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| TREFFPUNKT FORSCHUNG © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 1/2006 (37) | Phys. Unserer Zeit | 7 ISOTOPEN-INDUZIERTE ELEKTRONENLOKALISIERUNG | Der Doppelspalt-Versuch an Molekülen Der Doppelspalt-Versuch, insbesondere der mit einzelnen Elektronen, ist ein Schlüsselexperiment der Quantenmechanik. Er zeigt den Welle-Teil- chen-Dualismus der Natur und führte zur Postulierung des Bohrschen Komplementaritäts-Prinzips. Dieses Ausschließlichkeitsprinzip wurde in jüngster Zeit in Frage gestellt. Physiker in Europa und den USA haben nun gezeigt, dass die Ausschließlichkeit von Welle und Teilchen auch für strukturlose Objekte, wie freie Elektronen, nicht gilt [1]. Das Doppelspalt-Experiment mit ein- zelnen Elektronen von 1961 wurde in einer Umfrage der Zeitschrift Phy- sics World 2002 zum schönsten Ex- periment aller Zeiten gewählt: Ob- wohl hierbei jedes Elektron einzeln durch einen der beiden Spalte zu lau- fen scheint, entsteht ein Interferenz- muster (vgl. den Aufsatz auf S. 20 in diesem Heft). Es ist, als habe sich das Elektron beim Durchgang durch den Doppelspalt geteilt und danach wie- der vereint. Hält man aber einen Spalt zu oder beobachtet man, durch welchen Spalt das Elektron geht, ver- hält es sich wie ein ganz normales Teilchen, das sich zu einer bestimm- ten Zeit nur an einem bestimmten Ort aufhält, nicht aber an beiden gleichzeitig. Je nachdem also, wie man das Experiment ausführt, befin- det sich das Elektron entweder an Ort A oder an Ort B oder an beiden gleichzeitig. Diese Doppeldeutigkeit erklärt das Bohrsche Komplementaritäts- Prinzip. Es fordert aber zumindest, dass man nur eine der beiden Er- scheinungsformen zu einer gegebe- nen Zeit in einem gegebenen Experi- ment beobachten kann: entweder Welle oder Teilchen,aber nicht bei- des zugleich. In jüngster Zeit wurde dieses Prinzip jedoch für Photonen, aber auch für zusammengesetzte Systeme, wie Atome und Fullerene, in Zweifel gezogen. Experimente zeigen Situa- tionen, in denen die Materie sowohl als Welle als auch als Teilchen in Er- scheinung tritt: eine Grauzone der Komplementarität. Würde sich diese Grauzone, die man besser als Koexis- tenzbereich bezeichnen sollte, auch für strukturlose, nicht zusammenge- setzte Objekte wie Elektronen nach- weisen lassen? Dieser Frage ging unsere Gruppe am Fritz-Haber-Institut der Max- Planck-Gesellschaft zusammen mit Kollegen des Caltech in Pasadena in einem molekularen Doppelspalt-Ex- periment nach (Abbildung 1). Die Experimente wurden am HASYLAB und BESSY ausgeführt. Mit energie- reicher, polarisierter Synchrotron- strahlung (Polarisationsrichtung ε) io- nisierten wir die hochlokalisierten Elektronen der K-Schalen von Stick- stoffmolekülen. Dabei fliegt aus je- dem ionisierten Molekül ein Elektron heraus, das gleichermaßen zu beiden Seiten des Moleküls gehört. Wegen der Spiegelsymmetrie von N 2 sollte diese Elektronenemission nämlich kohärent, das heißt phasengekoppelt, von beiden atomaren Seiten erfolgen, wobei die Phase entweder 0 oder π sein kann. In Abbildung 1 ist dies für die Wellenfunktion Ψ des zurück- bleibenden Ions mit g (Phase 0) und u (Phase π) angedeutet. Bislang war es nicht möglich, die beiden Wellenfunktionen bezüglich ihres winkelabhängigen Verhaltens zu separieren. Dies ist uns nun expe- rimentell eindeutig gelungen. Es ist technisch möglich, sich die eine oder andere Wellenfunktion anzuschauen. Dabei beschreiben beide einen Zu- stand, bei dem das Elektron an bei- den Seiten gleichzeitig vorhanden ist. Es existiert aber an den beiden Ör- tern „wellenfunktionsmäßig“, je nach Zustand, mit jeweils gleichem oder unterschiedlichem Vorzeichen seiner Wellenfunktion. Dieses Experiment entspricht für den Zustand gerade dem klassischen Doppelspalt-Ver- such, wobei die beiden Molekülsei- ten die zwei Spalte bilden. Moderne Doppelspalt-Experimente mit polari- ABB. 1 | MOLEKULARER DOPPELSPALTVERSUCH N 2 -Moleküle werden mit Röntgenstrahlen ionisiert, wobei jedes Molekül jeweils ein Elektron aus seiner innersten Schale emittiert. Je nach Phasenkopplung im Molekül wird ein Elektron mit einer leicht unterschiedlichen Energie, angedeutet durch die rote und blaue Spektrallinie zwischen N 2 -Molekül und „Bildschirm“ (rechts), emittiert. Jede dieser Elektronenlinien hat ein charakteristisches Emissionsmuster, das auf den jeweiligen „Bildschirmen“ schematisch dargestellt ist.

Der Doppelspalt-Versuch an Molekülen

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| T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

© 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 1/2006 (37) | Phys. Unserer Zeit | 7

I S OTO PE N - I N D U Z I E R T E E L E K T RO N E N LO K A L I S I E RU N G |Der Doppelspalt-Versuch an MolekülenDer Doppelspalt-Versuch, insbesondere der mit einzelnen Elektronen, istein Schlüsselexperiment der Quantenmechanik. Er zeigt den Welle-Teil-chen-Dualismus der Natur und führte zur Postulierung des BohrschenKomplementaritäts-Prinzips. Dieses Ausschließlichkeitsprinzip wurde injüngster Zeit in Frage gestellt. Physiker in Europa und den USA habennun gezeigt, dass die Ausschließlichkeit von Welle und Teilchen auch fürstrukturlose Objekte, wie freie Elektronen, nicht gilt [1].

Das Doppelspalt-Experiment mit ein-zelnen Elektronen von 1961 wurdein einer Umfrage der Zeitschrift Phy-sics World 2002 zum schönsten Ex-periment aller Zeiten gewählt: Ob-wohl hierbei jedes Elektron einzelndurch einen der beiden Spalte zu lau-fen scheint, entsteht ein Interferenz-muster (vgl. den Aufsatz auf S. 20 indiesem Heft). Es ist, als habe sich dasElektron beim Durchgang durch denDoppelspalt geteilt und danach wie-der vereint. Hält man aber einenSpalt zu oder beobachtet man, durchwelchen Spalt das Elektron geht, ver-hält es sich wie ein ganz normalesTeilchen, das sich zu einer bestimm-ten Zeit nur an einem bestimmten

Ort aufhält, nicht aber an beidengleichzeitig. Je nachdem also, wieman das Experiment ausführt, befin-det sich das Elektron entweder anOrt A oder an Ort B oder an beidengleichzeitig.

Diese Doppeldeutigkeit erklärtdas Bohrsche Komplementaritäts-Prinzip. Es fordert aber zumindest,dass man nur eine der beiden Er-scheinungsformen zu einer gegebe-nen Zeit in einem gegebenen Experi-ment beobachten kann: entwederWelle oder Teilchen, aber nicht bei-des zugleich.

In jüngster Zeit wurde diesesPrinzip jedoch für Photonen, aberauch für zusammengesetzte Systeme,

wie Atome und Fullerene, in Zweifelgezogen. Experimente zeigen Situa-tionen, in denen die Materie sowohlals Welle als auch als Teilchen in Er-scheinung tritt: eine Grauzone derKomplementarität. Würde sich dieseGrauzone, die man besser als Koexis-tenzbereich bezeichnen sollte, auchfür strukturlose, nicht zusammenge-setzte Objekte wie Elektronen nach-weisen lassen?

Dieser Frage ging unsere Gruppeam Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft zusammen mitKollegen des Caltech in Pasadena ineinem molekularen Doppelspalt-Ex-periment nach (Abbildung 1). DieExperimente wurden am HASYLABund BESSY ausgeführt. Mit energie-reicher, polarisierter Synchrotron-strahlung (Polarisationsrichtung ε) io-nisierten wir die hochlokalisiertenElektronen der K-Schalen von Stick-stoffmolekülen. Dabei fliegt aus je-dem ionisierten Molekül ein Elektronheraus, das gleichermaßen zu beidenSeiten des Moleküls gehört. Wegender Spiegelsymmetrie von N2 solltediese Elektronenemission nämlichkohärent, das heißt phasengekoppelt,von beiden atomaren Seiten erfolgen,wobei die Phase entweder 0 oder πsein kann. In Abbildung 1 ist dies fürdie Wellenfunktion Ψ des zurück-bleibenden Ions mit g (Phase 0) undu (Phase π) angedeutet.

Bislang war es nicht möglich, diebeiden Wellenfunktionen bezüglichihres winkelabhängigen Verhaltenszu separieren. Dies ist uns nun expe-rimentell eindeutig gelungen. Es isttechnisch möglich, sich die eine oderandere Wellenfunktion anzuschauen.Dabei beschreiben beide einen Zu-stand, bei dem das Elektron an bei-den Seiten gleichzeitig vorhanden ist.Es existiert aber an den beiden Ör-tern „wellenfunktionsmäßig“, je nachZustand, mit jeweils gleichem oderunterschiedlichem Vorzeichen seinerWellenfunktion. Dieses Experimententspricht für den Zustand geradedem klassischen Doppelspalt-Ver-such, wobei die beiden Molekülsei-ten die zwei Spalte bilden. ModerneDoppelspalt-Experimente mit polari-

A B B . 1 | M O L E KU L A R E R D O PPE L S PA LT V E R S U C H

N2-Moleküle werden mit Röntgenstrahlen ionisiert, wobei jedes Molekül jeweils einElektron aus seiner innersten Schale emittiert. Je nach Phasenkopplung im Molekülwird ein Elektron mit einer leicht unterschiedlichen Energie, angedeutet durch dierote und blaue Spektrallinie zwischen N2-Molekül und „Bildschirm“ (rechts),emittiert. Jede dieser Elektronenlinien hat ein charakteristisches Emissionsmuster,das auf den jeweiligen „Bildschirmen“ schematisch dargestellt ist.

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sierten Photonen erlauben es darüberhinaus auch phasenversetzte, ungera-de Zustände zu erzeugen. Ihr Inter-ferenzmuster besteht anstelle der be-kannten Streifen aus Antistreifen, indem Hell- und Dunkelwerte jeweilsvertauscht sind. [2].

Die Molekülachsen waren in un-seren Experimenten statistisch belie-big im Raum verteilt. Deshalb muss-ten wir die Elektronen in Koinzi-denz mit den bei der Ionisation ent-stehenden Fragmentionen nachwei-sen. So konnten wir die Winkelvertei-lung der emittierten Elektronen be-züglich der Molekülachse bestimmen.Dies könnte man als eine Art dynami-sche Orientierung der Moleküle inder Gasphase bezeichnen, bei der diejeweilige Orientierung eines Mo-leküls zum Zeitpunkt der Elektronen-mission über die ionische Fragmen-tierung des Moleküls festgestelltwird. Abbildung 2 zeigt diese Winkel-verteilungen für die beiden Zuständeg und u.

Über diese Demonstration derkohärenten Elektronenemission hinaus gelang der lange bezweifelteNachweis, dass eine Störung derSpiegelsymmetrie dieser Moleküledurch den Einbau zweier verschie-den schwerer Isotope, in unseremFall 14N und 15N, zu einem partiellen

Verlust der Kohärenz führt. Denn indiesem Fall beginnen sich die Elek-tronen teilweise an einem der bei-den, nun unterscheidbaren Atome zulokalisieren. Ihre Winkelverteilungenverlieren ihren strengen, paritätsbe-stimmten Charakter und beginneneinander ähnlicher zu werden. Ge-nauer gesagt verändert sich die Formder beiden Verteilungen in Richtungihrer gemeinsamen Summe, wiedurch die Pfeile in den „Bildschir-men“ in Abbildung 1 angedeutet ist.Dies entspricht der teilweisen Mar-kierung eines der beiden Spalte imDoppelspalt-Experiment. Dies zeigt,dass auch für Elektronen das Kom-plementaritätsprinzip in seiner ur-

sprünglichen Form als Ausschließ-lichkeitsprinzip keine Gültigkeit be-sitzt.

Die Ergebnisse verdeutlichen ei-nerseits ganz fundamentale Eigen-schaften der Quantenphysik. Gleich-zeitig könnten sie für den Bau unddie Kontrolle von „künstlichen Mo-lekülen“ von Bedeutung sein, die ausHalbleiter-Quantenpunkten bestehenund als Bauelemente von Quanten-computern in Betracht gezogen wer-den.

[1] D. Rolles et al. Nature 22000055, 437, 711[2] C.H. Monken et al. Spektrum der Wissen-

schaft, Februar 22000044, 32

Uwe Becker,Fritz-Haber-Institut, Berlin

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A B B . 2 | W I N K E LV E R T E I LU N GWinkelverteilun-gen der geradenund ungeradenElektronen be-züglich der Mole-külachse m fürden so genannten„senkrechten“Fall in dem derelektrische Vek-tor E der ionisie-renden Strahlungsenkrecht zu msteht. Die Mes-sungen zeigenden reinen p- undd-Charakter deremittierten Elek-tronen-Wellen.Dies ist ein direk-ter Nachweis fürdie Existenz dernicht-lokalen Zu-stände geradeund ungerade imMolekül.

S U PE R I N T E N S I V E L A S E R S T R A H L E N |Teilchenbeschleunigung und Unruh-StrahlungSeit einigen Jahren gibt es zunehmend Institute, die mit Laserstrahlenhöchster Intensität experimentieren. Diese Strahlung könnte eine ganzeReihe von Anwendungsfeldern erschließen, wie die Beschleunigung odergar die Erzeugung von Teilchen.

Interferenz

Große Beschleuniger sind dasHandwerkzeug in der Kern- und Teil-chenphysik. Doch ihre enormeGröße und die hohen Kosten lassenneue Konzepte für Beschleunigeran-lagen interessant erscheinen. Vorkurzem konnte gezeigt werden, dassultraintensive Laser Kernreaktion aus-lösen, und dass sie hochintensiveStrahlen von Elektronen, Photonen,Protonen und schweren Ionen er-zeugen können. Mit diesen Teilchen-strahlen lassen sich grundsätzlich medizinische Isotope herstellen, nuk-leare Transmutations- und Spallati-onsstudien durchführen und Fusions-reaktionen von schweren Ionen aus-lösen. Im Moment wird noch darangearbeitet, medizinische Isotope inklinisch relevanten Mengen zu produ-zieren.

Gegenwärtig sind auch die hier-für notwendigen Laser noch großund teuer. Es ist aber absehbar, dassinnerhalb der nächsten Jahre Geräte

gebaut werden können, die im Ge-gensatz zu herkömmlichen Beschleu-nigern kompakt sind, dabei aber diegleiche Intensität wie die großen Laser haben. Hier bieten sich für diephysikalische Universitätsforschungaufregende neue Möglichkeiten.

Bei der Teilchenbeschleunigungper Laser handelt es sich um einenrecht komplizierten plasmagesteuer-ten Prozess. Im Prinzip kann mansich vorstellen, dass Photonen auf dieElektronen und Ionen in einem Plas-ma einen Druck ausüben. Da dieElektronen viel leichter sind als dieIonen, bewegen sie sich zuerst undlassen die Ionen hinter sich zurück.So entsteht ein starkes elektrischesFeld, das letztendlich auch die Ionenbeschleunigt.

Bei Laserintensitäten von unge-fähr 5 · 1020 W/cm2 werden die Elek-tronen auf Energien von ungefähr200 MeV beschleunigt. Werden dieseElektronen in ein Material mit hoher