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Klin. Wschr. 53, 145- 146 (1975) - © by Springer-Verlag 1975 Editorial Definition der Begriffe Availments und Availability F.H. Dost Kinderklinikder Justus-Liebig-Universit~it GieBen Obwohl die beiden, bier interessierenden pharma- kologisch-pharmazeutischen Begriffe voneinander grundverschieden sind, werden sie oft - sogar von Fachleuten - durcheinandergebracht oder auch ffir ein und dasselbe gehalten. - In der klinischen Phar- makologie versteht man jedocb g~nzlich unterschied- liche, won definierbare Zusammenh/inge zwischen Availments einerseits und Availability andererseits. Es sei daher an dieser Stelle versucht, diese Unter- schiede mit Hilfe einer mathematischen Beschreibung bzw. eines numerischen Beispiels darzustellen. Gleichheit zwischen beiden Begriffen besteht Iedig- lich hinsichtlich einer Eigenschaft: sie beschreiben die Absorption (Resorption) eines Medikamentes. Dies ist aber auch die einzige Gemeinsamkeit. Availments nfimlich ist als echtepharmakokinetische Funktion dar- stellbar, w/ihrend Availability sich nur auf die Absorp- tion des Pharmakons als ganzes beschrdnkt. 1. Availments Diesen Ausdruck babe ich erstmats auf dem 1. In- ternationalen Symposium on Biopharmaceutics and Pharmacokinetics in Smoleni6e (CSSR) vorgestellt [3] und spfiter in verschiedenen Aufs/itzen beschfieben. Ich wollte schon damals unter Availments denjeni- gen Anteil eines Medikamentes erblicken, der im gel6- sten Zustand noch im organischen Depot verbleibt, mit Sicherheit aber noch ftir die Absorption zur Verffi- gung steht (available). Es handelt sich bei Availments nicht nur um die Beschreibung eines Endzustandes nach erfolgtem Ab- sorptionsvorgang, sondern urn eine echte, mathematisch beschreibbare Funktion. Letztere kann am deutlichsten ffir ein Zwei-Kompartimenten-Modell beschrieben werden. Man vergleiche hierzu die Abbildung, in wel- cher Avaitments ats die Funktion einer Fldche er- scheint. Letztere ergibt sich aus dem Schnitt zweier Applikationsarten ein und desselben Medikamentes bei der gleichen Person. Nehmen wir an - was meist der Fall ist -, eine intraven6se Injektion erg/ibe einen exponentialen Abfall der Blutspiegelkurve und nach 10a Kiln. Wschr. 53. Jahrg. (getrenntfolgender) Absorption entstehe im Blur ein Konzentrationsverlaufnach Art einer einfachen Bate- man-Funktion [1], so w/ire ffir Availments die F1/ichen- funktion zu finden, die infolge der graphischen Ober- schneidung beider Blutspiegelkurven entstehen wfirde. Wir wollen bier nur den einfachsten Fall diskutieren, wonach bei beiden Apptikationsweisen die gleiche Do- sis verabreicht wurde. Aus: yi~=yo e -k2*, (Kurve ffir i.v. Injektion) (I) nach i.v. Applikation, und: Yo" k:t (e-k2,_e-k,t); (Kurve fiir nicht (2) Yah k:t_k2 i.v. Applikation) nach Verabreichung nachjeder andersartigen Applika- tion entsteht ffir Avaitments die F1/iche: _ Yo (e-k~(,-~')_e-k,(~-,'~) (F1/ichenfunktion (3) kl - k2 fiir Availments) wenn man jede betiebige F1/iche zwischen den Zeiten tund t' in Betracht zieht. Wegen der Bedeutung der in den Gln. (t)-(4) auftretenden Buchstabensymbole vergleiche man die Legende zur Abbildung. Ffir f er- h/ilt man : In k2 kl t' = - - - . (4) k 2 - k t Mal3stab ffir Availments ist mithin die spezielle Auswertung von Blutspiegelkurven im Sinn unseres F1/ichensatzes. Wir [3, 4] 1 haben auf heuristischem und experimenteltem Weg gezeigt und Niiesch [6] hat ein Jahr sp/iter unter Anwendung der Matrizenrech- nung bewiesen, dab das Flfichengesetz universell gfiltig ist, solange lineare Prozesse den Verlauf einer Blutspie- gelkurve bestimmen. I Siehe auch: Dost, F.H.: Antibiot. et Chemother. (Basel) 12, 149 (1964).

Definition der Begriffe Availments und Availability

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Klin. Wschr. 53, 145- 146 (1975) - © by Springer-Verlag 1975

Editorial

Definition der Begriffe Availments und Availability

F.H. Dost

Kinderklinik der Justus-Liebig-Universit~it GieBen

Obwohl die beiden, bier interessierenden pharma- kologisch-pharmazeutischen Begriffe voneinander grundverschieden sind, werden sie oft - sogar von Fachleuten - durcheinandergebracht oder auch ffir ein und dasselbe gehalten. - In der klinischen Phar- makologie versteht man jedocb g~nzlich unterschied- liche, w o n definierbare Zusammenh/inge zwischen Availments einerseits und Availability andererseits.

Es sei daher an dieser Stelle versucht, diese Unter- schiede mit Hilfe einer mathematischen Beschreibung bzw. eines numerischen Beispiels darzustellen.

Gleichheit zwischen beiden Begriffen besteht Iedig- lich hinsichtlich einer Eigenschaft: sie beschreiben die Absorption (Resorption) eines Medikamentes. Dies ist aber auch die einzige Gemeinsamkeit. Availments nfimlich ist als echtepharmakokinetische Funktion dar- stellbar, w/ihrend Availability sich nur auf die Absorp- tion des Pharmakons als ganzes beschrdnkt.

1. Availments

Diesen Ausdruck babe ich erstmats auf dem 1. In- ternationalen Symposium on Biopharmaceutics and Pharmacokinetics in Smoleni6e (CSSR) vorgestellt [3] und spfiter in verschiedenen Aufs/itzen beschfieben.

Ich wollte schon damals unter Availments denjeni- gen Anteil eines Medikamentes erblicken, der im gel6- sten Zustand noch im organischen Depot verbleibt, mit Sicherheit aber noch ftir die Absorption zur Verffi- gung steht (available).

Es handelt sich bei Availments nicht nur um die Beschreibung eines Endzustandes nach erfolgtem Ab- sorptionsvorgang, sondern urn eine echte, mathematisch beschreibbare Funktion. Letztere kann am deutlichsten ffir ein Zwei-Kompartimenten-Modell beschrieben werden. Man vergleiche hierzu die Abbildung, in wel- cher Avaitments ats die Funktion einer Fldche er- scheint. Letztere ergibt sich aus dem Schnitt zweier Applikationsarten ein und desselben Medikamentes bei der gleichen Person. Nehmen wir an - was meist der Fall ist - , eine intraven6se Injektion erg/ibe einen exponentialen Abfall der Blutspiegelkurve und nach

10a Kiln. Wschr. 53. Jahrg.

(getrenntfolgender) Absorption entstehe im Blur ein Konzentrationsverlaufnach Art einer einfachen Bate- man-Funktion [1], so w/ire ffir Availments die F1/ichen- funktion zu finden, die infolge der graphischen Ober- schneidung beider Blutspiegelkurven entstehen wfirde. Wir wollen bier nur den einfachsten Fall diskutieren, wonach bei beiden Apptikationsweisen die gleiche Do- sis verabreicht wurde.

Aus:

yi~=yo e -k2*, (Kurve ffir i.v. Injektion) (I)

nach i.v. Applikation, und:

Yo" k:t (e-k2,_e-k,t); (Kurve fiir nicht (2) Yah k:t_k2 i.v. Applikation)

nach Verabreichung nachjeder andersartigen Applika- tion entsteht ffir Avaitments die F1/iche:

_ Yo (e-k~(,-~')_e-k,(~-,'~) (F1/ichenfunktion (3) kl - k2 fiir Availments)

wenn man jede betiebige F1/iche zwischen den Zeiten t u n d t' in Betracht zieht. Wegen der Bedeutung der in den Gln. ( t ) - ( 4 ) auftretenden Buchstabensymbole vergleiche man die Legende zur Abbildung. Ffir f er- h/ilt man :

In k2 kl

t ' = - - - . ( 4 ) k 2 - k t

Mal3stab ffir Availments ist mithin die spezielle Auswertung von Blutspiegelkurven im Sinn unseres F1/ichensatzes. Wir [3, 4] 1 haben auf heuristischem und experimenteltem Weg gezeigt und Niiesch [6] hat ein Jahr sp/iter unter Anwendung der Matrizenrech- nung bewiesen, dab das Flfichengesetz universell gfiltig ist, solange lineare Prozesse den Verlauf einer Blutspie- gelkurve bestimmen.

I Siehe auch: Dost, F.H.: Antibiot. et Chemother. (Basel) 12, 149 (1964).

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2. Availability

Dieser Ausdruck wurde - soweit wir sehen - erstmals als Thema zu einer Publikation yon Losinski [5] fiber die Absorption yon Dicumarol gebraucht, nachdem er schon vorher in verschiedenen Texten an- derer Autoren erschienen war.

Wagner [7] gibt hierzu folgende Definition, die wir an dieser Stelle w6rtlich zitieren, um neuerlichen Mil3- verstfindnissen vorzubeugen:

"Efficiency of absorption or availability of a drug for absorption expresses the relationship between the amount of drug which is absorbed and the dose of the drug which is administered. For example, if one administered 100 mg of a drug and 90 mg were absorb- ed from the gastrointestinal tract, then the efficiency would be 90/100=0,90 of the dose or 90 percent of the dose. It is frequently difficult to determine such an absolute figure."

Hieraus geht hervor, dab es sich ausschliefilich urn orale Applikation handeln mug. AuBerdem bezieht sich Availability nur und nur auf das Ende des stattgehabten Absorptionsvorganges. Es handelt sich demgemfit3 um eine Konstante, die h6chstens abh~ingig sein kann von dem verabreichten Medikament, eventuell auch yon der Dosis und dem Zustand des Intestinaltraktes.

Auch die galenische Zubereitung ist von eminenter Bedeutung ffir die Availability. Folgende Arzneiformen wfiren hier zu erwfihnen: Nativprfiparate (Pilulae, Gra- nulae, Tabulae, Tabletten), auch: Retardtabletten, Manteltabletten, fiberzogene Tabletten, fiberzogene 2- Schichten-Tabletten mit einer Retardschicht, fiberzo- gene Manteltabletten mit magensaft-resistent fiberzo- genera Retardkern, Manteldragbes mit Wirkstoffdra- gierung, Magensaft-resistente Drag6es, Drag6es mit

~l \~' \

t /-

Abb. 1. Blutspiegelkurven nach i.v. und nach nicht-i.v. Applikation der jeweils gleichen Dosen. y Blutspiegelwerte, t Zeitwerte. kj Ab- sorptionskonstante, kz Etiminationskonstante. GI.(2) entspricht der Bateman-Funktion (vgl. Text). Availments als Funktion vgl. GI. (3) und den schraffierten Fl~ichenteiI. Absorption im Sinn einer

aufsteigenden und einer abfallenden e-Funktion

2-Schichten-Kern, Hartgelatinkapseln mit verz6gerter Wirkstofffreisetzung (Ionenaustauscher-Prinzip), Ma- gensaft-resistent fiberzogene Hartgelatinekapseln mit magensaft-resistenten Pellets, Hartgelatinekapseln mit Retardpeltets, schliel31ich schluckbare L6sungen der verschiedenen Arten.

Man nehme zur Kenntnis, dab das heute viel miBbrauchte Wort ,,Pille" bier nicht besonders aufgez/ihlt wird, wie man in einer grogen Offentlichkeit auch die antikonzeptionellwirksamen Drag6es nennt. Unter einer wirklichen Pille versteht man bekanntlich nur die offi- zielle Zubereitung eines Wirkstoffes, wie sie heute nur noch selten in den Apotheken ausgeffihrt wird.

Magstab ffir Availability ist nicht der Blutspiegel, sondern die Menge des nicht absorbierten Anteils der Dosis im Depot. Es ist nicht notwendig zu betonen, dab die M6gtichkeit zur praktischen Ermittlung daher fast nur beim Tier besteht, da das Depot zu diesem Zweck exzidiert werden mul3.

Schluf~bemerkung

Nach dem Gesagten stellen Availments und Avail- ability Begriffe dar, die zur Pharmakokinetik geh6ren. Der letztgenannte Term ist yon mir vor etwa 21 Jahren eingeffihrt worden [2]. Dieser hat weltweite Verbrei- tung gefunden und braucht daher hier nicht n/iher er6rtert zu werden.

Der Autor wfinscht Herrn ing. grad. G. Kreuter ffir seine mathe- matische Kontrolle zu danken.

Literatur

1. Bateman, H. : Solution of a system of differential equations, etc. Proc. Cambridge Phil. Soc. lfi, 423 (1910)

2. Dost, F.H. : Der Blutspiegel. Konzentrationsverlfiufe in der Kreis- laufflfissigkeit. Leipzig 1953; - Grundlagen der Pharmakokine- tik. Stuttgart 1968

3. Dost, F.H. : Eine pharmakokinetische Funktion fiir die Galenik. Arzneimittel-Forsch. (Drug. Res.) 21,712 (1971)

4. Dost, F.H. : Absorption, Transit, Occupancy und Availments als neue Begriffe in der Biopharmazeutik. Klin. Wschr. 50, 410 (1972)

5. Losinski, E. :Physiological availability of dicumarol. Canad. med. Ass. J. 83, 177 (1960)

6. Nt~esch, E. : Proof of the general validity of Dost's law of corre- sponding areas. Europ. J. clin. Pharmacol, 6, 33 (1973)

7. Wagner, John G. : Biopharmaceutics and' relevant pharmacokine- tics. 1. Edition : Illinois : Hamilton 1971

Prof. Dr. F.H. Dost Zentrum ffir Kinderheilkunde am Klinikum der Justus Liebig- Universit~it D-6300 Giegen Friedrichstr. 26 Bundesrepublik Deutschland