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Universität Mannheim Philosophische Fakultät Seminar für Deutsche Philologie Neuere Germanistik II: Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und qualitative Medienanalyse Der Erkenntnisgewinn in politischen Talkshows Gefahren, Fehler und Optimierungschancen Magisterarbeit Zur Erlangung des akademischen Grades eines Magistra Artium M.A. im Fach Germanistik Prüfer: Prof. Dr. Jochen Hörisch vorgelegt von: Katharina Hannah Singer Mannheim, den 09. Dezember 2010 (HSS 2010)

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Universität Mannheim

Philosophische Fakultät

Seminar für Deutsche Philologie

Neuere Germanistik II: Lehrstuhl für Neuere Deutsche

Literaturwissenschaft und qualitative Medienanalyse

Der Erkenntnisgewinn in

politischen Talkshows

Gefahren, Fehler und Optimierungschancen

Magisterarbeit Zur Erlangung des akademischen Grades eines Magistra Artium M.A.

im Fach Germanistik

Prüfer: Prof. Dr. Jochen Hörisch

vorgelegt von:

Katharina Hannah Singer

Mannheim, den 09. Dezember 2010 (HSS 2010)

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Sperrvermerk

Sperrvermerk

Die nachfolgende Magisterarbeit enthält vertrauliche Informationen. Veröffentlich-

ungen oder Vervielfältigungen – auch nur auszugsweise – sind ohne ausdrückliche

schriftliche Genehmigung der Verfasserin nicht gestattet.

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Inhalt

III

Inhalt

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ........................................................................................................... IV

TABELLENVERZEICHNIS .................................................................................................................. IV

EINLEITUNG ............................................................................................................................................ 1

1 ERKENNTNISGEWINN UND TALKSHOW .............................................................................. 3

1.1 DEFINITION ERKENNTNISGEWINN .................................................................................... 3

1.2 DIE POLITISCHE TALKSHOW ............................................................................................. 4

1.2.1 Die Definition des Genres Talkshow ................................................................................... 4

1.2.2 Die geschichtlichen Anfänge der Talkshow ....................................................................... 11

1.2.3 Die inszenierte Talkshow-Politische Werbung, Selbstdarstellung und der Vorwurf der

Inszenierung ..................................................................................................................................... 19

1.2.4 Die politische Talkshow als Unterhaltungsformat – Politainment Segen oder Fluch? ...... 28

1.3 DIE ENTSTEHUNG EINER POLITISCHEN TALKSHOW ........................................................ 35

2 DIE BEEINFLUSSUNGSFAKTOREN DES ERKENNTNISGEWINNS ................................ 39

2.1 DIE METHODE UND ENTWICKLUNG DER ANALYSEKRITERIEN ....................................... 39

2.1.1 Die Definitionen der Analysekriterien ............................................................................... 41

2.1.2 Forschungsgegenstand ....................................................................................................... 49

2.2 DIE ANALYSE................................................................................................................. 54

2.2.1 Sendungskonzept ............................................................................................................... 54

2.2.2 Gästeauswahl ..................................................................................................................... 58

2.2.3 Ergänzende Elemente ......................................................................................................... 63

2.2.4 Sitzordnung ........................................................................................................................ 67

2.2.5 Gesprächsverlauf ................................................................................................................ 71

2.2.6 Zeitmanagement ................................................................................................................. 77

2.2.7 Rederecht ........................................................................................................................... 79

2.2.8 Grad der Verständlichkeit .................................................................................................. 81

2.2.9 Gesprächsdynamik ............................................................................................................. 85

2.2.10 Sprachliche Interaktion ................................................................................................. 86

2.3 DAS ERGEBNIS DER ANALYSE........................................................................................ 95

2.4 DER BEEINFLUSSUNGSGRAD DER ANALYSEKRITERIEN – BESTIMMUNG POTENZIELLER

GEFAHRENQUELLEN FÜR DEN ERKENNTNISGEWINN .............................................................................. 96

2.5 DIE SENDUNG MIT ERKENNTNISGEWINN ........................................................................ 97

3 DIE SUBJEKTIVE SICHTWEISE - TALKSHOWMACHER ÜBER DEN

ERKENNTNISGEWINN ........................................................................................................................ 99

3.1 DER INTERVIEWLEITFADEN ......................................................................................... 100

3.2 DIE ERGEBNISSE .......................................................................................................... 104

4 FAZIT ........................................................................................................................................... 116

LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................................................ IV

ANHANG.................................................................................................................................................... X

EHRENWÖRTLICHE ERKLÄRUNG ............................................................................................XLVI

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Abkürzungsverzeichnis

IV

Abkürzungsverzeichnis

ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der

Bundesrepublik Deutschland

BKK Betriebskrankenkasse

CSU Christlich-Soziale Union in Bayern

DDR Deutsche Demokratische Republik

DFF Der Deutsche Fernsehfunk

epd Evangelischer Pressedienst

FDP Freie Demokratische Partei Deutschlands

GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Sat1 Satelliten Fernsehen GmbH

SWR Südwestrundfunk

USA United States of America

WDR Westdeutscher Rundfunk

ZDF Zweites Deutsches Fernsehen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Übersicht der Analyseergebnisse .................................................................... 95

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Einleitung

1

Einleitung

Ein Rundfunkgebührenzahler dürfe auf das Programm schimpfen, sei aber nicht

klageberechtigt, so das Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts im August 2010. Ein

GEZ-Zahler hatte geklagt, er wollte dem WDR durch eine einstweilige Anordnung die

Vertragsschließung mit Günther Jauch als neuem Talkshowmaster der ARD vorläufig

untersagen lassen. Die neue Sonntagabendtalkshow bringe, so der Kläger, erhebliche

Mehrkosten. Dies sei eine Verschwendung der Rundfunkgebühren. Das Gericht lehnte

die Klage ab.1

Deutschland ist im Talkshow-Rausch. Ab Herbst 2011 geht Günther Jauch mit einer

neuen politischen Talkshow auf Sendung und der Zuschauer hat ab diesem Zeitpunkt

allein in der ARD jeden Abend einen Termin zum Talk. „Qualitätsführerschaft im

deutschen Fernsehen“2 nennt ARD-Programmdirektor Volker Herres den Grund für

diese Talkshowflut. Aber ein Wort wie Qualitätsführerschaft steckt einen sehr

hochgegriffenen Erwartungshorizont, schließlich müssen für die neue Talkshowfülle

selbst Dokumentationen aus dem Programm verschwinden und politische Magazine den

Sendeplatz wechseln. Angesichts dessen stellt sich die Frage: Was können Talkshows

leisten und was wollen wir vor allem aus all diesen Talkshows Neues gefahren? Denn

kaum sind die neuen Sendeplätze verteilt, zeichnet sich ein erbitterter Konkurrenzkampf

um Gäste und Themen ab. Das Problem: Können in Zukunft zu einer begrenzten Anzahl

an Themen der Woche, das immer gleiche Gästeinventar und Talksendungen auf jedem

Sender überhaupt noch neue Erkenntnisse bringen? Oder ist dies gar nicht der Anspruch

der Talkshowmacher?

Politische Talksendungen beherrschen mittlerweile stärker die politische Agenda als der

Deutsche Bundestag. Das zumindest konstatierte Cordt Schnibben 2008 im Spiegel3.

Politiker verfolgen in einer Talkshow das klare Ziel ihre Botschaften zu platzieren und

politische Talkshows sind Unterhaltungsformate, das steht außer Frage. Dennoch wird

der Begriff des Erkenntnisgewinns immer noch gerne bemüht, wenn es um die

Bemessung einer gelungen Talkshow geht, Talkshowmacher rühmen sich hart

1 Vgl.: Spiegel online (23.08.2010): Jauch ist keine Verschwendung. Klage gegen ARD gescheitert. 2 Huber, Joachim (02.12.2010): Qualität ist machbar. Und die ARD weiß auch, wie – mit einer Talkshow-

Offensive. 3 Vlg.: Schnibben, Cordt (26.05.2008): Die 60 Minuten-Demokratie.

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Einleitung

2

nachzufragen und auch außerhalb der Politikerbotschaften einen Mehrwert, einen

Erkenntnisgewinn, für den Zuschauer zu schaffen. Aber oftmals bleibt dieser ein

unerreichtes Ziel. Die Kritiken prangern wöchentlich den geringen Erkenntnisgewinn an

und werfen den Moderatoren sogar Erkenntnis zerstreuendes Handeln vor.

Welchen Stellenwert darf der Erkenntnisgewinn heute für sich in einer politischen

Talkshow beanspruchen? Und von welchen Faktoren ist ein Erreichen dieses abhängig?

Fragestellungen, die nicht aktueller hätten sein können. Die vorliegende Magisterarbeit

möchte sich in ihrer Untersuchung diesem Thema widmen.

Beginnen möchte die Arbeit im ersten Teil mit Definitionen der wichtigsten

Begrifflichkeiten, sowie einer Betrachtung des Genres Talkshow und der sich aus dieser

Thematik ergebenen Bezüge und Fragestellungen in Hinblick auf einen

Erkenntnisgewinn.

Um die Bedeutung und Umsetzbarkeit des Erkenntnisgewinns zu untersuchen, wird im

Anschluss im zweiten und dritten Teil der Arbeit eine zweiteilige Untersuchung

durchgeführt. Dazu werden zunächst, anhand einer speziell für diese Arbeit

entwickelten Analysemethode die Faktoren bestimmt, die den Erkenntnisgewinn einer

politischen Talkshow beeinflussen und gefährden können. Diese Untersuchung geht von

dem in der Öffentlichkeit formulierten Erkenntnisanspruch an dieses Genre aus und

wertet den Erkenntnisgewinn als ein wichtiges Element einer gelungenen Sendung.

Zudem wird der Beeinflussungsgrad der den Erkenntnisgewinn fördernden oder

verhindernden Faktoren bestimmt.

Um ein für zukünftige Sendungen anwendbares Ergebnis zu erhalten, ist es neben der

wissenschaftlichen Analyse des zweiten Teils wichtig, auch die subjektive Sicht, die

Erfahrungen der Experten aus der Praxis mit einzubeziehen. Somit wird in einem

nächsten Schritt die Bedeutung des Erkenntnisgewinns für die Sendungsmacher

ermittelt. Befragt wurden Talkshowmacher aktuell programmbestimmender Sendungen,

nach ihrem Verständnis und Umgang mit der Thematik Erkenntnisgewinn.

Zielsetzung der Magisterarbeit ist es die Bedeutung des Erkenntnisgewinns für

politische Talkshows zu untersuchen. Dazu werden Fragestellungen und Problematiken,

die sich aus dem Genre Talkshow in Bezug auf den Erkenntnisgewinn ergeben,

dargestellt, die Beeinflussungs- bzw. Gefährdungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

bestimmt und sein Stellenwert für die politische Talkshow untersucht.

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

3

1 Erkenntnisgewinn und Talkshow

Ist eine Symbiose von Erkenntnisgewinn und politischer Talkshow möglich? Dieser

Fragestellung will sich die Magisterarbeit widmen. Im ersten Teil wird dazu eine

Annäherung an die Begriffe Erkenntnisgewinn und Talkshow unternommen, sowie das

Genre Talkshow beleuchtet und in Hinblick auf Erkenntnisgewinn beeinflussende

Fragestellungen untersucht. Dieser erste Teil der Arbeit bildet die Grundlage für die

späteren Analysen.

1.1 Definition Erkenntnisgewinn

Der Begriff Erkenntnisgewinn ist als eine in der deutschen Sprache gebräuchliche,

jedoch nicht in den Standardwörterbüchern gelistete Formulierung zu bezeichnen.

Allgemein ist unter Erkenntnisgewinn jede Art von Zugewinn einer Erkenntnis, jede

neue Erkenntnis zu verstehen. Als Erkenntnis ist, „die Gewinnung von Einsichten

darüber, wie es sich wesentlich mit einer Sache verhält; die Tätigkeit des Verstandes,

mit der sich dieser als Erkenntnis-Subjekt einem Erkenntnisgegenstand gegenüber

konstituiert und ihn begrifflich durchdringt“ 4 zu verstehen. Wie schon in der Literatur

von Goethe und Schiller formuliert, gilt auch heute noch, dass neue, aufstrebende

Erkenntnis die Menschen zur Teilnahme anregt, und man es somit, als seine

Bestimmung bezeichnen könnte5 „Erkenntnisse zu erwerben und aus Erkenntnissen zu

handeln“6.

Für die Arbeit muss der Erkenntnisgewinn genauer definiert und für den hier

vorliegenden Fall als ein spezieller Erkenntnisgewinn formuliert werden. Die

Zielsetzung der politischen Talkshow ist, so der an sie gerichtete Anspruch, eine

Beantwortung oder Annäherung an die in der Sendungsfragestellung formulierte

Thematik. Als der in der Arbeit zu untersuchende Erkenntnisgewinn ist das Ergebnis

der Fragestellung zu definieren. Wird die Eingangsfragestellung und somit die mit ihr

formulierte Thematik im Laufe der Talkshow ausreichend erörtert und kann zum Ende

der Sendung als beantwortet oder mindestens teilweise beantwortet, bewertet werden?

4 Goldmann Lexikon (1998), S. 2768 5 Vgl.: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (Online Ausgabe): Sp. 871 6 Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (Online Ausgabe): Sp. 871

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

4

Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um einen einzelnen Gesamterkenntnisgewinn

handeln, sondern vielmehr sind auch mehrere Erkenntnisgewinne möglich.

1.2 Die politische Talkshow

Die vorliegende Magisterarbeit möchte will der Frage nachgehen welche Bedeutung

dem Erkenntnisgewinn in politischen Talkshows zukommt und welche Faktoren diesen

beeinflussen.

Das Genre der Talkshow zählt zu einem relativ jungen Sendungsformat. Die politische

Talkshow bildet eine Spezifizierung dieses Formats. Es sei ist hier festzuhalten, dass es

sich bei dem Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ausschließlich um

politische Talkshows handelt, daher sind die angestellten Untersuchungen

ausschließlich auf diese Untergruppe der Talkshows beschränkt worden.

1.2.1 Die Definition des Genres Talkshow

Sucht man in der wissenschaftlichen Forschung nach allgemeingültigen Definitionen,

werden schnell Grenzen deutlich. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass ein stetiger

Wandel des Genres gerade erst formulierte Definitionen nach kürzester Zeit als veraltet

oder zumindest erweiterbar erschienen erscheinen ließ. Anfängliche Versuche,

möglichst detaillierte und differenzierte Kriterien zu schaffen, wurden, zugunsten

allgemeinerer Formulierungen bald verworfen. Aber nicht nur der Wandel macht eine

Definition schwierig, sondern auch die Vielfalt dieses Genres. Zahlreiche

Variationsmöglichkeiten inhaltlicher und gestalterischer Art verhindern eine

einheitliche Definition und Mischformen erschweren eine klare Abgrenzung zu anderen

Programmgenres.7 Somit ist festzuhalten, dass Talkshowtypologien grundsätzlich mit

Vorsicht zu betrachten sind. Da aktuelle Moden, zum Zeitpunkt der Entstehung, sowie

Themenkonjunkturen die Entwicklung beherrschen, sind sie nur von vager

Definitionskraft und sollten somit immer auf den Prüfstand gestellt und falls nötig den

aktuellen Gegebenheiten angepasst werden.8

7 Vgl.: Foltin (1994), S. 73 8 Vgl.: Keller (2009), S. 21

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

5

Wie bereits beschrieben, ist eine Ursache, die eine klare einheitliche Definition

unmöglich macht, die schwer zu fassende Vielfalt, die eine Talkshow auszeichnet. Als

Beispiel sei hier, die dem Genre der Talkshows mit politischen und

gesellschaftskritischen Themen zuzuordnende Sendung Menschen bei Maischberger

(seit 2003, ARD) zu nennen. Wie der Kritiker Reinhard Lüke zur 200. Sendung

konstatierte, sei es selbst bei einer einzigen Sendereihe schwer das Dargebotene auf eine

Definition zu bringen: „Menschen bei Maischberger bleibt die diensttägliche

Wundertüte im Ersten. Mal sitzen da fünf Gäste im Kreis, mal sind es nur zwei […],

mal geht es launig zu, mal ernst und mal überzeugt die Moderatorin durch eine präzise

Gesprächsführung, um in der nächsten Sendung den Dingen einfach ihren Lauf zu

lassen.“9

Ein scheinbar einfaches Konzept mit einer unendlichen Fülle an Gestaltungs-

möglichkeiten, so könnte man eine Talkshow beschreiben:

Variierbarkeit der Gästeanzahl

Variierbarkeit der Themenwahl

Saalpublikum vs. intime Atmosphäre

Große Variation bei der Ortswahl

Gruppengeplauder vs. Einzelgespräche

Mit Showeinlagen vs. puristisch

Alle diese Komponenten können beliebig kombiniert werden. Und wie das Beispiel,

ebenfalls die Sendung Menschen bei Maischberger betreffend zeigt, ist selbst das

Vorhandensein des namengebenden Moderators keine zwingende Notwendigkeit. Denn

als Sandra Maischberger 2007 in Mutterschaftsurlaub ging, ließ sie sich für Wochen

von wechselnden Kollegen vertreten. Zudem gibt es eine Reihe von Sendungen bei den

der Wechsel der Moderatoren sogar Teil des Konzeptes ist: u. a. Unter 4 Augen,

Bayrischer Rundfunk oder Wortwechsel Südwestrundfunk. 10

Auch wenn die Vielfalt der Möglichkeiten und eine schnelle Entwicklung des Genres,

jeden Versuch einer allgemeinen Zustandsbeschreibung oder einer zeitlosen

9 Lüke (30.09.2008): Die Frau mit der Wundertüte. 10 Vgl.: Keller (2009), S. 13f.

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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universellen Typologie11 weitgehend verhindern, wurde im Laufe der Zeit immer

wieder versucht, die Merkmale des Genres fassbar zu machen.

Aber zunächst einige Worte zur Wortherkunft des Begriffes Talkshow. Das Wort

Talkshow lässt sich aus den beiden Wörtern Talk und Show ableiten. Talk stammt von

dem englischen Verb to talk ab und ist mit reden oder sprechen zu übersetzen. Show

bedeutet in den USA nichts anderes als Sendung, oder bezeichnet auch als der englische

Ausdruck für Revue, Bühnendarbietungen mit Musikern, Künstlern oder Ähnlichem.

Als Talkshow lässt sich also vereinfacht eine Sendung bezeichnen, die vom

gesprochenen Wort dominiert wird.12 Oder, wie Brian G. Rose es 1985 formuliert:

„They are, obviously, televised broadtcasts of conversation […].”13 Eine gewisse

Schwierigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass der Begriff Talkshow zwar aus dem

Angelsächsischen übernommen wurde, aber für Deutschland abweichend besetzt, d. h.

zu Beginn der Talkshowgeschichte erheblich eingeengt14 und im Laufe der Entwicklung

in unterschiedliche Richtungen variiert wurde. Bezeichnet man die Show als eine

Gattung, so wäre die Talkshow als ein Genre dieser zu bezeichnen. Die Talkshow selbst

setzt sich jedoch wiederum aus diversen Subgenres zusammen, die nicht immer klar

definierbar sind, da weil sich häufig Überschneidungen und somit Mischformen

ergeben.15 Talkshow bezeichnet laut Lexikonadefinition eine „unterhaltende

Fernsehsendung (entstanden in den USA), in der ein Moderator (Talkmaster) seine

Gäste zu verschiedenen Themen befragt, wobei die Mischung der Gäste häufig den

Unterhaltungseffekt ergibt.“16

Constantin von Barloewen und Hans Brandenberg versuchten nach der Übernahme

dieser Sendeform für den deutschen Markt, Anfang der 70er Jahre den Begriff Talkshow

weiter einzuengen. Ihren Untersuchungen nach hat eine Talkshow folgende konstitutive

Sendungsm erkmale17:

11 Vgl.: Löffler (2002), S. 2321 12 Vgl.: Keller (2009), S. 15 13 Ebd., S. 15 14 Vgl.: Ebd., S. 15 15 Vgl.: Ebd., S. 20 16 Brockhaus Enzyklopädie online 17 Vgl.: Foltin (1994), S. 69

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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1. „Der Seriencharakter der Sendung. Nur wenn die Sendung in regelmäßigem

möglichst häufigem Rhythmus wiederkehrt, etabliert sie sich im Bewusstsein

der Zuschauer als eine feste Einrichtung.

2. Die zentrale Figur des Gastgebers. Der Talkm Master, mehr als der eine oder

andere Gast, prägt die Sendung, entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Er

repräsentiert die Sendung; wird zum Star, zum Identifikationsobjekt.

3. Das Talk Show-Gespräch ist nicht Sachgespräch, sondern personenbezogen.

Nicht der Fachmann, der Spezialist ist als Gast geeignet, sondern vor allem

derjenige, der als Person interessant ist. Die Diskussion einzelner Themen steht

nicht im Mittelpunkt und soll das Hauptanliegen, die Charakterisierung von

Personen, nicht verdrängen.“18

Für ergänzungsbedürftig und teilweise nicht mehr zeitgemäß hielt diese

Sendungsmerkmale Hans-Friedrich Foltin. So hält er Mitte der 90er Jahre am Merkmal

des Seriencharakters fest, merkte jedoch an, dass sich in Hinblick auf die

Ausstrahlungsfrequenz mittlerweile ein sehr breiter Spielraum ergeben hat. Von der

täglichen Sendung bis hin zu nur einzelnen Sendungen pro Jahr ist alles zu finden. Zu

Punkt 2 der zentralen Funktion des Talkmasters sollte ergänzt werden, dass neben dem

klassischen Talkmaster auch Duos, Trios, wechselnde Talkmaster oder gar Talkshows

ohne Talkmaster die Programmlandschaft bereichern. Als deutlich überholt, hält Foltin

allerdings das dritte Kriterium. Gerade die themenorientierten Talkshows haben in den

letzten Jahrzenten deutlich zugenommen, im Bereich der Talkshow mit politischem und

gesellschaftskritischem Inhalt sogar den Markt für sich gewonnen. Damit verbunden

wurde auch der Experte ein gern gesehener Talkgast.

Für die heutigen Talkshows ist auch die Anwesenheit eines Studiopublikums als ein

weiteres wichtiges, aber nicht zwangsläufig verpflichtendes Sendungsmerkmal zu

definieren. Ein früher Definitionsversuch spricht die Bedeutung dieses Kriterium bereits

an: „Die optisch-verbalen Präsentationsmuster von Prominenten und weniger

Prominenten sollen in einer Kleingruppensituation vor einem realen Publikum, dem das

Regiekonzept einen spontanen Aktionsraum bietet, ermittelt werden. Unter der Leitung

eines Gesprächsinitiators sollen sie einem dispersen Publikum informativen

18 Foltin (1994), S. 69f.

Formatiert: Deutsch (Deutschland)

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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Unterhaltungswert bringen.“19 Die Anwesenheit eines Studiopublikums wird in der

Forschung, aber auch in der Praxis immer wieder als ein nicht zu unterschätzendes

Element beschrieben. Die Diskutanten haben in diesem einen direkten Adressaten,

stellvertretend für das Publikum vor den Bildschirmen und bekommen durch das

Publikum im Studio auch sofort eine Rückmeldung, beispielsweise durch Applaus oder

Lachen. Zudem mildert das anwesende Publikum den Eindruck einer sterilen

Studiokulisse20 und lässt die Talkshow nach außen hin für den Zuschauer vor dem

Bildschirm gefühlt an Authentizität gewinnen. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass

das Publikum in manchen Sendungen, welche vermehrt dem nicht politischen Genre

angehören, von der Redaktion als Stimmungsbarometer eingesetzt wird. Dabei wird ihm

beispielsweise mit hochgehaltenen Schildern vorgegeben, wann und ob sie zum Beispiel

klatschen sollen. Dies würde schon wieder in die Richtung einer Inszenierung gehen, sei

aber der Vollständigkeit halber an dieser Stelle angesprochen. Da sich diese Arbeit auf

die Betrachtung von politischen Talkshows beschränkt, seien hier, um nicht den

Rahmen zu sprengen, nur die wichtigsten Kriterien, die themenbezogene und nicht

personenbezogene Talkshows betreffen, erwähnt.

Als ein weiteres Merkmal einer Talkshow ist noch der Diskussionscharakter

anzusprechen, den insbesondere Werner Holly, Peter Kühn und Ulrich Püschel in ihrern

Untersuchungen21 beschreiben. Erstaunlich sei dabei, so die Autoren, die Hartnäckigkeit

mit der die Diskutanten und der Talkmaster am Diskussionscharakter der Talkrunde

festhalten, obwohl der Befund, dass in solchen Sendungen gar nicht diskutiert werde,

schon längst vorliege und auch in den Köpfen vieler Zuschauer angekommen sei. Als

Grund hierfür formulieren die Autoren die Vermutung, dass „der Begriff der Diskussion

und damit zusammenhängende politische Konzepte von solchem ideologischen Wert

sind, dass er für das Bild bestimmter über das einflussreiche Medium Fernsehen

laufender Gespräche unverzichtbar erscheint.“22 Sie schreiben zudem den Begriffen

Diskussion und Information in diesem Zusammenhang einen inflationären Gebrauch zu.

Folglich stellen sie fest, dass eine Talkshow trotzdem als Fernsehdiskussion bezeichnet

19 Schmid (1975), S. 125 20 Vgl.: Kallenbach (1997), S. 7 21 Dazu vgl. bespielsweise: Holly/Kühn/Püschel (1986) 22 Holly/Kühn/Püschel (1986), S. 1

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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wird, um durch die Inszenierung als Diskussion, anderen, in diesem Genre verfolgten

Zielen, eine hervorragende Tarnung zu verschaffen.23

Foltin definiert drei weitere ergänzende Kriterien: Ehrlichkeit der Gespräche, bestimmte

Showeffekte und die nachträgliche Verarbeitung in direkter Kommunikation. Nach

Dagobert Lindlau, einem der erfahrensten Talkmaster (III nach neun, Veranda),

erwartet der Talkshowzuschauer „ein einigermaßen ehrliches Gespräch mit

einigermaßen interessanten Leuten“24, doch genau dies sei etwas das unendlich

schwerfalle25. Dies ist eine Aussage, die resigniert feststellt, dass Ehrlichkeit und

Offenheit bei vielen Talkgästen nur vorgetäuscht werden und je besser ihnen dies

gelingt, um so höher steigen sie in der Gunst des ahnungslosen Zuschauers. In Bezug

auf den Untersuchungsgegenstand, die politische Talkshow, muss allerdings ernüchtert

festgestellt werden, dass von Politprofis weder Ehrlichkeit noch Offenheit erwartet wird

und somit dieses Kriterium für politische Talkshows nur bedingt zutrifft. Unter

Showeffekten verstehen sich natürlich bei einigen Talkshows, insbesondere

personenorientierter Art, Musikeinlagen, eingestreute Vorführungen und künstlerische

Kostproben. In politischen Talkshows sind diese Art von Showeffekten eher selten

anzutreffen. Jedoch sind als Showeffekte auch Signale nonverbaler Kommunikation zu

bezeichnen: Entfernen eines Gastes von seinem, ihm unsympathischen, Sitznachbarn,

Erblassen oder Erröten bei unangenehmen Fragen, spektakulären Aktionen zwischen

den Diskutanten oder Kommentieren des Gesprächs oder eines Redebeitrags eines

Mitdiskutanten durch beispielsweise Gähnen. Signale wie diese werden oftmals erst

durch die, von der Redaktion festgelegte, Sitzordnung der Diskutanten ermöglichst. Ein

drittes Merkmal einer gelungenen Talkshow ist nach Foltin, dass sie den Zuschauer zu

einer nachträglichen Verarbeitung durch Kommunizieren mit anderen anregt. So

beschreibt auch der Kritiker Rupert Neudeck eine Talkshow nicht primär als eine

Sendung, in der geredet, sondern eine, über die im Nachhinein geredet wird. Ein

Kriterium, das jedoch in der heutigen Zeit zunehmend an Bedeutung verliert, da die

Wahrscheinlichkeit, dass der Kollege, der Nachbar oder der sonstige Gesprächspartner

23 Vgl.: Holly/Kühn/Püschel (1986), S. 1 24 Lindlau (1982), S. 36 25 Vgl.: Ebd., S. 36

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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am Vorabend die gleiche Sendung gesehen hat, mit der stetigen Zunahme des

Programmangebots sinkt.26

Einen weiteren Versuch die Merkmale des Genres Talkshow zu definieren,

insbesondere aufbauend auf die Untersuchungen von Constantin von Barloewen, Hans

Brandenburg und Hans-Friedrich Foltin, wagte Matthias Fley in der zweiten Hälfte der

90er Jahre. Er benennt fünf Merkmale, die eine Abgrenzung dieses Genres von anderen

ermöglichen soll:

1. „Die Gesprächskonzeption: Die Sendung muss mindestens zu 60% aus einem

Gespräch bestehen, das von mindestens zwei im Bild sichtbaren Personen geführt wird,

von denen eine die gesprächsleitende Funktion übernimmt und mindestens eine andere

als Gast nicht regelmäßiger Teilnehmer ist. Anlass des Gesprächs ist die Ausstrahlung

im Fernsehen.

2. Primäre Zweckfreiheit: Zweck des Gesprächs ist es nicht, eine Rangfolge oder eine

Gratifikation der Teilnehmer vorzunehmen. Außerdem soll die Sendereihe nicht

ausdrücklich konzeptionell festgelegte, regelmäßige Zielsetzungen haben, die über das

Gespräch hinaus gehen.

3. Einseitige Gesprächsfreiheit: Mindestens eine Seite der Gesprächspartner soll in ihrer

Aussage nicht von vorneherein festgelegt sein.

4. Seriencharakter: Die Sendereihe wird mit der selben Konzeption und Häufigkeit,

mindestens alle zwei Monate, auf einem festen Sendeplatz ausgestrahlt.

5. Lokale Einheit: Die Gespräche innerhalb einer Sendung sollen am selben Ort erfolgen.

Als Kulisse der verschiedenen Folgen soll eine regelmäßige Lokalität dienen.“27

Die Problematik, die sich allerdings aus dieser Definition ergibt, ist, dass sich im

Rahmen dieser, auch Sendungen anderer Genre, einordnen lassen. Folglich kann diese

Definition nur bedingt einen umfassenden und auf die Talkshow zugeschnittenen

Definitionsanspruch erheben und zeigt deutlich die beschriebene Definitions-

problematik auf. Um für die folgende Untersuchung eine Orientierung zu haben, sei

Talkshow somit nach Lothar Mikos mit einer offeneren und halbwegs

allgemeingültigen Definition wie folgt beschrieben: Die Talkshow sei „[…] ein

Subgenre […], bei dem ein oder mehrere Gastgeber in einem Studio oder Saal vor

anwesendem Publikum mit mehreren Gästen Gespräche führen; im Mittelpunkt der

Gespräche stehen die Gäste selbst sowie aktuelle Themen oder Ereignisse.“28

26 Vgl.: Foltin (1994), S. 73 27 Mayer (2001), S. 9f. 28 Kallenbach (1997), S. 9

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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1.2.2 Die geschichtlichen Anfänge der Talkshow

Die Sendeform Talkshow ist in unserer heutigen Fernsehlandschaft ein Programm

bestimmendes und nicht mehr wegzudenkendes Element geworden. Die Bezeichnung

Talkshow ist im Sprachgebrauch fest etabliert und wird vom Zuschauer auch ohne

Englischkenntnisse mit einer bestimmten Form der Darbietung verbunden. Aber nicht

immer kam ihm diese Bedeutung zu. Dieses Kapitel möchte einen Überblick über die

Geschichte der Talkshow geben. Beginnend mit den Anfängen der Genres, werden

Vorläufersendungen skizziiert und die Entwicklung bis zu den heutigen Sendeformaten

nachgezeichnet. Vorweg muss gestellt sein, dass, wie schon im Kapitel Definition des

Genres Talkshow, angedeutet der Ursprung dieser Sendungsgattung in den USA liegt.

Versucht man dort einen Beginn der Entwicklung auszumachen, so lässt sich sehr früh,

in der Zeit der ersten Einwanderer, die Bedeutung von öffentlichen Gesprächsrunden

entdecken. Viele Jahre später fanden öffentliche Diskussionen zunächst eine Plattform

im Hörfunk und hielten schließlich auch Einzug in das Fernsehen. Zum Beispiel fanden

die öffentlichen Debatten eine mediale Fortsetzung in Hörfunksendungen wie

Amerika´s Town Meeting of the Air (1935-1956), die von 1948 bis 1949 und 1952 auch

im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Hier wurden gesellschaftliche Themen kontrovers

diskustiert.29

Das vorliegende Kapitel möchte jedoch erst mit der Entwicklung in Deutschland

ansetzen. Gewählt wurde dabei der Zeitpunkt, an dem eindeutig von Vorläufern der

heutigen Talkshows gesprochen werden kann.

Die Geschichte des als Talkshow zu definierenden Genres in Deutschland reicht bis in

die frühen 50er Jahre zurück. Auch wenn damals der Begriff Talkshow noch nicht als

Bezeichnung dieses Genres gebräuchlich war, lässt sich als wichtiger Startpunkt der

Talkshowentwicklung der 29. August 1953 ausmachen. An diesem Tag ging der

Internationale Frühshoppen, eine von Werner Höfer entwickelte und ebenfalls

moderierte Gesprächsrunde, bestehend aus fünf Journalisten verschiedener Länder, das

erste Mal auf Sendung. Der Beginn einer langen Karriere, denn die Sendung hielt sich

34 Jahre lang, bis zu Werner Höfers Rücktritt im Jahr 1987, auf dem Bildschirm. Im

Dezember 1987 wurde sie durch den ähnlich konzeptionieren Presseklub ersetzte. Der

29 Vgl.: Keller (2009), S. 26

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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Internationale Frühshoppen war Markenzeichen des Senders ARD und zugleich für die

Öffentlichkeit in der jungen Bundesrepublik die wichtigste Institution. Hier wurden

sowohl internationale Probleme in den Fokus gerückt, als auch die Innenpolitik nicht

nur kritisch diskutiert, sondern auch nachhaltig beeinflusst (1962 Spiegel-Äffäre,

Nannen Skandal 1968).30 Man könnte dem Format somit durch seine weitgehende

Monopolstellung bis in die 70er Jahre eine bedeutsame Rolle als Orientierungspunkt im

politischen Willens- und Meinungsbildungsprozess zuschreiben.31 Doch der

Internationale Frühshoppen fand keinesfalls überall Zuspruch. In der Presse und der

Öffentlichkeit wurden häufig die „autoritäre Gesprächsführung des Moderators und sein

Hang zur Selbstdarstellung kritisiert“32. Untersuchungen ergaben, dass Höfer selbst ca.

ein Drittel der Sendezeit für seine eigenen Redebeiträge beanspruchte,33 „seine Bildung

durch übertriebenen Fremdwortgebrauch dokumentierte, zu viele Themen nur anrissß

und ausländische Kollegen häufig für Fehler ihrer Regierungen verantwortlich

machte.“34 1959 erschien im Spiegel eine der Werner-Höfer-Schau gewidmete

Titelgeschichte, die mit den Worten schloss:

„Gebraucht würde ein neuer Frühshoppen: mit interessanten Leuten, nicht unbedingt aus

fünf Ländern, mit wenigen, des Gesprächs werten Themen, ohne Trinksprüche, ohne

Biertisch-Sentimentalitäten, ohne den schwererträglichen Biedermannston, und wenn unter

dem bisherigen Gesprächsleiter, dann unter einem neuen Werner Höfer, der den bBilligen

Jakob in der Requisitenkammer des Kölner Funkhauses abgeladen hat.“35

Schon in dieser Aussage wird deutlich, dass es bereits damals ein dringendes Bedürfnis

nach effizienten, themenorientierten Talkshows gab. Dieses Bedürfnis wurde aber erst

viele Jahre später umgesetzt. Ebenso lassen sich in der Fachpublizistik, ins besonders

im Wahljahr 1953, erste Überlegungen finden, wie politische Berichterstattung im

Fernsehen ausgebaut werden könnte in Hinblick auf eine Sendeform, die unter heutigen

Gesichtspunkten als Talkshow oder gar Wahlduell bezeichnen werden könnte. Eine sehr

konkrete Vorstellung beschreibt die Zeitschrift Fernsehen im Jahre 1953:

„Man könnte sich also vorstellen [.] dass der Fernsehrundfunk zum Beispiel die Vertreter

von zwei oder mehr Parteien an einen Runden Tisch setzt und sie untereinander über

30 Vgl: Foltin (1994), S. 73f. 31 Vgl.: Tenscher/Schicha (2002), S. 11 32 Foltin (1994), S. 74 33 Vgl.: Foltin (1994), S. 74 34 Ebd., S. 74 35 Ebd., S. 74

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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Wahlprogramme diskutieren lässt. Das würde schon lebendiger sein als ein Vortrag, auch

aufschlußssreicher und fernsehgemäßer. […] Die Parteien müssten ihre besten Debatter

stellen […] Die Dauer einer solchen Diskussion oder eines Zwiegesprächs könnte unseres

Erachtens zwischen 30-45 Minuten liegen; es würde ein Fehler sein, wenn die Zeit dieser

Sendung zu knapp angesetzt würde. In einer Diskussion, die ebenso hart wie fair sein soll,

müssen sich die Teilnehmer warm laufen können. Die Zuschauer werden am

Fernsehempfänger gebannt bleiben, wenn es sich wirklich um eine echte Aussprache

handelt.“36

Obwohl der Internationale Frühshoppen in der Forschung durchgehend als wesentlicher

Vorläufersendung der heutigen Talkshows in Deutschland bezeichnet wird, herrscht in

der Literatur Uneinigkeit darüber, ob dieser der Definition Talkshow wirklich

entspricht. Ein Grund sei, so Hans-Friedrich Foltin, das fehlende Studiopublikum.37

Hierbei handelt es sich aber um eine Voraussetzung, die heute nicht mehr ganz aktuell

zu sein scheint, denn so wären Talkshows, wie zum Beispiel Menschen bei

Maischberger, die ohne ein Studiopublikum aufgezeichnet werden, nicht als Talkshow

zu klassifizieren. Auch das Argument, dass die Sendung keine Talkshow sei, weil sie

„eine Diskussion über ein vorgegebenes, von der Aktualität diktiertes Thema ist, eben

ein Sachgespräch ohne Präsenzpublikum“38 scheint anlässlich der heutigen

Themenwahl in Talkshows ein ebenfalls überholtes Kriterium zu sein. Somit wollen wir

hier den Internationalen Frühshoppen als den Beginn der Talkshowgeschichte ansehen.

Neben diesem gab es in den frühen 50er Jahre eine Reihe weiterer Gesprächssendungen

und Versuche Sendekonzepte dieser Art zu entwickeln, die jedoch teilweise nicht allzu

gut dokumentiert sind. Um an dieser Stelle nicht den Rahmen der vorliegenden Arbeit

zu sprengen, aber trotzdem einen fundierten Eindruck der Entwicklung des Genres zu

bekommen, werden im Folgenden nur die wichtigsten Stationen kurz vorgestellt und

angerissen, da für die Magisterarbeit und die Thematik des Erkenntnisgewinns eine

detaillierte Beschreibung der Entstehungsgeschichte nicht essenziell von Bedeutung ist.

Neben dem Internationalen Frühshoppen experimentierte Werner Höfer zu Beginn der

50er Jahren mit einer weiteren Gesprächssendung, die eindeutig als eine echte

Talkshow zu klassifizieren ist. Ohne Kenntnis der Vorbilder aus den USA stellte er dem

Sender das Konzept einer unterhaltsamen Gesprächssendung vor, das Rhein-Ruhr-

36 Keller (2009, S. 123f. 37 Vgl.: Foltin (1994), S. 74 38 Fley (1997), S.22

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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Clübchen.39 „An jedem von mehreren kleinen Tischen saßen mehr oder weniger

bedeutende Gäste, von denen ich dachte, es würde sich lohnen, sie dem Publikum

vorzustellen und sie untereinander bekannt zu machen – weil sie im Gerede waren, oder

weil sie etwas zu sagen hatten.“40 Diese fand aber bei Programmverantwortlichen und

Zuschauern keinen großen Zuspruch und wurde nach wenigen Ausstrahlungsterminen

wieder eingestellt.

Ganze zehn Jahre nach dem Sendestart des Internationalen Frühshoppens stieg auch

das ZDF in das Geschäft mit dem neuen Genre ein. Von 1963 bis 1991 trafen sich in der

Sendung Journalisten fragen – Politiker antworten alle vier Wochen prominente

Politiker sowie zwei Journalisten und lieferten sich unter der Moderation von Reinhard

Appels einen verbalen Schlagabtausch.41 Im Jahr 1977 wurde die Sendung durch die

etwas offener gestaltete Bonner Runde abgelöst, die in ihrer Konzeption sehr große

Ähnlichkeiten mit heutigen politischen Talkshows aufwies. Auch hier trafen sich

Parteipolitiker, unter der Leitung von zwei Journalisten zum Meinungsaustausch.

Moderator Johannes Gross beschrieb das Sendekonzept in einem Vortrag42:

„Die Bonner Runde ist […] keine Sendung, die nicht allein auf Fragen abgestellt ist,

sondern sie soll eine Gesprächssendung sein. […] Die Teilnehmer sitzen in einem Halbrund

drei Kameras gegenüber, die nach beiden Seiten beweglich sind, so dass man immer

Großaufnahmen des jeweils Redenden und Zwischenschnitte eines Mannes bringen kann,

der gerade nicht redet, aber irgendwelche physiognomischen Reaktionen zeigt. Es gelingt

manchmal sehr gut, Ausdrücke von unendlicher Langeweile einzuspielen […] Das Ziel der

Sendung ist es eigentlich, die Politiker in einem möglichst natürlichen Zustand zu zeigen,

und der Informationswert muss nicht unbedingt eine politische Neuigkeit sein, sondern

kann auch einfach darin bestehen, dass man erkennen kann, wie ein Politiker in einer für

ihn heiklen Situation zu reagieren pflegt.“43

In den 70er Jahren eröffneten sich in Bezug auf das Genre Talkshow auch für den

Bürger neue Möglichkeiten. Im seit 1971 im Bayrischen Rundfunk ausgestrahlten

Wirtshausdialog Jetzt red i, aber auch in der ZDF-Sendung Bürger fragen – Politiker

antworten konnten zum ersten Mal auch die Bürger in die Frage- und Rednerrolle

39 Vgl.: Foltin, (1994), S. 75 40 Barloewen/Brandenberg (1975), Seite 11 41Vgl.: Tenscher/Schicha (2002), S. 11 42 Vgl.: Keller (2009), S. 185f. 43 Ebd, S. 186

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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schlüpfen.44 So rückten die politischen Diskussionssendungen zunehmend weg von

ihrem, bis dahin üblichen, Elitediskusstatus und näher an den Normalbürger heran.

Versucht man ein Resümee, über die ersten 20 Jahre, der kontinuierlichen

Talkshowentwicklung zu ziehen, zeigt sich, dass bis zum Jahr 1973 nicht nur ein

Begriff für dieses neue Genre, sondern auch jegliches Bewusstsein dafür fehlte, dass es

sich hierbei um eine Sendungsgattung handelte, die das Potenzial in sich trug, ein

äußerst wichtiger Grundpfeiler des Fernsehprogramms zu werden. Außerdem gab es bis

Anfang der 70er Jahre noch eine deutliche Skepsis, insbesondere bei den öffentlich-

rechtlichen Sendeanstalten, gegenüber, auf Unterhaltung ausgerichtete Talkshows, wie

sie in den USA schon seit den 50ern gesendet wurden. Eine Tatsache, die einen sehr

deutlichen Einfluss auf die Talkshowentwicklung dieser Zeit hatte. Während die

amerikanischen Talkshows, mit primär unterhaltungsorientiert und nicht-politischen

Sendungskonzepten, Anfang der 70er Jahre, einen regelrechten Boom erlebten, lagen

die deutschen Fernsehmacher zu diesem Zeitpunkt weit hinter ihren Vorbildern aus dem

Westen zurück. Der Grund: Die deutschen Fernsehanstalten hatten noch nicht das

Potenzial der Sendungen erkannt und waren sich so auch keineswegs der notwendigen

Vorbereitungen und Hintergrundarbeit bewusst. Während in Deutschland Talkshows zu

Beginn eher Billigprodukte waren und dies auch an der Qualität merkbar war, standen

den amerikanischen Produktionen, finanziert durch eingeblendete Werbeblöcke, ganz

andere Summen zur Verfügung. Und so dienten die US-Talkshows zwar als Vorlagen

und Orientierung für die deutschen Talkshowmacher, stammten jedoch von ihrer

Machart her aus einem Produktionssystem, das sich von dem des deutschen Fernsehens

grundsätzlich unterschied. Ein redaktionelles Team von ca. 30 Personen, zuständig für

Recherche, Gästeauswahl, Vorinterviews und Formulierungshilfe stand hinter den

US-Talkmastern und machte so erst fünfmal wöchentlich eine 90minütige Sendung

möglich. Was heute für eine deutsche Talkshow üblich ist, wars damals noch

undenkbar.45

Inspiriert durch den Unterhaltungstalkshowboom in den USA ging am 4. März 1973 die

erste nicht-politische Prominenten-Talkshow auf Sendung. Je später der Abend wurde,

moderiert von ihrem Entwickler Dietmar Schönherr, zunächst im WDR und ab

44 Vgl.: Tenscher/Schicha (2002), S. 11 45 Vgl.: Foltin (1994), S. 76f.

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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Jahreswechsel bis 1978, bundesweit in der ARD gesendet und in der zeitgenössischen

Wahrnehmung als erste deutsche Talkshow gefeiert. Dietmar Schönherr eröffnete die

erste auch so benannte Talkshow mit den Worten:

„´Eine Talkshow, was ist das? […] Talk kommt von to talk, reden, und das Ganze ist also

eine Rederei` scherzte der Talkmaster und stellt erst einmal klar, dass es sich hier nicht um

eine übliche Unterhaltungsshow handele. ´Und wenn hier jemand singt, dann höchstens im

Sinne der Ganovensprache, dass er nämlich etwas ausplaudert, was er eigentlich nicht

sagen wollte. Talkshow ist etwas, das wir alle nicht kennen. Ich hoffe, Sie haben Lust, es

gemeinsam mit mir und mit unserem Publikum hier kennenzulernen`.“46

Die zentrale Zielsetzung der Sendung formulierte der WDR-Redakteur Hüttenrauch im

Spiegel47 etwas zugespitzter: „Gäste mit freundlichen, aber gezielten Fragen zu

ermuntern, Auskünfte zur Person zu geben, um diese möglichst bis an die Grenze des

seelischen Striptease zu entblättern“.48 Mit Je später der Abend wurde ein Stück

Talkshowgeschichte geschrieben, da diese Sendung den Weg ebnete, für viele, in den

nächsten Jahren und Jahrzehnten, auf Unterhaltung, statt politische Diskussion setzende

Formate. In den folgenden Jahren gingen die öffentlich-rechtlichen Anbieter mit unter

anderem Der heiße Draht (1973), III NACH NEUN (1974) und Kölner Treff (1976) und

weiteren, mehr auf Unterhaltung, als auf Politik ausgerichtete Talkrunden auf Sendung.

Die neue Zielsetzung schien zu sein „gesellschaftliche Themen aufzugreifen, sowie jene

prominenten Gäste und einfachen Leute einzuladen, die versprachen, die bis dahin

gepflegten Fernsehrituale, überkommene Traditionen und Werte in Frage zu stellen.“49

Diese Entwicklung zeigt eine neue Ausbildung des Genres, die für ihre oberflächliche

Befragung und die Personen-, statt Themenorientierung kritische beäugt wurde, aber

jedoch bis heute von Erfolg gekrönt wird. So sorgt zum Beispiel die von Radio Bremen

produzierte Runde III NACH NEUN auch heute noch im 36sten Jahr ihres Bestehens

Monat für Monat für erfolgreiche Quoten. Während Anfang der 80er Jahre der

Talkshowboom etwas stagnierte, stiegen, mit der Dualisierung der Rundfunklandschaft

Mitte der 80er Jahre, zunehmend auch die privaten Sender in das Talkshowgeschäft ein.

Sie hatten bald nicht nur die öffentlich-rechtlichen Anbieter im Sendungsangebot um

Längen überholt, sondern setzen auch inhaltlich völlig neue Akzente. Der bisher

46 Fley (1997), Seite 21 47 Vgl.: Plausch mit Rosa (Der Spiegel 38/1973), S. 169 48 Tenscher/Schicha (2002), S. 12 49 Ebd., S. 12

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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weitgehend gepflegte sachlich-faire, lösungs- und themenorientierte Diskursstil, wurde

bald abgelöst durch Konfrontation, Schlagfertigkeit, Dreistigkeit und Sarkasmus.

Sendungen wie Dall-As (1985, RTL), Explosiv – Der heiße Stuhl (1989, RTL) und

Einspruch! (1992, Sat1) boten eine völlig neue Form der Talkshowunterhaltung.

Es ist festzustellen, dass je nachhaltiger sich das neue Genre als ein eigenständiges

Fernsehformat etablierte, umso stärker beschleunigte sich die Ausdifferenzierung in

verschiedene Subgruppen.50 Mit den 90er Jahren kam es somit zu einem regelrechten

Talkshow-Boom, einer Art zweiten Erfolgswelle. Eine massive Erweiterung des

Angebotes, durch eine Ausdifferenzierung in verschiedene Talkshowformen, wie zum

Beispiel Personality-, Promienten-, Kultur, Late Night-, Themen-, Daily – und

Bekenntnisshows und gleichzeitig eine damit einhergehende quantitative Ausdehnung

des Angebotes, bestimmte die Fernsehlandschaft. Diese brachte auch eine deutliche

Änderung der Themen mit sich, statt politisch, gesellschaftlich, kulturell, oder durch

Prominente geprägte Fragestellungen, rückten nun zunehmend Probleme und Themen

aus dem Privatleben des Durchschnittsbürgers in den Mittelpunkt des Interesses.

Insbesondere die privaten Sender entdeckten, mit den vielfach diskutierten

nachmittäglichen Daily-Talkshows, eine Möglichkeit quotenstark und zugleich sehr

kostengünstig zu produzierende Unterhaltung anzubieten.

Die Entwicklung des Talkshowgenres lässt sich als eine Art wellenförmiger, sich

zeitweise aufschaukelnder Prozess beschreiben. Nach der, insbesondere durch die

Daily-Talks der privaten, kommerziellen Sender (RTL, Sat1, ProSieben) geprägten

rasanten Boomphase in den 90er Jahren, scheint es in diesem Bereich, seit Beginn des

21. Jahrhunderts, eine Art Konsolidierungsphase zu geben. In dieser verschwanden,

genau die gerade noch Programm bestimmenden Nachmittagssendungen nach und nach

von der Bildfläche. Gleichzeitig etablierten sich bei den öffentlich-rechtlichen Sendern,

sowohl die abendlichen Prominenten-Talkshows, als auch die politischen Talkrunden

als stabile Quotenbringer und insbesondere Profil bestimmende Markenzeichen.51 Mit

der Sendung Sabine Christiansen, die 1998 in der ARD auf Sendung ging und der nur

ein Jahr später folgenden ZDF-Runde Berlin Mitte, heute Maybrit Illner, setzten die

öffentlich rechtlichen Sender neue Maßstäbe in der politischen Talkshowunterhaltung.

50 Vgl.: Tenscher/Schicha (2002), S. 12 51 Vgl.: Ebd., S. 9

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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Im September 2007 löste Anne Will mit ihrer Sendung Anne Will Sabine Christiansen

auf ihrem Sendeplatz ab. Auch mit der, seit September 2003 in der ARD weitgehend

politisch-gesellschaftlichen Themen gewidmeten Sendung Menschen bei Maischberger,

moderiert von Sandra Maischberger und Frank Plasberg´s Hart aber fair (seit Oktober

2007 in der ARD, zuvor 2001-2007 im WDR), seien nur zwei weitere Sendungen

genannt, die in den letzten Jahren den Markt der politischen Talkrunden dominierten

und es bis heute noch tun.

Festzuhalten ist, dass bis auf die Ausnahme der Sendung Talk im Turm (Sat1), die

politische Talkshow bis heute fast ausschließlich in der Hand der öffentlich-rechtlichen,

inklusive der dritten Programme, sowie der privaten Nachrichtensender N24 und n-tv

blieben. Auf dem Markt Promienten- und Unterhaltungstalkshows zeigt sich aktuell

auch eine starke Dominanz bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, sowie ihren dritten

Programmen. Alfred Biolek talkte bis 2003 mit Boulevard Bio (ARD) quotenstark in

der ARD, Beckmann (bis heute ARD) und die Johannes-B.-Kerner Show (bis 2009,

ZDF) liefen jahrelang erfolgreich im Abendprogramm und sogar die seit 1995 in SAT1

sehr erfolgreiche Late Night Talkshow, die Harald-Schmidt-Show, verlor ihren

Moderator, samt Sendung 2004 an die ARD. Seit 2009 zeichnet sich eine leichte

Konkurrentenentwicklung durch den Privatsender Sat1 ab. Johannes B. Kerner, verließ

2009 das ZDF, um in SAT1 eine neue Talkshow, mit ähnlichem Konzept, namens

Kerner zu übernehmen, aber auch Harald Schmidt kündigte für 2011 seine Rückkehr zu

Sat1 an. Inwiefern somit in den kommenden Jahren die privaten Sender wieder

deutlicher im Talkshowgeschäft mitmischen werden, bleibt abzuwarten.

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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1.2.3 Die inszenierte Talkshow-Politische Werbung, Selbstdarstellung

und der Vorwurf der Inszenierung

„Es gibt drei Typen von Politikern: die Schmerzfreien, die Filigrantechniker und die

Exoten!

Schmerzfreie sind in der Regel die parlamentarischen Geschäftsführer der Parteien, das ist

Teil ihrer Arbeitsplatzbeschreibung. Die wollen zunächst ihre Keymessage abliefern, egal

ob es blitzt oder donnert.

Trickreicher arbeiten zum Beispiel Guido Westerwelle, Peer Steinbrück, Norbert Röttgen

oder Renate Künast. Die antworten so, wie Ronaldinho Fußball spielt, links vortäuschen,

rechts vorbei…

Zu den Exoten, die die Fragen nicht nur richtig verstehen, sondern sich auch noch

verständlich und zur Sache äußern, gehören irgendwann eigentlich alle mal. Man muss sie

nur dazu bringen.“52

Maybrit Illner

Die Funktion, Werte, sowohl ökonomisch, als auch ethisch in verbindlicher Weise an

die Umwelt weiterzugeben, übernehmen nach David Easton politische Systeme.53 Um

diese Aufgabe dauerhaft erfüllen zu können, müssen politische Systeme die Ansprüche

und Bedürfnisse ihrer Umwelt wahrnehmen und benötigen von dieser ein gewisses Maß

an Unterstützung. Funktionsfähige politische Systeme sind folglich auf einen

gegenseitigen und dauerhaften Austausch mit ihrer Umwelt angewiesen, um einerseits

die Interessen dieser wahrzunehmen und andererseits politische Entscheidungen an die

Umwelt zu vermitteln.54

Das Fernsehen nimmt einen immer wichtiger werdenden Stellenwert im

Politikervermittlungsprozess ein. Geradezu eine Art Vermittlerrolle zur Weitergabe von

Politik an die Bürger, wird dem Fernsehen zugesprochen. Grund hierfür ist aus Sicht

vieler Rezipienten die Tatsache, dass das Fernsehen Politik am authentischsten

vermittelte, den höchsten Glaubwürdigkeitsgrad und Unterhaltungswert und zudem die

größte Reichweite aufweise. Viele Bürger nutzen das Fernsehen als maßgebliche

Quelle, um sich politisch zu informieren. Die daraus resultierende Folge ist leicht zu

verstehen: je größer das Interesse des Bürgers an der politischen Fernsehvermittlung,

52 Illner, Maybrit (2009), S. 42 53 Vgl.: Bußkamp (2002), S. 17 54 Vgl.: Luhmann (1975), S. 9ff.

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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desto größer auch die Bedeutung des Fernsehens als Quelle politischer Information. Die

Folge: Die Attraktivität des Fernsehens, dieses als Politiker, als Vermittlungsmedium

für politische Inhalte zu nutzen, steigt.

Die Relevanz des Massenkommunikationssystems Fernsehen für die Vermittlung von

politischen Inhalten ist also unbestreitbar. Werden die Inhalte, die auf diese Weise

vermittelt werden, genauer betrachtet, so wird deutlich, dass Politiker nicht nur

politische Einstellungen und Entscheidungen in die Öffentlichkeit transportieren und ein

Sachthema ausschließlich auf einen Erkenntnisgewinn hin diskutieren. Vielmehr legen

sie große Bemühung an den Tag, sich dabei selbst möglichst positiv zu präsentieren –

sich folglich selbst darzustellen. Anzumerken sei an dieser Stelle, dass in der Sendung

geladene Nicht-Politiker-Gäste in ihrem Verhalten ähnlich agieren können, wie

politisch Handelnde. Somit wird in diesem Kapitel exemplarisch das Verhalten der

Politiker dargestellt.

Bezeichnet werden kann, vereinfacht definiert, als oberstes Ziel der Politik, eine

Veränderung oder Stabilisierung der Machtsituation. Die Thesen der Politiker, sowie

die Parteiprogramme, sind als Mittel zur Erreichung dieses Ziels zu beschreiben. Sieht

man Kommunikation als eine Form des sozialen Handelns, so liegt das

Kommunikationsinteresse, das Hauptbestreben, des politisch Handelnden, darin die

potenziellen Wähler von der Richtigkeit dieser Thesen zu überzeugen55 und somit auch

sich selbst, als Verkörperung der Lösung des Problems, bestmöglichstbestmöglich zu

präsentieren. Eine optimale Plattform hierfür bietet sich in der politischen Talkshow.

Das sich daraus ergebende Problem ist hierbei, dass das Format sich nicht offiziell als

eine Wahlwerbesendung präsentiert, sondern vielmehr dem Zuschauer eine

erkenntnisreiche Diskussion zu einem politischen Sachthema verspricht. Politische

Propaganda, fortgesetzt in der Selbstdarstellung des Politikers, als das eigentliche Ziel,

des politischen Talkshowgastes, kann also nicht offen präsentiert werden. Aber auch

wenn dieses Ziel nicht erkannt oder auch absichtlich verborgen wird, durchdringt und

beeinflusst es die öffentliche Darstellung der Information.56 Ein Umstand, der

folgenreiche Gefahren birgt.

55 Vgl.: Jackob (2007), S. 118 56 Vgl.: Holly/Kühn/Püschel (1986), S. 150

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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Doch zunächst einmal soll betrachtet werden, wie politische Propaganda die

Medienberichterstattung steuert. Viele politische Organisationen haben in den letzten

Jahren ihre Abteilungen für Öffentlichkeit strukturell umgestaltet und vergrößert. Hinzu

kommt, dass mittlerweile jeder in der Öffentlichkeit agierende Politiker ein mediales

Training durchlaufen hat, das ihn teilweise sogar besser ausgerüstet in einer Talkshow

erscheinen lässt, als manchen Moderator. Der medialen Berichterstattung werden so

indirekt filternde und kanalisierende Mechanismen vorgeschaltet und sie somit anfällig

für eine strategische Beeinflussung, durch politische Kommunikationsmanagemente,

gemacht.57 Das heißt, politische Akteure versuchen, mit Unterstützung journalistisch

ausgebildeter Öffentlichkeitsstrategen, methodisch den Modus Berichterstattung der

Medien zu lenken.58 Dieser Einflussnahme bezieht sich natürlich nicht nur auf

politische Talkshows, doch dies sei hier nur angedeutet.

Die Einflussnahme findet nicht erst in der Sendung oder dem Interview statt, sondern

bereits in der Themenfindung. So ist als ein zentrales Instrument der politischen

Öffentlichkeitsarbeit und der symbolischen Politik das inszenierte und tagesaktuelle

Pseudoereignis zu nennen. Ein Ereignis, das, gäbe es keine Massenmedien, die darüber

berichteten, so nicht stattfinden würde.59 Das Pseudoereignis wird explizitert von der

Politik inszeniert, um Aufmerksamkeit zu gewinnen, einen bestimmten Eindruck zu

erwecken60 und so eine Berichterstattung über ihre politischen Botschaften zu erwirken.

Als Beispiel für ein solches Ereignis kann eine Pressekonferenz genannt werden. Die

Anzahl solcher inszenierter Pseudoereignisse hat in den letzten Jahrzehnten erheblich

zugenommen. Die Beeinflussung durch die Politik hat so schon vor dem Stattfinden der

eigentlichen Sendung eine große Erfolgschance. Talkshowredakteure nehmen sich bei

ihrer Themen- und Gästewahl genau dieses Pseudoereignisses und seiner Akteure an, da

weil dieses gerade überall präsent ist, bzw. von den Öffentlichkeitsstrategen der Politik

geschickt platziert wurde, ohne dass jemand bemerkt hat, in welcher Weise hier eine

Beeinflussung der Medienberichterstattung vonstattengeht.

57 Vgl.: Sarcinelli (1996) S. 306 58 Vgl.: Matthies (1993), S. 143 59 Vgl: Schmitt-Beck (1994), S. 276 60 Vgl.: Kamps (1998), S.34

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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„Macht und Ohnmacht der Journalisten liegen eng beieinander“61 und es sei an dieser

Stelle angemerkt, dass es natürlich ebenso eine Beeinflussung der Politik seitens der

Medien gibt. „Die Trennung von politischen Institutionen und Massenmedien ist

weitgehend aufgehoben und einer wechselseitigen funktionalen Abhängigkeit

gewichen.“62 Doch dies sei hier nur am Rande erwähnt. Für die vorliegende Arbeit und

die Bedeutung des Erkenntnisgewinnes ist es insbesonderes wichtig zu wissen, was in

den Medien, in der politischen Talkshow passiert, und somit zweitrangig, welchen

Einfluss diese auf die Politik ausstrahlen.

Sieht man die politische Talkshow als eine Art Theaterbühne, so kann einen Schritt

weitergegangen, der gesamten politischen Talkshow ein Inszenierungscharakter

unterstellen werden. Dieser Vorwurf ist nicht neu und in der Literatur und Presse schon

des Öfteren ausführlich thematisiert. Jedoch ist für die weitere Untersuchung der, der

Magisterarbeit zugrunde liegendden Fragestellung wichtig, sich über die möglichen

Inszenierungsansätze im Klaren zu sein, um mögliche, sich daraus ergebenden

Problematiken, in Bezug auf den Erkenntnisgewinn, richtig deuten und einordnen zu

können.

Inszenierung von Werbung an sich, ist zunächst nicht sonderlich beunruhigend, denn

jede Werbung, auch politische, muss irgendwie präsentiert werden, um den Wähler zu

erreichen.63 Hinzu kommt, dass auch die politische Berichterstattung ohne eine Form

der Inszenierung beim Zuschauer wohl eine viel geringere Aufmerksamkeit erzielen

würde. Prinzipiell ist es die Wirkung von Inszenierung, zu strukturieren, auszuwählen

und spezifische Darstellungsmittel in strategischer und spezifischer Weise auf

Rezipientenwirkung hin auszurichten.64 Der inszenatorische Charakter der Politik ist

keinesfalls ein neues Phänomen, sondern ist bereits seit der Antike als ein fester

Bestandteil dieser zu definieren.65 Schon im Jahre 1513 empfahl Niccolò Machiavelli,

dass der Fürst darauf achten müsse, dass er, von Treue, Milde, Menschlichkeit,

Aufrichtigkeit, und Frömmigkeit erfüllt scheine, wenn man ihn sehe66. In der heutigen

Politikvermittlung ist nur noch deutlicher geworden, dass Politik eine Ware ist, die

61 Boventer (19.03.1993): Sklaven der Vergnügungsmaschinerie. 62 Ebd. 63 Vgl.: Lucas (1992), S. 26 64 Vgl.: Scheurle (2009), S. 97 65 Vgl.: Rolke (2003), S. 147 66 Vgl.: Merkel (2003), S. 74

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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bestmöglich an den Wähler verkauft werden muss. Eine nicht ganz einfache Aufgabe,

weil dieser zunächst einmal für die Ware interessiert werden muss. Um dies zu

erreichen, werden Botschaften oft verkürzt, verdichtet und symbolhaft dargestellt, um

diese leicht verständlich, attraktiv und unterhaltend zu präsentieren.67 Politik als Ware

reduziert diese Botschaften auf inszenierte kameragerechte Ereignisse68 und 20-

Sekunden-Statements, angeboten als Sonderangebot des Tages.69

Bedenklich wird dies jedoch, wenn Talkshowmacher selbst mehr den

Inszenierungsregeln als inhaltlichen Kriterien folgen und zudem politische Gäste mehr

Anstrengungen in das Generieren von Aufmerksamkeit, Unterstützung und positive

Imagepflege für sich selbst investieren, statt den Prozess der politischen Willensbildung

in Gang zu halten.70 Sie bieten dem Zuschauer so nur noch oberflächliche und seichte

politische Informationen an, der jeglicher substanzieller Inhalt fehlt. Letztendlich wird

so, und hier liegt die Hauptgefahr, durch diese Art der Inszenierung verschleiert, dass es

sich hierbei um eine politische Werbung handelt. Durch diese Form der Täuschung des

Rezipienten gewinnt die politische Talkshow einen doppelbödigen Charakter.71 Hier

beginnt eine subtile Beeinflussung des Zuschauers und auch des kompletten

Meinungsklimas.

Heidrun Abromeit hat 1972 im Anschluss an die These Habermas vom Strukturwandel

der Öffentlichkeit beobachtet, wie sich dies auf die öffentliche Diskussion auswirkt und

kommt zu dem Ergebnis, dass so die Gefahr entstehe, dass sich Öffentlichkeit

verwandele72

„in ein Medium der Werbung; an die Stelle der Diskutanten tritt der Public Relations -

Fachmann, der Werbemanager, dessen Aufgabe in der Schaffung eines günstigen

„Meinungsklimas“ besteht, hinter dessen Schutz Kompromisse ausgehandelt werden

können, ohne selbst zum Thema öffentlicher Diskussion werden zu müssen. Sowohl die

Unlust der Parteien, substanzielle Informationen zu politischen Fragen zu liefern, als auch

die vorherrschende Anpassungs- und Entpolitisierungsstrategie der Presse machen es

schließlich selbst dem willigen Bürger schwer sich rationale politische Meinungen zu

67 Vgl.: FORUM.MEDIEN:POLITIK (2004), S. 31f. 68 Vgl.: Plasser (2003), S. 237 69 Vgl.: Oertzen (2000), S. 11 70 Vgl.: Meyer (2000), S. 121 71 Vgl.: Holly/Kühn/Püschel (1986), S. 23 72 Vgl.: Ebd., S. 106

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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bilden; politische Beteiligung wird durch die weitgehend manipulierte „öffentliche

Meinung“ vorweg tendenziell neutralisiert und ins Unverbindliche abgeschoben.“73

Doch zunächst einmal zur Frage: Wie findet eine Inszenierung einer politischen

Talkshow statt?

Ähnlich einem Theaterstück folgt eine politische Talkshow bestimmten Regeln der

Inszenierung. Aufseiten der Talkshowmacher sind diese die Auswahl der Themen, die

Auswahl der Gäste, die Zusammenstellung der Gäste, die Provokation im Gespräch und

letztendlich die theatralische Präsentation von Gesprächen. Ziel hierbei ist es, den

Geschmack der Zuschauer zu treffen, um einen hohen Marktanteil für die Sendung zu

sichern.

Wer nun nach dem Erkenntnisgewinn als oberstes Ziel fragt, wird angesichts dieses

Inszenierungsspektakels ins Zweifeln kommen. Zu Recht? Inwiefern sich durch den

Inszenierungscharakter überhaupt ein Erkenntnisgewinn erreichen lässt, soll an späterer

Stelle geklärt werden.

Aufseiten der politischen Gäste ist als oberstes Ziel die Selbstdarstellung und politische

Werbung zu nennen. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit den politischen

Sachthemen weicht einer Legitimation und Rechtfertigung, sowohl auf sprachlicher, als

auch auf nicht sprachlicher Ebene. Oder wie Thomas Meyer es formuliert: „Politik als

Theater, so können wir in einer ersten Interpretation zuspitzen, ereignet sich immer

dann, wenn ein politischer oder Medienakteur A einem Publikum S ein X für ein U

vormacht und sich dabei der Inszenierungsmittel des Theaters bedient.“74 Das heißt:

„Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch die vielfältigen Tätigkeiten der

Politikvermittlung zielt sowohl darauf ab, bestimmte Themen auf der öffentlichen Agenda

zu platzieren und mit passenden Deutungsrahmen zu versehen […], als auch darauf, Images

von politischen Akteuren, d. h. Vorstellungsbilder von Personen und deren Eigenschaften,

zu kreieren, mitzugestalten und zu modifizieren. Gerade vor dem Hintergrund des

skizzierten Schwindels und der langfristigen Bindungskräfte gegenüber politischen

Organisationen […] gewinnt das Image Building an Relevanz, da es mehr als alles andere

hilft, die zunehmende Komplexität politischer Entscheidungs- und Willensbildungsprozesse

73 Holly/Kühn/Püschel (1986), S. 106 74 Meyer (1998), S. 9

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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zu reduzieren. Images vereinfachen die Politik durch Personifizierung und machen sie so –

scheinbar – auch den wenig politisch Interessierten zugänglich […]“75

Es soll einmal genauer betrachten werden, wie die politische Werbung und Imagepflege

in die Talkshow sprachlich integriert wird. Dabei lässt sich feststellen, dass im Dienste

der Werbung alle Sprechakte stehen, mit denen die politischen Akteure versuchen für

sich selbst oder gegen die anderen Gäste zu werben, oder sich selbst zu legitimieren. Zu

nennen sind hierfür beispielsweise Bewertungen, Einstellungsbekundungen,

Versprechen oder auch Aufforderungen. Wie Werner Holly, Peter Kühn und Ulrich

Püschel in ihren Untersuchungen zeigen, sind diese Sprechakte in argumentative

Sequenzen von Begründungen und Gegenbegründungen eingebettet. Diese sind

wiederum für das Muster einer solchen Diskussion typisch und sind76 „innerhalb der

sekundären Rahmung funktionalisiert“77, sodass die politische Propaganda praktisch

nebenbei erfolgt.78 „Unter dem Vorzeichen sachbezogener Argumentation wird

scheinbar ernsthaft eine These aufgestellt und begründet, bis durch eine kleine

Wendung zu einer Wertung, weitere argumentative Schritte direkt auf das eigentliche

Ziel, die politische Werbung, bezogen werden können.“79

Auch an der Struktur des Sendungsablaufes lassen sich nach Werner Holly, Peter Kühl

und Ulrich Püschel oftmals die Auswirkungen der verfolgten Selbstdarstellung, statt

argumentativer Auseinandersetzung mit den anderen Gästen, ablesen. Die Behandlung

eines Themas verläuft nicht gradlinig, sondern teils in großen Sprüngen80. Somit wäre

auch ins Auge zu fassen, ob dies einen Einfluss auf den Erkenntnisgewinn hat. „Von

einer an einem Großthema zentrierten Diskussion kann keine Rede sein.“81 Stattdessen

werden Themen aufgegriffen, entfaltet, aufgebauscht oder auch übergangen, je

nachdem, wie sie dem eigenen Image, der Selbstdarstellung des Gastes, nützen oder

aber dem Image der anderen Gäste in ihrer Selbstpräsentation vor den Zuschauern

schaden können.82

75 Tenscher (2003), S. 277 76 Vgl.: Petter-Zimmer (1990), S. 24 77 Petter-Zimmer (1990), S. 24 78 Vgl.: Petter-Zimmer (1990), S. 24 79 Holly/Kühn/Püschel (1986), S. 115 80 Vgl.: Ebd., S. 165 81 Ebd., S. 165 82 Vgl.: Petter-Zimmer (1990), S. 24

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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So stellt Oevermann zusammenfassend fest:

„[…] wo eine Sache nicht um ihrer selbst willen verhandelt wird, sondern Themen

ausgesucht werden, damit Personen in vorgezeichneten Gesinnungszuordnungen

unterhaltsam aufeinandergehetzt werden können und/oder die Moderatoren ihre pastorale

Gesinnungsbetreuung der Nation magistral ausspielen können, geht es schon lange nicht

mehr um das ruhige und sachkundige Ausloten von verschiedenen Standpunkten und

Betrachtungsperspektiven. Vielmehr wird mit Redebeiträgen um Präsenz im

Selbstinszenierungs-Theater gekämpft und im ausschließlichen Kampf um diese Präsenz

um Punkte in der Prominenz- und Interessantheits-Tabelle, die über die Einladung zur

nächsten Talk-Show bestimmt.“83

Der Inszenierungscharakter politischer Talkshows steht außer Frage. Sie stellen eine

Form einer ritualisierten Behandlung beliebiger Themen der politischen

Auseinandersetzung, eine Inszenierung des politischen Alltags, dar84 und bieten diesem

so eine Bühne. Dass eine unter den Bedingungen – begrenzte Zeit, Vertretung von

Parteieninteressen, Selbstdarstellung, Orientierung auf das Publikumsinteresse, gezielte

Provokationen durch Moderation und durch Gäste untereinander – inszenierte

Diskussion nicht mit allzu großem, informativem Inhalt aufwartet, verwundert kaum.

Personalisierung, Unterhaltung und Emotionalisierung stehen im Vordergrund und

fördern einen plakativen Schlagabtausch, bei dem jedoch eine wirkliche inhaltliche

Auseinandersetzung mit dem Thema ausbleibt. Es ist festzustellen, dass das Gespräch

untereinander, für eine Diskussion oftmals sehr reduziert ausfällt. Es werden die Fragen

der Moderation annähernd beantwortet und darauf geachtet dem Publikum die eigene

Position zu präsentieren.85 Die stattfindende soziale Inszenierung ist also nicht primär

Erkenntnis leitend und auf effektive Problemlösungen ausgerichtet, sondern zielt

vielmehr auf Reaktionen der Rezipienten ab, das heißt sie möchte Aufmerksamkeit

erregen, Meinungen provozieren, sowie Entscheidungen der politischen Handelnden

legitimieren.86

Politik ist eigentlich als ein Prozess zu sehen87, „in dem Akteure auftreten, Konflikte

entstehen und gelöst werden, Kompromisse eingegangen werden, Programme erstellt

und verfolgt werden, Probleme definiert und Lösungsvorschläge erarbeitet oder Ziele

83 Oevermann (1995/1996), S. 218f 84 Vgl.: Keppler (2006), S. 230f. 85 Vgl.: Schicha (2003), S. 225 86 Vgl.: Meyer/Ontrup/Schicha (2000), S. 206 87 Vgl.: Meyer (2000), S. 120

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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gesteckt und erreicht werden.“88 Kommt es jedoch zu einer „Zentrierung öffentlicher

Aufmerksamkeit auf das medial Spektakuläre, auf die politische Inszenierung, auf

symbolische Politik“89, trübt dies „das Bewusstsein für die Unterscheidung zwischen

politisch Wichtigem und Unwichtigem. Im modernen medial-politischen Prozess

wächst das Risiko des kollektiven Irrtums“90 und letztendlich besteht so die Gefahr,

dass die Politik selbst an Bedeutung verliert.

Wie die Beschreibung gezeigt, ist eine politische Talkshow als ein inszeniertes

Gespräch zu klassifizieren.91 Inwieweit dies einen Erkenntnisgewinn verhindert, ist von

dem Grad der Inszenierung, als auch dem Umgang mit dieser abhängig. Festzustellen

ist, dass die moderne Talkshow ein gewisses Maß an Inszenierung bedarf, es ist jedoch

darauf zu achten, wann Provokation, Show, Selbstdarstellung und Schaukämpfe

umschlagen in ein bewusstes Irreführen des mündigen Bürgers. Denn er ist derjenige,

für den diese Show gegeben wird und er hat sein Geld für Erkenntnisgewinn gezahlt.

„Sofern sich der Inszenierungsgehalt auf die Form der Präsentation beschränkt oder die

Vermittlung relevanter Informationen durch Inszenierungsmerkmale unterstützt und

nicht blockiert wird, ist dieses Verfahren aufgrund des empirisch festzustellenden

Unterhaltungsbedürfnisses des Rezipienten legitim, um die Zuschauer an bestimmte

Sendungen zu binden.“92 Die Aufgabe der Talkshowmacher ist es erkenntnislose

politische Propaganda, weitgehend zu unterbinden, reiner Selbstdarstellung keine

Bühne zu geben und die Thesen der Gäste kritisch zu hinterfragen. Sie sind zwar selbst

maßgeblich an der Inszenierung der Talkshow beteiligt, wenn auch mit anderen

Elementen als die Politiker, aber ihre Elemente und inszenierenden Eingriffe dürfen

nicht mit dem ausgeschriebenen Ziel der Talkshow – dem Erkenntnisgewinn –

kollidieren. Ob dies möglich ist, oder ob sich Talkshowmacher durch ihre Inszenierung

selbst den Weg zu einem Erkenntnisgewinn verbauen können, soll im Laufe der Arbeit

noch genauer untersucht werden. Ebenso soll festgestellt werden, wann

Selbstdarstellung und politische Propaganda zu einer Gefahr für den Erkenntnisgewinn

werden oder gar ein Nichtzustandekommen dieses verursachen.

88 Meyer (2000), S. 120 89 Sarcinelli (1996), S. 276 90 Ebd., S.276 91 Vgl.: Schicha (2007), S. 113 92 Ebd. (1998), S. 151

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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1.2.4 Die politische Talkshow als Unterhaltungsformat – Politainment,

Segen oder Fluch?

„Die politische Talkshow ist vielleicht der augenfälligste Beweis dafür, dass man

Information und Unterhaltung nicht mehr klar unterscheiden kann.“93

Thierse, Wolfgang in seiner Eröffnungsrede zum Mainzer Medien Disput 2003

Mit diesen Worten eröffnete der Politiker Wolfgang Thierse den Mainzer Mediendisput

2003. Eine Aussage, die eine vielschichtige Diskussion beschreibt, die in den letzten

Jahren mit der Talkshowgeschichte eng verknüpft ist.

Fernsehmacher, insbesondere auch Talkshowmacher, stehen Tag täglich vor der

Schwierigkeit politische Inhalte in anspruchsvollen, informativen, aber auch

gleichzeitig erfolgreichen Formaten zu präsentieren. Der vielfach diskutierten

Politikverdrossenheit zum Trotz wird von einer guten, politischen Berichterstattung

immer noch eine ernsthaft geführte Diskussion um politische Haltungen und Meinungen

erwartet. Hinzu tritt in der modernen Medienlandschaft die Erwartung, in einem

erfolgreichen Format angemessen unterhalten zu werden.94 Eine Vernetzung von

Information und Unterhaltung, in Bezug auf die Politik, stellt ein Spagat dar, das

bedeutsame Folgen haben kann.

Die Frage nach einer angemessenen Politikvermittlung ist, in Bezug auf die

wissenschaftliche Forschung, aber auch die Reflexion seitens der Politik selbst, nicht

neu und vielfach untersucht, dennoch aber in Hinblick auf das Genre Talkshow nach

wie vor hochaktuell. Gerade in Bezug auf die zu untersuchende Fragestellung nach dem

Erkenntnisgewinn stellt sich die Frage, inwiefern eine Vermischung von Unterhaltung

und Information oder gar eine deutliche unterhaltende Prägung, bei der Vermittlung

politischer Inhalte, einen möglichen Erkenntnisgewinn gefährden kann oder aber diesen

möglicherweise positiv unterstützt.

Anhand der Entwicklung des Fernsehens lässt sich deutlich sehen, dass schon zwischen

1985 und 1995 eine hauptsächlich unterhaltungsorientierte Nutzung des Mediums

zugenommen, gleichzeitig die Nutzung als reine Informationsquelle abgenommen hat.

Teilweise lässt sich eine polarisierende Nutzung des Mediums, als unterhaltendes oder

93 Die Welt (05.11.2003): Thierse zeigt sich besorgt über Trend zum Politainment 94 Vgl.: Diekmannshenke (2002), S. 390

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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informierendes Element erkennen.95 Das heißt, aus Sicht des Publikums verlor das

Fernsehen als Medium politischer Information an Bedeutung. Folglich mag es

konsequent erscheinen, dass sich, geprägt durch diese Erkenntnis, die Fernsehmacher

bei der Vermittlung politischer Inhalte auch zunehmend des Mittels der Unterhaltung

bedienten. In den 90er Jahren wird deutlich, dass sich aber keine zwei Richtungen

ausbildeten, sondern es vielmehr zu einer immer stärker werden Vernetzung von

Information und Unterhaltung kam. Andreas Dörner prägte in diesem Zusammenhang

den Begriff Politainment, in Anlehnung an den Begriff Infotainment und beschreibt

damit eine Koppelung und enge Bindung unterhaltender und politischer

Kommunikation.96

Schon 1985 hatte Neil Postman mit dem Begriff Infotainment dem Fernsehen

zugeschrieben, jedes Thema als oberflächliche Unterhaltung zu präsentieren und so den

Zuschauer die Urteilsfähigkeit zu nehmen, sich ein objektives Urteil bilden zu können

und kritisch zu hinterfragen.97 Andreas Dörner bindet mit seinem Begriff Politainment

die Politik mit ein. Der Begriff setzt sich, nach Dörner aus zwei Ebenen zusammen, die

sich gegenseitig beeinflussen:

1. Unterhaltende Politik: „Wenn politische Akteure – Personen, Parteien oder Verbände –

in den Fundus der Unterhaltungskultur greifen, um strategisch erfolgreich zu

kommunizieren, dann ist das unterhaltende Politik. Sie wird dargeboten vorzugsweise in

Wahlkämpfen, gehört aber mittlerweile als Zugriff auf mediale Öffentlichkeitsmacht zum

Alltagsgeschäft des politischen Handelns.“98

2. Politische Unterhaltung: „Politische Unterhaltung dagegen wird von der Kulturindustrie

betrieben. Hier benutzt man politische Themen, Ereignisse und Personen dazu, die

Angebote interessanter zu gestalten – seien es nun Game-Shows oder Serien, Krimis oder

Talkrunden. Ziel ist dabei nicht Meinungsbildung und Überzeugung, sondern Quote und

Erfolg am massenmedialen Markt.“99

Im Gegensatz zu Neil Postman spricht Dörner der neuen Verbindung mit der

Unterhaltung, in Bezug auf die Politik, jedoch nicht jegliche politischer

Vermittlungsfähigkeit ab, sondern betrachtet diese als eine neue fiktionale Realität des

95 Vgl.: Diekmannshenke (2002), S. 399 96 Kamps (2007), S. 150 97 Vgl.: Postman (1988) 98 Dörner (21.06.2002): Politainment versus Mediokratie. 99 Ebd.

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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Politischen.100 Doch birgt diese Form nicht neue Gefahren für den Zuschauer? Thomas

Meyer beschreibt die Wirkung des Politainments wie folgt:

„Die öffentliche Darstellung von Politik und ihr realer Vollzug werden durch

„Politainment“ prinzipiell entkoppelt. Für die Bürgerinnen und Bürger ist kaum noch

nachvollziehbar, bei welchen der Darstellungen von Politik es sich um leere Inszenierungen

und bei welchen um geschickte Präsentationen tatsächlichen Vollzugs handelt. Es scheint

so, als hätten wir eine Neuauflage der höfischen Öffentlichkeit, die sich dadurch

auszeichnete, dass Politik dann, wenn wie den Interessen der Leute entsprach, als das

immer gleiche Spektakel auf der Staatsbühne gebracht wurde. Der Zusammenhang

zwischen dem Spektakel und dem, was wirklich geschieht, wird unberechenbar.“ 101

Festzustellen ist, dass die moderne Talkshow sich deutlich von ihren Vorläufern

unterscheidet. Als einen Hauptunterschied bezeichnen viele Untersuchungen das

Informationspotenzial, denn während frühere Talkrunden sich noch weitgehend der

Ernsthaftigkeit eines Bildungs- und Informationswertes verpflichtet sahen, wird den

aktuellen politischen Talkshows des Öfteren dieser komplett abgesprochen. Ein Grund

der Zunahme von unterhaltenden Elementen in politischen Talkshows läge, in den

zunehmenden Selbstdarstellungsfähigkeiten der mitwirkenden Politiker.102 So träten an

die Stelle der traditionellen Diskussionsformen teilweise regelrechte moderne

Politikinszenierungen. Eine Entwicklung, die ein kontrovers diskutierter

Untersuchungsgegenstand der wissenschaftlichen Forschung geworden ist. So werden,

in vielen wissenschaftsbasierten, aber auch journalistischen Kriterien zu diesem jungen

Genre, die Funktionen Information und Unterhaltung als Gegensätze behandelt. Dabei

wird Information positiv und Unterhaltung negativ eingeordnet. Pauschale

Verurteilungen der Unterhaltung finden sich des Öfteren: „Information ist

Bürgerpflicht. Unterhaltung, insbesondere Massenunterhaltung, […] suspekt“.103 Reine

Erkenntnis sei von den Massenmedien nicht mehr zu erwarten, vielmehr hätte sich das

Fernsehen längst in eine gigantische Vergnügungs- und Unterhaltungsmaschine

verwandelt, deren Sklaven die Journalisten seien.104 Talkshows haben, so viele kritische

Stimmen, keine primär ernsthaften Themen mehr und seien nicht auf Problemlösungen

100 Vgl.: Dörner (2001), S. 31ff. 101 Meyer (29.12.2003): Die Theatralität der Politik in der Mediendemokratie. 102 Vgl.: Wagner (2008), S. 136ff. 103 Ebd., S. 135 104 Vgl.: Boventer (19.03.1993): Sklaven der Vergnügungsmaschinerie.

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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ausgerichtet.105 Durch eine zu enge Verzahnung von Unterhaltung und Politik bestehe

somit die Gefahr, dass die politische Informationsaufnahme beeinträchtigt werde und

somit Talksendungen an politischer Effizienz verlieren würden.106 Zudem kann das

Image des Fernsehens, als ein Unterhaltungsmedium, als welches es auch hauptsächlich

vom Zuschauer wahrgenommen wird, eine beeinflussende Rolle bei der Rezeption

politischer Information spielen. Und letztendlich könne die lockere

Unterhaltungsatmosphäre anlässlich der Rezeption dazu beitragen, dass das Fernsehen,

vonseiten des Rezipienten, kaum noch als ein politisches Medium wahrgenommen

werde.107 Die Erwartungshaltung des Zuschauers nach Unterhaltung brächte so Politiker

und Fernsehmacher in Versuchung aus der politischen Talkshow eine

Unterhaltungsshow machen zu wollen, in der Politik nur als Schlagabtausch nach Reiz-

Reaktions-Schema, präsentiert werde108, um den Zuschauer am Bildschirm zu halten.

Ausgehend von diesen Annahmen, sind die Folgen verheerend. Die politische Talkshow

wird dadurch keine gute Unterhaltungsshow, weil sie schon alleine von ihren Elementen

nicht dafür konzipiert ist. Außerdem verliert sie zudem so die Legitimation, sich als

politische Talkshow bezeichnen zu dürfen. Aus einer Sendung mit politischem Inhalt

wird eine Inszenierung scheinbar politischer Inhalte, in Wirklichkeit aber nur eine

Selbstdarstellungsshow für Politiker und im schlimmsten Fall eine Beeinflussung von

Zuschauern ohne ihr Wissen. Gerade in Hinblick auf einen zu erreichenden

Erkenntnisgewinn in einer politischen Talkshow wäre dies eine große Gefahr.

Doch wie groß ist diese Gefahr wirklich? Kann eine Vermischung von Unterhaltung

und Information pauschal jegliche eigene Urteilsbildung der Zuschauer außer Kraft

setzen? Und muss sich eine Vernetzung dieser beiden Elemente zwangsläufig zum

Nachteil einer seriösen, ernst zu nehmenden und informativen Politikvermittlung

auswirken?

Politische Talkshows könnten, da sie unterhaltend sind, keine ernsthaften Informationen

und somit auch keinen Erkenntnisgewinn liefern, so der Tenor vieler Kritiker. Bei

genauem Hinsehen wird klar, dass diese Kritik ihre Basis in dem Stimulus-Response-

Modell hat. Das Stimulus-Response-Modell, auch Reiz-Reaktions-Modell, ist ein

105 Vgl.: Löffler (2002), S. 2322 106 Vgl.: Burrichter (1970), S. 160 107 Vgl.: Bußkamp (2002), S. 28f. 108 Vgl.: Leif (2002), S. 80

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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Modell zur Beschreibung des Kommunikationsprozesses. Es besagt, auf die

Medienwirkung angewandt, „dass sorgfältig gestaltete Stimuli jedes Individuum der

Gesellschaft über die Massenmedien auf die gleiche Weise erreichen, jedes

Gesellschaftsmitglied die Stimuli in der gleichen Weise wahrnimmt und als Ergebnis

eine bei allen Individuen identische Reaktion erzielt wird.“109 Es ist schlussßzufolgern,

dass von gleichen Stimuli auch gleiche Wirkungen ausgehen, eine Annahme, die heute

ihre Gültigkeit verloren hat und somit auch nicht als Beweis angeführt werden dürfte,

aber trotzdem nicht aus allen Köpfen verschwunden ist.110

Die Annahme, Information und Unterhaltung als gegensätzliche und einander

ausschließende Pole zu beschreiben, ist insofern als nicht mehr zeitgemäß, in Bezug auf

die heutigen Talkshows, als dass der Zuschauer Informations- und Unterhaltungs-

leistung in einer Art Symbiose wahrnimmt, und sich diese somit eher gegenseitig

unterstützen, als sich zu stören.111 Elisabeth Klaus bezeichnete in ihren Untersuchungen

Langeweile als das Gegenteil von Information und keinesfalls Unterhaltung. Übertragen

auf den Rezeptionsvorgang verweist sie darauf, dass die Trennung von Unterhaltung

und Information somit als ungerechtfertigt zu bezeichnen sei.112

Talkshowformate, die von ihren Machern als Unterhaltungsendungen konzipiert

wurden, müssen folglich nicht zwangsläufig vom Zuschauer als solche wahrgenommen

werden. Als informativ ist eine Mitteilung zu bezeichnen, wenn sie das Wissen des

Empfängers erweitert, indem sie zu einer Verringerung oder Beseitigung seiner

Unkenntnis beiträgt. Dies bedeutet folglich, dass was als Information aufgefasst wird,

nicht von der Genrezuordnung einer Sendung abhängt, sondern vielmehr von dem

Informations-, bzw. Kenntnisstand des Empfängers.113

Es lässt sich also festhalten, dass Unterhaltung als eine rezipientenorientierte Kategorie

zu bezeichnen ist. Und im Umkehrschluss Rezipienten auch jedes mediale Angebot im

Fernsehen als Unterhaltung auffassen und nutzen können. Beispielsweise kann so ein

Rededuell zwischen zwei Politikern, unter dem Aspekt des Gewinnens und Verlierens

109 Schenk (2007), S. 24 110Vgl.: Merten (2007), S. 55ff. 111 Vgl.: Bosshart (1979), S. 170f. 112 Vgl.: Kaschura (2005), S. 48 113 Vgl.: Wagner (2008), S. 136f.

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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wahrgenommen werden, statt auf Stringenz der Argumente und Überzeugungskraft der

inhaltlichen Aussagen zu achten.114

Doch auch, wenn der Zuschauer trotz unterhaltendem Einfluss in der Lage ist, politische

Information wahrzunehmen, heißt diese nicht automatisch, dass durch Elemente der

Unterhaltung, wie zum Beispiel die Selbstdarstellung der Politiker, nicht eine große

Gefahr für den politischen Informationsgehalt ausgeht. So scheint es wichtig die

richtige Dosis Unterhaltung zu finden, da sonst der Erkenntnisgewinn gefährdet ist.

Untersuchungen haben gezeigt, dass der Zuschauer großen Wert auf ernsthafte

Informationen legt und sich keinesfalls mit einem Streitgespräch abgibt, welchesdas

zwar Unterhaltung, aber keine inhaltlichen Erkenntnisse liefert. Bei falscher

Inszenierung oder Überinszenierung stoßen Sendungen auf deutliche Ablehnung. Nur

wenn eine prinzipielle Lösung, der zu diskutierenden Fragestellung, offeriert wird oder

zumindest dem Zuschauer das Gefühl eines Lösungsansatzes vermittelt wird, ist die

Zuschauerakzeptanz gesichert.115

Und so können unterhaltende Elemente an der richtigen Stelle eingesetzt, nicht nur neue

Zuschauergruppen gewinnen, sondern auch den Erkenntnisgewinn positiv unterstützen.

Als unterhaltende Elemente sind ja keinesfalls Showeinlagen in einer politischen

Talkshow zu erwarten, sondern Elemente, wie beispielsweise ein ironischer

Einspielfilm, um einen Politiker aus der Reserve zu locken. Wichtig ist dabei die

Unterhaltung gezielt einzusetzen, um nicht der Sendung die Ernsthaftigkeit zu nehmen.

Die Ausführungen haben gezeigt, dass eine politische Talkshow unserer Zeit nicht mehr

als eine rein informative Form politischer Kommunikation zu bezeichnen ist. Sie lässt

sich mit dem Begriff Infotainment, oder vielmehr mit dem von Andreas Dörner

geprägten Begriff Politainment beschreiben.116 Dabei ist anzumerken, dass das

Spannungsverhältnis zwischen Unterhaltung und Information keinesfalls ein Thema der

heutigen Medienwelt ist, sondern in der ästhetischen Theorie schon lange zuvor, von

der Antike bis zu Berthold Brecht, immer wieder eine Rolle spielte. Im Grunde besagt

der Begriff des Infotainment nichts weiter117,

114 Vgl.: Diekmannshenke (2002), S. 390 115 Vgl.: Ebd., S. 400 116 Vgl.: Wagner (2008), S. 138 117 Vgl.: Ontrup (1999), S. 105

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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„als dass die Aufnahme von Informationen und Neuigkeiten weniger an

Aufmerksamkeitsleistungen geknüpft ist, als dass Informationen dem Zuschauer vermischt

mit Unterhaltungsqualitäten und mit einer aufmerksamkeitsstarken Dramaturgie zugetragen

werden. Infotainment sollte nicht nur als eine Mischung von Information und Unterhaltung

definiert, sondern auch als Rezeptionsqualität in einem angeregten (Information) und

erregten (Unterhaltung) Zustand aufgefaßtaufgefasst werden.“118

Die eindeutige Verschiebung in Richtung Unterhaltung, bezüglich der Intention der

Talkshowmacher, als auch der Zuschauererwartungen moderner Polit-Talkshows, muss

folglich keine Entscheidung gegen Information bedeuteten. Unterhaltung und

Information gewinnen in ihrer Verknüpfung eine völlig neue Qualität119, die, wenn sie

in angemessenem Umfang dem Zuschauer angeboten wird, sogar positiv in Bezug auf

Politikvermittlung zu deuten ist. Aber auch, wenn einer politischen Talkshow nicht

jeglicher Informationswert abgesprochen werden sollte, ist festzuhalten, dass diese,

schon allein von ihren Merkmalen, nicht die gleiche Information und somit nicht den

gleichen Erkenntnisgewinn vermitteln kann, wie ein Fachvortrag oder

Fachzeitschriftenartikel. Aber ist dies überhaupt ihr Anspruch? Es steht außer Frage,

dass die Annahme, aufgrund dieses scheinbar geringeren Informationswertes, von einer

negativen Wirkung der Sendung auf die Zuschauer auszugehen, übereilt erscheint.

Einen Kausalzusammenhang herzustellen, dass unterhaltende Polit-Talkshows lediglich

Unterhaltung, aber keine Information und somit auch keine Erkenntnisgewinn für den

Zuschauer vermitteln können, wurde nicht bewiesen. Zudem wäre dies auch in der

Formulierung für diese Problematik als einseitig, unseriös, oberflächlich und damit

unwissenschaftlich abzulehnen. Trotzdem ist die Verbindung von Unterhaltung und

Information ein Drahtseilakt, der zwar durchaus Informationspotenzial verspricht,

jedoch hierfür auch einen Moderator benötigt, der Selbstinszenierung unterbindet,

reinen Werbebotschaften keine Plattform gibt, Widersprüche in der Argumentation der

Gäste aufdeckt und sich nicht scheut hart nachzufragen.120 Dann kann es gelingen nicht

nur trotz, sondern gerade durch unterhaltende Elemente, zu einem Erkenntnisgewinn

kommen.

118 Ontrup (1999), S. 105 119 Vgl.: Diekmannshenke (2002), S. 399 120 Vgl.: Wagner (2008), S. 137f.

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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1.3 Die Entstehung einer politischen Talkshow

Zum besseren Verständnis welche Komponenten bei der Auswahl der Gäste und der

Konzeption einer Sendung eine Rolle spielen, soll in diesem Abschnitt erläutert werden,

wie eine politische Talksendung entsteht. Exemplarisch wird der Ablauf einer Talkshow

beschrieben. Jede Redaktion hat natürlich ihren eigenen Ablauf, allerdings ist es zum

Verständnis dieser Arbeit ausreichend einen ungefähren Ablauf zu beschreiben.

Nach der Sendung ist vor der Sendung. Dieser Grundsatz lässt sich auf alle der hier

behandelten politischen Talkshows anwenden. Kaum ist eine Sendung gesendet und die

Kritik innerhalb der Redaktion abgeschlossen, begibt sich die Redaktion auf

Themensuche nach einem neuen Thema für die nächste Sendung. Da zu diesem

Zeitpunkt die nächste Sendung meist noch fast eine Woche entfernt liegt, ist bezüglich

der Aktualität noch ein großer Spielraum möglich. Es wird also zunächst einmal

brainstormmäßig gesammelt, was sieben Tage später die Woche thematisch dominieren

könnte. In einem zweiten Schritt macht man sich auf die Suche nach Gästen. Bei der

Gästeauswahl gibt es eine Art Rangfolge der Gäste – auf Platz 1 steht der

Wunschkandidat, auf den folgenden Plätzen die Alternativen. Denn der Vorlauf einer

Sendung ist knapp, Politiker oder andere Personen des öffentlichen Lebens haben einen

eng gestrickten Zeitplan, somit nicht unbedingt Zeit und vor allem auch nicht unbedingt

immer Interesse an der geplanten Diskussion teilzunehmen. Hauptkriterium bei der

Gästezusammenstellung ist es, dass alle Aspekte und somit Positionen des zu

diskutierenden Themas vertreten sind. Dabei ist zudem darauf zu achten, dass eine

Positionsausgewogenheit zwischen den Gästen herrscht und die einzelnen Positionen

sich verbal ebenbürtig sind. Idealweise ist die Gästezusammestellung so gewählt, dass

die Runde überraschend, nicht allzu vorhersehbar und wenn möglich vielleicht durch

einen unbekannten Gast interessant besetzt ist. Leider ist dieser Aspekt oftmals der

schwierigste, da die Anzahl der talkshowerfahrenen Gäste sehr überschaubar ist und

eine Redaktion oftmals keine Risiken, auch in Bezug auf die Quote, eingehen möchte

und unbekannte Gäste oder noch nicht in Talkshows erprobte Gäste zu besetzen. Diese

Problematik kann sich auch negativ auf ein Erreichen des möglichen Erkenntnisgewinns

auswirken. Der wichtigste Aspekt bei der Gästeauswahl ist jedoch, dass die Gäste

richtig besetzt sind. Das heißt konkret, wenn ein Gast in eine Position gedrängt wird, die

er nicht vertritt oder nicht vertreten möchte, stellt er ein Risiko dar. Elementar wäre in

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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diesem Zusammenhang die Fragestellung ob eine falsche Gästewahl, eine falsche

Gästezusammenstellung den Erkenntnisgewinn gefährdet.

Im nächsten Schritt nimmt die Redaktion Kontakt mit den potenziellen Gästen auf, führt

Vorgespräche am Telefon oder persönlich, um die Ansichten und Positionen des

möglichen Gastes abzufragen. Wichtig ist dabei auch darauf zu achten, dass sich die

rhetorischen Fähigkeiten der einzelnen Gäste auf einem ähnlichen Niveau bewegen.

Anderenfalls könnte ein Gast einem anderen rhetorisch überlegen sein und es so zu

einem Ungleichgewicht in der Gesprächsdynamik oder der Besetzung der Positionen

kommen. Die Redaktion stellt zu jedem Gast ein Dossier zusammen, bestehend aus

Interviews, Lebenslauf, Hintergrundinformationen und ein Protokoll des Vor-

gespräches. Dieses wird zusammen mit einem Dossier zur Sendungsthematik dem

Moderator einige Tage vor der Sendung überreicht. Das heißt erst zu diesem Zeitpunkt

kommt der Moderator aktiv ins Spiel, denn bisher wurde er zwar über die Entwicklung

der Sendung auf dem Laufenden gehalten, die Hauptarbeit lag jedoch bei der Redaktion.

In einem anschließenden Briefing bauen die Redakteure gemeinsam mit dem Moderator

die Sendung zusammen. In einem ersten Schritt wird der Moderator mit dem Thema

vertraut gemacht. Wichtig ist es dabei, dass alle Fakten, Hintergründe und insbesondere

aktuellen Zahlen zu dem zu diskutierenden Thema zusammengetragen werden, um den

Moderator damit auszustatten, denn nur so kann er in der Diskussion sicher agieren. In

einem zweiten Schritt folgen der Aufbau der Sendung und die Festlegung der

Grundfragestellung der Diskussion. Diese wird anschließend in mehrere Themenblöcke,

unterteilt. Oftmals werden aber nicht alle vollständig in der Sendung untergebracht. Die

Redakteure wissen aus den Vorgesprächen was die einzelnen Gäste zu den

Themenblöcken beitragen können und so folgt in Schritt drei die Überlegung, wem

welche Frage zu welchem Zeitpunkt gestellt wird. Innerhalb der Themenblöcke gibt es

mindestens eine Frage an jeden Diskutanten. Diese haben zudem häufig Unterfragen.

Der Aufbau der Fragen strukturiert einen gewissen Sendungsaufbau. Die Gäste selbst

kennen den Aufbau der Sendung, sowie die einzelnen Themenblöcke vor der Sendung

nicht. So wird auch vorgebeugt, dass sich die Gäste ihre Antworten schon im Vorhinein

zurechtlegen und somit kein wirkliches Gespräch stattfindet.

Einige Redaktionen bereiten in sehr themenstarken Wochen auch zwei Sendungen

parallel vor, um am Sendetag auf das richtige Pferd zu setzen. Die hier vorgestellte

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

37

Entstehung einer politischen Talkshow geht jedoch aus Klarheitsgründen von einer

Sendung aus.

Für die Sendungen werden zusätzlich mögliche externe Elemente vorbereitet, wie

beispielsweise Einspielfilme, Grafiken oder Umfragen, um das Thema zu illustrieren.

Zudem werden in den letzten Jahren verstärkt Nebengäste mit in die Sendung

eingebunden. Meist handelt es sich hierbei um Betroffene, aber auch Experten oder

Gäste, die für eine Betroffenen- oder Bürgergruppe sprechen können und somit das

Thema verständlicher machen sollen und auf eine realistische, oftmals emotionalere

Ebene herunterbrechen. Der Zuschauer bekommt so das Gefühl, dass die Betroffenen,

als Vertreter für ihn, mit ihrem Anliegen direkt gehört werden. Diese Gäste gilt es auch

im Vorfeld der Sendung zu finden, sowie einzuladen. Dabei ist ein sehr hohes Maß an

Fingerspitzengefühl gefragt, da es sich bei diesen Gästen nicht um Medienprofis handelt

und somit ein Auftritt in einer Talkshow eine große Herausforderung für sie darstellt.

Aus diesem Grund werden diese Gäste in der Sendung getrennt von der Runde befragt,

um dem Moderator die Möglichkeit zu geben sich ihnen gezielt zu widmen und sie

nicht einer Diskussionssituation mit Rhetorikprofis, wie es sie Hauptgäste meist sind,

auszusetzen.

Ausgestattet mit den Fragen und Themenblöcken als Leitfaden für die Diskussion

begibt sich der Moderator in die Sendung. Oftmals ist er über einen kleinen Kopfhörer

mit dem Redaktionsleiter verbunden, der so während der Sendung mit Hinweisen

unterstützend wirken kann. Doch nicht nur inhaltlicher Art, sondern auch in Bezug auf

die Körpersprache der Gäste ist dieser Knopf im Ohr des Moderators ein wichtiges

Utensil. Hiermit wird die Problematik umgangen, dass in Talkrunden, in denen der

Moderator in der Mitte sitzt, dieser, wenn er sich in einem Gespräch mit dem Gast

neben ihm befindet, nicht sieht was der Gast auf der anderen Seite nonverbal tut.

Schüttelt dieser den Kopf, verzieht er das Gesicht, all dies stellen mögliche Gründe dar,

seine Beweggründe zu erfragen. Möglich ist dies jedoch nur, wenn der Moderator über

diese Mimik oder Gestik informiert ist, durch eigenes Sehen oder eben durch einen

Hinweis des Redaktionsleiters, der in der Regie sitzend über Bildschirme alle Gäste im

Bild hat.

Der Zeitpunkt, wann die externen Elemente wie Einspielfilme, Grafiken, aber auch

Nebengäste zum Einsatz kommen, wird von dem Moderator während der Sendung

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Erkenntnisgewinn und Talkshow

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flexibel gewählt, wenn es passend erscheint. Des Öfteren kann es auch so passieren,

dass beispielsweise Einspielfilme vorbereitet, aber nicht gesendet werden, weil der

passende Zeitpunkt fehlte. In manchen Sendungen werden von den Reaktionen selbst,

schon während der Sendung, Gästezitate als Pressemitteilungen an die Agenturen

verschickt, um so möglichst am nächsten Tag oder schon in den nächsten Stunden in

Zeitungen und Onlineausgaben zu erscheinen.

Im Anschluss der Sendung oder am nächsten Morgen gibt es eine Kritikkonferenz

innerhalb der Redaktion, in der sehr ausführlich die Sendung auf mögliche Fehler,

Schwachstellen, aber auch positive Verläufe analysiert wird. Wichtiges Hilfsmittel ist

dabei der Minutenverlauf der Einschaltquote, als ein wichtiger Gradmesser, wann der

Zuschauer interessiert war und wann oder vor allem warum weggeschaltet wurde.

Dieser Ablauf der Sendungsentstehung dient lediglich als ein exemplarischer Hinweis.

Er bezieht ist vor allem auf die Erfahrungswerte der Autorin, die selbst in verschiedenen

Talkshowredaktionen tätig war und zudem durch Gespräche mit Talkshowmachern im

Vorfeld der Arbeit sich ein Hintergrundwissen aneignen konnte.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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2 Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

Eine politische Talkshow ist als ein vielfältiges Genre zu begreifen, dem seitens

Rezipienten und Kritikern eine hohe Erwartungshaltung gegenübersteht. Eine wichtige

Zielsetzung sei es, so die Forderung, mit dieser auch die Option auf einen

Erkenntnisgewinn geboten zu bekommen. Eine Erwartung die oftmals enttäuscht und

somit vielfach aufs Neue formuliert wurde. Ob diese erfüllt werden kann oder überhaupt

erfüllt werden soll, wird im Laufe der Magisterarbeit noch genauer untersucht. An

dieser Stelle, stellt sich zunächst einmal die Frage welche Faktoren über die Erreichung

eines Erkenntnisgewinns und somit das Gelingen einer Sendung entscheiden. Um diese

zu bestimmen wird für die vorliegende Arbeit eine Analysemethode entwickelt, die im

Anschluss exemplarisch an zwei Sendungen durchgeführt wird. Mit Hilfe dieser

Untersuchung sollen mögliche Beeinflussungsfaktoren und Gefahrenquellen für den

Erkenntnisgewinn bestimmt werden.

2.1 Die Methode und Entwicklung der Analysekriterien

Die Analyse wird unter der Annahme durchgeführt, dass ein Erkenntnisgewinn, wie in

der Kritik gefordert, eine Zielsetzung der politischen Talkshow darstellt. Um die der

Arbeit zugrunde gelegte Fragestellung nach dem Erkenntnisgewinn der Talkshows zu

beantworten, müssen zunächst einmal Analysekriterien herausgearbeitet und festgelegt

werden, die die ausgewählten Sendungen auf die Grundfragestellung hin analysieren.

Die Analysekriterien sollen verschiedene Bereiche der Sendung untersuchen, die alle

zusammen für das Endergebnis, die fertige Sendung, verantwortlich sind. Nur mit Hilfe

von genau definierten Kriterien lassen sich für Talkshows dieser Art allgemeingültige

Ergebnisse erreichen.

Für die Analysekriterien ergeben sich somit folgende Bedingungen:

Die Analysekriterien müssen so allgemeingültig gewählt werden, dass sie sich auf alle

Sendungen dieses Sendetyps anwenden lassen. Sie müssen klar und eindeutig nur ein

Element untersuchen und einer Fragestellung nachgehen.

Zur Entwicklung der Kriterien wird zunächst einmal das fertige Ergebnis Talkshow in

einzelne Elemente unterteilt, die für seine Entstehung wichtig sind. Diese Elemente

werden anschließend als Analysekriterien bestimmt und einzeeinzelndl untersucht,

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

40

sodass jedes Element für sich ein Teilergebnis erhält. Die zu untersuchenden Elemente

werden wie folgt bestimmt:

Im ersten Schritt lässt sich festhalten, dass es verschiedene Gruppen von Kriterien gibt.

Gruppe 1 beschreibt Kriterien, die vor der ersten Ausstrahlung der Sendung oder einer

Änderung der Sendung festgelegt werden. Diese Kriterien sind für jede Sendung gleich,

weil sie sich auf die Talkshowreihe und nicht auf die einzelne Sendung beziehen. Eine

einmalige Interpretation der Kriterien dieser Gruppe sind somit weitgehend auf jede

Sendung übertragbar. Dennoch muss beachtet werden, dass in jeder Sendung der, durch

diese Kriterien vorgegebene Rahmen anders aufgenommen wird und sich somit positiv

oder negativ auf den Erkenntnisgewinn auswirken kann.

Gruppe 2 beschreibt Kriterien, die für jede Sendung neu, im Vorfeld der Sendung durch

Redaktion oder Moderation festgelegt werden. Ihre Wirkung ist jedoch im Laufe der

Sendung ausschlaggebend.

Gruppe 3 entwickelt sich erst während der Sendung. Folglich weisen ihre Kriterien, im

Vergleich zu den anderen Kriteriengruppen, die deutlichsten Unterschiede von Sendung

zu Sendung auf.

Kriteriengruppe 1:

Sendungskonzept/Sendungsstruktur

Kriteriengruppe 2:

Gästeauswahl

Ergänzende Elemente

Sitzordnung

Kriteriengruppe 3:

Gesprächsverlauf

Zeitmanagement

Rederecht

Grad der Verständlichkeit

Gesprächsdynamik

Sprachliche Interaktion

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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Für die Analyse wurden zwei Sendungsbeispiele ausgewählt und anhand der

entwickelten Kriterien analysiert. Dabei soll festgestellt werden, welchen Einfluss die

einzelnen Kriterien auf den Erkenntnisgewinn ausüben und ob dieser sich zu einer

Gefährdung für den Erkenntnisgewinn entwickeln kann. Jedem Kriterium ist folglich

eine Beeinflussungskategorie, das heißt ein bestimmter Grad der Beeinflussung des

Erkenntnisgewinns, zuzuschreiben. Die Beeinflussungskategorien werden in der

Analyse mit einem Wirkungsgrad von 1-3 beschrieben. Dabei wird 1 als nicht oder

kaum beeinflussend definiert und 3 als stark beeinflussend und somit gefährdend für

den Erkenntnisgewinn.

2.1.1 Die Definitionen der Analysekriterien

Die entwickelten Analysekriterien sind jeweils nach einer auf ihrer Bedeutung für den

Erkenntnisgewinn ausgerichteten konkreten Fragestellung zu verwenden. Im Folgenden

werden die Kriterien in ihrer für diese Analyse gültige Verwendung hin kurz definiert,

sowie ihre Grundfragestellung formuliert.

Sendungskonzept

Grundlage für jede politische Talkshow bildet ein sogenanntes Sendungskonzept, das

schon vor der ersten Ausstrahlung theoretisch festlegt, welches Ziel die Sendung

verfolgt, wie sie aufgebaut ist, wer ihre Akteure sind, wie das Verhältnis zwischen

Moderator und Gästen gestaltet sein soll und welchen Moderationsauftrag der

Talkshowmoderator hat. Diese Elemente bestimmen zusammen den Ablauf der

Sendung. Basierend auf dem Sendungskonzept folgt eine politische Talkshow einem

bestimmten, von Sendung zu Sendung in ihrer Grundstruktur gleichen Ablauf. Dieser

wird hier als die Sendungsstruktur bezeichnet. Die Sendungsstruktur steuert als

grundliegende Basis indirekt den Ablauf der Sendung.

Fragestellung: Bergen Aufbau, Ablauf und Elemente des Sendungskonzeptes, der

Sendungsstruktur Gefahrenquellen, die den Erkenntnisgewinn gefährden?

Gästeauswahl

Die Gästeauswahl findet in der Regel in der Woche vor der Sendung statt und wird

federführend von der Redaktion durchgeführt. Wie schon im Kapitel Die Entstehung

einer politischen Talkshow beschrieben, wird nach einer ersten Themendefinierung im

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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zweiten Schritt überlegt, welche Gäste für die Diskussion geeignet wären. Dabei sind

folgende Punkte zu beachten:

1. Dass alle Aspekte, alle Positionen eines Themas besetzt sind

2. Ein ausgewogenes Verhältnis hinsichtlich der zu vertretenden Positionen

vorliegt

3. Die Gäste, aber vor allem die Besetzung der Positionen sich rhetorisch

ebenbürtig sind

4. Im Idealfall die Gästezusammenstellung überraschend ist und nicht allzu

vorhersehbar ist

5. Ein unbekannter Gast, der aber Experte zum Thema ist die Runde interessant

machen kann

6. Die Gäste müssen richtig besetzt werden

Wenn ein Gast in eine Position gedrängt wird, die er nicht vertritt, oder sie in der

Sendung plötzlich leugnet, stellt er ein Risiko für die Sendung dar und kann auch den

Erkenntnisgewinn gefährden.

Fragestellung: Gefährdet eine falsche Gästeauswahl, eine falsche Gästezusammen-

stellung den Erkenntnisgewinn? Gefährdet eine zu voraussehbare Gästeauswahl den

Erkenntnisgewinn?

Ergänzende Elemente

Wie schon in der Vorstellung des Forschungsgegenstandes dargestellt spielen in den

beiden zu untersuchenden Sendungen, aber auch in den weiteren politischen Talkshows

ergänzende Elemente eine Rolle. Mit dem Begriff ergänzende Elemente sind Elemente

der Sendung gemeint, die nicht innerhalb der Diskussion liegen, sondern diese durch

mögliche Zusatzinformationen unterstützen. Als Beispiele hierzu wären Einspielfilme,

Grafiken, Gespräche mit Betroffenen, Expertengespräche, Zuschauerfragen oder

sonstigen eingesetzten Zusatzelementen zu nennen. Zielsetzung dieser ist es

unterstützend für das Gespräch zu wirken und somit den Erkenntnisgewinn zu fördern.

Fragestellung: Erfüllen ergänzende Elemente dieses Kriterium? Fördern sie den

Erkenntnisgewinn oder behindern sie ihn?

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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Sitzordnung

Die Sitzordnung in einer Talkshow ist keinesfalls ein zufälliges Element, sondern wurde

vor der Sendung von Redaktion und Moderation festgelegt. Dabei sind bestimmte

Kriterien ausschlaggebend. In den Sendungen Anne Will und Maybrit Illner wird häufig

darauf geachtet, dass sich unterschiedlichsten Positionen gegenübersitzen und so eine

direkte Konfrontationssituation entsteht. Zudem gibt es Moderatoren, die neben sich die

Gäste platzieren, von denen sie annehmen, dass diese entweder im Zaum gehalten

werden müssen und sie so während des Gesprächs diese auch körperlich, beispielweise

durch ein am Arm anstupsen beruhigen oder aufhalten können, oder teilweise auch

Gäste, die die Unterstützung des Moderators benötigen, weil sie sich in der Runde noch

etwas unsicher sind. Ist der Moderator männlich und es gibt unter den Gästen nur eine

Frau, so wird diese oftmals auch neben dem Moderator platziert, dabei spielen jedoch

die zwei vorherigen Gründe nicht unbedingt eine Rolle. Insgesamt wird darauf geachtet,

dass die Runde ausgewogen erscheint, sowohl optisch, als auch in Bezug auf ihre

rhetorischen Fähigkeiten.

Zu unterscheiden ist bei der Sitzordnung zudem in der Rolle des Moderators, sowie der

Sitzart der Gäste. Während Sendungen in wie Anne Will, Maybrit Illner oder Menschen

bei Maischberger Moderator und Gäste im Halbrund sitzen und der Moderator von der

mittleren Sitzposition das Gespräch leitet, befindet sich der Moderator in der Sendung

hart aber fair in einer stehenden Position. Die Gäste sitzen ihm im Halbrund an Pulten

gegenüber, während er sich mit dem Rücken weitgehend zum Publikum, wie ein Lehrer

von ihnen auf und ab bewegen kann. In der Sendung 2+Leif dagegen sitzen Moderator

und Gäste gemeinsam an einem Tisch. Während der Moderator den Blick ins Publikum

hat, sitzen die Gäste links und rechts von ihm und sich gegenüber.

Fragestellung: Ergeben sich aus den unterschiedlichen Sitzordnung Vor- bzw. Nachteile

für die Steuerung des Gesprächs in Richtung eines Erkenntnisgewinns? Geht von der

Sitzordnung eine Gefährdung für den Erkenntnisgewinn aus?

Gesprächsverlauf

Der Sendung liegt eine speziell für das jeweilige Thema im Vorlauf von der Redaktion

geplante Gesprächsstruktur zugrunde. Diese sieht für die Sendung einen bestimmten

Ablauf vor, der das Thema mit seinen Unterthemen so umfassend beleuchten soll. Als

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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idealtypische Gesprächsstruktur ist somit der rote Faden, der zu einem

Erkenntnisgewinn hinführt, zu bezeichnen. Beginnend mit dem ersten Satz der Sendung

und endend auf den letzten Satz der Sendung, jeweils vom Moderator gesprochen, wird

der Gesprächsablauf begrenzt. Innerhalb dieser beiden Punkte entwickelt sich ein

Gespräch, eine Diskussion zwischen den Diskutanten und dem Moderator.

Innerhalb der Sendung kann es jedoch zu Abweichungen von der idealtypischen

Gesprächsstruktur kommen. Den tatsächlichen Ablauf der Diskussion wollen wir hier

als Gesprächsverlauf bezeichnen. Die Sendung ist, wie schon beschrieben, in mehrere

Themenblöcke unterteilt.

Fragestellung: Kommt es innerhalb der Diskussion zu einer thematischen Abweichung,

welche Konsequenzen hat dies?

Zeitmanagement

Das Kriterium Zeitmanagement einer Talkshow umfasst mehrere Aspekte und steht

über die Redezeit in direktem Bezug zum Rederecht, dass direkt im Anschluss

betrachtet wird.

Zeitmanagement (der Moderation) bei der Einteilung der Themenblöcke: Eine Sendung

lässt sich in der Regel in mehrere Themenblöcke unterteilen, diese werden von der

Redaktion vor der Sendung festgelegt und auch entsprechend gewichtet, sodass der

Moderator eine ungefähre Vorstellung davon hat, welchen Raum der Themenblock

einnehmen soll oder kann. Nicht immer werden alle Themenblöcke in der Sendung

diskutiert, selten werden sie noch erweitert. Es kann aber auch vorkommen, dass die

Gäste eine andere Vorstellung von der Bedeutung des Themenblocks haben oder ein

Themenblick neue Facetten bietet, die sich erst im Laufe des Gespräches entwickeln.

Der Moderator hat die Verantwortung die vorhandene Zeit auf die Themenblöcke

einzuteilen und diese auch zu kontrollieren, um rechtzeitig zum nächsten Themenblock

überzuleiten.

Die Gesamtsendezeit: Die Sendezeit setzte einen äußeren Rahmen für das

Zeitmanagement der Diskussion. Sie setzt Grenzen, die nicht überschritten werden

können und auch nicht veränderbar sind.

Fragestellung: Ist ein Erkenntnisgewinn in einer begrenzten Sendezeit überhaupt

erreichbar? Ist die Sendezeit richtig verteilt, sodass sie einen Erkenntnisgewinn

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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erreichen kann? Ergibt sich aus dem Zeitmanagement bei der Einteilung der

Themenblöcke eine Bedeutung für den Erkenntnisreichtum der Sendung?

Rederecht

Das Beurteilungskriterium Rederecht ist in Verknüpfung mit dem Kriterium

Zeitmanagement zu sehen.

Der Moderator ist der Dirigent der Diskussion, an ihm ist es die richtigen Einsätze zu

geben und die einzelnen Positionen so gegeneinander zu setzten, dass das

Zusammenspiel stimmig und gleichzeitig spannend ist. Er muss abschätzen, welcher der

Diskutanten noch etwas zur Thematik beitragen kann, den Erkenntnisgewinn

vorantreiben und wer einfach nur das Rederecht für sich beansprucht, aber nur heiße

Luft spuckt. Das Rederecht ist ein heiß begehrtes Gut und muss jedoch auch

verantwortungsvoll gehandhabt werden. Im Laufe des Gespräches wird das Rederecht

nicht nur verteilt, sondern auch von einem zum anderen Gesprächsteilnehmer

übergeben, erzwungen, genommen und aber auch entzogen.

Fragestellung: Kann ein falsches Zeitmanagement bei der Vergabe des Rederechtes an

die verschiedenen Positionen, eine Bevorzugung der falschen Redner oder der Verlust

des Rederechts an den falschen Diskutanten den Erkenntnisgewinn verhindern?

Grad der Verständlichkeit

Eine politische Fernsehtalkshow wird an erster Stelle für den Zuschauer geführt. Denn

sie ist weder eine Plenarsitzung, noch eine Plattform für fachliche oder persönliche

Streitigkeiten, die nicht zum Thema gehören. In erster Linie müssen die Diskutanten

und der Moderator im Auge behalten, dass sie für den Zuschauer diskutieren und nicht

um ihrer selbst willen. Leider wird dies oftmals nicht berücksichtigt und stattdessen

fachsprachlich diskutiert, Wissen vorausgesetzt, dass nur die Experten im Raum haben,

nicht jedoch der Zuschauer und versucht sich sprachlich zu übertrumpfen oder den

Gegner samt seiner Meinung sprachlich außer Gefecht zu setzen. Oft geschieht dies

jedoch auf Kosten der Verständlichkeit für den Zuschauer.

Verständlichkeit in der Thematik: Idealtypisch hat die Redaktion vorher einen Ablauf

der Sendung geplant, der die Thematik Schritt für Schritt abhandelt und so im Idealfall

einen Erkenntnisgewinn herbeiführt. Oftmals ist wird während der Sendung jedoch von

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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der Thematik abgewichen. Was nicht automatisch ein Verfehlen des Erkenntnisgewinns

bedeuten muss. Kommt es jedoch zu einem Durcheinander in der Thematik, kann dies

dazu führen, dass die Teilnehmer über unterschiedliche Unterfragestellungen

diskutieren und die Moderation die Chefrolle verliert.

Fragestellung: Ist Durcheinander in der Thematik eine Gefahr für den Grad der

Verständlichkeit und welche Auswirkungen hat dies auf den Erkenntnisgewinn?

Verständlichkeit in der sprachlichen Ausdrucksweise: Die sprachliche Ausdrucksweise

kann sehr große Unterschiede aufweisen, so kann sowohl zwischen 1. einer akustisch

gut oder schlecht verständlichen Ausdrucksweise, 2. einer rhetorisch verständlich und

schlecht verständlichen Ausdrucksweise und 3. als eine Art Untergruppe der

rhetorischen Verständlichkeit, einer fachsprachlichen oder umgangssprachlichen

Ausdrucksweise unterschieden werden.

Fragestellung: Kommt es durch eine der drei sprachlichen, von der Norm

abweichenden, Ausdrucksweisen zu einer Gefährdung des Erkenntnisgewinns?

Fragestellung gesamt: Welche Auswirkungen auf den Erkenntnisgewinn hat der Grad

der Verständlichkeit?

Gesprächsdynamik

Jedes Gespräch hat eine eigene Dynamik. Diese bezieht sich zum einen auf die

Sprechdynamik der Diskutanten und zum anderen auf die Dynamik innerhalb des

Gesprächsverlaufs. Das heißt, es kann zu verschiedenen Dynamiken innerhalb der

Sendung kommen. Prinzipiell muss dies noch kein negatives Qualitätskriterium sein

und kann sich auch auf den Verlauf der Diskussionen positiv auswirken. Jedoch können

aber auch Dynamikwechsel den Verlauf des Gespräches in Bezug auf die Harmonie

stören oder einzelne Aspekte so nicht ausführlich genug beleuchten werden und folglich

den Erkenntnisgewinn schädigen (Dynamikänderungen innerhalb der gesamten

Diskussion oder einzelner Themenblöcke) oder auch die Verständlichkeit negativ

beeinflussen (Dynamikänderungen bei Redebeiträgen der Gäste).

Die Sprechgeschwindigkeit jeder Person ist anders, jedoch kann sich diese innerhalb

eines Gespräches auf einen ähnlichen Pegel einstellen, sodass das Gespräch einen

gleichmäßigen Verlauf erfährt.

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Fragestellung: Kann eine zu langsame oder zu schnelle Gesprächsdynamik Interesse

und Verständlichkeit stören? Kommt es zu unterschiedlichen Dynamiken im Gespräch,

die eine weitere Diskussion gefährden, weil die Teilnehmer sich gegenseitig nicht mehr

nachkommen?

Sprachliche Interaktion

Ein nicht zu verachtender Aspekt ist das wie des Gesprächs. Es wird unterschieden in

folgende Teilbereiche:

1. Sprachliche Überlegenheit: Sprachliche Überlegenheit ist als der Zustand zu

beschreiben in dem die Gesprächsteilnehmer oder der Moderator und die

Gesprächsteilnehmer sprachlich und von ihren rheotorischenrhetorischen

Fähigkeiten nicht auf einem Niveau stehen. Sprachliche Ungleichheit kann zu

einem Ungleichgewicht im Gespräch führen und somit einzelne Positionen und

Gesprächsteilnehmer in Vorteil setzen. Zu untersuchen wäre hier nun, inwiefern

sprachliches Ungleichgewicht negative Auswirkungen auf den

Erkenntnisgewinn haben kann.

2. Ausweichen einer Frage: Nicht jede Frage der Moderation ist dem Gast eine

willkommene Frage und so wird zuweilen versucht, die Antwort auf eine Frage

zu umgehen. Rhetorisch meist ausführlich geschult gelingt dies den Diskutanten

teils mehr oder weniger. Den Versuch alleine unternehmen jedoch viele. Zu

untersuchen ist, ob es in der Diskussion zu einem Ausweichen einer Frage

kommt, und wenn ja ob dies erfolgreich ist oder vom Moderator vereitelt wird.

In einem zweiten Schritt soll geklärt werden, wie im Erfolgsfall für den Gast,

also einem gelungenen Ausweichen einer Frage, dies möglich ist. Es soll

untersucht werden, ob hier ein Versagen der Moderation vorliegt und ob dieses

Ausweichen Folgen für den weiteren Gesprächsverlauf hat. Das heißt es dort

auch zu einem Abweichen vom Thema und somit von dem Diskussionsziel

kommt und folglich eine Gefährdung des Erkenntnisgewinns entsteht. Im

Erfolgsfall für den Moderator, einer Vereitlung des Ausweichens auf die Frage

durch den Gast, wäre darzustellen, wie dies gelingt.

3. Nachfragen der Moderation: Aufgabe des Moderators ist es nicht nur Fragen zu

stellen, sondern auch hartnäckig nachzufragen und den Gast dazu zu bringen die

gestellte Frage auch zu beantworten. Er sollte also, wie gerade schon

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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beschrieben ein Ausweichen der Frage durch den Gast zu verhindern. Zu klären

ist, ob im Verlauf der Diskussion der Moderator diese Aufgabe ausreichend

erfüllt und somit seinem Moderationsauftrag nachkommt. Im negativen Fall ist

zu untersuchen, welche Auswirkung dies auf den weiteren Verlauf der

Diskussion und das Diskussionsziel hat und ob im schlimmsten Fall der Gast die

Themenrichtung übernimmt.

4. Moderatorenverhalten in sprachlichen Chaossituationen: In Diskussionen mit

mehreren Teilnehmern, folglich unterschiedlichen Positionen und dem Hauptziel

jedes Teilnehmers sich selbst und seine Position am Bestenbesten zu

präsentieren und zu platzieren, können sprachliche Chaossituationen auftreten.

Diese können das Diskussionsziel gefährden, da sie ein Abweichen vom roten

Faden der Diskussion nach sich ziehen können. In solchen Situationen ist

insbesonderes die Moderation gefordert, die Situation zu ordnen, zu klären und

die Diskussion wieder auf die gerade thematisierte Fragestellung und somit zum

Ziel zu bringen. Gelingt dies nicht, kann das Diskussionsziel, der

Erkenntnisgewinn teilweise, streckenweise oder sogar komplett aus den Fokus

verloren und somit möglicherweise nie erreicht werden. Anhand der

vorliegenden Beispiele ist zu untersuchen, wie der Moderator solchen

Situationen reagiert und welche Folgen dies hat.

5. Gast der nicht aufhört zu reden/Unterbrechen eines Gastes: Zur Aufgabe des

Moderators gehört es auch, ein Gleichgewicht der sprachlichen

Äußerungsmöglichkeiten zwischen den Gästen zu halten. Gäste die versuchen

durch sprachliche Dauerpräsenz möglichst viel Aufmerksamkeit zu erhalten und

nicht mehr aufhören zu reden, sollten vom Moderator in ihrer Redezeit

beschränkt werden, bzw. der Moderator muss ihnen das Rederecht entziehen.

Insbesonderes ist dies von Nöten, wenn die Äußerungen inhaltlich nicht weiter

zum Diskussionsverlauf beitragen, sondern lediglich dazu dienen, dass der

Sprecher das Rederecht für sich beansprucht. Festzustellen ist wie der Moderator

in einer solchen Situation agiert.

6. Gast nimmt Moderator nicht ernst: Nimmt ein Gast die Moderation nicht ernst,

meint auf die Fragen nicht richtig antworten zu müssen oder zu demonstrieren,

dass er nicht mit der nötigen Diskussionsbereitschaft und dem nötigen Ernst an

die Sache herangeht, so kann dies ein ungünstiges Mächtegleichgewicht

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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zwischen Moderation und Gast erzeugen. Der Moderator ist nicht nur der

Gastgeber, sondern bestimmt auch die Regeln. Wird er allerdings nicht ernst

genommen, kann das Machtverhältnis schnell umschlagen und der Gast schafft

sich eine Diskussion, die ihm gefällt. Ob dies eine große Gefahr für das

Diskussionsziel darstellen kann, ist zu untersuchen.

7. Inhaltliches Abschweifen vom Thema: Ist in einer engen Verbindung zum

Gesprächsverlauf zu sehen, da ein inhaltliches Abweichen gleichzeitig eine

Änderung des Gesprächsverlaufes bedeutet. Daher ist die Bedeutung dieses zu

ermitteln.

Fragestellung: Welchen Stellenwert nehmen diese einzelnen Teilaspekte der

sprachlichen Interaktion für den Erkenntnisgewinn ein? Wie beeinflusst die sprachliche

Interaktion insgesamt den Erkenntnisgewinn?

2.1.2 Forschungsgegenstand

Um zu bestimmen, welche Faktoren den Erkenntnisgewinn beeinflussen, müssen diese

an Praxisbeispielen analysiert werden.

Für die Analyse werden bewusst zwei Sendungen ausgewählt, die sich in Aufbau und

Sendungskonzept sehr ähnelnähnlich sind. Die Sendungen laufen zwar nicht zeitlich im

direkten Vergleich zueinander, jedoch stehen sie aufgrund des ähnlichen Konzeptes in

direkter Konkurrenz. Auch wurde bei der Auswahl der Sendungen darauf geachtet keine

Sendungen zu wählen, die völlig chaotisch erscheinen oder komplett scheitern, sondern

einen normalen Sendungsverlauf, mit einem durchschnittlichen Problempotenzial

aufweisen, soweit dies vor Durchführung der Analyse schon einzuschätzen ist. Denn

nur so kann gewährleistet werden, dass die Untersuchung Ergebnisse liefert, die eine

allgemeine Gültigkeit für einen Großteil der existierenden Talkshows besitzt.

Nachfolgend sollen zunächst die beiden ausgewählten Sendungen vorgestellt werden,

um anschließend die jeweiligen Sendungskonzepte und Moderatoren genauer zu

beleuchten. Ausgewählt wurden die Sendungen (siehe auch Anhang):

Sendereihe: Maybrit Illner

Sendedatum: 04. Februar 2010, ZDF

Thema: Zur Kasse bitte! Wie schutzlos sind Patienten?

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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Die Moderatorin formuliert die Grundfragestellung der Sendung wie folgt:

„In kaum einer Frage sind sich die Deutschen so einig: Unser Gesundheitssystem hat riesen

Probleme, sagen immerhin satte 90%. Die Beiträge seien zu hoch und die Leistungen zu

schlecht. Warum greifen mehrere Krankenkassen ihren Versicherten von dieser Woche an

ordentlich in die Taschen. 5 Euro bis 37,50 Euro pro Monat. Der Rat des neuen

Gesundheitsministers klingt irgendwie eigenartig: Die Versicherten sollten am

Bestenbesten die Kasse wechseln. Aber was bringt das? Über kurz oder lang schlagen

ohnehin alle Kassen zu, so sagen Experten. Der Dumme, so scheint es, ist in jedem Fall der

Patient. Was soll er jetzt machen und was darf er mit Fug und Recht von den Kassen und er

Politik verlangen? Das wollen wir versuchen herauszufinden.“

Sowie:

Sendereihe: Anne Will

Sendedatum: 14. März 2010, ARD

Thema: Zocken, spekulieren, abkassieren – haben Banker aus der Krise nichts

gelernt?

Die von der Moderatorin formulierte Eingangsfragestellung beschreibt die zu

diskutierende Thematik wie folgt:

„Vielleicht steht die Frage, die wir uns im Titel der Sendung stellen schon für das

Grundmissverständnis: Haben die Banker aus der Krise nichts gelernt? Fragen wir uns und

müssen präzisieren: Was denn genau? Dass es nicht anständig ist, Menschen riskante

Finanzprodukte aufzuschwatzen, um Provisionen zu kassieren und die Rendite des eigenen

Hauses in die Höhe zu treiben und dass es ärgerlich ist, wenn es nun Hunderte

Rettungsmilliarden später genau so und zum Teil rasanter weitergeht. Womöglich ist das

ganz falsch gefragt, angesichts einer Branche, die nun mal nicht karitativ, sondern

gewinnorientiert arbeitet.“

Maybrit Illner

Das Format: Maybrit Illner, die politische Talkshow im ZDF, wird seit dem 14. Oktober

1999 produziert und von Maybrit Illner moderiert. Sendetermin ist der Donnertagabend

um 22:15 Uhr im ZDF-Fernsehen. Bis zum 14. März 2007 wurde sie, ebenfalls unter

der Moderation Maybrit Illner mit dem Sendungstitel Berlin Mitte ausgestrahlt. Dann

folgte der Namenswechsel zu Maybrit Illner. Das Sendungskonzept blieb, bis auf kleine

Veränderungen, in seinen Grundzügen bestehen. Mit dem Namenswechsel erfolgte aber

eine Sendezeitverlängerung um 15 Minuten von 45 auf 60 Minuten.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

51

ZDF Chefredakteur Nikolaus Brender begründete die Namensänderung damit, dass

Maybrit Illner außerordentlich hohe Sympathie - und Kompetenzwerte habe: „Sie ist

Gesicht, Herz und Hirn dieser Sendung. Fast alle Zuschauer kennen und schätzen die

Moderatorin Maybrit Illner, nachweisbar weniger können etwas mit dem Namen Berlin

Mitte anfangen. Insofern passen wir den Titel der Sendung nun den Realitäten an.“121

Möglicherweise könnte der Grund für die Namensänderung die ebenfalls im Jahr 2007

startenden Talkshow Anne Will in der ARD gewesen sein. Durch die Benennung der

Sendung Berlin Mitte in Maybrit Illner wird auch diese Sendung beim Zuschauer

namentlich über die Moderatorin definiert.

Mit der Namensänderung wurde das Konzept leicht erweitert. Die neuen 15 Minuten

wurden genutzt um Veränderungen, sowohl im Bühnenbild, als auch in der

Choreografie der Sendung durchzuführen, um, wie die Redaktion betonte, in Zukunft

flexibel agieren zu können. Ab sofort sollten, räumlich flexibel, das heißt, sowohl im

Stehen, als auch im Sitzen, im Publikum oder an einem Stehtisch oder Ähnlichem,

Interviews mit Nebengästen geführt werden und auch Grafiken und Einspielfilme

intensiver einsetzt werden. Das Publikum, sowohl im Studio, als auch vor dem

Fernseher, bekam die Möglichkeit sich selbst besser in die Diskussion einzubringen und

es wurde beispielsweise auch eine Online-Möglichkeit für die Zuschauer zuhause

geschaffen, Fragen zu stellen.

Im Jahr 2007 wurden von der Sendung Maybrit Illner, bzw. bis Oktober 2007 Berlin

Mitte, 41 Erstausstrahlungen produziert. 2008 waren es 40 Sendungen.122 Die Sendung

wird als eine Eigenproduktion des ZDF´s in der Regel live und vor Publikum

hergestellt. Produziert wird die Sendung für das ZDF von der Produktionsfirma

doc.station GmbH. Die Kosten pro Sendungsminute lagen 2007 bei 1991 Euro, 2008 bei

1893 Euro.123 Redaktionsleiter der Sendung ist aktuell Wolfgang Klein, der sich bereits

früher für das ARD-Konkurrenzprodukt und Anne Will Vorgängersendung Sabine

Christiansen verantwortlich zeigte.

121 Hanfeld (13.03.2007): ZDF Talkshow bekommt neue Elemente und längere Sendezeit. Berlin Mitte

heißt jetzt Maybrit Illner 122Vgl..: 17. KEF Bericht, S. 298 123 Vgl.: 17. KEF Bericht, S. 298

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

52

Die Sendung beschreibt die Produktionsfirma selbst, als „politische Talkshow, die

jeweils vier bis sechs Gäste aus Politik und Gesellschaft zu den aktuellen Themen der

Woche einlädt“124.

Die Moderation: 1965 in Berlin geboren, begann Maybrit Illner nach ihrem Abitur ihre

journalistische Karriere mit einem Volontariat in der Sportredaktion des Fernsehens der

DDR. Anschließend absolvierte sie ein Studium der Journalistik und stieg ab 1988 beim

DFF (ehemals Fernsehen der DDR) als Redakteurin und Moderatorin für u. a. die Sport-

und Auslandsredaktion ein. 1992 folgte der Wechsel zum ZDF als Moderatorin und

später Leiterin des Morgenmagazins. Seit 1999 moderiert sie mit der Sendung Maybrit

Illner (früher Berlin Mitte) ihre eigene Talkshow. In den Jahren 2002 und 2005

übernahm sie zusammen mit Kollegen die Befragung der Kanzlerkandidaten in den

Duellen zur Bundestagswahl. Im Wechsel mit Klaus Kleber und Marietta Slomka

moderiert sie seit dem 14. August 2010, zusätzlich zu ihrer eigenen Sendung, das ZDF

heute-journal.125

Anne Will

Das Format: Anne Will ist seit September 2007 die politische Talkshow am

Sonntagabend in der ARD. Als Nachfolgesendung für Sabine Christiansen startete die

Talkshow am 16. September 2007 und wird als Auftragsproduktion vor Publikum live

produziert. Sendetermin ist Sonntagabend 21:45 Uhr. Die Sendedauer beträgt ca. 60

Minuten. Moderiert wird die Sendung von Beginn an von Anne Will. Die

Namensgebung der Sendung erfolgte also nach der Moderatorin. Während es im ersten

Sendejahr 2007 14 Erstausstrahlungen gab, weil das Format erst im September auf

Sendung ging, folgten im darauffolgenden Jahr 43 Erstausstrahlungen.126 In der

Sendung stellen sich vier bis fünf Gäste den Fragen der Moderatorin und diskutieren ein

kontroverses Thema. Ergänzt werden die Aussagen der Gäste, die meist alle Fachleute

zu dem Thema sind, durch Gespräche mit Experten an einem Stehpult, als auch

Betroffenen in einer eigenen Sitzecke, von der Redaktion und in der Öffentlichkeit auch

als Betroffenensofa bezeichnet. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird diese Sitzecke auch

weiterhin so bezeichnet. Zusätzlich zum Talkgespräch mit den Gästen in der Runde und

124 http://www.docstation.de/production/detail?id=56 (überprüft 03.12.2010) 125 Vgl.: http://maybritillner.zdf.de/ZDFde/inhalt/22/0,1872,1021622,00.html (überprüft 03.12.2010) 126 17. KEF Bericht, S. 297

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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eventuell weiteren Gästen als Experten oder auf dem Betroffenensofa, werden pro

Sendung vier bis fünf Filmbeiträge zum Thema produziert und je nach

Diskussionsverlauf eingespielt. Vorbereitet wird die Sendung aktuell von 14

Redakteuren unter Leitung des Redaktionsleiters Andreas Schneider. Die Kosten pro

Sendeminute beliefen sich 2007 auf 3065 Euro und 2008 auf 3164 Euro.127

Die Sendung Anne Will ist eine Produktion der Will Media GmbH im Auftrag der ARD

für Das Erste unter redaktioneller Federführung des NDR. Die Will Media GmbH

wurde 2007 von Anne Will und Mark Nowak gegründet und wird von beiden

geschäftsführend geleitet. Die Sendung wird realisiert im Studio Berlin-Adlershof in

Kooperation mit dem Produktionsunternehmen CineCentrum.

Die Talkshowmacher von Anne Will beschreiben die Sendung selbst wie folgt:

„Sonntags, 21:45 Uhr im Ersten – die beste Zeit für politischen Talk im deutschen

Fernsehen. Jeden Sonntagabend diskutiert Anne Will mit ihren Gästen über politische

Prozesse, wirtschaftliche Zusammenhänge und gesellschaftliche Trends. Die Sendung

bietet für Gäste und Zuschauer die Plattform für eine gesellschaftspolitische

Meinungsbildung: relevant und lebensnah.“128

Die Moderation: Anne Will wurde 1966 in Köln geboren und volontierte nach dem

Studium (Köln/Berlin: Geschichte, Politologie und Anglistik) beim Sender Freies Berlin

in den Bereichen Hörfunk und Fernsehen. Ab 1992 war sie beim Sender als

Moderatorin für die Sendungen Mal ehrlich (Talkshow) und den Sportpalast

verantwortlich. 1996 bis 1998 kam ihre Rolle als Gastgeberin der Medienshow Palazzo

im WDR Fernsehen hinzu. 1999 moderierte sie als erste Frau die ARD-Sportschau,

berichtete 2000 von den Olympischen Spielen in Sydney und übernahm von April 2001

bis September 2007 im Wechsel mit Ulrich Wickert, später mit Tom Buhrow die

Moderation der Tagesthemen in der ARD. Seit September 2007 konzentriert sie sich

ausschließlich auf ihre eigene Sendung – die politische Talkshow Anne Will, die hier

Gegenstand der Untersuchung ist.129 Mit ihrer Sendung möchte sie: „Politisch denken.

Persönlich fragen.“130

127 17. KEF Bericht, S. 298 128 http://www.will-media.de/3.0.html (überprüft 03.12.2010) 129 Vgl.: http://daserste.ndr.de/annewill/annewill/index.html (überprüft 03.12.2010) 130 http://www.presseportal.de/pm/6694/1038588/ard_das_erste (überprüft 03.12.2010)

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

54

2.2 Die Analyse

Im Folgenden sollen nun die ausgewählten Sendungen in Hinblick auf die, sich aus den

Analysekriterien ergebenden Fragestellungen untersucht werden. Zum besseren

Verständnis werden die Untersuchungen ders jeweiligen Kriterienums nacheinander an

beiden Sendungen durchgeführt.

2.2.1 Sendungskonzept

Maybrit Illner

Der zu untersuchenden Sendung Zur Kasse bitte! Wie schutzlos sind Patienten?, aus der

Sendereihe Maybrit Illner, liegt ein für die Reihe festgelegteseinem für die Reihe

festgelegten Sendungskonzept zugrunde, dass in der Sendung, in Form der

Sendestruktur, umgesetzt wird. Das Sendungskonzept beinhaltet als Einzelelemente die

im Anschluss untersuchten weiteren Kriterien. Um jedoch diese getrennt in ihrer

Bedeutung für den Erkenntnisgewinn betrachten zu können, wird hier lediglich das

Konzept in seiner Gesamtheit beschrieben und das Gefährdungspotenzial des

Gesamtkonzeptes bewertet. Welche Erkenntnisgewinn beeinflußendebeeinflussende

Bedeutung die einzelnen Elemente des Konzeptes in der konkreten Sendung entwickeln

können, soll in den folgenden Analysekriterien geklärt werden.

Als thematische Konzeption ist allgemein die grundsätzliche Festlegung, an welchen

Gesprächsinhalten sich die Sendereihe orientieren soll, zu bezeichnen. In einem ersten

Schritt lässt sich zwischen themen- und gästeorientierten Formen unterscheiden. Die

Talkreihe Maybrit Illner ist eindeutig als eine themenorientierte Sendeform zu

definieren.131 Ein Sendungsoberthema wird zu schon mit dem Titel und der

Eingangsfragestellung der jeweiligen Sendung deutlich formuliert und bildet den

Grundstein der Diskussion. Der Zuschauer erwartet, dass die Diskussion versucht dieser

auf den Grund zu gehen und so im optimalsten Fall neue Aspekte, neue Erkenntnisse für

die, durch die Eingangsfragestellung formulierte Thematik, zu liefern. Aus dieser

Erwartungshaltung, die auch deutlich in den Sendungskritiken zu erkennen ist, baut die

der vorliegenden Magisterarbeit zugrunde liegende und im Analyseteil verwendete

Definition des Begriffs Erkenntnisgewinn auf. Die Themenwahl erfolgt aus dem

131 Vgl.: Fley (1997), S.52

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

55

Bereich der aktuellen, politisch, wirtschaftlich oder gesellschaftlichen Fragestellungen,

die die gesamte Bundesrepublik beschäftigen.

Eine themenorientierte Sendereihe, wie wir sie im hier untersuchten Fall vorliegen

haben, lässt sich wiederum in mono- und polythematische Reihen unterscheiden. In der

polythematischen Sendereihe erfolgt ein Themenwechsel innerhalb der Sendung, der

auch mit einem Gästewechsel einhergehen kann. Die monothematische Sendereihe, als

welche auch die Sendereihe Maybrit Illner zu bezeichnen ist, behandelt pro Sendung

einen Themenkomplex oder ein einziges Thema mit zeitlosem oder aktuellem Inhalt.132

Festzuhalten ist, dass Maybrit Illner, somit als eine themen-ortientierte,

monothematische Sendereihe mit Haupt- und Nebengästen zu bezeichnen ist. Als

Gesprächskonzeptionen sind, sowohl ein Gruppengespräch mit den Hauptgästen, als

auch Einzelgespräche mit den Nebengästen zu bestimmen. Ein Blick auf die Art der

Gasttypen lässt insbesondere Vertreter aus Politiker und Wirtschaft, sowie Experten aus

Wissenschaft und Beruf, als Hauptgäste ausmachen. Diese nehmen die Funktion der

eigentlichen Gesprächspartner ein, indem sie in einer diskussionsbestimmden Position

am Hauptgespräch zur Thematik teilnehmen. Dabei werden sie lediglich durch

ergänzende Elemente unterbrochen, zu denen auch die Gespräche mit Nebengästen zu

zählen sind. Als Nebengäste können ebenfalls Experten aus Wissenschaft und Beruf

und/oder Normalbürger als Betroffene auftreten. Sie haben die Funktion das

Hauptgespräch zu ergänzen, indem sie Hintergründe oder aktuelle Beispiele liefern.133

Als ergänzende Elemente sind neben den Nebengästen, auch Einspielfilme oder

Grafiken zu definieren. Die Sitzordnung der Hauptgäste und der Moderation ist als

Zentralsichel angelegt, während sich bei Gesprächen mit den Nebengästen die

Moderatorin in das, während der Sendung anwesende Präsenspublikum im Studio

begibt und neben dem Gast Platz nimmt oder diese als Experten an einem gesonderten

Stehtisch empfängt. In der untersuchten Sendung ist lediglich ein Gespräch mit einer

Betroffenen im Publikum zu verzeichnen. Der Sprecherwechsel erfolgt sowohl

moderationszentriert, als auch gästezentriert.134

132 Vgl.: Fley (1997), S. 52ff. 133 Vgl.: Ebd., S. 57ff. 134 Vgl.: Ebd., S. 68

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

56

Die Sitzordnung, die ergänzenden Elemente, sowie das Rederecht als Elemente des

Sendungskonzeptes werden im Folgenden noch genauer gesondert betrachtet werden

und seien somit an dieser Stelle nur erwähnt.

In Bezug auf die Moderationsorkonzeption lässt sich feststellen, dass die Sendereihe

Maybrit Illner als einer Einzelmoderation durch die gleichnamige Moderatorin

konzeptioniert ist. Maybrit Illner nimmt somit, zumal sie auch als Namensgeberin der

Sendereihe eng mit ihr verknüpft und diese auf sie zuschnitten ist, eine zentrale Rolle

als gleichbleibendes Erkennungsmerkmal der Sendung und als Gesprächsleiterin in der

Sendung, die Gastgeber und Führungsrolle in der Diskussion ein.135

Die Umsetzung des Sendungskonzeptes in der Sendung, als Sendungsstruktur bietet in

ihrer konzeptionellen Anordnung, mit dem Wechsel von der Diskussion ab Minute

00:28:32 in das Betroffenengespräch, sowie der anschließenden Rückkehr in die Runde

und Fortsetzung der Diskussion, als auch mit der Verwendung von vier Einspielfilmen,

als ergänzende Elemente eine durchaus Erkenntnis fördernde Grundlage. Jedoch ist

festzustellen, dass einzelne Elemente des Gesamtkonzepts, für sich alleine betrachtet, in

ihrer Umsetzung in einzelnen Sendungen, durchaus ein Erkenntnis gefährdenden

Einfluss entwickeln können. Diese werden im Folgenden als gesonderte Kriterien

untersucht und sind somit nicht als prinzipiell Erkenntnis gefährdend im Gesamtkonzept

zu betrachten.

Anzumerken ist auch, dass die Sendungsstruktur lediglich den konzeptionellen Ablauf

der Sendung betrachtet und es somit zu Abweichungen der inhaltlichen Bedeutung

einzelner Elemente kommen kann, wie die Untersuchungen der weiteren

Analysekriterien zeigen werden. So kann beispielsweise ein ergänzendes Element, wie

ein Betroffenengespräch konzeptionell durchaus Erkenntnis fördernd sein, während ihm

jedoch in einer inhaltlichen Betrachtung ein Erkenntnis störenden Einfluss

zugeschrieben werden kann.

Das Sendungskonzept weist, als in seiner Gesamtheit und der Umsetzung als gesamte

Sendungsstruktur, pauschal keine Erkenntnisgewinn gefährdende Beeinflussung auf,

und kann folglich in seiner Gesamtheit prinzipiell als ein Kriterium mit Erkenntnis

135 Vgl.: Fley (1997), S.74ff.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

57

förderndem Potenzial eingestuft werden. Daraus ergibt sich für das Kriterium die

Beeinflussungskategorie 1.

Anne Will

Bei einem Vergleich mit der Sendereihe Maybrit Illner finden sich in den Grundzügen

des Sendungskonzepts der Reihe Anne Will deutliche Ähnlichkeiten. So lässt sich die

Sendung ebenfalls eine themenorientierte, monothematische Sendereihe mit Haupt- und

Nebengästen und einem thematischen Fokus auf aktuellen politischen, wirtschaftlichen

und gesellschaftlichen Fragestellungen beschreiben. Auch in Moderatorkonzeption,

Präsenzpublikum und Rederechtverteilung sind die Parallelitäten deutlich

festzustellen.136 Bezüglich der ergänzenden Elemente, sowie daraus folgend als einen

Teil der Sitzordnung weist die Reihe Anne Will eine kleine Abweichung auf. So werden

zwar ebenfalls Betroffene und Experte als Nebengäste geladen, doch während die

Gespräche mit den Experten meist, wie bei Maybrit Illner im Stehen an einem Pult oder

Tisch geführt werden, finden die Gespräche mit Betroffenen in einem dafür extra

eingerichteten Bereich, auf dem sogenannten Betroffensofa statt. Hier nehmen die

Nebengäste Platz und verfolgen auch die gesamte Sendung von dieser Sitzposition aus.

Das Betroffenensofa in der Sendereihe Anne Will stellt eine, wie Maybrit Illner-

Redaktionsleiter Wolfgang Klein ausführt, eigentlich konsequente Fortsetzung der

Betroffenengespräche bei Maybrit Illner im Publikum dar.137 Die Wirkung war jedoch

eine deutlich andere. So wurde das Betroffenensofa insbesonders in der Anfangszeit

heftigst kritisiert. Friedrich Nowottny formulierte 1998 in einem Interview mit dem

Tagesspiegel die Problematik so: „Das Sofa ist ein redaktioneller Betriebsunfall, und

die armen Menschen, die darauf Platz nehmen müssen, tun mir leid. Sie sind so

außerhalb der Sendung, dass dann, wenn ihre Betroffenheit, manchmal auch

Fachwissen, abgerufen wird, sich die Zuschauer entweder um eine weitere Flasche Bier

im Keller bemühen oder abschalten.“138 Inwiefern sich diese scheinbar nicht ganz

optimale Präsentation der Betroffenen auf den Erkenntnisgewinn auswirkt, kann an

dieser Stelle nicht abschießend bewertet werden, da in der untersuchten Sendung dieses

nicht genutzt wurde. Jedoch ist es nach einer ersten allgemeineren Betrachtung, trotz

136 Vgl.: Fley (1997), S.52ff. 137 Vgl.: Interview Maybrit Illner 138 Der Tagesspiegel (03.08.2008): Das Sofa ist ein Betriebsunfall

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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der gespaltenen Wahrnehmung, als eher im geringeren Gefährdungsbereich für den

Erkenntnisgewinn einzuordnen.

Zusammenfassend lässt sich für die Sendereihe Anne Will, wie in der Sendereihe

Maybrit Illner, feststellen, dass das Sendungskonzept, als Ganzes betrachtet, keine

eindeutige Erkenntnis gefährdende Beeinflussung beinhaltet, während jedoch einzelne

Elemente dieses in konkreten Umsetzung durchaus beeinflussende Faktoren entwickeln

können. Da es sich hierbei jedoch lediglich um eine mögliche Gefahr und nicht eine

eindeutig durch die Festlegung im Gesamtkonzept verursachte Beeinflussung handelt,

ist das Gesamtkonzept als Kriterium einzustufen, dass eine gute Basis für einen

möglichen Erkenntnisgewinn bietet. Somit kann diesem kein Erkenntnis störender

Einfluss eindeutig zugeschrieben werden, daher ergibt sich die Beeinflussungs-

kategorie 1.

2.2.2 Gästeauswahl

Maybrit Illner

Das Kriterium Gästeauswahl wird, wie bereits in der Vorstellung der Analysekriterien

dargestellt, schon vor der Sendung entschieden, seine Bedeutung wird jedoch erst im

Laufe der Sendung sichtbar. Im Falle der untersuchten Sendung ist die Besetzung als

recht klassisch, im Sinne von klaren Rollenverteilungen und nicht allzu ungewöhnliche

Besetzung einzustufen. Besetzt wurden: die Position der Politiker, die für die aktuelle

Politik verantwortlich sind, die Position eines Arztes, um über die Erfahrung aus der

Praxis zu berichten, die Position eines Experten, eher aufseiten der Patienten und

Mediziner einzuordnen, um die Problematiken darzustellen, sowie die Position der

Krankenkasse. Daraus ergibt sich folgendes Besetzungsschema:

Politik: Markus Söder (CSU, Regierung) und Daniel Bahr (FDP, Regierung)

Experte: Werner Bartens (Arzt, Medizinjournalist)

Krankenkasse: Thomas Bodmer (BKK-Vorstand)

Arzt: Hinrich Romeike (Zahnarzt, Olympiagewinner im Vielseitigkeitsreiten)

Sonderstellung als externes Element: Betroffene: Angelika Walle

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Positionen gut besetzt sind und diese

auch angemessen vertreten werden können. Als etwas problematisch stellt sich die

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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Kombination Söder und Bahr dar, da sie durch ihre Uneinigkeiten den roten Faden im

Gespräch durcheinanderbringen. Zudem bringt das Gespräch mit der Betroffenen,

Angelika Walle, nicht ganz die gewünschte Zusatzinformation und Überleitung zu dem

vorher, durch den Einspielfilm in die Wege geleiteten, neuen Themenblock. Siehe dazu

auch in der Analyse des Kriteriums ergänzende Elemente.

Zu konstatieren ist allerdings, dass die Gästeauswahl nicht allzu überraschend ausfällt.

Lediglich mit Hinrich Romeike wird dem Zuschauer ein, nicht auf den ersten Blick zu

erwartender Gast angeboten, während jedoch seine Aussagen dann nicht wieder allzu

überraschend ausfallen, da er die Arztrolle klar vertritt. Der Umstand, es hier mit einer

nicht allzu überraschenden Gästeauswahl zu tun zu haben, hat aber keine negativen

Auswirkungen auf die Möglichkeiten eines Erkenntnisgewinns. Die Thematik ist

hochaktuell, bietet sehr viel brisanten Gesprächsstoff und die Gäste sind folglich

durchaus in der Lage neue Aspekte ins Gespräch mit einzubringen.

Insgesamt ist festzustellen, dass vom Kriterium Gästeauswahl in diesem Fall für den

Erkenntnisgewinn keine Gefahr ausgeht. Die Position der Betroffenen wird hier zwar

erwähnt, aber im Analysekriterium ergänzende Elemente nochmals genauer betrachtet

und ist so als ergänzendes Element zu werten und aus der Wertung hier ausgeschlossen.

Es ergibt sich die Beeinflussungskategorie 1.

Anne Will

Zum Thema Zocken, spekulieren, abkassieren – haben Banker aus der Krise nichts

gelernt? empfängt Anne Will Fraktionschef der Linken in Thüringen, Bodo Ramelow,

Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner, Lehman-Opfer-Anwalt Gerhard Baum,

den Präsidenten des deutschen Sparkassen- und Giroverbandes Heinrich Haasis sowie

den Wiener Investmentbanker Gerhard Hörhan, der sich selbst als Investment-Punk

bezeichnet. Als Experte ist der Finanztest-Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen

geladen. Während Bodo Ramelow von der Politik Maßnahmen statt Appelle einfordern

soll, in dieser Rolle wird er zumindest vorgestellt, soll Gerhard Baum insbesondere die

Opfer der Bankenzockerei vertreten und das muntere Weitergezocke deutlich

anprangern. Beide werden den ihnen zugedachten Positionen weitgehend gerecht und

auch Ilse Aigner erfüllt als Verbraucherschutzministerin, die, von ihr erwartete, Rolle.

Anzumerken ist, dass keine der drei Positionsbesetzungen von einer großen

Experimentierfreude bei der Gästeauswahl zeugt. Doch eine unerwartbare und

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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ungewöhnliche Gästewahl birgt auch Risiken, so Andreas Schneider, Redaktionsleiter

bei Anne Will, die an einem Sonntagabend nicht zu unterschätzen sind. Man wüsste um

das Problem, dass die Gästeauswahl nicht immer von besonderem Mut in der Besetzung

zeugt, jedoch wisse man auch, was funktioniere und am Sonntagabend gebe es einen

Erwartungswert, wen der Zuschauer bei Anne Will sehen will.139

Erwartet wird in einer Sendung mit dieser Thematik logischerweise auch die Seite der

Banker. Jedoch lässt die Besetzung der Gäste aus dem Finanzsektor darauf schließen,

dass sich wohl keiner der verantwortlichen Banker überzeugen ließ, in die Sendung zu

kommen und sich einem möglichen Kreuzfeuer auszusetzen. Und so wird der

Finanzsektor von einem jungen Investmentbanker aus Österreich vertreten, sowie dem

Präsidenten des deutschen Sparkassen- und Girokontoverbandes Heinrich Haasis.

Sofort wird deutlich, dass es eindeutig an Prominenz aus dem Finanzsektor fehlt, ein

Umstand, der aus der Not heraus die Moderatorin dazu bringt, eine folgenschwere

Fehlbesetzung zu vollziehen. Die Zielsetzung der Sendung scheint, aus Sicht des

Zuschauers, eindeutig eine Entlarvung eines Bankers zu sein und so soll aus dem

Sparkassen-Präsidenten der skrupellose Banker werden. Doch Heinrich Haasis ist, so

die Kritiker, mit seinem baden-württembergischem Akzent und dem eher gemächlichem

Auftreten, nicht mehr Risikoausstrahlung als einem Girokonto zuzuschreiben und so

taugt er nicht als Verkörperung des skrupellosen Bankers140. Heinrich Haasis scheint

der einzige, verantwortliche Banker gewesen zu sein, der sich bis in die Sendung getraut

hat. Die Problematik liegt darin, dass er deshalb einfach in einer vorher angelegte

Position gepresst wird, die er nicht richtig auszufüllen vermag und sich insbesondere

auch redlich dagegen sträubt. Um die Fragestellungen der Sendung trotzdem zu

thematisieren, versucht die Moderatorin wiederholt ihn zu entlarvenden Antworten zu

bewegen und in ein zweifelhaftes Licht zu rücken. Er weicht den Fragestellungen

jedoch gekonnt aus, entkräftig immer wieder mögliche Angriffspunkte und präsentiert

sich stattdessen als scheinbar verantwortungsvoller Banker. Erschwerend kommt hinzu,

dass auch weitere Gäste diese Besetzung Haasis in der Rolle des skrupellosen Zockers

nicht hinnehmen wollen und ihm unerwartet Rückendeckung bieten. So kommentiert

Gerhard Baum Heinrich Haasis Verteidigungen bezüglich des Verkaufsdrucks in

139 Andreas Schneider auf der Fachkonferenz Interviewkulturen, Netzwerk Recherche, November 2008,

Berlin (Mitschrift der Autorin) 140 Vgl.: Müßgens (15.03.2010): Anne Will beißt sich an Haasis die Zähne aus

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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Sparkassen und der Ergebnisse des, von Finanztest-Chefredakteurs Hermann-Josef

Tenhagen vorgestellten Test, sehr zugunsten der Sparkasse:

00.38:31 Baum (zu Haasis): Also ich würde das auch nicht generalisieren, um ihnen da

entgegen zu kommen, es gibt sicherlich sehr gute Berater. […] Aber der Druck etwas zu

verkaufen ist doch je höher desto äh je stärker desto höher der provisionsabhängige Teil des

Einkommens ist und der ist eben in anderen Bankinstituten und bei Finanzdienstleistern

sehr viel höher als bei ihnen. […]

Und Bodo Ramelow lobt die Sparkassen als Retter in der Krise:

48:32: Ramelow: […] Insoweit stimmt es also, die Sparkassen sind zum Beispiel im

Moment, was die Gewerbetreibenden angeht, die großen Helfer in der Not, wie großen

Kapitalbanken zurzeit ihr Kapital zurückgehalten, weil sie die Eigenkapitalquote erhöhen

wollen. Da sind sie, wenn sie nicht da wären, würde die Wirtschaft richtig im Moment äh in

die Kreditkrise massiv reinkommen.

Ein Umstand, der das Gästegerüst zusätzlich ins Wanken bringt. Als zweiter Vertreter

des Finanzsektors ist der junge Investmentbanker Gerhard Hörhan, geladen. Er

provoziert zwar mit Angaben, dass er immer noch auf Profit aus sei und führt aus, dass

Menschen sich nicht auf Produkte einlassen sollten, die sie nicht verstehen. Aber er

beklagt jedoch auch, dass zu viel Regulation den Zugang zu interessanten

Finanzprodukten für Kleinanleger versperre. Die Runde kann jedoch nicht so recht mit

seinen Aussagen etwas anfangen. Er nimmt die komplette Sendung über eine

Außenseiterposition ein, von der er gelegentlich kurze Kommentare einfließen lässt,

aber in an der Diskussion nicht so richtig teilnehmen darf.

Bei genauer Betrachtung wird die Problematik dieser Gästewahl deutlich.

Möglicherweise kann er einige für manchen Zuschauer sicherlich interessante Aspekte

der Finanzbranche verdeutlichen, jedoch ist er für die zu diskutierende Thematik eher

der falsche Gast. Denn auch er passt nicht in die Rolle des Bankers, der das Ersparte,

des Kleinanlegers verzockt, da er völlig andere Produkte verkauft. Dies spricht er selbst

an und Herr Ramelow spricht im Anschluss die Problematik dieser Rollenbesetzung

aus:

00:20:14: Will: Verstehen sie denn alles, was sie verkaufen?

00:20:17 Hörhan: Ja und ich verkaufe eigentlich keine Finanzprodukte. Aber ich verstehe

alles, wo ich investiere. Ich würde nie in etwas investieren, was ich nicht verstehe.

00:20:24 Ramelow: Ja aber das war doch gerade das Problem, was Herr Baum

angesprochen hat, insoweit glaub ich reden wir jetzt über zwei verschiedenen Welten: Sie

analysieren einen Betrieb und sie überlegen was kann man da tun und was ist die

Entscheidung. Dagegen ist gar nichts einzuwenden. Das ist aber nicht der Handel mit

Derivaten, von denen Herr Baum spricht […].

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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Ein Scheitern des Erkenntnisgewinns in Bezug auf die Entlarvung eines skrupellos

zockenden Bankers ist also schon mit der Gästewahl vorprogrammiert gewesen. Die

Tragweite zeigt sich in der Sendung. Die Voraussetzungen für eine kontroverse und

erkenntnisreiche Diskussion waren von vorneherein eher problematisch. Während zwar

die Diskussion einige interessante Aspekte beleuchtet und die restlichen Teilnehmer

auch gut agieren, wird sie jedoch immer wieder überlagert und eine mögliche

Erkenntnisentwicklung aus den Themen der Runde, immer wieder durch die Versuchen

Anne Wills einen Banker in die Verantwortung zu ziehen oder die Sparkasse als

zockende Bank zu entlarven, störend beeinflusst. Fast scheint es, als brauchten die

wiederholten Versuche, Heinrich Haasis herauszufordern, soviel Aufmerksamkeit der

Moderatorin, dass die restliche Diskussion so etwas fahrig geführt wird. Die Gäste

versuchen immer wieder in verschiedenen Richtungen, zwar nicht davon-, jedoch

kurzzeitig auf die Gegenspur zu wechseln. Die fast schon verbissenen Versuche der

Entzauberung der Sparkasse entwickeln eine Dominanz, die die Entwicklung der

Diskussion hemmt.

Mit den anderen Gästen wären in der Runde durchaus Gäste vorhanden, die

erkenntnisreiche Diskussion führen könnten und es ansatzweise auch tun, jedoch ist die

Moderation eigentlich immer auf einer anderen Fährte unterwegs. Diese liefert

allerdings kaum Ergebnisse, da an falscher Stelle gesucht wird und so die Zeit

möglicherweise in der restlichen Diskussion besser angelegt wäre.

Somit ist die Gästewahl, im Fall der untersuchten Sendung, der Sendereihe Anne Will,

als extrem beeinflussend für den Erkenntnisgewinn der Gesamtdiskussion zu werten

und folglich mit der Beeinflussungskategorie 3 zu kennzeichnen.

In der Analyse der Kriterien sprachliche Interaktion, sowie Gesprächsverlauf wird die

inhaltlichen Problematiken dieser Gästeauswahl noch ausführlicher und ergänzend

untersucht werden.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

63

2.2.3 Ergänzende Elemente

Maybrit Illner

Als ergänzende Elemente lassen sich, in der Sendung, vier Einspielfilme sowie ein

Betroffenengespräch klassifizieren.

Einspielfilm 1: Zusatzbeiträge, Minute 00:02:27-00:03:02: Der erste Einspielfilm führt

mit einem aktuellen Beispiel, einer Straßenumfrage über die Zusatzbeiträge ins Thema

ein und kann somit als sinnvoll eingesetztes Element gewertet werden.

Einspielfilm 2: Vergleich mit Schweden, Minute 00:11:15-00:12:04: Der Film stellt

einen Vergleich mit der medizinischen Versorgung in Schweden her und illustriert die

angesprochene Thematik, in der in der Bevölkerung ein Gefühl der Unterversorgung,

trotz ausreichender Versorgung ausmachen zu können. Er stellt dem Zuschauer einige

Vergleichsdaten mit einem anderen Land vor, bietet so eine kleine Zusatzerkenntnis

über die dortige medizinische Versorgung und illustriert die Diskussion. Seine Aufgabe

ist es zum Thema der hohen Kosten überzuleiten.

Einspielfilm 3: Welche Medikamente gibt es noch für Versicherte, welche nicht?,

Minute 00:27:53-00:28:31: Der dritte Einspielfilm soll das Betroffenengespräch

einführen und die Thematik, was muss der Versicherte bei Medikamenten selbst zahlen?

darstellen. Der Einspielfilm kann diesen Themenübergang gut leisten, jedoch gelingt

mit dem anschließenden Gespräch der Übergang nicht.

Einspielfilm 4: Herr Söder und das Vergessen, Minute 00:52:23-00:53:22: Der

Einspielfilm ist an dieser Stelle sehr passend gewählt, da sich Herr Söder gar nicht mehr

an seine Beteiligung am Koalitionsvertrag erinnern will. Mit diesem Einspielfilm wird

die aktuelle Stellung der CSU verdeutlicht und das Gespräch befördert. Herr Söder ist

nach dem Film in der Situation sich dazu äußern zu müssen. Insofern ist der Film als

eine Beförderung Richtung einer Gesprächserkenntnis zu werten. Da das Gespräch sich

jedoch in einer, für den Zuschauer sehr unklaren Situation des sich Uneinigseins,

unabhängig vom Thema befindet, befördert er nur die Erkenntnis in der konkreten

Situation:

00:52:24: Illner: Herr Söder ist so ein Koalitionsvertrag, da müssen wir schmunzeln, ist so

ein Koalitionsvertrag für sie eine Art Diskussionsgrundlage oder muss man sich daran

halten?

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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00:52:33 Söder: Ne also Herr Bahr kann bestätigen, dass ich bis zum Schluss nein gesagt

haben zu dieser Passage im Koalitionsvertrag ich habe ja ich

habe bis zum Schluss […]

00:52:36 Illner (parallel):dann erfahren wir das jetzt endlich

Jedoch ist festzustellen, dass er auch die Diskussion zwischen Bahr und Söder weiter

anheizt, die in ihrer Gesamtheit für den Erkenntnisgewinn aufgrund der verwirrenden

Diskussion und des hohen Ablenkungspotenzials, von den bisherigen

Diskussionsansätzen, Erkenntnis gefährdend wirkt.

Betroffenengespräch ab Minute 00:28:32: Die Betroffene Angelika Walle soll

thematisieren, wie viel sie als chronisch Kranke monatlich selbst zuzahlen muss. Als

problematisch erweist sich, dass das Gespräch stark in Richtung Zusatzbeitrag abdriftet

und zudem Frau Walle sehr aufgeregt erscheint und folglich kaum klare Aussagen aus

dem Gespräch gewonnen werden können. Maybrit Illner versucht immer wieder ihr

Vorlagen zu liefern, indem sie die Zuzahlungen, die die Patientin zu tragen hat,

nacheinander aufzählt. Aber da diese dies meist nur bestätigt oder nur teilweise

ausführt, kann die durch das Gespräch gewünschte Darstellung der Problematik ihrer

Situation nicht so recht gelingen. Das Gespräch soll die Seite des Versicherten

darstellen und das Thema was zahlt der Patient illustrieren, stattdessen wird wieder

über die Zusatzbeiträge gesprochen, die an dieser Stelle nicht die einzige und vor allem

nicht die zu illustriere geplante Zuzahlung darstellt. Die Folge ist, dass das

Betroffenengespräch keinen wirklich verwertbaren Erkenntnisgewinn liefert, sondern

eher die, zuvor durch den Einspielfilm vorbereitete, geplante Erkenntnis über

Zuzahlungen die Maybrit Illner dann wieder mit in die Runde nehmen wollte, negativ

beeinflusst, das heißt zerstört.

Hier lässt sich also eine Gefährdung des Erkenntnisgewinns in einem Teilbereich

ausmachen. Aber da der Teilbereich die Versicherten betrifft, ist dieser als wichtig zu

werten und für das Kriterium die Beeinflussungskategorie 2 festzulegen.

Anne Will

Als Kategorie ergänzenden Elemente sind in der Sendung vier Einspielfilme, sowie ein

Expertengespräch zu bezeichnen. Allgemein lässt dich feststellen, dass diese fünf

Elemente in der Sendung den Gesprächsverlauf thematisch illustrieren, in neue Aspekte

des Themas einführen und Beweise liefern sollen.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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Einspielfilm 1: Thematische Einführung, 00:02:35-00:04:30: Ebenso wie in der

Sendung von Maybrit Illner nutzt die Anne Will-Redaktion das Element des

Einspielfilms, um in das Thema einzuführen. Doch statt einer Umfrage liefert der

Einspielfilm einen Eindruck von der aktuellen Situation und zeigt eine Demonstration

von Lehman-Opfern, die einige Tage vor der Sendung stattfand. Ergänzend ruft der

Beitrag ins Bewusstsein, wie die Banker 2008, zu Beginn der Krise, noch Besserung

und Veränderungen gelobten und setzt diesen Beteuerungen Aussagen des Experten

Prof. Henrik Enderlein entgegen, der ein munteres Weitergezocke der Banken, gefördert

durch den finanziellen Schutzschirm der Gelder des Steuerzahlers, beschreibt. Der Film

bietet für den Zuschauer einen guten Einstieg in das Thema und eröffnet mit der im

Beitrag von Prof. Enderlein formulierten These zugleich für die Runde die erste

Fragestellung und den ersten Themenblock. Dem Einspielfilm ist ein hohes

Erkenntnisgewinnpotenzial zuzuschreiben und zudem legt er einen soliden Grundstein

für einen möglichen Erkenntniszugewinn in der Sendung.

Einspielfilm 2: Sparkasse und Zertifikate, 00:22:27-00:22:44: Der zweite Film

illustriert, durch einige Bilder von der Homepage der Sparkasse, Anne Will´s

Behauptung die Sparkassen verkauften ebenfalls noch Zertifikate an Privatkunden. Der

Beitrag ist in seinem Einsatz als ein Hilfsmittel für die Moderation zu werten, um ihre

auf Enttarnung ausgerichtete Aussage zu illustrieren und den Gesprächspartner, in

diesem Fall Heinrich Haasis, in die Enge zu treiben. Der Film hat für einen kurzen

Moment eine gewisse Überfallswirkung auf den Gast, sein merkliches Schlucken zeigt

deutlich, dass dies ein starker Beweis ist, den er gut begründen muss, um hier kein

Schuldeingeständnis abzuliefern. Schnell schafft er es jedoch, über die Argumentation,

dass dies nicht für den Normalbürger gedacht sei, aber als Angebot von manchen

Kunden eingefordert wird, den Vorwurf zu entkräften. Anne Will gelingt es wieder

nicht wirklich, ihn in die Verantwortung zu ziehen.

Experteninterview: Hermann-Josef Tenhagen, 00:29:24-00:33:32: Im Gegensatz zu

dem schon in der Maybrit Illner-Sendung untersuchten Betroffengespräch, ist für diese

Sendung als Nebengastinterview ein Expertengespräch gewählt worden. Der Experte,

vertreten durch Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur der Zeitschrift Finanztest,

liefert nicht nur Hintergrundinformationen zum Thema, sondern stellt einen, von seiner

Zeitschrift durchgeführten, Test von Bankberatungsgesprächen vor. Die Ergebnisse sind

sehr schlecht ausgefallen. Das Gespräch soll verdeutlichen, wie es in den Banken

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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wirklich zugeht und wie leicht der Kunde Produkte empfohlen bekommt, die gar nicht

für ihn geeignet sind, aber dessen Verkauf dem Bankberater zugute kommt. Herr

Tenhagen erklärt anschaulich die Ergebnisse des Tests und bietet so die Diskussion

ergänzende Informationen. Insgesamt ist dem Gespräch folglich ein im positiven Sinne

Erkenntnis beeinflussender Faktor zuzuschreiben.

Einspielfilm 3: Verkaufdruck der Berater, 00:33:47-00:34:52: Der Film schließt sich

direkt der Vorstellung der Bankberatungstestergebnisse durch Herrn Tenhagen an. Anne

Will beendet das Gespräch mit einer Frage nach den Beratungsergebnissen der

Sparkasse und untermauert mit dem Beitrag, das eher schlechte Ergebnis, durch eine

Untersuchung Verdi´s über den Verkaufsdruck der Bankberater. So habe eine

Befragung der Bankmitarbeiter durch Verdi ergeben, dass der Berateralltag,

insbesondere auch in den Sparkassen, dem einer Drückerkolonne ähnele und so nicht

nur Schäden für den Kunden, sondern auch gesundheitliche Folgen für die Bankberater

mit sich bringe. Ein Vorwurf, mit dem sie, zurück in der Runde, Heinrich Haasis

konfrontiert. Heinrich Haasis schmettert die Vorwürfe ab, und als Anne Will wiederholt

nachfragt, stellt er die Finanztest-Untersuchungsergebnisse infrage, bezeichnet diese

immer deutlicher als verfälscht und kontert weiterhin mit Argumenten für die

Sparkassen. Der Film für sich alleine liefert mit den Verdi-Informationen durchaus

Informationen über die Sparkassen mit einem gewissen Erkenntniswert. Aber da diese

im darauffolgenden Gespräch teilweise vehement bestritten und mit Argumenten für die

Mitarbeiterpolitik der Sparkassen etwas entkräftig werden, verlieren die Informationen

zwar nicht unbedingt an Glaubwürdigkeit, jedoch schafft es der Film auch nicht, eine

weitere erkenntnisreiche Aussage im Gespräch zu provozieren. Die einzige Erkenntnis

die bleibt ist, dass Heinrich Haasis der falsche Gast ist, zudem unglaublich deutlich die

Vorwürfe abschmettert und Anne Will keine Möglichkeit gibt, die von ihr geplante

Erkenntnis über skrupellose Banken zu gewinnen.

Einspielfilm 4: Beipackzettel, 00:43:21-00:44:08): Der 4. Einspielfilm ist kaum als ein

Film zu bezeichnen, da er lediglich den Inhalt eines von der Bundesregierung

entworfenen sogenannten Beipackzettels für ein Finanzprodukt illustriert. Er stellt somit

eine passende Veranschaulichung des diskutierten Inhalts dar und entlockt Frau Aigner

das vage Eingeständnis, dass der Beipackzettel, der unverständliche Finanzprodukte

erklären soll, selbst kaum von einem Laien verstanden werden kann. Der Film trägt also

im Rahmen der Diskussion zu einer Wissenserweiterung des Zuschauers, in der Frage,

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

67

wie ein solcher Beipackzettel wohl in Zukunft aussehen könnte, bei und liefert im

anschließenden Gespräch den Erkenntnisgewinn, dass auch diesen kaum jemand

versteht. In Bezug auf die Gesamtthematik der Sendung ist dies jedoch nur als einen

minimalen Teilerfolg in Bezug auf einen Erkenntnisgewinn zu werten.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die ergänzenden Elemente einen

weitgehend positiven, sowie nicht störenden Einfluss auf einen Erkenntnisgewinn

ausüben und folglich mit der Beeinflussungskategorie 1 zu kennzeichnen sind.

2.2.4 Sitzordnung

Maybrit Illner

Die Sitzordnung ist im Halbkreis gewählt. Die Moderatorin nimmt dabei die mittlere

Position ein. Die gegnerischen Parteien sitzen sich teilweise gegenüber – aus

Zuschauersicht links die beiden Politiker, rechts der Experte und der Arzt. Zwischen

den Bbeiden der Krankenkassenchef. Für das Gespräch mit der Betroffenen nimmt die

Moderatorin im Publikum neben dieser Platz und begibt sich anschließend zurück in die

Gesprächsrunde. Die Betroffene verfolgt den Rest der Sendung aus dem Publikum

heraus.

Die Problematik, die sich aus der Sitzordnung der Diskutanten und der Moderatorin

ergibt, liegt in der Position der Moderatorin, die, zwischen den Gästen sitzend, wie ein

Dirigent die Runde steuern muss. Aus der Position ergibt sich die Gefahr, dass

nonverbale Kommunikation, die von den nicht-sprechenden Gästen ausgeht,

möglicherweise nicht von der Moderatorin wahrgenommen wird. Dies ist der Fall, wenn

diese sich zu Gästen auf einer Seite gewandt hat und die Aktion auf der anderen Seite,

sprich in ihrem Rücken stattfindet. Wenn ein Gast nonverbal gegensätzlich zu seinen

Aussagen agiert oder wichtige Gesten von der Moderation nicht gesehen und folglich

auch nicht hinterfragt werden können, kann es zu einer Störung des Wahrheitsgehaltes

der Diskussion oder einem Fehlen interessanter Aspekte kommen. Dies kann den

Erkenntnisgewinn schwächen, jedoch aber kaum die Wirkung entwickeln ihn zu

verhindern oder extrem positiv zu beeinflussen. Somit ist die nonverbale

Kommunikation auch nicht als ein eigenes Analysekriterium zu werten. Sie wird jedoch

in Bezug auf die Sitzordnung, als einen wichtigen Teilaspekt des Kriterium Sitzordnung

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

68

gewertet, da die Sitzordnung einen direkten Einfluss auf diese haben kann und folglich

ausschlaggebend für mögliche so erzeugte Störungen des Erkenntnisgewinns ist.

In der vorliegenden Maybrit Illner - Sendung findet die aktivste nonverbale

Kommunikation seitens Söder und Bahr statt, die die Aussagen der anderen Gäste

oftmals durch Kopfnicken oder Schütteln kommentieren. Die Moderation nimmt diese

meist wahr und kann sie hinterfragen. Auch ist in diesem Fall die nonverbale

Kommunikation stimmig mit den Aussagen. Somit resultiert in der vorliegenden

Sendung keine direkte Gefährdung des Erkenntnisgewinns aus der Sitzordnung.

Dass es aber prinzipiell in anderen Sendungen durchaus zu Problemen kommen kann,

die aus dieser Sitzordnung resultieren, beschreibt Wolfgang Klein, Redaktionsleiter

Maybrit Illner wie folgt:

„Also sie muss sich da schon sehr konzentrieren. [.] Wir haben auch schon selber

manchmal das Gefühl gehabt, dass sie so auf die eine Seite konzentriert ist, dass sie nicht

richtig mitkriegt, was auf der anderen Seite sich tut. Aber das ist eher der Ausnahmefall.

Ich glaub im Großen und Ganzen kriegt man das schon mit. Soweit sitzen die ja auch

wieder nicht auseinander. Also ich mein das ist ja nicht viel größer als, was wir hier treiben.

Nur ein bisschen. Und da kriegen sie schon in etwa, mit was rechts von ihnen passiert.“

Die Sitzordnung, wie sie hier in der Sendung vorliegt, ist nur eine Möglichkeit Gäste

und Moderator zu platzieren, Sendungen wie beispielsweise hart aber fair oder das eher

gesellschaftspolitisch orientierte Format Menschen bei Maischberger haben eine etwas

andere Art gewählt. In hart aber fair sind die Gäste sitzend an Pulten ebenfalls im

Halbkreis versammelt, jedoch hat der Moderator eine stehende Position, seitlich vor

ihnen, mit dem Rücken größtenteils zum Publikum, inne. Diese ermöglicht ihm eine

bessere Übersicht über die Diskutanten. Jedoch birgt diese Anordnung aus

Diskutantensicht, aber auch in der Wahrnehmung durch die Zuschauer, durchaus auch

kritische Aspekte, wie die Talkshowmacher der Sendung Maybrit Illner bemerken.

Redaktionsleiter Wolfgang Klein: „Also die Tatsache, dass Plasberg steht und die

anderen etwas unter ihm platziert sind die wirken auf viele Leute, er ist der Oberlehrer,

ja. Es gibt aber andere die sagen das ist der Ritter, das ist der Recke, der sie alle in die

Schranken weist und so.“ Sabine Orner, Maybrit Illner-Redakteurin und

Pressesprecherin sieht die Positionierung der Gäste als nicht unproblematisch: „Die

sitzen ja nicht so um einen Tisch herum und können sich alle angucken, sondern in dem

sehr offenen, fast schon gerade Strecke und haben dann auch noch Tisch, so als

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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Holperstelle. Dass sich sehr viel Dynamik unter den Gästen rausnimmt. […] Man sieht

es ja schon bei der Blickausrichtung dieser Gäste. Die gucken ja alle Plasberg an.“ Die

Sitzordnung der Sendung hart aber fair wird als eine Peripher-Sichel141 bezeichnet.

Nach Matthias Fley ist es bei dieser Sitzordnung deutlich schwieriger aufkommende

Konflikte zwischen den Diskutanten zu schlichten, da er sich nicht gleichzeitig im

Gesichtsfeld beider sich streitenden Gäste befindet und so lediglich verbal eingreifen

kann.142 Georg Diedenhofen, Redaktionsleiter von hart aber fair sieht seine Sendung

jedoch gerade dadurch im Vorteil:

„Die zurückgelehnte Haltung in Sesseln und der große Abstand der Gäste zueinander in den

anderen Formaten lässt den Gästen mehr Raum als bei uns. Durch unsere Sitzordnung und

die große Nähe der Gäste zueinander wird der personal space der Gäste aufgebrochen, sie

agieren miteinander, können sich anfassen und so stark aufeinander Einfluss nehmen. Da

der Moderator steht, wird er eher als Chef im Ring angesehen, seine Interventionen sind

nachhaltiger. Und er hat die Freiheit, sich zwischen Gäste und die Kamera zu stellen, wenn

diese nicht mehr auf ihn hören. Durch diese Art der „Blende“ kann der Moderator

wirkungsvoll jede ungesteuerte Diskussion beenden.“143

Maybrit Illner-Redaktionsleiter Wolfgang Klein schreibt, im Vergleich mit der

Sitzordnung von hart aber fair, seiner als Zentralsichel144 ausgerichteten Runde, durch

eine direktere Kommunikation zwischen den Gästen und einer Ebenbürtigkeit zwischen

Gast und Moderatorin, eine stärkere Förderung des Diskussionscharakters zu. Bedeutet

dies eine höhere Chance auf einen Erkenntnisgewinn im Gespräch?

„Die Moderatorin ist auf jeden Fall von der Sitzanordnung her einer eine aus der Runde, ist

nicht erhöht, ist nicht erniedrigt, sondern auf gleicher Höhe zwar viel zentral, dadurch

vielleicht ein bisschen mehr herausgehoben, aber sonst eine von diesen Gästen, die sich alle

als gleichberechtigt empfinden dürfen: Während wenn der Moderator steht und die Gäste

unter ihm sitzen, ist von vorneherein ja schon mal eine andere Anmutung darin. […] Ja wir

können das doch ausprobieren. (steht auf) Wie wirkt denn das wenn ich jetzt hier stehe und

sie was frage. Wirkt doch anders, als wenn ich hier sitze und sie was frage!? […] Plasberg

ist Frontalunterricht. Da ist der Lehrer eine Respektperson und die anderen sind schon mal

von vorneherein in einer gewissen Demutshaltung. Während hier sind eigentlich alle gleich

[…]. Wir wollen ja auch, dass die miteinander reden. Dass nicht die Argumente vom

Moderator kommen und von den anderen dann aufgenommen und beantwortete werden

141 Vgl.: Fley (1997), S. 92 142 Vgl.: Eisentraut (2007), S. 81 143 Interview hart aber fair 144 Vgl.: Fley (1997), S. 92

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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und dann wieder an den Moderator zurückgehen, sondern bei uns geht ja eigentlich,

versucht die Moderatorin zwar schon in gewisser Weise das Heft in der Hand zu haben aber

im Prinzip ist auch jeder ermuntert dem anderen ins Wort zu fallen und mit dem anderen

sich zu streiten. Und das ist was ganz anderes.“

Festzuhalten ist, dass während bei Runden wie Maybrit Illner der Diskussionscharakter

im Vordergrund steht und somit auch ein Erkenntnisgewinn zwischen den Diskutanten

befördert wird, basiert die Sitzordnung in Sendungen wie hart aber fair auf einer

deutlichen Hierarchie zwischen Gast und Moderator. Durch diese können

möglicherweise einzelne Fakten und Sachverhalte besser geklärt, erhellt und abgefragt

werden.

Insgesamt lässt sich die Sitzordnung in der Sendung Maybrit Illner als ein Element mit

niedrigem Beeinflussungs- und Gefährdungspotenzial für den Erkenntnisgewinn

einordnen und mit der Beeinflussungskategorie 1 beschreiben.

Anne Will

Die Sitzordnung in der untersuchten Sendung Zocken, spekulieren, abkassieren – haben

Banker aus der Krise nichts gelernt? aus der Reihe Anne Will ist bezüglich der

Diskutanten und der Moderatorin, ebenso wie in der Sendungen Maybrit Illner, als

Zentralsichel145 angeordnet. Ebenso wird mit der Sitzordnung auch versucht, die

scheinbar gegnerischen Positionen in der Diskussion, auf verschiedenen Seiten zu

platzieren. So ist die Sitzordnung wie folgt von links nach rechts festgelegt: Bodo

Ramelow, Ilse Aigner, Gerhard Baum, Anne Will, Heinrich Haasis und Gerhard

Hörhan. Die sich daraus ergebenden möglichen Problematiken sind schon in der

Untersuchung zur Sendung Maybrit Illner angesprochen worden. Aber auch hier

kommen diese jedoch nicht zum Tragen.

Als zusätzliches Element der Sitzordnung ist ein Stehtisch zu erwähnen, an dem die

Moderatorin den Finanztest-Chefredakteur Hermann-Joseph Tenhagen zu von der

Zeitschrift durchgeführten Beratungsgesprächstests in Banken befragte. Die stehende

Anordnung, vor der Runde, ist für dieses Gespräch als sehr passend zu werten und

kennzeichnet so das Gespräch deutlich, als ein zur Diskussion ergänzendes Element.

145 Vgl.: Fley (1997), S. 92

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Eine Beeinflussung für den Erkenntnisgewinn ergibt sich aus der Anordnung im Raum

nicht, daher ist die Beeinflussungskategorie 1 gültig.

2.2.5 Gesprächsverlauf

Maybrit Illner

Da die ursprüngliche, von der Redaktion vor Sendebeginn festgelegte Gesprächsstruktur

für diese Sendung nicht vorliegt, konzentriert sich die Untersuchung auf dem

tatsächlichen, in der Sendung stattfindenden Gesprächsverlauf. Dieser weist in einer

gelungen Talkshow eine deutliche Struktur, basierend auf der vor Sendebeginn

festgelegten Gesprächsstruktur auf und lässt einen roten Faden erkennen. Anhand der

untersuchten Sendung lässt sich somit folgender thematischer Ablauf feststellen:

Vorstellung

Zusatzbeiträge

Probleme im Gesundheitssystem

o Unterversorgungsgefühl

o Überbürokratie

o Intransparenz

Verbesserungsforderungen an die Politik

Sparmöglichkeiten aus Politikersicht

Paradies für Pharmaindustrie

Welche Medikamente wurden von Kassen gestrichen?

Betroffenengespräch

Zusatzbeiträge

Bürokratie

Einsparungsmöglichkeiten

Ist alles, was die Kasse nicht zahlt, Luxus?

Politische Zukunft des Gesundheitssystems

Zukunftswunschmodelle der Diskutanten

Es lassen sich deutlich die Themenblöcke

Zusatzbeiträge als ein aktuelles Beispiel

Probleme im Gesundheitssystem

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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Einsparmöglichkeiten

Sicht des Patienten

Politische Zukunft des Gesundheitssystems

ausmachen. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar, dass die Themenblöcke

Zusatzbeiträge und politische Zukunft des Gesundheitssystems mit ca. 12 Minuten und

ca. 16 Minuten fast die Hälfte der Sendezeit einnehmen. Als problematisch ist

festzustellen, dass der Themenblock Zusatzbeiträge in erster Linie ein aktuelles Beispiel

der gestiegenen Kosten im Gesundheitssystem und Belastungen für den Patienten ist,

jedoch in der Thematik selbst nur ein kleines Element darstellt. Trotzdem gewinnt er

hier immer wieder eine große Bedeutung und fast scheint es, als würde das Thema auch

gerne bemüht, um über die anderen, weitaus problematischeren, Elemente der Thematik

nicht zu viel sprechen zu müssen. Der zweite dominierende Themenblock die politische

Zukunft des Gesundheitssystems liefert kaum Erkenntnisse über eine mögliche

Zukunftsidee, da er sich kreiselähnlich um die Frage dreht, ob man sich denn nun einig

sei, über den gemeinsam geschlossenen Koalitionsvertrag oder nicht. Die einzige

Erkenntnis, die sich dem Zuschauer aus diesem Themenblock vermittelt, ist die große

Frage, wie diese beiden Politiker jemals gemeinsam die Gesundheitspolitik gestalten

wollen, wenn sie sich nicht einmal über Vereinbarungen bereits gemeinsam

geschlossener Verträge einig sind. Zudem fällt auf, dass sie diese Diskussion geschickt

nutzen, um sich vor dem Wähler als besserer Vertreter zu präsentieren.

00:45:18: Bahr (auf Söder deutend): Aber ich brauch diesen gar nicht mehr überzeugen,

den

00:45: 18 Illner: Wie hoch müssen wie hoch müssen diese Einkommen

unabhängige

Bahr: hab ich schon überzeugt. das ist in

der Tat etwas

Illner: wie hoch müsste dieser Beitrag sein

Bahr: worüber wir noch diskutieren müssten, wir würden gerne eine Prämie machen die

auch eine Signalwirkung hat, diese 8 Euro das ist ja in der Tat, wie Frau Walle hat für 8

Euro den Aufwand. Wir würden das man auch unterscheiden kann die Krankenkassen äh da

ist aber noch ne Diskussion wie wir des organisieren wie hoch es ist, aber geeeinigt haben

wir beiden uns in den Koalitionsvereinbarungen (Söder schüttelt Kopf) die

Unterschriften (Lachen im Publikum, Söder schüttelt weiter den Kopf) der

Parteivorsitzenden sind drunter […]

00:46:28 Söder: Also auch wenn man es jetzt schnell redet und nochmal fünfmal

wiederholt ich bin da grundlegend skeptisch. […] Dieses Umfinanzierungsmodell macht

nach allen Schätzungen die da sind zwischen 15 bis 30 Milliarden (Bahr schüttelt Kopf).

00:47:50 Illner: so hier sind die beiden Politiker im Duell – Herr Bahr ihre Widerworte wo

kämen einerseits diese 20-35 Milliarden her und warum will ausgerechnet die FDP jetzt das

lauter Bürger Anträge auf ehm Bedarf stellen? Also auf Zuschüsse.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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00:48:03 Söder: 40 bis 50 % der Bevölkerung der Bürger, der Versicherten würde dann in

allen

Bahr: Nein nein Her Söder

00:48:04 Söder: vergleichbaren Modell in der Realität, das ist ja alles noch Theorie bei der

Bahr: ja, nee n ee nee

Söder: FDP, doch doch doch in der Realität, doch doch doch in der Realität

Bahr: nee nee nee

Söder: vergleichbare Modelle der Welt es funktioniert halt net wirklich und drum was

Bahr: nee nee nee nee nee

Söder: vorhin gesagt wurde von den Kassen. […]

00:48:45 Illner: Jetzt ist Herr Bahr dran

00:48:52 Bahr: Wenn ich das richtig raushör, wollen sie ja den Koalitionsvertrtag infrage

stellen. Wir wir verhalten uns ja vertragstreu wird haben das geeinigt, wir haben uns in

einem Kompromiss auf viele Punkte geeinigt und stellen die nicht infrage. So ist das. Jeder

hat in dem Gesamtpaket sein Anteil.

Bahr nutzt dieses Iinf Fragestellen des Koalitionsvertrages im Folgenden weiter aus und

fügt in Minute 00:54:22 noch hinzu:

Naja manchmal fragt man sich, ob die CSU in der Opposition sein möchte oder in der

Koalition der Partner, damit man diesem Umbruch irgendwann mal auflösen und sich

entscheiden.

Der Themenblock ist folglich mit 16 Minuten, die mehr Verwirrung als Ordnung, mehr

Unsicherheit als Zukunftsideen für den Zuschauer bergen, deutlich zu lang. Die

Konsequenz ist eine sich daraus entwickelnde Dominanz dieses Diskussionsteils. Dieser

stellt zwar keine eindeutig thematische Abweichung dar, ist jedoch dennoch als ein, für

den Gesamteindruck der Diskussion zum Sendungsende, eher störendes, da in seiner

Dominanz die anderen Themenblöcke überlagerndes, Element einzustufen.

Die Moderation verkennt die Tragweite des letzten Themenblocks und das Bedürfnis

der anderen Teilnehmer, die vorherige Diskussion weiterzuführen. Sie wertet die

Systemfrage als einen wichtigen und somit abzuhandelnden Themenblock der

Gesamtfragestellung. Jedoch zeigt sich hier, dass damit eine neue Baustelle eröffnet

wird, bevor die vorherige überhaupt richtig in Angriff genommen wurde. Herr Bartens

versucht auf diese Problematik aufmerksam zu machen, wie in der Analyse zum Grad

der Verständlichkeit ausführlicher beleuchtet, und die Diskussion wieder auf die

vorherigen Themen zu richten, doch diese werden von der Moderatorin als ausreichend

diskutiert bewertet.

Die konstruktiven Ansätze, im ersten Teil der Diskussion, lassen durchaus ein großes

Potenzial für eine erkenntnisreiche Diskussion erahnen. Als problematisch ist dabei

festzustellen, dass insbesondere im ersten Drittel die Moderatorin immer wieder neue

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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Probleme ansprechen lässt und so zwar der Zuschauer Erkenntnisse über den Umfang

der Schwachstellen im Gesundheitssystem erlangt, jedoch werden die Politiker kaum

ernsthaft mit den Problematiken konfrontiert, bzw. dazu bewegt sich ernst zu nehmend

mit diesen auseinanderzusetzen. Stattdessen bestätigt beispielsweise Daniel Bahr, ab

Minute 00:21:08, die Problematiken lediglich, behauptet lediglich daran arbeiten zu

wollen. Im Anschluss versucht er im Zuge dieser Immunisierungsstrategie146 die

negativen Feststellungen auf eine scheinbar positive Ebene umzuleiten, indem er das

Gespräch darauf lenkt, wie gut und leistungsfähig das Gesundheitssystem doch sei.

Durch dieses Verhalten neutralisiert er die Situation und versucht subtil eine

Begründung für die enormen Kosten zu schaffen.

Somit kommt es durch die Formulierung der Schwachstellen zu vielversprechenden

Erkenntnisansätzen, die jedoch im letzten Teil der Diskussion, durch den letzten

Themenblock, fast vollständig überlagert werden. Die Folge ist ein deutlicher

Bedeutungsverlust und eine damit einhergehende Gefährdung des teilweise schon

gewonnenen Erkenntnisgewinns.

Prinzipiell wäre theoretisch nach einem solchen Themenblock eine Rückkehr in die

Diskussion mit den anderen Teilnehmern und die Gesamtthematik möglich. Im hier

vorliegenden Fall ist jedoch die verbleibende Diskussionszeit nach dem letzten

Themenblock zu kurz. Die Moderatorin versucht lediglich eine abschließende Runde

einzuführen, die allerdings an dieser Stelle fast wie eine thematische Abweichung des

vorherigen Themenblockes wirkt, da durch diesen die bisherige Diskussion völlig in

Vergessenheit geraten ist. Die verbliebene Zeit reicht nicht aus, um wieder gedanklich

zurückzufinden.

Allgemein lässt sich zum Gesprächsverlauf feststellen, dass der fünfte Themenblock

vielleicht zwar zu einer weiteren, auch für den Zuschauer interessanten Diskussion

führt, jedoch ist diese hier in Hinblick auf die Definition des Erkenntnisgewinns, als ein

Abweichen vom diesem und somit ein Scheitern der Diskussion zu bezeichnen.

Eine weitere, hier jedoch nicht eintretende Gefahrenquelle in Bezug auf die

Gesprächsstruktur liegt in einer Stagnation der Diskussion. Hierbei kann der

Erkenntnisgewinn auch beschädigt werden, wenn diese zu Beginn oder mitten in der

146 In einer Immunisierungsstrategie versucht sich Gast einer Rechtfertigung, Begründung oder

Stellungnahme zu entziehen. Dazu: Vgl.: Mühlen (1985), S. 256

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Sendung zustande kommt, die Diskussion keine wirkliche Entwicklung mehr erfährt

und so mögliche wichtige Aspekte nicht mehr zur Sprache kommen können.

Es wäre festzustellen, dass Abweichungen vom idealtypischen Ablauf zu einem

inhaltlichen Abweichen, bzw. aus den Augen verlieren des Diskussionsziels und damit

zu einem Verfehlen des Erkenntnisgewinns führen können.

Das Kriterium des Gesprächsverlaufs ist als bedeutend zu werten, weil ein Abweichen

vom gedanklichen roten Faden oftmals ein Abweichen eines ganzen Themenkomplexes

bedeutet. Dieser hat wiederum als elementaren Sendungsteil großen Einfluss auf die

gesamte Diskussion, wie der vorliegende Fall deutlich gemacht hat. Zu bestimmen ist

also die Beeinflussungskategorie 3.

Anne Will

In der zu untersuchenden Sendung aus der Reihe Anne Will lassen sich, wie schon in der

Analyse des Gesprächsverlaufes zu Maybrit Illner-Sendung, Rückschlüsse auf die

mögliche von der Redaktion geplante Gesprächsstruktur ziehen. Jedoch fällt auf, dass

hier im Vergleich zur Maybrit-Illner-Sendung die Themenblöcke nicht so klar

abzugrenzen sind. Dies soll im Verlauf der Untersuchung des Analysekriteriums

Gesprächsverlauf an späterer Stelle genauer betrachtet werden.

Zunächst einmal sei hier ein Überblick über den Ablauf des Gespräches zu geben.

Vorstellung

Zocken Banken sorgloser, weil sie wissen, dass im Notfall der Steuerzahler

einspringt?

Sparkasse: Heinrich Haasis Teil 1

Investmentbanker Gerhard Hörhan

Unverständlichkeit der Produkte

Einspielfilm: Sparkassen verkaufen auch Zertifikate an Privatkunden

Heinrich Haasis Teil 2

Wie kann Kunde besser geschützt werden?

Experteninterview: Vorstellung des Beratertests durch Hr. Tenhagen

Einspielfilm: Verkaufsdruck für Sparkassenberater

Heinrich Haasis Teil 3

Fortsetzung wie kann Kunde besser geschützt werden?

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

76

Einspielfilm Beipackzettel

Haben wir eine neue Phase erreicht oder ist alles wie vor der Krise?

Der Ablauf lässt sich in drei Hauptdiskussionen bzw. Themenblöcke unterteilen:

Zocken Banken sorgloser, weil sie wissen, dass im Notfall der Steuerzahler

einspringt?

Unverständlichkeit der Produkte

Wie kann Kunde besser geschützt werden?

Den Abschluss soll eine Rückkehr auf die Anfangsfragestellung und den ersten

Themenblock liefern und sucht nach Antworten, ob wir uns nun in einer neuen Phase

beschäftigen oder ob wie vor der Krise weitergezockt wird.

Die externen Elemente werden in der Untersuchung des entsprechenden

Analysekriteriums ausführlich betrachte. Zu erwähnen ist aber, dass sie in den

Themenblöcken als Elemente gut integriert sind. Unterbrochen wird jeder Themenblock

durch einen Versuch die Sparkasse als eine für die Krise verantwortliche Bank zu

enttarnen.

Es fällt auf, dass die Themenblöcke, als solche zu erkennen, jedoch innerhalb des

Themenblocks es zeitweise zu leichten Abschweifungen von der Thematik kommt und

diese auch immer wieder ineinander verschwimmen. Die Fragestellung des

Themenblocks wird zwar diskutiert, jedoch nicht sehr zielgerichtet. Die Übergänge der

Themenblöcke sind als eher fließend zu beschreiben, meist werden diese schon im

Gespräch zwischen den Diskutanten von diesen unbeabsichtigt vorbereitet, indem sie

angesprochen werden. Anne Will nimmt diesen Gesprächsfaden oftmals auf und führt

die Diskussion in diesen neuen Themenblock. Jeder Themenblock wird geprägt von

dem Versuch der Moderatorin, untermauert mit Einspielfilmen oder Testergebnissen,

Heinrich Haasis in die Position des verantwortlichen Bankers zu bringen. Diese

Versuche ziehen sich als ein wiederkehrendes Element durch die gesamte Sendung.

Heinrich Haasis wehrt jedoch jeden Vorwurf ab und so fällt die Diskussion

anschließend wieder in die Runde zurück oder wird von dieser wieder übernommen. Es

fällt im Vergleich zwischen den Befragungen des Sparkassenpräsidenten sowie der

Leitung der übrigen Diskussion auf, dass die Hauptaufmerksamkeit der Moderatorin,

verbunden mit einem entsprechend höheren Engagement ihrerseits für diesen Teil der

Diskussion, etwas zugunsten der Befragungen Heinrich Haasis ausfällt. Die restliche

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

77

Runde agiert sehr gut und selbstständig untereinander, der Sprecherwechsel erfolgt

oftmals gästezentriert, jedoch fehlt ihr ein bisschen die Leitung. Und so rutscht sie von

einem Aspekt der Diskussion in den nNächsten. Es entstehen so durchaus

erkenntnisreiche Ansätze, die jedoch durch die Entlarvungsversuche an Herrn Haasis,

immer wieder ins Stocken kommen oder beginnen sich im Kreis zu drehen.

Der Gesprächsverlauf an sich verspricht, ohne die Haasis-Befragungen, eine solide

Basis für eine erkenntnisreiche Diskussion. Jedoch ist durch die sehr einseitig

orientierten Interessen und Erkenntnisziele, diese nicht in der Weise möglich, dass am

Ende ein erkenntnisreiches Gespräch zu verzeichnen wäre. Der Gesprächsverlauf ist mit

der Beeinflussungskategorie 3 zu werten.

2.2.6 Zeitmanagement

Maybrit Illner

Wie schon bei der Untersuchung des Gesprächsverlaufs festgestellt, lassen sich die

Themenblöcke politische Zukunft der Gesundheitspolitik, sowie Zusatzbeiträge mit ca.

16 und 12 Minuten als zeitlich dominant einstufen. Prinzipiell ist eine zeitliche

Dominanz eines Themenblocks nicht als problematisch zu werten. Im hier vorliegenden

Fall ergeben sich aber aufgrund ihrer inhaltlichen Beschaffenheit, Problematiken für die

gesamte Diskussion, wie auch bereits im Kriterium Gesprächsverlauf ausführlich

beleuchtet wurde. Somit lassen sich im Zeitmanagement der Moderation in Bezug auf

die Einteilung der Themenblöcke Defizite feststellen. Diese Fehlaufteilung befördert

Erkenntnis störende Themenblöcke.

Bezogen auf die Gesamtsendezeit liegt somit eine nicht optimale Zeiteinteilung vor, die

folglich Erkenntnisgewinne aus der Diskussion schwächt und schädigt. Da die

Problematik des fünften Themenblocks auch durch seine Endstellung in der Sendung

befördert wird, ist festzuhalten, dass wenn dieser sich an einer früheren Position in der

Sendung befunden hätte, ein ähnliches Zeitmanagement nicht das gleiche Erkenntnis

gefährdende Ausmaß entwickelt hätte. Grund hierfür wäre ein möglicher anschließender

Wechsel zu weiteren Themenblöcken. Dadurch könnte die zeitliche Dominanz des

problematischen Themenblocks an Gewicht verlieren, da die inhaltliche Dominanz

durch eine weitere Diskussion abgebaut werden könnte. Aufgrund dieser Tatsache ist

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

78

das Kriterium Zeitmanagement nur als Erkenntnis beeinflussend, jedoch nicht

Hauptgefährdung einzustufen.

Es ist hinzuzufügen, dass die Sendezeit zwar nicht immer ausreicht, jedoch würde eine

längere Sendung den Erkenntnisgewinn nicht erhöhen, da die Aufnahmefähigkeit der

Zuschauer begrenzt ist. Insgesamt ist daher die Beeinflussungskategorie 2 zu

bestimmen.

Anne Will

Festzustellen ist, dass die Einteilung der Themenblöcke, von dem zeitlichen Aspekt

gesehen, gut aufgeteilt erscheint. Da die Übergänge teilweise recht fließend verlaufen

und ein neuer Themenblock auch nicht eindeutig, von der Moderatorin angekündigt,

sondern aus dem Gespräch des vorherigen Themenblocks entwickelt werden, ist nicht

klar auszumachen, wie stark die Moderatorin selbst das Zeitmanagement bestimmt. Die

Aufteilung ist aber als gelungen zu werten, das heißt, es wird den verschiedenen

Aspekten genügend Zeit eingeräumt. Klare zeitliche Inseln bilden die wiederholten

Befragungen Heinrich Haasis in Bezug auf die Verantwortung der Sparkassen. Es fällt

aber auf, dass die gesamte Diskussion durch die Moderation zeitlich bewusst gesetzte

Orientierungspunkte für den Zuschauer, bedurft hätte, um einen klarere Diskussionslinie

zu zeichnen. Zudem wäre anzumerken, dass aufgrund des geringen

Erkenntnispotenzials der Gespräche mit Herrn Haasis, die hierfür verwendete Zeit

möglicherweise erkenntnisreicher in der Diskussion mit der Hauptrunde eingesetzt hätte

werden können.

Als kritischer Punkt ist festzuhalten, dass insgesamt, bezogen auf die Gesamtsendezeit

ein leichtes Defizit im zielführenden Zeitmanagement zu verzeichnen ist. Die Endrunde

verläuft thematisch nicht sehr erkenntnisreich und erhält durch das von der Moderatorin

in Minute 00:55:40 vorzeitig gesetztes Ende, einen abrupten und etwas überraschend

Schluss. Die verbleibende Zeit nutzt Anne Will, um auf den Erlös eines Spendenaufrufs

hinzuweisen und die Themen der nachfolgenden Sendungen vorzustellen. Die Sendung

endet regulär erst in Minute 00:58:31. Diese ausführliche Widmung, insbesondere den

nachfolgenden Sendungen, erscheint fast wie eine Flucht aus der eigenen, die ja

scheinbar auch in der Endrunde nicht wirklich auf eine eindeutige Aussage kommt. Es

ist festzustellen, dass eine von der Zeitstruktur gut angelegte Sendung, durch den

plötzlichen Schluss etwas ziellos in der Luft hängen bleibt. Eine klare Abschlussrunde

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

79

hätte möglicherweise die Argumente der Diskussion nochmals klaren strukturieren und

vielleicht durchaus noch einen Erkenntnisgewinn in Bezug auf die diskutierte Thematik

hätte entstehen lassen können.

Weil die Beeinflussung eines Erkenntnisgewinns seitens der zeitlichen Komponente

hauptsächlich zum Ende der Sendung negativ zum Tragen kommt, ist das Kriterium

insgesamt nur mit einer Beeinflussungskategorie 1-2 zu werten.

2.2.7 Rederecht

Maybrit Illner

Die Vergabe des Rederechts ist, wie bereits angemerkt, in direktem Bezug zum

Zeitmanagement zu sehen, weil sie sie mit der Gesamtredezeit der jeweiligen

Diskutanten auch eine Zeitkomponente beinhaltet. Die klare Bestimmung des

Bedeutungspotenzials der Kriterien für die Frage nach dem Erkenntnisgewinn macht

jedoch eine Aufteilung von Zeitmanagement und Rederecht notwendig.

Wie schon im Kriterium Sendekonzept dargelegt, erfolgt der Sprecherwechsel sowohl

moderationszentriert, als auch gästezentriert. Hierbei fällt auf, dass bei dem

moderationszentrierten Sprecherwechsel eine Vergabe des Rederechts durch die

Moderation erfolgt, während im gästezentrierten Sprechwechsel das Rederecht meist

nicht vergeben wird, sondern die Diskutanten sich dies gegenseitig entziehen.

In der vorliegenden Sendung lässt sich in der Anzahl der Rederechtsvergaben, durch die

Moderatorin, ein scheinbares Gleichgewicht zwischen den Diskutanten Bodmer,

Bartens, Bahr und Söder feststellen. Doch auf den zweiten Blick wird klar, dass die

beiden Politiker mit fast doppelt so vielen Rederechtsübernahmen ihrerseits, fast die

doppelte Anzahl an Redebeiträgen wier Bodmer erhalten. Zudem kommen sie 25% mal

häufiger zu Wort als Bartens. Herr Romeike ist der einzige Gast in der Runde, der nur

nach Erteilung des Rederechts, durch die Moderatorin spricht und dies nur ganze vier

Mal. Zum Vergleich: Söder kommt auf 15 Redebeiträge in der gesamten Sendung.

Deutlich wird, dass das Rederecht bezüglich des zugesprochen und genutzten Umfangs,

klar zugunsten der Politiker und des Experten ausfällt. Ein Umstand, der scheinbar

gewollt scheint, da die Moderation auch keine Bemühungen anstrebt, insbesondere

Herrn Romeike mehr ins Gespräch zu integrieren.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

80

In Bezug auf den Erkenntnisgewinn lässt sich erkennen, dass die Aufteilung kein

deutliches Gefährdungspotenzial für das Gelingen einer konstruktiven und

erkenntnisreichen Diskussion erkennen lässt und so mit der Beeinflussungskategorie 1

zu kennzeichnen ist.

Anne Will

Die Vergabe des Rederechts in der Sendung Anne Will erfolgt, sowohl

moderationszentriert, gästezentriert, als auch durch eine Aneignung des Rederechts

durch die Gäste. Die Verteilung auf die Gäste ist als weitgehend gleichmäßig zu

bezeichnen, lediglich der Gast Hörhan liegt, sowohl in der Anzahl, als auch in der

Länge der Redebeiträge etwas hinter den anderen Diskutanten zurück. Zudem fällt bei

den Redebeiträgen des Gastes Haasis auf, dass diese meist nach einer direkten Vergabe

des Rederechts durch die Moderatorin erfolgen, während beispielsweise der Gast Baum

sich das Rederecht größtenteils selbst aneignet. Zeitweise übernimmt dieser sogar fast

eine gesprächsleitende Funktion, indem er deutlich andere Diskutanten herausfordert

und mit Argumenten die Diskussion vorantreibt.

Die Runde agiert, idealtypisch für eine Diskussion, untereinander sehr gut. So erfolgt

die Rederechtvergabe oftmals gästezentriert, das heißt, die Gäste regeln die Vergabe des

Rederechtes untereinander selbst. Weitgehend erfolgt die Rederechtverteilung der

Diskussion korrekt, das heißt an der Stelle eines möglichen Endes der jeweils

vorhergegangen Äußerungen. Turn-Beanspruchung, um während der vorherigen

Äußerung die Übernahme des Rederechts anzudeuten, sind festzustellen, ebenso wie

einige Überlappungen, insbesondere in der zweiten Hälfte der Diskussion. Diese

kommen aber meist nur durch kurze Einwürfe oder Kommentare zustande. Prinzipiell

entwickelt sich so eine rege Diskussion, in der jedoch oftmals die Personen sprechen,

die sich äußern wollen, weil die Moderatorin das Rederecht nicht immer deutlich

verteilt und auch nicht immer die Antworten auf ihre Fragen einfordert.147 Das

Rederecht ist in der Beeinflussungskategorie 1 anzuordnen.

147 Vgl.: Kallmeyer (1996), S. 45ff.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

81

2.2.8 Grad der Verständlichkeit

Maybrit Illner

Inhaltliche Verständlichkeit einer Diskussion ist in erster Linie davon abhängig wie klar

diese einen roten Faden verfolgt und sich entwickelt. In der untersuchten Sendung der

Reihe Maybrit Illner fällt deutlich die starke Thematisierung der Zusatzbeiträge auf.

Diese übernehmen insgesamt dreimal eine führende Rolle in einen Gesprächsverlauf.

Die Zusatzbeiträge sind zwar als aktuelles Beispiel der Thematik zu werten, jedoch

bringt eine so dominate Fokussierung die Diskussion nicht voran, denn sie liefert keine

neuen Gedanken. Diese Tatsache allein führt zwar nicht direkt zu einem Durcheinander

in der Thematik, dennoch bewirkt sie einen teilweisen Stillstand, weil die wiederholte

Betrachtung immer wieder Übergänge zu neuen Themenblöcken verhindert. So

versucht Frau Illner beispielsweise mit dem Betroffenengespräch zur Frage

überzuleiten, wie viel der Patient selbst zuzahlen muss, sie landet jedoch hauptsächlich

wieder in der Zusatzbeiträge-Spirale. Die Diskussion büßt so an Verständlichkeit ein,

weil der Übergang zu wichtigen Themenfeldern nicht richtig gelingt, diese nur

angeschnitten, aber nicht wirklich beantworten werden und so die Diskutanten dazu

keine Stellung beziehen müssen. Die konsequente Verfolgung eines roten Fadens ist

somit gestört. Stattdessen verläuft die Diskussion zwar mit einigen klaren Ansätzen

eines roten Fadens, jedoch wird dieser immer wieder durch Kreisbewegungen

unterbrochen, die die Diskussion zurückwerfen. Elementare Fragestellungen bleiben

dem Zuschauer so unverständlich, während viel Aufmerksamkeit auf das aktuelle

Beispiel Zusatzbeiträge gelenkt wird. Diese Betrachtung liefert aber bereits nach der

ersten Thematisierung nichts Neues mehr.

Im letzten Drittel, ab ca. Minute 00:45:00 wird die Diskussion, durch die

Auseinadersetzung und Uneinigkeit der Diskutanten Bahr und Söder, fast komplett

ausgehebelt und büßt so an Verständlichkeit ein. Die inhaltliche Auseinandersetzung

wird zunehmend überlagert durch die Fragestellung, ob man sich einig sei oder nicht.

Herr Söder stellt die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages infrage, während Herr

Bahr dies geschickt nutzt um die FDP als vertragstreu, zielstrebig und glaubwürdiger zu

präsentieren. Problematisch in der Diskussion ist die Tatsache, dass hier nicht

Opposition und Regierung streiten, sondern Koalitionsregierungspartner. Der Zuschauer

muss an dieser Stelle spätestens ein leichtes Unwohlsein empfinden, weil diejenigen die

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

82

gemeinsam über seine Zukunft einen Vertrag abgeschlossen haben, offenbar sich gar

nicht im Reinen über das sind, was sie beschlossen haben. Inhalte stehen kaum noch im

Fokus. Aus Zuschauersicht wirkt diese Randdiskussion zwar etwas belustigend,

entwickelt aber jedoch eine gesprächsbestimmende Dominanz mit der Folge, dass die

bisherige Diskussion und der rote Faden in der Wahrnehmung komplett durch die

Uneinigkeit überlagert werden. Ein Punkt, an dem die Erkenntnis beim Zuschauer auf

null gesetzt wird. Zwar gibt es teilweise für den Zuschauer interessante Aspekte, jedoch

wird die bisherige Diskussion komplett in den Hintergrund gedrängt und ist somit als

eigentlich nicht stattgefunden zu werten, weil die Aufmerksamkeit des Zuschauers für

diesen Uneinigkeitsdisput vollständig eingefordert wird. Die hier entstehende

Diskussion ist auf den ersten Blick natürlich auf das Thema ausgerichtet, aber sie stellt

kein aufbauendes und erweiterndes Element der bisherigen Gespräche dar, sondern

eröffnet ein komplett neuer Themenkomplex. Für sich allein könnte dieser Disput

durchaus Erkenntnisgewinn bringen, problematisch ist aber, dass er an dieser Stelle kurz

vor Sendungsende eine derartige Dominanz entwickelt, dass der bisherige Aufbau hin

zu einer Erkenntnis, aus dem Bewusstsein gedrängt wird. In der Schlussrunde lassen sie

sich dies spannenden Ansätze aus dem ersten Teil der Diskussion kaum noch so schnell

wieder abrufen und so bleibt ein leicht verwirrendes Gefühl zurück.

Hans Mathias Kepplinger stellte in seinen Untersuchungen fest:

„Die Teilnehmer an öffentlichen Auseinandersetzungen haben die Wahl zwischen zwei

Strategien: Sie können sich entweder auf die handelnden Personen oder auf die von ihnen

vertretenen Sachfragen konzentrieren. Die meisten politischen Sachfragen sind so

kompliziert, dass nur Experten die Einzelheiten überblicken können. In dieser Situation

stellt die Personalisierung von Auseinandersetzungen eine Möglichkeit zur Reduzierung

zur Komplexität dar, weil sich ein Laie eher ein Urteil über die beteiligten Personen bilden

kann.“148

Ein ähnlicher Fall lässt sich hier auch ausmachen.

Es wird deutlich, dass ein neuer Themenkomplex, gepaart, insofern mit einer

Abweichung von der Thematik, an dieser Stelle der Sendung gravierende Folgen für

den Erkenntnisgewinn hat. Entstanden ist dadurch eine sprachliche Chaossituation,

welche die Verständlichkeit in der Thematik grundsätzlich belastet. Der Zuschauer weiß

148 Kepplinger (1998), S. 179f.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

83

zwar jetzt, dass sich die Koalitionspartner nicht einmal über den Inhalt eines gemeinsam

geschlossenen Vertrages einig sind, durchaus eine Erkenntnis für sich, dennoch aber

auch eine Erkenntnisgefährdung für die komplette vorhergegangene Diskussion. Denn

die Diskussion bis zum letzten Themenkomplex hätte diese bei einer konsequenteren

Fortsetzung wahrscheinlich erkenntnisreichere Ergebnisse geliefert. Aber so erleben wir

eine Art Überschreiben der Erkenntnis, mit einem neueren, aber nicht gerade

produktiveren Erkenntnisansatz für die Diskussion.

Der Gast Bartens bemerkt diese Entwicklung:

00:55:10 Bartens: […] Jetzt passiert genau das was in gesundheitspolitischen Diskussionen

oft passiert, die beiden streiten sich darüber wer was wann gesagt hat, die Zuschauer

werden eingelullt, dann wird allenfalls über Schönheitsreparaturen gesprochen, aber es ist

eine Komlettsanierung nötig. Diese Komplettsanierung

00:55:24: Illner: […] Wir machen hier eine Form von Vergangenheitsbewältigung, also da

gab als Koalitionsvertrag

00:55:26 Bartens: ja aber ich finde es ist wichtiger über das Gesundheitswesen an sich zu

sprechen. Da könnte man zum Beispiel sagen, es gibt ne Menge konkreter

Einparungsmöglichkeitenin Kliniken, bei Medikamenten, bei technischen Leistungen. […]

Man müsste, da haben wir noch gar nicht darüber geredet, die Privatversicherung

abschaffen […]. Dann müsste es eine Grundsicherung für alle geben […].

00:56:12 Illner: Das ist schon zitiert worden, aber der Fairness halber wollen wir sagen,

dass über all diese Einsparpotenzial tatsächlich hier in der Sendung diskutiert wurde. Und

wir gestatten uns jetzt die Systemfrage mit dem sich die Politik aber ja befasst. […]

Deutlich wird hier, die Moderatorin unterschätzt das Gefährdungspotenzial für die

bisherige und vor allem nicht zu Eende geführte Diskussion und gibt dem neuen

Themenblock Vorrecht.

Zur sprachlichen Ausdrucksweise ist festzustellen, dass einige kleine akustische

Problematiken an mehreren Stellen der Diskussion, insbesondere zwischen Bahr und

Bartens, sowie Bahr und Söder festzustellen sind, wenn diese in reger Diskussion die

Ausführungen des jeweils anderen zeitlich parallel zu seinen Ausführungen

kommentieren. Aber diese haben keinen weiteren Einfluss auf den Erkenntnisgewinn,

weil sie keinen hohen diskussionsbestimmenden Informationsgehalt aufweisen. Die

rhetorische Verständlichkeit ist bei allen Teilnehmern gegeben.

Insgesamt lässt sich also eine Gefährdung des Erkenntnisgewinns durch eine Störung

der inhaltlichen Verständlichkeit in der Thematik feststellen. Zu werten ist diese im

Falle der Diskussion als gravierend, weil sie ausschlaggebend für ein Scheitern des

Erkenntnisgewinns der Gesamtdiskussion ist. Die große Bedeutung kommt ihr zu, weil

sie am Ende der Diskussion stattfindet und somit es keine Möglichkeit gibt, wieder auf

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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den roten Faden zurückzufinden. Läge diese Abweichung von der Verständlichkeit an

einem früheren Zeitpunkt der Diskussion, wäre sie möglicherweise, als nicht so

beeinflussend und bedeutend einzustufen. Es ergibt sich folglich die

Beeinflussungskategorie 3.

Anne Will

Die vorgestellten Themenblöcke weisen inhaltlich teilweise leichte Abschweifungen

von den durch die Moderatorin gestellten Fragestellungen auf. Bedingt durch diese

Tatsache leidet zwar das Verständnis bezüglich dieser Fragen, jedoch kaum die

Verständlichkeit bezüglich des jeweiligen Themenblocks.

Als unangenehm auffallende Unterbrechungen im Verständnisprozess sind die

Gespräche mit Herrn Haasis zu werten. Sie sollten zwar durchaus ein notwendiger Teil

dieses Themenblocks sein, sind aber, bedingt durch den Umstand, dass Herr Haasis die

ihm zugedachte Rolle nicht ausfüllt und auch deutlich von sich weist, weitgehend

ergebnislos. Zudem verursachen sie so Verunsicherungen beim Rezipienten, wie er

diese nun bewerten soll.

Zusätzlich ist anzumerken, dass eine etwas deutlichere Strukturierung der gesamten

Runde durch die Moderation, als auch eine stärkere Leitungsfunktion, die mit der

gleichen Hartnäckigkeit an die anderen Diskustanten herangetreten wäre, wie sie dies

bei Herrn Haasis tut, sehr wahrscheinlich den Verständnisprozess deutlich befördert

hätte. Möglicherweise wären so wichtige Erkenntnisse zutage gefördert worden.

Insgesamt ist zu erkennen, dass diese Kritikpunkte nur ein geringes

Gefährdungspotenzial für den Erkenntnisgewinn ausweisen, vielmehr wirken sie

einfach nicht positiv fördernd und verhindert ein durchaus gegebenes Potenzial.

Die sprachliche Verständlichkeit der Diskutanten ist in der untersuchten Sendung

gegeben. Somit ist in diesem Kriterienteil keine Erkenntnisgewinnstörungseinfluss

auszumachen. Insgesamt ist das Kriterium mit einer Beeinflussungskategorie 1-2 zu

werten.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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2.2.9 Gesprächsdynamik

Maybrit Illner

Insgesamt sind die Diskutanten alle sprachlich auf einem ähnlichen Niveau. Es fällt

jedoch auf, dass sowohl Herr Romeike. als auch Herr Bodmer sich selten trauen, ohne

eine direkte Rederechtvergabe in das Thema einzugreifen. Somit ist ein

Ungleichgewicht zugunsten Bartens, Bahr und Söder festzustellen. Weil Bartens die

Position der Kritik sehr deutlich vertritt, hat die Nichtäußerung seitens Romeike keinen

negativen Einfluss auf den Erkenntnisgewinn über die Problemfelder der Thematik. Der

Zuschauer bekommt mögliche Kritikpunkte an der aktuellen Lage deutlich von Herrn

Bartens und auch in den vereinzelten Beiträgen von Herrn Romeike ausreichend

vermittelt. Ob ausführlichere Ausführungen von Herrn Bodmer der Thematik weitere

Aspekte beschert hätten, ist schwer einzuschätzen, möglicherweise hätte sie es ihr aber

eine weitere interessante Blickrichtung gegeben.

Herr Bahr weist in seinen Ausführungen ein enormes Sprechtempo auf, und versucht

möglichst viele Inhalte in einem Statement unterzubringen. Ziel ist dabei nicht

unbedingt viel Inhalt zu bieten, sondern durch scheinbaren Inhalt unangenehmen Fragen

auszuweichen. Herr Söder kritisiert diese Sprechweise unterschwellig.

In der Dynamik des gesamten Gespräches ist festzustellen, dass der Themenwechsel

zwischen den einzelnen Aspekten teilweise etwas zu schnell erfolgt, dennoch liegt dies

durchaus im Rahmen der Aufnahmefähigkeit des Zuschauers liegt.

Es lässt sich festhalten, dass von der Gesprächsdynamik in dieser Sendung kein

besonders gefährdender Einfluss auf die Erkenntnisgewinnung festzustellen ist und

folglich die Beeinflussungskategorie 1 zum Tragen kommt.

Anne Will

Die Teilnehmer liegen bezüglich der Gesprächsdynamik weitgehend auf einer

Wellenlänge, somit kann zwischen den Diskutanten eine sehr aktive und sich selbst

entwickelnde Dynamik in der Diskussion entstehen. Diese ist als sehr positiv zu werten,

da sie eine gute Grundlage für eine fruchtbare und somit möglicherweise Erkenntnis

tragende Beleuchtung der Thematik bietet. Als problematisch ist einzustufen, dass diese

Dynamik etwas ziellos verläuft und somit nicht optimal genutzt werden kann. Sie hätte

bei einer aktiveren Strukturierung des Gespräches und einer folglich Ziel führenderen,

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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an einem roten Faden entlang verlaufenden Gesprächsführung, durch die Moderation,

ihr Potenzial besser entwickeln können. Die Gespräche mit Herrn Haasis haben

spätestens nach dem zweiten Versuch eine eher lähmenderen Wirkung auf die

Gesamtdiskussion. Der Grund hierfür ist, dass für den Rezipienten schnell ersichtlich

ist, wie wenig erfolglos die Suche nach einem, in die Verantwortung zu ziehenden,

Banker in dieser Besetzung sein wird.

So schreitet die Runde inhaltlich dynamisch voran, behandelt Themenblock für

Themenblock alle wichtigen Aspekte, aber zum einen fehlt ihr, die von Will verzweifelt

gesucht Position des Bankers, als auch eine klare Zielrichtung. Weil diese beiden nicht

vollständig vorhanden sind, dreht sich die Runde weitgehend ergebnislos, wenn auch

dynamisch um alle wichtigen Aspekte, im Kreis. Zu werten ist das Kriterium mit der

Beeinflussungskategorie 2.

2.2.10 Sprachliche Interaktion

Maybrit Illner

Wie schon in den Beurteilungskriterien vorgestellt, lassen sich innerhalb des

Analysekriteriums sprachliche Interaktion folgende Teilbereiche unterteilen:

1. Sprachliche Überlegenheit

2. Ausweichen einer Frage

3. Nachfragen der Moderation

4. Moderationsverhalten in sprachlichen Chaossituationen

5. Gast der nicht mehr aufhört zu rede/Unterbrechen eines Gastes

6. Gast nimmt Moderator nicht ernst

7. Inhaltliches Abschweifen vom Thema.

Beginnend mit einer Betrachtung der sprachlichen Überlegenheit in der Sendung, lässt

sich eine solche zwischen den miteinander agierenden Diskutanten nicht feststellen. Die

nur sehr vereinzelten Äußerungen Herrn Romeikes lassen sich keinesfalls auf eine

sprachliche Unterlegenheit zurückführen, denn aus seinen Äußerungen wird deutlich,

dass er sich sprachlich kompetent und inhaltlich qualifiziert äußern kann. Wie sich sein

Sprachverhalten in einem direkten Wortduell mit beispielsweise, dem rhetorisch sehr

geschulten Herrn Bahr behaupten könnte, ist nicht aus der Sendung zu erkennen und ist

somit auch nicht als negativ zuungunsten Herrn Romeikes zu beweisen. Der Aspekt

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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einer sprachlichen Überlegenheit ist im Falle dieser Sendung als unbedeutet zu werten,

kann aber in anderen Sendungen zu Erkenntnisgewinn beeinflussenden

Ungleichgewichten in der Gesprächsdynamik führen.

Während der Teilbereich der sprachlichen Überlegenheit für sich alleine untersucht

werden kann, fällt auf, dass die Teilbereiche 2, 3, 4, 5, 6 und 7 oftmals in direkter

Aufeinanderfolge oder Kombination auftreten. Dies ist auch in der untersuchten

Sendung festzustellen. Die Punkte 3. Nachfragen der Moderation, 4.

Moderationsverhalten in sprachlichen Chaossituationen, sowie 5. Gast der nicht mehr

aufhört zu reden, bzw. Unterbrechen eines Gastes sollen im nachfolgenden

Sendungsausschnitt verdeutlicht werden:

Maybrit Illner richtet eine Frage an Bahr:

00:47:50 Illner: so hier sind die beiden Politiker im Duell – Herr Bahr ihre Widerworte wo

kämen einerseits diese 20-35 Milliarden her und warum will ausgerechnet die FDP jetzt das

lauter Bürger Anträge auf ehm Bedarf stellen? Also auf Zuschüsse.

00:48:03 Söder: 40 bis 50 % der Bevölkerung der Bürger, der Versicherten würde dann in

allen

Bahr: Nein nein Herr Söder

00:48:04 Söder: vergleichbaren Modell in der Realität, das ist ja alles noch Theorie bei der

Bahr: ja, nee nee nee

Söder: FDP, doch doch doch in der Realität, doch doch doch in der Realität

Bahr: nee nee nee

Söder: vergleichbare Modelle der Welt […]

Bahr kommt jedoch gar nicht zu Wort, weil sich Söder das Rederecht angeeignet hat

und auch nicht bereit ist, dies abzugeben. Hier lässt sich eindeutig der Fall eines Gastes

erkennen, der nicht mehr aufhören möchte zu sprechen und unterbrochen werden muss

(5.). Maybrit Illner versucht es etwas verhalten, kann sich aber nicht durchsetzen und

Söder bekräftigt in seinen weiteren Ausführungen, warum ihm das Rederecht jetzt

zustehe:

Söder: funktioniert halt net wirklich und drum was vorhin gesagt wurde von den Kassen.

Ein Satz noch er war auch vorhin ne ganze, ganz

Illner: wollen wir ihn mal lassen?

Söder: engagiert länger. In der Realität sieht das natürlich so aus, wenn wir jetzt wieder ein

grundlegender Wechsel machen mit einem System das au wieder net funktioniert, dann

brauchen wir uns nicht wundern wenn irgendwann einmal die gesamte Gesundheit und das

Vertrauen irgendwann einmal völlig kaputt ist. Schrittweise verbessern, vielleicht noch

mehr auf den Rat der Experten hören die tatsächlich daran beteiligt sind, anstatt einem

Parteiprogramm nachzuhängen des gut klingt aber net in der Realität echte Probleme hat.

(48:48:45)

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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Maybrit Illner wagt einen zweiten Versuch den Gast zu unterbrechen und vergibt das

Rederecht an Bahr, dem sie ja ursprünglich die Frage gestellt hat.

00:48:45 Illner: Jetzt ist Herr Bahr dran

Dieser geht jedoch nicht auf ihre Frage ein, sondern schweift von dieser inhaltlich ab (7.

Inhaltliches Abschweifen) und bezieht sich auf Söders Ausführungen. Es entsteht eine

Diskussion zwischen Söder und Bahr, die die Frage Illner unberührt lässt. Sie lässt diese

kurzzeitig zu und fragt dann nochmals (3. Nachfragen der Moderation) bei Bahr nach.

00:48:52 Bahr: Wenn ich das richtig raushör, wollen sie ja den Koalitionsvertrag infrage

stellen. Wir wir verhalten uns ja vertragstreu wird haben das geeinigt, wir haben uns in

einem Kompromiss auf viele Punkte geeinigt und stellen die nicht infrage. So ist das. Jeder

hat in dem Gesamtpaket sein Anteil. Wenn sie den infrage stellen wollen in dem Punkt,

muss man natürlich sagen, dann muss mach auch andere Punkte noch mal neu diskutieren.

Ich glaube, dass uns das nicht weiterbringt. Weil […]

[…]

Illner: […] Bevor Herr Söder antwortet. noch mal. Eine Frage: Die die es sich nicht leisten

können, wollen ja nun dann ausgerechnet die FDP zu Empfängern von staatlichen

Zuwendungen machen. Das heißt in Größenordnungen werden Menschen, dann in diesem

System, dass sie vorschlagen gezwungen sind Anträge zu stellen staatliche Zuschüsse zu

erhalten.

Bahr setzt an zu antworten, doch weicht nur einen Satz später der Frage wieder aus (1.

Ausweichen einer Frage). Es entsteht eine sprachliche Chaossituation (4.), in der die

Moderatorin jedoch nachdrücklich auf ihre Frage verweist, um eine Antwort und den

gewünschten Erkenntnisgewinn zu erhalten (3. Nachfragen der Moderation).

00:51:25 Bahr: Nein. Das haben wir vereinbart. Komm noch mal drauf, das ist gar nicht so

schlecht

Söder: Es

Bahr: die Koalitionsvereinbarung, wir haben vereinbart Herr Söder Nein! Mach ich

gerne, kann ich gerne

Söder: stimmt ja nicht so müssen´s ja mal genau zitieren. Das ist das Problem

Illner: kommt gleich kommt sofort

Bahr: genau zitieren. Ne Gesetz nicht das haben wir ja noch nicht geändert,

Herr Söder.

Söder: Gesetz fördert die Rechtskenntnis(leicht unverständlich)

Illner: (Anfang unverständlich) sondern einfach meine Frage antworten. Ja?

Meine

Bahr: machen wir ja noch. Vermeld da cor

Illner: Frage beantworten

Söder: jaja das ist ein alter juristischer Grundsatz der gilt bei

Söder: Koalitionsverträgen auch, auch wenn man es nicht mag

Bahr: ja richtig. Ich gucke in die Koalitionsverinbarung genau

Illner: die Zeit tickt. Herr Bahr probieren sie es einfach

mit meiner Frage

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

89

Und kann nach wiederholtem Nachfragen zumindest einen Teilerfolg verzeichnen:

Bahr: und da steht drin, dass wir eine automatischen Sozialausgleich wollen. Das heißt

nicht, dass jemand zum Bittsteller wird und das extra beantragen muss. Übrigens was

anderes als das was wir jetzt haben bei den Zusatzbeiträgen, bei den

Zuzahlungsbefreiungen, überall da muss der Versicherte das beantragen. Wir haben gesagt,

wir wollen eine automatischen, so dass nicht die ganze Bürokratie entsteht. Das

jeder die Gewähr hat die Unterstützung zu bekommen. Das ist doch ganz

52:03: Illner: Gut Und bevor, Sekunde. Bevor jetzt Herr Söder

Bahr: schön sozial gerecht oder? Ja

Illner: Es ist schlagend, also man ist erschrocken von der FDP ehrlich gesagt

[…]

Doch nicht immer fragt die Moderatorin so unermüdlich und wiederholt nach. In

Minute 00:14:39 möchte sie von Herrn Söder wissen, warum es in Deutschland immer

noch nicht möglich sei als Patient nach einem Arztbesuch die Leistungen auf einer

Rechnung einzusehen. Herr Söder geht zwar auf die Thematik ein, versucht sich jedoch

einer direkten Stellungnahme zu entziehen, indem er die Problematiken einer solchen

Rechnung anspricht. Maybrit Illner fragt nach (3.). Doch nach einem halben Satz wird

Herr Söder durch Äußerungen von Herrn Bahr wieder zum inhaltlichen Abschweifen

(7.) verleitet.

00:15: 29 Illner: Des war ja ne ganz einfache Frage. Warum weiß ich als Patient nicht was

der Arzt für mich abrechnet?

Söder: kann man machen, kann man machen, wird aber in den seltensten Fällen auch

gefragt, weil es natürlich auch

00:15:36: Bahr [Anfang unverständlich] …es gemeinsam attraktiver

Söder: das wäre gut

Bahr: oder. Sind wir uns doch einig: ….Wir machen das jetzt attraktiver das die

Versicherten das wählen können

So kommt es zu keiner Antwort und folglich auch zu keinem neuen Erkenntnisansatz

für den Zuschauer. Maybrit Illner lässt diese Fragestellung fallen und steigt in die neue

von Bahr und Söder eingeleitete Themenrichtung ein.

Wird die Gesamtsendung betrachtet, wird erkennbar, dass in einigen Situationen die

Moderatorin keinen Versuch unternimmt, nachzufragen und zum Diskussionsthema

zurückzukehren. Festzustellen ist, dass gerade in Bezug auf die Politiker, ein härteres

Einfordern von Antworten sich Erkenntnis fördernd ausgewirkt hätte. Stattdessen wird

der Selbstdarstellung, in Form von Präsentationen der eigenen Konzepte, sowie dem in

Fragestellen der Konzepte der anderen, großer Raum gegeben. Folglich können sich aus

den Teilbereichen 2. Ausweichen einer Frage, 3. Nachfragen der Moderation und 7.

Inhaltliches Abschweifen vom Thema Einflüsse ergeben, die einen Erkenntnisgewinn

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

90

nicht fördern. Das soll nicht heißen, dass sich aus jeder Situation der Sendung, in der

einer dieser Teilbereiche stattfindet, Erkenntnis störende Einflüsse ergeben, jedoch

haben sie Beispiele deutlich gemacht, dass durchaus ein weiterer Erkenntnisgewinn

verhindert oder zumindest verzögert wird. Der Teilbereich 7 ist auch in direktem Bezug

zum Analysekriterium Gesprächsverlauf zu sehen, weil hier strukturelle Parallelitäten

vorhanden sind.

Die Teilbereiche 4. Moderationsverhalten in sprachlichen Chaossituationen, 5. Gast der

nicht mehr aufhört zu reden, bzw. Unterbrechen eines Gastes, sowie 6. Gast nimmt

Moderator nicht ernst sind in dieser Sendung nicht als Erkenntnisgewinn störend zu

kennzeichnen. Die Teilbereiche 4. und 5. können allgemein aber in anderen Sendungen

ähnliche Gefährdungspotenziale, wie die schon genannten Teilbereichen 2, 3, 7

entwickeln. Der Teilbereich 6. ist bei einer Sendung mit mehreren Gästen als am

unproblematischsten für Erkenntnisgewinn der Gesamtdiskussion einzustufen.

Somit ist die sprachliche Interaktion, als ein für den Erkenntnisgewinn bedeutsames

Kriterium zu werten und aufgrund seines vielfältigen positiven, wie negativen

Beeinflussungspotenzials in der Maybrit Illner-Sendung als Gefährdungskategorie 2 zu

kennzeichnen.

Anne Will

Die Sendung Zocken, spekulieren, abkassieren – haben Banker aus der Krise nichts

gelernt wird in Bezug auf das Analysekriterium sprachliche Interaktion ebenfalls in

Hinblick auf die bereits vorgestellten sieben Teilbereiche untersucht.

Eine deutliche sprachliche Überlegenheit (1.) der Diskutanten ist in sehr leichter Form

gegenüber Herrn Hörhan festzustellen. Er hat durch seine nicht gerade gelungene

Besetzung in der Runde, nach kurzer Zeit in der Diskussion eine Außenseiterrolle

eingenommen. Seine verbalen Beteiligungen gehen, abgesehen von konkreten Fragen

seitens der Moderation an ihn, nicht über vereinzelte Zwischenbemerkungen und

Kommentare hinaus, die er meist sehr kurz und mit österreichischem Akzent vorträgt.

Diese führen kaum zu seiner Aufnahme in die Diskussionsrunde, vielmehr reagieren die

anderen Diskutanten fast irritiert, wenn er sich äußert. Aufgrund des Umstandes, dass

seine Besetzung in der Runde nicht gerade ideal gewählt ist und er so scheinbar nicht

allzu viel zur Diskussion beizutragen hat, bzw. es nicht belegbar ist ob eine intensivere

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

91

Beteiligung seinerseits neue Erkenntnis fördernde Aspekte in die Runde gebracht

hätten, ist seine geringe sprachliche Unterlegenheit als ein für den Erkenntnisgewinn

unproblematisches Kriterium einzustufen.

Dem Teilbereich Ausweichen einer Frage (2.) ist in der Sendung meist gekoppelt, mit

einem inhaltliches Abschweifen vom Thema (7.). So fällt auf, dass insbesondere im

ersten Themenblock und der Eingangsfragestellung, ob die Banken sorgloser zocken,

aber auch in der Abschlussfrage, in der Anne Will, mit der Überlegung, ob nun eine

neue Phase angebrochen sei, oder die Banker weiterzocken, wieder auf den Beginn

zurückkehren möchte, eigentlich kaum vollständige erkenntnisreiche Antworten zu

verzeichnen sind. Die Gäste setzen alle scheinbar an, die Frage zu beantworten, treiben

aber nach einigen Sätzen die Diskussion in andere Themenfelder. Und beschreiben sie,

insbesondere im ersten Teil, die von ihnen als problematisch angesehen Aspekte der

gesamten Thematik. So findet kaum eine Annäherung an die Fragestellung der Sendung

statt. Die Diskussion scheint zwar viele Aspekte zu beleuchten, jedoch bleibt die

Eingangsfragestellung und oftmals auch die, von Frau Will, gestellten Fragen

weitgehend unbeantwortet, wie das folgende Beispiel zeigt. Hier treffen, sowohl die

Teilbereiche Ausweichen einer Frage (2.), inhaltliches Abschweifen vom Thema (7.),

als Nachfragen durch die Moderation (3.) aufeinander.

00:08:25 Will: Frau Aigner, wir hören im Film, dass die Banken sorgloser zocken als vor

der Krise, weil sie sich sicher sein können, dass der Steuerzahler im Notfall einspringt.

Warum hat die Bundesregierung das zugelassen, dass sich so eine Mentalität festsetzt?

00:08:39 Aigner: Also als erstes ähm glaub ich, dass wir jetzt auch handeln müssen und

werden wir auch handeln, das ist auch schon angekündigt, dass genau das was jetzt passiert

ist, dass der Steuerzahler nämlich dafür aufkommt, was letztendlich verspielt wurde, nicht

noch mal passieren kann. Schäuble hat schon

Schäuble hat schon

00:08:50Will: Und ist das nicht ein bisschen spät, wenn das im September 2008 war und sie

Aigner: angekündigt, das des jetzt auf jeden Fall im April auch eingeführt wird, aber ich

würd

Will: sagen jetzt?

Aigner: generell noch mal was sagen: Es gibt praktisch keine Branche die so eigentlich von

Vertrauen, oder Vertrauen angewiesen ist, wie die Banken und die Finanzbranche

insgesamt für meine Begriffe. Und es gibt wahrscheinlich keine Berufssparte, die so rapide

in der letzten Zeit an Vertrauen eingebüßt hat. Deshalb glaub ich ist die entschiedene Frage

wie kann man dieses Vertrauen wieder zurück gewinnen und zwar eigentlich aus eigenem

Antrieb heraus und wir haben von unserer Seite einiges auf dem Weg gebracht was den

Verbraucher direkt pre pas äh interessiert, also nicht nur die großen im Finanzmarkt,

sondern was betrifft jeden einzelnen nämlich wirklich eine Qualitätsinitiative für

Verbraucherfinanzen mit vielen Stufen die genau hier ansetzt beim Verbraucher selbst.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

92

Anzumerken ist an dieser Stelle ein, in der kompletten Diskussion zu beobachtender

Aspekt nonverbaler Kommunikation. Die Mimik Anne Wills zeugt von einer leichten

Irritation und schon einem fast verzweifelt, hilflos bis belustigtem Gesichtsausdruck,

bezogen darauf, dass die Fragestellungen in der Sendung oftmals viele interessante

Aspekte zutage fördern, aber kaum erkenntnisreiche Aussagen zu diesen liefern. Fast

scheint es als wolle ihre Mimik sagen: Wo bitte läuft meine Diskussion jetzt gerade

wieder hin?

Deutliche Fälle der Nachfragens (3.), lassen sich in den Gesprächen mit Herrn Haasis

erkennen.

00:34:55 Will: Herr Haasis das ist starker Tobak, wenn von Drückerkolonnen die Rede ist.

Ist das so?

00:35:00 Haasis: Nein, also hier ist maßlos übertrieben worden. Es kann sich er Einzelfälle

geben, wo jemand Druck hat. Auch Druck verspürt. Aber nochmals wir zahlen unseren

Mitarbeitern nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes. Und dann gibt es

Zusatzvergütungen mit 10-15%, ausgehend von der Grundvergütung. Da kann man nicht

sagen, dass dieses Drauf von 10-15% einen solchen Verkaufsdruck auslöst. Wir haben

bewusst abgeschafft, dass der Mitarbeiter […]

00:35:52 Will:Wie erklären Sie sich dann, dass die Hälfte der mindestens die sich bei Verdi

eingelassen haben. Das können wir übrigens auch nicht prüfen Sparkassenmitarbeiter sind

und unter dem Druck leiden

36:59: Haasis: [...] die überwiegene Mehrzahl der Mitarbeiter im Deutschen Bankgewerbe

sind Sparkassenkunden, deshalb wenn die Hälfte der Beschwerden bei Verdi von

Sparkassenkommt, dann ist das unterpropotional […]

00:36:11 Will: Aber dass es den nicht gut geht und

dass sie ihre Arbeit als druckvoll erleben. […]

00:36:15 Haasis: Nein da gibt es sicher Einzelfälle. Es gibt sicher auch Häuser wo nicht

alles in Ordnung ist. Das kann überall sein, aber dass ist nicht das Bild der Sparkasse das

überall ist in Deutschland. Sonst hätten wir auch nicht Umfragen bei denen 55% der

Kunden sagen, dass sie zufrieden sin. Viele andere auch, Testkäufe die zufrieden sind. Und

sich muss da auch schon zu Herrn Tenhagen was sagen. (Will: ja bitte) Also Herr

Tenhagen, gerade was sie angesprochen haben jetzt äh ihre Umfrage vom Sommer, die ja

dann im Dezember veröffentlicht ist. Dort haben wir ja Anrufe bekommen von

Kundenberatern die sich beschwert haben, dass ihre Testkäufer überhauot keine Fragen

zugelassen haben. Wenn man sie gefragt habe was verdienen sie, welche Stellung haben

sie, wie wollen sie inverstieren, sei ja sehr barsch gesagt worden, keine Zeit, ich hab sie

was gefragt geben sie mir bitte eine Antwort. Ich kann ihnen die Personen nennen die bei

uns aufgelaufen sind. Also reden sie auch bitte mal mit ihren Testern die da unterwegs sind,

das ist nicht immer so bei Finanztest […]

Anne Will versucht im Anschluss Herrn Tenhagen als Zeuge zu nutzen und lässt ihn

bestätigen, dass die Vorwürfe von Herrn Haasis nicht der Wahrheit entsprechen. Herrn

Haasis bleibt scheinbar unbeeindruckt. Bedingt durch diesen Umstand und Herrn

Baum´s unerwartete Rückendeckung für Herrn Haasis im nächsten Redebeitrag, gelingt

es Anne Will trotz deutlicher Nachfragen hier nicht einen Erkenntnisgewinn,

hinsichtlich der zu diskutierenden Thematik, zu erzielen.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

93

Im vorgestellten Fall von Frau Aigner, sowie auch in den Gesprächen mit Herrn Haasis,

fällt auf, dass der Gast meist dieses sprachliche Handeln an den Tag legt, um die

Fragestellung zu umgehen. Bei den anderen Diskutanten, insbesondere bei Herrn Baum

sind aber dagegen Ausweichen und Abschweifen durch den Umstand bedingt, dass sie

in dieser Situation unbedingt andere Aspekte ansprechen möchte. Er nutzt so die Frage

nur als Sprungbrett, um den Bogen weiter in einen anderen Bereich zu spannen.

Deutlich wird dies an dem folgenden Dialog zwischen Herrn Baum und Frau Will aus

der letzten Fragerunde.

00:48:51 Will: Aber was wir doch zu verstehen versuchen ist, ob wir im Moment in einer

Phase sind in der sehr viel mehr wieder gezockt wird, das haben wir am Anfang äh der

Sendung diskutiert oder sind wir in einer Phase wo wir gerade das Gefühl es wird alles

besser weil sich die Verbraucherministerin dem angenommen hat, Herr Baum?

00:49:05 Baum: Also wir müssen glaub ich das etwas stecken das Feld sind (Will: noch

weiter?) sind wir in einer Phase des Kulturwandels haben wir etwas gelernt aus dieser

Krise, ja. Haben wir gelernt, dass Wirtschaft ohne ethisch, moralische Grundlage eeuurrr

Raäuberei ist. Ja, das ist also keine, keine Gesellschaft sich leisten kann von den ethisch,

moralischen Grundlagen sich zu entfernen. Der Markt produziert Moral nicht von selber.

Sind wir nicht in einem solchen Prozess, frage ich mich skeptisch selber, des Umdenkens.

Das wir also sagen, dass können wir uns nicht mehr leisten, dass jetzt also Banken, die wir

gerettet haben gegen Griechenland zocken, also gegen den Euro. Sind wir jetzt nicht viel

sensibler geworden und haben wir…

00:49:46 Will: Wie geht ihre Antwort

Herr Baum, wenn wir uns erinnern an den ersten Film mit dme Professor Enderlein, der uns

sagt mein Eindruck, sein Eindruck sei es würde sorgloser gezockt, weil genauso ne Zusatz,

vielleicht ein Netz eingezogen ist, nämlich das Geld der Steuerzahler aus das sich manch

einer der mit Werft zockt gerne verlässt.

00:50:03 Baum: Das schließt sich ja nicht aus. Ich denke jetzt nicht an diejenigen die

zocken, sondern an die Gesellschaft insgesamt. Das wir nicht sensibler geworden sind. Der

Bundestag

0050:10 Will: Aber deren

Geld

Baum: ist sensibler geworden, die Verbraucherverände sind stärker geworden, also es hat

sich

Will: Man nimmt ist im Einsatz.

Baum: etwas verändert in diesem Lande. […]

Frau Will versucht auch hier das Abschweifen durch ein Nachfragen aufzuhalten,

jedoch bringt dieses kaum neue Erkenntnisse zur gestellten Frage. Es wird klar, dass die

Gäste scheinbar alle viel zu sagen haben, nur passt dies nicht so recht mit den Fragen

und Zielsetzungen der Moderatorin zusammen. Die Aussagen beinhalten sicherlich für

den manchen Zuschauer erkenntnisgewinnbringende Faktoren auf verschiedensten

Ebenen, aber nicht diese beziehen sich nicht direkt auf die zu diskutierende

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

94

Fragestellung und Thematik. Der dieser definierten Erkenntnisgewinn kann nicht

erreicht werden und der Zuschauer bleibt etwas orientierungslos zurück.

An dem Beispiel mit Herrn Baum ist auch ansatzweise zu erkennen, dass der Gast die

Moderatorin nicht ganz ernst nimmt (6.), indem er auch nach einem Nachfragen und

Wiederholen der Frage nicht direkt auf diese eingeht, sondern stattdessen eine sehr

umschreibende Schilderung gibt, wie er die veränderte Situation im Land allgemein

erlebt.

Der Teilbereich Moderationsverhalten in sprachlichen Chaossituationen (4.) nimmt in

der vorliegenden Sendung keinen bedeutenden Stellenwert ein, da dieser bis auf ein

paar unbedeutete Situationen des Durcheinanderredens, die streng genommen eigentlich

nicht als wirkliche Chaossituation zu bezeichnen sind, nicht zum Tragen kommt.

Untersucht in Hinblick auf sprachliche Situationen, in denen der Gast mit seinen

Ausführungen nicht zu einem Ende kommen möchte und die Moderation ein

Unterbrechen dieses in Erwägung zieht, ist anzumerken, dass die Antworten oftmals,

nicht immer ganz der idealen Antwort zur gestellten Fragestellung entsprechen und die

Mimik der Moderatorin dies sehr deutlich verrät. Aufällig ist dies insbesondere im

ersten und letzten Teil der Diskussion. Jedoch kommt es kaum zu Unterbrechungen

ihrerseits, lediglich in einigen Fällen zu einem Nachfragen. Siehe dazu vorheriges

Beispiel.

Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass von den Teilbereichen Ausweichen einer

Frage (2.) und inhaltliches Abschweifen vom Thema (7.) das deutlichste Erkenntnis

gefährdenste Potenzial ausgeht. Die Versuche der Moderatorin in einigen Situationen

nachzufragen (3.) bringt selten den gewünschten Erkenntnisgewinn. Sehr stark

konzentriert sich das Nachfragen in Bezug auf die Gespräche mit Herrn Haasis. Als

problematisch erweist sich jedoch hier, dass der Erfolg, bedingt durch eine

Gästefehlbesetzung, schon von vorneherein sehr stark eingeschränkt ist. Ein

deutlicheres Nachfragen in den Gesprächen mit den anderen Gästen hätte

möglicherweise größere Erfolge hervorbringen können und somit auch den

Erkenntnisgewinn der Gesamtdiskussion fördern. Unter Einbeziehung dieser Aspekte ist

das Analysekriterium mit der Beeinflussungskategorie 3 zu werten.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

95

2.3 Das Ergebnis der Analyse

Aus der Analyse der beiden untersuchten Sendungen ergibt sich die folgende Einteilung

des Grades der Beeinflussung. Wie schon in der Vorstellung der Methode dargestellt,

wird die Wirkung des jeweiligen Kriteriums auf den Erkenntnisgewinn mit einem

Beeinflussungskategorie von 1-3 beschrieben:

1 = nicht/kaum beeinflussend

2 = beeinflussend

3 = stark beeinflussend

Tabelle 1 Übersicht der Analyseergebnisse

Analysekriterien Beeinflussungs-

kategorie

Maybrit Illner

Beeinflussungs-

kategorie

Anne Will

Sendungskonzept 1 1

Gästewahl 1 3

Ergänzende Elemente 2 1

Sitzordnung 1 1

Gesprächsverlauf 3 2-3

Zeitmanagement 2 1-2

Rederecht 1 1

Grad der Verständlichkeit 3 1-2

Gesprächsdynamik 1 2

Sprachliche Interaktion 2 2-3

Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass, während in der Sendung Anne Will als

Hauptbeeinflussungskriterium für den Erkenntnisgewinn die Gästeauswahl bestimmt

werden konnte, in der Sendung Maybrit Illner der Erkenntnis gefährdenste Einfluss von

einer Abweichung im Gesprächsverlauf und einer damit einhergehenden Auswirkung

auf den Grad der Verständlichkeit ausgeht.

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

96

In der Anne Will-Sendung hat das Kriterium der Gästeauswahl ebenfalls einen Einfluss

auf den Gesprächsverlauf, sowie die sprachliche Interaktion. Hier wird deutlich, dass,

auch wenn der Gesprächsverlauf nicht als Hauptbeeinflussungskriterium einzustufen ist,

dieser meist von dem Hauptkriterium beeinflusst wird.

Die Problematiken für die Erreichung eines Erkenntnisgewinns in den beiden

untersuchten Talkshows sind klar erkennbar und ausreichend in der Analyse dargelegt.

2.4 Der Beeinflussungsgrad der Analysekriterien – Bestimmung

potenzieller Gefahrenquellen für den Erkenntnisgewinn

Die Analysen zeigen deutliche Tendenzen bezüglich der einzelnen Kriterien auf. Es soll

versucht werden, anhand der in der Analyse dargelegten Tendenzen, eine Prognose über

den Beeinflussungsgrad der Analysekriterien im Allgemeinen aufzustellen und so

Rückschlüsse auf Gefahrenfaktoren für den Erkenntnisgewinn zu ermöglichen.

Es ist zu erkennen, dass die Kriterien: Sendungskonzept, Sitzordnung, sowie Rederecht

für sich alleine nicht das Potenzial eines erkenntnisgewinnbeeinflussenden und somit

gefährdenden Kriteriums zu entwickeln vermögen.

Einen geringen, aber durchaus zu betrachtenden Einfluss, können die Kriterien

Gesprächsdynamik, ergänzende Elemente und Zeitmanagement ausmachen. Aber auch

diese können für sich alleine kaum das Potenzial entwickeln den Erkenntnisgewinn

vollkommen zu unterbinden, sie wirken aber in Kombination mit stärker beeinflussende

Kriterien auf diese verstärkend.

Für eine erkenntnisreiche Diskussion problematisch, erweisen sich daher der Grad der

Verständlichkeit, die Fehler oder Probleme in Teilbereichen der sprachlichen

Interaktion, die Gästeauswahl, sowie der Gesprächsverlauf. Der Gesprächsverlauf kann

dabei als allein gefährdendes Kriterium auftreten, wie im Fall der untersuchten Maybrit

Illner-Sendung, oder durch ein anderes, als Hauptgefährdung auftretendes Kriterium,

beeinflusst werden (siehe dazu Anne Will). In abgeschwächter Form ist dies auch bei

dem Grad der Verständlichkeit sowie der sprachlichen Interaktion der Fall. Lediglich

die Gästeauswahl tritt als ein alleiniges Kriterium auf, dass zwar andere beeinflussen

kann, nicht aber durch andere Kriterien beeinflusst wird. Wie in der Entwicklung der

Analysekriterien dargelegt, wird das Kriterium der Gästeauswahl schon vor Sendung

entschieden. Somit ist hier schon vor der Sendung festgelegt, ob es ein

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

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Gefahrenpotenzial für die Diskussion gibt oder nicht und dieses ist auch während der

Sendung schwer zum Positiven zu entwickeln. Wie das Beispiel in der untersuchten

Anne Will-Sendung zeigt, wäre wahrscheinlich in einem solchen Fall der beste Weg die

Fehlbesetzung zu übergehen und weitgehend ohne diese Position die Diskussion mit

den anderen Gästen zu führen, denn die Chancen aus einem fehlbesetzten Gast, einen

passenden Gesprächspartner, noch während der Sendung zu machen, sind sehr gering.

Hinzu kommt, dass Versuche dieser Art meist den weiteren Erkenntnisgewinn

verhindern, wie im vorliegenden Fall ersichtlich und somit das Kriterium sein

Beeinflussungspotenzial nochmals verstärkt.

Im Gegensatz zur Gästeauswahl entwickeln sich die anderen drei Kriterien direkt in der

Diskussion und können so ebenfalls noch dort, während der Sendung, hauptsächlich

seitens der Moderation, aber auch seitens Gäste wieder entschärft werden.

Die Analyse hat versucht den Grad der Beeinflussung zu bestimmen und konnte

deutliche Tendenzen feststellen. Anzumerken ist, dass die Analysekriterien zwar für

sich den Anspruch erheben dürfen, auf Talkshows mit anderen Sendekonzepten

übertragbar zu sein, jedoch ist bei jeder Analyse, gerade in Hinblick auf andere

Sendungen, kritisch zu betrachten, ob diese, möglicher, Erweiterungen bedürfen, um

auch jede Facette der Sendung zu untersuchen. Ebenso sind, aufgrund der Tatsache,

dass nur zwei Sendekonzepte untersucht wurden, bei der Anwendung auf andere

Sendungen, leichte Abweichungen im Beeinflussungsgrad möglich, weil der

Konzeption anderer Sendungskonzepte hier noch nicht umfassend untersucht wurde und

somit keine sichere Beurteilung über diese abgegeben werden kann.

2.5 Die Sendung mit Erkenntnisgewinn

Nach dieser Analyse stellt sich schlussfolgernd die Frage, ob sich eine Sendung finden

lässt, in der ein Erkenntnisgewinn oder mehrere Erkenntnisgewinne möglich sind. Aus

diesem Grund wurde als Gegenbeweis und Ergänzung eine Sendung gesucht, in der eine

weitgehend erkenntnisreiche Behandlung der in der Eingangsfragestellung formulierten

Thematik möglich ist und zudem auch in dieser der Unterhaltungsaspekt deutlich zum

Tragen kommt und somit die im ersten Kapitel aufgeworfene Fragestellung nach einer

Vereinbarkeit von Information und Unterhaltung berücksichtigt wurde. Die gewählte

Sendung kann nicht den Anspruch erheben ein idealtypische Beispiel zu sein, sie zeigt

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Die Beeinflussungsfaktoren des Erkenntnisgewinns

98

vielmehr, eine der vielen Möglichkeiten auf, eine erkenntnisreiche Diskussion zu

führen. Gewählt wurde die am 4. November 2010 ausgestrahlte Maybrit Illner-Sendung

zum Thema: Dumm, faul, abgehängt – hat die Jugend im Aufschwung keine Chance.

Mit Hilfe von einer guten, und zudem beispielsweise durch Herrn Rach nicht auf den

ersten Blick erwartbaren, etwas ungewöhnlichen Gästeauswahl, gelingt es hier eine

erkenntnisreiche, wie auch unterhaltsame Sendung zu schaffen. Die Gäste überzeugten

durch klare Positionen, fordern sich gegenseitig heraus und setzen sich kritisch mit den

Argumenten und Ausführungen der anderen Diskussionsteilnehmer auseinander. undo

gehen kritisch mit den Argumenten der anderen ins Gericht. Der nötiger

Unterhaltungseffekt entsteht durch eine sehr rasante Diskussion und eine hohe

Gesprächsdynamik, die wiederum aus einer Erkenntnis suchenden Diskussion

Erkenntnisgewinn erreicht.

Auch die Nebengäste, als ergänzende Element, bringen dem Thema eine sehr

authentische und anschauliche Illustration und sind somit förderlich für eine, auf

Erkenntnisgewinn orientierten Gesprächsverlauf. Im Verlauf der Diskussion ergeben

sich immer wieder sogenannte Chaossituationen, die die Moderatorin jedoch sehr

schnell, mit einer hohen Durchsetzungsfähigkeit wieder in einen regelten

Gesprächsverlauf überführt. So können auch gelegentliche Uneinigkeiten zwischen den

Diskutanten in der Verteilung des Rederechts, keinen störenden Einfluss auf den

Diskussionsverlauf entwickeln. Wie auch schon analysiert, geht von dem Kriterium

Rederecht allein kaum ein erkenntnisgewinngefährdender Einfluss aus.

Durch die Anwendung der für die Arbeit entwickelten Analysemethode wird deutlich,

dass sich hier keine Gefährdung des Erkenntnisgewinns vorliegt.

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Die subjektive Sichtweise - Talkshowmacher über den Erkenntnisgewinn

99

3 Die subjektive Sichtweise - Talkshowmacher über den

Erkenntnisgewinn

Die Analyse hat gezeigt, dass in der Grundstruktur des Sendungskonzeptes eine gute

Basis für eine auf den Erkenntnisgewinn, im Sinne einer Annäherung an die durch die

Eingangsfragestellung formulierte Thematik, vorhanden ist. Doch warum ist der Nicht-

Erkenntnisgewinn dann ein in der Presse, Forschung und beim Zuschauer so häufig

beklagten Missstand? Sind die Gefahrenquellen zu groß, als dass sie nicht bekämpft

werden können? Oder liegen in der Umsetzung der Sendungskonzepte versteckte

Probleme, die den Talkshowmachern die Erstellung einer erkenntnisreichen Sendung

erschweren? Fragen, die berechtigt sind, aber bei genaueren Betrachtungen auch für

Zweifel sorgen, ob der Erkenntnisgewinn, wie ihn der Rezipient, die Kritiker und die

Wissenschaftswelt einfordern, am Ende überhaupt von den Talkshowmachern so

verfolgt wird. Ist es möglich, dass es hier Diskrepanzen zwischen den verwendeten

Maßstäben gibt?

Um nicht nur die Problemfelder für den Erkenntnisgewinn zu lokalisieren, sondern

herauszufinden, warum diese bei Moderatoren und Sendekonzepten in dieser

Massierung vorhanden sind, wurden in einem zweiten Schritt die Talkshowmacher

selbst mit der Thematik der Arbeit, sowie der Frage nach Umsetzbarkeit und Bedeutung

des Erkenntnisgewinns in der Praxis konfrontiert. Wichtig war es, die subjektive Sicht

der Talkshowmacher, die Erfahrungen der Experten aus der Praxis mit einzubeziehen,

um so ein umfassendes Ergebnis in Bezug auf die der Arbeit zugrundeliegende

Fragestellung zu erhalten und um Optimierungsstrategie für zukünftige Sendungen

entwickeln zu können. Mit dieser Öffnung der theoretischen Arbeit, hin zu einer sehr

praxisnahen Überprüfung und Ergänzung, möchte die Magisterarbeit einen Schritt

gehen, der in der wissenschaftlichen Forschung oftmals nicht berücksichtigt wird. Viele

Arbeiten aus dem Bereich der Fernsehforschung, insbesondere auch über Talkformate,

bringen für die Wissenschaft fundierte und theoretisch sehr gut belegbare Ergebnisse,

diese werden aber selten Korrelationsanalysen mit der Praxis unterzogen. Aber um sich

ein umfassendes Bild zu machen, muss auch der Talkshowmacher angehört werden.

Hierzu wurden fünf aktuelle Talkshows ausgewählt, die das momentane Talkshowbild

aufgrund ihrer großen Bedeutung exemplarisch vertreten sollen.

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Die subjektive Sichtweise - Talkshowmacher über den Erkenntnisgewinn

100

Die Sendereihen weisen untereinander leichte Unterschiede in Bezug auf das Konzept

auf, jedoch wird an sie seitens der Zuschauer und Kritiker ein ähnlicher Anspruch

gerichtet, sodass die Antworten ein gutes Gesamtbild der aktuellen Talkshowlandschaft

ergeben und gleichzeitig auch in einen gewissen Vergleich zueinander gesetzt werden

können.

Ausgewählt wurden die Sendungen:

Anne Will149 (ARD, sonntags, 21:45 Uhr, 60 Minuten)

Hart aber fair150 (ARD, mittwochs, 21:45 Uhr, 75 Minuten)

Maybrit Illner151 (ZDF, donnerstags, 22:15 Uhr, 60 Minuten)

Menschen bei Maischberger152 (ARD, dienstags, 22:45 Uhr, 75 Minuten)

2plusLeif153 (SWR, Montag 23:00 Uhr, 30 Minuten)

3.1 Der Interviewleitfaden

Für die Analyse der subjektiven Sicht, der Sicht der Talkshowmacher, wurde die

qualitative Datenerhebung in Form eines Interviews mit den Talkshowmachern gewählt.

Um ein vergleichbares Ergebnis zu erhalten, wurde ein Interviewleitfaden entwickelt,

der neben 10 Fragen, auch eine Definition des Erkenntnisgewinns, im Sinne der

Magisterarbeit beinhaltete und diese auch den Befragten zugänglich machte. Für in

ihrem Sendekonzept etwas von den anderen beiden Sendungen abweichenden

Sendungen hart aber fair, Menschen bei Maischberger und 2+Leif wurde der

Fragebogen durch weitere Fragen ergänzt, die sich speziell auf die Abweichungen im

Sendekonzept beziehen und diese in einen Vergleich zu den anderen beiden Sendungen

setzen.

Nach zahlreichen Vorgesprächen mit Moderatoren, Redaktionsleitern und

Pressesprechern wurde bei jeder Sendung individuell entschieden, wer der inhaltlich am

geeigneste Gesprächspartner ist. Die Interviews wurden sowohl persönlich, als auch

schriftlich durchgeführt. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass natürlich bekannt ist,

dass es einen vielfältigen Erkenntnisgewinn über die festgelegte Definition hinaus in

einer Sendung auszumachen gibt, da jedoch dieser nicht der Maßstab für eine gelungene

149 www.annewill.de 150 www.hartaberfair.de 151 www.maybritillner.de 152 www.maischberger.de 153 www.2plusleif.de

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Die subjektive Sichtweise - Talkshowmacher über den Erkenntnisgewinn

101

erkenntnisreiche Diskussion im Sinne der Kritiker und Zuschauer ist, wurde um ein

deutliches Ergebnis zu erhalten, bei den Interviews darauf geachtet den Begriff

Erkenntnisgewinn in der, in der in der Magisterarbeit festgelegte und auch in der Kritik

geforderten Definitionsweise, zu verwenden. Nur so konnte festgestellt werden, ob

diese Form des Erkenntnisgewinns in der Praxis als Zielsetzung formuliert wird. Zudem

wurde in den Interviews darum gebeten ehrlich und offen die Zielsetzungen und

Vorgehensweisen der Redaktionen darzustellen, auch falls diese nicht dem Bild des hier

definierten Erkenntnisgewinn entsprächen.

Zielsetzung des Interviews war es folglich zu untersuchen, wie mit der, seitens Kritiker,

Wissenschaft und Zuschauer formulierten Forderung, nach Erkenntnisgewinn, in der

Praxis umgegangen wird. Welche Bedeutung kommt dem Erkenntnisgewinn zu? Ist er

aus Sicht der Talkshowmacher notwendig für eine gelungene Sendung? Oder werden

die Maßstäbe möglicherweise ganz anders gesetzt.

Der entwickelte Interviewleitfaden gliedert sich wie folgt:

1. Beschreiben Sie die Zielsetzung Ihrer Sendung?

2. Wie bewerten Sie die Bedeutung der Eingangsfragestellung, mit der Sie die

Sendung eröffnen – soll diese beantwortet werden oder soll sie nur das Thema

vorstellen?

3. Ist ein Erkenntnisgewinn (Beantwortung der Eingangsfragestellung) in der

Sendung erreichbar oder ist dies der zeitlich begrenzten Sendezeit ein zu

hochgestecktes Ziel?

4. Wie wichtig ist für Sie und die Redaktion ein Erkenntnisgewinn für eine

gelungene Sendung? Wie wird eine gelungene Sendung bei Ihnen bemessen?

5. Gibt es Unterschiede im Anteil der erkenntnisreichen Aussagen bei Politiker-

Gästen und Nicht-Politiker-Gästen?

6. Wo sehen Sie mögliche Gefahren für den Erkenntnisgewinn/Diskussionsziel?

Können Sie dazu Beispiele aus Ihrer Sendung nennen?

7. Welche Faktoren sind wichtig für einen Erkenntnisgewinn? / oder wenn Sie den

Erkenntnisgewinn nicht als Hauptzielsetzung der Sendung beschreiben, welche

Faktoren sind wichtig für eine gelungene Sendung?

8. Nennen Sie ein Beispiel für eine aus Ihrer Sicht sehr gelungene Sendung.

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Die subjektive Sichtweise - Talkshowmacher über den Erkenntnisgewinn

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9. Haben Sie Veränderungen im Sendungskonzept in der Vergangenheit

vorgenommen, um die in der Sendung diskutierte Thematik verständlicher zu

machen und optimaler zu präsentieren? Wenn ja welche?

10. Haben Sie bereits Analysen über den Erkenntnisgewinn anhand Ihrer Sendung

durchführen lassen, oder sind solche für die Zukunft in Planung?

Ergänzt wurde der Fragebogen für die Sendungen: hart aber fair, Menschen bei

Maischberger und 2+Leif wie folgt:

hart aber fair

1. Im Vergleich zu den Sendungen von Anne Will, Maybrit Illner und Co - Sehen

Sie im Konzept von „hart aber fair“ Vor- bzw. Nachteile für die Erreichung des

Erkenntnisgewinns?

2. Wo sehen Sie Vor- und Nachteile bei ihrer Sitzordnung (der Gäste und ihrer

Position als stehender Moderator) für den Inhalt der Diskussion und die

Erreichung eines möglichen Erkenntnisgewinns gegenüber einer Sitzordnung

wie bei Anne Will und Co?

Menschen bei Maischberger

1. Sie haben in den letzten Jahren das Themenspektrum ausgeweitet und

berücksichtigen neben den rein politischen Themen auch Themen mit einem

mehr gesellschaftlicheren Ansatz. Warum?

2. Im Vergleich zu den Sendungen von Anne Will und Maybrit Illner - Sehen Sie

im Konzept von Menschen bei Maischberger Vor- bzw. Nachteile für die

Erreichung des Erkenntnisgewinns?

2+Leif

1. Im Vergleich zu Talkshowformaten wie Anne Will, Maybrit Illner und Co,

sehen Sie in Ihrer Sendung Faktoren, die es leichter machen einen

Erkenntnisgewinn zu erzielen?

2. Gibt es Faktoren, die im Sendungskonzept mit mehr als zwei Talkgästen leichter

zu umzusetzen sind? Um was beneiden sie Talkshows wie Anne Will und Co?

3. Kleinere Runden versus größere Runden – ein Faktor für einen besseren

Erkenntnisgewinn? Wo ist Gefährdungspotenzial größer?

Die vollständigen Fragebögen und Antworten der jeweiligen Talkshowmacher sind im

Anhang beigefügt.

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Die subjektive Sichtweise - Talkshowmacher über den Erkenntnisgewinn

103

Die Untersuchung der vorliegenden Arbeit hat deutlich gemacht, welche Faktoren in

welchem Ausmaß einen Einfluss auf den Erkenntnisgewinn, im Sinne der hier zugrunde

gelegten Definition ausüben. Wirft man einen ersten Blick auf die Selbstdarstellung der

Talkshowmacher und ihrer Sendungen, so scheint dieser Anspruch an einen

Erkenntnisgewinn durchaus eine wichtige Zielsetzung jener selbst darzustellen und

somit auch eine gelungene Sendung auszeichnen. So beantwortete Anne Will in einem

epd-Interview, im Jahr 2007, die Frage, was eine politische Talkshow aus ihrer Sicht für

den Zuschauer leisten sollte und könne, mit den Worten: „Mein Anspruch ist, dass sie

Erkenntnisgewinn bringt. Der Zuschauer soll nachher mehr wissen als vorher. […] Der

Zuschauer sieht, wie die Gäste aufeinander reagieren, und sieht und hört nicht nur, was

sie sagen, sondern auch, wie sie es sagen.“154 Nun ist hier die genaue Definition von

Erkenntnisgewinn nicht klar umrissen, jedoch ist die Richtung erkennbar, dass hier sehr

wahrscheinlich eine deutlich auf die Thematik bezogene Erkenntnis gemeint wird. Dies

wird auch an ihrem Anspruch an sich selbst deutlich, erkenntnisreiche Antworten auf

ihre Fragen zu erhalten: „Hartnäckigkeit ist etwas, das ich mir abverlange. Ich will mich

nicht zufriedengeben mit einer halbseidenen Antwort oder gar keiner“155. Und auch in

einem Interview vom 19. Oktober 2007 betont sie die große Bedeutung des

Erkenntnisgewinns: „Ich bemühe mich aber nicht um einen Skandal. Das ist nicht mein

Ansatz. Nein, ich möchte, dass die Sendung einen Erkenntnisgewinn bringt. Dazu muss

sie nicht mit einem großen Knall enden.“156

Auch 2+Leif-Moderator Thomas Leif formuliert auf der Sendungshomepage den

Anspruch seiner Sendung sehr stark in Richtung Erreichung eines Erkenntnisgewinns:

„Die Informationsziele für die Sendung sind eng gesteckt. Wir wollen die Hintergründe

und Konfliktkulisse wichtiger Entscheidungen aufhellen, sodass die Zuschauer nach 30

Minuten einen Mehrwert an Wissen haben.“157

Die Aussagen der Talkshowmacher belegen scheinbar die Forderungen in Kritiken, von

Zuschauern und in einigen wissenschaftlichen Untersuchungen. Trotzdem wird nach

wie vor bemängelt, dass diese schon längst nicht mehr erfüllt werden. Ein Umstand, der

154 Einzigartiges Fernsehformat. Ein epd-Interview mit ARD-Moderatorin Anne Will (2007) 155 Einzigartiges Fernsehformat. Ein epd-Interview mit ARD-Moderatorin Anne Will (2007) 156 Overkott, Jürgen (19.10.2007) 157 http://www.swr.de/2plusleif/thomasleif/-/id=4252394/nid=4252394/did=4330342/1jqeyo3/index.html

(überprüft 27.11.2010)

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als ein Wandel in der Medienlandschaft akzeptiert werden könnte, jedoch zeigen die

wöchentlichen Kritiken, dass dieser immer noch als Missstand beklagt wird.

Warum gelingt der Erkenntnisgewinn in nur weniger Sendungen? Warum geschieht in

vielen Talksendungen oftmals das, das Günther Jauch in einem Interview mit der Zeit

2009 wie folgt formulierte: „Ich sitze oft vor dem Fernseher und denke: So, jetzt hat sie

oder er den Politiker! Der Ball liegt vor dem leeren Tor, man muss ihn nur noch

reinschieben. Aber was passiert? Die Kollegen stoppen den Ball und laufen mit ihm in

die andere Richtung.“158

3.2 Die Ergebnisse

Erkenntnisgewinn, wie er in der vorliegenden Arbeit untersucht wurde und oftmals als

Mangel in den Talkshows beklagt wurde, legt sein Hauptaugenmerk auf eine

Annäherung und erkenntnisreiche Behandlung der Eingangsfragestellung und der im

Sendetitel formulierten Thematik. Deckt sich dieser Anspruch mit der Zielsetzung der

Talkshowmacher sowie der Bedeutung der Eingangsfragestellung?

Die Zielsetzung einer Sendung bildet das wichtigste Fundament für die Diskussion und

legt zugleich auch eine Richtung fest, das heißt konkret, mögliche, zu erreichende

Zielsetzungen werden formuliert. Aus den Gesprächen mit den Talkshowmachern wird

deutlich, dass sich hier Tendenzen erkennbar sind, die für eine

erkenntnisgewinnorientierte Zielformulierung sprechen. So beschreibt 2+Leif-

Moderator Thomas Leif, dass er mit seiner Sendung „ein aktuelles Thema aus Politik

und Gesellschaft kontrovers mit zwei führenden Politikern oder anderen relevanten

Akteuren lösungsorientiert [.] debattieren“159 wolle, während die Talkshowmacher von

Anne Will Woche für Woche das Ziel verfolgen, „aktuelle gesellschaftspolitische

Debatten aufnehmen, spiegeln und kontrovers diskutieren“160 zu lassen. Georg

Diedenhofen, Redaktionsleiter, der Sendung hart aber fair führt seinen Anspruch an die

Sendung etwas detaillierter aus: „Eine Sendung, die wir machen, soll auch immer

spannend sein und unsere eigene Vorgabe erfüllen, die sich im Slogan Wenn Politik auf

Wirklichkeit trifft ausdrückt. Wir versuchen, durch die Einführung von Fakten oder

158158 Winterbauer, Stefan (11.06.2010): Günther Jauch ein Wechsel mit Risiken 159 Interview 2+Leif 160 Interview Anne Will

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105

überraschenden Ansichten und Aspekte die diskutierenden Politiker aus gewohnten

Argumentationsmustern zu locken und im Idealfall so zu Aussagen zu bringen, die

weniger formelhaft sind und die authentischer sind.“161 Und auch die Redaktion von

Maybrit Illner formuliert Ziele, die bei genauer Betrachtung einen Erkenntnisgewinn

erzeugen können. So kann eine Sendung „das Thema neu beleuchten, neue Argumente

vielleicht pro und contra kennengelernt zu haben und dann für sich selber zu sagen, ja

okey ich fand die Argumente der pro Seite für mich entscheidender oder der Gegenseite

entscheidender, dass jeder der Zuschauer für sich dann am Ende vielleicht die Meinung,

die er schon hat, bestätigt findet oder die Frage, die er noch nie gehört hat

[…].“162Menschen bei Maischberger-Redaktionsleiter Theo Lange sieht aufgrund des

etwas mehr auf gesellschaftspolitische Themen, fokussierteren Sendekonzeptes die

Zielsetzung seiner Sendung etwas offener: „Menschen bei Maischberger definiert sich

als thematisches Talkformat mit einem gesellschaftspolitischen Schwerpunkt. Menschen

bei Maischberger hat sowohl Diskussionselemente mit einem möglichst konträren

Meinungsaustausch – das obliegt den Gästen – wie auch biographische Strecken.“163

In den Interviews wurde deutlich, dass neben der Sendung 2+Leif, auch die „hart aber

fair“-Talkshowmacher ihre Sendung deutlicher mit einer Erkenntnisgewinn-Zielsetzung

in Verbindung bringen. Anzumerken ist hierbei, dass die Sendung 2+Leif aufgrund

ihres etwas abweichenden Konzeptes, der Reduzierung auf zwei Gäste und der somit

auch für den Moderator sehr zugespitzten und konfrontativen Form der

Gesprächsführung, einer erkenntnisorientierte Diskussion zugute kommt. Der Vorteil

im Vergleich zu größeren Runden läge, so Thomas Leif, in der Konzentration auf zwei

Gäste und klare Themenschwerpunkte. „Allein durch diese konzeptionelle Reduktion

sind Unterschiede feststellbar. Bei uns gibt es einen eingebauten Zwang am Thema zu

bleiben. Wir bemühen uns die unverbindliche Sprunghaftigkeit in Grenzen zu

halten.“164 Doch er schreibt auch einer größeren Runde durchaus das Potenzial zu, eine

erkenntnisreiche Diskussion zu führen: „Meines Erachtens kommt es auch hier auf das

jeweilige Thema und die Sendezeit an: wenn sie sehr gute, aussagewillige und

qualifizierte Gäste haben, die zur argumentativen Kontroverse fähig sind und die

161 Interview hart aber fair 162 Interview Maybrit Illner (Sabine Orner) 163 Interview Menschen bei Maischberger 164 Interview 2+Leif

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Moderatoren eine klare Linienführung haben, kann auch eine grössere Runde

funktionieren.“165

Die Talkshow hart aber fair ist, als eine größere Runde zu bezeichnen. Die Redaktion

beschreibt den Erkenntnisgewinn als einen wichtigen Anspruch an die Sendung:

„Erkenntnisgewinn ist ein wesentliches Ziel der Sendung. Wir wollen unsere Gäste und

unsere Zuschauer mit neuen Aspekten und besonderen Informationen zum Thema

überraschen. […] Eine Sendung ist in unseren Augen dann gelungen, wenn unsere

Gäste Unerwartetes sagen, von unseren Recherchen überrascht werden und dann von

ihren vorgefassten Statements abweichen.“166 Aber auch in dieser Sendung findet, wie

schon im Kriterium „Sitzordnung“ ansatzweise beschreiben, ein etwas, zu den

Sendungen Maybrit Illner und Anne Will, abweichendes Sendungskonzept Anwendung.

Aufgrund der, sowohl im Konzept, als auch insbesondere in der Sitzordnung,

abweichenden Sendungsmerkmalen der Formate 2+Leif sowie hart aber fair, stellt sich

die Frage, ob ein Erkenntnisgewinn bedingt durch die anderen Merkmale leichter

erreicht werden kann.

Im Interview wurde deutlich, dass in diesem seitens der Redaktionen deutlich Vorteile

gesehen werden das Thema zugespitzter, als andere Sendungen zu diskutieren.

Hinzuzufügen ist, dass es sich hierbei um eine reine Selbstbeschreibung der

Redaktionen handelt. Ob eine erkenntnisreichere Diskussion möglich ist, wäre in einem

direkten Vergleich der einzelnen Talkshows zu analysieren.

Trotz der, auf den ersten Blick scheinbaren Umsetzbarkeit einer auf einen

Erkenntnisgewinn als Zielsetzung ausgerichteten Diskussion, kann in der Realität aus

Sicht der Redaktionen die Eingangsfragestellung kaum den Anspruch erheben,

beantwortet zu werden. Grundsätzlich eröffnet die Eingangsfragestellung die Sendung

und ist „[…] wichtig, weil sich oft schon an dieser Stelle Gesprächsatmosphäre,

Debattenschärfe oder Tonalität der Sendung entscheiden“167, so Theo Lange, aber die

Bedeutung für die Gesamtsendung ist umstritten. Die Sendung hart aber fair versucht

dieser Fragestellung zwar in der Sendung einen wichtigen Stellenwert einzuräumen,

165 Interview 2+Leif 166 Interview hart aber fair 167 Interview Menschen bei Maischberger

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jedoch macht Redaktionsleiter Georg Diedenhofen auch die damit verbundene

Problematik deutlich:

„Die Eingangsfragestellung ist eine Beschreibung des Themas. In der Strukturierung der

Sendung achten wird darauf, dass für die Diskussion der Fragestellung genug Zeit bleibt

und dass diese Diskussion an prominenter Stelle in der Sendung geführt wird. Wie

bemühen uns in jeder Sendung, die durch die Fragestellung beim Zuschauer erzeugte

Erwartungshaltung nicht zu enttäuschen. Aber dies bleibt ein Anspruch, den wir in einer

Livesendung mal besser und mal schlechter gerecht werden. Denn erstens gibt es keine

Garantie dafür, dass es auf jede wichtige politische oder gesellschaftliche Frage auch eine

überzeugende Antwort gibt. Außerdem: wer beurteilt, ob eine Frage beantwortet ist? […]

Aus der Verhaltenspsychologie und der Medienwirkungsforschung ist das Phänomen der

selektiven Wahrnehmung bekannt – wie ein Inhalt unserer Sendung vom Zuschauer

wahrgenommen wird, hängt demnach immer auch mit dessen Einstellungsmustern und

Weltanschauungen zusammen. Dieser Vorgang ist von uns damit nicht steuerbar“168

Sabine Orner von der Redaktion Maybrit Illner wird etwas deutlicher: „Beantworten

können wir uns nicht auf die Fahne schreiben, glaub ich in dem harten Sinne, dass es

am Ende wirklich dieses [.] Urteil gibt nach dem Motto, brauchen wir noch private

Krankenversicherungen ja oder nein.“169 Die Anne Will-Redaktion formuliert es noch

zugespitzter: „Eine abschließende Beantwortung der Titel-Frage mit Ja oder Nein ist

nicht Sendungs-Ziel. Das wäre naiv und vermessen zugleich.“ Sie soll vielmehr „[…]

das Thema kurz und zugespitzt vorstellen“170. Für Thomas Leif soll sie „nach

Möglichkeit mitten ins Thema führen und die Chance ermöglichen, den Problemkern zu

definieren, die Polarität von Meinungen zu erfassen und den Konfliktrahmen zu

definieren. Wir arbeiten zusätzlich sofort nach dem Indikativ mit einem zugespitzten

Themen-Einspieler, der das Thema auf den Punkt bringt.“171 Ein Element, das auch

häufig in den anderen Talkshows benutzt wird. Die Aussagen machen jedoch deutlich,

dass auch ohne die Zielsetzung die Eingangsfragestellung komplett beantworten zu

können, ein Erkenntnisgewinn nicht zwangsläufig ausgeschlossen ist.

Aber ist ein Erkenntnisgewinn in einer solchen Sendungsform überhaupt möglich, oder

ist dieser ein zu nicht umsetzbarer Anspruch? Eine schwierige Frage, wie die Interviews

gezeigte haben und die sich, wie 2+Leif Moderator Thomas Leif es formuliert, nicht

168 Interview hart aber fair 169 Interview Maybrit Illner 170 Interview Anne Will 171 Interview 2+Leif

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pauschal beantworten ließe. Während Thomas Leif insbesondere die Befindlichkeit der

Gäste, sowie deren Herangehensweise an die Sendung – „Lassen sie sich auf die

Fragestellung ein – oder ziehen sie ihre Agenda durch? als entscheidendes Kriterium für

ein mögliches Erreichen eines Erkenntnisgewinns sieht, formuliert Anne Will-

Pressesprecherin Nina Tesenfitz die Zielvorstellung eher vorsichtiger: „Mit der Sendung

soll der Zuschauer ein Angebot bekommen, sich zu aktuellen Debatten eine Meinung zu

bilden, eine bereits vorhandene Meinung abzugleichen – und gegebenenfalls zu

überdenken“.

„Menschen bei Maischberger will Positionen deutlich machen, ohne diese abschließend zu

beurteilen. Diese Aufgabe obliegt, wie bei jeder konträren TV-Debatte, dem Zuschauer.

Wenn Erkenntnisgewinn allerdings auch bedeutet, über eine Lebensgeschichte Einblick in

eine gesellschaftliche Schicht oder Gruppe (Stichwort Hartz IV), zu bekommen, oder

Problemlösungen kennenzulernen (Stichwort: Therapiemöglichkeiten bei Krankheiten),

dann kann mal vielleicht von einem Erkenntnisgewinn sprechen“172,

so Redaktionsleiter Theo Lange. Aber auch die Talkshowmacher von hart aber fair

wollen sich nicht klar festlegen und nennen ein Beispiel:

„Das hängt davon ab, wie komplex eine Fragestellung ist. Sind die Hartz IV-Gestze gerecht

oder ungerecht? Das ist eine sehr umfassende Problematik, die schlecht in 75 Minuten

umfassend dargestellt werden kann. Sind die Regeln für den Zuverdienst von Hartz IV-

Empfängern gerecht und praxisnah? Diese Frage ist möglicherweise so überschaubar und

umfassend darstellbar, dass man sie in 75 Minuten so umfassend diskutieren kann, dass am

Ende jeder Zuschauer genügend Meinungen und Informationen zu diesem Thema

bekommen hat, um nun entscheiden zu können.“173

Um überhaupt die Chance zu haben einen Erkenntnisgewinn zu erreichen sei es, wie

Georg Diedenhofen betont, notwendig diesen bereits bei der Planung der

Gesprächsstruktur im Hinterkopf zu haben: „Wichtig ist es, den Aufbau und die Unter-

Themen-Abfolge in der Sendung so zu planen, dass sich ein logischer und

nachvollziehbarer Ablauf ergibt, und dass am Ende genug Zeit bleibt, nicht nur bei der

Problembeschreibung zu verharren, sondern auch Vorschläge zur Problemlösung zu

diskutieren.“174

172 Interview Menschen bei Maischberger 173 Interview hart aber fair 174 Interview hart aber fair

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Ein Erkenntnisgewinn kann also, nicht nur nicht garantiert werden, sondern ist zudem

vielseitigen Gefahrenquellen ausgeliefert, die seine Entwicklung behindern können.

Maybrit Illner –Redaktionsleiter Wolfgang Klein bezeichnet den Erkenntnisgewinn

sogar als einen eher ungeeigneten Anspruch an eine Talkshow:

„Also es gibt jedenfalls viele journalistische Mittel, die deutlich besser geeignet sind eine

gestellte Frage in einer gegebenen Zeit zu beantworten als eine Talkshow. Weil eine

Talkshow halt von den Menschen lebt, die dort miteinander umgehen. […] Aber bei uns

wird im freien Spiel dieser Diskussionskräfte halt schon nen Menge Raum gegeben und

dann zu erwarten, dass die am Ende da landen, wo sie dann denken, dass was, dass ne

Antwort kommen könnte das ist etwa so wahrscheinlich, als dass sie bei einer Hochzeit

wissen, wie ihre Ehe verläuft. […] Wenn es ihnen darum geht, wie viel Informationen

werden in, oder wie krieg ich als Mensch, als zuschauender Mensch, als Rezipient, wie

krieg ich am Besten bestimmte Informationen, würde ich nie und nimmer eine Talkshow

gucken. […] Wenn sie für sich ne Frage haben und wollen auf die Frage ne Antwort, wäre

es total bekloppt dazu ne Talkshow zu gucken oder zu machen.“175

Ist ein Erkenntnisgewinn also nicht die Zielsetzung einer politischen Talkshow, sondern

vielmehr nur eine nicht zu erfüllende und insbesondere auch nicht angestrebte

Forderung der Kritiker, Wissenschaftler und so manchen Zuschauers?

Aus den Interviews wird sehr schnell deutlich, dass hinter der oberflächlichen

Zielsetzung in den Medien bei den Talkshowmachern die Schwerpunkte deutlich anders

gesetzt sind. Erkenntnisgewinn sei, für die die Sendung Menschen bei Maischberger

keine entscheidende Kategorie für die Bemessung einer gelungenen Sendung176.

„Entscheidender sind Parameter wie eine lebhafte Diskussion, die richtige thematische

Gewichtung und natürlich als quantitatives Kriterium – die Zuschauerresonanz.“177 Und

auch Thomas Leif sieht Erkenntnisgewinn nicht als oberste Zielsetzung: „[.]

Erkenntnisgewinn ist nicht das zentrale Ziel von Programmverantwortlichen. Nach dem

Tatort wollen viele eher Infotainment, Emotion, das „Gefühl, gut informiert zu sein“

etc.“178

Es scheint, als sei der Anspruch auf Erkenntnisgewinn ein zu hochgestecktes und auch

seitens der Macher nicht explizit verfolgtes Ziel. Wenn es zu einem Erkenntnisgewinn

175 Interview Maybrit Illner 176 Vgl.: Interview Menschen bei Maischberger 177 Interview Menschen bei Maischberger 178 Interview 2+Leif

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kommt, dann wird dies scheinbar fast als ein netter Nebeneffekt aufgefasst. Sabine

Orner, Redaktion Maybrit Illner merkt an: „[…] manchmal hat man auch tatsächlich die

Erkenntnis, dass eine Frage beantwortet wird, wenn sie Glück haben, […] es gab

sicherlich auch schon Sendungen wo wir den Titel auch erfüllen oder in dem Sinne ihrer

Fragestellung auch tatsächlich es geschafft haben die Erkenntnis […] an dem Titel

auszurichten.“179

Hat eine Talkshow also eher durch Zufall einen Erkenntnisgewinn, der seitens der

Macher nicht vorgesehen ist? Dem widersprechen die Redaktionen deutlich. Eine

Bedienung der, in der Arbeit formulierten Definition könnten, und wollten sie nur in

dieser Form nicht leisten, so Sabine Orner von der Redaktion Maybrit Illner: „[.] sie

beschränken die Erkenntnis ja sehr ein und wenn sie dann sagen die Sendung hat dann

keine Erkenntnis nur, weil Wolfgang sagt, dass es in andern Medien anders geht, würde

ich sagen nein das hat schon eine Erkenntnis, aber das widerspricht dann vielleicht ihrer

exakten Definition von Erkenntnis.“180 Jedoch weisen die Talkshowmacher deutlich

darauf hin, dass sie dennoch Erkenntnisgewinn in ihren Sendungen erreichen können,

nur ist dieser viel weiter zu fassen, als in der dieser Arbeit zugrundeliegenden

Definition und in der Öffentlichkeit geforderten Form.

Sabine Orner aus der Redaktion Maybrit Illner erklärt: „[.] es ist ganz viel

Erkenntnisgewinn erreichbar. [.] Zum Beispiel wer streitet sich da eigentlich

miteinander oder die Erkenntnis wie sieht denn zum Beispiel [.] ein Herr Guttenberg in

echt aus. […] Aber das ist doch auch eine Erkenntnis, wenn man als Bürger spürt, dem

Politiker fällt verdammt noch mal nichts anderen ein, als dass das er schon fünfmal [.]

gesagt hat. Das ist doch auch eine Erkenntnis.“181 Und Redaktionsleiter Wolfgang Klein

fügt hinzu:

„Natürlich ist es vielleicht für seine Politik nicht so wahnsinnig relevant, [.] ob Herr

Seehofer fünf Katzen hat. Für den Wähler kann das aber durchaus [.] ne relevante

Information sein, ob Herr Seehofer Haustiere hat. […] Das heißt also auch Informationen,

die zunächst einmal auf den ersten Blick nichts mit der von ihnen angesprochenen

Sachfrage oder Thematik zu tun haben, können ja trotzdem für den Zuschauer ne releva nte

Geschichte sein. Also ich denk, dass Talkshows, deshalb hatte ich vorhin gesagt, wenn sie

179 Interview Maybrit Illner 180 Interview Maybrit Illner 181 Interview Maybrit Illner

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Informationen suchen gucken sie keine Talk… also wenn sie die auf eine konkrete Frage

konkrete Informationen suchen ist Talkshow ein sehr umständlicher Weg. Wenn sie aber

als […] Bürger ne Antwort auf die Frage für sich suchen , zu wem hab ich Vertrauen, wem

würde ich meine Stimme geben, wessen Argumente überzeugen mich mehr als [.] anderen,

dann ist Talkshow ne prima Form.“182

Auch die Anne Will-Redaktion verfolgt einen ähnlichen Ansatz: „Erkenntnisgewinn

nach der von ihnen für ihre Arbeit vorgenommenen Definition spielt keine große Rolle

bei der Bewertung“183 seitens der Redaktion für eine gelungene Sendung. Jedoch hat

durchaus „der eine oder andere Zuschauer im Idealfall natürlich etwas erfahren, das er

vorher noch nicht wusste. Das kann sich auf Inhalte und Argumente beziehen, aber auch

auf die Haltung einzelner Gäste:“184

Thomas Leif hat für seine Sendung einen Anspruch, der sich etwas näher an der

Erkenntsnisgewinn-Definition der Magisterarbeit orientiert. Als Bewertungskriterien für

eine gelungene Sendung bezeichnet er: „Erkenntnisgewinn, im Sinne von

Wissensvermittelung, Vertiefung der Argumente, Einschätzung der Gäste-Charaktere,

aber auch eine lebendige, nachvollziehbare, strukturierte Debatte.“185

Ein sehr viel breiter Ansatz bezüglich des Erkenntnisgewinns wird deutlich. Zugespitzt

ist festzustellen, dass dieser Ansatz möglicherweise Erkenntnisse vielerlei Art für den

Zuschauer liefern kann, jedoch sind diese nicht zwangläufig und oftmals nicht

Erkenntnisgewinne in Bezug auf die Thematik der Sendung und können insofern auch

nicht die Forderungen der Kritiker befriedigen.

Doch warum fassen die Talkshowmacher teilweise den Begriff so weit? Ist es die Angst

den Erwartungen nicht gerecht werden zu können und somit der Versuch diese gar nicht

erst als Zielsetzung zu sehen? Oder treffen vielmehr völlig unterschiedliche

Erwartungshaltungen seitens der Kritiker, Wissenschaftler und Zuschauer auf der einen

und den Talkshowmachern auf der anderen Seite aufeinander. Zwei Welten, die die

Möglichkeiten und Maßstäbe des anderen nicht wirklich kennen und somit Bilder

produzieren, die nicht erfüllbar sind?

182 Interview Maybrit Illner 183 Interview Anne Will 184 Interview Anne Will 185 Interview 2+Leif

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Wolfgang Klein, Redaktionsleiter der Sendung Maybrit Illner sieht im zweiten Punkt

eine oftmals verdrängte Problematik:

„[…] ich finde, dass [.] vieles was wir da machen in der wissenschaftlichen Elle kaum zu

messen ist. Deshalb wird sich ja auch immer so stark auf diese Quoten berufen, weil es das

Einzige ist, was du messen kannst, Aber es ist auch kein wörtlich qualitativer Maßstab […].

[…] Wir haben die Sendung entwickelt in der Hoffnung, dass wir spannende Gäste haben,

spannende Kontroversen, dass man emotional wie intellektuell Anregungen erfährt, dass

man hinterher etwas hat wo man sich mit anderen Leuten vielleicht auch unterhalten kann,

also nach ner schönen Talkshow kann es doch sein und erlebt man auch oft das die Leute

das in irgendeiner Form auch weiterdiskutieren. Dieses alles sind Effekte die so eine

Sendung haben kann, nur die sind mit dem Erkenntnisgewinn wirklich extrem schwer

verbindbar. Ja sie [.] legen da eine Maßstab an, der einfach schlecht zu der Sendung passt.

Das ist ihr gutes Recht. […] Da kann ich wirklich sagen du merkst es schon bei den

Journalistenkollegen. Die Schreibenden sind ja ohnehin der Ansicht, dass sie alles erstens

besser wissen und zweitens die richtigen Fragen stellen würden, und dass der, der in so ner

Sendung sitzt, einfach zu blöd ist und nicht genug Ahnung hat. Das ist schon mal eine [.]

Unterscheidung, die sie im Prinzip zwischen Fernsehmenschen und schreibenden

Journalisten im Großen und Ganzen als Klischee erleben. Aber auch innerhalb […] einer

Fernsehanstalt, innerhalb des Fernsehjournalismus ist Talkshow eine ganz spezielle Sparte,

von der die Meisten ehrlich gestanden relativ wenig Ahnung haben, weil sie sich damit

einfach nicht beschäftig haben. Ja, und die Wissenschaftler mit Verlaub, haben fast alle null

Ahnung. Haben aber unheimlich klare Vorstellungen, wie das sein sollte.“186

Die Problematik, die sich sehr deutlich herauskristallisiert, sind zwei völlig

unterschiedliche Erwartungshaltungen seitens Kritiker und Talkshowmachern. Es steht

der Wissenschaft, den Zuschauern, als auch den Kritikern zu, Erkenntnisgewinn zu

fordern, solange es das Genre in der Öffentlichkeit verspricht. Bei genauer Betrachtung

wird deutlich, dass mit der alleinigen Forderung nach Erkenntnisgewinn für das

Gelingen einer Sendung hier sehr wahrscheinlich wirklich ein unpassender Maßstab für

das Genre angelegt wird. Festzustellen ist, es prallen mit den an die Talkshow

gerichteten Ansprüchen, sowie den wirklichen Zielsetzungen der Talkshowmacher zwei

Welten aufeinander, die kaum einen gemeinsamen Nenner finden werden, weil sie zwar

meinen genug voneinander zu wissen, jedoch den anderen nur nach ihren eigenen

Maßstäben beurteilen und sich somit beide völlig fremd sind.

186 Interview Maybrit Illner.

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Die subjektive Sichtweise - Talkshowmacher über den Erkenntnisgewinn

113

Zurück zu den Talkshowmachern stellt sich abschließend noch die Frage, welche

Faktoren einen Erfolg der Sendung verhindert können und somit als Gefahren zu

definieren sind. Die Magisterarbeit hat im vorherigen Teil versucht Gefahren zu

lokalisieren, die ein Gelingen einer Sendung in Bezug auf Erreichung eines

Erkenntnisgewinns behindern können. Beziehen sich die Gefahrenfaktoren der

Talkshowmacher ebenfalls auf Erkenntnisgewinn beeinflussende Elemente oder gibt es

aufgrund der, wie schon beschrieben, vom reinem Erkenntnisgewinn abweichenden

Zielsetzung, darüber hinaus andere Gefahrenquellen?

An den Aussagen der Talkshowmacher wird deutlich, welchen Stellenwert, das als

Gefahr den Erkenntnisgewinn bestimmten Analysekriterien Gästewahl hat. Zudem lässt

sich deutlich erkennen, dass die im ersten Teil der Magisterarbeit beschriebenen

Problematiken der Selbstdarstellung und politischen Werbung, auch Gefahrenpotenziale

für das Gelingen der Sendung bergen: „Politische Talk-Sendungen leben und sterben

mit der Qualität der Besetzung und der jeweils gefühlten Aktualität. […] Wenn ein

Politiker seine Agenda verfolgt, sich nicht auf neue Pfade einlässt, das Programm

kontrolliert durchspielt oder sogar überfordert ist, können sie alle Informationsziele

vergessen. Erkenntnisgewinn ist nur möglich, wenn die Akteure zuvor jeweils zu einer

Erkenntnis gekommen sind.“187 Hinzu kommt, dass alle Gäste der Debatte gewachsen

sein müssen188, „damit das Thema ausgewogen diskutiert werden kann.“189 Aber nicht

jeder Aspekt eines Themas ist für eine Talkshow geeignet:

„Generell stößt das Format Talk an seine Grenzen, wenn es um die Darstellung partei - oder

organisationsinterner Konflikte geht. Solche Konflikte werden in der Regel „hinter

verschlossenen Türen“ ausgetragen und nicht auf offener Bühne. Deshalb gelingt es in der

Regel nicht, zwei widerstreitende Mitglieder einer Partei oder einer Organisation zum

offenen Schlagabtausch in die Sendung zu laden. Auch wenn man Parteipolitiker mit „unter

zwei“ gegebenen Zitaten kritischen Inhalts an ihrer Person konfrontiert, verweigern sich die

Politiker und streiten den Wahrheitsgehalt solcher Zitate ab. Auch gibt es das Verha lten

von Gästen, Tatsachen oder Teilaspekte schlicht zu leugnen oder verzerrt darzulegen.“ 190

Doch auch andere, Gefahren können das Gelingen einer Sendung verhindern und

werden sogar seitens der Talkshowmacher als elementarer für den

187 Interview 2+Leif 188 Vgl.: Interview Anne Will 189 Interview Anne Will 190 Interview hart aber fair

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Die subjektive Sichtweise - Talkshowmacher über den Erkenntnisgewinn

114

Sendungserfolg, als ein möglicher Erkenntnisgewinn eingestuft: „Was ich

schlimm finde, das Schlimmste was passieren kann ist, wenn sie langweilig ist.

Und das find ich schlimmer, als wenn man am Ende der Sendung sagt, die Frage

ist nicht beantwortet worden oder es gab da bestimmte Faktoren, […] wo sich die

nicht einig waren und jetzt weiß der arme Zuschauer nicht, ob er dem einen oder

dem anderen glauben soll.“191

Der letzte Aspekt betont, wie wichtig, die in der Forschung sehr kontrovers diskutierte

Frage nach der Vereinbarkeit von Information und Unterhaltung für die Talkshow ist.

Maybrit Illner-Redaktionsleiter Wolfgang Klein schildert die Problematik, benennt die

Unterhaltung als ein unverzichtbarer Baustein einer gelungenen Sendung und hebt

gerade die Vereinbarkeit von Unterhaltung und Information als wichtiges Element des

Genres Talkshow hervor:

„ Ich find es toll wenn [.] die Gäste ihre verschiedenen Standpunkt kontrovers austragen,

sodass der Zuschauer sich eine eigene Meinung bilden kann, sowohl zu den Menschen, die

da miteinander diskutieren, als auch zu dem Thema. Wenn es gelungene Beispiele gibt, mit

denen man sich emotional oder intellektuell [.] auseinandersetzen kann. Und, [.] wenn es

unterhaltsam ist. Ich […] finde immer einen sehr interessanten Begriff in diesem

Zusammenhang das Wort Unterhaltung weil [.] jeder vernünftige Mensch wird, wenn er ein

schönes Gespräch hat, vielleicht das so ausdrücken: Wir hatten eine prima Unterhaltung,

ich hab ne prima Unterhaltung gehabt, daraus resultiert dann auch, ich habe mich prima

unterhalten. Sobald es aber […] dieses Wort in die Finger von Medienwissenschaftlern

kommt, hat es sofort einen negativen Touch, ja ist Unterhaltung ist immer schon irgendwie

uuuuhhää. Ja, und dann fragen die Studenten in solchen Seminaren mit todernstem Gesicht:

Sind sie Information oder sind sie Unterhaltung? Und ich sag dann halt schrecklich gern

erstens, dass ich mich wirklich viel, viel lieber unterhalte, als dass ich mich informiere. Und

dass ich eine gelungene Unterhaltung für etwas ganz Tolles halte. Und das wir natürlich

genau in dieser Mischform liegen. […] durch ne gute Unterhaltung kann ich unheimlich

viele Informationen oder auch tolle Erkenntnisse kriegen. Die kriege ich dann aber im

Zweifel sogar selber, diese Erkenntnisse. Also ich […] konsumiere nicht nur die

Erkenntnisse, die andere hatten, sondern ich kann plötzlich eigene Erkenntnisse haben. Nur

dann setzten wir etwas in Gang […], wo wir nur vermuten können, dass es uns gelungen

sein könnte.“192

191 Interview Maybrit Illner 192 Interview Maybrit Illner

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Die subjektive Sichtweise - Talkshowmacher über den Erkenntnisgewinn

115

Thomas Leif ergänzt mit seiner Aussage über den Wunsch des Zuschauers, nach

dem Tatort statt reinem Erkenntnisgewinn, eher Infotainment geboten zu

bekommen193, diese Richtung. Und formuliert daraus ein neues Ziel für die

Zukunft: „Ziel müsste zudem sein, Erkenntnis-Spaß zu vermitteln. Vielleicht wäre

das auch schon ein Gewinn.“194

193 Interview 2+Leif 194 Interview 2+Leif

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Fazit

116

4 Fazit

Die vorliegende Magisterarbeit hat sich der Betrachtung des Erkenntnisgewinns von

zwei Seiten angenähert. Zum einen wurden die Beeinflussungsfaktoren, sowie

Gefahrenquellen für einen Erkenntnisgewinn bestimmt, zum anderen wurde der

Stellenwert der Thematik für die Talkshowmacher, sowie ihr Umgang mit dieser

untersucht. Die vorliegende Arbeit nahm dabei zwei unterschiedliche Positionen ein,

um sowohl die Seite der Kritiker und Rezipienten, als auch die Seite der

Talkshowmacher zu beleuchten. Diese Kombination von wissenschaftlicher

Betrachtung, als auch einem sehr starken Einbezug der Praxis, ermöglichte es das

Thema realistisch zu betrachten.

Die Analyse der Gefahrenquellen für den Erkenntnisgewinn wurde unter der Annahme

durchgeführt, dass Erkenntnisgewinn als Zielsetzung der Talkshows zu werten sein.

Auch wenn ein Erkenntnisgewinn in der Gesamtwertung der Magisterarbeit als ein nicht

idealer, alleiniger Maßstab zur Bemessung einer gelungenen Sendung zu werten ist, darf

die Untersuchung durchaus das Recht für sich beanspruchen gültige Ergebnisse erzielt

zu haben. Als ein Grund hierfür ist anzuführen, dass sie aus der Blickrichtung der

Kritiker, Zuschauer und Wissenschaft entwickelt wurde. Sie geht somit von dem

Anspruch dieser Seite aus und liefert für diesen Anspruch gültige Ergebnisse. Es

konnten eindeutige Gefährdungsfaktoren bestimmt und zudem ihr Beeinflussungsgrad

bemessen werden.

Die Interviews mit den Talkshowmachern machten deutlich wie schwer die formulierte

Definition des Erkenntnisgewinns, mit dem wirklichen Anspruch der Macher an die

Sendung beschreibbar ist. Dies mindert aber nicht die Bedeutung der theoretischen

Analyse zur Bestimmung von Gefahrenquellen für den Erkenntnisgewinn. Was jedoch

zu denken gibt, ist dass die hier verwendete Definition auf der Erwartungshaltung an

eine Talkshow seitens der Talkshowrezipienten und Kritiker beruht und die Ergebnisse

der Arbeit so deutlich die starke Diskrepanz zwischen der Zielsetzung der

Talkshowverantwortlichen und der Erwartung der Nutzer aufzeigt. Vielleicht haben sich

die Kritiker für ihre Ansprüche das falsche Genre ausgesucht, vielleicht müssten aber

auch die Talkshowmacher beginnen deutlicher die Möglichkeiten und Grenzen, sowie

insbesondere die Nicht-Zielsetzungen zu formulieren, statt in der Öffentlichkeit zu

vermitteln, dass sie eine Aufklärungsrolle bedienen, die jedoch ihrer

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Fazit

117

Sendungszielsetzung und - leistung nicht immer entspricht. Statt sich in eine Rolle

pressen zu lassen, die nur nach Erkenntnisgewinn beurteilt wird und dabei

möglicherweise nicht nur einen nicht unproblematischen Maßstab anwendet, sondern

auch andere positive Qualitäten der Sendung übersieht. Wenn beide Seiten mit offenen

Karten spielen, könnte auch der Rezipient möglicherweise völlig neue Qualitäten an der

Talkshow entdecken, statt ständig in seinen Erwartungen enttäuscht zu werden. Aber

solange Talkshowmacher diese Rolle weiter bedienen, wird sich der Anspruch der

Kritiker nicht ändern.

Vielleicht bietet sich aber mit dem Erkenntnisgewinn hier auch ein vorhandenes

Potenzial, das nicht richtig genutzt. Politische Talkshows liefern nicht immer einen

Erkenntnisgewinn im eng definierten, wie hier in der Arbeit beschriebenen Sinn, und es

wäre auch falsch zu behaupten sie brächten somit keinerlei Mehrwert für den

Zuschauer. Möglicherweise stellen Erkenntnisgewinne somit in einer weiter gefassteren

Form, wie sie die Talkshowmacher beschrieben haben, für die Rezipienten oftmals auch

bedeutsame Zugewinne für die eigene Meinungsbildung dar. Aber wollen sich damit

Talkshowmacher und auch Rezipienten zufriedengeben?

Die vorliegende Analyse hat deutlich gemacht, dass Erkenntnisgewinn in einer für die

Arbeit definierten Form erreichbar sein kann. Erkenntnisgewinn als alleinigen,

absoluten Anspruch zu formulieren wäre falsch und führte oftmals zu in diesem Sinne

gescheiterten Sendungen. Aber stellt dieser nicht doch eine ausbaufähigere Qualität dar,

statt ihn nur als netten Nebeneffekt zu sehen? Die Grundlagen hierfür sind durch das

Sendekonzept durchaus gegeben. Die Moderatoren sind in der Lage diesen zu mit ihrer

Gesprächsführung zu erzeugen. Das Potenzial müsste nur genutzt werden und wäre mit

der bisherigen Zielsetzung der Sendung deutlich verbindbar, da es im Grunde

unterbewusst längst ein wichtiges, jedoch nicht gezielt gefördertes Element der Sendung

ist.

Die Entwicklungspotenziale der Talkshows haben also in verschiedene Richtungen

noch deutlichen Spielraum. Auch wenn es etwas Mut bedarf sich einer klare Zielsetzung

und Linie zuzuwenden und dieser nachweislich, je höher die Sendungsbekanntheit und

je größere der Anspruch seitens der Kritiker, bei den Sendern nur sehr minimalistisch

ausgeprägt ist, wäre gerade dieses vielleicht in der Zukunft, mit einer immer stärkeren

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Fazit

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Konkurrenz auf dem Talkshowmarkt, ein Ansatz, der einem Konzept eine deutlich

unverwechselbare Note geben würde.

Der Zuschauer ist heute eindeutig in der Lage als mündiger Mediennutzer auszuwählen,

woher er seine Informationen bekommt. Jedoch müsste, um diese Mündigkeit nicht zu

gefährden, auf beiden Seiten, seitens der Kritik und Wissenschaft, aber auch seitens der

Talkshowmacher aufgehört werden falsche Maßstäbe anzulegen. Es dürften keine

Ansprüche gestellt werden, die das entsprechende Genre, aufgrund seines angelegten

Konzeptes, nicht erfüllen kann und will, aber auch keine falschen Versprechungen dem

Zuschauer gegeben werden und so Erwartungen zu produzieren, die nicht erfüllt werden

können. Denn Talkshows sind ein sehr vielschichtiges und spannendes Genre mit einem

großen Potenzial, das es gilt richtig zu nutzen.

Die Zukunft wird zeigen, welche Qualitäten dieses bisher möglicherweise noch gar

nicht ausgeschöpft sind.

Bis dahin gilt:

„Es ist kein einziger Fall bekannt, bei dem ein Zuschauer zur Talkshow gezwungen worden

wäre; und es fehlt bis jetzt auch jeder Beweis, dass das Publikum etwas Sinnvolleres tun

würde, wenn es diese Sendungen nicht gäbe […].“195

Giovanni di Lorenzo

195 Di Lorenzo, Giovanni (06.05.1996): Fünf vor zwölf oder III nach 9, S. 214

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welt/article270988/Thierse_zeigt_sich_besorgt_ueber_Trend_zum_Politainment.html

[überprüft am 03.12.2010].

Einzigartiges Fernsehformat. Ein epd-Interview mit ARD-Moderatorin Anne Will

(2007), Online verfügbar unter: http://epd.de/medien/medien_index_52817.html

[überprüft 27.11.2010].

Huber, Joachim (02.12.2010): Qualität ist machbar. Und die ARD weiß auch, wie –

mit einer Talkshow-Offensive, Potsdamer Neuste Nachrichten, Online verfügbar unter:

http://www.pnn.de/medien/354842/ (überprüft 07.12.2010)

Meyer, Thomas (29.12.2003): Die Theatralität der Politik in der Mediendemokratie,

Aus Politik und Zeitgeschichte, B 53/2003, Beilage zur Wochenzeitung. Das Parlament,

Bundeszentrale für politische Bildung, 29.12.2003, Online verfügbar unter:

http://www.bpb.de/files/L25M9Y.pdf [überprüft am 03.12.2010].

Overkott, Jürgen (19.10.2007): Westfälische Rundschau Online verfügbar unter:

http://www.westropolis.de/juergen.overkott/stories/17161/?tag=TV [überprüft:

27.11.2010].

Spiegel online (23.08.2010): Jauch ist keine Verschwendung. Klage gegen ARD

gescheitert, Online verfügbar unter:

http://www.spiegel.de/kultur/tv/0,1518,713251,00.html (überprüft 06.12.2010).

Winterbauer, Stefan (11.06.2010): Günther Jauch ein Wechsel mit Risiken, Meedia,

Deutschlands Medien Portal, Online verfügbar unter: http://meedia.de/nc/details-

topstory/article/gnther-jauch--ein-wechsel-mit-

risiken_100028484.html?tx_ttnews[backPid]=77&cHash=f2196d51a5 [überprüft:

27.11.2010].

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Anhang

X

Anhang

Anhang 1: Interview Anne Will ……………………………………………………......XI

Anhang 2: Interview hart aber fair ……………………………………………….....XIII

Anhang 3: Interview Maybrit Illner ………..……………………………………..…XIX

Anhang 4: Interview Menschen bei Maischberger ………………………….....XXXVIII

Anhang 5: Interview 2+Leif ………………..…………………………………...……XLI

Anhang 6: DVDs ……………………………………………………………………XLV

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Anhang

XI

Anhang 1: Interview Anne Will

(Mit Nina Tesenfitz, Pressesprecherin)

Beschreiben Sie die Zielsetzung Ihrer Sendung.

Aktuelle gesellschaftspolitische Debatten aufnehmen, spiegeln und kontrovers

diskutieren lassen.

Wie bewerten Sie die Bedeutung der Eingangsfragestellung, mit der Sie die

Sendung eröffnen – soll diese beantwortet werden oder soll sie nur das Thema

vorstellen?

Der Sendungs-Titel soll das Thema kurz und zugespitzt vorstellen.

Ist ein Erkenntnisgewinn (Beantwortung der Eingangsfragestellung) in der

Sendung erreichbar oder ist dies der zeitlich begrenzten Sendezeit ein zu

hochgestecktes Ziel?

Eine abschließende Beantwortung der Titel-Frage mit Ja oder Nein ist nicht Sendungs-

Ziel. Das wäre naiv und vermessen zugleich. Viele Fragen lassen sich selbst nach

jahrzehntelangen Diskussionen nicht einhellig beantworten. Mit der Sendung soll der

Zuschauer ein Angebot bekommen, sich zu aktuellen Debatten eine Meinung zu bilden,

eine bereits vorhandene Meinung abzugleichen – und ggf. zu überdenken.

Wie wichtig ist für Sie und die Redaktion ein Erkenntnisgewinn für eine gelungene

Sendung? Wie wird eine gelungene Sendung bei Ihnen bemessen?

„Erkenntnisgewinn“ nach der von Ihnen für Ihre Arbeit vorgenommenen Definition

spielt keine große Rolle bei der Bewertung der Sendung (siehe vorherige Frage). Eine

gelungene Sendung hat eine aktuelle Debatte gut abgebildet, sie war leidenschaftlich

und authentisch, sie hat verschiedene Aspekte beleuchtet und unterschiedliche

Sichtweisen präsentiert, ggf. auch überraschende Wendungen, überraschende

Perspektiven angeboten – und dabei hat der eine oder andere Zuschauer im Idealfall

natürlich etwas erfahren, das er vorher noch nicht wusste. Das kann sich auf Inhalte und

Argumente beziehen, aber auch auf die Haltung einzelner Gäste.

Gibt es Unterschiede im Anteil der erkenntnisreichen Aussagen bei Politiker-

Gästen und Nicht-Politiker-Gästen?

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Anhang

XII

Das kann man so pauschal nicht beantworten.

Wo sehen Sie mögliche Gefahren für den Erkenntnisgewinn/Diskussionsziel?

Können Sie dazu Beispiele aus Ihrer Sendung nennen?

Alle Gäste müssen der Debatte gewachsen sein, damit das Thema ausgewogen

diskutiert werden kann.

Welche Faktoren sind wichtig für einen Erkenntnisgewinn? / Oder wenn Sie den

Erkenntnisgewinn nicht als Hauptzielsetzung der Sendung beschreiben, welche

Faktoren sind wichtig für eine gelungene Sendung?

Ein klares Konzept, damit der Zuschauer immer weiß, wo er gerade ist, und eine gute

Besetzung.

Nennen Sie ein Beispiel für eine aus Ihrer Sicht sehr gelungene Sendung.

Z. B. unsere Afghanistan-Sendung vom 18.4.2010. Sie hat die aktuelle gesellschaftliche

Debatte gut aufgenommen und abgebildet, hat die moralischen Dilemmata und die

Komplexität des Themas aufgezeigt.

Haben Sie Veränderungen im Sendungskonzept in der Vergangenheit

vorgenommen, um die in der Sendung diskutierte Thematik verständlicher zu

machen und optimaler zu präsentieren? Wenn ja welche?

Wir machen in der Redaktion jede Woche eine ausführliche Sendungsanalyse, um es

beim nächsten Mal noch besser zu machen.

Haben Sie bereits Analysen über den Erkenntnisgewinn anhand Ihrer Sendung

durchführen lassen, oder sind solche für die Zukunft in Planung?

Nein. Wir werten Presse-Kritiken und Rückmeldungen von Zuschauern, Kollegen und

Bekannten aus. Diese Kritiken und Rückmeldungen beziehen sich auf verschiedenste

Sendungs-Aspekte.

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Anhang

XIII

Anhang 2: Interview hart aber fair

(Mit Georg Diedenhofen, Redaktionsleiter)

Beschreiben Sie die Zielsetzung Ihrer Sendung.

Eine Sendung im Hauptabendprogramm der ARD hat vielfältige Zielsetzungen.

In der Regel sollte eine politische Talksendung im Hauptabendprogramm der ARD das

aktuelle Thema der Woche kontrovers diskutieren. Da aber die ARD eine Vielzahl von

Talksendungen hat, kann es sein, dass dieser Anspruch gewissen Modifikationen

unterworfen wird. So kann es sein, dass wir versuchen, das aktuelle Thema der Woche

mit einem anderen Themenfokus zu diskutieren, wenn das Thema auch schon von

anderen Talks in dieser Woche bearbeitet wurde. Ein anderer Themenfokus kann zum

Beispiel ein Teilaspekt des Themas sein, er kann aber auch durch einen oder mehrere

bestimmte Gäste entstehen. Dazu ein Beispiel: Während der Integrationsdebatte um die

Thesen von Thilo Sarrazin haben wir zuerst eine Sendung mit Sarrazin gemacht, in der

seine Thesen kontrovers diskutiert wurden. Schon diese Sendung haben wir thematisch

neu justiert, weil Herr Sarrazin in derselben Woche auch bei Beckmann auftrat. Wir

haben uns deshalb für diese erste Sendung bestimmte Aspekte herausgesucht, die in der

Beckmann-Sendung nicht oder nur unbefriedigend diskutiert wurden. Als die Debatte

weiter lief und auch in anderen Sendungen zum Thema wurde, haben wir die Woche

darauf „Integration im Praxistest“ gemacht. Gäste in dieser Sendung waren fast

ausschließlich Menschen, die in Beruf oder Alltag mit dem Thema Integration

beschäftigt waren. Die politische Debatte spielte in dieser zweiten Sendung dann nur

noch eine untergeordnete Rolle.

Eine Sendung im Hauptabendprogramm der ARD hat die Zielsetzung, bestimmte

Quotenvorgaben zu erreichen. Diese Vorgaben ergänzen sich mit dem Wunsch der

Sendungsmacher, möglichst viele Zuschauer mit der Sendung zu erreichen. Die

Sendungsmacher empfinden einen starken Zuspruch der Zuschauer als Gratifikation und

Bestätigung ihrer redaktionellen Entscheidungen.

Eine Sendung, die wir machen, soll auch immer spannend sein und unsere eigene

Vorgabe erfüllen, die sich im Slogan „Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft“ ausdrückt.

Wir versuchen, durch die Einführung von Fakten oder überraschenden Ansichten und

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Anhang

XIV

Aspekten die diskutierenden Politiker aus gewohnten Argumentationsmustern zu locken

und im Idealfall so zu Aussagen zu bringen, die weniger formelhaft sind und die

authentischer sind.

Wie bewerten Sie die Bedeutung der Eingangsfragestellung, mit der Sie die

Sendung eröffnen – soll diese beantwortet werden oder soll sie nur das Thema

vorstellen?

Die Eingangsfragestellung ist eine Beschreibung des Themas. In der Strukturierung der

Sendung achten wir darauf, dass für die Diskussion der Fragestellung genug Zeit bleibt

und dass diese Diskussion an prominenter Stelle in der Sendung geführt wird. Wir

bemühen uns in jeder Sendung, die durch die Fragestellung beim Zuschauer erzeugte

Erwartungshaltung nicht zu enttäuschen.

Aber dies bleibt ein Anspruch, den wir in einer Livesendung mal besser und mal

schlechter gerecht werden. Denn erstens gibt es keine Garantie dafür, dass es auf jede

wichtige politische oder gesellschaftliche Frage auch eine überzeugende Antwort gibt.

Außerdem: Wer beurteilt, ob eine Frage beantwortet ist? Etliche Zuschauer halten die

Antwort von Gast A für befriedigend, weil sie seinem politischen Lager angehören.

Andere Zuschauer gehören einem anderen politischen Lager an und lehnen die

Antwortversuche von Gast A ab und tendieren mehr zur Generalkritik von Gast B. Aus

der Verhaltenspsychologie und der Medienwirkungsforschung ist das Phänomen der

selektiven Wahrnehmung bekannt – wie ein Inhalt unserer Sendung vom Zuschauer

wahrgenommen wird, hängt demnach immer auch mit dessen Einstellungsmustern und

Weltanschauungen zusammen. Dieser Vorgang ist von uns damit nicht steuerbar.

Ist ein Erkenntnisgewinn (Beantwortung der Eingangsfragestellung) in der

Sendung erreichbar oder ist dies in der zeitlich begrenzten Sendezeit ein zu

hochgestecktes Ziel?

Das hängt davon ab, wie komplex eine Fragestellung ist. Sind die Hartz IV–Gesetze

gerecht oder ungerecht? Das ist eine sehr umfassende Problematik, die schlecht in 75

Minuten umfassend dargestellt werden kann. Sind die Regel für den Zuverdienst von

Hartz IV – Empfängern gerecht und praxisnah? Diese Frage ist möglicherweise so

überschaubar und umfassend darstellbar, dass man sie in 75 Minuten so umfassend

diskutieren kann, dass am Ende jeder Zuschauer genügend Meinungen und

Informationen zu diesem Thema bekommen hat, um nun entscheiden zu können.

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Anhang

XV

Wie wichtig ist für Sie und die Redaktion ein Erkenntnisgewinn für eine gelungene

Sendung? Wie wird eine gelungene Sendung bei Ihnen bemessen?

Erkenntnisgewinn ist ein wesentliches Ziel der Sendung. Wir wollen unsere Gäste und

unsere Zuschauer mit neuen Aspekten und besonderen Informationen zum Thema

überraschen. Auch versuchen wir gelegentlich, ein Thema gegen den Strich des

Mainstreams zu bürsten. So hat die Redaktion schon einmal das Thema Politiker-Diäten

umgekehrt aufgezogen, nämlich an der These: Eigentlich sind die Politiker zu niedrig

bezahlt.

Eine Sendung ist in unseren Augen dann gelungen, wenn unsere Gäste Unerwartetes

sagen, von unseren Recherchen überrascht werden und dann von ihren vorgefassten

Statements abweichen.

Gibt es Unterschiede im Anteil der erkenntnisreichen Aussagen bei Politiker-

Gästen und Nicht-Politiker-Gästen?

Natürlich führen gut ausgesuchte Gäste aus dem „normalen“ Leben zu überraschenden

Aussagen. Sie sind in den Augen der Zuschauer lebensnäher und authentischer. Aber

das kann man nicht generalisieren. Solche Gäste wirken auf Politiker auch negativ.

Politiker versuchen den Konflikt mit solchen Gästen zu vermeiden, vernebeln und

vertuschen dann Kontroversen, anstatt sie offen zu benennen. Damit werden wichtige

Teile der Diskussion unterschlagen und nicht offen ausgetragen.

Wo sehen Sie mögliche Gefahren für den Erkenntnisgewinn/Diskussionsziel?

Können Sie dazu Beispiele aus Ihrer Sendung nennen?

Generell stößt das Format Talk an seine Grenzen, wenn es um die Darstellung partei-

oder organisationsinterner Konflikte geht. Solche Konflikte werden in der Regel „hinter

verschlossenen Türen“ ausgetragen und nicht auf offener Bühne. Deshalb gelingt es in

der Regel nicht, zwei widerstreitende Mitglieder einer Partei oder einer Organisation

zum offenen Schlagabtausch in die Sendung zu laden. Auch wenn man Parteipolitiker

mit „unter zwei“ gegebenen Zitaten kritischen Inhalts an ihrer Person konfrontiert,

verweigern sich die Politiker und streiten den Wahrheitsgehalt solcher Zitate ab.

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Anhang

XVI

Auch gibt es das Verhalten von Gästen, Tatsachen oder Teilaspekte schlicht zu leugnen

oder verzerrt darzulegen. Dem kann man in unserer Sendung auf zwei Wegen

begegnen:

Zum Einen antizipieren wir solches Verhalten, „entlocken“ die zu erwartenden

Aussagen dem Politiker durch gezielte Fragen und konfrontieren den Gast dann mit

einem Film, in dem belegt durch Kronzeugen die Darstellung des Politikers widerlegt

wird. Zum anderen hilft oft der Verweis auf den Faktencheck nach der Sendung. Dort

droht dann dem Gast die öffentliche Widerlegung.

Welche Faktoren sind wichtig für einen Erkenntnisgewinn? / Oder wenn Sie den

Erkenntnisgewinn nicht als Hauptzielsetzung der Sendung beschreiben, welche

Faktoren sind wichtig für eine gelungene Sendung?

Wichtig ist es, den Aufbau und die Unter-Themen-Abfolge in der Sendung so zu

planen, dass sich ein logischer und nachvollziehbarer Ablauf ergibt und dass am Ende

genug Zeit bliebt, nicht nur bei der Problembeschreibung zu verharren, sondern auch

Vorschläge zur Problemlösung zu diskutieren. Dazu nutzen wir auch stark die

Einspielfilme, die Themenabschnitte eröffnen oder zielgerichtet vorantreiben können.

Nennen Sie ein Beispiel für eine aus Ihrer Sicht sehr gelungene Sendung.

So haben wir im Oktober zwei Sendungen zum Thema Integration und die Thesen von

Thilo Sarrazin gesendet. In der Ersten haben wir unserer Auffassung nach sehr stringent

mit gut recherchierten Filmen Herrn Sarrazin mit Fehlschlüssel und Widersprüchen

seines Buches konfrontiert. Hier konnte der Erkenntnisgewinn des Zuschauers sein: So

schlau ist der Mann dann auch wieder nicht. Offensichtlich stimmt nicht alles an seinen

Thesen. Er verheddert sich in Widersprüchen. In einer zweiten Sendung zum Thema

ohne Sarrazin haben wir „Praktiker“ der Integration eingeladen, die in Beruf oder

ehrenamtlichen Engagement mit dem Thema befasst war. Hier konnte der

Erkenntnisgewinn sein: Nicht Sarrazin hat die Probleme erstmals angesprochen,

sondern die Probleme sind seit Längerem bekannt, es wird etwas unternommen und es

gibt keine schnellen, einfachen Lösungen.

Haben Sie Veränderungen im Sendungskonzept in der Vergangenheit

vorgenommen um die in der Sendung diskutierte Thematik verständlicher zu

machen und optimaler zu präsentieren? Wenn ja welche?

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Anhang

XVII

Die Sendung und Ihre Elemente unterliegen einer dauernden Veränderung, die sich

durch die Kritik von Außen (nach jeder Sendung analysiert ein externer Kritiker die

Sendung in unserer Konferenz) und die beständige Selbstkritik der Redaktion ergibt.

Dazu nur einige Beispiele:

So wurden Sprache und Gestaltung unserer Filme ständig weiter entwickelt.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es keinen Sinn hat, Gäste immer weiter in die

Ecke zu treiben, weil der Zuschauer sich sonst aus Mitleid mit dem entsprechenden

Gast solidarisiert.

Nachdem in anderen Talkformaten unsere Idee des Monolithen (Einzelgast im

Einzelgespräch) kopiert wurde, haben wir den Einsatz dieser Form bei uns

zurückgefahren.

Haben Sie bereits Analysen über den Erkenntnisgewinn anhand Ihrer Sendung

durchführen lassen, oder sind solche für die Zukunft in Planung?

Nein!

Im Vergleich zu den Sendungen von Anne Will, Maybrit Illner und Co - Sehen Sie

im Konzept von „hart aber fair“ Vor- bzw. Nachteile für die Erreichung des

Erkenntnisgewinns?

Wie oben dargelegt sehen wir durch die Besonderheiten unseres Formates etliche

Vorteile beim Erreichen dieses Ziels.

Wo sehen Sie Vor- und Nachteile bei ihrer Sitzordnung (der Gäste und ihrer

Position als stehender Moderator) für den Inhalt der Diskussion und die

Erreichung eines möglichen Erkenntnisgewinns gegenüber ein Sitzordnung wie bei

Anne Will und Co?

Die zurückgelehnte Haltung in Sesseln und der große Abstand der Gäste zueinander in

den anderen Formaten lässt den Gästen mehr Raum als bei uns. Durch unsere

Sitzordnung und die große Nähe der Gäste zueinander wird der personal space der

Gäste aufgebrochen, sie agieren miteinander, können sich anfassen und so stark

aufeinander Einfluss nehmen. Da der Moderator steht, wird er eher als Chef im Ring

angesehen, seine Interventionen sind nachhaltiger. Und er hat die Freiheit, sich

zwischen Gäste und die Kamera zu stellen, wenn diese nicht mehr auf ihn hören. Durch

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Anhang

XVIII

diese Art der „Blende“ kann der Moderator wirkungsvoll jede ungesteuerte Diskussion

beenden.

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Anhang

XIX

Anhang 3: Interview Maybrit Illner

(Mit Wolfgang Klein, Redaktionsleiter/Sabine Orner, Redakteurin&Pressesprecherin)

Wolfgang Klein = WK

Sabine Orner = SO

Katharina Singer = KS

KS: Beschreiben sie die Zielsetzung ihrer Sendung:

WK: Also ich sehe die Zielsetzung unserer Sendung bestimmt nicht darin, dass wir am

Ende über einen Besinnesaufsatz in der Schule das Thema abgehandelt haben. Wenn

wir das wollten, gäbe es einfach viel schlauere Wege das zu tun. Also jeder Kommentar,

der geschrieben wird und dann gesprochen oder auch nicht, den man sich ausdenkt im

Kopf, wo man einen Einstieg sucht, wo man ein Ende sucht, wo man ein Fazit macht,

ist tausend Mal besser geeignet, in ihrem Sinne dann einen Erkenntnisgewinn zu

erreichen. Wobei ich eben finde, Erkenntnisgewinn ist halt eben ein sehr schwieriges

Wort. Also es gibt jedenfalls viele journalistische Mittel, die deutlich besser geeignet

sind eine gestellte Frage in einer gegebenen Zeit zu beantworten als eine Talkshow.

Weil eine Talkshow halt von den Menschen lebt, die dort miteinander umgehen. Gerade

bei uns, da unterscheiden wir uns wieder deutlich was Frank Plasberg macht lebt es ja

davon, von der Hoffnung, dass die Gäste miteinander reden, dass sie miteinander

streiten, dass sie sich aneinander reiben, dass sie sich gegenseitig provozieren. Sehr

anders bei Plasberg der sich sich also eigentlich da hin stellt, also hier steht der

Moderator, dort sitzt aufgereiht sie Gästeschar. Der Moderator spielt gegen jeden

Einzelnen von denen und die Differen… die Gespräche zwischen denen sind deutlich

weniger wichtig als bei uns. Aber bei uns wird im freien Spiel dieser Diskussionskräfte

halt schon nen Menge Raum gegeben und dann zu erwarten, dass die am Ende da

landen, wo sie dann denken, dass was, dass ne Antwort kommen könnte das ist etwa so

wahrscheinlich, als dass sie bei einer Hochzeit wissen, wie ihre Ehe verläuft, ja.

KS: Das heißt zu sagen Erkenntnisgewinn ist in diesem Umfang in einer Stunde auch

gar nicht erreichbar.

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Anhang

XX

WK: Ja

SO: Doch es ist ganz viel Erkenntnisgewinn erreichbar. Äh, zum Beispiel die

Erkenntnis wer streitet sich da eigentlich miteinander oder die Erkenntnis wie sieht

denn zum Beispiel äh ein Herr zu Guttenberg in echt aus. Ich hab den immer nur im

Bundestag gesehen oder vor den Soldaten. Jetzt seh ich ihn mal ne Stunde live, hab ich

ne ganz tolle Erkenntnis zu nem Gast vielleicht oder zum nem die Erkenntnis zu dem

Thema da hat sich vielleicht in 30 Jahren wie in der Atomdiskussion nichts geändert, ja,

oder manchmal hat man auch tatsächlich die Erkenntnis, dass eine Frage beantwortet

wird, wenn sie Glück haben, ehm äh weiß ich nicht, äh da fällt mir jetzt kein Beispiel

ein, aber es gab sicherlich auch schon Sendungen wo wir den Titel auch erfüllen oder in

dem Sinne ihrer Fragestellung auch tatsächlich es geschafft haben die Erkenntnis an

dem an dem Titel auszurichten. Aber sie beschränken die Erkenntnis ja sehr ein und

wenn sie dann sagen die Sendung hat dann keine Erkenntnis nur, weil Wolfgang sagt,

dass es in andern Medien anders geht, würde ich sagen nein das hat schon eine

Erkenntnis, aber das widerspricht dann vielleicht ihrer exakten Definition von

Erkenntnis. So.

KS: das heißt…

WK: Also ich sag es noch mal andersrum, sorry

KS: ja?

WK: dann dürfen sie. Wie vorhin schon mal gesagt als das Ding noch nicht an war,

wenn es ihnen darum geht, wie viel Informationen werden in, oder wie krieg ich als

Mensch, als zuschauender Mensch, als Rezipient, wie krieg ich am Besten bestimmte

Informationen würde ich nie und nimmer eine Talkshow gucken. Machen sie es doch

mal so rum für sich fest. Wenn sie für sich ne Frage haben und wollen auf die Frage ne

Antwort, wäre es total bekloppt dazu ne Talkshow zu gucken oder zu machen. Da geht

sie entweder irgendwo uns lesen was, sie können auch ein Radio.. äh…Beitrag dazu

hören, wenn sie Glück haben. Ja. Sie gehen ins Internet und sie können dann für sich zu

einer Antwort kommen. Dieses dazu ist Talkshow wäre, wenn man dieses will ein total

idiotisches Mittel. Weil umständlicher geht’s nicht. Ja?

KS: Können wir noch mal zu meiner zweiten Frage kommen, wie würden Sie denn

dann die Bedeutung dieser Eingangsfragestellung überhaupt bewerten? Ist nur eine

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Anhang

XXI

Fragestellung, um ins Thema reinzukommen, oder ist doch irgendwo im Hinterkopf

doch noch so ein bisschen die Zielsetzung, ja ich möchte vielleicht auch diese

Fragestellung dieses Thema beantwortet haben, neuer beleuchtet haben.

SO: Neuer beleuchtet haben das ist es. Beantwortet können wir uns nicht auf die Frage

schreiben glaub ich in dem harten Sinne, dass es am Ende wirklich dieses dieses Urteil

gibt nach dem Motto brauchen wir noch private Krankenkassen ja oder nein. Aber das

Thema neu beleuchtet, neue Argumente vielleicht pro und contra kennengelernt zu

haben und dann für sich selber zu sagen ja okey ich fand die Argumente der pro Seite

für mich entscheidender oder der Gegenseite entscheidender, dass jeder der Zuschauer

für sich dann am Ende vielleicht die Meinung, die er schon hat, bestätigt findet oder die

Frage, die er noch nie gehört hat, ja, aber dass dass wirklich die Moderatorin die

Sendung abschließen kann mit dem Satz so jetzt haben wir hier 60 Minuten diskutiert

und diese Frage ist jetzt für alle Mal beantwortet, brauchen wir also auch keine Sendung

mehr zu machen, es ist ja.

WK: Ich mein wir würden auch nie eine Titelfrage stellen, die beantwortbar ist, weil

KS: ich mein jetzt es vielleicht etwas zu eng gefasst in der Definition, die Idee ist

natürlich schon die Thematik, die mit dieser Fragestellung formuliert weiterzubringen,

neu e Erkenntnisse zu schaffen für den Zuschauer. Klar es ist auch eine Erkenntnis,

wenn Herr Seehofer sagt, ich habe zuhause fünf Katzen. Das ist aber nicht die

Erkenntnis, die ich jetzt hier untersuchen will, da fass ich natürlich enger aber ich häng

mich jetzt nicht nur an der Eingangsfragestellung auf, das ist muss ich zugeben etwas

eng definiert.

WK: ja aber es ist ja trotzdem auch wichtig, ich mein wir wollen jetzt nicht ihre Fragen

in der Luft zerreißen, sondern wir nähern uns ja sozusagen auf unsere Weise auch durch

eine Art Definition, wo wir rauswollen. Natürlich ist es vielleicht für seine Politik nicht

so wahnsinnig relevant, äh, ob Herr Seehofer fünf Katzen hat, für den Wähler kann das

aber durchaus, äh, ne relevante Information sei, ob Herr Seehofer Haustiere hat. Wenn

ja welche. Gibt ne ganze Menge Menschen die der Ansicht sind jemand der Katzen ist

ein besserer Mensch, als jemand der Hunde hat und umgekehrt. Ja dieses kann aber,

dieses kann aber für die Frage wen wähl ich eine entscheidende Bedeutung haben. Das

heißt also auch Informationen, die zunächst einmal auf den ersten Blick nichts mit der

von ihnen angesprochenen Sachfrage oder Thematik zu tun haben, können ja trotzdem

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Anhang

XXII

für die Zuschauer ne relevant Geschichte sein. Also ich denk, dass Talkshow, deshalb

hatte, ich vorhin gesagt wenn sie Informationen suchen gucken sie keine Talk.. also

wenn sie die auf eine konkrete Frage konkrete Informationen suchen ist Talkshow ein

sehr umständlicher Weg. Wenn sie aber als Will… als Bürger ne Antwort auf die Frage

für sich suchen zu wem hab ich Vertrauen, wem würde ich meine Stimme geben,

wessen Argumente überzeugen mich mehr als die andere dann ist Talkshow ne prima

Form. Ich hab vorhin schon gesagt wir würden keine Fragen stellen auf die es eine klare

Antwort gibt, weil ja in fast allen Fragen des Lebens wie gehst du …, ja ist des gerecht

die Rente mit 67 einzuführen, darauf gibt es keine präzise Antwort. Es gibt viel gute

Antworten und ich glaub, dass diese vielen guten Antworten in ne Talkshow, das

unterscheidet sie dann von anderen journalistischen Formen, aufgeteilt werden auf

verschiedene Menschen, die diese Meinung vertreten. Da kannst du dir als Bürger

erstens ein Bild von den Leuten machen, find ich ganz wichtig, du kannst zweitens da

sitzen und dir überlegen welche Argumente find ich überzeugend, welche nicht.

KS: Wie wichtige ist es denn dann einen Erkenntnisgewinn, vielleicht etwas breiter

gefasst für eine gelungene Sendung zu haben? Ist das wichtig für eine gelungene

Sendung?

WK: Da kommt noch was. Also ich hab nicht, dadurch, dass wir diese Form wählen,

haben wir nicht den Anspruch unsere Erkenntnis an den Fernsehzuschauer zu geben,

also wenn bei „Frontal“ meinetwegen nur als ein Beispiel, wenn ich ein kritisches

Magazin mache, dann ist es durchaus meine Absicht meine journalistische Erkenntnis

dem Zuschauer nahe zu bringen und ich sage dem guckt mal das halte ich für Recht

oder so ist es, sagen wir. Die sagen ja so ist es und die möchten gerne von dieser

Sichtweise aus andere überzeugen. Wir haben da fünf Sichtweisen sitzen, wir möchten

niemanden von nichts überzeugen es muss sich jeder…

KS: neee nicht im Sinne von überzeugen, sondern dass der Zuschauer selber für sich

eine Erkenntnis daraus zieht.

WK: Was ich, wir wissen vorher nicht ob der Zuschauer sich eher von den Argumenten

des Atombefürworters überzeugen oder von den Argumenten des Atomgegners, wir

wissen nicht ob er, was ihn an bestimmten Leuten oder bestimmten Argumentationen

überzeugt aber wir sind aus relativ sicher, dass wir meistens wichtige Themen haben die

die Leute interessieren, sonst wären die Talkshows nicht die meistgesehenste

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Anhang

XXIII

politischen Sendungen heutzutage und wir glauben eigentlich auch, dass es durchaus

demokratische Bildung fördert, wenn man sich selber ein Bild macht aus den

verschiedenen Argumentationen die da angeboten werden und in sofern hoff ich schon,

hoffen wir schon, das am Ende der zuschauende Bürger die Möglichkeit hat durch die

Sendung einen Erkenntnisgewinn zu haben und das ist nicht unser Erkenntnisgewinn

das ist sein Erkenntnisgewinn.

SO: Wir liefern da einfach noch dazu, dass wir versuchen diese Erkenntnismöglichkeit

in Anführungszeichen möglichst attraktiv darzustellen Also dass man die verschiedenen

die es zu dem Thema dann aktuell gibt dann halt auch versucht in der Runde

miteinander diskutieren zu lassen, dass dadurch durch diese Reibung, sag ich jetzt mal,

ähm ein Gespräch entsteht äh möglichst alle Seiten beleuchtet oder vielleicht sogar

entlarvt

KS: was Neues bringt…

SO: ja was Neues bringt, genau. Ähm, dass man den Weiterdreh, wenn man es so schön

äh sagt, mitliefert, nach dem Motto letzt Woche war vielleicht der Stand noch so und so

inzwischen gibt’s ne kluge neue Studie oder hat ne Forscher und irgendein Buch,

irgendein Politiker irgend ne neue Drehung mit reingekriegt, also dass man die natürlich

mit anbietet, dass man nicht das Thema äh zurückdiskutiert, sondern nach vorne

diskutiert, ja. Und dadurch natürlich auch in der Sendung ehm ganz neue Sachen

entstehen können, wir haben natürlich auch schon erlebt, grad, wenn man ähhhh

verantwortliche Politik da hat, dass ein Minister in der Sendung dann doch schon noch

mal was erklärt nach dem Motto äh okey haben wir erst heute Nachmittag im Bundestag

beschlossen, Frau Illner können sie ja noch gar nicht wissen, ist jetzt ganz neu oder hab

ich mir anders überlegt oder so was. Ja das ist tatsächlich auch mal eine News dabei

sein kann, aber wir sind wie Wolfgang Klein gerade schon sagte nicht das

Nachrichtenmagazin und auch nicht die Tagesthemen oder das heute-journal. Aber ähm

dann bleibts tatsächlich am Ende weil wir die Moderatorin alle Seiten gleichzeitig

abklopfen muss, sie muss den Pro-Atommenschen genauso kritisch befragen wie den

Kontra-Atommenschen ja ähm, dass der Zuschauer am Ende ja das die Erkenntnis für

sich das hab ich schon immer gewusst oder hab ich ja noch nie gehört. Dazu haben wir

2,5 Millionen superunterschiedliche Zuschauer

KS: von denen jeder etwas anderes erwartet wahrscheinlich…

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Anhang

XXIV

SO: Genau, deren Erwartung an die Sendung schon ne ganz andere ist, genau. Die zum

Beispiel ein Titel äh die eine aus dem Hemd springen lässt nach dem Motto das kann ja

gar nicht sein, da muss ich reinkucken und die anderen ja genau so ist es, da muss ich

reinkucken sagen. Ja also der Ansatz ist ja schon komplett ein anderer, also im Prinzip

müsste sie bei Fragen nach der Erkenntnis die Zuschauer befragen.

KS: Gib es denn bei ihnen in der Redaktion Gradmesser, was eine gelungene Sendung

ist?

WK: Ja wenn sie uns gefällt

KS: Nach was definieren sie das? Rein subjektiv?

WK: Ja deshalb hab ich das vorhin schon mal gesagt ich finde, dass dass vieles was wir

da machen in der wissenschaftlichen Elle kaum zu messen ist. Deshalb wird sich ja auch

immer so stark auf diese Quoten berufen, weil es das Einzige ist, was du messen kannst

aber es ist auch kein wörtlich qualitativer Maßstab

Frage: weil es eigentlich das Schwierigste ist, daran Qualität zu messen

WK: ja, aber ähhhh ich glaub schon man könnte das jetzt abtun, wenn ich sage, der

wichtigste Maßstab ist ob es uns gefällt, nur äh welchen anderen Maßstab wollen sie

eigentlich haben, ja ich mein wobei das es uns gefällt heißt ja auch wir reden am Freitag

dann nach der Sendung in der Redaktion drüber und da kann es ja auch schon sieben

verschiedene Meinungen geben, anschließend gibt’s ne Schaltkonferenz ähm da gibt’s

dann noch mal einen der eingeteilt ist und der vielleicht eine völlig andere Ansicht hat,

da kannste im Internet ähhh irgendwelche Fernsehkritiker lesen deren Meinung häufig,

wo du denkst, mein Gott noch mal, haste aber auch nicht richtig hingekuckt.

Beziehungsweise wissen wir ja schon dem gefällt des sowieso nicht. Also wessen

wessen Meinung soll mir dann wichtiger sein als am Ende die von uns. Von uns, die wir

uns ja auch unter, ja, wir haben die Sendung entwickelt in der Hoffnung, dass wir

spannende Gäste haben, spannende Kontroversen, dass man emotional wie intellektuell

Anregungen erfährt, dass man hinterher etwas hat, wo man sich mit anderen Leuten

vielleicht auch unterhalten kann, also nach ner schönen Talkshow kann es doch sein und

erlebt man auch oft das die Leute das in irgendeiner Form auch weiterdiskutieren.

Dieses alles sind Effekte, die so eine Sendung haben kann, nur die sind mit dem

Erkenntnisgewinn wirklich extrem

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Anhang

XXV

Frage: schwer messbar….

WK: schwer verbindbar. Ja sie sie legen da eine Maßstab an der einfach schlecht zu der

Sendung passt. Das ist ihr gutes Recht.

KS: Gut jetzt noch mal zurückt auf die Sendung den Inhalt der Sendung und natürlich

auch die Fragestellung klar wir sind wieder irgendwo am Erkenntnsigew… formulieren

wir es als erkenntnisreiche Aussage. Man sieht es ja bei den Politikern Selbstdarstellung

spielt ne große Rolle, Inszenierung spielt ne große Rolle gibt’s denn da denn da wirklich

Unterschiede kann man sagen, sie haben auch auch immer Gäste die eben nicht

Politiker sind, Experten oder Betroffene Ähnliches. Gibt’s Unterschiede im

Erkenntnisrechtum, im Neuigkeitenreichtum zwischen Politiker und Nicht-Politiker-

Gästen merkt man das?

WK: Da verwenden sie jetzt wieder so einen Begriff Neuigkeitenreichtum, ja aber

woher soll ich denn wissen für welchen Zuschauer, was neu ist. Also wir haben Sabine

und zwei andere Kollegen gucken sich die Sendung nach dem Maßstab an was ist daran

News. Das heißt also die, da sind auch ausgewiesene Agenturjournalisten dabei die

haben ungefähr im Kopf was ist zu dem Thema von wem schon gesagt worden, was ist

neu. Das heißt aber noch lange nicht, wenn das für Agenturjournalisten neu ist, dass es

auch wirklich relevant ist und das es interessant ist. Vieles was in der Sendung gelaufen

ist mit hohem, mit hoher Wahrscheinlichkeit viel spannender, viel interessanter für den

normalen Zuschauer als des was News ist.

Frage: Ich mein es gar nicht so hochgesetzt, dass es wirklich eine sensationelle

Neuigkeit ist, sondern eine Aussage, die mich als Zuschauer irgendwie weiterbringt.

Das ich sage es ist etwas das ich noch nicht in fünf anderen Sendungen identisch so

gehört habe.

SO: Dann erzähl ich ihnen ne Geschichte die man in fünf anderen Sendungen so noch

nicht gesehen hat, die aber aber unter Kategorie News nicht abzufedern ist. Vorvorletzte

Sendung hatten wir Herrn Hück da, Betriebsrat bei Porsche und sein Flieger hatte

Verspätung. Er kann also erst nachdem die Sendung schon zehn Minuten Viertelstunde

lief rein. Setzte sich hin, ich weiß nicht ob sie den Menschen kennen (Ja) hat

eindrucksvolle Erscheinung, setzte sich also hin, hatte den ersten Teil der Sendung per

Telefon mithören können und hat dann erstmal zehn Minuten, nein ist ist ein bisschen

übertrieben, aber groß ausholt und jeder Gast so erzählt, wie er das so sieht und war

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XXVI

noch ein bisschen außer Puste und sehr… saß da mit seiner ganzen Energie. Der hat

ehm auch ne bestimmte Art zu sprechen, sehr bodenständig ja, nach dem Motto bevor

sie hier über Rausschmeißen reden müssen sie die Leute doch erstmal einstellen, ja so

das ist keine News gewesen, in dem Sinne, aber war ein sehr Hinkuckeraugenblick der

die ganze Runde noch mal befeuert hat, der auch Fernsehen war, da kam noch mal

einer, sieht auch noch interessant aus, was ist denn das für ein Mensch, wenn der redet

auch noch wovon der spricht, der weiß ja scheinbar und so das war Talkshow. Ja

WK: Ja da hat sich auch eine Haltung vermittelt

SO: Ja so, dass

WK: Und diese Haltung kann man entweder mögen und sich zu eigen machen oder

man kann sagen dieses Arschloch.

SO: Das hätte man nicht in einem Essay so schön beschreiben können, das hätte man im

Radio vielleicht auch nicht so gut rüberbringen können, das ist dann wo es

zusammenkommt, das ist Talk-Show wie es mit Fernsehen. Da passiert was und ich

verstehe einfach etwas.

KS: Bringt die Diskussion auch ein Stückchen weiter…

SO: Ja die Meta ja die Meta… aber das ist eine totale Metaebene, ist nicht planbar,

kann, das konnte man nicht als Agentur rausgeben, der Herr Hück kam zu spät. Aber…

WK: Legen sie doch mal für sich den Maßstab an, wenn sie sich mit ihrem Freunden

oder Bekannten am Abendbrottisch hinsetzen zu einem Thema reden, da wird am Ende

häufig jeder der da mitredet eine andere Neuigkeit mitgenommen haben, etwas anderes

was er dann vielleicht jemandem der nicht dabei war erzählt, als der andere, ja. Das

heißt, es gibt also da ja kein wenig objektive Neuigkeiten.

KS: Ich will es auch gar nicht so hoch hängen wirklich zu sagen es muss ne News sein,

also ich finde auch wie diese Geschichte das bringt auch die Diskussion dann in diesem

Sinne irgendwo voran. Es ist für den Zuschauer was, wo ich sag, das hab ich vielleicht

in dem Engagement von demjenigen noch nicht so gehört und das sehr durchaus schon

als eine erkenntnisreichere Aussage, als wenn er dahin kommt und das sagt, was er

vorher in drei Interviews gesagt hat.

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XXVII

SO: Aber das ist doch auch eine Erkenntnis, wenn man als Bürger spürt, dem Politiker

fällt verdammt noch mal nichts anderen ein, als dass er das schon fünfmal auch gesagt

hat. Das ist doch auch eine Erkenntnis.

WK: Oder eben das Gegenteil, dass man sich sagt, och ich hab bis jetzt immer gedacht

der und der oder die und die seien ne ungeheure Zicke und da kommt nichts Neues und

der hat mir jetzt plötzlich hat der mich überzeugt. Das kann ja genauso gut sein. Ich find

jetzt, dass unser Gespräch, ich spür, meine zu spüren, vielleicht irre ich mich, dass unser

Gespräch so ein bisschen darunter leidet, dass sie denken wir wollten sie für ihre Fragen

angreifen, das ist nicht der Punkt. Weil des was wir da, was wir wortreich zu

beschreiben versuchen ist ja auch sehr schlecht, deshalb hab ich das einleitend auch

gesagt in solche Begriffe zu zu fassen die für jeden anderen objektiv nachzuvollziehen

sind. Deshalb reden wir auch so viel, ja, weil wir versuchen ihnen eigentlich einen

Eindruck klar zu machen, wir versuchen ihnen einen journalistischen Ansatz klar zu

machen, der genauso viel Respekt verdient glaube ich wie andere auch, nur du hast

weder in dem in dem, was du am Ende messen kann noch in dem was du… du hast

nirgendwo eigentlich Kriterien von denen glaub ich wirklich ernsthaft behaupten

kannst, dass sie sich in solche Maßstäbe fassen lassen. Und das macht das Thema für sie

natürlich auch auch wahnsinnig schwer.

KS: Ne ne also ich poche ja auch gar nicht darauf das es dann ein Erkenntnisgewinn ist

und wenn dieser dann nicht zu leisten ist, dass das falsch ist. Das ist überhaupt nicht so.

Vielleicht ist auch das Ergebnis am Ende, dass ich sage, ich bin da irgendwo falsch.

Also beziehungsweise es ist falsch zu glauben Erkenntnisgewinn ist nur die

Beantwortung dieser Fragestellung, die Beantwortung des Themas. Wenn mir jetzt alle

Talkshowmacher sagen Moment mal ich fasse das viel weiter.

WK: Wenn ihnen jemand was anderes sagt, rate ich ihnen schon mal glauben sie ihm

nicht.

KS: Ich will ja gar nicht darauf hinaus zu sagen hier Erkenntnisgewinn ist die

Zielsetzung und wird dauernd da verfehlt. Das ist gar nicht das Ziel. Das ist ja das Ziel

der Arbeit zu schauen, was ist denn die Bedeutung von Erkenntnisgewinn. Ich

formuliere es natürlich für mich erstmal erstmal jetzt so um es ein bisschen greifbarer

zu machen, aber ich empfinde das in keinem Fall so das sie jetzt irgendwo sagen.

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XXVIII

WK: Das Problem ist in dem Augenblick so, sie führen Kriterien ein und wenn sie jetzt

irgendwann dann schreiben Erkenntnisgewinn ist kein Ziel dann ist das auch Quark.

SO: Weil es ist nur in ihrer Definition kein Ziel.

KS: Aber so eng seh ich das nicht.

WK: Ja aber es ist die Gefahr, dass sie Kriterien anlegen, die eigentlich nicht passen.

Ich könnte ihnen aber jetzt auch kein, ich könnte ihnen keine viel Besseren. Also ich

kann ihnen sehr gut beschreiben was wir machen. Ich kann ihnen auch beschreiben was

uns wichtig ist. Aber ich kann ihnen jetzt auch keine wissenschaftlichen Kriterien

nennen, oder Begriffe anbieten die passen würde. Und deshalb ist halt die Gefahr, dass

egal wie sie es hinterher fassen das es eigentlich ein großes Missverständnis ist für das

wir weder wir noch sie was können.

SO: Wir könnten natürlich ganz krass behaupten wir haben eine Fragestellung, wir

laden natürlich fünf Gäste ein, wir wollen natürlich, dass diese Frage beantwortet wird.

So. Das könnten wir ja jetzt tun. Das würde uns leicht fallen auch das argumentativ

irgendwie unter die Mütze zu kriegen, weil wenn man die Fragen die die Moderatorin

im Laufe der Sendung stellt sich anhört, sind die natürlich auch Fachfragen drin. Ja, es

sind wirklich auch Fragen drin: wann haben sie das beschlossen, ich hab hier Zahlen aus

2007 oder Fakten da haben sie es noch mal ganz anders gesagt und so weiter. Also das

ist natürlich schon , wir reden, wir machen ja nicht nen Titel drüber uns reden dann

übers Wetter. Das ist es nicht aber dieser eben so strikt gesetzte Erkenntnisgewinn das

ist das, woran wir knabbern.

KS: Ich versteh ihre Bedenken. Ich kann oder versuche sie ihnen in sofern zu nehmen,

als dass ich sage ich bin nicht auf diesem strikten Trip zu sagen ich definiere

Erkenntnisgewinn so, wenn die Anfangsfragestellung nicht beantwortet wird ist das in

den Sendungen verfehlt und folglich ist das Ergebnis der Arbeit: es gibt keinen

Erkenntnisgewinn, das ist es nicht. Wenn ich natürlich jetzt im Laufe der Gespräche

herausfinde: Moment mal Erkenntnisgewinn ich vielleicht was ganz anderes, die

Zielsetzung der Redaktion ist auch eine ganz andere kann das auch das Ergebnis der

Arbeit sein. Also ich ich ich weiß, dass das problematisch ist, ich weiß auch das es

problematisch ist das so zu definieren, das war meine Definition die ich zu Beginn oder

die These, mit der ich zu Beginn herangegangen bin und in so einer wissenschaftlichen

Arbeit ist ja auch klar, dass sich diese Fragestellung möglicherweise in eine andere

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Anhang

XXIX

Richtung verändert, dass sie möglicherweise auch widerlegt wird. Und sie sind nicht die

Ersten, die mir so klar machen, das Feld ist viel weiter, diese Zuspitzung ist so nicht

gegeben, das heißt aber in keinem fall, dass ich am Ende reinschreiben werde: die

Sendung liefert keinen Erkenntnisgewinn, weil. Darum sitz ich ja auch hier, um eben

von ihnen zu hören, ist mit dieser Herangehensweise oder ist es überhaupt die

Zielsetzung, ist es leistbar, liegt da vielleicht auch mancher Zuschauer oder mancher

Kritiker auf einer völlig anderen Ebene, wenn er sagt, ich will jetzt nur die

Beantwortung der Fragestellung und sie sagen Moment mal ist ja gar nicht die

Richtung, in die wir gehen wollen.

WK: Ist so!

KS: Gibt es denn Dinge, wo sie sagen, nennen wir es mal Diskussionsziel oder

gelungene Sendung oder ähnliches. Gibt es denn Punkte, wo sie sagen, das sind

Gefahren in der Diskussion?

WK: Wie meine sie Gefahren?

KS: Gefahren dahin gehend, dass sie am Ende sagen, die Sendung war heute nicht so.

WK: Was ich schlimm finde, das Schlimmste was passieren kann ist, wenn sie

langweilig ist. Und das find ich schlimmer, als wenn man am Ende der Sendung sagt,

die Frage ist nicht beantwortet worden oder es gab da bestimmte Fakten wo sich die, wo

sich die nicht einig waren und jetzt weiß der arme Zuschauer nicht, ob er dem einen

oder dem anderen glauben soll. Ja also da baut der Kollege Plasberg ja mit dem, mit

diesem Faktencheck so ne Art, so ne Art von von Objektivität auf in dem er sagt

morgen könnt ihr bei uns lesen… wenn man´s liest stellt man fest meistens fest es

werde zwei Experten zum Beurteilen dieser Frage gehört und die beiden vertreten

verschiedene Ansichten so wa so weit zum Faktencheck. Auch da zeigt sich wieder es

gibt nicht richtig oder falsch, sondern es gibt halt verschiedene Auslegungen und ich

kann jetzt für mich nicht sagen ob des des ist bei jedem Kollegen schon anders glaub

ich und erst bei den Zuschauern. Kann jetzt nicht sagen, dass man ähh behaupten könnte

Experten hätten mehr, würden mehr Erkenntnisgewinn als Politiker oder sonst was. Ich

nehme an, dass Professoren des ungern lesen würden, deshalb lassen sie das besser weg,

weil die natürlich schon meinen sie wüssten mehr. Ich glaub nicht das stimmt, also wir

haben gerade bei den bei den Experten so oft miterlebt, zum Beispiel aus dem

Wirtschaftssektor, dass sie total falsch liegen mit allem was sie behaupten. Weil auch

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Anhang

XXX

Experten können die Realität erstens von hinten her beurteilen und dann analytisch

sagen so und so war es deshalb und die können nicht vorhersagen, wie es kommen wird.

Politiker sind da einfach in ner schwierigeren Situation, weil sie gestalten Gegenwart

und Zukunft und können sich über Vergangenheit zanken. Aber ehm ich kann das jetzt

ehrlich gestanden nicht berufsgruppenmäßig definieren, bei denen kommt mehr raus als

bei anderen. Es kommt bei manchen Leuten sehr viel mehr raus als bei anderen.

Deshalb sind sie dann häufig auch Stammgäste in bestimmten Sendungen weil man,

weil´s einfach Spaß machen denen zuzuhören und weil man, weil sie gute Beispiele

bringen, weil sie interessante Ideen bringen. Das sind Kriterien wo ich sagen würde

Johannes-B.-Kerner das hat mir gut gefallen, es war nicht langweilig.

KS: Fällt ihnen denn eine Sendung ein, die sie für besonders gelungen jetzt in der

Redaktion gehalten haben?

WK: Naja die vorletzte ist allgemein sehr, sehr gut beurteilt worden. Da ging um.. Das

war diese Sendung welche Chancen junge Leute haben heutzutage noch haben. Ich

glaube die ist deshalb so gut angekommen, weil man halt drei überzeugende Beispiele

von jungen Menschen hatte wo man sich dann auch dachte, hm wenn ich zuhause sitze

das ist wirklich blöd, das die nicht ne besser Chance gekriegt haben im Leben: Also an

deren Fällen konnte man glaube ich, ja konnte man relativ gut erkennen, wo Probleme

in unserem Arbeitsmarkt liegen.

SO: Es waren auch engagierte Teilnehmer. Wie gesagt nicht nur Herr Hück. Der hat da

mit seiner Energie glaube ich alle anderen auch mitgerissen. Also es gab wirklich diese

Diskussion unter den Gästen ähm die Spaß gemacht hat zu gucken. Weil man die

Leidenschaft dessen wie die sich gestritten haben in Anführungszeichen glaub ich war

sehr authentisch. Und da konnten glaub ich alle Beteiligten ernsthaft mitdiskutieren.

(Handy von Wolfgang Klein klingelt, Gespräch kurz unterbrochen)

KS: Diese Definition ist vielleicht für sie schwer so diskutierbar, so schwer fassbar und

auch nicht diese Zielsetzung. Gehen wir noch mal zurück und sagen können sie mir

sagen, was die Faktoren für eine gelungene Sendung sind. Kann man es so leichter

definieren. Für sie nicht für den Zuschauer.

WK: Für mich? Ja hab ich eben schon gesagt: sie sollte möglichst nicht langweilig sein.

Ich find es toll wenn wenn die Gäste ihre verschiedenen Standpunkt kontrovers

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Anhang

XXXI

austragen so dass der Zuschauer sich eine eigene Meinung bilden kann, sowohl zu den

Menschen, die da mit einander diskutieren, als auch zu dem Thema. Wenn es gelungene

Beispiele gibt mit denen man sich emotional oder intellektuell äh auseinandersetzen

kann. Und ja wenn es unterhaltsam ist. Ich mein ich finde, ich finde immer einen sehr

interessanten Begriff in diesem Zusammenhang das Wort Unterhaltung, weil äh jeder

vernünftige Mensch wird, wenn er ein schönes Gespräch hat, vielleicht das so

ausdrücken: wir hatten eine prima Unterhaltung, ich hab ne prima Unterhaltung gehabt,

daraus resultiert dann auch, ich habe mich prima unterhalten. Sobald es aber in die,

dieses Wort in die Finger von Medienwissenschaftlern kommt, hat es sofort einen

negativen Touch, ja ist Unterhaltung ist immer schon irgendwie uuuuhhää. Ja, und dann

fragen die Studenten in solchen Seminaren mit todernstem Gesicht: Sind sie

Information oder sind sie Unterhaltung? Und ich sag dann halt schrecklich gern erstens,

dass ich mich wirklich viel, viel lieber unterhalte, als dass ich mich informiere. Und

dass ich eine gelungene Unterhaltung für etwas ganz Tolles halte. Und das wir natürlich

genau in dieser Mischform liegen. Also ich… durch ne gute Unterhaltung kann ich

unheimlich viele Informationen oder auch tolle Erkenntnisse kriegen. Die kriege ich

dann aber im Zweifel sogar selber, diese Erkenntnisse. Also ich ich äh konsumiere nicht

nur die Erkenntnisse, die andere hatten, sondern ich kann plötzlich eigene Erkenntnisse

haben. Nur dann setzten wir etwas in Gang was wir, wo wir nur vermuten können, dass

es uns gelungen sein könnte. Und du merkst es ja dann bei den Reaktionen bei deinen

Freunden oder bei den Leuten, die anrufen oder bei den Leuten, die einem schreiben. Es

kommt durchaus vor, dass die Leute ein glaubhaftes Gefühl vermitteln, es hat Spaß

gemacht euch zuzuhören des hat mich besonders beeindruckt und daraus habe ich die

und die Konsequenzen gezogen. Bis hin dazu das ja zum Beispiel in dieser Sendung

vorletzte die wir da angesprochen hatten, hat dann junge Leute sofort ein Angebot

gekriegt für nen Job, von dem sie sonst hätten träumen können. Da müssen ja zuhause

irgendwelche Menschen eine Erkenntnis gehabt haben. Nur wenn ich jetzt sagen würde

das ist mein Arbeitsaus. Sozusagen mein Arbeitsvorhaben, ich mach des, ich bestell die

hier her, damit die einen Job kriegt, dann hätten wir glaub ich wiederum unseren Job

verfehlt. Das ist ein toller Nebeneffekt, aber wir sind keine Arbeitsvermittlung. Wir sind

Erkenntnisvermittler, schon. Aber diese Erkenntnisse sind, Erkenntnisse sind die

Menschen … ich das haben wir jetzt genug gesagt.

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Anhang

XXXII

KS: Ja, gibt’s denn Veränderungen im Konzept, wo sie sagen, wir haben was verändert

um die Thematik für den Zuschauer leichter, verständlicher, ihm ein bisschen näher, ein

bisschen konkreter zu machen. Nicht, dass es vorher schlecht war, aber um es einfach

ein bisschen näher heranzubringen.

WK: Also ich glaub soweit ich mich entsinne waren die ersten Talkshows, also ich

mach es jetzt einfach mal an Christiansen fest, weil da war ich acht Jahre und das kann

ich relativ gut beurteilen. Wir hatten im Allgemeinen nur einen Einspielfilm am

Anfang. In dem das Thema und des in satirischer Form aufgearbeitet wurde, sodass man

also Satire, gleich schon mal ein unterhaltendes Element hatte. Aber auch sozusagen ein

Kopföffnungselement, wo das Thema aufgearbeitet wurde. Danach hatten wir keine

Filme und hatten auch in den ersten Jahren keine Beispielgäste irgendwo. Äh. Das man

jetzt Beispiele, lebendige Beispiele in der ersten Reihe sitzen hat oder wie Anne Will

das eben mit diesem Betroffenensofa äh eingeführt hat, das ist auf jeden Fall etwas, was

sich im Laufe der späteren Jahre entwickelt hat, um deutlicher zu trennen, hier das ist

ein Beispiel und da sozusagen die Leute die mehr oder weniger eine abstrakte

Diskussion darüber führen. Aber im Prinzip machte damit ja auch nur etwas etwas, was

die Zuschauer es leichter macht es zu folgen, weil es könnte ja genaueso gut sein, dass

jemand aus der Gruppe, aus der Runde ein ähnliches Beispiel erzählt hätte. Jetzt mach

ich dieses Beispiel anschaulich und dieses anschaulichere Beispiel erzählt noch mal

anschaulicher sein Leben.

KS: und kann man dann wieder mit in die Runde nehmen und konkret machen.

WK: Kann man wieder mit in die Runde nehmen, ja. Oder halt die äh Statistiken oder

wenn man Leute mit bestimmten Zitaten konfrontiert, dessen was sie selber mal gesagt

haben und wo sie jetzt anderer Ansicht sind oder dass ihre Parteifreunde irgendwas

gesagt haben und all solche Elemente sind glaub ich dazu gekommen im Laufe der

Jahre.

SO: Das ist jetzt aber auch schon wieder Jahre, dass wir das machen.

WK: Ja im Laufe der Jahre.

KS: Reflektieren sie denn ihre Sendung wissenschaftlich, sag ich jetzt mal. Gibt’s

Analysen über was ist eine gelungene Sendung. Kommen solche Dinge wie jetzt

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Anhang

XXXIII

Gespräche mit Betroffenen an. Gibt’s außer jetzt so den vielleicht mal in einer Umfrage,

gibt es da irgendwas Konkretes, gibt es da Untersuchungen die sie in

Auftrag geben?

WK: Also es gibt die Medienforschung in Mainz. Die halt wenn man bestimmte Fragen

hat, bestimmte Umfragen auch machen können. Es gibt äh ein Monheimer Institut, das

also so ne Inhaltsanalyse macht. Die machen so alle zwei, drei Jahre mal intensive

Gespräche mit 20, 30 Zuschauern. Also zwei, drei Mal mit 20, 30 Zuschauern in Berlin,

im Ruhrgebiet oder so. Aber die sagen uns dann auch eigentlich nur, wie es bei den

Leuten insgesamt ankommt oder so. Aber das wir jetzt einzelne, konkrete Sendungen

nachuntersuchen lassen, das machen wir nicht. Wär auch bei 40 Sendungen pro Jahr

bisschen arg viel verlangt. Ich glaub.

KS: Hätte ja sein können. Es gibt ja durchaus Sendungen, die sagen ich hab jetzt eine

konkrete Veränderung, ich hab vielleicht auch ein Problem, wo ich merke ich bin mir

unsicher, kommt das an? Ist das sinnvoll so? Und lasse das mal dahin gehend

analysieren.

WK: Nee, haben wir eigentlich nicht. Ja wie noch mal gesagt, die Frage zum Beispiel

ob das mit den Einspielfilmen, mit Statistiken etc., ob die Zuschauer das als angenehm

oder als unangenehm, so was wird natürlich schon in solchen Studien erfragt. Da wird

aber jetzt nicht gefragt ist dir diese konkrete Grafik in dieser konkreten Sendung oder

diese konkrete Person, sondern da heißt es dann ganz allgemein: Wie finden sie denn

solche Elemente? Und auch da würde ich wieder sagen mal setzt das bei uns wiederum

einen Erkenntnisgewinn in Kraft, aber häufig denkt man auch, Kinder, wir sind

trotzdem der Meinung, dass es richtig ist. Und dann macht man es auch.

KS: Haben sie denn mal was rückgängig gemacht. Wo sie gemerkt haben, hm das geht

gar nicht. Wo sie gedacht haben in der Redaktion das könnte gut funktionieren und hat

dann gemerkt in der Praxis das wird nicht so angenommen.

WK: Naja sie haben´s ja schon mit den Themen eigentlich sie merken halt, sie merken

auf die Dauer, welche Themen die Leute offensichtlich interessieren und andere

Themen wo auch, ich sag mal Journalisten total dran interessiert sind und die für

wahnsinnig wichtig halten und die diskutieren ohne Ende. Und du merkst unser

Publikum zumindesten scheint es kaum zu interessieren, weil wir haben eine halbe

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Anhang

XXXIV

Million weniger Zuschauer als sonst, tja. Das finde ich ist schon mal so ein try an error

System. Dann würd ich sagen äh, ist jetzt nicht von uns, aber können sie ja dann auch

mal bei den Kollegen fragen. Dieses Betroffenensofa von Anne Will war an sich eine

konsequente Fortdenkung dessen, was wir gemacht hatten. Und sie haben es in ein

Schritt weiter gedacht und haben das Ding auch benannt und so und es hat plötzlich eine

ganz andere Wirkung gehabt, als die Publikumspositionen bei uns haben. Bei uns wird

das komischerweise meistens als relativ sympathisch empfunden, wenn Maybrit da

rüber geht, sich neben die Leute setzt und mit denen redet und dann wieder zurück geht.

Aber, dass da Leute eine ganze Stunde lang so auf einem Extrabank sitzen, das ist

komischerweise dann plötzlich wieder gar nicht gut angekommen. Und Sabine

Christiansen als wir es damals da so eingeführt haben Leute in die erste Reihe zu setzen,

die blieb in der Runde sitzen, die fragte da hin. Da kam es offensichtlich immer von

oben herab. Ja. Heißt viele solcher Wirkungen sind ja auch. Also erstens kannst du dich

da ja auch schon total verkalkulieren. Zweitens kannst du oft nicht äh nicht verhindern,

dass Leute das anders sehen, als man selbst das empfinden möchte. Also die die

Haltung, deshalb sagt ich immer gerne so eine Sendung ist sehr gut dazu geeignet sich

von Dingen oder Menschen ein Bild zu machen, weil das Bild, das man dabei abgibt,

kalkuliert man manchmal nicht ein. Also die Tatsache, dass Plasberg steht und die

anderen etwas unter ihm platziert sind die wirken auf viele Leute, er ist der Oberlehrer,

ja. Es gibt aber andere die sagen das ist der Ritter, das ist der Recke, der sie alle in die

Schranken weist und so. Also da haben halt solche ähm dramaturgischen Dinger haben

halt große Wirkungen und kann man sich natürlich total irren.

KS: Wenn wir gerade bei dieser stehen, sitzen Position sind. Sie haben ja die Runde, die

sitzt. Plasberg jetzt beispielsweise steht. Gibt es da Nachteile im Sitzen im Stehen?

Sagen sie, warum wählen sie für dich diese sitzende Position? Oder gibt es da auch

Probleme, wo man sagt, naja manchmal, hätte ich das auch lieber zu stehen, manchmal

wäre es leichter in dieser Position sich bewegen zu können.

SO: Also Maybrit bewegt sich, sag ich jetzt mal. Sie hat ja. Wir haben auch schon

Sendungen gemacht wo sie mehr oder weniger komplett bei den Publikumsgästen

geblieben ist und so rüber. Ähm. Ich glaube das der Tisch bei Plasberg sehr viel, was

wir schon hatten von der Kommunikation, so wie der angeordnet ist. Die sitzen ja nicht

so um einen Tisch herum und können sich alle angucken, sondern in dem sehr offenen,

fast schon gerade Strecke und haben dann auch noch Tisch, so als Holperstelle. Das sich

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Anhang

XXXV

sehr viel Dynamik unter den Gästen rausnimmt. Also das spricht schon mal dafür, dass

bei uns die Gäste sich ja auch freien aufeinander zubewegen können, auch wenn es

vielleicht noch nicht ganz optimal ist.

WK: Die Moderatorin ist auf jeden Fall von der Sitzanordnung her einer eine aus der

Runde, ist nicht erhöht, ist nicht erniedrigt, sondern auf gleicher Höhe zwar viel zentral,

dadurch vielleicht ein bisschen mehr herausgehoben, aber sonst eine von diesen Gästen,

die sich alle als gleichberechtigt empfinden dürfen: Während wenn der Moderator steht

und die Gäste unter ihm sitzen, ist von vorneherein ja schon mal eine andere Anmutung

darin.

SO: Man sieht es ja schon bei der Blickausrichtung dieser Gäste. Die gucken ja alle

Plasberg an. So und bei uns kucken sie sich alle an.

KS: Also fördert auch die Kommunikation untereinander?

SO: Ja ist so. Ist ne ganz andere. Ne, also, wenn da jemand sitzt, der gerade was

erzählt…

WK: Ja wir können das doch ausprobieren. (steht auf) Wie wirkt denn das, wenn ich

jetzt hier stehe und sie was frage. Wirkt doch anders, als wenn ich hier sitze und sie was

frage!?

KS: Ja klar. Ich denke auch diese Runde hat natürlich… fördert natürlich auch diesen

Diskussionscharakter, diesen Rundencharakter. Das andere ist eher so die

Abfragerunde. Einer stellt stellt die Frage, die anderen

SO: Der Lehrer steht vorne vom Pult, die anderen müssen brav antworten.

WK: Plasberg ist Frontalunterricht. Da ist der Lehrer eine Respektperson und die

anderen sind schon mal von vorne herein in einer gewissen Demutshaltung. Während

hier sind eigentlich alle gleich und äh. Wir wollen ja auch, dass die miteinander reden.

Dass nicht die Argumente vom Moderator kommen und von den anderen dann

aufgenommen und beantwortete werden und dann wieder an den Moderator

zurückgehen, sondern bei uns geht ja eigentlich, versucht die Moderatorin zwar schon

in gewisser Weise das Heft in der Hand zu haben aber im Prinzip ist auch jeder

ermuntert dem anderen ins Wort zu fallen und mit dem anderen sich zu streiten. Und

das ist was ganz anderes.

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Anhang

XXXVI

KS: Gibt es denn Probleme aus dieser Runde: Weil wenn sie jetzt beispielsweise rechts

die Gäste hat, man sieht nicht was links passiert, kriegt sie denn gesagt was links

passiert, was sie nicht sieht?

WK: Ne. Also sie muss sich da schon sehr konzentrieren. Äh. Wir haben auch schon

selber manchmal das Gefühl gehabt, dass sie so auf die eine Seite konzentriert ist, dass

sie nicht richtig mitkriegt, was auf der anderen Seite sich tut. Aber das ist eher der

Ausnahmefall. Ich glaub im Großen und Ganzen kriegt man das schon mit. Soweit

sitzen die ja auch wieder nicht auseinander. Also ich mein das ist ja nicht viel größer

als, was wir hier treiben. Nur ein bisschen. Und da kriegen sie schon in etwa, mit was

rechts von ihnen passiert. Ob die da …

SO: Schnipsen, wild mit dem Fingern

WK: das tun die, meistens ist es ja auch die ganze Zeit

KS: Ja aber es ist ja häufig die Gestik, die Mimik, wo man sich sagt, ach das wäre jetzt

interessant da mal nachzufragen.

WK: Ja

KS: Ich bin soweit mit meine Fragen durch.

WK: Haben sie einen Erkenntnisgewinn gehabt?

KS: Ja. […] Mir ist es auch so wichtig mit ihnen zu sprechen, weil häufig in der

wissenschaftlichen Arbeit Thesen aufgestellt werden, die plausibel scheinen, wenn man

es liest und dann zeigt man es der Talkshowredaktion und die sagt um Himmels Willen,

das können wir doch auch in der Praxis so gar nicht umsetzen, das ist auch gar nicht das

Ziel unserer Sendung. Deshalb ist es mir so wichtig sie damit zu konfrontieren, ja, und

zu sagen, sagen sie mir mal ihre Ansicht dazu.

WK: Da kann ich wirklich sagen du merks es schon bei den Journalistenkollegen. Die

Schreibenden sind ja ohnehin der Ansicht, dass sie alles erstens besser wissen und

zweitens die richtigen Fragen stellen würden und dass der der in so ner Sendung sitzt

einfach zu blöd ist und nicht genug Ahnung hat. Das ist schon mal eine, eine

Unterscheidung die sie im Prinzip zwischen Fernsehmenschen und schreibenden

Journalisten im Großen und Ganzen als Klischee erleben. Aber auch innerhalb eines

Fernseh, einer Fernsehanstalt, innerhalb des Fernsehjournalismus ist Talkshow eine

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Anhang

XXXVII

ganz spezielle Sparte von der die Meisten ehrlich gestanden relativ wenig Ahnung

haben, weil sie sich damit einfach nicht beschäftig haben. Ja. Und die Wissenschaftler

mit Verlaub haben fast alle null Ahnung. Haben aber unheimlich klare Vorstellungen,

wie das sein sollte.

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Anhang

XXXVIII

Anhang 4: Interview Menschen bei Maischberger

(Mit Theo Lange, Redaktionsleiter)

Beschreiben Sie die Zielsetzung Ihrer Sendung.

„Menschen bei Maischberger“ definiert sich als thematisches Talkformat mit einem

gesellschaftspolitischen Schwerpunkt. „Menschen bei Maischberger“ hat sowohl

Diskussionselemente mit einem möglichst konträren Meinungsaustausch – das obliegt

den Gästen – wie auch biographische Strecken: Die Themenauswahl ist breit: Neben der

politischen Aktualität (Wahlen) sind es z.B. medizinische Fragen (Kunstfehler oder

Zweiklassenmedizin), Justizirrtümer oder Debatten zur Erziehung, Ernährung oder

Sexualmoral. Ziel ist es in der Regel, Debatte und Biographie zusammenzuführen,

heißt: Eine Hartz-IV-Diskussion nicht ohne einen oder zwei Betroffene, eine

Prostitutionsdebatte nicht ohne Prostituierte.

Wie bewerten Sie die Bedeutung der Eingangsfragestellung, mit der Sie die

Sendung eröffnen – soll diese beantwortet werden oder soll sie nur das Thema

vorstellen?

Eine Eingangsfrage ist grundsätzlich wichtig, weil sich oft schon an dieser Stelle

Gesprächsatmosphäre, Debattenschärfe oder Tonalität der Sendung entscheiden.

Ist ein Erkenntnisgewinn (Beantwortung der Eingangsfragestellung) in der

Sendung erreichbar oder ist dies in der zeitlich begrenzten Sendezeit ein zu

hochgestecktes Ziel?

„Menschen bei Maischberger“ will Positionen deutlich machen, ohne diese

abschließend zu beurteilen. Diese Aufgabe obliegt, wie bei jeder konträren TV-Debatte,

dem Zuschauer. Wenn Erkenntnisgewinn allerdings auch bedeutet, über eine

Lebensgeschichte Einblick in eine gesellschaftliche Schicht oder Gruppe (Stichwort

Hartz IV), zu bekommen, oder Problemlösungen kennenzulernen (Stichwort:

Therapienmöglichkeiten bei Krankheiten), dann kann man vielleicht von einem

Erkenntnisgewinn sprechen.

Wie wichtig ist für Sie und die Redaktion ein Erkenntnisgewinn für eine gelungene

Sendung? Wie wird eine gelungene Sendung bei Ihnen bemessen?

Page 158: Der Erkenntnisgewinn in politischen Talkshowstalk-republik.de/files/docs/...politischen_Talkshows_Katharina_Singer.pdf · Ein scheinbar einfaches Konzept mit einer unendlichen Fülle

Anhang

XXXIX

Das ist keine entscheidende Kategorie: Entscheidender sind Parameter wie eine lebhafte

Diskussion, die richtige thematische Gewichtung und natürlich – als quantitatives

Kriterium - die Zuschauerresonanz.

Gibt es Unterschiede im Anteil der erkenntnisreichen Aussagen bei Politiker-

Gästen und Nicht-Politiker-Gästen?

Kann ich nicht beantworten.

Wo sehen Sie mögliche Gefahren für den Erkenntnisgewinn/Diskussionsziel?

Können Sie dazu Beispiele aus Ihrer Sendung nennen?

Kann ich nicht beantworten.

Welche Faktoren sind wichtig für einen Erkenntnisgewinn? / Oder wenn Sie den

Erkenntnisgewinn nicht als Hauptzielsetzung der Sendung beschreiben, welche

Faktoren sind wichtig für eine gelungene Sendung?

Siehe Frage 4

Nennen Sie ein Beispiel für eine aus Ihrer Sicht sehr gelungene Sendung.

Z.B. Die Sendung „Die Hartz-IV-Wutwelle: werden die Armen verhöhnt?“ im

September 2010 auf dem Höhepunkt der Debatte um die Erhöhung der monatlichen

Regelsätze, weil neben den politischen Kontrahenten Martin Lindner (FDP) und Sahra

Wagenknecht (Die Linke) und Ulrike Mascher (VdK) eine betroffene Hartz IV-

Empfängerin auf den TV-Koch und Unternehmer Christian Rach traf, der ein

Gastronomie-Projekt für Arbeitslose aufgezogen hatte. Rach erwies sich als klug

argumentierender Gast, der in seiner Emotionalität eine große Glaubwürdigkeit hatte

und damit eine nicht unbedingt neue Debatte neu befeuerte.

Haben Sie Veränderungen im Sendungskonzept in der Vergangenheit

vorgenommen, um die in der Sendung diskutierte Thematik verständlicher zu

machen und optimaler zu präsentieren? Wenn ja welche?

Ja, verstärkt Einspielfilme eingesetzt

Haben Sie bereits Analysen über den Erkenntnisgewinn anhand Ihrer Sendung

durchführen lassen, oder sind solche für die Zukunft in Planung?

Nein

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Anhang

XL

Sie haben in den letzten Jahren das Themenspektrum ausgeweitet und

berücksichtigen neben den rein politischen Themen auch Themen mit einem mehr

gesellschaftlicheren Ansatz. Warum?

Weil wir und auch die Zuschauer es interessanter finden.

Im Vergleich zu den Sendungen von Anne Will und Maybrit Illner - Sehen Sie im

Konzept von Menschen bei Maischberger Vor- bzw. Nachteile für die Erreichung

des Erkenntnisgewinns?

Keine Antwort

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Anhang

XLI

Anhang 5: Interview 2+Leif

(Mit Thomas Leif, Moderator)

Beschreiben Sie die Zielsetzung Ihrer Sendung.

Ziel ist es ein aktuelles Thema aus Politik und Gesellschaft kontrovers mit zwei

führenden Politikern oder anderen politisch relevanten Akteuren zu lösungsorientiert zu

debattieren. Kernphilosophie ist zudem die Zentrierung von wichtigen Argumenten.

Deshalb der Claim der Sendung: „Argumente zählen.“

Derzeit laufen Versuche in einem „Leif Extra“ auch einzelne Persönlichkeiten zu

befragen. Für die Solo-Auftritte werden die jeweiligen Parteivorsitzenden eingeladen.

Wie bewerten Sie die Bedeutung der Eingangsfragestellung, mit der Sie die

Sendung eröffnen – soll diese beantwortet werden oder soll sie nur das Thema

vorstellen?

Die Eröffnungsfrage soll nach Möglichkeit mitten ins Thema führen und die Chance

ermöglichen, den Problemkern zu definieren, die Polarität von Meinungen zu erfassen

und den Konfliktrahmen zu definieren. Wir arbeiten zusätzlich sofort nach dem

Indikativ mit einem zugespitzten Themen-Einspieler, der das Thema auf den Punkt

bringt.

Ist ein Erkenntnisgewinn (Beantwortung der Eingangsfragestellung) in der

Sendung erreichbar oder ist dies in der zeitlich begrenzten Sendezeit ein zu

hochgestecktes Ziel?

Dies lässt sich nicht pauschal bewerten. Dies hängt stets mit der Befindlichkeit der

Gäste zusammen. Lassen sie sich auf die Fragestellung ein – oder ziehen sie ihre

„Agenda“ durch? Hier stellen wir das gesamte Spektrum möglicher Varianten fest.

Wie wichtig ist für Sie und die Redaktion ein Erkenntnisgewinn für eine gelungene

Sendung? Wie wird eine gelungene Sendung bei Ihnen bemessen?

Erkenntnisgewinn, im Sinne von Wissensvermittlung, Vertiefung der Argumente,

Einschätzung der Gäste-Charaktere, aber auch eine lebendige, nachvollziehbare,

strukturierte Debatte sind Bewertungskriterien.

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Anhang

XLII

Es kommt aber darauf an, wer was bewertet? Das Problem: Die Kriterien für die

jeweilige Kritik auf verschiedenen Bühnen werden selten definiert. Dies ist etwa in

einer ausführlichen Kritik in den Kontroll-Gremien gelungen. In den großen

Konferenzen ergibt sich eine gemischte Bilanz.

Für unsere Sendung wird ein externer Kritiker aus dem Berliner Journalismus

beschäftigt. Steffen Reinecke von der taz hat hier etwa das höchste Niveau der Kritik

und Analyse geboten. Präzise Kritik kommt aber auch von etwa einem Dutzend

Personen, die auf der Basis unmittelbarer Arbeitsbeziehungen qualifiziert kritisieren.

Die Daten der Medienforschung sind natürlich für diejenigen, die in der Arbeitsroutine

viele Sendungen bewerten müssen, prioritär. Bei einzelnen Programmverantwortlichen

wird der beachtliche Output an Agentur und Medienmeldungen durchaus beachtet.

Fazit: Die Bemessungs-Grundlage der Kritik ist in verschiedenen Milieus höchst

unterschiedlich.

Gibt es Unterschiede im Anteil der erkenntnisreichen Aussagen bei Politiker-

Gästen und Nicht-Politiker-Gästen?

Nein. Ein Trend ist allerdings feststellbar: genuine parteiinterne Themen finden weniger

Resonanz und werden als „Politik-Politik-Themen“ klassifiziert. Niedrigere Quoten zu

bestimmten Themen, die sich klar abzeichnen, führen zu korrigierten Programm- und

Besetzungsentscheidungen.

Wo sehen Sie mögliche Gefahren für den Erkenntnisgewinn/Diskussionsziel?

Können Sie dazu Beispiele aus Ihrer Sendung nennen?

Politische Talk-Sendungen leben und sterben mit der Qualität der Besetzung und der

jeweiligen gefühlten Aktualität. Wenn ein Thema in der Luft liegt und die Gäste i n der

Sendung nachvollziehbare und kontroverse Argumente liefern, dazu noch prominent -

der Fachausdruck heißt hier „gesichtsbekannt“- ist, dann kann eine Sendung

funktionieren.

Gefahren: Wenn ein Politiker seine Agenda verfolgt, sich nicht auf neue Pfade einlässt,

Das Programm kontrolliert durchspielt oder sogar überfordert ist, können sie alle

Informationsziele vergessen.

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Anhang

XLIII

Erkenntnisgewinn ist nur möglich, wenn die Akteure zuvor jeweils zu einer Erkenntnis

gekommen sind.

Welche Faktoren sind wichtig für einen Erkenntnisgewinn? / oder wenn Sie den

Erkenntnisgewinn nicht als Hauptzielsetzung der Sendung beschreiben, welche

Faktoren sind wichtig für eine gelungene Sendung?

Prominenz, Renitenz, Klarheit, Konfliktbereitschaft, Dialogfähigkeit, Konzentration.

Wenn dann noch ein relevantes Thema und eine Portion Witz dazu kommt, stimmt die

Mischung.

Nennen Sie ein Beispiel für eine aus Ihrer Sicht sehr gelungene Sendung.

Das Solo mit Sigmar Gabriel hat funktioniert. Im Schnitt liefern wir m.e. durchaus

passable Sendungen, die Substanz liefern.

Gelegentlich verdünnen zu starke Kompromisse bei der Besetzung die Zielsetzung. Mit

konsensorientierten, ängstlichen oder überforderten Gästen können sie kein Feuerwerk

anzünden.

Haben Sie Veränderungen im Sendungskonzept in der Vergangenheit

vorgenommen, um die in der Sendung diskutierte Thematik verständlicher zu

machen und optimaler zu präsentieren? Wenn ja welche?

Verständlichkeit, Nachvollziehbarkeit ist stets ein zentrales Thema der aufwendigen

Vorbereitung. Das Format ist bislang nicht grundsätzlich geändert worden. Es gibt nur

leichte Modifikationen beim Einspieler. (Zusatz von Comic-Element und beim Licht)

Haben Sie bereits Analysen über den Erkenntnisgewinn anhand Ihrer Sendung

durchführen lassen, oder sind solche für die Zukunft in Planung?

Es gibt eine Untersuchung der Medienforschung, die aber naturgemäß –auf Basis von

Umfragen- auch keine letzten Weisheiten liefern kann. Allen Beteiligten sind die

Erfolgsfaktoren einer guten Sendung bekannt. Nur: Konsenserzugung und

Konfliktvermeidung ist in der Politischen Klasse nicht die erste Tugend. Gerade in

aktuellen Konfliktphasen mit ungeklärten Positionen wird Gästen immer wieder

geraten, sich rar zu machen. Wir filtern ja Argumente und fragen nach: Es gibt für

Politiker attraktivere Bühnen.

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Anhang

XLIV

Im Vergleich zu Talkshowformaten wie Anne Will, Maybrit Illner und Co, sehen

Sie in Ihrer Sendung Faktoren, die es leichter machen einen Erkenntnisgewinn zu

erzielen?

Ja. Wir konzentrieren uns auf zwei Gäste und klare Themenschwerpunkte. Allein durch

diese konzeptionelle Reduktion sind Unterschiede feststellbar. Bei uns gibt es einen

eingebauten Zwang am Thema zu bleiben. Wir bemühen uns die unverbindliche

Sprunghaftigkeit in Grenzen zu halten.

Gibt es Faktoren, die im Sendungskonzept mit mehr als zwei Talkgästen leichter

zu umzusetzen sind? Um was beneiden sie Talkshows wie Anne Will und Co?

Meines Erachtens kommt es auch hier auf das jeweilige Thema und die Sendezeit an:

wenn sie sehr gut, aussagewillige und qualifizierte Gäste haben, die zur argumentativen

Kontroverse fähig sind und die Moderatoren eine klare Linienführung haben, kann auch

eine größere Runde funktionieren.

Beneiden: Ja. 1) Sendeplatz. 2) Etat. Und redaktionelle Ausstattung. 3) Werbung

(Trailer, Sendeverweise, Marketing-support)

Kleinere Runden versus größere Runden – ein Faktor für einen besseren

Erkenntnisgewinn? Wo ist Gefährdungspotenzial größer?

Kleinere Runden mit Top-Besetzung und präzise analysierten Fragekonzept und

eigenen Recherchen zu Gästen und Themen sind strukturell eindeutig –bezogen auf

Erkenntnisgewinn im Vorteil.

Aber – Erkenntnisgewinn ist nicht das zentrale Ziel von Programmverantwortlichen.

Nach dem Tatort wollen viele eher Infotainment, Emotion, das „Gefühl, gut informiert

zu sein.“ Etc. Erkenntnisgewinn ist ja eine Vokabel aus früheren Jahrzehnten. Das

Publikum müsste ja auch Erkenntnisgewinn wünschen: Wenn der Bedarf en gros

artikuliert würde, müssten die populären Sendungen entsprechend reagieren. Aber etwa

im Fall von „hart aber fair“ ist ja seit geraumer Zeit eine Konzeptions-Korrektur in eine

ganz andere Richtung feststellbar. (siehe Analyse Carolin Emcke im Zeit Magazin)

Ziel müsste zudem sein, „Erkenntnis-Spaß“ zu vermitteln. Vielleicht wäre das auch

schon ein Gewinn.

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Anhang

XLV

Anhang 6: DVDs

(DVDS sind auf der letzten Seite beigefügt)

DVD 1

Magisterarbeit (PDF)

Anne Will: 14. März 2010, ARD: Zocken, spekulieren, abkassieren – haben

Banker aus der Krise nichts gelernt?

DVD 2

Maybrit Illner: 04. Februar 2010, ZDF: Zur Kasse bitte! Wie schutzlos sind

Patienten?

Maybrit Illner: 4. November 2010, ZDF: Dumm, faul, abgehängt – hat die

Jugend im Aufschwung keine Chance?

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Ehrenwörtliche Erklärung

XLVI

Ehrenwörtliche Erklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Magisterarbeit zum Thema Der

Erkenntnisgewinn in politischen Talkshows – Gefahren, Fehler und Optimierungs-

chancen ohne Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Quellen

und Hilfsmittel angefertigt und die benutzten Quellen wörtlich und inhaltlich

übernommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Diese Arbeit hat in gleicher

oder ähnlicher Form noch keiner Prüfungsbehörde vorgelegen.

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Mannheim, den 09. Dezember 2010