohen Pedalen.Anfangs pendelt sie zwischen Wandlitz und Berlin. Nach einemJahr entschließt sie sich, in die Stadt zu ziehen.

In der Gruppe Freundschaft gefunden. Ein Teil ihrer Freizeitgehört dem BKMF. Der professionell organisierte Verein warfür sie immer mehr als eine Anlaufstelle für nützliche Informa-tionen. »Hier habe ich enge Freundschaften geschlossen, die seitmeiner Kindheit bestehen. Wenn ich mich dort engagiere, hatdas immer auch privaten Charakter.« So ist Patricia Carl mit derZeit in verschiedene Tätigkeiten hineingewachsen. Bis zumFrühjahr hat sie den Landesverband Berlin/Brandenburg/Meck-

lenburg-Vorpommern auf der Bundesebene vertreten. Im Fe-bruar wurde sie in den Bundesvorstand gewählt.

Viele Mitglieder sind Kinder und Jugendliche, an sie richtetsich der BKMF besonders. Beim viertägigen Kleinwuchsforum,das jährlich stattfindet, gibt es für den Nachwuchs interessanteAngebote: von der Krabbelgruppe bis zur Gründung einerBand oder einem Theaterworkshop. Die Organisation des Pro-

gramms erfordert viel Einsatz. Hier bringtsich Patricia Carl gerne ein. »Als Kind habeich mich immer darauf gefreut. Jetzt kannich selber etwas auf die Beine stellen.«

Ihre Eltern sind nicht mehr Mitgliedim BKMF. Für sie selber aber bleibt dieOrganisation ein Teil ihres Lebens. Wie in

einer Familie gibt es Phasen großer Nähe und Zeiten, indenen etwas Abstand gut tut. Wenn die ehrenamtliche Arbeitviel Zeit verschlingt, ist es für Patricia Carl wichtig, sich auchum andere Lebensbereiche zu kümmern. Zeichnen zählt zuihren Hobbies, aber auch Kaffeetrinken mit Freunden. In derKastanienallee gibt es zahlreiche Straßencafés: »Ich muss alsonur vor die Tür gehen.« �

Annegret Himrich ist Redakteurin beim KomPart-Verlag.

Patricia Carl fühlt sich wohlin ihrer Haut – und die Arbeitin der Selbsthilfe macht ihr Spaß.

»Wenn Du zu etwas Lust hast, probier es ausund finde heraus, wieweit Du kommst.«

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Betrachtet man die Entwicklung der gesundheitsbezo-genen Selbsthilfe in Deutschland, dann ist diesedurch ein beständiges Wachsen der Selbsthilfestruk-turen auf Bundes-, Landes- und Ortsebene gekenn-

zeichnet. In immer neuen Indikationsgebieten haben sichchronisch kranke und behinderte Men-schen nach und nach zu Selbsthilfegruppenund Selbsthilfeorganisationen zusammen-geschlossen. Das Ergebnis: Heute gibt es inDeutschland eine sehr stark ausdifferenzierteSelbsthilfelandschaft, die eine wichtige Rol-le im Gesundheitswesen einnimmt.

Der Begriff »Selbsthilfelandschaft« verstellt allerdings etwasden Blick dafür, dass die Selbsthilfe lebendig ist und lebendig

bleiben muss. Es geht stets darum, dass sich Menschen immerwieder von neuem in der Selbsthilfe engagieren und hierdurchdie Arbeit der eigenen Gruppe, der jeweiligen Selbsthilfe-organisation, weiter vorantreiben. Wo dies nicht im erforder-lichen Maße gelingt, stagniert die Selbsthilfe oder ist gar in

ihrem Bestand bedroht. Dieses Problemstellt sich vor allem dann, wenn nicht ge-nügend Nachwuchs für die weitere Arbeitin den Reihen der Selbsthilfe gewonnenwerden kann.

Nicht selten jedoch wird das Thema»Nachwuchs« unterschätzt, da die aktuellen

Sorgen und Nöte der Selbsthilfegruppe oder des Selbsthilfe-verbandes im Vordergrund stehen. Die Zukunftsfragen derNachwuchsgewinnung und damit der Fortexistenz der Orga-nisation bleiben dann ein untergeordnetes Thema. Oft wirderst darüber nachgedacht, wie es weitergehen soll, wenn bei-spielsweise eine Gruppenleiterin ganz konkret den Wunschäußert, kürzer zu treten – und es niemanden gibt, der in ihreFußstapfen treten könnte. Nachwuchsgewinnung undNachwuchsförderung sind jedoch als fortlaufende Aufgabe allerSelbsthilfeorganisationen und -gruppen zu begreifen. Als Teilder Organisationsentwicklung muss es auch hier darum gehen,jeweils die aktuellen Ressourcen und die aktuelle Mitglieder-struktur zu analysieren und möglichst konkrete Ziele und Maß-nahmen festzulegen, um auch künftig den Erfolg der gemein-samen Arbeit sicherzustellen. Man kann dabei zwischen derNachwuchsgewinnung im Hinblick auf die Mitglieder desjeweiligen Verbandes und der Nachwuchsgewinnung imBereich der Funktionsträger bis hin zum hauptamtlichen Per-sonal unterscheiden.

Selbsthilfepotenziale aktivieren. Im Bereich der Mitglieder-gewinnung spricht man auch von der sogenannten Aktivie-rung von Selbsthilfepotenzialen – es geht also um die Frage,wie Menschen für die Selbsthilfe begeistert werden können,die bislang zu wenig über die Selbsthilfe wissen oder ihr skep-tisch gegenüberstehen. Bei der Nachwuchsgewinnung ist aller-dings zu beachten, dass sich der Begriff »Nachwuchs« in derGesundheitsselbsthilfe sehr unterschiedlich darstellt. Behin-derungen und chronische Erkrankungen können sich näm-lich auf ganz unterschiedliche Altersgruppen beziehen. Treten

Zukunft sichernJunge ehrenamtliche Funktionsträger zu gewinnen – das ist die zentrale Herausforderung vieler Selbsthilfeorganisationen, weiß Martin Danner. Innovative Konzepte sind gefragt, etwa die individuelleFörderung des Nachwuchses oder das Unterteilen der Gruppen in verschiedene Altersstufen.

ERFOLGSREZEPTE

Das Thema »Nachwuchs«ist oft nicht im Fokus,aktuelle Probleme stehenzu sehr im Vordergrund.

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beispielsweise chronische Erkrankungen erst im Alter auf,dann kann sich die Nachwuchsarbeit auf Betroffene zwischen40 und 50 Jahren beziehen, während in anderen Indikations-bereichen vor allem Kinder und Jugendliche anzusprechensind. Es gibt somit keine einheitlichen Kategorien für Nach-wuchs, wie sie zum Beispiel im Sport vorhanden sind.

Teilweise muss man bei der Entwicklung einer Strategie fürdie Nachwuchsgewinnung und -förderung auch die Ent-stehungsgeschichte des jeweiligen Verbandes in den Blick neh-men. Wurde beispielsweise ein Verband als Elternverband chro-nisch kranker und behinderter Kinder gegründet, dann kannsich zu einem bestimmten Zeitpunkt die Frage stellen, wie sichdie erwachsen gewordenen Kinder im Verband auch weiterhingut aufgehoben fühlen können. Hier kann der Nachwuchs sogardazu führen, dass sich der reine Elternverband nach und nachzum Betroffenenverband wandelt. Gelingt es, die Mitglieder-zahl in einem Verband zu erhöhen, dann kann dies wiederumneue Chancen eröffnen, bislang Außenstehende altersgruppen-spezifisch anzusprechen. Differenzierte Angebote, Aktivitätenoder gar Arbeitskreise für jüngere und ältere Mitglieder er-höhen dann die Vielfalt im Verband und machen die Gesamt-organisation für spezifische Personengruppen anschlussfähig.

Ehrenamtliche brauchen Unterstützung. Neben der Suchenach neuen Mitgliedern stellt vor allem der Versuch, ehrenamt-liche Funktionsträger zu gewinnen, eine große Herausforde-rung für die Selbsthilfe dar. Häufig wird beklagt, dass vieleMitglieder zwar gerne die »Leistungen« der Selbsthilfegruppenund -verbände in Anspruch nehmen, sich aber nicht aktiv ander Verbandsarbeit beteiligen. Daher ist es gerade in der Selbst-hilfe wichtig, das Selbsthilfeprinzip, also die gegenseitige Unter-stützung, in den Vordergrund der Verbandsarbeit und damit indas Bewusstsein möglichst aller Mitglieder zu rücken.

Darüber hinaus fehlt es aber oftmals auch an Unter-stützung für diejenigen, die sich zwar prinzipiell einen aktivenPart vorstellen könnten, sich aber hierzu nicht in der Lagefühlen. Schulungsveranstaltungen für potenzielle Gruppen-oder Regionalleiter sowie für potenzielle Berater sollten daherfeste Bestandteile der Nachwuchsgewinnung und -förderungsein. Auch eine »Kultur der verteilten Rollen« kann sehrhilfreich sein, um die Wahrnehmung verbandlicher Aufgabeneinzuüben: Gruppentreffen, Arbeitskreissitzungen oder Ver-anstaltungen müssen nicht immer von denselben Personenmoderiert und organisiert werden. Wer schon in der Vergan-genheit die eine oder andere Aufgabe gemeistert hat, der wirdsich auch leichter tun, wenn eine offizielle Verbandsfunktionzu übernehmen ist.

Zukunftstrends der Nachwuchsförderung. In der gesund-heitsbezogenen Selbsthilfe zeigen sich in den letzten Jahreneinige Trends in der Nachwuchsförderung, die für die künftige

Arbeit besondere Beachtung verdienen. Zum einen lässt sichfeststellen, dass viele Selbsthilfeorganisationen ihre Angeboteund ihre Gremienstrukturen stärker ausdifferenzieren, umsich altersgruppenspezifisch besser ausrichten zu können.Zum anderen berücksichtigen immer mehr Gruppen in ihremAngebot, dass jüngere Mitglieder und Funktionsträger einenguten Zugang zu neuen Informations- und Kommunikations-technologien wie dem Internet haben. Gerade in diesemBereich werden Interessenfelder und vor allem Kompetenzenvon jüngeren Menschen angesprochen und weiterentwickelt.

Auch moderne Kommunikations- und Willensbildungs-prozesse sowie Evaluationsmethoden werden in immer größe-rem Umfang in der Selbsthilfe zum Einsatz gebracht. Diesreicht von der Anwendung einer professionellen Moderations-technik über die Durchführung von Befragungen mit einerTrendeinschätzung bis hin zur Analyse von Evaluationsbögen,welche die Teilnehmer von Selbsthilfeveranstaltungen aus-gefüllt haben.

Insgesamt lässt sich sagen, dass Nachwuchsgewinnung undNachwuchsförderung immer dann erfolgreich sind, wenn dieBedürfnisse derer, die man ansprechen will, im Vordergrundaller Bemühungen stehen und wenn die Maßnahmen auf derHöhe der Zeit sind. Gerade Letzteres war immer ein Kenn-zeichen der Selbsthilfe und sollte daher auch der Grundsteinfür den Erfolg in der Zukunft sein. �

Dr. Martin Danner ist Bundesgeschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Selbsthilfe.Fo

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PRAXISBEISPIEL

Internet erleichtert den Einstieg

Potenzielle jugendliche Kandida–ten für ein Ehrenamt erreicht der»Bundesverband KleinwüchsigeMenschen und ihre Familien«

(BKMF) am ehesten durch die persön-liche Ansprache. Ältere Jugendliche mitTeamleitererfahrung gehen dabei, zu-meist während der zahlreichen Jugend-seminare, gezielt auf entsprechende Mit-glieder der Gruppe zu. In der Regel istdas Feedback positiv, da auch jüngereKleinwüchsige an dieser sinnvollen Ar-beit teilhaben und sich engagierenmöchten. Sie wollen das, was sie erlebtund im Rahmen der Kinder- und Ju-gendarbeit »erhalten« haben, an andereBetroffene weitergeben.

Um generell Nachwuchs für dieSelbsthilfegruppen zu finden, ist ein gut

gestalteter Internetauftritt wichtig. Dieneue Homepage wurde deshalb konse-quent entsprechend den Wünschen undBedürfnissen unserer Jugendlichen kon-zipiert. Ansprechendes Design und ho-he Nutzerfreundlichkeit sind dabei ent-scheidende Faktoren, damit diesesMedium von der Zielgruppe erfolgreichgenutzt und angenommen wird.

Gerade aufgrund der Seltenheit vonKleinwuchs und den damit einherge-henden großen Entfernungen nutzenviele Jugendliche die Homepage desBKMF gerne, um in den Foren unter-einander erste Kontakte zu knüpfen.Erst später melden sie sich dann bei unstelefonisch, um sich für die Teilnahmean Seminaren und Veranstaltungen aufLandes- und Bundesebene anzumelden.

Abbau von Hemmschwellen. Insbe-sondere der Mediabereich mit seinenFilmbeiträgen und Fotogalerien gibt ei-nen guten ersten Einblick in die Arbeitdes BKMF und kann Hemmschwellenabbauen. Als zusätzliche Angebote wer-den seit kürzerem auch Internetblogsim Rahmen der Kinder- und Jugend-arbeit angeboten, um bei Veranstaltun-gen nicht anwesende Teilnehmer miteinzubeziehen, auf dem Laufenden zuhalten und die Möglichkeit zum spezifi-schen Austausch zu geben.

Derzeit diskutieren wir darüber, obwir eine Online-Patientencommunity

speziell für kleinwüchsige Jugendlicheentwickeln sollen, da dieser Wunschvermehrt an uns herangetragen wird.

Foren und Chats für Jugendliche. Eshat sich gezeigt, dass unsere Mitgliederinsgesamt das Internet mit seinen vielenMöglichkeiten immer stärker nutzen.So existiert mittlerweile neben unsererHomepage seit kurzem auch ein speziel-les Informationsportal zur beruflichenIntegration kleinwüchsiger Menschenunter www.bkmf-netzwerkberuf.de.

Zusätzlich schaffen wir in Kürzeauch ein Informationsportal für ehren-amtliche Mitarbeiter. Auf dieser pass-wortgeschützten Webseite sollen dannalle wichtigen Informationen für dieEhrenamtlichen des BKMF abrufbarsein. Foren und Chats werden bisherlediglich für unsere Jugendlichen an-geboten. Jedoch äußerten in der Vergan-genheit auch Erwachsene vermehrt denWunsch nach einem kleinwuchsspezifi-schen Forum.

Der Einsatz neuer Medien kann al-lerdings trotz der starken Aktivitäten imInternet nur ein erster, ergänzenderSchritt auf dem Weg zu einer qualifi-zierten Information Betroffener sein.Um junge Menschen langfristig an denVerein zu binden, reicht der Einsatzneuer Medien allein nicht aus. Der per-sönliche Austausch und die Schulungvor Ort sind und bleiben deshalb wei-terhin die entscheidenden Kernelemen-te der qualifizierten gesundheitlichenSelbsthilfearbeit. �

Jérôme Ries ist Geschäftsführer des Bundesverbandes Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e.V. und des DeutschenZentrums für Kleinwuchsfragen.

Jugendliche und junge Erwachsene nehmen den ersten Kontakt zur Selbstorganisation oft über das Web auf. So lassen sich Hemmschwellen ab- und erste Kontakte aufbauen, weiß Jérôme Ries vom Bundesverband Kleinwüchsige Menschen.

Ansprechendes Designund hohe Nutzerfreund-lichkeit sind im Internetentscheidende Faktoren.

Der Bundesverband Kleinwüchsi-ge Menschen und ihre Familien(BKMF) e.V. setzt sich seit 1988 alsbundesweite Organisation dergesundheitlichen Selbsthilfe fürdie Interessen kleinwüchsigerMenschen ein. Aktuell hat derBKMF 3.700 Mitglieder. Vorrangi-

ge Ziele sind die psychosoziale Stärkung kleinwüch-siger Menschen, deren Integration in die Gesell-schaft, der Abbau vorhandener Vorurteile und dieVerbreitung kleinwuchsspezifischen Wissens.

Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e.V.Beratungs- und GeschäftsstelleLeinestraße 2, 28199 BremenTel.: 0421 336169-0Fax: 0421 336169-18E-Mail: [email protected] Internet: www.bkmf.de

Bundesverband Kleinwüchsige Menschen

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Nachwuchs übernimmt die Initiative

Will ein seit Jahrzehnten tätigerSelbsthilfe-Fachverband jun-ge Menschen für die Arbeitin der Selbsthilfe begeistern,

muss er ihnen zeigen, dass er ein moder-ner und aufgeschlossener Fachverbandist. Dass er ernstgemeinte Mitsprache-möglichkeiten anbietet, ein ehrliches In-teresse an ihren Bedürfnissen hat, undbereit ist, Neues zu etablieren.

Dabei darf eines nicht vergessen wer-den: Oft fühlen sich die älteren Grup-penmitglieder zwar selber noch jung,machen aber auf jüngere Menschen ei-nen deutlich älteren Eindruck. Auch giltes zu beachten, dass Selbsthilfegruppenvor 25 Jahren eine andere gesellschaft-liche Bedeutung hatten. Damals warensie meist die einzigen Informationsquel-len, im heutigen Medienzeitalter siehtdas ganz anders aus.

Junge Betroffene im Fokus. Bereits2001 hat die amsel (Aktion MultipleSklerose Erkrankter, Landesverband derdeutschen Multiple Sklerose Gesell-schaft in Baden-Württemberg e.V.) mitersten Planungen begonnen, um denVerband auch für jüngere Betroffeneder Multiple Sklerose (MS) attraktiv zumachen. Das ganze Jahr 2002 stellte sieunter dem Motto »Jahr des jungen MS-Betroffenen« die Nachwuchsförderungin den Fokus, unter anderem mit einemspeziell für junge MS-Kranke konzipier-ten »Aktionstag«.

Um für diese Zielgruppe ein attrak-tives Rahmenprogramm bieten zu kön-nen, wurden junge Erkrankte aus denKontaktgruppen federführend in Kon-zeption und Organisation des Aktions-tages einbezogen. Begleitend dazu ent-wickelte die amsel, erneut in enger

Abstimmung mit jungen MS-Kranken,zwei spezielle Broschüren.

Nachwuchs im Vorstand. Zur selbenZeit gründete die amsel für junge Be-troffene die ersten sogenannten »JungenInitiativen« – einen Treffpunkt speziellfür MS-Kranke zwischen 20 und 40Jahren. Organisatorisch sind diese Nach-wuchsgruppen ein Teil der 60 Kontakt-gruppen, haben jedoch eigene Treffpunk-te und jeweils einen eigenen Sprecher. Einlandesweites jährliches Sprechertreffender »Jungen Initiativen« ermöglicht denAustausch und Kontakt mit anderenNachwuchsgruppen. Ein von deren Mit-gliederversammlung gewählter Vertreterist automatisch Mitglied im Vorstandder amsel.

Ein anderer sehr beliebter Bausteinin der Nachwuchsförderung sind jähr-lich stattfindende Camps für unter 30-Jährige. Hier können die Betroffenen inlockerer Atmosphäre für ein Wochen-ende wahlweise am Bodensee oder inStuttgart zusammenkommen.

Wer in der Nachwuchsarbeit erfolg-reich sein will, kommt aber auch an denneuen Medien nicht vorbei. Deshalbhat die amsel seit 2002 eine eigene Ho-mepage. Denn gerade das Internet ist fürjunge MS-Kranke ein enorm wichtigesMedium – hier können sie anonym einenersten Kontakt zur amsel aufnehmen.Zum Onlineservice gehört deshalb ne-ben einem Forum auch ein Kontakt-board speziell für junge Menschen mitMultiple Sklerose.

Engagement als persönlicher Gewinn.Nach sieben Jahren in der Nachwuchs-arbeit ist eines klar geworden: Die An-gebote des Verbands müssen den Jun-

gen gefallen, müssen für sie sinnvollund attraktiv sein. Nur wenn die jungenMS-Betroffenen das Engagement in derSelbsthilfegruppe als persönlichen Ge-winn erleben, werden sie sich auch fürdie Arbeit in der Selbsthilfe interessieren.Oberste Aufgabe in der Nachwuchsar-beit ist es also, wertvoll für die junge Ge-neration zu werden. Das ist der Samenfür ehrenamtliches Engagement. Er musswohlwollend beim Wachsen und Gedei-hen beobachtet werden, und die erstenzarten Pflänzchen, die daraus entstehen,gehören gehegt und gepflegt. �

Silke Wohlleben ist Ansprechpartnerin fürJunge Initiativen und »U-30«-Projekte beimamsel-Landesverband der Deutschen MultipleSklerose Gesellschaft in Baden-Württemberg.

Ein eigener Treffpunkt für junge Betroffene zwischen 20 und 40 Jahren – die in ganz Baden-Württemberg verteilten »Jungen Initiativen« sind nur eins von vielen Erfolgsrezepten in derNachwuchsarbeit der Multiple-Sklerose-Selbsthilfeorganisation »amsel«. Von Silke Wohlleben

PRAXISBEISPIEL

Die Aktion Multiple Sklerose Erkrankter, kurz amsel,ist Fachverband, Selbsthilfeorganisation und In-teressenvertretung für Multiple-Sklerose-Kranke inBaden-Württemberg mit rund 8.700 Mitgliedern,60 Kontaktgruppen, 30 Jungen Initiativen, 500ehrenamtlichen und 30 hauptamtlichen Mitarbei-tern. Ziel ist es, die Lebenssituation von MS-Krankennachhaltig zu verbessern und Betroffene sowieAngehörige über die Krankheit zu informieren. DerVerein wurde vor 35 Jahren von MS-Betroffenen ge-gründet.

amsel e. V.,Regerstraße 18, 70195 StuttgartTel.: 0711 69786-0 Fax: 0711 69786-99E-Mail: [email protected] Internet: www.amsel.de

Aktion Multiple Sklerose Erkrankter

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Selbstbewusstsein tanken

Jugendliche mit chronisch ent-zündlichen Darmerkrankungen(CED) wie Morbus Crohn undColitis ulcerosa sind stark belastet.

Oft leiden sie unter schweren Durchfäl-len und starken Bauchschmerzen. Siesind nicht so leistungsfähig wie ihre Al-tersgenossen und müssen Probleme wieWachstumsstörungen oder einen verzö-gerten Beginn der Pubertät bewältigen.Gerade deshalb ist es den Betroffenenaber wichtig, als ganz normale Jugend-liche und nicht immer nur als Patientenwahrgenommen zu werden.

Im »Arbeitskreis Youngster« der Deut-schen Morbus Crohn/Colitis ulcerosaVereinigung (DCCV) finden sich Ju-gendliche ab 16 Jahren und junge Er-wachsene bis Ende 20 zum Erfahrungs-und Wissensaustausch zusammen. Drei-mal im Jahr treffen sie sich in verschiede-

nen deutschen Städten zu »Youngster-Se-minaren«. Diese Seminare werden vonden beiden selbst betroffenen Sprecher-innen und weiteren Jugendlichen desArbeitskreises geplant, organisiert undgeleitet. Die Sprecherinnen beraten jungeBetroffene, vermitteln Kontakte zuSelbsthilfegruppen, Ärzten oder Klinikenund sind auch an der Erstellung von In-formationsmaterialien beteiligt.

Gemeinsame Freizeitaktivitäten. Ne-ben dieser Beratung sind die Seminareder DCCV-Youngster geprägt vom per-sönlichen Austausch, konzentrierter Ar-beit aber auch gemeinsamen Freizeit-aktivitäten. Im inhaltlichen Teil derSeminare geht es um Probleme in derSchule, die Berufswahl, den Einstieg indas Arbeitsleben und die besonderenHerausforderungen im Alltag. In Run-den mit spezialisierten Ärzten könnendie Jugendlichen auch medizinischeFragen besprechen.

Neben dieser inhaltlichen Ausein-andersetzung mit der Krankheit habenaber auch die Freizeitaktivitäten eineenorm wichtige Funktion, weil sie Selbst-bewusstsein und Eigenständigkeit derTeilnehmer unterstützen. In diesemSinne besonders erfolgreich war im ver-gangenen Jahr ein Tag in einem Hoch-seilgarten, der besonders das Körperge-fühl der Jugendlichen gestärkt hat.

Die Erfahrungen der Seminarteil-nehmer fließen auch in das Informa-tionsmaterial ein, das der Arbeitskreiserstellt. Die Jugendlichen profitierenalso nicht nur selbst von diesen Semina-ren, sondern engagieren sich gleichzeitigauch für andere junge Betroffene. Dadie meisten Seminarteilnehmer bei dennächsten Seminaren wieder dabei sein

wollen, sind die Anmeldeplätze schnellvergeben. Einmal im Jahr gibt es des-halb einen speziellen Termin für Betrof-fene, die erstmals an einem Youngster-Seminar teilnehmen möchten.

Zeitlich begrenztes Engagement. Diepositiven Erfahrungen bei den Young-stern führen in vielen Fällen zu demWunsch, sich darüber hinaus in derDCCV zu engagieren. Ein »Einstieg«mit zeitlich begrenztem Engagement istals Betreuer in der Ferienfreizeit fürKinder und Jugendliche ab elf Jahrenmöglich. Eine wichtige Erfahrung fürdie Teilnehmer, denn Urlaub ist für diebetroffenen Kinder nicht selbstver-ständlich. Oft können sie aufgrundihrer krankheitsbedingten Einschrän-kungen nicht an Klassenfahrten oderFreizeiten teilnehmen. Und einige enga-gieren sich auch dann noch für dieDCCV, wenn sie aus dem Youngster-Alter herausgewachsen sind.

Auf der DCCV-Homepage gibt eseigene Seiten des Arbeitskreises Young-ster, ein spezielles Forum für jungeMenschen und seit diesem Herbst aucheine Chatberatung für Jugendliche.Hier beantwortet eine Diplom-Psycho-login Fragen der Kinder und Jugend-lichen. Zurzeit wird an der Einbindungso genannter »Community-Elemente«(beispielsweise Studi-VZ) gearbeitet.Unter dem Namen »DCCV studiNetz«sollen junge Menschen erreicht werden,die nicht an den Youngster-Seminarenteilnehmen oder in klassische Selbsthilfe-gruppen gehen. �

Jens Hupfeld ist Referent für Selbsthilfe und Verbandsarbeit in der DCCV-Bundes-geschäftsstelle.

Eine chronisch entzündliche Darmerkrankung stellt betroffene Jugendliche vor besondere Heraus-forderungen. Jens Hupfeld weiß: Der »Arbeitskreis Youngster« bietet ihnen einen Schutzraum, in dem sie auf Gleichaltrige treffen, denen es ähnlich geht. Hier können sie ihr Selbstbewusstein stärken.

PRAXISBEISPIEL

Die Deutsche Mor-bus Crohn/Colitis ul-cerosa Vereinigung(DCCV) e.V. ist derSelbsthilfeverband

der von chronisch entzündlichen Darmerkrankun-gen (CED) Betroffenen. Wichtigste Aufgaben desVerbandes mit fast 20.000 Mitgliedern sind Infor-mation und Unterstützung der Betroffenen, um ih-nen bei der Bewältigung des Lebens mit der Erkran-kung zu helfen.

DCCV-BundesgeschäftsstelleReinhardtstraße 18, 10117 BerlinTel.: 030 2000392-0Fax: 030 2000392-87E-Mail: [email protected] Internet: www.dccv.de

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Deutsche Morbus Crohn Vereinigung

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Aus Kindern werden Erwachsene

Die Interessengemeinschaft Ar-throgryposis (IGA) ist im Jahr1992 zunächst als reine Eltern-organisation gegründet wor-

den. Es waren die Väter und Müttervon Kindern mit Arthrogryposis multi-plex congenita (AMC; angeborene Ge-lenksteife), die durch die Gründung desVereins Hilfe und informellen Aus-tausch anbieten wollten. Die betroffe-nen Kinder spielten daher zunächst eineuntergeordnete Rolle in der Organisa-tion des Vereins.

Von Beginn an fanden regelmäßigFamilientagungen an verlängerten Wo-chenenden statt. Hierbei standen – nebendem Informationsaustausch der Eltern– Fachvorträge von Therapeuten imVordergrund. Damit sich die Erwach-senen besser auf die Vorträge konzentrie-ren konnten, wurde von Anfang an eineKinder- und Jugendbetreuung organi-siert, die ein Rahmenprogramm veran-staltete. Auf diese Weise haben sich dieKinder und Jugendlichen auch unter-einander kennen gelernt. Eine Jugend-disco war immer ein fester Bestandteil.

Aus Kindern werden Erwachsene. Ausden Kindern und Jugendlichen derGründungsjahre sind inzwischen selbstErwachsene geworden. Relativ früh ha-ben einige von ihnen die Rolle der Ju-gendsprecher übernommen. Die Toch-ter eines der Gründungsmitglieder kamals junge Erwachsene auch in den Vor-stand und übernahm dort als Schrift-führerin Verantwortung. Die Mitglied-schaftsform »Junge Erwachsene bis 26Jahre« mit einem deutlich reduziertenJahresbeitrag von nur fünf Euro soll dar-über hinaus diese dazu ermutigen, auchnach Erreichen der Volljährigkeit im

Verein zu verbleiben. Ein großer Um-bruch fand vor zwei Jahren statt, alserstmalig ein Betroffener zum Vorsit-zenden des Vereins gewählt wurde. Viel-mehr als das: Von den zehn Vorstands-mitgliedern hatten nun acht Personenselbst AMC. Hinzu kamen noch ein Va-

ter und ein Ehemann. Während es amAnfang nur Eltern waren, hatte sich dasBlatt auf einmal komplett gewendet.

Neue Angebote schaffen. Ein Nach-wuchsproblem im klassischen Sinne gabes zwar nie, da sich der Verein durch Ge-burten von Kindern mit AMC eines re-gelmäßigen Nachschubs an Eltern si-cher sein konnte. Trotzdem machteman sich nun Gedanken, wie man nichtnur den älter gewordenen Kindern imVerein, sondern auch erwachsenenNicht-Eltern, die bislang nicht im Ver-ein waren, entsprechende Angebote bie-ten könnte.

Und so wurde die Idee eines Treffensfür (junge) Erwachsene geboren – ein-geladen sind alle Mitglieder ab 16 Jah-ren. Dieses Treffen findet jetzt im jähr-lichen Wechsel mit der Familientagungstatt. Entsprechend ist auch das Pro-gramm der Veranstaltung zugeschnitten.Es geht hierbei um Themen wie selbst-ständiges Wohnen, Schule, Studiumund Beruf, Führerschein und Auto, aberauch Partnerschaft, Kinderwunsch undvieles mehr. Darüber hinaus wurden zu-sätzlich Regionaltreffen ins Leben geru-fen, bei denen weniger ein dezidiertes

Vortragsprogramm im Vordergrundsteht, als vielmehr das gesellige Beisam-mensein. Das Ganze sind dann Tages-ausflüge, bei denen ein gemeinsamesErlebnis geboten wird.

Über die aktive Beteiligung bei derProgrammgestaltung soll den Jugend-lichen und jungen Erwachsenen dieMöglichkeit gegeben werden, selbstVerantwortung zu übernehmen und ih-re eigenen Freiräume zu gestalten. Da-bei ist aber auch Geduld gefragt, denngerade in der Pubertät fällt es vielenJugendlichen schwer, das notwendigeDurchhaltevermögen zu zeigen. Diesmuss jedoch akzeptiert werden. DerSchlüssel liegt darin, zunächst etwas zubieten, bevor man etwas einfordert. �

Heribert Wettels ist 2. Vorsitzender der Interes-sengemeinschaft Arthrogryposis e.V. und seit2002 mit einer Betroffenen verheiratet.

Eltern, Jugendliche und Erwachsene haben unterschiedliche Erwartungen an die Selbsthilfe. Erst recht, wenn sich der ehemalige Elternverein im Laufe der Jahre zu einer Betroffenen-Selbsthilfeorganisation weiterentwickelt. Von Heribert Wettels

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PRAXISBEISPIEL

Die Interessengemeinschaft Arthrogryposis e.V. istdie Selbsthilfeorganisation von und für Menschenmit angeborener Gelenksteife. Sie wurde 1992 ge-gründet und hat 525 Mitglieder. Betroffene und ihreEltern erhalten Hilfestellung und aktuelle Informatio-nen über die Behinderung. Darüber hinaus betreibtder Verein Öffentlichkeitsarbeit bei Behörden, Institu-tionen, Ärzten und Kliniken.

Interessengemeinschaft Arthrogryposis (IGA) e.V.In der Lohe 14, 52399 MerzenichTel.: 02421 202424 Fax: 02421 202425E-Mail: [email protected]: www.arthrogryposis.de

Das Blatt hatte sich gewendet – nun saßenacht Betroffene im Vorstand des Vereins.

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Interessengemeinschaft Arthrogryposis

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Spezial ist eine Verlagsbeilage von G+GImpressum: Gesundheit und Gesellschaft,Rosenthaler Straße 31, 10178 Berlin. G+G erscheintim KomPart-Verlag (www.kompart.de).

Redaktion: Otmar Müller (KomPart-Verlag)Art Direction: Beatrice Hofmann Grafik: KomPart-Verlag

Verantwortlich: Abteilung Prävention des AOK-Bundesverbandes, Helga Laaff Stand: November 2009

STANDPUNKTE

Balance zwischen Information und Spaß

M eine »Selbsthilfe-Karriere« hatfrüh begonnen – und zwar nichtganz freiwillig. Als die Krankheit

diagnostiziert wurde, war ich gerade vierJahre alt. Meine Eltern haben mich dannin der Selbsthilfegruppe »Deutsche Mor-bus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung«(DCCV) angemeldet und sind regelmäßigmit mir zu Eltern-Seminaren gegangen.

Das war für meine Eltern eine große Entlastung. Angebotespeziell für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gab es indieser Zeit nicht.

1996 gründete dann der Vater eines betroffenen Kindes quasiin Eigeninitiative die Youngster-Treffen. Diese wenden sich be-wusst an die Jüngeren – und zwar ohne deren Eltern. Ich war zudieser Zeit gerade in der Pubertät und begann, mich sehr starkmit der Krankheit auseinanderzusetzen und mit meinemSchicksal zu hadern. Das erste Youngster-Treffen hat mir un-glaublich gut getan und mir viel Selbstvertrauen gegeben. Vonda an war ich jedes Jahr dabei. 2004 hat die DCCV dann auchKinderfreizeiten initiiert, die für Kinder unter 16 Jahren ge-

dacht sind. Ich habe von Beginn an bei der Planung undDurchführung dieser Freizeiten mitgeholfen und war selbstüberrascht, wie viel Spaß mir das gemacht hat. 2007 habe ichdann auch die Organisation der Youngster-Treffen übernom-men. Mittlerweile gibt es dieses Treffen an zwei Wochenendenim Jahr, immer an unterschiedlichen Orten quer durch Deutsch-land verteilt. Wir versuchen, während dieser Wochenendtreffeneine Balance zwischen Information über die Krankheit und Frei-zeitaktivitäten mit Spaßfaktor hinzubekommen. In diesem Jahrhaben wir versuchsweise ein drittes Treffen angeboten, dass nurfür »Neulinge« gedacht war – die Resonanz war eindeutig positiv.

Mein Ehrenamt macht mir Spaß, ist aber neben meinemBeruf als Journalistin auch ganz schön stressig. Ich möchte dasnoch ein paar Jahre weitermachen, schaue mich aber auch jetztschon um, wer wohl als mein Nachfolger in Frage kommenkönnte. Ich hoffe, dass wir irgendwann auch noch eine Gruppefür Erwachsene ab 30 gründen können, denn diese Alters-gruppe fällt im Moment ein wenig hinten runter. �

Claudia Baierlein, 28, organisiert in der Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) e.V. die Youngster-Treffen und Kinderfreizeiten.

A ls ich mit 24 die Diagnose MultipleSklerose (MS) erhielt, war daszunächst für mich niederschmet-

ternd. Eine Ärztin im Krankenhaus rietmir, nach dem Krankenhausaufenthaltdoch mal die örtliche Selbsthilfegruppeaufzusuchen. Zuerst habe ich mich da-gegen gesperrt und mich zurückgezogen.Aber nach einer gewissen Zeit hat mich

meine Mutter dann doch überredet, mal einen Vortrag der ört-lichen Kontaktgruppe zu besuchen.

Dort lernte ich Anfang 2006 die Leiterin der Gruppe, SabineGwarys, kennen – und die Chemie zwischen uns stimmte vonAnfang an. Ich ging dann regelmäßig in die Gruppe, um michmit den anderen über meine Krankheit auszutauschen. Irgend-wann sprach Frau Gwarys mit mir darüber, dass außer mir fastgar keine jungen Leute in die Kontaktgruppe kommen – oderdass sie, falls sie kommen, nicht wiederkommen. Sie fragtemich deshalb, ob ich Lust hätte, eine neue Gruppe mit auf-zubauen, die speziell für junge Leute zwischen 20 und 40 ge-dacht ist. Solche »Jungen Initiativen« gab es bereits in anderen

Landkreisen, aber noch nicht bei uns im Ortenaukreis. Wirhaben dann 2007 angefangen, für diese Gruppe in der Zeitungund auf unserer Webseite zu werben.

Heute sind in dieser Gruppe rund 15 Leute gemeldet, davonkommen regelmäßig fünf bis sechs. Die Gruppenmitglieder sindfroh, dass es eine solche Altersgruppe gibt, da wir jüngeren ein-fach einen anderen Draht zueinander haben. Man fühlt sich ebenwohler unter halbwegs Gleichaltrigen. Außerdem wollen jungeMS-Kranke auch über andere Themen sprechen als die Älteren.Für uns sind beispielsweise Schwangerschaft, Kindererziehungoder Probleme im Job Themen, die bei den älteren Betroffenenoft keine Rolle mehr spielen. Ein weiterer Unterschied ist, dass wirbewusst versuchen, auch mal was anderes zu machen, als nur überdie Krankheit zu reden. Über Freizeitaktivitäten kommt manauch mal auf andere Gedanken – dann gehen wir beispielsweiseins Kino, Eis essen oder treffen uns zum Pizza backen. Es ist wich-tig, dass das Leben sich nicht nur um die Krankheit dreht. �

Sandra Urban, 28, ist bei der »Aktion Multiple Sklerose Erkrankter Landesverband, Baden-Württemberg e.V.« (amsel) Sprecherin derJungen Initiative im Ortenaukreis. Fo

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Das Leben dreht sich nicht nur um Krankheit