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Der Kumpan in der Umwelt des Vogels

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Page 1: Der Kumpan in der Umwelt des Vogels

JOURNAL FUR

O R N I T H O L O G I E

Dreiundachtzigster lahrgang

Heft 2 April 1935

Der Kumpan in der Umwelt des Vogels. Der Artgenosse als auslSsendes Moment sozialer Verhaltungsweisen.

Jakob yon Uexkii!l sum 70. Geburtstag gewidmet.

Von Konrad Lorenz, Altenberg.

IV. V.

VI. VII.

VIII. IX.

X.

inhaltsiibersicht. ~)

I. Einleitung. Der U~xKi3LJh'sehe Begriff des ,Kumpans". II. Arbeitsmethoden und ~rinzipielles.

I l l . Die Pr[igung des Objektes ar~eigener Triebhandlungen. Das angeborene Schema des Kumpans. Der Elternkumpan. Der Kindknmpan. Der Geschleehtskumpan. Der soziale Kumpan. Der Geschwisterkumpan. Zusammenfassung und Ergebnis.

I. E i n l e i f u n g .

D~s, w~s wir als einen Gegenstand zu bezeichnen pflegen, entsteht in unserer Umwelt d~durch, dal3 wir die verschiedenen, yon einem und demselben Dinge ausgehenden Reize zusammenfassen nnd sie zusammen- gefal3t auf das betreffende ,,Ding" als die gemeinsaxne Reizquelle be- ziehen. Dazu gehSrt noch, daLl wir die empfangenen Reize nach aulIen in den uns umgebenden Raum projizieren, in ihin ]okalisieren. Wi r empfinden das yon der Linse unseres Auges au f unsere Netzhaut ent- worfene Bild der Sonne nicht eben dort auf der Netzha-at, nicht so als ,,Licilt", wie wir etwa das mit einer Glaslinse auf unsere K6rperh~ut

1) Eine vollst~ndigere Inhalts[ibersicht mit eingefiigten Sei~enzahlea wird ~m Ende der Abhandlung erscheinen.

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entworfene Sonnenbild als ,,W~rme" auf der betreffenden Hautstelle empfinden wiirden. Vielraehr s e h e n wir die Sonne fern yon unserem KSrper am Himmel droben~ wohin sie schon yon unserer Wahrnehmung und nicht etwa erst durch einen Bewui3tseinsvorgang tokalisiert wird.

Bei der Erfassung der Gegenst~nde unserer Umwelt sind wir also auf die Sinne angewiesen~ deren Meldungen wir in dem uns umgebenden R a u m zu ]okalisieren vermSgen. Nur so vermSgen wir ja die unbedingte r~umliehe Zusammengeh5rigkeit der Einzelreize zu erfassen, die die dinghafte Einheifliehkeit des Gegenstandes ausmacht~ und die die Grand- lage bildet zu der einfachen U~xK~LL'sehen Definition des Gegen- standes: ,,Ein Gegenstand ist das, was sich z u s a m m e n beweg t . "

Die den Reiz lokalisierenden Sinne sind bei uns Mensehen vor- nehmtieh der Tastsinn und der Gesichtssinn. Wir sprechen daher yon einem Tastraum und einem Sehraum ; schon beim GehSrsinn ist bei uns die Lokalisation weir weniger genat b so daI3 beim Mensehen ~'on einem ,,HSrraum" nur selten gesproehen wird. Es bleibe aber dahingestellt, ob dies bei allen Tieren ebenso ist. Eulen vermSgen akustisehe Reize mindestens ebenso genau zu lokalisieren wie optische, Fledermituse sogar unvergleiehlich viel gena.ner. Es kSnnte sein~ da~ diese Tiere ebensogut einen H5rraura besitzen, wie wit einen Sehraum.

Das Z u s a m m e n f a s s e n der versehiedenen Sinnesgebieten zu- geordneten Reize, die yon einem Dinge ausgehen~ zu einem einheitliehen Gegenstande ist eine Leistung, die sicher eng mit der Lokalisation dieser Reize an eine gemeinsame Ausgangsstelle im Raume zusammen- h~ngt. Die Entwicklung des Gegenstandes aus der Summe der Reiz- daten kSnnen wir an uns se]bst beobachten, am besten dann, wenn sie dureh irgendwelche Umst~nde verlangsamt vor sich geht. Wenn wir z. B. aus einer iNarkose oder auch nm" einem besonders tiefen Schlafe erwachen~ so wirken h~ufig auch wohlbekannte Dinge auf uns nicht als @egenstgnde. Wir sehen Lichter, hSren TSne, ~tber es dauert eine ge- wisse, die Selbstbeobaehtung ermSgliehende Zei 4 bis wir den Ausgangs- punkt dieser Reize ]okalisiert haben und sie damit zum dingh~tften Gegenstand zusammenfliel~en lassen.

Eine besondere Leistung des Zentralnervensystems ist darin zu sehen, da~ wir einen Gegenstand in verschiedenen Lagen, verschiedenen Entfernungen~ versehiedenen Beleuehtungen usw. trotz der Verschieden- heir der unsere Sinnesorgane treffenden Reize innerhalb welter Grenzen dieser Versehiedenheiten in gleiehbleibender GrS~e, Gestalt und Farbe wahrnehmen. Wir sehen einen etwas welter entfernten ~¢Ienschen nieht kleiner als einen in n~chster N~he befindliehen, obwohl sein Bild anf

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unserer Netzhaut viel kleiner ausfiillt. Wi t sehen die Reehtwinkligkeit eines an der -Wand h~ngenden Bildes, auch wenn wit schriig zu ihm aufblicken und es sich auf unserer Netzhaut als nieht rechtwinkeliges ParMlelogramm ~bbildet. Wir sehen ein weiges Papier aueh bei einer herabgesetzten Beleuchtung als weil~, bei der die yon ihm reflektierte Lichtmenge geringer ist, als diejenige, die bei hellem Sonnensehein ein yon uns schwarz gesehenes Papier zuriickstrahlt. Wie diese den Sehwankungen der ~Vahrnehmungsbedingungen bis zu einem hohen Grade trotzende gonstanz unserer Umweltdinge im Einzelnen gewiihr- leistet wird, gehSrt ins Gebiet der ~Vghrnehmungspsyehologie. Hier gentigt es, festzustellen, dug aueh bei h6heren Tieren diese gonstanz der Dingeigenschaften im allgemeinen nur geringeren Ver~nderungen der den Rezeptoren des Tieres gebotenen Reize standhMt Ms bei uns Mensehen.

Da die Versehiedenheit der Lebensr~ume einzelner Tierformen eine groge Verschiedenheit der Variationsbreiten der Wahrnehmungs- bedingungen mit sieb bringt, erseheint es verst~ndlieb, dug die Wider- standskraft tieriseher Umweltdinge gegen diese Veriinderungen yon Art zu Art sehr versehieden grog ist. Oft ist die biologisehe Bedeutung solcher Versehiedenheiten ohne weiteres erkennbar. So zeigten Ver- suehe yon BI~'attA~v~ und CoBuI~-, dug Hiihner, die auf gewisse Signal- formen dressiert waren, diese nicht wiedererkannten, wenn m~m sie ihnen verkehrt zeigte, w~hrend es fiir Ifri~hen keiner]ei Unterschied ausmaehte, in weleher Lage im Raume die Dressurdinge dargeboten wurden. Ftir ein ~lugtier, das, wie die Kr~he, sehr h~ufig in kreisendem Fluge naeh Nahrung aussp~ht, ist es selbstverst~ndlich eine Lebens- notwendigkeit, die Gegenstgnde, die sie auf der Erde unter sieh wahr- nimmt, unabhangig yon ihrer augenblickliehen Flugriehtung nnd daher unabh~ngig yon der Lage ihrer Netzhautbilder wiederzuerkennen.

Ftir den Menschen, der seinen Lebensraum und dessen Erseheinungen dutch Einsicht in k~msale Zusammenh~inge zu beherrschen trachte L ist alas riehtige Zusammenfassen der yon den Dingen seiner Umgebung ausgehenden Reize zu Gegenst~nden seiner Umwelt die Grundlage aller Erkenntnis und h6ehste Lebensnotwendigkeit.

Ftir das Tier jedoch, insbesondere ftir alas niedere Tier, das im Wesentliehen durch triebm~13ig ererbte Verhaltungsweisen in seinen Lebensraum eingepM3t ist und bei dessen Reagieren auf die Reize der Umgebung die Einsicht tiberhaupt keine Rolle spielt, ist ein dinghaftes Erfassen tier Umwelt keine unbedingte biologisehe Notwendigkeit. Es geniigt, dal3 eine triebhaft festgelegte l~eaktion, die arterhaltend einem

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bestirnmten Dinge gegeniiber zn erfolgen hat, durch e i n e n der yon diesern Dinge gusgehenden Reize ansgelSst wird, wofern das Ding dureh diesen Reiz so eindeutig charakterisiert ist, dM3 ein irrtiimliches An- sprechen der Reaktion auf andere, ghnliche t~eize aussendende Dinge nicht eine die Arterhaltnng sch~digende H~tufigkeit erlangt. Urn letzteres unwMlrseheinlicber zn machen, werden meist rnehrere Reize zu einer immer noch recht einf~chen Kombin~tion yon Peizdaten zu- samrnengefMtt, auf die ein ,,angeborenes Schema" ansprich~. Die Form eines solchen AuslSse-Schem~s toni3 ein gewisses Mindestrna6 genereller Unwahrscheinlichkeit besitzen, und zwar ~us denselben Griinden, aus denen rn~n dem Barte eines Schliissels eine generell nnwahrscheinliche Form gibt.

Es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen a n- g e b o r e n e n Schematen lind jenen e r w o r b e n e n Schematen, die das ausI~sende Moment yon bedingten Reflexen und Dressurhandlnngen darstellen. W~hrend die ersteren yon vornherein m ~ g l i c h s t einfach gefal3t erscheinen, scheinen alle Tiere die letzteren so k o m p I e x wie m 8 g 1 i c h zu gestalten.

Wenn rngn bei Dressurversuchen das Tier nicht zwingt, gewisse )/[erkmMe aus einer gebotenen Vielheit herauszugreifen, was man durch stgndigen Wechsel aller iibrigen Merkrnale erzieIen kann, so wird das Tier im Allgemeinen auf die Ges~mtheit, die ,,Kornplexqualit~tt" Mler gebotenen Reize dressiert werden. ,,Nehmen Sie einen Hund," schreibt U~x~t~LL, ,,der mit dern Befehl ,,auf Stuhl" auf einen bestimrnten Stuhl dressiert ist, so k~nn es vorkommen, dM3 er nicht Mle Sitzgelegenheiten als Stuhl anerkennt, sondern nnr d i e s e n e i n e n u n d n u r an d i e s e r S t e l l e " . Was bei den yore )/[enschen beabsichtigten Dressuren der h~chsten S~ngetiere imrner wieder unbe~bsichtigter Weise ,,vorkornrnen kann", stellt bei den E i g e n d r e s s n r e n geistig weniger hochstehender Tiere die Regel dar. Ein Tier, dgs rich selbst ~uf eine MerkmMkombination dressiert, die ihrn ein oder mehrere Male einen Erfotg angektindigt hat~ kann ohne ,,Einsicht in Sachbeztige" selbstverst~ndlich nicht wissen, welche unter diesen Merkmalen unwesent- liche Zutaten rind und welche yon ihnen mit dem erreiehten Erfolg in nrsgchlichem Zusarnmenhang stehen. Daher ist es wohl biologiseh sinnvoll, wenn das Tier a l l e MerkmMe zu einer Komplexqualit~t ver- einigt nnd als solehe zum auslgsenden Moment seiner Dressnrhandlung wghlt. Dis wiederholt blind, ohne Wesentliehes und Unwesentliches zu nnterseheiden, das friiher znm Erfolg fiihrende VerhMten nur in einer in allen Einzelheiten gleichen Sitn~tion. Natiirlich kann ein Tier ~uch

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auf e in Merkmal, z.B. das des ,,Dreiecldgen"~ dressiert werden, wenn n~mlieh unter st~indigem Weehsel sller iibrigen Merkm~le dieses eine konst~nt bleibt. Wo aber o h ne der~rtigea Zwang ein Herausgreifen von wesentlichen Merkmalen geleistet wird, haben wit meiner Meinung n~ch den Ansatz zn einer ,,Einsicht in S~ehbeziige" vor uns.

Im Gegensatz zu diesen individuell andressierten anslSsenden Schematen sind die angeborenen yon vornherein in einen fertigen, art- spezifisehen Funktionspl~n eingebau L in welehem es yon vornherein feststeht, welehe Merkma.le wesenttich sind. Daher entspficht es nnr dem Prinzip der Sp~rsamkeit, wenn so wenige Merkmale wie irgend mSglich in die auslSsenden Schem~ten ~ufgenommen werden. Fiir den Seeigel Sphaerechimts geniigt es~ wenn seine ungemein hoeh spezialisierte kombinierte Flucht- und Abwehrreaktion gegen seinen Hauptfeind, den Seestern Asterias, durch einen einzigen, spezifischen chemischen Reiz ausgelSst wird, tier yon diesem Seestern ausgeht. Ein solches Aus- gelSstwerden einer motorisch hoehkomplizierten und einem g~nz be- stimmten biologisehen Vorgang angepal)ten VerhMtungsweise dnrch einen einzelnen Reiz~ oder doch dutch eine verh~ltnism~ig einfache Reizkombin~tion, ist fiir die groGe Mehrz~hl der triebm~Gigen Reak- tionen bezeiehnend.

M~n w~irde zunfichst erwarten, da~ bei hSheren Tieren, denen wir naeh ihrem sonstigen Verhalten ein dinghaft-gegenstfindliebes Erfassen tier Umwelt unbedingt zuschreiben mt~ssen, auch das Objekt ~tler trieb- haften Verhaltungsweisen dingfest errant w~irde. Insbesondere wfirde man dies dort ffir wahrscheinlich halten, wo ein Artgenosse das Objekt der H~ndlung darstellt. Merkwfirdigerweise ist nun aber eine durch mehrere Funktionskreise durchgehende Ding-Identitfit des Artgenossen in sehr vie]en F~llen nicht nachzuweisen. Ich gl~ube eine Erkl~rung daffir geben zu dfirfen, warum die subjektive Identit~t des Artgenossen a]s Objekt verschiedener Funktionskreise noeh weniger eine biologisehe Notwendigkeit ist, als diejenige anderer Triebobjekte.

Auch bei den hSchsten ~Virbeltieren wird h~ufig eine objekt- gerichtete triebhafte H~ndlungsfolge durch eine sehr kleine Ausw~hl der yon ihrem Objekte ~nsgehenden Reize ausgelSst, nieht yon seinem dinghaften Gesamtbild. Wenn mehrere Funktionskreise dense]ben Gegen- stand zmn Objekt haben, so kommt es vor~ d ~ j e d e r dieser Kreise auf ganz andere der yore gleichen Objekte ausgehenden Reize anspricht. Das angeborene ~uslSsende Schema einer Triebhandlung greift sozu- sagen arts tier Fiille tier yon ihrem Objekt ausgehenden Reize eine kleine Auswahl heraus~ auf die es elektiv anspricht und damit die

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Handlung in Gang bringt. Die Einfachheit dieser angeborenen Aus- 15se-Schematen verschiedener Triebhandlungen kann zur Folge haben, dal3 zwei yon ihnen kein einziges der sie zum Ansprechen bringenden Reizdaten gemein haben, obwohl sie auf dasselbe Objekt gemiinzt sind. Normalerweise sender das artgem~il3e Objekt alle zu beiden S&ematen gehSrigen lleize gem e i n s a m ans. Im Experiment jedoeh kann man die Ausl8se-Sehematen, die eben wegen ihrer grogen Ein- faehheit hiiufig auch durch k ti n s t 1 i c h e Darbietung entspreehender Reiz- kombinationen zum Anspreehen zu bringen sind, dnreh zwei ver- sehiedene Objekte ausl6sen and so eine Trennung der beiden auf e in Objekt gemiinzten Funktionskreise erzielen. Umgekehrt kann aus den- selben Grtinden e in Objekt zwei gegensiitzliehe, biologiseh nur mit zwei getrennten Objekten sinnvolle Reaktionen auslSsen. Besonders hgufig ist dies bei jenen Triebhandlungen, deren Objekt ein Artgenosse ist. So ist zmn Beispiel bei versehiedenen Arten yon Entenv6geln die Verteidigungsreaktion der Mutter aueh dureh den Hilferaf yon nieht artgleiehen gungen auslSsbar. Andere Betreuungsreaktionen sind dagegen in hohem 1VIage artspezifiseh an ganz bestimmte F~trbungs- und Zeichnnngsmuster an Kopf and Rtieken der Kinder gebunden. So ist es erklitrtieh, wenn eine gunge fiihrende Stoekente ein hilfe- rufendes Tiirkenenten-Kiieken mit grSgtem ~{ute aus einer Gefahr rettet nnd es im niiehsten Augenblick mangels der Stoekenten-spezifischen~ weitere Betreuung aust6senden Kopf- and Rtiekenzeichnung ,,unspezifiseh behandelt", d. h. als ,,fremdes Tier in der Niihe der eigenen Kiieken" angreift und tOtet.

Die einheitliehe Behandlung eines Artgenossen, wie wir sie unter natiirlichen Umst~nden, beim normalen Ablauf der Triebhandhngen, zu sehen bekommen, mug also nieht notwendigerweise in einem inneren Zusammenhang der Reaktionen im handelnden Subjekt begriindet sein. Sie wird vielmehr ha.ufig dnreh den rein g.ugerliehen Umstand ge- siehert, dab das Objekt der Reaktionen, der Artgenosse, die zu ver- sehiedenen AuslSse-Sehematen geh6rigen Reize vereint aussendet. Der Funktionsptan der arteigenen Triebhandlungen verlegt also das bio- logiseh notwendige vereinheitlichende Moment in das Reize aussendende Objekt, anstatt in das handelnde Subjekt.

Nehmen wit den Fall, daft zwei oder mehrere Triebhandlungen an dem gleiehen Dinge als Objekt zn erfolgen haben, wenn ihr biologiseher Sinn gewahrt werden soll. Dann gibt es zwei l~ISgliehkeiten, diese Einheitliehkeit tier Objektbehandlung zu siehern. Die eine besteht darin, dal~ das Objekt dinghaft-gegenst~indlieh erfagt wird nnd in der

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Umwelt des Subjektes in allen Funktionskreisen als dasselbe auftritt. Die zweite MSglichkeit, mit der wir uns bier n~her befassen miissen, liegt in der oben geschilderten Bindung tier verschiedenen Triebhandlungen yore O b j e k t e aus, ohne dal] dieses zur subjektiven Einheit in der Umwelt des Subjektes wird. Es ist klar, dab diese Art yon Bindung yon den Eigenschaften des betreffenden Objektes sehr abhgngig ist.

Wenn das Triebobjekt Bin beliebiger fremder Gegenstand der Um- gebung ist, wie z. B. die naturgem~l]e Beute oder der Stoff zum Nestbau, so kSnnen die auf diesen Gegenstand anspreehenden Ausl6se-Sehematen sich nnr an solche Merkmale halten, die dem passenden Objekt yon vornherein gesetzm~l]ig zu eigen sind. Da die Zahl and auch die Eigenart dieser Merkmale oft nicht sehr grol~ ist, hat die biologiseh notwendige (S. 140) genere]le Unwahrscheinlichkeit der aus ihnen zu- sammensetzbaren angeborenen Ausl5se-Sehematen eine ziemlieh eng ge- zogene obere Grenze, zumal offenbar die gomplikation, der Zeichen- reichtum dieser Schematen nicht fiber ein gewisses Mal~ gesteigert werden kann. Die Wahrscheinlichkeit zufS~lliger ]t~ehlauslSsung ist also nicht unter Bin gewisses MaB zu drticken. Diese Beschr~nknng dessen~ was die instinktmgBige geaktion and ihr aageborenes AuslSse-Sehema hier zu leisten vermggen, erhSht wohl den arterhaltenden Wert einer subjektiven Dingidentitgt des Objektes ganz wesentlich.

Ganz anders liegen die Dinge, wenn das gemeinsame Objekt zweier oder mehrerer Triebhandlungsfolgen ein Individuum der gleiehen Art ist wie das handelnde Subjekt. Da der spezifisehe KSrperbauplan einer Art and der spezifische Bauplan ihrer Triebhandlungen TeiIe eines einzigen, unzertrennlichen Funktionsptanes sind, so kSnnen in diesem Falle die auslgsenden Schematen im Snbjekt, parallel mit den ihnen entsprechenden 5~erkmalen des Objektes, zu einer beliebig hohen generet]en Unwahrscheinlichkeit entwickelt werden, die FehlauslSsungen der Handlung praktisch aussehliel]t. Merkmale, die dem Individuum einer Tierart zu- kommen and auf welche bereitliegende AuslSsesehematen yon Artge- nossen anspreehen and bestimmte Triebhandlungsketten in Gang bringen babe ich anderen Ortes kurz als A n s l S s e r bezeichnet. Diese Merk- male kSnnen ebensowohl k5rperliche Organe, als auch bestimmte auf- fallende Verhaltungsweisen sein. 1VIeist sind sie ei ne Vereinigung yon Beidem. Die Ausbildung a]ler AnslSser sehliel3t ein gompromiss zwischen zwei biologischer Porderungen: MSglichster Einfachheit and mSgliehster genereller Unwahrscheinlichkeit. Ein Ansruf, den der Fernstehende beim Anblick des Rades eines Plans, des Prachtkleides eines Goldfasans, der bunten Rachenzeichnung eines jungen Kern-

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beigers oft h5ren lfif}t, ist: ,,Wie unwahrseheinlich!" Diese naiv- erstaunte Aeugerung trifft tats~chlich den Nagel auf den Kopf. Der Raehen eines Kernbeiger-Nestlings z. B. ist darmn so ,,unwahrscheinlich bunt", weil or, im Verein mit der Triebhandlung des Sperrens, den Schliissd zur arteigenen Futter-Reaktion der Elterntiere darstellt. Die biologisehe Bedeutung seiner Buntheit liegt in der Verhindernng ,,irr- tiimlicher" Ausl~isung dutch zufillig gleiehe Reizen anderen I?-rsprungs. Manchmal geniigt die Unwahrseheinlichkeit eines solchen Auslgsers nicht ganz: Gewisse afi~ikanisehe Astrilden haben ats Nestjunge eine fast ebensohoch spezialisierte Rachenzeiehnung wie der Kornbeiger. Trotzdem sehmarotzt bei ihnen ein Brutparasit, dot den Schtiissel ,,naeh- bildet", dessen Junge fast genau diesdbe Kopf- und Rachenfih%ung und -Zeichnung haben, wie junge Astrilden.

Es besteht die l~6gliehkeit, die Spezialisierung der auslSsenden 1Vferkmale am Objekt nnd die der bereitliegenden Auslgse-Sehematen im Subjekt nahezu unbegrenzt weit zu treiben. Die einhoitliehe Be- handlung eines Artgenossen, der Objekt verschiedener Triebhandlungen ist, kann dadureh ebensogut gesichert werden wie dutch seine subjektive Einheitlichkeit in der Umwdt des diese Triebhandlungen ausfiihrenden Artgenossen. Offenbar ist bei geistig so tiefstehenden Tieren, wie es die V6gel sind, eine noeh so hohe Spezialisation yon AusI6ser und AusgelSstem leichter zu erreiehen als ei~e dureh alle Funktionskreise durehgehende subjektive [dentitit des Triebobjektes.

Wit kSnnen uns nun einen Reim darauf mac hen, dab tin un- belebtes odor andersartiges Objekt arteigoner Verhaltungsweisen 6fret als dinghafte Einheit behandelt wird als der Artgenosse. Noch einmal ganz grob ausgedrtickt: Der zum Nestban benutzte Stab besitzt nicht geniigend vide auffallende l~Ierkmale, um aus ihnen gentigend vide und geniigend unwahrseheinliche auslSsende Sehematen anfznbauen, wie sic zur AuslSsung der vielen verschiedenen ttandlungen gebraueht wiirden, die in ihrer Gesamtheit den Nestbau ausmaehen. Daher wird seine Kenntnis in einer Trieb-Dressur-Verschr~,nknng erworben, u n d e r besitzt eine betr~chtliehe Konstanz in allen aufihn beziigliehen Funktions- kreisen. Das Nestjunge eines Vogels kann unbegrenzt komplizierte l~Ierkmale an sieh tragen, Nr die unbegrenzt vide Ausl6se-Schematen im Elterntier bereitliegen: flit die Fiitterreaktion ein in bestimmter ~Veise gezeichneter Sperraehen, fiir die Reaktion des Kot-Wegtragens ein besonderer, auffallend geNrbter ~ederkranz nm den After, fiir die Reaktion des Huderns ein bestimmter Schrei~ der bedeutet, dab das Junge friert.

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Ausl6ser und triebmN~ig angeborene Reaktion gew~hrleisten unter den Bedingungen des natihqichen Lebensraumes der Art eine einheit- liehe Behandlnng des Artgenossen, obwohl er in der Umwelt des Vogels keine Einheit darstellt. Eine Einheit letzterer Art l~Bt sich vielleieht in den erlernten oder verstandesm~l]igen, nicht triebbedingten Verhaltungsweisen h6ehster Tiere naehweisen. Die Identit~t geht aber verloren, sowie sich die physiologisch-triebhafte Einstellnng des Subjektes zum Wahrgenommenen ~ndert. Bei nns Menschen kann die Reflexion bewirken, dab wir imstande sind, die eigene, triebhaft-affektive Ein- stelhmg in den Gesamtverhalt einzukalkulieren und dadurch zu ver- hindern, dag sie naeh augen projiziert wird und den Charakter der Umweltdinge ver~tndert. Es kann aueh vorkommen, dab trotz einer sol&en reflexiv gewonnenen Einsieht die triebhafte Reaktion auf die rein subjektive Ver~tndernng eines Umweltdinges motoriseh zum Dureh- brueh kommt., z. B. dab wit einer Tare einen Tritt versetzen, an die wit im Finstern mit der Nase angerannt sind, obwohl wit es sehon w~thrend der Aktion ,,besser wissen". Wenn abet aueh beim M e n s e h e n in soleher Art ein Umweltding gleiehzeitig veto Standpnnkte des Er- lebnisaspektes konstant und veto Standpunkte objektiver B~nehmens- lehre labil erseheinen mag: beim T i e r , aueh beim h6ehsten, brauehen wit eine solehe reflexiv bedingte Spaltung der rezeptorisehen und der motorisehen Vorgiinge sieherlieh niemals in Betraeht zn ziehen.

Ptir die meisten VSgel kSnnen wir getrost annehmen~ dal~ der Art- genosse in jedem Fnnktionskreise im Sinne U~X~t~LL'S, in dem er als gegenleistendes Objekt auftritt~ in der Umwelt des Subjektes ein anderes Umweltding darstellt. Die eigenartige Rolle; die so der Artgenosse in der Umwelt der V6gel spielt~ hat J. v. UEXK/dLY~ treffend als die des , , K u m p a n e s " bezeiehnet. Wit verstehen ja unter Kumpan einen Mitmensehen, mit dem uns nur die Bande eines einzelnen Funktions- kreises verbinden, die mit h6heren seelisehen Regungen wenig zu tun haben, etwa einen Zeeh- oder bestenf~lls Jagdkumpan.

Der ,,Kumpan" in der Umwelt des Vogels erseheint nieht nnr yon dem Standpnnkg der Umweltforsehnng aus interessant, den wit bier einnehmen werden~ sondern aueh speziell soziologiseh so wiehtig, dal~ er mir einer niiheren Untersuehung nieht unwert ersehien.

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Ieh verdanke der pers6nliehen Anregung Herrn Prof. Dr. JAKoJ~ v. U~x~LL's den Mut, die Darstelhng der hier vorliegenden ungemein verwiekelten Verhiiltnisse wenigstens zu versuehen.

I!. A r b e i t s m e t h o d e n und P r i n z i p i e l l e s .

1. Die Beobachtung.

Das allen naehstehenden Untersuehungen zugrunde gelegte Tat- saehenmaterial entstammt fast aussehlieglieh der Zufallsbeobachtung. Znm Zweeke allgemein biologischer nnd insbesondere ethologischer Untersuehungen hielt ieh verschiedene Vogelarten in einer ihrem natfirliehen Lebensraum mSgliehst entsprechenden Umgebung, zum grot3en Teile in vSlliger Freiheit. lm Vordergrunde meines Interesses standen dabei koloniebriitende Formen wie Dohle, Nachtreiher und Seidenreiher, deren Soziologie naeh Mbgliehkeit zu erforsehen ieh mir zur Aufgabe gestellt hatte. Da die Struktur dieser Vogelsozietgten so gut wie aussehliet31ieh aus dem Bauplan der Instinkte der betreffenden Arten zu erkl~ren ist, so war dieser der zuniiehst liegende Gegenstand meiner Untersuehungen.

Wenn man traehtet, irgend eine Tierart in Gefangensehaft dazu zn bringen, ihren gesamten Lebenszyklns vor unseren Augen abzurotlen, ihre sgmtliehen Triebhandlungsketten ablaufen zu lassen, so bekommt man meist sowieso, besonders aus den sieh ergebenden Unvollstgndigkeiten und als pathologiseh zu wertenden Gefangensehaftserseheinungen, so viele Einblieke in das Fanktionieren des Instinktsystemes der zu unter- suehenden Art, dal3 das nun folgende Experimentieren kein blindes Wiirfeln mit Un~gebungsfaktoren raehr zu sein brauchL Ueber die Methodik der Untersuehung der Instinktsysteme habe ieh sehon frfiher ~) beriehtet. Andererseits ergeben sieh im Laufe einer jahrelangen, aus- sehlieglich solehen Zwecken dienenden Tierhaltung sehr viele nnbeab- siehtigte Nebenergebnisse, besonders dann, wenn die gleiehzeitige Haltung mehrerer Arten dazu beitrggt, immer neue Situationen zu sehaffen. So kalnen h~ufig Antworthandlungen zur Beobachtang, die auf eine Ein- wirkung hin erfolgten, die nicht absiehtlieh yon mir gesetzt war, die aber dadureh~ dag sie als einzige Yeri~nderting im gewohnten natiirlichen Lebensraum auftrat, eindeutig die auslgsende Ursaehe jenes Antwort- verhaltens war. Ein solches Zufallsexperiment hat den Vorteil, dag es -con einem wirklieh unvoreingenommenen Beobaehter registriert wird. Bei der feinen Differenziertheit maneher tieriseher Verhaltungsweisen,

1) Betraehtungen iiber das Erkennert tier arteigenen Triebh~ndlungen tier VSgel; J. Orn. 1932~ p. 50--98.

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insbesondere, we es sich um Ausdrucksbewegungen und -laute handelt, ist es h6chst wertvoll, wenn der Beobaehter yon jeder Hypothese nach- weislich vollkommen frei ist.

~ast sSmtliche hier verwerteten, das Kumpanproblem beleuehtenden Tatsaehen entstammen solehen Beobaehtungen und ungewollten Ex- perimenten, die Ms Nebenergebnisse der erw~hnten ethologisehen Unter- suchungen gebueht wurden. Sie sind nieht zielbewul~t gesammelt, sondern yon selbst im Lauf der Jahre zusammengekommen, und daraus erkliirt sieh aueh ihre Lfickenhaftigkeit, der dureh nachtrgtglieh mit Hinblick auf die vorliegende Darstellung nnternommene Versuehe nur zum kleinsten Tell abgeholfen werden konnte.

Ieh sehe jedoch weder in der Liiekenhaftigkeit der Beobachtungen, noeh in ihrem weiten zeitliehen Auseinanderliegen ein Hindernis fiir ihre wissensehaftliche Verwertung, noch aueh in der Tatsache, daf~ sie Nebenergebnisse yon Untersuchungen sind, die eigentlieh anderen Zwecken galten. Auch hoffe ieh dadureh, dag ieh schon jetzt mit meinen viel]eieht unriehtigen 3~[einungen hervortrete, einschl~gige Be- obaehtungen anderer Tierkenner zu erfahren.

2. Das Experiment.

Wenn CLAPAR~DE gegen die Beobachtung und zugunsten des Ex- perimentes einwandte, dal3 erstere das Studinm veto Zufall abh~ngig mache und unverhgltnismgf]ig viel Zeit beanspruche, so ist dem ent- gegenzuhalten, dag das Experiment ohne Kenntnis der natfirliehen Verhaltnngsweise in den meisten Fallen vollstgndig wertlos ist. [ch bin der Ansicht, dag m an vergleichende Psycho]ogle als eine b i o 1 o g i s c h e Wissenschaft betrachten und betreiben mug, aueh dann, wenn dieser Standpnnkt es mit sich bringt, dal3 man sehr viele, allgemein anerkannte tierpsyehologisehe Arbeiten vorl~i~lfig ablehnen muK Aber bevor nicht der ]3auplan der Instinkte einer Tierart und dessen Funktionieren unter den natfirliehen Lebensbedingungen, unter deaen die Art diesen Bauplan ausgebildet hat, wenigstens im Groben bekannt ist, sagen aueh die rein auf den Intellekt geriehteten tierpsychologisehen Versuche au c h f ibe r L e r n f g h i g k e i t und I n t e l l e k t d e r T i e r e n i c h t s aus , da bei Verha]ten der Tiere nie feststeht~ was anf Rechnung yon er- erbten Triebhandlungen und was auf Rechnung des Lernens und des Intellektes zu setzen sei. Ohne genaueste genntnis des Instinktbau- planes eines Tieres weil~ man far nicht, wie s c h w e r alas g e s t e l l t e P r o b l e m ffir das T i e r sei. Es besteht immer die MSglichkeit, dal~ die untersuehte Art fiber eine ererbte und zufiillig auf die Situation

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des Experimentes passende und in dieser Situation aueh zur Ausl6sung kommende T r i e b h a n d l u n g verfiigt. In diesem Falle kann eine Ver- haltungsweise als Intelligenzleistung gebueht werden, die mit Intellekt iiberhaupt nichts zu tun hat.

So wird in HE~tPEr,MASN'S ,,Tierpsyehologie" and in BIEIgE?XS DE HAA>¢'S Arbeit ,,Der Stieglitz als SehSpfer" (Journal f. Ornithologie 1933) das eine Mal yon Nelson, das andere Mal vom Stieglitz das im Experiment anftretende l~'esthalten der Nahrung mit dem Fuge be- sehrieben und in beiden Fgllen mit dem Verhalten anderer V5gel, die das nicht tun, in einer Weise verglichen, die im Uneingeweihten un- bedingt den Eindruek erweeken mug, es handle sich bei l~[eise und Stieglitz um ein gegeniiber den mit ihnen vergliehenen Arten hoeh- wertigeres intellektuelles Verhalten. In keinem der beiden Fittle wird die Tatsache erw~ihnt, dal~ diese Bewegungskoordination den Meisen und dent Stieglitz instinktmiigig, reflexmggig angeboren sei und genau ebensoviel mit Intellekt zu tun habe, wie der Umstand, dag wir Mensehen dureh regelmiil3iges Zwinkern mit den Augenlidern unsere Hornhaut vor verderblicher Anstroeknung bewahren. Nur darin, dal3 der Stieglitz and die Meise ihre Triebhandlung in der neuen, nieht naturgemggen Situation a n w e n d e n lemon, ist eine L e r n l e i s t u n g zu erblieken. Die starre Instinkthandlung lgBt sich so gut wie ein unvergnderliehes Werkzeug nnter Umstiinden zn neuen Zwecken ver- wenden. Zwisehen dem einsiehtigen Ban eines neuen Werkzeuges und dem dressurmiissigen Gebrauch eines ererbten ist ein Untersehied.

Abet nieht nut das natiirliche, auf Erbtrieben heruhende Verhatten einer Tierart mtissen wit kennen, b e v o r wir zum Experiment sehreiten, sondern aueh ganz allgemein miissen wit ihro Verhattung'sweisen, aueh dis individuell veriindefliehen, kennen, wenn wit eine bestimmte yon ihnen niiher untersuehen wollen. Um ein Beispiel herauszugreifen: Eine Fehlerquelle, die bei sehr vielen Labyrinth- and Vexierkasten- Versuehen tiberhaupt nieht beriieksiehtigt ist, liegt in der Tatsaehe, dab jede Panik die verstandesmgl]igen F:~ihigkeiten gerade der h5ehsten Tiere auf nahezu Null herabsetzt. Wenn ieh einen geistig hoehstehenden and gerade deshalb leieht erregbaren Vogel beispielsweise bei einem Umweg- versuch aueh nut im Leisesten in Fureht versetze, wird seine Verstandes- leistung sofort weir hinter der eines viol diimmeren Tieres zuriiekbleiben, das auf dieselbe Veriinderung der Umgebung nieht mit Fureht anspricht. Zahme and scheue Sttieke derselben Art geben dann natiirlieh ganz versehiedene Ergebnisse. Das Resultat ist dann ebenso falsch, wie wenn ieh die Intelligenz yon Homo sapiens danach beurteilen wollte

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dal] beim Wiener Ringtheaterbrand, 1881, die in Panik geratene Menschenmenge vor dem Umwegproblem versagte, das ihr durch den Umstand gestellt wurde, dal~ sich die Tiiren des Theaters naeh innen, start nach auBen 5ffneten. Um solehe Feinheiten in der Psyehologie, bei sehr hochstehenden Tieren aueh in der Individualpsychologie, be- urteilen und um derartige Fehler ans den experimentell gewonnenen Resnltaten ausmerzen zu kgnnen, ist aber eine l a n g d a u e r n d e A l l - g e m e i n b e o b a e h t u n g u n b e d i n g t v o n n S t e n , die d e m B e g i n n d e r V e r s u e h e v o r a n z u g e h e n hat. ~Ver zu einer solehen, zu- n~ehst anf gar kein bestimmtes Ziet geriehteten Beobaehtung keine Zeit zn haben meint, lasse tiberhaupt die Hiinde yon der Tierseeten- kunde.

Wohl das einzige Teilgebiet der Psyehologie, das beim Tierexperiment der Kenntnis der instinktmiigigen Verhattnngsweisen des Versuehstieres entraten kann, ist die Psyehologie der Wahrnehmung. Far sie ist eben die Reaktion auf den gebotenen Reiz an sieh nebens~ehlieh nnd nur insoweit wiehtig, als sie eine eharakteristische und objektiv feststellbare A ntwort auf eine bestimmte Wahrnehmung darstellt.

3. Die Verwertung fremder Beobachfungen.

Ein groger Nachteil der reinen Beobaehtung im engsten Sinne, den wit hier ruhig eingestehen wollen, liegt in tier Sehwierigkeit ihrer Mitteihmg an andere. W~hrend das Experiment dureh die Naeh- ahmbarkeit der Versuehsbedingungen einen hohen Grad der Objektivitiit erreicht, triftt das ftir die reine Beobaehtung leider nieht zu.

Die grol~e Sehwierigkeit bei der Untersuehung und Aufzeiehnung der VerhMtungsweisen h6herer Tiere liegt darin, dag der Beobachter selbst ein Subjekt ist, das dem Objekt seiner Beobachtung zu gthntieh ist, als dal? eine wirkliehe Objektivit~t erreieht werden kSnnte. Der ,,objektivste" Beobaehter hgherer Tiere kann nieht umhin, sich immer wieder zu AnAogiesehltissen mit den eigenen Seelenvorgi~ngen hinreigen zu lassen. Schon unsere Sprache z win gt uns geradezu~ ,,Erlebnis-Termini" anzuwenden, die nnserem eigenen Innenleben entnommen sind, yon ,,Sehreek"-Stellungen, ,,Wut"-Aeugerungen und dergleichen zu redan. Bei niederen nnd uns selbst systematiseh fernstehenden Tieren ist es leiehter, sich yon solchem ungewollten Analogisieren frei zu halten; kein Beobaehter hat je die Angriffsreaktion eines Termitenkriegers mit Wut, die Abwehrreaktion eines Seeigels mit Schreek in Zusammenhang gebraeht.

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Es w'~re aber eine mtiNge Prinzipienreiterei, woltte man arts der Beschreibung yon Verhaltungsweisen h5herer Tiere jeden in der Be- schreibung menschlichen Innenlebens gebrauchten Ausdruck fernhalten. Nur miigte man diese Ausdriieke i m m e r n u r im s e t b e n S i n n e gebrauehen. Die Ausdriicke, die die biologisehe Forschung zur Be- schreibung psychischer Verhaltungsweisen niederer Tiere e r s t p r ~ g e n mugte, da sie tier Umgangsspraehe fehlen, werden ganz allgemein im Sinne des PrSgers des betreffenden Ausdruekes priorit~itsgem~B immer nur im gleiehen, eng begrenzten Sinne gebraueht. Die Ausdriicke jedoeh, die zur Beschreibung des eigenen Innenlebens schon yon vorn- herein in der Umgangsspraclle gegeben waren~ haben ihre Vieldeutigkeit aus der Umgangssprache in die wissensehaftliehe Literatur mitgenommen. Aueh das Umgekehrte ist vorgekommen. Das Wort ,,Instinkt" hat seine wissenschaftliehe Verwendbarkeit dadnreh fast eingebiigt~ dab es in die Umgangssprache Aufnahme fan&

AuBerdem liegt eine Fehlerquelle bei der Benutzung yon Be- obachtungen anderer darin, dab der eine Ausdriieke aus dem menseh- lichen Seelenleben nut dort anwenden will, wo er wirklich Homologien sieht, tier andere sie abet aueh dort braucht, wo nur oberfl~ichliehe Analogien vorliegen. Wir m5gen einmal bei der Beobachtung der Fluchtreaktion einer Garneele, die mit den Antennen an die Tentakel einer Aktinie kommt, sagen: ,,Jetzt ist sie erschrocken" oder bei tier Beobachtung eines heranreifenden jnngen Vogelm~nnchens, das seinen Balzlaut noch nicht vollkommen herausbringt: ,,Nun will er was sagen und kann noch nicht". Diese Aussagen stehen aber unter uns bewut3ten Anfiiilrungszeichen; sehr viele Beobaehter, und zwar auch psychologisch geschulte, s c h r e i b e n so etwas hin, ohne dal~ man entnehrnen kann, ob es mit oder ohne Anfiihrungszeichen gemeint sei.

Aber auch abgesehen yon diesen rein sprachlichen Schwierigkeiten in der Uebermittlung des Gesehenen liegt die altergrSgte Fehlerquelle bei tier Verwertung fremder Beobachtungen darin, dag zwei, die auf das Gleiche blicken, nieht Gleiches sehen~ mit anderen Worten, dal3 jeder 3iensch Mar in seiner eigenen Umwelt lebt. Vor allem die Tat- sache, da~ ein Beobachter an einem bestimmten Tiere etwas n i c h t gesehen hat, berechtigt nie zu negativen Aussagen. Wenn ich nun ira Folgenden auger eigenen Beobachtungen nur solche yon Forsehern ver- wende, deren Standpunkt dem meinen ~hnlieh oder gleich ist, so ge- sehieht dies nicht aus Engherzigkeit oder gar etwa, um Tatsaehen zu versehweigen, die meinen gypothesen widersprechen. Ich tue das nur, weil es nur in diesem Falle gelingt, zwischen den Zeilen za lesen und

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eine der Selbstkritik ~hnliche Kritik zu iiben; well es nur dann mgglieh ist, das k~iedergelegte wirklieh zu verstehen. Dazu ist es sehr nfitzlieh, wenn man den Autor persSnlich genau kennt. Wenn ich zum Beispiel irgend eine Beob~chtung meines Freundes Hons~ S.~EWERT lese, so weiB ich mit guter Ann~herung an die Wirklichkeit, was das yon ibm beobachtete Tier d~mals wirklieh get~n hat. Bei der Lektfire der in LLoyD MOnGA~S Biichern niedergelegten Beobachtungen k~nn ieh mir nut eine h5ehst unsiehere Vorstellung hiervon m~chen. Damit ist n~tfirlich g~r niehts fiber den Wert der Beobaehtungen verschiedener Autoren ~usgesagt. 1Wur w~ire es hSehst irrefilhrend~ wol]te man sie in gleicher Weise verwerten.

Aus diesen Grfinden werde ieh n~ehstehender Abh~ndlung auger eigenen Beob~ehtungen nur die verh~ltnism~l]ig sehr weniger Tier- beobaehter zugrunde legen. Unter diesen sei besonders mein v~terlicher Freund hI~i~oT~ genannt~ mit dessen Ansichten und Auff~ssungen fiber Tiersee]enktmde die meinigen, schon bevor ieh ihn kennenlernte, so weitgehend ~ibereinstimmten, d~l~ die Frage, wieviel yon seinem geistigen Eigentume ieh mir angeeignet babe, nicbt mehr zu kl~ren ist, gliieklicherweise aber auch nicht gekl~rt zu werden br~ueht. Jedenf~lls sei mir verziehen, wenn ieh bier manehmal seine Gedanken ohne be- sondere Anffihrung seines N~mens d~r]egen sollte.

4. Das Beobachtungsmaterial.

Da~ M~teri~l zu den im Fo]genden verwerteten Beobachtmlgen und teils be~bsichtigten, tells unbeabsiehtigten Versuchen ]ieferten mir folgende VSgel, die ieh im Laufe der Jahre f r e i f l i e g e n d gehalten h~be. (Ieh gebe auch die Zahl der untersuehten Individuen an~ da ich grol3en Wert darauf ]ege, -con jeder Art mSglichst viele Individuen zu halten, um reich vor falsehen Ver~llgemeinerungen zu bewahren. ~Tatfirlieh babe ieh, besonders yon den Arten, die mit besonders hohen Zahlen verzeichnet sind~ nieht alle Stiieke gteiehzeitig gehalten, vielmehr er- streekten sich die ttaltungsversucbe fiber viele Jahre.) 15 Seidenreiher, 32 Nachtreiher, 3 Rallenreiher. 6 Weifie und 3 Schwarze StSrche, vide Stockenten, vide Hochbrutenten~ viele Tfirkenenten in der Domestikations- form, 2 Brautenten, 2 Gr~ug~nse, 2 M~use- und 1 Wespenbussard, 1 Kuiseradler, 7 Kormor~ne, 9 Turmfalken, ungef~hr 1 Dutzend Gold- fas~nen, 1 M~ntelmSwe~ 2 Flultseeschw~lben~ ~2 grol]e Gelbh~ubenkakadus, 1 Amazoneap~p~gei, 7 MSnehssittiche, 20 Kolkraben, 4 Nebel- and 1 R~benkrhhe, 7 Elstern, welt fiber 100 Dohlen, 2 Eiehelh~her, 2 Alpen- dohlen, 2 graue Kardin~le und 3 Gimpel. Die in engerer Gefangen-

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schaft beobachteten ¥Sgel aufzuzi~hlen eriibrigt sich woM, da die an solchen gewonnenen Beobachtungen hier nur wenig Verwendung finden werden.

Es sei mir eine angenehme Pflieht, an dieser Ste]le allen jenen zu danken, die reich durch Ueberlassung lebender V6gel untersttitzt haben. Vet allem sei den Leitern der zoologischen G~irten Wien-SehSnbrunn und Berlin fiir unsehiitzbare Untersttitzung auf das innigste gedankt. Ferner fterrn Dr. En~-s¢ Se~0z, Rossitten, Herrn FRO3~OLD, Essen, Frgutein S~:LVlA und Oberst AuGusT yes S~?IESS, Hermannstadt (Sibin), welch letzteren ieh das wahrhaft fttrstliche Geschenk yon 1'2 Seidenreihern danke.

Wie man sieht, spielen in der Answahl des Materi~ls die do- mestizierten Formen eine sehr geringe Rolle. Nnr mit groger Vorsicht werden die an ihnen gema&ten Beobachtungen verwertet werden. Das hat folgenden Grund: Naeh nnserem Dafiirhalten sollte das Schwer- gewicht der Bedeutung der gesamten Tierseelenkunde vorli~ufig mehr auf die Erforsehung des triebm~tgig Angeborenen als auf diejenige der variablen Handlungsweisen, des Erlernten und des Verstandesm~tgigen, gelegt werden, vor allem, wie sehon dargetan, deshalb, weil man in Un- kenntnis des triebmi~ftigen Verhaltens eines Tieres hie weift, wie weit seine Lernleistung und seine Intelligenzleistung geht. An der Wiehtigkeit der Erforschung der ererbten Verhaltungsweisen wird ja auch niemand zweifetn. Nun zeigt sich abet bei n~iherem Studium der Triebhandlungen domestizierter Tiere and bei genauem Vergleich mit den zugehSrigen Wildformen, insbesondere bei VSgeln, dag die Domestikation im Ge- biete der Erbtriebe ganz ghnliehe A u s f a l l s m u t a t i o n e n e r z e u g t wie auf kSrperliehem @ebiete. Der Versueh, an Haustieren Trieb- handtungen zu studieren, mntet mieh immer so ~hntich an, als wollte man an einem weigen Peking-Erpel Untersuehungen fiber Strukturfarben der Vogelfeder anstellen. Dabei wgre man im Ietzteren Falle noch insofern besser daran, weil man da die Ausf~lle si e h t, welchen Vorteil man bei der Untersnchung der Verhaltungsweisen nicht geniel~t. Dabei mnt~ man sieh aber noeh ~or Augen halten, dab bei VSgeln noch weitaus der grSBte Tell des gesamten Verhaltens triebbedingt ist. 2ffan kann natiirlich mit einigem Geschiek und biologisehem Taktgeftihl auch aus dem triebmgd3igen Verhalten domestizierter VSgel in iihnlieher Weise dasjenige tier Wildform rekonstruieren, wie man etwa aus den F~rbungen versehiedener gescheekter Hausenten, die an v e r s ch i c d e n e n Stellen ihres KSrpers weige Flecken haben, die Wildfiirbnng wieder bereehnen kann. J3esonders gut gelingt dies B~/dcxsE~ in seiner Arbeit ,,Unter- suehungen zur Tiersoziologie, insbesondere zur AnflSsung der Familie",

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die sich al:sschlieBlich auf die Beobachtung yon Haushiihnern stiitzt. Er sagt zwar in seiner Eitlleitung: ,,Selbst wenn die primiiren sozialen Instinkte dieser Tiere abgebogen sein sollten, so hindert nichts, die jetzt bestehenden Verhiiltnisse zum Gegenst~nd einer Untersuchung zu machen." Im iibrigen bemtiht er sich jedoch, und zwar mit dem besten Erfolg, abnorme Reaktionen nicht mit auszuwerten. Um aus seiner sonst ganz ausgezeiehneten Arbeit einen Irrtum anzufiihren, der typisch aus der Vernachliissigung der Art und Weise entspringt, in der Aus- fallmutationen in Triebhand]ungsketten erscheinen und ,,umhermendeln", mSchte ieh folgende Angabe Bat~c~Z~l~S anffihren: ,,Nicht alle Glucken ftihren gteich gut. Es gibt Glueken, die bertihmt sind fiir ihre priichtige Art zu fiihren und die man sich zu diesem Zweeke ausleiht. Es gibt andere~ die diese wiehtige Aufgabe nur mangelhaft erledigen. Das ist Temperaments- nnd PersSnlichkeitsfrage". Dem ist entgegenzuhalten, dab m~m zwar vielleicht das st~rl:ere odor schwiichere rnatative Ausfallen yon arteigenen Triebhandlungen als Versehiedenheit der ,,Pers6nlichkeit" bezeichnen kann, sieher aber nicht als eine Verschiedenheit des Tem- peramentes. Jedenfalls ist festzustellen, dab j e d e gesunde Wildhenne, sei es Bankiva odor Goldfasan, selbstverstiindlich v o l l k o m m e n dem I d e a l der Glucke entsprieht. Ein Elterntier, das sieh seiner Aufgabe nur mangelhaft entledigt, gibt es innerhalb der normalen Variations- breite einer Witdform n i c h t odor hSehstens als eine nur in einem Individuum auftretel~de Mutante, die verdammt ist, ohne Erben zu bleiben.

Die Variabilitiit der domestizierten Formen gehorcht eigenen Ge- setzen, die sieherlieh ganz andere sind aIs die der normalen Wild- form. Welche Faktoren mSgen es wolff sein, die in der Erbmasse einer Art, beispielsweise der Stockente, die hiibsche und an genau be- stimmten Einzelheiten so reiche Gefiederzeiehnung durch Jahrtausende festgehalten haben, die abet in tier Domestikation ausfalten, sodal~ inner- halb so kurzer Zeit ein solch regelloses Mutieren tier F~rbung einsetzte ? Wir wissen es nicht, und wenn wir die Gesetzmiil~igkeiten der Ver- haltungsweisen yon Haustieren untersuehen, so untersuchen wir Gesetz- m~l]igkeiten, die yon solehen giinzlieh a~derer Art tiberschnitten und zum groBen Toil aufgehoben werden. Dadureh liegen die Dingo zwar nieht chaotisch, aber dutch das Gegeneinander zweier g~nzlich ver- schiedenor .Prinzipien~ yon denen noch dazu das eine hart an die Patho- logie grenzt, ergibt sich eine solehe Komptikation, dab die geringen Vorteile der Untersuehung yon Haustieren, die ja zum grGflten Teile in der Bequemlichkeit der Besehaffung und Haltung gelegen sind, mehr

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als wettgemacht werden. Bevor wir Variationen studieren, mfissen wir das Grundlnotiv, das variiert wird, kennen. Wenn ich auch die Itaushuhn- Arbeiten yon KATZ, SC~JELD~,~s-EBBE und in neuerer Zeit BR~CKNER sehr bewundere und roll anerkenne, so wage ich doeh mit roller Be- stimmtheit die Behauptung, dal3 die allgemein wichtigen Ergebnisse dieser Arbeiten welt grSl]er gewesen wgren~ wenn eine undomestizierte Form zmn Versuchstier gewghlt worden w~ire, ich will einmal sagen,. die @raugans start des Haushuhns. Insbesondere gilt dies fiir die schon genannte Arbeit yon BRi%KNn~ fiber die Aufl6sung der Itiihner- farLtilie. Gerade die yon B~i%K~ER beschriebene Form der AnflSsung kommt niimlich n u r der d o m e s t i z i e r t e n Hiihnerform zu. Nur die Haushenne jagt ihre Kficken durch ,,Abhacken" yon sich, denn nur die Haushenne beginnt mit nenem Legen~ bevor die Kiicken sie freiwillig verlassen haben. In diesem Falle haben also die Kficken noch die normalen Triebhandlungen der Wildform, die mit den durch die Ziichtung auf ununterbrochenes Eierlegen veriinderten, oder besser verkiirzten, der alten [~enne nicht mehr harmonieren. Ein Wegbeil~en der Jungen habe ich bei keiner einzigen nndomestizierten Vogelform gesehen, wohl aber in versehiedenen Fi~llen~ wo es im Schrifttum angegeben wird~ nachweisen k~innen, dal] die Aufliisung der Familie yon den Jungen ausgeht. Genau so wie der Beginn der Elterntriebhandlungen dem der- jenigen der Kinder entspricht und entsprechend dem Baaplan dee art- eigenen Triebhandlungssystemes mit ihnen zusammenpal3t, hSren sie auch harmonisch gleichzeitig anf, wean nicht der Mensch aus dem Elterntier durch planmgfiige Zfichtnng eine Eierlegmaschine gemacht hat. Wena wit im Ablauf yon Triebverschr~nkungen yon Eltern und Kindern Reibungen sehen, lieg~ nns immer schon der Gedunke an Pathologisches nahe.

5. Die prinzipielle Einstellung zum lnstinktproblem.

Da die hier vertretenen Anschanungen und Hypothesen anf einer ganz bestimmten Einstellung zn den Fragen des Instinktproblemes auf- gebaut sind, erscheint es notwendig, diese prinzipietle Einstellung in Kfirze darzutun.

Es ist eine nnter Biologen weitverbreitete Anschauung, dab instinkt- miil~iges Verhalten sozusagen ein phylogenetischer Vorlgufer jener variableren Verhaltungsweisen sei~ die wir als ,erlernt" oder als ,,ein- sichtig" bezeichnen (W. K6~LEn). LLOXD ~IO~AN beschreibt in seinem Buche ,[nstinkt und Erfahrung", wie erlerntes Verhalten in fliel~endem Uebergange aus instinktmiil3igem entstehen ktinne, indem die Erfahrung

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gegebene instinktive Grundlagen Mlmghlieh modifiziere nnd an bestimmte Ziele besser anpasse. Diese Anschauung MoI~Gaxs wird yon einer grol3en Zahl deutscher Tierpsychologen geteilt. Es ist eine undankbare Aufgabe, einer herrschenden Meinung entgegenzutreten, aber ieh erachte es ffir Pflicht, nieht dutch Autoritgt beeinftul3t zn werden.

]eh vertrete die Anschauung, dab die Instinkthandlung etwas fundamentM Anderes sei, als atle anderen tierisehen VerhMtungsweisen, mSgen diese nun einfaehe erworbene Automatismen, verwickelte Dressur- handlungen oder hSchste, auf Einsieht beruhende Intelligenzleistungen sein. Ich vermag keine Trennnngstinie zwisehen reinen Instinkt- handlungen und ~us unbedingten Reflexen aufgebauten Reflexketten zu erblicken, wobei ich abet betonen mul3, dag ich ~uch fiir den reinen Reflex eine strikt mechanistisehe bMmtheoretisehe Erkl~rung ablehne. Ieh betraehte die Instinkthandlung a]s u n h o m o 1 o g zu allen erworbenen oder einsichtigen Verhaltungsweisen, mag die funktionelle Analogie in einzelnen Fallen noch so welt gehen. Ieh glaube auch nieht an die Existenz genetiseher Ueberg~inge zwisehen beiden Verhaltungstypen.

Diese Ansehauungen entwickelte ich ursprfingtich vollkommen naiv, als eine Selbstverst~ndlichkeit, die, wie ieh meinte, jedem praktischen Tierkenner in die Augen springen mfi~te. In meiner damaligen Un- belesenheit legte ieh sie meinen ersten Arbeiten als selbstverst~ndlich zu Grunde, ohne sie besonders zu betonen.

Ich bin mir voltkommen bewu~t, dab diese vorl~iufig nar als Arbeitshypothese aufgeste]tten Behauptungen beim hentigen Stande unseres Wissens nicht bewiesen werden kSnnen. Bevor ieh daher die Tatsaehen anffihr% die mit meiner Ansehauung im Einktang stehen and sie als w a h r s c h e i n 1 i c h erscheinen lassen, will ieh beweisen, dab die herrsehende Ansehauung fiber die Beeinflul~barkeit der Instinkt- handlungen dureh Erfahrung rein dogmatisch ist und da~ ihr noch viel weniger beweisendes TatsachenmateriaI zugrunde liegt.

Als klassisehes Beispiel fiir adoptive 1VIodifik~tion einer instinktiven Grundlage dureh Hinzukommen yon Erfahrung Nhrt iVfo~G~t~ das t~liegenlernen junger Schwalben an.

Ieh habe ernste Einw~nde dagegen, den allmiihliehen Fortschritt im FliegenkSnnen eines Jungvogels als.endgiiltigen ]~eweis einer Be- einflul3barkeit der Instinkthandlang dutch hinzukoramende Erfahrung gelten zn lassen.

Erstens w~re zu fordern, dag in allen F~llen, wo yon einem L e r n - Vorgang gesproehen wird, ein blol3er R e i fu n g s v o r g a n g mit Sieher- heir aasgeschlossen werde. G enau wie ein heranreifendes Organ kann

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die sich entwickelnde Instinkthandlung eines dungtieres in Ti~tigkeit treten, b e v o r ihre Reifungsvorg~nge abgesehlossen sin& Die Ent- wicklung einer triebmN3igen Re'~ktion nnd der zu ihrer Ausffihrung nStigen Organe mtissen nicht notwendigerweise zeitlich zusammenfallen. Wenn die Entwieklung der Handlung der des Organes vorauseilt, ist der Tatbestand leicht zu durchschauen: Die Kiicken aller EntenvSgel haben nnverhNtnism~gig kleine und gi~nzlieh unverwendbare Fliigel. Trotzdem zeigen sie in ihrer Kampfreaktion, die sehon in den ersten Lebenstagen auslSsbar ist, genau dieselbe Koordination der Fliigel- bewegungen wie die erwachsenen Tiere ihrer Art, die mit stark ge- winkeltem Handgelenk auf den Feind eindresehen. Dabei sind die Fliigel der Kiicken so nnproportioniert kurz, dat3 sie bei der trieb- mNtig ererbten, auf die Abmessungen des erwachsenen Vogels abge- stimmten K~mpfstellung den Gegner iiberhanpt ~ieht mit dem Fliigel beriihren kSnnen. Wenn, umgekehrt, die Entwicklung des Organes frtiher beendet ist als die des Instinktes, der zu seinem Gebraueh die Anleitung gibt, so sind die Zusammenh~tnge nieht so offensiehtlieh. Bei vielen gSgeln, so aueh bei Sehwalben, viel deutlieher bei Grol~- vSgeln wie StSrehen, Adlern u. ~., sind die Flugwerkzeuge funktions- f~hig, beret die Koordination der Flugbewegungen vorhanden ist. Wenn dann das Heranreifen dieser Koordinationen im Begriffe ist, die vorausgeeilte Entwieklung des Organes einzuholen, so sieht das Benehmen des Jungtieres ganz so aus, als lernte es, wi~hrend in Wirkli&keit ein innerer ReiNngsvorgang auf genau festgelegter Bahn fortsehreitet. Auf einige wenige, neben diesen ReifungsvorgEngen statt- findende Lernvorgiinge werden wir noeh zuriiekkommen.

Der AmeNkaner CAR~IC~A~n hat Embryonen yon Amphibien in sehwaehen Chloretonlbsungen dauernd narkotisiert gehalten, was merk- wiirdigerweise ihre k6rperliehe Entwieklung nieht hemmte~ aber s~imt- liehe Bewegungen vollst~ndig unterdrtiekte. Als er sie in spi~ten Ent- wieklungsstadien ,,erwaehen" liel~, untersehieden sieh ihre Schwimm- bewegangen in Niehts yon denen normaler Kontrolltiere, die diese Be- wegungen seit vielen Tagen ,,geiibt" batten. Wit kbnnen nattirlieh mit ,IungvSgeln dieses Experiment nieht naehmaehen, abet einige Tat- sa&en seheinen darauf hinzudeuten, dab aueh hier die Verhi~ltnisse iihnlich liegen. So verlassen die Jungen der Ringeltaube, Columl)a pal~tmbus, das Nest sehr friih, wenn die Sehwungfedern noeh reeht kurz und noch im Blutkiel sind. Bei tier Felsentaube, bei der ats FI5hlen- briiter die Jungen im Neste offenbar weit weniger gefi~hrdet sind als bei dem vorher genannten offenbriitenden Verwandten, tritt das Aus-

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fliegen aus dem Nest erst ein, wenn Sehwingen und Steuerfedern votl- kommen ausgewachsen and verhornt sind. Obwohl nun Felsentauben in diesem Stadium noeh gar keine Uebung im Fiiegen haben, gleiehweit entwiekelte Ringeltauben aber sehon seit vielen Tagen umher fliegen, sieht man nieht den geringsten Unterschied in der Flugf~higkeit beider.

Mein zweiter Einwand ist der, dab weder MoReA~¢ noch einer tier ibm folgenden Biologen die unleugbare Existenz einer Erscheinung b eriicksiehtigt, die ich in einer frtiheren Arbeit 1) als , T r i e b - D r e s s u r- v e r s c h r ~ n k u n g " bezeichnet habe. Es ist eine Eigentiimlichkeit sehr vieler Verhaltungsweisen der VSgel and anderer Tiere, dab in einer funktionell einheitlichen Handtnngsfolge triebm~Big angeborene and individuell erworbene Glieder in g~nzlich unvermittelter Weise anf- einanderfolgen. Die Vernachl~ssigang des eingeschMteten Dressur- verhaltens mul~ notwendiger Weise dazu fiihren, dag der rein trieb- m~l]igen Handlung eine Ver~nderliehkeit zugeschrieben wird, die ihrem Wesen vollkommen fremd ist.

Eine Triebdressarverschr~nkung ist als eine Kette yon vielen unbe- dingten Reilexen aufzufassen, zwischen denen ein bedingter Reflex eingeschaltet ist. Bei hSherer Komplikation der Handlungsfolge k6nnen es auch mehrere sein. Besonders h~iufig b e g i n n t eine derartige Ver- sehriinkung mit dem bedingten Reflex. Wie bei den einfaehsten be- dingten Reflexen, so ist auch bei verwiekelten Triebdressurversehriin- kungen~ das Erworbene besonders h[iufig das a u s l S s e n d e M o m e n t de r R e a k t i o n , in Gestalt einer Gruppe yon Merkmalen, die das reagierende Subjekt zu einem Schema vereinigt. Dieses e r w o r b e n e auslSsende Schema bringt dann dareh sein Anspreehen die im iibrigen rein reflexm~Bige gandlangsfolge in Gang. O. KO~HL~R bezeiehnet die Nomenklatur Paw Low?s als eine ,,Verwiisserung des Reflexbegriffes". Ieh mSehte dieser Ansieht durehaus beistimmen und vorsehlagen, statt des Ausdruekes ,bedingter Reflex" das Wort Reflex-Dressurversehriinkung einzuffihren and so die Zweiheit und Versehiedenheit der Faktoren zum Ausdruek zu bringen.

Ein Beispiel einer Triebdressurversehr~inkung bildet die Reaktion des Aufspiegens der Beute beim Neunt6ter, Lanius collurio. Dem Jungvogel ¢lieser Art ist n~imlieh nieht etwa die ganze Handlungsfolge des Aufspiel~ens eines Beutestiickes in allen ihren Beziehungen an- geboren, vielmehr fehlt ihm zun~ehst die triebm~l~ige Kenntnis des

1) t~etraehtungen fiber das Erkennen der ar~eigenen Triebhandlungen der VSgel, J. Orm LXXX, 1932, p. 50--98.

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D o r n e s , auf den die Beute gespiegt werden soll. Die gesamte Be- wegungskoordination des Aufspiet3ens hingegen ist angeboren, ebenso die Kenntnis der Tatsaehe, da• das A nfspiefien an einem festen Gegen- stand zn erfolgen hat. Der jungaufgezogene Neuntbter beginnt bald mit einem Bissen im Sehnabel die Bewegungen des Aufspiegens aus- zuftihren, zungehst abet wahllos an irgend einer Stelte seines Kgfigs und selbst, wenn in diesem zum Aufspiegen geeignete Dornen oder Niigel vorhanden sein sollten, ohne jede Beriicksiehtignng dieser Gebilde. Er fiihrt mit dem im Schnabel gehMtenen Fleisehstiiekehen wisehend an den Sitzstangen und Sprossen seines Kgfigs auf und ab und vollfiihrt yon Zeit zu Zeit die eigenttimtich ziehenden kleinen Ruekbewegnngen, die zum eigentliehen Aufspiegen im Bauplan der Triebhandlungskette vorgesehen sin& Diese Rueke erfolgen besonders dann, wenn der Vogel bei seinen Wisehbewegungen auf Widerstand st613t. Diese zweekrolle Eigentiimliehkeit bringt es mit sich, dag das raekweise Ziehen dann sofort eintritt, wenn r e i n z u f g l l i g einmM der Bissen an einem Nagel oder Dorn hakt. In sehr kurzer Zeig l e r n t dann der Vogel die Dornen als Objekt seiner im tibrigen rein angeborenen Triebhandlungskette kennen. Dnreh einen solehen, ausgesproehen einem L e r n e n gleieh- znsetzenden Vorgang werden nun in sehr vielen F~illen soznsagen Ltieken in Triebhandlungsketten ansgefiillt, Stellen, an denen in l-Iandlungs- ablgufe start des betreffenden Gliedes des Ablanfes eine ,,F~bigkeit zum Erwerben" zwisehen rein angeborene Glieder eingefiigt is t

Wenn wir bei verschiedenen Vogetarten jene Triebdressur,'er- schr~nkungen miteinander vergleichen, denen anMoge Funktionen zu- kommen, so finden wit hiiufig, dag bei der einen Art ein Gtied dieser Handlungskette angeboren ist, bei tier anderen das funktionetl anMoge Glied individaell erworben wird. Sehr deutlieh ist dieses v i k a r i e r e n d e Auftreten yon etwas Angeborenem auf der einen Seite und einer F~ihigkeit, die betreffendeVerhMmngsweise zu erlernen, auf der anderen beim Fliegen- ,,Lernen" junger VSgel. Da zeigt es sieh, dag hi~nfig bei tier einen Art die Fi~higkeit, Entfernungen riehtig abzuseh~tzen und Landungspunkte zielsieher zu treffen, durehaus angeboren und ohne jede vorherige Uebung sofort naeh dem Verlassen des Nestes in grSiiter Vollkommenheit vor- handen ist, wiihrend sie bei einer anderen in langdanernden ~ehlversuehen erworben werden mug. Oft ist dabei die Einwirkung eines biologisehen Zwanges naehweisbar: Junge t~ohrsi~nger, Wasserstare, aber auch manche FelsenvSgel, bei denen Mien das Verfehlen des Landungszieles yon be- sonders schweren Folgen wi~re, zeigen eine ganz besonders vollkommene angeborene F~higkeit, das Landungsziel im Raum zu lokMisieren. Hin-

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gegen haben junge Kolkraben sowohl die Fg.higkeit als auch bei ihrem sozusagen schrittweisen Verlassen des Nestes die Zeit, die entsprechenden Fithigkeiten individuell zu erwerben. Sehr wichtig ist bei vielen dieser Erwerbungsvorgi~nge jenesVerhalten, das wir mit GI~oss als S p i e l be- zeiehnen. Wenn wir bei einer sich entwickelnden Verhaltungsweise eines Jungtieres spie!erisehe Betgtigung beobachten kSnnen, so liegt uns stets die Vermutung nahe, dab in ihren Ablauf dressurvariable Glieder eingeschaltet seien.

Das deutlich v ik a r i e r e n d e Auftreten yon Instinkthandlung auf der einen Seite und erworbenen Verhaltungsweisen auf der anderen l~l~t sic als a n a l o g e F u n k t i o n e n im Sinne Ws~EI~'S erscheinen und macht das Vorhandensein yon Uebergiingen zwischen beiden sehr unwahrscheinlich.

Zweifellos enthalten die Triebhandlungsketten geistig tiefstehender Tiere im Allgemeinen weniger erworbene Glieder als diejenigen hSber- stehender Organismen. Wenn wir iiberbaupt die Frage aufwerfen sollen, in welcher Weise man sich das Verhalten beider im Laufe der Phy- logenese vorzustellen hat, so mSchte ich folgende Hypothese aufstellen: Instinktives Verhalten auf der einen, erlerntes und einsiehtiges Verhalten auf der anderen Seite sincl weder ontogenetisch noch phytogenetisch aufeinanderfolgende Stnfen, sondern entspreehen zwei divergenten Ent- wieklungsrichtungen. Wo immer einer der beiden Verhaltungstypen eine besonders hohe Spezialisation erfahren hat, verdrgngt er den anderen sehr weitgehend. In den PMlen, wo mit hSherer Entwicldung yon Lernfghigkeit und Einsieht die instinktmgL~igen Verhaltungsweisen sehrittweise zuriickgedr~ngt werden, halte ieh einen allm~hliehen Ueber- gang der ersteren in d~e letzteren ffir durehaus nnbewiesen und glaube nicht an seine MSgliehkeit. Ieh meine~ dati die starr triebm~il~igen Glieder einer Handlungskette keineswegs mit hSherer Entwicklung der LernfShigkeit und des Intellektes plastischer und durch Erfahrung besser beeinflut~bar werden. Vielmehr fallen sie~ eins naeh dem anderen, ganz aus und werden durch erworbene oder verstandesmiil]ige Verhaltnngs- weisen ersetzt. Aut3erdem kSnnen bei Erhaltenbleiben der triebmiil3igen Glieder neue, variable zwiseben sie eingesehaltet werden. W ie alle phylogenetischen Hypothesen kSnnen wir auch diese nur dureh Auf- stellung yon Typenreihen wahrseheinlieh machen. Dal~ wir aber bei dem heutigen, ungemein niedrigen Stand unseres Wissens fiber die Instinkth~indlungen hSherer Tiere fiberhaupt imstande sind, AnsEtze solcher Reihen anfzustellen, ist sehon etwas. Ftir die Wahrseheinlichkeit der herrschenden Meinung yon der allmEhlieh starker werdenden Be-

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einflussung der Instinkthandlung durch Erfahrung lassen sich keine derartigen Tatsachen erbringen. Ale Versuch einer solchen Reihen- bildnng raSgen die Versteckreaktionen zweier Rabenv/Jgel nebeneinander gestellt werden. Die Dohle reagiert, wenn sie einen zu versteckenden Bissen im Schnabel hat, blind auf die yon der Umgebung ausgehenden Reize and versteckt meist in dem tiefsten und finstersten der ihr ge- botenen WinkeI odor LScher. Sie ist auBerstande durch Erfahrung zu ]ernen, dal3 der Sinn der Versteekreaktion verloren geht, wenn sie sich yon anderen Dohlen beim Verste~ken zusehen laBt. Auch kommt sie nie dahinter, dab gewisse Oertliehkeiten ihren menschlichen Freunden unzuggnglich und dort versteckte gestohlene Wertgegenst~inde vor ihnen sicher sind. Der nahe verwandte, abet an Lernfghigl~eit und Intellekt ungleich h8her stehende [~olkrabe lernt schon in fl~dher Jugend, dab Verstecken nur einen Sinn hat, wenn einem niemand zusieht und ebenso~ dal3 Menschen mangels der f~higkeit zu fliegen nicht iiberall hinkSnnen. Bei ibm ist also das Wann und alas Wo der Versteck- handlungen im Gegensatz zur Dohle nicht triebhaft festgelegt. In jeder anderen Hinsicht ist aber die Versteckreaktion des Raben ebenso starr wie die der Dohle. Die Bewegungskoordinationen selbst werden nie ge~ndert, unterscheiden sich anch nicht yon denen der Dohle. Experi- mentelle Ver~nderungen in den natiirlichen Bedingungen des Hand- lungsablanfes zeigen auch beim l~nben deutlich den vollkommenen Mangel an Zweckvorstellungen, tier fiir die ererbten Triebhandhngen. bezeichnend ist.

Ich vermute, dab wir bei genauer Untersuchung der Funktions- plgne arteigener Triebhandlungen mSglichst vieler und womSglich ver- wandter Arten viel bessere und deutliehere Reihenbildungen auffinden werden.

In tier mehrfach zitierten friiheren Arbeit habe ich die Instinkt- definition yon ZI~GI~lZl~ zu tier meinen genmcht. Ich bin mir bewuBt, dab diese auf Bahntheorie und Zentrenlehre auf'gebaute Definition ge- wissen wiehtigen ganzheitlichen Regulationserscheinungen nicht gerecht wird. Ich erinnere an die Versuche yon BsTms, die eine weitgehende t£egulationsf~higkeit der angeborenen I~oordinationen der Gehbewegungen tier versehiedensten Tiere naehweisen. Wenn ieh damals die Starrheit der Triebhandlung so sehr betonte, so meinte ich ihre absolute Start*heir gegeniiber den Einfliissen der Erfahrung und des Intellektes. Ich betone, da$ gerade BETrrE'S Versuehe in klarer Weise zeigen~ dab die Re- gulationsFghigkeit tier ~[nstinkte eine Form der Plastizitgt ist, die mit L e r n e n und E r f a h r u n g nichts zu tun hat. V¢o die Koordination

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der Gangbewegungen in den Versuchen BETu~'s einer Regulation fiber- hanpt fi~hig war, war die tetztere s o f o r t ha& dem Eingriff in voll- kommener Weise fertig! Die Behauptung, dal3 Instinkthandhngen der Erfahrung gegeniiber unveriinderlich seien, wird durch die Ergebnisse BE*nE'S eher wahrscheiMieher als unwahrscheinlieher gemacht. Sie ffigen sich gut der kurzen Instinktdefinition D~IESCU's: ,,Instinkt ist eine Reaktion, die yon Anfang an vollendet ist."

Die schwer zu beweisende negative Feststellung, dal3 die Trieb- handlung durch Lernen unbeeinfluSbar sei, ist natiirlicb keine Definition. Dennooh weil~ ich nichts Besseres zu tun, als dieser einen negativen Aussage eine weitere hinzuzufiigen, um so den Begriff dessert, was ich bier unter Triebhandlung oder Instinkthandlung verstehe~ wenigstens etwas mehr einzuengen.

EDuA~I) C. To~xiA~ sagt in seinem ausgezeichneten Buche ,Pur- posive behaviour in animals and men": ,,We immer LernfRhigkeit in Bezug auf ein bestimmtes Ziel auftritt (und we, aul~er bei den aller- einfaohsten Tropismen und Reflexen wgre dies nicht der Fall?), haben wit die objektive Erscheinung und Definition dessen, was man passender ~Veise als Z w e c k bezeichnet." (Uebers.)

Diese objektive Definition des Zweckes in der Terminologie tier Be- nehmenslehre ist sehr wertvolI. Ich bin der Ansicht, dal3 man alte Arten n i c h t i n s t i n k t i v en Verhaltens, sei es nun andressiert oder einsichtig, als , , Z w e c k v e r h a l t e n " zusammenfassen kSnnte. Die Instinkthand- lungen jedoeh ermangeln der zweckvollen Vergnderlichkeit (,,docility rela- tive to some end") in einer so in die Augen springenden Weise, da~ diese ,behaviouristische:' Definition des Zweckes zu einer negativen Aussage fiber die Triebhandlung verwendet werden kann. Der Ansicht jedoch, dab ,,Lernfahigkeit in Bezug auf ein bestimmtes Ziel" nur in den ein- fachsten Tropismen nnd Reflexen mangelt, mu6 ich anf alas Nach- driieklichste widersprechen. Es ist zn betonen, da~ Ketten yon Instinkt- handlungen im allgemeinen umso starrer sind, je komplizierter sie sin& Die einfaehen Umwendereaktionen eines Seesternes, eines Pantoffeltieres zeigen viel eher einige Plastizit~it, als die Wabenbaureaktionen einer Biene. UEXKOLL hat einmal den Aussprnch getan: ,,Die Amoebe ist weniger Masehine, als alas Pferd." Im gleichen Sinne k6nnen wir sagen, da~ die both speziaiisierten Brutpflegehandlungen einer Hiindin viel reiner und einwandfreier ihre Reflexnatur offenbaren, als der einfaehe, aber bedingte Speiche],,reflex" eines PAwI, ow'sehen Hundes. Wir finden unter den hSher spezialisierten Triebhandlangen ebensowohl bedingte als unbedingte Reflexe. Man kann aber wohl sagen, dab bei den am

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h5chsten spezialisierten Handlungsketten, wie wir sie etwa bei den staatenbildenden Insekten finden~ unbedingte Reilexe iiberwiegen.

Bei den weniger verwickelten Triebhandlungen h~herer Wirbeltiere finden wir kaum je l~ngere rein triebm~ige Handlungsketten, sonderu meist hochkomplizierte Triebdressurversohr~nkungen. DaB diese h~ufig tier Analyse dureh die wenigen uns zu Gebote stehe~den Forsehungs- methoden nicht zug~nglieh sind und kaum je restlos aufgelSst werden dfirften, ist kein Grund~ die begriffliehe Trennung der erworbenen und der reflexm~igen Anteile nieht streng durchzufiihren.

Noch ein zweites yon TOL~IAN definiertes Charakteristikon des Zweckbenehmens kSnnen wir zur Einengnng unseres Begriffes der Triebhandlung verwenden. TOL~AN schreibt: ,,AuslSsende Reize allein sind nicht genug; es werden an~erdem gewisse Unterstiitzungen benStigt. Tierisehes Verhalten (,,Behaviour") kann nicht im leeren Raume ver- puffen. Es ben5tigt eine erg~nzende ,,Unterstfitzung", etwas~ das es aufreehterh~lt. Eine Ratte kann nicht ,,einen Gang entlanglaufen", ohne einen wirklichen FuSboden, gegen den sie ihre Fii~e stemmt, wirkliehe W~nde, zwisehen denen sie dahinsteuert". (Uebers.)

Man kSnnte kaum ein eindrueksvolleres Merkmal der Triebhandlung herausgreifen, als ihre Eigentfimlichkeit, mangels tier ~rtspezifisehen AuslSsung ,,ira leeren Raum zu verpuffen". Wenn unter den Be- dingungen der Gefangenschaft eine Triebhandlung mangels des ihr adaequaten Reizes nie zur AuslSsung kommt, so erniedrigt sich merk- wiirdigerweise die Sd~welle dieses Reizes. Dies kann schlieglich so welt gehen, dal] die betreffende Triebhandlung schliegIich o h n e jeden nachweisbaren auslSsenden Reiz ,,losgeht". Es ist, als wtirde die latent bleibende Verhaltungsweise schliel31ich selbst zu einem inneren Reiz. Ieh erinnere an das in meiner zitierten Arbeit beschriebene Beispiel des Stares, der die I-Iandlungsfolgen der Fliegenjagd ohne Objekt vollst~ndig durchfi~hrte. Man sollte meinen, dal3 das Vorhanden- sein yon Fliegen die wichtigste und unerliil31ichste ,,Verhaltensunter- stiitzung" (Behaviour support) im Sinne ToL~A~'S fiir den Ablauf des Verhaltens bei der Fliegenjagd sei. Das w~re es auch, wenn beim Ablanf dieses Verhattens irgend ein dem Tiere gegebener ,,Zweck" vorhanden wgre. Der vollkommene Mangel eines solchen tritt auch bier zu Tage. Das Tier gehorcht keiner noch so dunklen Zweckvor- stellung, sondern dem ,,b ] i n d e n P 1 a n e" (UsxKfdLL) seiner Triebhand- lungen. Die EntwieklungshShe und biologische Bedeutung dieses Plans hat so wenig mit den psyehisehen F~higkeiten des Tieres zu tun wie die biologisch sinnvolle Gestaltung seines KSrpers.

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Diese hauptsiichlich aus negativen Feststellungen aufgebaute Um- grenzung meines Begriffes der arteigenen Triebhandlung macht keinen Ansprueh daraaf, eine explizite Definition zu sein. Die hier festge- legten Anschaunngen haben sich als Arbeitshypothesen bei der Analyse tierischen Verhaltens bereits bis zu einem gewissen Grade bew~hrt. Jedenfalls ha]ten sie einer Kritik an Hand der bisher bekannten Tat- saehen besser stand als die landlgufigen Anschanungen von einem durch Erfahrung adaptiv modifizierbaren Instinkt. Wieweit sie weiterem Tatsachenmaterial gerecht werden werden, k6nnen wir bei unserem hentigen minimalen Wissen /iber die Instinktverhaltungen der hSheren Tiere nieht voraussagen.

III. Die Pr~igung des Objektes ar te igener Triebhandl~ngen. D a s E rwo r b e n e in Triebdressurverschr~nkungen ist besonders

hiiufig d as O b j e k t tier angeborenen Handlungen, wie iehin der schon zitierten Arbeit i) an einigen Beispielen darzntun versuchte. Wfihrend nun im Allgemeinen die Erwerbung dieses Objektes einer Dressur gleieh- kommt, finder bei einer bestimmten Gruppe yon objektlos angeborenen Triebhandlungen ein grundsiitz.lieh anderer Erwerbungsvorgang start, der nach meiner Meinung mit einem Lernen nieht g]eichgesetzt werden darf. Es handett sick um die Erwerbung des Objektes d e r an f d i e A r t - g e n o s s e n b e z t i g t i e h e n T r i e b h a n d ] u n g e n .

Fiir den Fernerstehenden ist meist sehr iiberrasehend, ja nnglaublich. dab ein Vogel Artgenossen nicht angeborenermal3en und rein ,,instinktiv" unter allen Umstiinden aIs solche erkennt und entspreehend anf sie reagiert. Dies tun aber nut sehr wenige VSgel. ~[m G e g e n s a t z zu a l l e n in d i e s e r B e z i e h u n g b e k a n n t g e w o r d e n e n S g u g e r n e r k e n n e n i s o l i e r t j u n g a u f g e z o g e n e V S g e l d e r a l l e r m e i s t e n A r t e n A r t g e n o s s e n , m i t d e n e n man s ie z u s a m m e n b r i n g t , n i e h t a l s i h r e s g l e i c h e n , d. h. sie lassen die norma]erweise auf die Art- genossen ansprechenden Verhaltungsweisen durch Artgenossen nicht auslSsen. Elingegen bringen Jungv6gel der allermeisten Arten die auf den Artgenossen beztiglichen Triebhandlungen d era M e n s ch e n g e g e n t i b e r , wenn sie, yon ihresgIeiehen isoliert, in menschlicher Pflege grog geworden sin&

Dieses Verhalten wirkt auf den Beobachter so absonderlieh, so ,,verriickt", dag jeder Einzelbeobaehter, der beim Aufziehen junger VSgel mit dieser Erscheinung bekannt wird, zunichst an einen p a t h o - 1 o gi s c h e n Vorgang denkt, den er als ,,Gefangenschaftspsyehose,, oder

1) .,Tl:i~bhandlungen ~', J. Orn. 193~ IJXXX~ J~. 1.

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sonstwie erkl~rt. Erst, wenn man diesem Verhalten wieder und wieder begegnet und bei durehaus gesunden Stiicken der verschiedensten Vogel- arten feststellen kann and aueh sieht, dag es bei in %lliger Freiheit groB gewordenen Ti~t'ea auftL'it~, kommt man langsam dMfinter, dab es sich da um gesetzmitl~ige Reaktion handelt, dal3 den meisten Vogel- arten d a s O b j e k t d e r a r t g e n o s s e n b e z t i g l i c h e n T r i e b - h a n d l u n g e n n i c h t a n g e b o r e n ist . Es wird vielmehr dieses Objekt im Laufe des individuellen Lebens erworben and zwar durch einen Vorgang, der so eigentiimlich ist, dag wit ihn ausfiihrlicher be- sprechen m~issen.

Wenn wir das Ei eines Brachvogels, Numenius, oder einer Ufer- schnepfe, Limosa, im Bratofen zeitigen und alas Junge gleich nach dem Ausschltipfen in unsere Pflege nehmen, so zeigt sich, dag es yon uns als Pflegeeltern nichts wissen will. Es fiieht schon beim ersten Anblick des Menschen, und yon den auf die Eltern gemiinzten Triebhandlungen bekommen wir nichts zu sehen, auger m5glicherweise bei fein ab- gestimmten Attrappeuversuchen, wie sie ieider bisher yon niemaudem angestellt wurden. Bei diesen beiden Arten sowie noch bei manchen Nestfi~ichtern, die in sehr fortgeschritteneln Entwicklungszustande das Ei verlassen, sind diese Triebhandhmgen n ur durch artgleiche Alt%gel auszul~sen. In die Terminologie der Umweltforschung iibersetzt: Der Jungvogel besitzt ein angeborenes ,,Schema" des Elterntieres, es ist ihm das Bild des Etterntieres in so vielen Merkma.len aL:geboren, dag seine Kindestriebhandlungen nur ,artspezifisch" auf den al~gleichen Altvogel ansprechen. Wie viele Merkmale das sind, kSnnen wir nhmlich manch- real ganz gut bestimmen, in F~llen, w o e s bei N a c h a h m u n g dieser Zeichen dann doch gelingt, Kindestriebhandlungen auszulSsen.

Wenn wir nun statt des Brachvogels eine wenige Tage alte Gra.u- gans in unsere Pflege nehmen, die his damn bei ihren Eltern heran- gewachsen ist, so machen wir mit ihr dieselben Erfahrungen wie mit jenem. Auch bei ihr lassen sich dann irgendwelche Kindestriebhand- tungen durch den ~enschen nieht auslSsen. G a n z a n d e r s j e d o e h , w e n n m a n e ine G r a u g a n s s o f o r t n a c h dem S c h l i i p f e n se lb s t in P f l e g e n immt . Dann sprechen s~mtliche auf die Eltern gemiinzten Triebhandlungen s o f o r t auf den Menschen an. Ja, man kann junge Graugi~nse, die man ira Brutofen k i~ns t l i ch erbriitet hat~ nut unter Beaehtung ganz bestimmter Vorsichtsmagregeln dazu bringen, dM~ sie mit einer Junge fiihrenden Graugansmutter mitlaufen. Sie diirfen n~mlich zwischen Schtiipfen and dem Untergeschobenwerden unter die Giinsemutter den 1Vienschen n i e h t r i c h t i g zu s e h e n b e k o m m e n ,

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weil sonst ihr Nachfblgetrieb sofort auf den 3/lensehen eingestellt ist. HtEINROTlt hat dies in seiner Arbei t ,,Beitr~ge zur Biologie, insbesondere Psyehologie und Ethologie der Anat iden" sehr genan besehrieben: ,,t-Ii~ufig mufite ieh den Versuch maehen, im Brutapparat gesehliipfte Ggtnsehen an ein ganz kleine Junge fiihrendes Paar heranzubringen, und hierbei st6fit man anf maneherlei Schwierigkeiten, die aber fiir das ganze psyehisehe nnd instinktive Verhalten unserer VSgel recht be- zeiehnend sin& Oeffnet man den Deekel eines Brutofens, in dem soeben junge Enten die Eier verlassen haben nnd trocken geworden sind, so driieken sie sich zun~ehst regungslos, nm dann, wenn man sie anfassen will, blitzsehnell davonzuschiefien. Da.bei springen sie h~ufig auf die Erde und verkr ie&en sich eilig nnter mnherstehende Gegen- st~nde, so dal] man oft seine liebe Not hat, der kleinen Dinger hal~haft zu werden. Ganz anders junge G~inse. Ohne ~ureht zu verraten sehauen sie den Menschen ruhig an, haben niehts dagegen, dag man sie anfafit, und wenn man sich auch nur ganz kurze Zeit mit ihnen beschgftigt, wird alan sie so leieht nieht wieder los : Sie piepen jiimmerlich, wenn man sieh entfernt, nnd laufen einem bald getreulich nach. Ich habe es erlebt, dal3 so ein Ding, wenige Stunden, nachdem ich es dem Brutappara t entnommen hatte, zufrieden war, wenn es sieh unter dem Stnhle, auf dem ieh sag, niedertun konnte! Tri~gt man ein solehes @~tnsekiieken nun zu einer G~insefamilie, bei der sich gleieh alte Jungen befinden, so gestaltet sieh die Saehe gew6hnlieh folgendermagen. Der herankommende Menskh wird ~on Vater und Mutter mit~trauiseh betrachtet, nnd beide versuchen, mit ihren Jungen mSglichst rasch ins Wasser zu kommen. Geht man nun skhr sehnell auf sie zu, daft die Jungen keine Zeit mehr zum Entfliehen haben, so setzkn sieh natiirlich die Alten wtitend zur Wehr. Geskhwind bef6rdert man nun das Meine Waisenkind dazwisehen und entfernt sich eilig. In ihrer grofien Auf- regung halten die Eltern natiirlieh den kleinen Neuling zuniichst fiir ihr eigenes Kind nnd wollen es sehon in dem Augenblick vor dem Menschen verteidigen, wo sie kS in seiner Hand h6ren und sehen. Dokh alas sehlimme Ende kommt nach. D e m j n n g e n G i i n s c h e n f i i l l t es g a r n i e h t e i n , in d e n b e i d e n A l t e n A r t g e n o s s e n z n s e h e n. Es rennt piepend davon, und wenn zuf~llig ein Mensch voriiberkommt, so sehliefit es sieh diksem an : es hi~lt eben die Menschen ftir seine Eltern." Des Weiterkn fiihrt H t ~ o T g aus, daft die Unter- schiebung eines Ggnschkns gelingt, wenn man kS sofort naeh dem t terausnehmen aus dem Brutofen in einen Sack steekt, so daft es den Menschen erst gar nieht zu sehen bekommt. E r ist mit Reeht der

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Ansicht, dal] die neugeborenen Graugi~nse das erste Wesen, d~s sie gleichzeitig mit dem Licht der Welt erblicken, ,,wirklich in der Absicht ansehen~ sieh das Bild genau einzupr~gen, denn wie schon erwithnt~ scheinen diese niedliehen wolligen Dinger ihre Eltern auch nicht rein triebhaft als Artgenossen zu erkennen".

Dieses Verhalten der jungen Graugans habe ich desh~lb so aus- fiihr]ich behandelt, weft es ein geradezu klassisehes Beispiel daftir ist, wie einem Jungvogel das zu seinen Kindestriebhandlangen gehSrige Objekt, dessert genntnis ihm n i c h t instinktm~Big angeboren ist~ dureh einen e i n m a t i g e n Eindruek aufgeprggt wird; ftir den er n u r in e i n e r ganz b e s t i m m t e n P e r i o d e s e i n e s L e b e n s em!pf~nglich i st. Wichtig ist ferner die Tatsache, dab die Graugans auf diesen Eindruek zu dieser Zeit der Empfanglichkeit offensiehtlieh ,, war re t", das heigt, d en a n g e b o r e n e n j T r i e b h a t , d i e s e , , L i i c k e " in i h r e r I n s t i n k t a u s r i i s t u n g a u s z u f i i l l e n . Aul]erdem ist zn be- tonen, dag die (}attung Arises ein Extrem darin darstellt, dab dem Neugeborenen so w e n i g e Merkmale des Elternkumpanes angeboren sind: Auger einem triebhaften Ansprechen auf den arteigenen Warnton ]~Bt sich eigentIich kein triebmhgiges Reagieren auf ein den Eltern zu- kommendes Merkmal naehweisen. Vor Allem fehlt das so vielen kleinen Nestfliichtern eigene triebm~gige Ansprechen auf den Lockton der Eltera.

Der Vorgang dieses Einprggens des Objektes zu im tibrigen an- geborenen~ auf einen Artgenossen gemiinzten Triebhandlungen u n t e r - s e h e i d e t s i c h w e s e n t l i e h yore E r w e r b de s O b j e k t e s a n d e r e r T r i e b h a n d l u n g e n , deren ausl6sendes Schema nicht an- geboren ist, sondern wie bei einem bedingten Reflex erworben wird. Wghrend ngmlich im letzteren Falle die Erwerbung des Objektes wohl immer einer Eigendressur, einem Lernvorgange gleichzusetzen ist, hat de r V o r g a n g d e r O b j e k t p r g g u n g a r t g e n o s s e n b e z i i g l i c h e r T r i e b h a n d l u n g e n e i n e R e i h e v o n Z t i g e n , d ie i h n v o n e i n e m L e r n e n g r u n d s ~ t z l i e h u n t e r s e h e i d e n . Er besitzt auch in der Psyehologie s~mtlicher anderer Tiere, insbesondere der der Sgugetiere, nieht. Seinesgleichen. Es sei jedoch an dieser Stelle auf gewisse Analogien zu pathologisch auftretenden Fixationen des Triebobjektes im m en s c h l i e h e n Seelenleben hingewiesen.

Was den Prggungsvorgang yore gewShn]ichen L e r n e n unterscheidet, sind folgende Umstgnde.

Erstens, dab der in Rede stehende Erwerb des Objektes angeborener Triebhandlungen nur zu einem eng umgrenzten Zeitabschnitt des indi-

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,~iduelten I~ebens stattfinden kann. Zum Zustandekommen der Ein- pr~gung des Objektes gehSrt also hier e in ganz b e s t i m m t e r p h y s i o l o g i s c h e r E n t w i c k t u n g s z u s t a n d des Jungtieres.

Zweitens, dag die eingeprggte Kenntnis des Objektes der auf den Artgenossen beztiglichen Triebhandlungen n a c h V e r s t r e i e h e n der fiir die Art festgelegten physiologJschen Pr~gungszeit sich g e n a u so v e r h M t , a l s se i s ie a n g e b o r e n . S ie k a n n n g m l i c h n i e h t v e r g e s s e n w e r d e n ! Das Vergessenwerden ist aber, wie besonders Bi~JaLEn betont, e in w e s e n t l i c h e s M e r k m a l a l l e s E r l e r n t e n ! Natiirlieh ist es bei den geringen Alter a]ler dartiber angestellten Beob~mhtungen eigentlich noch nieht ganz ang~ingig, die Unvergef~barkeit dieser erworbenen Objekte endgiiltig festzustellen. Wir entnehmen die Berechtigung dazu der in vielen F~llen beobaehteten Tatsache, dab VSgel~ die yon Menschen anfgezogen und in ihren artgenossenbeziig- lichen Triebhandlungen auf diesen umgestellt sind, ihre Verhaltungs- weise auch dann nicht im Geringsten ~ndern, wenn man sie jahrelang ohne mensehliehen Umgang n i t Artgenossen znsammenhglt. N[an kann sie dadureh ebensowenig dazu bringen, die Artgenossen flit ihresgleichen zu halten, wie man einen altgefangenen Vogel veranlassen kann~ im Mensehen einen Artgenossen zu sehen. (Auf das scheinbar eine Ausnahme hiervon bildende Verhalten zu Ersatzobjekten will ieh spi~ter zuriiekkommen.)

D i e s e b e i d e n T a t s a c h e n , e r s t e n s d ie B e s t i m m u n g des s p S t e r e n V e r h a l t e n s zu e i n e m b e s t i m m t e n Z e i t p u n k t d e r O n t o g e n e s e d u t c h e i n e B e e i n f l u s s u n g yon a u g e n , u n d z w a r yon d e n A r t g e n o s s e n h e r , z w e i t e n s d ie I r r e v e r - s i b i l i t i i t d i e s e s B e s t i m m u n g s v o r g a n g e s , b r i n g e n die E n t - w i c k l u n g s v o r g ~ n g e des S y s t e m e s d e r t r i e b m g g i g e n V e r - h a l t u n g s w e i s e n in e i n e m e r k w i i r d i g e A n a l o g i e zu V o r - giingen~ d ie aus d e r k S r p e r l i c h e n E n t w i c k l u n g s l e h r e be- k a n n t s ind.

Wenn wir zu einem gewissen Zeitpunkt der Entwiekhng an einem Froschkeimling Zelhnaterial aus den in der spgteren Bauehregion gelegenen Ektoderm, das normalerweise in der weiteren Entwicklung des Keimes ein Stiiek Banchhaut geliefert h~tte, in der Region der spiiteren Neuralrinne in die Oberfl~tche einpflanzen, so entwiekelt es sich situationsgem~l~ zu einem Sttick Riickenmark. Die Zellen werden also yon den Organisationsprinzip ihrer Umgebung be- einflngt~ was SpEgS~A~S als ,,Induktion" bezeichnet. Die M6glichkeit einer Induktion yon der Umgebung her zwingt uns, zwisehen ,,pro=

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spektiver Potenz" and ,,prospektiver Bedeutung" einer Zelle zu unter- seheiden. Die in unserera Verstlehe verpflanzten Ektoderrazellen des Froschkeimes hatten die prospektive Bedeutung eines Stiickes Baueh- haut; ohne das Eingreifen des Forschers hatten sie n u r zu einer solchen werden kSnnen. Gleichzeitig batten sie aber auch noch die norraalerweise latent bleibende ]?ghigkeit, sich zu einem Stitck Riicken- mark zu entwickeln. Ihre prospektive Potenz war also welter als ihre prospektive Bedeutang. Wenn wit aber einen i~hnlichen Versuch zu einera sp~teren Zeitpunkt der Entwicklung wiederholen oder etwa die bereits zura Riickenraark determinierten Bauchektodermzellen an ihren Herkunftsort r i i c k v e r p f l a n z e n , zeigt sich die prospektive Potenz ,nit der prospektiven Bedeutung identisch: wenn wir nun diese Verpflanzung vornehraen, wird da% was ohne sie zum Riickenraark ge- worden w~ire~ auch an der ihra jetzt angewiesenen Stelle dasselbe, and unser Transplantationsversuch erzeugt ein Monstrum. Seine prospektive Bedeutung wird also dutch den Einflu[~ der Umgebung~ dutch Induktion, festgelegt, ,,deterrainiert". Das Zellraaterial ,,wei$" also auch nicht ererbterraaften, was aus ibm wird, es wird ibm vielraehr durch seinen Ort, durch seine Umgebung sein endgiiltiger Organcharakter anfgepriigt. Naeh Vollendung dieser zu einer bestimraten Entwicklungsphase statt- findenden Determination kann das Gewebe nicht raehr ,,vergessen", wozu es bestimrat wurde. Das in die Bauchhaut rtickverpflanzte prii- sumptive Riickenmark kann nicht mehr zur Bauchhaut ,,riickdeter- miniert" werden! Es gibt aber auch Tiere, wie z. B. die Tunikaten, bei denen sct~on ira Zweizellenstadium des Keimes jede der beiden ZeIlen vollkomraen zu ihrem sp~teren Verhalten deterrainiert ist, wo nahezu gar keine Induktion stattfindet, wo eine Zelle des ktinstlich zerschniirten Zweizetlenstadinras buchst:,iblich einen halbert Organismus liefert, wo einzelne Zellkomplexe sp~iterer Entwicklungsstufen isoliert immer nnr dieselben Organe oder Organteile ergeben, die sie ira Zu- sammenhange mit ihren Schwesterzellen ergeben hgtten. Diese Zellen werden also nicht yon ihrer Umgebung beeinflul]t, sondern jede einzelne Zetle eines solchen geimes ,,weil~" ererbterraa$en genan, was sie zu tun hat, und dutch das MosMk der so genau aufeinander eingestellten Verhaltungsweisen der Teile korarat ein einheitIicher Organisraus zu- stande~ ohne daft sich die Teile gegenseitig welter beeinflussen. Man bezeichnet daher auch solche Keirae als ,,Mosaikkeirae" ira Gegensatz zu den frtiher beschriebenen ,,Regulativkeimen".

Man kSnnte nun sehr gut yon Mesaiktypen und Regulativtypen der Instinktsysteme sprechen; man kSnnte auch recht gut bei den

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Triebhandlungen, deren Objekt dem Tier nieht ererbterm~[en bekannt ist, sondern durch die Umgebung, vor allem durch die Artgenossen gepr~gt wird, yon einer i n d u k t i v e n D e t e r m i n a t i o n sprechen. Der Leistungspl~n des Instinktsystemes eines Tieres und der Leisttmgsplan seines Baues habeu sehr viel An~loges.

Wenn eine junge Dohle yon etw~ 14 Tagen ihre Kindestrieb- handlungen gegen ihre Eltern, also gegen Dohlen riehtet, so h~ben diese fiir den Jungvogel die prospekt, ive Bedeutung tier Eltern, der Art- genossen. Doch besitzen die arteigenen~ artgenossenbeziigliehen Trieb- h~ndlungen zu dieser Zeit noch eine viel weitere prospektive Potenz der Objektwahl. Das bereits als solches funktionierende Objekt, die Eltern, kSnnen bei der Jungdohle also noch verdr~ngt werden. Aus dem Neste genommen, ist sie zun~ichst gegen den Menschen schfichtern und drfickt sieh vor ihm. Sie kennt also sehr wohl sehon den Anblick ihrer Eltern. Trotzdem l~l]t sich der Elternkumpan, d~s Objekt der Kindestriebhandlungen, noch in anderem Sinne umdeterminieren. Naeh wenigen Stunden sperrt die Dohle gegen den Mensehen, nach etwa zwanzig Tagen ist sie flfigge uud richter nun ihren Nachfliegetrieb gegen den Menschen u n d i s t nun in ihren Kindestrieben nicht mehr ,~uf Dohle" r~ickdeterminierbar. Im gleichen Alter ist die bei ihren Eltern verbliebene Jungdohle auch nicht mehr auf den Menschen um- zuprggen. Prospektive Bedeutung und prospektive Potenz des Objektes fallen nun zusammen.

Wir m~issen also in der Zeit der Entwicklung der objektlos ererbten Triebhandlungen zwei Abschnitte unterscheiden. Einen anfAngtiehen, meist sehr kurzen, w~hrend dessen der Vogel das Objekt zur ererbten Handlung sucht, und zweitens einen l~ngeren, wghrend dessen er sehon ein Objekt gefunden hat, auf das seine Triebe ansprechen, w~hrend dessert aber noeh eine ,,Umdetermination" mSglich ist. Bei manehen VSgeln, wie bei den erw~hnten l~estflfiehtern, bei denen ein einmaliger Eindruck determinierend wirkt, ist der zweite Absehnitt extrem kurz. Es ist bei ihnen sozus&gen die ganze geistige Entwicklung, die die Nesthocker wghrend ihrer langen l~estzeit durchmachen, auf die wenigen Stunden zusammengedrgngt, die auch der Nestflfichter im Neste verbleibt.

Die kfirzeste und im kfirzesten Abstand auf das VeHassen des Eies folgende Zeit der lPrggbarkeit tier ohne Kenntnis des Objektes an- geborenen Kindestriebh~ndlungen finden wit, wie bereits angedeutet, bei den !~estflfichtern der versehiedensten Gruppen. Von Stockente, Ja.gdfas~n und Rebhuhn kann ich aus eigener Erfahrung versichern, dal~ die JungvSgel, die nur wenige Stunden hindureh ihrer Mutter n~ch-

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gelaufen sind, ihren Naehfolgetrieb nicht mehr auf den Mensehen fiber- tragen kSnnen. Man kann diese Arten daher nur dann gut aufziehen, wenn man sie selber ausbrtitet, sonst 15st der Mensch in ihnen so heftige Fluehtreaktionen aus, dab die JungvSgel dariiber leicht das Fressen vergessen und eingehen. Ieh halte es fiir sehr mSglich, dal~ ein e in- to a l i g e s AusgelSstwerden der Nachfolgereaktion die Pr[igung auf das Aussehen der Mutter vollziehen kann. Besonders glaube ich das yore Rebhuhn, denn ich habe yon Bauern ansgem~hte Rebhuhnlriiken auf- zuziehen versueht, die noch nicht danernd stehen konnten, sondern sich noch nach jedem durehlaufenen Stfiekchen auf die t~ersen setzen mul~ten. Dieses mir wohl bekannte Stadium dauert kaum einige Stunden naeh dem Trockenwerden, und die Henne fiihrt ihre Kinder wahrend dieser Zeit nur wenige Meter welt. Trotzdem gingen diese Rebhtihnehen ein, da sie sich sofort driickten oder flohen, so wie man sie zum Ffittern ins Helle setzte. Sie f~al~en erst, als sie bereits zu geschwiicht zum Weiterleben waren. Erbriitet man hingegen Rebhtihner kiinstlieh, so sind sie sofort zahm gegen den Pfleger und leieht aufzuziehen.

Der Zeitpunkt tier induktiven Determination, der Prggung des Objektes der ererbten, auf den Artgenossen gemiinzten Triebhandlungen ist nun in den meisten F~llen durchaus nieht so leicht zu ermitteln wie bei den Kindestrieben der Graugans oder eines Rebhuhnes, und zwar aus zwei G riinden.

Erstens kann die Feststellung dieses Zeitpunktes dadurch ersehwert sein, dal~ dureh eine grSl~ere Zahl yon angeborenen Merkmalen die Pr~igung auf alas artgemii,l]e Objekt erleiehtert~ die anf ein anderes er- schwert wird. Das angeborene positive Reagieren des Jungvogels auf solehe Merkmale bringt es mit sieh, dal~ tier bisher auf ein nicht art- gemiiI]es Objekt reagierende Jungvogel noeh zu einer Zeit auf den Artgenossen umgestellt werden kann, zu der der umgekehrte Vorgang nicht mehr mSglieh ist. Dadureh, dab beispielsweise ein junger Gold- fasan auf den Loekton der Goldfasanhenne triebm~Big anspricht, d. h. ausgesprochen auf die Sehal]quelle zul~uft (was eben die kleine Grau- guns gerade n i e h t tut!), ist die MSglichkeit gegeben, den menschen- gewShnten Fasan in einem Entwickhngszustand an die Henne riickzu- gewShnen, in dem die ,,Transplantation:' yon Fasanhenne auf Menseh nicht mehr gelingt. Interessant w~tren da Versuehe mit wirklieh gut zur Naehahmung yon Vogellauten begabten Mensehen, zu denen ich unglfieklieherweise ganz und gar nieht gehSre.

Eine zweite Erschwerung ffir die genaue Ermitthmg des Zeit- punktes der Pragung liegt darin, da$ die Zeit der Objektpr~igung einer

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Triebhandlung zuweilen die einer auderen Triebhandlung zeitlich tiber- schneider. Dieses merkwiirdige Verhalten seheint bet Nesthoekern nicht selten zu sein. Insbesondere bet SperlingsvSgeln babe ich beobaehtet, d~g St[icke, die man verh~ltnism~gig sp~t in Pflege nimmt, wohl noch mit ihren Kindestriebhandlungen auf den Menschen ansprechen, aber spi~terhin ihre ebenfalls objektlos ererbten geschlechtlid~en Triebe gegen Artgenossen riehten. Besonders get mir dies auf, als icil einmal gleiehalte Juagdohlen hatte, yon denen drei a]s naekte Junge, die sechs anderen erst knapp vor dem Ausfliegen in meine H~nde gekommen waren. Solange die Doiflen gegen reich sperrten, waren alIe gteich zahm gegen mich. Naeh dem ErlSsehen der Kindestriebhandlungen aber wurden die spht gefangenen Stiicke sehr rasch scheu gegen reich, wi~iirend die drei anderen reich auzub~lzen begannen. Es scheint danaeh, als ob bet der Dohle die Objektprgguug der geschlechtlichen Triebe v o r der endgiiltigen Determination der Kindestriebhandlungen stattfgnde. Ganz abgesehlossen seheint sie nieht zu seth, da ieh in einigen Fiillen zu dieser Zeit eine Umprggung ,,xuf Dohle" verzeiehnen konnte, waLs spgter niemals stattfand.

Die Einstellung versehiedener, auf den Artgenossen beztiglieher Leistungskreise auf das zugehSrige Objekt findet zu versehiedenen Zeit- punkten im Laufe der Entwieklung des Individuums start. Dies ist hier Nr uns sehr wichtig: Es ist ether der Grtinde daftir, dag unter den Bedingungen der Gefimgensehaft, im gewollten oder ungewollten Versueh, die versehiedenen Leistungskreise auf versehiedene Objekte eingestellt werden kSnneu. So besag ieh eine ganz allein aufgezogene junge Dohle, die mit allen artgenossenbezt~gliehen VerhMtungsweisen auf den Mensehen umgestellt war, mit Ausnabme yon zwei Punktionskreisen : Den Reaktionen des Mitfliegens in der Sehar und denen des ~'iitterns und Betreuens artgleieher JungvSgel. Die ersteren waren in der Zeit des Erwaehens des Herdentriebes auf Nebelkrahen gepriigt worden, die diese Dohle als erste fliegende RabenvSgel kennen lernte. Sie flog auch dann noeh dauernd mit den freilebenden Nebelkr~hen, als der yon ihr bewohnte Bodenraum auger ihr noeh ether ganzen Sehar weiterer Dohten zum Aufenthalt diente. Als Flug-Kumpane kamen diese ft~r sie nieht in Betraeht: Jeden Morgen, naehdem ieh die V6gel freigelassen butte, sehraubte sieh diese Dohle hoch in die Lnft und begab sieh auf die Suehe naeh ihren Krg.hen-Flugkmnpanen, die sie stets zielbewugt zu finden wugte. Zur Zeit der Jungenaufzucht jedoeh adoptierte sie sehr plStzlich eine eben fltigge Jungdohle, die sie in vollkommen artgemgger Weise ftihrte und Ntterte. Es ist eigentlich selbstverstgndlich, dab das

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Objekt der Pflegetriebhandlungen angeboren sein mug. Es kann ja gar nicht vorher durch Prggung erworben werden, da doch die eigenen kleinen Jungen die ersten sind, die der Vogel zu sehen bekommt. In der Umwelt dieser Dohle trat also der Mensch al~ Eltern- und als Geschlechtskumpan, die 3~ebelkrghe als Flugknmpan und die junge Dohle als Kindkumpan ein!

Da die Prggung, die den artgenossenbeziiglichen Triebhandtungen des Jungvogels das Objekt zn weisen hat, h~.ufig nur dnrch den Einflug yon Eltern und Geschwistern zustande kommt und trotzdem das Ver- halten des Jungvogels zu a l l e n Artgenossen bestimmen mu~, so miissen, wie in dem angeborenen, so auch hier in dem g e p r ~ g t e n Schema des Artgenossen nur t i b e r i n d i v i d u e l l e , artkennzeichnende Merk- male ~us dem Bilde der Eltern und Geschwister herausgegriffen und fiir immer eingepr~gt werden. Dal~ dies bei dem normalen artgem~l~en Pr~gungsvorgang gelingt, ist schon wnnderbar genug; hSchst merkwiirdig ist es aber, dat~ der vom Menschen aufgezogene und ,,auf Mensch" nmgestellte Vogel seine artgenossenbeziiglichen Triebhandlungen nicht gegen e i n e n Menschen, sondern gegea die A r t Homo sapiens richter. So richtet eine Dohle, der ein Mensch den Elternkumpan ersetzte und die vollstgndig ,,Menschenvogel" geworden ist, ihre erwachenden ge- sehlechtlichen Triebe nicht etwa gegen den friiheren Elternkumpan, sondern vielmehr mit der vollkommenen Unberechenbarkeit des Sich- Verliebens ganz plStzlich gegen ir g e n d einen verh~ltnism~gig fremden Menschen, irgend eines Geschlechts, ganz s i c h e r a b e r gegen e i n e n M e n s c h e n. Es scheint s0gar, als ob der fr~ihere Elternkumpan als ,.G-atte" nicht in Erw~gnng k~me. Woran aber bestimmt so ein Vogel unsere Artgenossen als ,,Menschen"? Hier harren noeh eine ganze Reihe hochinteressanter Fragen der Beantwortung!

Im Anschlug miissen wir noch kurz besprechen, yon w e l c h e n Artgenossen die Reize aasgehen, die eine induktive ]~estlegung des Objektes einer Triebhandlungskette bewirken.

In F~llen, wo die Objektpr~gung der Ausfiihrung der Triebhandlung zeitlich weit vorausgeht, mug setbstverstgndlich die Prggung dureh einen Artgenossen induziert werden, der in einem anderen Funktionskreis zu dem Vogel in Beziehnngen steht als in demjenigen, far den er die Objektprggung induziert. So geht bei Dohlen wohl sieher die Pr~igung der geschlechtliehen Triebhandlungen yore Elternkumpan aus, wenigstens werden Jungdohlen in ihrem gesehlechtlichen Verhalten aueh dann anf den Menschen umgestellt, wenn sie zusammen mit vielen Gesehwister- kumpanen aufgezogen werden, woferne nur der Mensch sieh so viel mit

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ihnen abgibt, dab er als vollwertiger Elternkumpan eintritt. Bei tlEI~ROTH zeigten sich noch viele andere VSgel, die mit mehreren Ge- schwistern zusammen heranwuchsen, geschlechtlich auf den Menschen umgestellt, so Uhu, Kolkrabe, Ilebhuhn u. a. in.

Andererseits gibt es Formen, bei denen die G e s c h w i s t e r das sp~tere geschlechtliche Verhalten bestimmen. Die S. 179 erwi~hnten, yon mir sehr ausfiihrlich bemutterten Stockenten erwiesen sich als ge- schleeht]ieh vSllig normal, w~hrend ein mit ihnen aufgezogener Tiirken- erpel geschleehtlieh ,,auf Stockente" gepr~gt war. Da diese artlich gemischte Gesehwistergemeinschaft bis ins n~ehste Frtihjahr hinein zusammenblieb, verInag ich auf die Frage nach dem ,,Warm" der Prfigung keine Angaben zu machen, beabsichtige jedoeh in n~chster Zeit genaue Versuche zu ihrer Kl~rung anzustellen, und zwar ebenfalls mit den leicht ziichtbaren Gattungen Cairina uud Arias.

Von ihresgleichen ganz isoliert aufgezogene VSgel schlagen t~aufig in allen ihren Trieben a.uf den Menschen urn, auch dort, wo die Objekt- pr~.gung normalerweise vom Geschwisterkumpaa ausgeht. Da der Menseh, wie sparer zu besprechen, ale als Geschwisterkumpan eintritt, scheint der Pri~gungsvorgang nicht m~beditlgt an einen bestimmten Kumpan gebunden zu sein.

IV. Das a n g e b o r e n e S c h e m a des Kumpans.

Wir haben im ersten Kapitel S. 138ff. festgestellt, dal~ die ange- borenen auslSsenden Schematen vieler objektgerichteter Triebhandlungen oft keinerlei Zusammenhang miteinander zeigen, da jedes yon ihnen auf andere Merkmale des Obiektes ansprieht und yon dem Anspreehen der iibrigen durchaus unabhiingig ist. Wir konnten zeigen, dal3 diese Un- abh~ngigkeit bei jenen Triebhandlungen besonders grog ist, deren Objekt der A r t g e n o s s e bildet.

Dutch die Priigung erwirbt der Vogel ein anders geartetes Schema des artgleichen Tieres, das sich ebenso wie ein durch Lernen erworbenes Schema yon den angeborenen AuslSse-Sehematen arteigener Trieb- handlungen durch grol]en Reichtum an Merkmalen auszeichnet.

Angeborenes Schema und erworbenes Schema eines Artgenossen bilden unter nattirliehen Umstfinden eine funktione]le Einheit. Nur unter den Bedingungen des Experimentes lassen sich die Triebhandlungen~ die auf einen Artgenosson gerichtet sind, auf versehiedene Objekte ver- teilen. Im Freiteben der Art ist es das gepritgte Kumpanschema, das die dureh angeborene Schematen auslSsbaren Triebhandlungen, die un- bedingte Reflexe darstellen, zu einheitlicher Funktion zusammenfal]t.

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Die Komplexgestalt des erworbenen Kumpanschemas fiigt sich zwischen die eh~zelnen, yon einander unabh~agigen Ausl6se-Schematen einzelner Triebhandlungen ein, wie ein Ausn~hbild ffir Kinder sich zwisehen die vorgestoehenen LSeher einfiigt, die an sich keine Beziehungen zueinander haben und nur dutch einen Funktionsplan zusammengefagt werden, dessen Ganzheitliehkeit yon einer andern Seite her bestimmt wird. Von einem einheitliehen, angeborenen Schema eines Kumpans diirfen wit nur unter der Voraussetzung reden, dab ein artgemgl3er Pr~gungs- vorgang die unabh?~ngig voneinander ererbten Zeiehen des Kumpans zu einem Schema zusammenfiigt. Umgekehrt ist abet das geprggte Knmpan- schema in seiner Entstehung yon dem angeborenen abhiingig. Stets ist es ja das Ansprechen einer oder mehrerer Triebhandlungen mit angeborenelsl Ausl8se-Schema, das den Prggungsvorgang auf ein bestimmtes Objekt richter. Ieh erinnere an die jungen Rebhtihner, bei denen ein einmaliges Ansprechen der Naehfolgereaktion, deren Ausl6ser der trieb- mgt3ig erkannte Fiihrungston der Mutter ist, die Pr~igung auf die Komplexqualit~t des Mutterkumpans endgiiltig festlegt. Die angeborenen Teilschematen geben sozusagen einen Ra, hmen yon unabh~tngig von- einander im leeren Raum fixierten Punkten, zwisehen die das zu priigende Schema irgendwie ,,hineingepregt wird", wie UEXKt~L~ sich ausdriiekt.

Wie Instinkthandlung und erworbene Handlung, so bilden aueh angeborenes and erworbenes Schema eine funktionelle Einheit, deren Komponenten sieh unvermittelt und subjektiv beziehungslos aneinander- fiigen und yon Art zu Art vikarieren k~innen. Dieses Vikarieren kann bei versehiedenen Formen yon Ytigeln so weit gehen, dal~ bei der einen das geprggte, bei der anderen Art das angeborene Schema des Artgenossen bis zmn Versehwinden in den Hintergrund gedri~ngt wird.

Im ersteren JS~Mle bilden die angeborenen Triebhandlungen ein ,,Mosaik", das nut in der S. 143 gesehilderten Weise dureh die Auslgser des Objektes zu einheitlieher Wirkung gebraeht werdeu kann. In diesem OrenzNll bildet der Artgenosse in dem l~'unktionskreis jeder einzelnen Triebhandlung, der ein besonderes AuslSsesehema zukommt, ein anderes Umweltding, einen anderen Kumpan. Wir diirften also bei solehen VSgeln genau genommen gar nieht yon z. B. ,,Elternkumpan" reden, wie wir es im Folgenden tun wolten, da das Elterntier in der Umwelt des Jungvogels einmal als ,,Fiitterkumpan", einmal als ,,W~irmekumpan", ,,Fiihrerkumpan" usw. stets als egwas Neues auftritt. Einen solehen extremen ,,Mosaiktypus" der auf den Artgenossen gerichteten ¥er- hMtungsweisen stellt der S. 164 geschiiderte junge Braehvogel dar.

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Wo hingegen das blinde Reagieren auf artspezifische AuslSser nicht so ausschlaggebend ist, wo dss geprggte, iiberhaupt das erworbene Schema eines Artgenossen mehr in den Vordergrnnd tritt, ist zweifellos in der Umwelt des Tieres der Artgenosse viel einheitIicher. Besonders gilt das dort, wo das persSnliche Erkennen eines bestimmten individuellen Kumpans eine 1Rolle spielt. Wenn bei den G-raugiinsen Geschwister Jahre hindurch befreundet bleiben, obwoht sie sich so gut wie hie ver- heirsten, wenn bei anderen EntenvSgeln die Kinder zn den Eltern jahrelang in freundschaftlichen Beziehungen bleiben und, such wenn sie selbst schon Junge gehabt haben, im Herbste wieder alte Familien- beziehungen aufnehmen~ entspricht das Umweltbild des Artgenossen wiederum nicht gensn dem Begriffe des ,,Kumpans"~ diesmal aber aus entgegengesetzten Griinden.

Es ist erstaunlich, dM3 wit hier innerhalb einer Klasse yon Wirbel- tieren ~uf der einen Seite ein VerhMten finden, das sich an die starren TriebverhMtungen niederer Wirbelloser eng anschliel]t, andererseits aber ein solches, das an die entsprechenden Verhaltnngsweisen des Mensohen anklingt. Gerade das macht die Beobachtnng der V6gel wertvott.

Der extreme ,Mosaiktypus" des Brachvogels nnd der extreme ,Regulativtypus" der Grangans stellen seltene Grenzfiille dar, zwischen denen es alle denkbaren Zwischenstufen des'Vikarierens yon angeborenem und erworbenem Artgenossensdlema gibt. Bei nicht artgemgl3erPr~gung ergeben sich in sotchen Fgtten oft sehr lehrreiche Unstimmigkeiten im VerhMten der Tiere zum Kmnpan. Anch doff, wo dss erworbene Kumpanschema eine grol]e Rolle spielt, verhindert dies nicht~ dal~ an- geborene AuslSseschematen ansprechen. Dadurch kcmmt sin wider- spred~endes Verhalten des Tieres zustande, das in seinem ggnzlichen klangel an Folgerichtigkeit sehr deutlich zeigt, in weleher Weise durch die unnormale P~'i~gung der arteigene Funktionsplan yon angeborenem und erworbenem Kumpanschema gest{Srt wurde. Eine Dohl% die in allen VerhMtungsweisen mit erworbenem Objekt auf den Menschen ein- gestellt ist, dem menschlichen Pfleger freundlich, anderen Dohlen feindlich gesinnt ist, reagiert dennoch mit der arteigenen Verteidigungs- reaktion, wean tier Pfleger eine der anderen Dohlen ergreift. Um- gekehrt kann such das Fehlen eines srteigenen AuslSsers an einem erworbenen, nicht artgemttl~en Kumpan eine ghnliche St/Srung der Folge- richtigkeit des Verhaltens erzengen. Eine Weil3e StSrchin war in der SchSnbrunner Menagerie mit einem Schwarzstorchmgnnchen verheiratet nnd baute mit ihm alljithrlich ein Nest. Die Begriil~ungszeremonien beim Betreten des ~Nestes sind bei beiden Arten etwas verschieden~

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[ J. Orn. 176 Ko~AD LoRenz: [ 1935

beim WeiBstorch erfolgen sie unter dem bekannten Klappern, beim Schwarzstoreh unter eigentiimlichen Zisehlauten. Diese Ungteichheit hatte zur Folge, dab das in Rede stehende, seit Jahren verheiratete Paar immer wieder bei der Begri~l]ungszeremonie mi~trauisch und hngstlieh wurde. Besonders die Wei~stSrchin schien oft drauf und dran, fiber den Gatten herzuf~llen, wenn er durchaus nicht klappern wollte. Aehnliche Unstimmigkeiten beschreibt HEI~O'r~ yon einem Mischpaar aus Felsen- und Ringeltaube.

Es w~re falseh, ffir die Arten wie die Graugans, die sehr wenige Zeiehen des Elternkumpanes angeborenermaBen kennen, die Behauptung aufzustellen, dab sie gar kein_angeborenes Schema h~tteu. Nur ist bei solchen Formen das Schema wegen tier g e r i n g e n Z a h l der Zeichen u n g e h e u e r welt . F~ir die neugeborene Graugans. die noeh kein Objekt f~ir ihren Nachfolgetrieb besitzt, k~nn ja such uicht i r g e n d ein Gegenstand zum Fiihrerkumpan werden, vielmehr mul~ dieser Gegenstand gewisse Eigensehaften mit sich bringen, die zur AuslSsung des Iqachfolgens notwendJg sind. Vor ~llem muI) er sieh bewegen. Leben br~ueht er nicht gerade, denn es sind F~lIe bekannt geworden, wo ganz junge Graug~,nze sieh an B o o t e anzuschlie~en versuchten. Aueh eine bestimmte GrSl]e des Kumpans ist also offenbar kein ,,Zeichen", das im angeborenen Schema enthalten ist.

M[an mfil]te Versuche dariiber anstellen, innerhalb welcher Grenzen die GrSl]e des Gegenstandes schwanken kann; der so den l~achfolge- trieb der jungen Graug~ns austSst, und auch die Wirkung versehiedener Formenverh~ltnisse untersuchen.

Ein in diesem Sinne interessantes und yon dem eben beschriebeneu Verhalten der jungen Graug~inse doch auch recht abweichendes Ver- halten zeigte ein Wellensittisch, Melopsittacus, mit dem ich ira Frfih- jahr 1933 Versuche anstellte. Das Tier wurde im Alter yon einer Woche dem Iqeste entnommen nnd isoliert aufgezogen. Es befand sich dabei bis zum Flfiggewerden in einem undurehsichtigen BehMter, sodaB es die ihn pflegenden Menschen mSglichst wenig zu sehen bekam. Nach dem ]?ltiggewerden wurde es in einem Kgfig untergebracht, in dem an einem federnden Stiel eine wei~blaue Zelluloidkugel so angebracht war, dab sie schon beim gewShnliehen Umherklettern und -fliegen des Vogels in teichte Bewegung geriet. Diese Versuchsanordnung hatte ich nicht frei erfnudeu, sondern ich hatte einige Zeit vorher bei dem ¥¢'iener Wellensittichziichter GRASI, einen allein aufgezogenen, sprechenden Wellensittieh kennengelernt, der eine an der Decke seines Kgfigs an- gebrachte Wellensit~ich-Attrappe anbMzte. Da ich iiberzengt war, dab

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das angeborene Kumpanschema des Sittichs ~iel zu zeichenarm sei, um eine darartige genaue Nachahmung eines Artgenossen wirklich nStig zu machen, wghlte ich zum ersten Versuch als Grenzfall eines einfachsten Gegenstandes die Zelluloidkugel. Meine Absicht, die ge- selligen Triebhandlungen des Sittichs auf die Kugel zu iibertragen, gelang ohne weiteres. Schon sehr bald hielt sich der Vogel dauernd in der Nglle der schwingenden Kuget auf, setzte sich nur dicht neben ihr zur Ruhe und vollffihrte dann auch an ihr die Triebhandlungen der ,,sozialen Hautpflege", die wir im gegenseitigen Gefiederkrauen aller Papageien zu sehen haben. Er vollfiihrte mit grol3er Genauigkeit die Bewegungskoordinationen des Putzens ldeiner Federn, obwohl die Kugel natfirlich keine solchen hatte. Andererseits aber bot er der Kuge]~ nachdem er sie eine Weile so gekraut hatte, mit der bekannten Be- wegung des zum Krauen aufforderndea Papageien den 7Nacken dar und manchmal gelang es ihm geradezu, sieh yon der noch schwingenden Kugel tatsgchlich im Nacken krauen zu lassen.

Eine Beobachtung sprieht dafiir, da~ das r g u m l i c h e Schema des Artgenossen dem Sittich doch in mehr Einze]heiten angeboren ist als der Graugans: Der Vogel behandelte die Kugel in jeder Hinsicht, als sei sie der K o p f eines Artgenossen. Alle Aufmerksamkeiten, die er ihr erwies, waren solche, die sich ira normalen Triebahlauf yon Melopsittacus auf den Kopf des Artgenossen beziehen. Befestigte man die Kagel nahe am Gitter des Kffigs, sodaB as dem Vogel freistand, sich in beliebigem HShenverhgltnis zur Kugel an diese anzuktammern, so tat er dies stets so, dal] er sie genau in Kopfh8he vor sich hatte. Befestigte man sie fiber einem wagerechten Sitzholz, das die SitzhShe des Vogels festlegte, so, dal3 er sie unter KopfhShe vor sieh hatte, so wu~lte er nichts reehtes mit ihr anzufangen and zeigte deutlich ,,Ver- legenheitsaffekt". LSste man die gugel yon ihrer Befestigung und wart sie einfach ant den Boden des ggfigs~ so reagierte der Vogel mit Verstummen und dauerndem, gedriickten Stiltesitzen~ ganz wie Wellen- sittiche ant den Tod ihres eiazigen "trtgleichen Kgfiggenossen zu reagieren pflegen.

Die einzige nicht auf den i~opf, sondern auf den KSrper des Art- genossen gerichtete Triebhandlung, die ich an diesem Wellensittich be- obachten konnte, war folgende: balzende Wellensittichm~nnchen pflegen, wghrend sie unter aufgeregtem Schwatzen vor ihrem Weibchen auf- and abtrippeln, mit dem einen JS~u13 nach dem K6rper~ meist nach der Biirzelgegend, des Weibchens zu greifen. Ats mein Sittich etwas filter war and seine Kugel nun auch anzubalzen begann, sah ich diese Ver-

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haltungsweise besonders dann, wenn ich die die Kngel haltende Feder so anordnete, dab die Kugel an ihrem nach oben gerichteten Ende pendelte. Wean der Sittieh dann die Kugel urnkoste, so trat er hgufig mit dem Ful]e nach der sie haltenden Federspule, wie ich glaube mit derselben Bewegnng~ die ich oben yon den normalen Wellensittich- mgnnchen geschildert babe. Bei anderer AnordnuDg der Haltevorrichtung trat er gelegentlich unter der Kugel durch ins Leere! lbeider starb der Vogel vor Erreiehung der Gesehlechtsreife.

Danach scheint das angeborene Schema des Artgenossen beim Wellensittich eine rgumliche Gliederung in Kopf und Rurnpf zu be- sitzen, eine Gliederung, die dem angeborenen Schema des Mutter- kurnpans bei der jungen Graugans abgeht. 1) Es hat das seinen Grund wohl darin, dal3 der erwaehsene Sittich eben auf getrennte KSrperteile des Knrnpans gerichtete Triebhandlungen besitzt~ wghrend wit bei der juugen Graugans eine solche Differenzierung vermissen.

Das angeborene Schema des ,Flugkumpanes" der Dohle ist schon enger Ms das des Eiternkumpanes der Graugaas oder des sozialeu Kumpans des Sittichs: In ihm sind das FliegenkSnnen, die Schw~rze, vielleicht auch die allgerneine Form eines Rabenvogels und noch anderes als Zeichen vorhanden. In dieses Schema, das ja flit die arterhalteade Funktion der Triebhaudlungen eigentlich eine Dohle kenr~zeichnen ,,soll", kann dureh Pritgung yon weiteren Zeichen eine Nebelkr~he ,,hineingepreftt" werden, wie UEXtCOLL sich ausdrfickte. Ein Mensch kann d i e se s Schema nicht ausfiillen, weil ihm zu vide seiner Zeichen abgehen. Das Fehlen e i n z e l n e r im angeboreneu Schema gegebenen Zeichen verhindert n~mlieh, wie wit sehen werden, nieht irnrner die Ausfifllung des Schemas durch eiu nicht genau hineinps_ssendes geprggtes Objekt. Besonders klar ~vird das Zusarnmenspiel yon angeborenem Schema und Prggung ia soIchen F~llen, wo nur so wenige, aber doch charakteristische Zeichen des Kumpans angeboren sind, daft man die ihnen entsprechenden Reize auch im Versuch kiinstlich setzen kann.

Wenn man kleine Stockenten aus dem Ei aufzieht und sich be- miiht, mSglichst viele ihrer Kindestriebhandlungea auszul~sen, so be- kommt man den Eindruck, daft dies nicht so richtig gelingt. FIEISl~OTa sagt iiber kiinsflich erbr~tete Stockentenkiicken: ,,Hat man mehrere, so

1) PO~TI~LIE hat durch sinnreiche Attrappenversuche gezeigt, dat~ die Ver- teidigungsreaktion der gro~en t%ohrdommel, Botaurus stellaris, die sich stets gegen das Gesicht des Feindes richter, diese 0rientierung nur aus der Gegebenheit ,kleinerer Xreis fiber grb~erem Kbx'per" entnimmt. I)er Vogel hat also ein in ,Kopf" und ,t~umpf" gegliedertes angeborenes Schema des lZaubtieres!

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ist ihr Geselligkeits- nnd AnschIul]bediirfnis hinlgnglicb befriedigt; sie vermissen die ffihrende Alte kaum und schlieBen sich auch nicht an den Menschen an. Eigentlich scheu sind sie dann nicht, fressen natfirlich aus der Hand, lassen sich aber nngern anfassen, denn sie wahren i n n e r eine gewisse Selbst~ndigkeit. Stockenten- und Grauganskiicken sind demnach in ihrem Verhalten den Menschen gegeniiber die grSBten Gegens~tze, die man sich innerhalb einer Gruppe vorstellen kann." Meine Erfahrungen deckten sich znngchst n i t den angeffihrten yon HE~sRo'rtt vollkommen. Auch ich hatte die Erfahrung gemacht, dab Stockenten und auch die wildformnahen Rassen der Hansente, wie die sogenannten Hoehbrutenten, die mehr als zur H~lfte Wildblut in den Adern haben, eine artfremde Amme, sei es nun der Mensch oder ein Ammenvogel, nicht annehmen. Die Kiicken schwerer Hansenten fiber- tragen ihre Kindestriebe, vor allen also den Nachfolgetrieb, sehr leioht auf den Menschen oder auf die ihnen Mutterstelle vertretende Haws- henne. Dieses Verlorengehen der Spezifit~t der Reizbeantwortung ist aber eine Domestikationserscheinung~ die wir bei den verschiedensten HausvSgeln finden. Leider werden dann sehr oft aus diesen durchaus uneharakteristischen und verschwommenen Instinkten yon Haustieren in ganz unznl~ssiger Weise auf ,,den Instinkt" Riickschliisse gezogen. Stockentenkfickea, die im Besitze ihres vollen Instinktsch~tzes sind, sprechen nicht einmal auf gattnngsverschiedene Enten-Ammen ni t ihren Kindestriebhandlnngen an. So verlieren sie beispielsweise, wenn man sie yon einer Tiirkenente, Cairisa moschata, erbriiten l~Bt, diese Pflege- mutter schon, solange diese noch auf dem Nest sitzt, indem sie einfach yon ihr fortlaufen. Dabei ist Cairina n i t Anas ohne weiteres kreuzb~r! Nun gehen aber allen Anscheine nach junge Stoekenten ohne weiteres n i t einer Hausenten-Amme, nag diese gefgrbt sein wie sie will, so dab also ihr optisches Bild yon den einer Stockentenmutter mindestens ebensoweit abweieht wie das einer Cai~'ina. Was sie aber n i t der Wildente gemein hat, das sind die Verkehrsformen, die sieh im L~mfe der Domestizierung so gut wie nicht gegndert haben, und vor allen die LocktSne. W~hrend die Cairin~mutter nur ein ganz teises heiseres Quaken hat und zudem noch fast i n n e r schweig~, tgBt die Stock- und Hausentenmutter beim Fiihren ihrer Jungen ihre Stimme fast nnunter- brochen ertSnen. Nach diesen Erfahrungen n i t der Vertretung des Stockenten-Mutterkumpans durch den Menschen, die Tiirkenenten und die Hs~usenten wollte es mir scheinen, als sei der angeborene Mutterton da8 ausschlaggebende Merkmal, alas den Stockentenkindern an den Ersatzmtittern n i t Ausnahme der Hat~.sente abgehe. Da man nun den

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Fiihrungston der Stockentennmtter ganz gut nachahmen kann, beschlol~ ich, den Nachweis durch das Experiment zu versuchen. :[ch nahm also im Friihsommer 1933 drei unter einer Hochbrutente geschliipfte Stock- entenkiicken und sechs gleiehaltrige, yon ihrer )/[utter, einer reinbliitigen Stockente, erbriitete Kreuzungskiicken yon Stockente und Hochbrutente sofort nach dem Schliipfen an mich. Schon w~hrend des Trockenwerdens besch~ftigte ich reich wiederholt mit ihnen und quakte ihnen meine Ffihrungston-Nachahmung vor, und die darauffolgenden Tage, die gliicklicherweise die Pfingstfeiertage waren, besch~ftigte ich reich aus- schliel~lich mit Quaken. Der Erfolg dieses, im wahrsten Sinne des Wortes selbstverleugnenden Versuches blieb nicht aus. Schon Ms ich die Kiicken zum ersten Male auf einer Wiese frei aussetzte und dort verliel~ und reich st~indig quakead yon ihnen entfernte, begannen sie sofort mit dem ,,Pfeifen des Verlassenseins", das in irgend einer Form fast allen Nestfliichtern eigen ist. Genau wie die richtige Entenmutter ging ich auf das Pfeifen hin zu den Entlein zuriick und wiederholte das langsame Weggehen unter neuer]ichem Quaken, und jetzt setzte sich der ganze Zug prompt in Bewegung und kam dicht aufgeschlossen hinter mir her. Von da ab folgten mir die Enten fast genau so eifrig und sicher nach, wie sie es bei ihrer richtigen Mutter getan b~tten. Dal~ aber fiir die junge Stoekente der Muttertou das wesentliche Merkmal des Mutterkumpans ist und da]3 sie sich das Aussehen des Kumpans individuell einpr~gt, wird durch den Fortgang des Versuches wahrscheinlich gemacht. Zun~chst durfte ich n~mlich nicht zu quaken aufhSren, sonst begannen die Kinder nacb einiger Zeit mit dem Pfeifen des Verlassenseins. Erst als sie ~lter wurden, war ich auch dann der Mutterkumpan, wenn ich schwieg.

Man kann a]so in Einzelf~llen heraussch~len, welche Eigenschaft der Mutterkumpan unbedingt haben mu]~ und welche seiner Eigen- schaften der Jungvogel sich erst im Lanfe seines Jugendlebens einpdigt.

V. Der E l t e r n k u m p a n .

D~ gerade die Kindestriebhandlungen mancher VSgel die besten Beispiele ffir Objektpr~gung und das angeborene Schema abgeben, so haben wir fiber d,~ Verhalten der JungvUgel zum Elterntier einiges schon erw~hnen mfissen, worauf wir im voEiegenden Kapitel zuriick- greifen werden. Es verbleibt uns aueh noch zu betrachten, welche Leistungen dem Elternkumpan in den Funktionskreisen des Jungvogels bei den einzelnen Vogelarten zukommen, wie er sich in der Umwelt des Jungvogels widerspiegelt.

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I. Das angeborene Schema des Elternkumpans.

Die Merkmalgruppen des g]eiehartigen Elterntieres, deren Kenntnis dem J ungvogel angeboren ist, beziehungsweise auf die er mit specifischen Antworth~ndlungen anspricht, sind yon Art zu Art sehr verschieden viele an der Zahl. Dadurch wird eben, wie wir gesehen haben, das angeborene Schema des Elternkumpans bei der einen Art allgemeiner, bei der andern Art eager und spezieller ,,gefal3t" erseheinen. Diese Verschiedenheiten treten h~ufig innerhalb einer und derselben Vogel- gruppe in recht unbereehenbarer Weise auf; wenn wir aber die ganze Klasse betrachten, so kSnnen wir doch eine allgemei~lgfiltige, wenn auch scheinbar selbstverst~indliche Regel aufstellen, n~mlich, dal] das an- geborene Schema des Elternkumpans umso einfaeher ist, auf je frtihereal Entwicklungszustand der Vogel das Ei verl~I~t. Es ist ktar, daft bei einem neugeborenen Sperlingsvogel, der mit verschlossenen Augen nnd Ohren das Ei verlieB~ schon allein die mangelhafte Funktion der Sinnes- organe ein reicheres Schema ausschliel~t, w~hrend umgekehrt die lange Nestzeit solcher Tiere Gelegenheit gibt, vieles in Mul3e durch Pr~gung zu erwerben. Ira Gegensatz dazu hat ein frisehgeschliipfter Regenpfeifer Sinnesorgane, deren Funktion ihm das Ansprechen auf hochkomplizierte angeborene Schemata gestattet, wiihrend die geistige Entwicklung, die bei einem Nesthocker Wochen und Monate beansprucht, bei ihm auf Stunden zusammengedriingt ist. Dag letzteres kein Hindernis dafiir ist, Merkmale des Elternkumpans dutch Pr~tgung sich zu eigen zu machell, zeigt die Graugans, immerhin aber spielt ira allgemeinen die Prfigung bei den Nesthockern eine grSl3ere Rolte als bei den Nest- fliichtern. Deshalb wollen wir uns hier bei der Besprechnng der ver- schiedenen den Jnngv5geln angeborenen Elternschemata nicht an das zoologische System halten, sondern die wenigen Vogelformen, tiber deren Verhalten diesbeziiglich iiberhanpt etwas bekannt ist, nach dem Entwicklungszustand anordnen, in dem ihre Jungen das Ei verlassen. VV'ir wollen mit den in ihrem Nesthockertnm hochspezialisierten Sperlings- vSgeln beginnen.

Der neugeborene Sperlingsvogel ist ein sehr hilfloses Wesen. Von seinen Sinnen funktioniert nachweisbar das GehSr, der statische Sinn und der W~rmesinn. Dag mit diesen drei Sinnesleistungen nur ein sehr einfaches Schema des Elternkumpans aufgenommen werden kann, ist klar.

Das grSBte UnterscheidungsvermSgen f[ir verschiedene Reize liegt zweifellos auf dem Gebiet des GehSres. Wenn sich auch meist die einzige Antworthandlung der JungvSgel~ das Sperren~ auch dutch andere

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Geh6rsreize ausl6sen lfil]t als durch die Stimme der Eltern oder durch ihre Nachahmung, so lhBt sich doch nachweisen, daft bei dem Lockruf der Eltern geringere, und zwar sehr viel geringere Reizintensit~ten ge- nfigen, um das Sperren auszulSsen. Ich habe das an frischgeschliipften und im elterlichen Neste belassenen Jungdohlen im F_rfihling 1933 nachweisen kSnnen, da der Ftitterton der alten Dohlen leieht nach- alllnbar ist. HEI~RocrI beobachtete an noeh b]inden jungen Kolkraben im Alter yon etwa 9 Tagen dasselbe: Sie wurden durch tiefe TSne, wie sie der Stimme der Rabeneltern entsprachen, mehr zum Sperren an- geregt als dureh hoile. Aueh hier war die Reaktioa nicht spezifisch, d. h. sie sprach bei hSherer Reizintensitiit auch auf die nicht artgern~Ben Reize sehr wohl an, nur eben schwerer Ms auf den ad~quaten yore Elterntier ausgehendea Reiz.

Reeht bezeichnend sind die Reaktionen, die wir bei manchen ganz jungen SperlingsvSgeln auf Ersehiitterungsreize hin beobacMen kSnnen. Es zeigt sich da eine interessante Ein~tellung auf den artentspreehenden Nestort. JungvSgel yon HShlenbriitern, deren Wiege normalerweise vo]lkommen lest steM, wie z. B. die eigentliehen Meisen, e r s c hr e c k e n, wenn man versehentlich an das Kunstnest stSBt~ in dem man sie auf- zieht, and hSren zu sperren auf, falls sie gerade dabei waren. Um- gekehrt wirkt bei Arten, deren Nest artgem~d~ auf schwanken Zweigen steht oder aa solchen h~ngt, jede Ersehiitterung~ soferne sie nicht fiber ein gewisses MaB hinausgeht, Ms AuslSsung des Sperr-Reflexes. Be- sonders gilt dies nach den Beobachtungen yon ST~IN~'ATT ~) fiir die Jungen tier Beutelmeise.

Schliel~lich kana man manehmM feststellen, dab die Jungen ztl sperren beginnen~ wean die w~trmende iVfutter sieh so leise yore Neste entfernt hat, dab dadurch kein Reiz gesetzt wurde. Da dana die Jungen erst naeh einiger Zeit unruhig werden und schlieBlieh zu sperren anfangen, so lJegt mir der Gedanke nah% dal~ in diesem Falle der K~ltereiz die auslSsende Ursache darstellt. Dazu muff gesagt werden, dab junge SperlingsvSgel werkwi~rdigerweise k e ine AuslSsehandlung besitzen~ die den Elternvogel zum W~rmen anregt. Wenn man noch ganz junge und vollst~ndig naekte SpertingsviSgel ungeniigend erw~rmt, so merken sie diese mit einem ,,Einschleiehen des Reizes" allmhhlich einsetzende d a u e r n d e Unterktihlung augenscheinlich nicht. Sie be- ginnen nicht zu jammern, wie unterkiihlte junge Reiher, RaubvSgel and woM Mle Nestfli~chter es tun, vielmehr werden sie, ganz wie zu kalt gehaltene tropisehe ReptiIien, in allen Bewegungen langsamer, sperren

1) Miiadliche Mitteilung 1933.

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aber mit zeitlupenartigen Bewegungen selbst dann noch~ wenn sie sich sehon ganz kalt anfiihlen. Auch lassen sie sich durch neuerliche Er- wiirmung wieder zum Leben erwecken, wean sie bereits lange Zeit in vollstiindiger I451testarre verbracht haben, wie ich anlSillich des Ver- sagens einer Wiirmevorrichtung bei jungen flaussperlingen feststellen konnte. Die dauernde W~rmefunktion des Elterntieres scheint also bei diesen fast poikilothermen JungvSgeln keinerlei Antwort auszul6sen. gielleicht bedeutet aber fiir sie der Kiiltereiz, der sie trifft, wenn die dauernd briiteade Mutter sich p l 5 t z l i ch yore Neste erhebt, ein Zeiehea des Elternkumpans, da dieser Reiz natiirlich jeder Fiitterung vorausgeht.

DaB sich aus den wenigen Zeichen, die dureh die besprochenen Sinnesqualitiiten iiberhaupt zu geben sind, keine sehr hochentwickelten und bezeichnenden angeborenen Schemata aufbauen lassen, ist selbst- versti~ndlich; anders liegen aber die Verh~ltnisse dort, wo der Ge- si ch t s s inn eine Rolle zu spieten beginnt, wie bei etwas herangewaehsenen SperlingsvSgetn oder bei jungen Reihern and anderen, die zwar Nest- hocker sind, aber im Besitze eines funktionierenden Gesichtssinnes das Ei verlassen. Auch auf dem Gebiete des Gesichtssinns ist aicht alas allgemeine Bild des Elternkumpans angeboren, sondern, wie auf dem tier anderen Sinne, nur ein verh~ltnismiil]ig einfaches~ aus wenigen Zeichen bestehendes Schema.

Nicht atles ,,Angeborene" mug sofort naeh dem Schtiipfen in Er- scheiaung treten. Eia Beispiel dMtir ist beim Nachtreiher die durch- aus triebm~Bige Reaktion auf die arteigene Begriil3ungszeremonie. Auf diese will ich als gutes Beispiel eines ,,AuslSsers" (S. 143) hier n~her eingehen. Wie bei vielen AuslSsetriebhandlungen, die neben anderen auch einen optischen Reiz setzen, sind aueh hier k S r p e r l i e h e S i g n a l - o r g a n e fiir die AuslSsehandlung vorhanden. Bei Nycticorax besteht dieses Organ aus eiaem Schopf stark verl~ngerter, sehwarzer and auf- richtbarer KOlOffedern , aus denen drei ebenfalls aufricht- und aul~erdem noeh seitlieh spreizbare schneeweil~e Nackenfedern herausragen. Der Ausdruck ,,Schmuckfedern" ist fiir diese Gebilde durchaus irrefiihrend, da sie nicht zum Schmucke dieaen, sondern viehnehr dazu, bei einem Artgenossen eine ganz bestimmte arteigene Reaktion hervorzurufen. Bei tier Begriigungshandlung wird nun der Schnabel abwiirts gehalten und tier Kopf mit der gestr~iubten schwarzen ttaube und den drei weigen, oben aus dieser emporragenden Federn dem zu Begriil~enden entgegengestreckt. Von vorne gesehen, wirkt die sehwarze Scheibe mit den drei seharfen, nach oben divergierenden weifien Strichen tatsiichlich wie Bin Signal. Die triebhafte l~eaktion, die durch dieses arteigene

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Signal ausgelSst wird, ist nicht eine Handlung, sondern eine Hemmung; es wird nhmlich die bei Reihern sehr starke A b w e h r r e a k t i o n , die sonst durch jede Anni~herung eines Artgenossen ausgelSst wird~ u n t e r H e m m u n g g e s e t z t . Es ist ungemein bezeichnead fiir die Gruppe tier Reiher, dab bei ihr insbesondere kSrperliche Organe ausgebildet werden inugten, um es den zusammengeh6rigen ~75geln eines Nestes zu erm6glichen, die gegenseitigen Abwehrreaktionen zu unterdriieken. Be- obaehtete doch VERWEX am tPischreiher, Ardea cine~'ec~, dal3 werbende M~nnchen, die schon tagelang in ihren Nestern stehend nach einem Weibchen gerufen hatten, bei dessen endlicher Ankunft ihre reflexmfil3ige Abwehrreaktion nicht unterdriieken konnten und nach der ,,ersehnten" Braut stiel3en. Interessant ftir die besprochene Abwehr-Hemmungs- Zeremonie yon Nycticorax ist die Tatsache, dal~ sein siidamerikanischer Verwandter Cochlearius, der trotz seines abweichenden, an Balaeniceps erinnernden Schnabelbanes ein echter Nachtreiher ist, die gleiche Trieb- handlung m i t e i n e m a n d e r e n S i g n a l o r g a n hat. LIlm fehlen n~imlich die drei weigen Schmuckfedern; daftir ist das sehwarze Ge- fieder des ganzen Kopfes stgrker verlfingert und seitlich spreizbar. Bei dieser Art wird also dem zu besgnftigenden Artgenossen nicht eine sehwarze Scheibe mit drei weiBen Linien~ sondern ein grol3es, schwarzes, auf dem ldeinsten Winkel stehendes, spitzwinkeliges Dreieck pr~sentiert. D i e Z e r e m o n i e i s t a l s o f i l te r s l s alas zu ih r g e h S r i g e S i g n a l o r g a n .

Die Reaktion auf diese arteigene Ausl6setriebhandlung ist natiirlich angeboren, tritt aber erst einige Zeit nach dem Aussehltipfen der jungen Nachtreiher in T~tigkeit und zwar interessanterweise einige Tage nach dem Erwachen der Abwehrreaktion. Zun~tchst bekommen die Jung- vSgel ihre Eltern normalerweise n i c h t zu s e h e n , denn solange die Kinder noch ganz klein und sehr witrmebediirftig sind, briiten die alten Nachtreiher auf ihnen genau so lest welter wie vorher auf den Eiern. Dabei 16sen sieh Mann und Frau in der gteiehen Weise ab und die AblSsung gesehieht wie bei Tanben und anderen VSgeln meist in der Weise, dag der abl6sende Gatte sich zu dem brtttenden ins Nest setzt und ihn langsam yon den Eiern oder Jungen verdr~ingt, sodal3 man diese letzteren bei dem ganzen Vorgang nicht zu sehen bekommt. Natttrlich sehen sie ihrerseits die Eltern dabei nieht. An einem meiner freibrtitenden Nachtreiherpaare verlief nun die AblSsung deshalb oft nicht regelrecht, weft das Nest sehr nahe am Fiitterungsplatz lag. Der eben diensthabende Briiter liel3 sich dadurch oft verleiten, w~hrend der Fiitterung rasch fiir einen Augenblick das Nest zu verlassen nnd sich

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einen Fisch zu helen. Wenn er dann auf das nicht in artgemiifler Weise bedeckte Nest zurfickkehrte, n~hmen die kteinen Jungen regel- m~13ig die Abwehrstellung ein and stiel3en auch nach ihm, was ihn ~llerdiugs wenig ktimmerte. Ffir den noch zu bebrfitenden jungen Nacht- reiher ist eben der Elternkumpan nicht ein Tier, das ~ngeflogen kommt, sondern eines, das dauernd briitet, denn yon dem Wechse] merkt er ja wohl nichts. Es kommt auch ,normalerweise" nieht vor, d~l~ ein Elterntier auf den unbedeekten Horst zuiliegt.

Bei etwas ~lteren juugen Na.chtreihern tritt dann die Reaktion auf die Begriil~ungszeremon:ie der Eltern ziemlich gleichzeitig damit auf, dal~ nun auch tier gungvogel dem Elterntier gegeniiber selbst diese Triebhandlung zur Anwendung bringt. Von nun an scheint die Be- grfil3ungszeremouie das wichtigste Zeichen zu sein~ durch das sich das Schema des Elternvogels dem Jungtier keuuzeichnet. DaB sich zur Form als Reiz noch bestimmte Bewegungen hinzuffigen, h~ingt ja sieher auch damit zusammen, dal3 bei VSgeln, besonders bei geistig nicht sehr hochstehenden Arten, das Formensehen hinter dem Bewegungssehen stark zurficktritt. Um die Form als spezifischen Reiz wirken zu lassen~ miissen eben schon so bezeichnende und verh~ltnism~ig einfache Formen geboten werden, wie die beschrieb~nen Signalorgane.

Am hSchsten a.usgebildet finden wir das augeborene Schema bei gewissen Nestflfichtern. Bei ihnen sind, - - wie eingangs vom Brach- vogel beschrieben ~-- h~ufig so viele das artgleiche Elterntier charakte- risierende Zeichen dem Jungvogel angeborenermal3en bekannt~ da$ durch sie der artgleiche Elternkumpan sehr eindeutig bestimmt ist. Daher sind die auf ihn bezfiglichen Reaktiouen durch keine ersetzenden Reize auszulSsen. Da solche JungvSgel dem Experiment kaum zugKnglich siud, wissen wir so gut wie nichts darfiber, welche diese angeborenen Elternkumpanzeichen sind. Versuche mit Attrappen oder mit Ammen- vSgeln, die der betreffenden Art nahe verwandt and sehr ~hn]ich sind~ kSunten fiber diese Frage Aufkl~rung bringen.

In manchen F~llen, wie in dem vorweggenommenen der Stockente, ist der Elternkumpan durch seinen Lock- oder Fiihrungston ffir den gung- vogel charakterisiert. Ueberhaupt seheinen a n g e b o r e n e K u m p a n- z e i c h e n h ~ u f i g e r a u f a k u s t i s c h e m G e b i e t zu l i e g e n als auf irgendeinem anderen Sinnesgebiete. ]3esonders h~ufig scheint es vorzukommen, dal~ ein angeborenes Reagieren auf einen akustischen Reiz den auf den Elternkumpan gemfinzten Triebhandlungen bei der Pr~gung den Weg auf das artgem~$e Objekt weist. So ist das sehon beschriebene VerhMten junger Stockenten zu AmmenvSgeln zu erkl~ren.

gourn, f. Orn. 83. Jahrg. April 1935. 13

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Sehliel~lieh mul3 noch erwiihnt werden, dag gewisse im angeborenen Schema des Elternkumpans vorkommende Zeichen, die bei der Aus- fiillang des Schemas dureh Pr~gung eines unnormalen, d. h. nicht art- gleichen Elternkumpans, sei es ein Ammenvogel oder ein Mensch, n i c h t mit ausgeftillt werden, zwar die Priigung auf den Ersatzkumpan nicht verhindern, sieh aber doch oft in sehr bezeichnender Weise bemerkbar maehen. Dies gilt z. B. fiir den W a r n t o n des Elterntieres, dessert Kenntnis dem Jungvogel immer angeboren ist und dessen Feblen beim menschlichen Elternkumpan sich in einer sparer zu besprechenden Weise auswirkt.

2. Das persgnllche Erkennen des Elternkumpans. Es steht in sehr vielen F~llen iiberhaupt nieht lest, inwieweit Jung-

vi3gel ihre Eltern individuell erkennen. Fiir einzeln nistende Arten ist es ja auch ggnzlieh unn5tig, dag die Jungen nur auf die eigenen Eltern mit Kindestriebhandtungen ansprechen, da sie ja keinen Schaden davon haben, wenn sie etwa voriiberkommende Fremdlinge vergebens u m Fatter anbetteln. Eher kSnnte es sehon bei koloniebrtitenden Nest- hoekern etwas sehaden, wenn die Jungen einen fremden und vielleieht feindseligen Altvogel nieht abwehren. Dies tun nun junge Nachtreiher aueh tats~chlieh, aber augenseheinlich erkennen sie trotzdem ihre Eltern nicht im eigentlichen Sinne des ~Voi4es. Vielmehr ist ftir sie das Eltern- tier rein dutch ein Zeiehen des a n g e b o r e n e n S e h e m a s, and zwar dadurch gekennzeiehnet, dag es i h r Nest mit der friiher besehriebenen Begrtigungszeremonie betritt. Tat ein Elterntier dies unter den Be- dingungen des Versuehes, denn normalerweise kommt das hie vor, ein- 1hal doch o h n e die Zeremonie, so wird es Me ein frerader Naehtreiher wiitend abgewehrt. Der Elternvogd ist flit sein Kind nicht ein Tier, das so and so aussieht, sondern eines, das sieh auf den Nestrand setzt nnd sieh in bestimmter Weise benimmt. Im Sommer 1933 brtiteten meine 1931 jnng aufgezogenen and sehr zahmen Nachtreiher in v611iger Freiheit auf einer hohen itgngebuche in unserem Garten. Das zahmste Paar hatge zwei Junge, die eben begannen, sieh an den Abwehrreaktionen ihrer Eltern zu beteiligen, wenn ich den Baum erstieg nnd ins Nest hineinsah. Die Mutter hatte so wenig Angst vor mir, dab sie mir ohne weiteres ins Gesieht oder auf den Kopf flog and wiitend auf reich einhackte. Es war bei meinem nnsieheren Stand auf eiaem abschiissigen itiingebuchenast, ohne riehtigen Halt fiir racine tti~nde, gar nicht oin- lath, sieh des furehtlosen Vogels zu erwehren. Das etwas seheuere M~nnehen verteidigte zwar das Nest, ging aber hie wie das Weib zur Offensive fiber. Nun wollte ich einmal mit den beiden Jungen atlein

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sein~ da ich sehen wollte, ob sie dnrch die ~,VuttSne der Eltern in eine abwehrbereite Stellung versetzt wiirden und ohne diesen Einfluf~ ganz anders zu mir w~ren. Ich wartete daher eine Zeit ab, we die Frau allein zu Hause war~ d~s Miinnehen war in die Donau-Auen ge- flogen, und erstieg dann den Horstbaum. Als das Weibchen mir wtitend entgegenkam, packte ieh es und w~rf es mit aller Macht ab- w~rts veto Baum hinunter. Die Steigf~thigkeit des Naehtreiherflnges ist so gering, dal~ die Reihermutter ziemlich erschSpft bei mir ankam~ als sie eilends zur~iekkehrte, um ihren Angriff zu erneuern. Ich warf die Arme nochmals hinunter, und diesmat mul3te sie sich auf dem Rtiekwege einige Minuten verschnaufen, sodas ich Zeit hatte, reich un- gestSrt mit den Kindern zu beseh~iftigen. Sic drohten zwar gegen reich nnd stachen aueh nach meiner Hand; als ieh diese jedoch zwischen den Jungen im Iqest rnhen lief~ beruhigten sie sieh bald so weir, daf~ sie neben der im Neste liegenden Mensehenhand hiIlgeworfene Fiseh- stiickchen auflasen und fraf~en. Da kam ganz plStzlich das alte Mgnnchen gus der Au zuriick und kam sofort in Drohstellung yon der anderen Seite her auf das Nest zu. Als er anf etwa einen halbert Meter heran war, machten beide Jungen, mir den Rticken znkehrend, gegen ihren Vater Front und gingen wie er selbst in Drohstellung. Als er immer noch drohend den Nestrand erkletterte, nm mir zu Leibe zu gehen, staehen beide Jungen heftig nach seinem Gesicht und stiel3en taut das der Art eigentiimliche Angstquaken aus. Sie bezogen die mir geltenden, zu ihrer Verteidigung dienenden Drohstellungen anf sieh. Fiir sie ist der Elternkumpan eben nnr der Vogel, der mit der art- eigenen Begri~l]ungszeremonie auf das Nest komrnt, die die Jungen dann in derselben Weise erwidern. Der wiitend drohende Vater war ihnen ein Fremder.

Der ganz junge Nachtreiher ,,erkennt" also seine Mutter ,,an" ihrer w~rmenden Eigenseh~ft, der etwas herangewachsene ,an'" der Begriif~ungszeromonie am Nest. Nach dem Fliiggewerden erkennt er seine Ettern iiberhaupt nicht~ sondern bettelt jeden sich nghernden Altvogel in g~nz gleicher Weise an, noch sp~ter lernt er die Territorien kennen, die in der Kolonie seinen Eltern zukommen und ,,erkennt" sie ,,an" den Oertlichkeiten, an denen sie sitzen. Wahrscheinlieh wird bei ihm dgs Betteln und die Begrtil]ungszeremonie durch g a n z w e n i g e Merkmale des grtil]enden Elterntiere~ ausgelgst. Es wiirde mSgIicherweise der Jungvogel auch dann griil~en und betteln, wenn wir ihm, ohne dabei ~ndere Reize zu setzen, die drei gestrgnbten Nackenfedern ~ls optischen und den Begriil3ungston als akustisehen Reiz

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darbieten kSnnten. An dem ,,ohne dabei andere Reize zu setzen" scheitert ~ber meist die MSg]ichkeit zu Attrappen-Versuchen fiber die tats~chlich wesentlichen, auslSsenden Merkzeichen. Nur in wenigen besonderen F~illen liegen die Verhfi.ltnisse so gfinstig, clal3 wir imstande sind, die einer Antworthaltung zugeordneten Merkzeiehen za isolieren, and in diesen F~llen t~l~t sich dann eine ganz erstaunliche A r r a n t an angeborene,l Merkzeiehen nachweisen. Aus dieser ,,Erstaunlichkeit" kann man sehr gut sehen wie sehr man d~zu neigt, sich die Umwelt eines Tieres der eigenen allzu ~hnlich vorzustellen, denn an und fiir sich ist es ja eben ni c h t erstaunlich, dab die Umwett eines Vogels um einiges ~rmer ist, als die des Menschen.

Die wenigen Merkmale des Elternkumpans, die dem Jungvogel instinktm~l~ig angeboren sind, sind aber ira Leistungsplan tier Instinkte so eingeb~ut, dal~ sic das Elterntier unter den Bedingungen des Frei- ]ebens eindeutig kennzeichnen. Der alte Naehtreiher, der mit den be- schriebenen Begrtil~ungsbewegungen und -tSnen zn einem Neste fliegt; i s t ebea immer ein dazugehSriges Elterntier~ ebenso das Wesen, das der kleinen Grgugans als erstes entgegentritt und ihren ,,Einprggetrieb" auf sieh lenkt. Es ist, als ob mit den a n g e b o r e n e n Merkmalen aus irgendeinem Grunde g e s p a r t werden miisse.

Es seien hier noeh einige, zum Tell in das Gebiet der Pathologie gehSrige Beobachtungen mitgeteilt, die zeigen, da~ fiir den Jungvogel anch darin eine eindeutige persSnliche gennzeiehnung des Elternkumpans gegeben sein kann, dab die Zeichen seines angeborenen Elternkampan- schemas e i n e E n t w i e k 1 u n g durchmaehen, eine Zeitgestalt darstellen, die einer ebensolchen Entwicklung der diese Zeiehen setzenden Trieb- hundlungen des Elterntieres parallel geht. Mit anderen Worten, die Verschr~nkung der Triebhandlungen yon Etterntier and Jungen machen eine gesetzmgBige Entwieklung durch, in der Weise, dal~ AuslSser und AusgelSstes sich stets parallel zueiaander so vergndern, dal3 hie eine StSrung ihres Aufeinanderpassens d~raus folgt. Es ~ndert sich daher anch das dem Jungvogel angeborene Schema des Elternknmpans, und zwar u n a b h ~ n g i g yon der Aenderuug tier yon diesem ausgehenden Zeichen, normaler Weise abet en t sp r e c h e n d tier Entwickhng dieser letzteren. Es ist also ffir ihn der Elternkumpan dadureh persSnlieh gekennzeichnet~ dal] das S t a d i u m der ~lterlichen Brutpflegetrieb- handlungen dem Entwickhngsstadium seiner eigenen Triebh~ndlungen und seines angeborenen Elternschemas entspricht.

Eine wesentliche Rolle ffir die individueUe Kennzeiehnnng des Elterntieres scheint dieses ,,Zeichen des gleichen Stgdiums" bei gewissen

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Enten zu spielen. Bei Hochbrutenten und Tiirkenenten, also bei zwei nicht sehr weitgehend durch Domestikation ver~nderten Form en, und ebenso bei der Eiderente, also einer Wildform, liegeu darfiber Beob- aehtungen vor. Hoehbrut- und Tiirkenenten verhalten sich in dieser i-Iinsicht etwa folgendermagen: Tritt der Fall ein, dug zwei Bruten am gleiehen Tage sehliipfen und sieh bei ihren ersten Ausfltigen auf den Teieh begegnen, so kommt es sehr hi~ufig, ja regelmN~ig vet, dab sich die Kiiekenseharen vereinigen. Diese Vereiaigung geht yon den Jungen aus und erfolgt sehr gegen den Willen der Miitter, zwisehen denen es zuniiehst erbitterte Kgmpfe setzt uud die sieh erst allmghlieh aneinander gewShnen. Es beginnt die Vereinigung damit, dug Junge der einen Sehar der fremden Ftihrerin folgen. Ihre eigene Mutter mug sieh wohl oder libel den vereinigten Kiiekenseharen anschliegen, was ihr naeh einigen K~impfen mit der anderen Mutter regehn~iNg gelingt. Besonders die jungen Tiirkenenten seheinen ihre Mutter in ihren ersten Lebens- tagen aussehtiel~lich darau zu erkennen, dug die Elterntriebhandlungen der letzteren auf der gleiehen EntwiekhmgshShe stehen wie ihre eigenen Kindestriebhandlungen. Die Entwieklung der Triebhandlungen bildet eine Zeitgestalt, gleiehsam eine Melodie, und fiir den J ungvogel der Ca#'ina ist es das wichtigste Merkmal der Mutter, dug diese zugleieh mit ihm dieselben Takte dieser Melodie abspielt. Es kommt ni~mlieh nut unter ganz bestimmten und reeht aufsehtul~reichen Umst~nden vet, dug eine junge Cairina einer fremden fiihrenden Mutter naehlguft, deren Kinder in einem a n d e r e n Alter stehen.

Wenn irgend ein junger Vogel, also auch ein Cairina-Kiieken, kSrper- lich in seiner Entwieklung zuriiekgeblieben ist, so zeigen seine Triebhand- lungen in ihrer EntwieMung eine der k6rperliehen Entwiekhngshemmung entspreehende Verlangsamung. So erliseht bei vielen Nestfliiehtern der Trieb, zum Sehlafen u n t e r die Mutter zu kriechen, ungef~thr gleieh- zeitig mit dem Auftreten des Rtiekengefieders, ganz gleiehgtiltig, ob dieses bei einem vollwertigen Kiieken rechtzeitig erscheint, oder ob es bei einem Kiimmerling um die doppelte Zeit verspgtet sprogt. Die Muger ihrerseits verliert dan Trieb zu hudern zu einer bestimmten Zeit naeh dem Sehltipfen der Jungen ziemlieh unabh~ngig yon der inzwischen erreiehten EntwicklungshShe der letzteren. Das heigt, sie hudert unterentwiekelte Ktieken wohl etwas, aber nieht bedeutend l~inger als normale. Befinden sieh abet unter vielen normMen Ktieken einer Brat nut wenige Kiimmerlinge, so nehmen die Triebhandlungen der Mutter auf diese erst reeht keine gtieksieht. Meist gehen diese denn aueh um die Zeit des AufhSrens des ngchtliehen Huderns zugrunde. Nun

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habe ich im Sommer 1933 zweimal den Fall erlebt, dab kiimmernde Cairinakficken yon selbst ihre Mutter verlieBen und zu einer anderen jungefiihrenden Cairina iibersiedelten, deren Kiuder j [ i n g e r waren und deren Muttertriebhandlungen noch auf den k5rperlichen Ent- wieklungszustand der Kiimmerlinge patten. Ein solches Kficken h~.lt also die fiihrende Ente mit den p a s s e n d e n TriebhandIungen fiir seine Mutter, ohne sie wesentlich persSnlich zu erkennen. Es kennt natiirlich sehr wohl seine Art, denn es lauft niemals ether nicht artgleichen Ente nach.

Ob rich anch die YV'il d f o r m der Tiirkenente so verhMt, steht nach dem Gesagten natih-lich nicht lest. Die T~irkenente ist eine Form, in deren Ethologie es auff~llt, dab das persSnliche Sich-Kennen der Individuen eine sehr geringe Rolle spielt, im Gegensatz zu fast allen anderen Anatiden. Da sie aul3erdem als einzige bekannte Anatiden- form vollst~indig unehig ist, so liegt es nahe, darin den Grund fiir die geringe Fghigkeit zu individuellem Erkennen zu suchen. Wenn auch bet Stockenten Zweimutterscharen vorkommen, und selbst wenn diese bet der Eiderente dort, wo sie in Mengen vorkommt, geradezu die Regel bilden, so mSchte ich doeh stark bezweifeln, dal3 bet Jungen dieser Arten das Merkmal der ,,Gleichaltrigkeit der verschr~nkten THebhandlungen" wie bet Cairi~a tiber die individuellen Merkmale der Mutter den Sieg davontr~gt, wenn es mit diesen in Widerspruch gerat.

Bet Hiihnern ist die @leiehaltrigkeit der verschriinkten Triebe zwar auch unerlgl31iche Bedingnng ftir jeden Anstausch des Mutter- kumpans; die erlernten individuellen Merkmale der Mutter spielen aber schon ganz frah eine so groBe Rolle, da~ Verwechslungen der Mutter ohne experimentelles Eingreifen des Menschen scheinbar hie zustandekommen. (BRtY0K~CER.) 1)

Im Gegensatz zu den FMlen, woes eigentlieh Z e i e h e n des an- g e b o r e n e n S c h e m a s rind, die den Elternkumpan durch ihre rgum- liche oder zeitliehe Anordnung individnell kennzeichnen~ sodai3 ein persi~nliches Erkennen unn~itig wird, gibt es sehr viele Vogelformen, bet denen ein wirkliehes pers~inliches ]~rkennen der Eltern yon seiten der Jungen stattfindet. Dies gilt fiir die grol~e MehrzahI der Nest- fliichter nnd fiir solche Nesthocker, die nach dem Fliiggewerden yon ihren Eltern gefiihrt werden. Es mtissen yore Jungvogel geniigend viele individuelle 1Vferkmale des Elterntieres erworben werden, um das

1) B~i~OKNnR wies dnrch Versuche im verdunkelten 1¢aum nach, da.~ 1 t~giffe Haushuhnk~icken ihre l~Iutter an der S~imme allein yon fremden Glucken zu unte~ scheiden vermSgen.

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letztere eindeutig individuell zu kennzeiehnen. W~hrend nun das an- geborene Schema in der beschriebenen Weise verh~ltnism~Ng sehr wenige Merkmale enthNt, zeiehnet sieh des erworbene Schema des individuell erkannten Elternkumpans dnrch eine so grol3e R e i c h - h a 1 t i g k e i t an Merkmalen aus, da~ es unwahrscheinlichkeit erscheint, dag der Vogel jedes einzelne dieser Merkmale getrennt yon den anderen aufnimmt nnd ,,registriert". Trotzdem aber reagiert der Vogel un- zweideutig auf den Ansfall oder die Ab~nderung jedes einzelnen dieser vieten Merkmale. Auf die diese und ghnliche Erscheinungen er- klgrende Lehre yon den ,,Komplexqualitgten" ist hier nieht der Ort n~her einzugehen.

Es sei auf die Art nnd Weise, in der das persgnliche Wieder- erkennen eines Kumpans bei verschiedenen VSgeln vor sich geht, gleich agher eingeg~ngen, wiewohl diese Dinge nattirlich nicht nur fiir den Elternkumpan Geltung haben, sondern ebenso gut fiir jeden anderen Kumpan.

Geistig nicht sehr hochstehende V6gel, seien es nun Junge, die noch dmnm sind, oder Arten, die sich nie hSher entwicke]n, erkennen einen Menschen, der als geprggter Kumpan in einen ihrer Funktions- kreise eingetreten ist, im allgemeinen nnr dann, wenn er in allen oder fast allen Merkmalen dem Bilde entspricht, das sie yon ihm gewShnt sin& Setzt der Preund einen Hut auf oder zieht er sich seinen Rock aus, so fiirchten sie sich vor ihm. Diese allgemein bekannte Erscheinung kann man in versehiedener Weise erklgren. Die eine Erklgrung griindet sich auf die Annahme sogenannter K o m p l e x q u a l i t i i t e n , d. h..sie nimmt an, das Tier gliedere den Gesamteindruck, den es empfi~ngt, nieht in einzelne, heraushebbare nnd voneinaJder trennbare Eigensehaften; daher bedente die Aenderung auch nut einer eiazelnen in die Merk- welt des Tieres eintretenden Eigenschaft eine vollstgndige Aenderung der Gesamtqualitiit des Eindruekes. Eine andere Erkl~irung ist die folgende: Sehr viele VSgel, darunter auch geistig sehr regsame, haben die Eigensehaft, anf jede Aenderung b e k a n n t e r Dinge mit dem grSiiten Schreeken zu reagieren. So geniigt es fur einen Kolkraben, dal~ in seinem engsten Heimatgebiete ein Holzstol~ aufgesehichtet wird, um ihn fur einen Tag zu vergriimen. Wenn derselbe Holzstog weir yon seinem Heim erriehtet wird und der Rabe ihn ebenso znm ersten Male sieht, so denkt er nieht daran, sieh davor zu fiirchten und setzt sieh furchtlos darauf. Bei diimmeren V6geln ist das entsprechende Ver- halten noeh ansgesproehener. Manehe KleinvSgel geraten in wildeste Panik, wenn mart den Kiifigschuber einmal mit Erde start des ge-

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wohnten Sandes fifllt. Wenn man sie aber in eine g~inzlich neue Um- gebung bringt, in der dieselbe Erde einen Bestandtefl darstellt, so fiirchten sie sich lange nieht so vor Jhr. Gerade so gut kSnnte sich natiirlich der Vogel vor dem unbekannten I-lute auf dem Kopfe des bekannten Menschen fiirchten und diesen dabei doch im Grunde wieder- erkennen. Die starke l?luehttriebausl6sung verwiseht natiirlieh jede andere Reaktion vollst~indig.

Ffir diese Annahme sprieht auch der Umstand, dab solche diimmere VSgel eine kleine Veri~nderung an der Person des Pflegers, vor der sie zun~iehst stark flattern, doch viel schneller verwinden, Ms einen voll- stiindigen Anstausch des Menschen.

Fiir die Komplexqualit~it der Wahrnehmung sprieht aber wieder die Tatsache, dab viele dumme V~gel auf den bekannten und unver- gnderten Menschen wie auf etwas Neues reagieren, wenn sie ihn auf einem nngewohnten, w e n n a u c h an s i c h b e k a n n t e n [H in t e r - g run d erblicken. Gegenw~irtig besitze ich einen durehaus nicht scheuen Trupial~ dessen Kiifig zwischen meinem Schreibtisch and einem yon mir selten betretenen Erker liegt. Solange ich reich im Zimmer be- wege~ ist der Vogel ruhig und zahm~ aber ira Augenblick. wo er reich zwischen sich und dem Erkerfenster erblickt, beginnt er zu flattern. Die Lehre yon der gomplexqualitiit tierischer Wahrnehmung (VoLgEL~) erkliirt dieses Verhalten damn, dal3 der Vogel das wahrgenommene Netzhautbfld gar nicht in Gegenstand und Hintergrund gliedert~ der hSchste Grad der Ungegliedertheit~ und daher den bekannten Menschen auf verschiedenen Hintergriinden anch dann als Verschiedenes empfindet, wenn ihm jeder Hintergrund fiir sich bekannt ist.

Bei sehr klugen VSgeln scheint das ganze Erkennen anders zu verlaufen als bei den tieferstehenden. Mit meinem golkraben erlebte ich folgendes: Die Tiere waren im allgemeinen gleiehgiiltig gegen Ver- i~nderungen in meiner Kleidung, begleiteten reich sogar fliegend auf Skiansfliigen, auf denen ich mit den langen Brettern an den Fiil3en ein sehr veriindertes Bild bot. Das Einzige, worin sie dureh meine Kleidung beeinflul3t wurden~ war, dal3 sie sich nicht gerne auf meinen Arm setzten~ wenn ich einen ihnen fl'emden Aermel dariiber anhatte. Nun hatte ich einen Motorradunfall~ bei dem ich einen Kieferbruch davontrug~ und mnl3te liingere Zeit einen Verband tragen, an dem an jeder Seite des Kopfes eine den Kiefer nach oben ziehende Feder angebracht war. Als ich mit diesem unheimIichen Helm angetan zum ersten Male zu den Raben kam~ gerieten sie in Panik und rasten gegen das Gitter der mir abgewandten Seite des Ki~figs. Ats ich aber nut

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ein paar Worte sprach, hielten sie plStzlfch in ihrem Toben inne und sahen mieh einige Augenblicke starr an~ and zwar fiber ihre Schultern weg, denn sie steckten yon mir abgewandt zusammengedr~ngt in der hintersten K~figecke. Dann wurde ihr eng angelegtes Gefieder mit einem Male locker, alle drei Raben schiittelten sich zu gleicher Zeit, wie sich fast alle V5gel schiitte]n, wenn nach groBer Furcht Ent- spannung eintritt. Dann ]:amen alle ganz wie gew5hnlich nahe zu mir heran and begannen in meiae Sehahe zu hackea, wie sie es immer taten. Diese VSgel hatten reich also sicher fiir einen Fremden ge- halten and mit einem Rack den Kopfverband ats etwas nicht zu mir GehSriges yon meiner Person abgegliedert. Aehnliches habe ich bisher nur yon ]:[unden und Kindern erlebt. Diese Raben batten reich also nicht beim ersten Blick erkannt und hatten sich nnr vor dem schrecklichen Kopfverband gefiirchtet, sonst h~tten sie nicht im niichsten Augenblick so vollst~indig beruhigt sein k5nnen.

3. Die Leistungen des Elternkumpans.

Unter ,,Leistungen" eines Kumpans wollen wir bier, wo wir yon einem umweIttheoretisehen Gesichtspunkt ausgegangen sind, nicht schlechtweg alle Funktionen des Kumpans verstehen, die iiberhaupt Bezug auf den untersuchten Vogel haben, sondern nur diejenigen, auf die wir diesen Vogel mit einem wie immer gearteten A n t w o r t v e r - h a l t e n anspreehen sehen~ also alle ,Gegenleistungen" im Sinne UExx~LL'S. Wo dies nicht der Fall ist~ haben wir ja kein Reeht zu tier Behauptung~ dal~ die betreffende Funktion des Kumpans in der Umwelt unseres Vogels tats~chlich in Erscheinung trete. Umgekehrt werden wir bier yore Kumpan ausgehende und yon unserem Unter- suchungsobjekt gesetzm~13ig beantwortete Reize aueh d a n a als ,,Leistungen" dieses Kumpans beschreiben, wenn sie yon ibm aus be- trachtet keineswegs als solche imponieren, weil er sich bei dem ganzen Vorgang rein passiv verh~lt nnd keinerlei aueh nur ,instinktm~l~ige" Kenntnis yon seiner eigenen AuslSsefunktion besitzt. So werden wit z. B. das blol3e Vorhandensein der Jungen in der Nestmulde~ als Aus- 15sung des Triebes zum W~rmen bei den Eltern, als eine ,Leistung" des Kindkumpans zu besprezhen haben.

a) D i e A u s l S s u n g de r B e t t e l r e a k t i o n e n .

Die Jungen sgmtlicher Nesthocker und mancher Nestfliichter be- antworten gewisse Reize, die yon den Elterntieren ausgehen, mit Handlungen, die ihrerseits im Bauplan des arteigenen Triebhandlungs-

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systems die Aufgabe haben, die Eltern zu den Reaktionen der Fiitterung zu veranlassen: ein typisches Beispiel einer [nstinktverschrgnkung. Wir wollen diese aus]Ssenden Handlungen der Jungen als B e t t e l r e a k t i o n zusammenfassen und untersuchen,-durch welche Reize sie ihrerseits ausgelSst werden. Wir haben ja sehon S. 181ff. erw~ihnt, in wdeher Weise bei noch blinden JungvSgeln gewisse akustisehe und taktile Reize die Bettelreaktionen auslSsen. Hier sei nur noch hinzugefiigt, dab aueh optische Reize, die nichts mit Bildersehen zu tun haben~ in typischer Weise dasselbe vermSgen. Ffir sehr vide Nesthockerjungen bedeutet, solange sie noeh dauernd yon den Eltern gew~rmt werden, jede Ver- st~irkung der Beleuchtung, dab sieh das Elterntier yore Neste erhoben hat und dab die Ffitterung naht. Umgekehrt beginnen sehr vide junge HShlenbrfiter dana zu betteln, wenn Verfinsterung eintritt: fiir sie be- deutet eben die Verfinsterung des HShleneinganges immer die Ankunft eiues Elternvogels und wird triebmgBig in diesem Sinne beantwortet.

Bei sehr vielen VSgeln bringt der Jungvogel, wenn sein Hunger gewisse Grade iibersehreitet, die Bettelreaktionen, auch ohne da~ er das Elterntier iiberhaupt sieht. Besonders groI3 Mad darin herangewachsene Reiherjunge, die mit ihren Bettelbewegungen und -tSnen stundenlang fortfahren, auch wenn die Eltern gar nicht in der N~he des Nestes sind. Allerdings zeigt eine heftige Verstgrkung dieser Ti~tigkeiten dem Beobachter an, wann der Jungvogei das zuriiekkehrende Elterntier sichtet. Auch bei den Nesthockern, die nicht ,,auf Leerlauf" dauernd vor sich hin bette]n wie die Naehtreiher, gentigt meist der blol~e Anblick der ankommenden AltvSgel zur AuslSsung des Bettelns.

Eine besondere AuslSsehandhng der Eltern~ die die Futteriiber- nahme-Bereitschaft der Jungen erst erzeugt, finden wit in Gestalt einer BegriiBungszeremonie, dem bekannten Klappern, beim Hausstorch und einigen nahverwandten Arten. xNachtreiher zeigen etwas Aehnliches. Die Jungen betteln zwar schon, wenn die Alten am Horizont erscheinen, sagen aber dann doeh noch schnell den Begriil~ungston, wenn der Altvogel das Nest betritt, ehe sie ihn gierig beim Schnabel psmken. Auch da hat man oft den Eindruck, als geniigten beide Teile einer ,,lgstigen Formalit~t".

Aueh VSgel, die keine BegriiBungszeremonie haben, besitzen oft Triebhandlungea, die eine etwa ausbleibende Bettelreaktion der Jungen auslgst, sehr h~mfig besondere TSne. Bei der DoMe zeichnet sich dieser Ton dadurch aus, dat~ das Zustandekommen seiner Bedeutnng verst~ndlich ist, woriiber ich in einer anderen Arbeit 1) beriehtet babe: Es wird ni~mlich der gewShnliche Lockruf dadurch abgegndert, dal~ die

1~ Deitr~ge zur Ethologie soziMer Corviden, J. Orn. LXXIX, 1931~ H. 1.

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Dohle beim Rufen den Sehnabel nieht 5fiber, weil sic sonst den Inhalt des Kehlsa&es verlieren wtirde. Der Laut ist abet in dieser Form triebhaft festgelegt, da er aueh bei naehweislieher Leere des Kehlsaekes in gleieher Form hervorgebracht wird. Grasmt~cken 15sen die Sperr- reaktion ihrer Jungen dadureh aus, da,g sie ihnen ~mf den Rticken springen. Ieh sah an einer 3/iSnehsgrasmtieke, Sylvia atricapilla, dag das Weibehen, wean es die Jungen sehle~fend vorfand, diese nieht dutch einen Ruf weekte, sondern fiber die tleihe der eng aneinandergedri~ngt auf einem Zweig sitzenden Jungen de r L ~ n g e nach yon Rilekea zu Riicken hinhtipfte. Dabei gebrauehte der alte Vogel abet aneh die Fltigel, sodal3 er die Jungen mit Ftigen nur leicht bertihrte. Diese interessante TriebhandIung vermate ieh aber noeh bei sehr vielen SperlingsvSgeln, und zwstr deshalb, weft man bei sehr vielen Arten, so z. B. beim Eiehelh~her, Garrulus glandarius, die ,/ungen dureh ein Ieiehtes, abet seharfes Betapfen yon Kopf und Oberr~ieken aueh dann zum Sperren bringen kann, wenn alle anderen Reize versagen.

Es seien bier ein paar Worte fiber die Sperreaktion der Sperlings- vSgel eingesehaltet. Das Sehnabelaafreigen, das ursprtingtieh zum Zweeke der NahrungsauNahme stattfindet, hat, wie sehon friiher angedeutet, im Laufe der Sta~mmesgeschiehte dieser Grappe eine nene Funktion und damit eine reeht veriinderte Bedeutung bekommen. In einer typisehen Instinktversehriinkung zwisehen Jungvogel and Etterntier dient diese Triebhandlung vor allem zur AuslSsung des Fiittertriebes bei den alten V6geln. Wit werden auf diese Dinge noeh im Kapitel tiber den Kind- kumpan zurtiekzukommen haben.

So leieht nun bei dieser speziellen Art der Nahrungsiiberreichung der tVIenseh den ftitterndea Altvogel vertreten kann, so wenig ist anderer- seits die Triebhandlung des Jungvogels aueh nur im geringsten an ver- ~nderte Bedingungen anpassungsf~hig. Der als Elternkumpan fungierende 3/lensch kann d~her oft das Genaueste aus dem Verhalten des Jung- vogels entnehmen, was ftir ein Benehmen dieser triebmiigig yon seinen Eltern erwartet. Besonders auffallend und in einzetnen F~llen iirgerlieh ist es, dag aueh der fliigge Jungvogel dem ffitternden Mensehen aueh nieht um den Bruehteil eines Zentimeters entgegenkommt, solange er gerade sperrt und in den meisten Fiillen auch nieht vorher, mn zu sperren, auf einen zugeflogen kommt. Das Schema des Elternkumpans k a n n eben fliegen. Nur yen ganz wenigen Arten, und zwar durehwegs bei solehen, deren Junge noeh lange naeh dem ~Sknsfliegen der Eltern naehfolgen, lernen die fltiggen Jungen allmiihlieh, zum Sperren an den menschlichen Pfleger heranzukommen, aber aueh diese tun es meist nut

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dann, w e n n s ie g e r a d e n i e h t s p e r r e n . Trete ich in einen Raum, in dem eine eben fliigge, junge DoMe mir unzug~nglieh hoch auf einer Kastenecke thron L so wird sie zungchst yon ihrem Sitze aus reich an- sperren. Solange sie nun bei diesem Sperren bleibt, ist ihr die MSglieh- keit benommen~ zu mir herabzukommen. Erst wenn das Sperren all- m~hlieh erm[idet, kann es geschehen, dM~ der Vogel in tier Pause zwisehen zwei Sperrausbr[iehen zu mir hinfliegt. Jung aufgezogene Dohlen, die schon l~ngere Zeit fliigge sind, reagieren auf das Erseheinen des Pflegers fiberhaupt nieht gleich mit Sperren, sondern damit, d ~ sie za ibm hin- fliegen. Dieses sinngem~e Verhalten kann man aber sofort in ein sinnloses umsehl~gen lassen, wenn man die Tiere dann a u f e i n e g~nz k u r z e E n t f e r n u n g hit/ zam Sperren veranla~t. Dann ist auch dem Klteren Jungvogel die MSgliehkeit benommen, diese kleinere Entfernang zu iiberwinden. Es ist, als ob das Sperren an sich den Jungvogel an seinen Ort banne, and gerade auf solche kleine Ent- fernungen sprieht der Vogel auf den Anbliek des Elternkumpans eben leiehter mit Sperren an als mit lN~herkommen.

In ~hnlicher Weise, wie die Sperreaktion der jungen SperlingsvSgel diese uni~hig zur Ortsbewegung macht, blockiert sie unter Umst~nden aueh andere Reaktionen. JungvSgel, die eben im Begriffe sind, mit dem Selbstfressen zu beginnen, fressen zun~ehst nur sozusagen spie- lerisch, w e n n s ie f a s t g ~ n z l i e h s a t t s ind. Sowie sie etwas hungriger werden, beginnen sic zu sperren, lkTur wenn sic allein sind and yon keinerlei das Sperren ausl6senden Reizen getroffen werden, gelingt es ihnen, auch bei grgBerem Hunger selbst zu fressen, i¥[it solehen Pfleg]ingen kann einem Folgendes passieren: Man war mehrere Tage abwesend und trifft bei seinem Zartickkommen die in der Zwischen- zeit auf das Selbstfressen angewiesenen Pfleglinge gesund und augen- seheinlieh genfigend ern~hrt an. Die Jungv6gel betteln einen zwar an, da sie aber nachweislieh tagelang gentigend selbst gefressen haben~ hMt man es fiir unnStig, sic welter zu atzen. Wenn man nun aber dauernd in demselben Zimmer mit den JungvSgeln bleiben mnL~, geht einem nicht nur die ewige Bettelei auf die iNerven, sondern man sieht nach einigen Stunden zu seinem Erstaunen, da~ die Tiere matt zu werden beginnen und alle Anzeichen einer Hungersehgdigung beob- achten lassen. Durch den Anblick des Pfiegers wird n~mlieh der Sperrtrieb andaaernd ausgelSst, und dieser blockiert dem Vogel die MSgliehkeit des Selbstfressens so vollkommen, dal~ ein solcher Vogel, der sieh in Abwesenheit des Pflegers bereits tagelang selbst ernghrt hat, nun in seiner Anwesenheit buchst~blich eher verhungert als selber frit]t.

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b) D i e A u s l S s u n g des N a h r u n g s a b n e h m e n s .

Die artgemiil~e Weise der Futterfibernahlne yon den Eltern ist aueh bei solehen Arten den JungvSgeln vollst~ndig angeboren, we das angeborene Schema des Elternkumpans im iibrigen nur sehr wenige Zeiehen aufweist. Aneh gibt es keine einzige Vogelart, bei der die Triebhandlungen der Futterabnahme der jungen Tiere dureh individnell Erlerntes aneh nur im geringsten modifizierbar w~re. Bei der Aufzueht maneher Arten bietet dieser Manget an Anpassungsfi~higkeit des Triebes zum Futterabnehmen sehr grol~e Sehwierigkeiten.

Unter den VSgeln, die ihren Jungen die Nahrung e i n w i i r g e n , verhalten sieh die Arten versehieden, je naehdem, ob beim Einwfirgeakt der Sehnabet des Jungvogels in den des Elterntieres hineingesteekt wird, wie bei Tauben z. B., oder aber, ob dabei der Sehnabel des Jungvogels den des alten Vogels umgreift, W~e z. B. bei Reihern.

Auch in der Pflege eines mensehliehen Elternersatzes wollen junge Tauben ihren Schnabel in irgendeine Spalte einbohren. Ihre Schluck- bewegungen sind nur dann auslSsbar, wean es ihnen gelingt, eine all- seitige Beriihrung der Schnabelwurzel zu erzielen, z. B. wenn man den Sehnabel yon allen Seiten her mit den ]?ingerspitzen umfal3t. Nun ist es gar nieht so einfaeh, den Jungvogel dutch allseitige Reizung der Sehnabelwurzel zu Schluckbewegungen zu veranlassen und ihm gleieh- zeitig einen Brei yon gequellten K6rnern in den Rachen zu pumpen. Die Saugwirknng der Sehluekbewegungen ist niimlieh so gering, dab ein Ueberdruek yon seiten des Futterspenders nicht entbehrt werden kann. Ohne Erftillung aller dieser, teils reflexausl6senden, tells rein meehanischen Bedingungen ist die junge Taube zur Nahrungsaufnahme vollst~ndig unfi~hig. Am einfaehsten hilft man sieh bei der ktinstliehen Aufzueht so, dal3 man angequellte KSrner in den Mund nimmt, den Sehnabel des Jnngvogels mit den Lippen nmfagt, worauf er sofort mit seinen Sehlingbewegnngen beginnt und man ihm leieht die Nahrnng in den Sehlund drtieken kann. Solange die jnngen Tauben noeh blind sind, vollftihren sic aufjeden Beriihrungsreiz hin Kopfbewegungen, die darauf abzielen, den Sehnabel irgendwo einzubohren, wobei sic, nur vom Tastsinn geleitet, Spalten finden, etwa diejenigen zwisehen den Fingern einer Menschenhand. In vorgeschrittenem Alter suehen die bei ihren Eltern verbliebenen, sehr zielbewuBt und offensichtlich optiseh orientiert, ihren Schnabel in den Sehnabelwinkel des Elterntieres ein- zubohren. Die Kenntnis dieser anzuzapfenden Stelle ist abet wohl erworben und nicht triebmiiiIig vererbt, denn die beim Mensehen

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Herangewachsenen zielen mit derselben Sicherheit n,~ch dem Munde ihres Pflegers.

Aehnlich den Tauben stecken auch junge BXormorane bei der Futteriibernahlne ihren Schnabel in den der Eltern, nur scheinen sie in ihm die Nahrung aktiv zu ergreifen. Obwohl also bei ihnen ein eigentliches Einwiirgen unter Druck yon seiten des Altvogels nicht stattfindet, hat auch bei ihnen der Reflex zum Nahrungsgreifen und Schlucken das Hineinstecken des Schaabels in die Rachenh5hle des Eherntieres zur unentbehrlichen Bedingung. ,Da man sie nun nicht gut aus dem Raehen fiittern kann", wie H~Isao~g sict't ausdrfiekt, ist man bei der ktinst]ichen Aufzucht sehr junger Kormorane zur Zwangs- fiitterung gezwuagen, d. h. man mu~ ihnen die Fisehe mit sanfter Gew~tt in den Rachea sehieben~ was deswegen gar nieht ]eicht ist, weil der Jungvogel nicht stille halt, sondern dauernd gierige Suchbe- wegungea vollftihrt, denn er ,will de~t Sehnabel in einen Rgchen steeken"! Gerade bei so]ehen JungvSgeln, deren Aufzucht woehenlang dauert, kommt einem so recht zum Bewu~tsein, wie absolut unfgbig die Triebhandlungen eiaes solchen Tieres zu irgendweleher adaptiven Modifikation sind !

Im Gegeasatz zu den beschriebenen sind JungvSgel voa Arten, bei denen die Futtertibernahme durch Einwiirgen so vor sieh geht, dal] der Jungvogel den Schnabel des Altvogels v on a u B e n umlaut, leieht kiinstlich zu fiittern. Der Jungvogel will da e t w a s , n~mlich den elterlichen Schnabel paeken, und wenn dieses Etwas nieht der als Zwischenziel angestrebte Schnabel des Alten, sondern gleieh die Nahrung selbst ist, so schluekt er sie eben. Man braucht abet nur die Nahrung festzuhalten~ um festzustellen~ dal~ der ,[ungvogel bei deren Ergreifen eigentlich nicht das Futter, sondern den Elternschnabel ,,meint": Er versueht n~mlich dana kaum~ die Nahrung an sich zu rei~en, sondern vollfiihrt an dem C~epaekten~ unter Bettelbewegungen und -lauten, die bezeichnenden ,,Melkbewegungen"~ die das Wiirgen des Altvogels normMerweise auszul6sen haben.

So kann man junge Pagageien leieht aus einem LSffel fiittern, da sie diesen am Rande erfassen und daran ,,melken" wie am elter]ichen Schnabe]~ wobei man ihnen dann dutch Neigen des LSffels Nahrungs- brei einfl5t3en kann. Im vorgeschrittenen Entwicldungsstadier~ fressen sic ,,seheiabar" yon sslbst aus dem stillgehattenen LSffel. Nut voll- fiihren sie w~hrend der ganzen Nahrungsaufnahme Bettelbewegungen uad stol~ea die dazugehSrigen Laute aus. Sie verhaltea sich also so, als glaubten Sie~ der LSffel wiirde sofort die Uebergabe yon Brei ein-

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stellen, wenn er nieht dauernd dureh die genannten AuslSser hierzu veran- lagt wiirde, wie das der Elternvogel natiirlich tats~tchlich rut. DieJungvSgel ,,fiihlen" sich also ,,gefflttert." und wenn sie das nicht triton, so k S n n t e n sie gar nicht in der geschilderten Weise selbst Nahrung aufnehmen, denn der Trieb zum Selbstfressen erwacht bei ihnen erst sparer.

Aebnlieh verhalten sich in menschlieher Pflege die JungvSgel der verschiedenen Reiherarten. Auch sie erfassen die dargebotene Nahrung mit der Bewegung, die eigentlieh zum Erf'assen des elterliehen Schnabels geh6rt, nnd schlueken dann nattir]ich die ihnen so ..... eigentlich nner- warteterweise - - in den Sehnabel gelangende Nahrung. Nur liegen hier die Dingo insofern etwas anders, als die Jungen auch in tier Pflege ihrer Eltern danebengefallene Futtertiere yore Nestrande auflesen. Das Futtereinwtirgen tier ReihervSgel ist wahrscheinlieh aus einem V or - wt i rgen des Futters hervorgegangen. Beim Nachtreiher, Nycticorax, wird den ganz kleinen Jungen das Futter vorgewtirgt, wobei der Elternvogel den gesffneten Schnabel auf das Nest aufstemmt und die Jungen schon vor dem Answfirgen der Nahrung den elterlichen Schnabel beknabbern und umfassen, sodal3 ihnen dann der halbverdaute Brei mehr odor weniger direkt zwisehen die Kinniaden tropft. Sie fressen aber schon nach wenigen Tagen unter optischer Orientierung die Broeken des Speisebreies aus der Nestmulde. Der alte Vogel sehlingt w~hrend des Vorwiirgens h~ufig einen Tell des Vorgewi~rgten wieder ein, mSglicherweise, um es warm zu halten, odor aueh~ um allzu groge Brocken zu entfernen. St6rche tun genau dasselbe. W~hrend nun aber bei St6rchen diese Ftitterungsar~ dauernd beibehalten wird and die Kinder dauernd mit abw~rts geriehtetem Schnabel bettelnd attf das Vorwiirgen warten, gehen die etwas herangewachsenen Nacbtreiherkinder sehr bald dazu tiber, sich dem anfliegenden Elternvogel sehon ira Augenblick, wo er auf dem Nestrand ankommt, entgegenzurecken und ihn bei der Sehnabelwurzel zu fassen. Dabei ~ollfiihrt der Jungvogel auch schon Schlingbewegungen, und das (~anze sieht aus, als wolle er den Sehnabel des Elterntieres verschlucken.

c) D ie A u s l S s u n g de r N a c h f o l g e r e a k t i o n e n .

Eine Leistung des Elternkumpanes, die oft ebenso wichtig ist wie die des Ftitterns und die das ]etztere in manchen F~lten ersetzt and unnStig macht, ist die des F t i h r e n s der Nachkommenschaft. Den Trieb, einem ftihronden Elternkumpan nachzufolgen, finden wir in mehr odor weniger starker Ausbildung b e i d e r grolIen 3Iehrzahl der Neat- fliichter Bowie bei einer Anzs2ql yon Nesthockern. Nestflfichter ohne

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Nestfolgetrieb sind die Grol3ful3hiihner, ferner die MSwen und See- schwalben, bei denen die Jungen, obwohI sie oft durchaus nieht, an den Nestort gebunden sind, ganz nach Art der Nesthocker mit Nahrung versehen werden. Unter den Nesthockern scheinen die fliiggen .Jungen nur bei verh~-ltnism~l~ig sehr wenigen Formen den Eltern nach Art der Nestfliichter nachzufolgen. Es sind darunter besonders geistig hoch entwiekelte Formen, wie z. B. die grol~en Corviden, manche Papageien, u. a.

Ueber den Nachfolgetrieb einiger N e s t f l f i c h t e r haben wir schon im Abschnitt fiber die Priigung manches gehSrt, z. B. wie bei manchen Arten seine Ausltisung an bestimmte, vom Elterntier ausgehende Reize gebunden ist, die bei anderen durch ganz beliebige Reize ersetzt werden kSnnen. Hier will ich nur noch anf einige Eigentfimliehkeiten des Nachfolgetriebes eingehen, die recht deutlich zeigen, wie der Jungvogel manchmal auf g,mz bestimmte Eigenschaften des Elterntieres eingestellt ist, die zwar weniger auffMlend sind als Lock- oder WarntSne (deren Kenntnis der Jungvogel ebenso ererbt)~ die aber ebensowenig abgeiindert werden diirfen, wenn der Gegenleistung kein Abbruch getan werden soll, die der Elternkumpan dem Nachfolgetrieb des Jungvogels zu erffitlen hat.

Wir haben schon gehSrt, dab der Fiihrerkumpan der jungen Stock- enten dauernd quaken mul~, wenn er seine Rolle erfiillen soll. Ein solches dauerndes Lautgeben kommt sehr vielen ffihrenden Nestfliichtern zu. Der Elternkumpan mutl aber auch, solange die Jnngen wach und in T~itigkeit sind, dauernd in Bewegung sein. Bleibt der menschliche Elternkumpan l~ngere Zeit stehen, so fliel~t der Strom der Kiicken an ibm voriiber and welter vorwih'ts. Erst nachdem sie eine Strecke yon mehreren Metern zuriickgelegt haben, werden die Kiieken unruhig und beginnen zu pfeifen. Wenn man nun im Stehen zu loeken beginnt, so rennen die kleinen Enten durchaus nicht sofort zu einem zuriick~ vielmehr bleiben sie noch liingere Zeit hochaufgerichtet nebeneinander stehen und pfeifen welter. Aehnlich verhalten sich Hiihnchen, was E~EI~AN~ sehr genau beschrieben hat.~) Ganz plStzlich rennt dann eines ein ganz kurzes Stfick sehr schnell in der nngef~hren Riohtung auf einen zu und bleibt wieder hochaufgerichtet pfeifend stehen; ibm folgt ein zweite% das etwas weiter auf den Pfleger zuliiuft, dann weitere nnd auf einmal 15st sich die Lawine und die ganze Schar kommt in grSl~tmSglicher Schnelligkeit zu einem zm~ick. Beim Pfleger angekommen, brechen sie in ein eifriges Geschnatter arts, das, aus dem ,Unterhalmngs-

1) E~G~m~A~, W., Untersuchungen fiber die SchMIokalisatio~ bei Tieren. Z. !%ychol. 105~ 1928.

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ton" bestehend, immer dann zu hSren ist, wenn zusammengehSrige Stockenten sich verloren und wiedergefunden haben.

Ebensowenig, wie man als Ffihrer einer Stockenten-Ktickenschar diese zum plStzliehen Anhalten xreranlassen kann, kann man sic daza bringen, in spitzem Winkel aus der bisherigen Richtung abzuschwenken. Die Kiicken laufen geradeaus welter, wenn man, an der Spitze gehend, plStzlich seharf abbiegt, und sic beginnen dann ebenso nach einigen Metern zu ,,weinen" wie beim plStzliehen Stehenbleiben des Pflegers, kehren dann in derselben Weise um und kommen so natiirlich schlieBlieh auch um den spitzen Winkel herum, urn den man sic fiihren will. Ich vermag nicht sicher zu sagen, ob die Stockentenmutter nicht vielleicht ffir diese SonderfDolle besondere TSne als Signale hat, auf die die Jungen spezifisch reagieren. Ieh glaube es jedoch kaum, da ich trotz langjiihriger Stockentenbeobachtung nichts dergleichen zu sehen be- kommen babe. Ebenso wie die ldiihnerglucke verfttgt die Stockenten- mutter fiber eine Bewegung, die den Kiicken die beabsichtigte Marsch- riehtung anzeigt. Es ist dies eine yon hinten nach vorn nickende Kopfbewegung, wie sic vie]e V6gel volIffihren, wenn sic wghrend des Dahinsehreitens etwas lest ins Auge fassen wollen. Bezeichnend ftir diese riehtunganzeigenden Nickbewegungen ist es jedoch, dab sic viel schneller und ausholender sind, ats es der Geschwindigkeit der damn- sehreitenden Ente entspricht. In einer hSchst verwunderlichen Kon- vergenz haben die ebenfalts ihre Jungen ftihrenden Fische, die Chromiden, ganz entspreehende Bewegungen~ die der Sehar der Jungfisehe die beabsichtigte Schwimmricht, ung anzeigen, u. zw. in Gestalt yon iiberbe- tonten Schwimm-Intentionsbewegungen, die ebenfalls so aussehen, Ms wolle sieh das Etterntier eiligst in der betreffenden Richtung davon- st~irzen, w~hrend es ia Wirkliehkeit ganz langsam vorrfiekt. All diese dureh Zeiehengebung seitens des Elterntieres erfolgenden Riehtungs- gnderungen erfolgen jedoeh nur sehr s t u m p f w i n k e l i g .

Spitze Winkel und Stehenbleiben kommen bei der Stockenten- mutter nur dann vor, wenn sic vor sich etwas Be~ingstigendes wahr- genommen hat. Dann aber warnt sic, und dies kann ihr der menseh- liehe Fiihrer leider nieht naehmaehen. Der einzige weitere Fall, wo die fiihrende Stoekentenmutter ihr st~tndig suchendes Dahinsehreiten unterbrieht, tritt dann ein, wenn sic auf einen so reichlich Nahrung spendenden Fleck geraten ist, dal~ sic zun~iehst auch im Stillstehen eine Weile zu fressen finder. Dann aber tun die Jungen dasselbe und kommen nieht in die Lage, ihrer Mutter davonzulaufen. Unter den nattirlichen Bedingungen sieht das alles selbstverstgndlieh arts; erst~ wenn

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man selbst versucht, bei den Jungv5geln die Mutter zu vertreten, kommt einem zum Bewul~tsein, wie rein die Verhaltungsweisen der Mutter und der Jungen aufeinander abgestimmt sind und wie wenig Ver~nderungen schon geniigen, um den Leistungsplan der arteigenen Instinkte zu stSren, wie scharf umrissen den Jungv6geln d~s zu dem des artgleichen Eltern- tieres passende Verhalten angeboren ist.

Ziemlich viel anders ist die Leistung des ffihrenden Elternkumpanes bei den wenigen N e s t h o c k e r n , bei denen ihm tiberhaupt nach dem Ausfliegen der Jungen eine derartige Funktion zukommt. Unter unseren RabenvSgeln finden wir ein solehes nestfliichterartiges Ffihren der Jungen bei der Dohle, weniger augepr~gt beim Kolkraben, noch weniger bei Nebelkr~he und Elster. Die Saatka'~he scheint sich darin der Dohle ~hntich zu verhalten. Den fiihrenden Rabenv6geln scheint sich das Verhalten der ja ebenfalls geistig sehr regsamen Papageien anzu- schliegen, jedoch ist Sicheres darfiber kaum bekannt.

Der Nachfolgetrieb der jungen Dohlen und Kolkraben regt sich erst ganz geraume Zeit naeh dem Verlassen des Nestes, wenn die JungvSgel kSrperlich imstande sind, den Eltern iiberallhin zu folgen. Er unterscheidet sich ferner yore Naehfolgetrieb der Nestfliiehter d~- dureh, dat~ er in einen N a c h l a u f t r i e b und einen N a c h f l i e g e t r i e b zerf~llt, die voneinander merkwfirdig unabh~ngig sin&

Nimmt man eine junge Dohle, die man seit ihrer frtihen Jugend, selbst aufgezogen hat und der man also in jeder anderen Hinsieht Elternkumpan ist, zu jener Zeit mit sieh ins Freie, in der bei ihr der Nachfolgetrieb im Erwaehen begriffen ist, so schl~gt er meist ohne weiteres auf den Mensehen urn. Ebenso leicht kann man aber aueh andererseits eine solche mensehengewShnte Jungdohle dazu bringen, dab sie etwa vorhandenen alten Dohlen nachfliegt und nur in ihrem Fiitter-Funktionskreise auch weiterhin auf den menschliehen Pfleger als Elternkumpan reagiert.

Will man aber den Naehfolgetrieb einer menschengew6hnten Juug- dohle studieren, indem man selbst ihn auslSst, so verfahre man etwa folgendermagen: Man setze den Vogel im Freien auf einen nieht allzu hohen Gegenstand und besch~ftige sich dort solange mit ihm, bis er den Sehreck fiber den Umgebungswechsel verwunden hat. Setzt man ihn auf den Boden, so fliegt er meist aus Bodenseheu vorzeitig ab, liegt der Sitz zu hoeh~ so geht das nun Folgende nicht richtig. Man mttfi ngmtich, naehdem man den Vogel eine Weile beruhigt und viel- leicht aueh gefiittert hat, plStzlich in die HShe fahren und raschestens yon dem Vogel weglaufen. Das In-die-HShe-fahren ist zur AuslSsung

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des Nachfiiegett~iebes wesent]ich, daher muB die Dohle tiefer sitzen als man selbst hoch ist. Hat man aUes richtig gemacht und ist die DoMe vollwertig and gesund, so komint sie mit Sicherheit hinter einem hergeflogen. Gew5hnlich lander der Vogel nun auf der Person des Pflegers, oft aber gerfit er fiber ihn hinaus. In ]etzterem Falle ist er dana nicht imstande~ riehtig umzukehren und zu einem zuriickzukommen. Meist endet er ziemlich hoch oben auf irgend einem Baum und ist yon dort dann garnicht leieht wieder herunter zu bekommen. Dadurch, dag man sich nahe an den Baum stellt und dann pl6tzlich von ihm fortlguft, kann man den Nachfliegetrieb nicht auslSsen. Scheinbar gehSrt es zur AuslSsung des Auffliegens mit dazu, dag der Ftihrer sieh in der gleiehen Ebene mit dem Vogel befindet and beim Losfahren womSglieh aueh etwas hSber kommt. CTliieklicherweise sprechen aber junge Dohlen gut auf Naclmhmungen des Doblenloekrufes an und kommen naeh einiger Zeit unter Piihrung ihres GehSres geraden Weges zu einem zu- rfick, wozu junge Nestfliiehter nicht fiihig sin& Viehnehr finden Kiicken die Lockt5ne aussendende Glueke erst naeh I~ngerem, den Standort der Mutter offenbar akustiseh auspeilendem Ziekzaeklaufen. 1) Ihnen mug man sieh unbedingt bis auf wenige Meter nghern, um den An- schlut~ sehnell wieder herzustellen. Dohteneltern tun dies aber ajach, zamindest in der ersten Zeit, nachdem die Jungen naehzufliegen be- gonnen haben. Wean die Jungen den Ansehlug an die vorgusfliegenden Eltern verlieren, sei es, dag sie diese tiberholt haben oder dag sie zu welt zuriiekgeblieben sind, so stellen die Eltern ihn wieder her, indem sie entweder unter st~ndigem Zurtiekblicken langsamer fliegend auf die guagen warren oder abet die vorausfliegenden Jungen iiberholen und sich so wieder an den Kopf des Zuges setzen. Der Nachfliegetrieb solcher noch nicht allzalange Zeit mit den Eltern fliegender Jungdohlen vet- halt sich sozusagen wie ein Gummiband, das zwischen Eltern and Jungen gespannt ist: Je welter sie sich voneinander entfernen, desto sti~rker ziellt es, aber nur bis zu einem gewissen Punkte, dann reigt es ab und mug neu gekniipft werden.

Nach einiger Zeit tritt dieses so rein reflektorische, durch optische Reize ausgelSste Nachfliegen etwas zuriick gegentiber dem dutch GehSrreize ausgelSsten Anschlul3trieb der Jungen. Diese vermSgen dann unglaublich genau zu lokalisieren, yon wo die Eltern oder der Pfleger sie rufen. Entsprechend dieser F~higkeit kSnnen sie sich dann auch vie] welter yon jenen entfernen, ohne in Gefahr zu geraten, sie

1) W. E~GET~MA~, Untersuehungen tiber die Sehallokalisation der Tiere. Z. f. Psych. 105, 1928.

14"

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zu verlieren. Die Stimmfiihlung, wie H~I~Ro~E dieses akustische Zusammenhalten nennt, spielt ja iiberhaupt bei V6geln oft eine sehr groge Rolle.

Nur beim Abilug bleibt dauernd die optische AtM6sung durch den anfitiegenden ~fihrer in gleichem Umfange erhalten. Der sti~rkste Reiz, der dem menschlichen Dohlenvater zur Verfiigung steht, um die junge DoMe zum Nachfliegen zu veranlassen, besteht darin, dag man auf den sitzenden Vogel schnell znliiuft, dieht vor ihm kehrt maeht nnd so rasch wie mSglich in der Riehtung, aus der man gekommen ist, zuriiekrennt. Diese Methode der AuslSsung hatte ieh bet meiner ersten jnngen Dohle herausgeflmden und war nieht wenig erstaunt und be- friedigt, als ieh spiiter beobaehten konnte, dag dieselbe Ausl6sungsweise den alten Dohlen als arteigene Triebhandlung regetm~il~ig zukommt. Im Experiment empfiehlt es sieh jedoeh, dieses Verfahren nnr bet JungvSgeln anzuwenden, die dem Pfleger sehon l~ngere Zeit im Freien naehgeflogen sind. Wenn man s iea ls erste AuslSsung bet einer ganz jungen Dohle versueht, so bekommt man Ieieht Fluchtreaktionen statt des Nachfliegens.

Sehr eigentiimlieh ist die strenge Sonderung des Triebes zum Naeh- folgen in der Luft yon dem des Naehfolgens zu Fug. Das Auffallendste ist da zun~ehst die sehr versehiedene Intensitiit der beiden Triebe. Zu Fug zeigt ein soleher Jungvogel, der in der Luft dem EIternkumpan ,,wie angebunden" naehfolgt, nut ein ganz unget~hres Bestreben, die gleieheRiehtung einzuhalten. Wie beijungen Nesttttiehtern, sofunktioniert aueh bei ether jungen Dohle das Naehlaufen nut dann auf die Dauer, wenn man sieh sehr genau an die Gesehwindigkeit hiilt, mit der das futtersuehende Elterntier dahinsehreitet. Geht man sehneller, so bleibt die Dohle zuriiek und kommt einem dann naehgeflogen o d e r a u e h n ieh t . Man kann sieh niimlieh sehr wohl unter einem ,Einsehleiehen des Reizes" yon seiner Dohle wegsehleiehen, o h n e dal3 der Naehfliege- trieb ausgel6st wird. Unter den gewShnlichen VerhMtnissen spielt es offenbar keine Rolle, wenn sieh die auf dem Boden futtersuehende Jung- dome etwas wetter yon dem fiihrenden Altvogel entfernt. Das auffliegende Elterntier reigt sie ja doeh mit in die itShe, aueh wenn es sieh inzwisehen vierzig oder hundert Meter yon ihm entfernt hat, und in der Luft maeht diese Entfernung niehts ans.

Im Sommer 1933 experimentierte ieh mit einem jungen Star und konnte feststellen, dal~ bet dieser Art der intensitiitsuntersehied zwisehen Naehlauf- und Naehfliegetrieb noeh viel grSl3er ist. Dies entsprieht genau tier verhifltnismN~ig grot3en Flug- und geringen Gehgesehwindigkeit

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des Stares. Die Viige] kSnnen sieh auch wghrend l~ngeren Futtersuchens gar nicht so weir voneinander entfernen, daS sie nicht nach dem Auf- iliegen in wenigen Sekunden wieder beieinander wgren.

Noch ausgesprochener ist dies bei manehen KleinvSgeln~ die sowohl den Elternkumpan als auch den Artgenossen iiherhaupt so gut wie nicht beobachten, solange sie sieh zu Ful~ umherbewegen, fliegend abet ,,wie angebunden" an ihm hiingen. HEn~ROTE beschreibt dies yon einem jungaufgezogenen Goldammer.

c) D a s W a r n e n .

Eine weitere sehr wichtige Leistung des Elternkumpanes besteht darin~ den Jungvogel gegebenen Falles vor Gefahr zu warnen. Die Reaktion auf die WarntSne und Bewegungen der Eltern ist den Jung- vSgeln wohl aller existierenden Arten angeboren, vielleicht mit Ausnahme der Gro]~fuBhiihner. die keinen Elternkumpsn haben.

Die Warnung besteht in TSnen oder Ausdrucksbewegungen oder Beidem und ist im m e r eiue echte Triebhandlung, bei deren A-asfiihrung der warnende Vogel sieher keine altruistischen Zweckvorstellungen hat. Er warnt ja noch, wenn er allein ist. Erwithnenswert scheint mir noch, dal3 das Vorhandensein besonderer WarntSne keineswegs anf eine be- sonders grol~e Bedeutung des Warnens bei der betreffenden Art sehliefien lg.l~t; keinesfatls ist der umgekehrte Schlnl3 berechtigt: unter sgmtlichen mir bekannten Arten sind die Jungen der DoMe am meisten auf die Warnfunktion der Altv5gel angewiesen, denn sie sprechen mit l?lucht- reaktionen weir weniger auf die yon dem zu fliehenden Jd'eind ausgehenden Reize an als anf das Erschrecken und Fliehen der alten Artgenossen. Trotzdem hat die DoMe keinen eigentlichen Warnton. Es ist geradezu bezeichnend, dab gerade bei der Dohle, die so ungeheuer fein auf die leisesten Ausdrucksbewegungen der Artgenossen reagiert, ein eigentlicher Warnruf nieht ausgebildet zu werden brauchte. In iihnlicher Weise geht das ~Varnen der Jungen durch die Eltern bei anderen, l~ngere Zeit fiihrenden Nesthoekern vor sich, so aueh beim Kolkraben. Dieser hat zwar auch einen Warnton, aber diesem kommt anseheinend eine weniger wichtige Rolle bei der AuslSsung der Fluehtreaktion der Jnngen zu als den ihn begleitenden Ausdrueksbewegungen. Zu meinem Aerger war es mir bei meinen jungen Ko]kraben hie gegliickt, durch ~ach- ahmung des Warntons eine Flncht herbeizufiihren. Unter gewissen Umstiinden wiire es mir erwiinscht gewesen, dies zu kSnnen. Die R~ben pflegten n~mlieh Orte, an denen sie einmal sehr erschreckt worden waren, dauernd zu meiden. Nun erschrecken sie aber jedesmal sehr,

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wenn fremde Menschen yon ihnen unbemerkt nahe an sie herangekommen waren, und am die Erzeugung einer, reich bei meinen Versuchen oft sehr stSrenden. Platzfurcht zu vermeiden, hgtte ich nun die V~gel sehr gerne durch eine Warnton-Nachahmung zuH~ Wegfliegen veranla•t, wenn ieh einen yon den Ruben unbemerkten Menschen nahen sah. Dies gelang mir niemals, bis ich einmal zut'fiJlig zugleich Init dem Ausstolgeu des Warntones reich selbst rasch in Bewegung setzte, well ich einen mir unangenehmen Bekannten nahen sub. Da stimmten die Ruben regelrecht in den Ruf ein und flohen sehr raseh, viel schneller, als ich reich be- wegte, sie flogen also nicht etwa nut mir nach.

Reflexhafter verl~iuft die Reaktion auf das Warnen des Elternvogels bei jungen Nestfltichtern. Auch hier ist sie natiirlich durchaus angeboren, sogar bei tier Graugans, die doch im iibrigen so wenige rein triebm~il]ige Reaktionen auf die yon den Eltern ausgehenden Reize hat und nicht einmal auf deren Loekton instinktmgl~ig anspricht. Nun darf man abet ja nicht meinen, ein solcher Jungvogel babe in irgend einer Weise davon genntnis, da~ ihn da ein befreundetes Wesen vor einem dritten, feind- lichen warnen wolle. Vielmehr hat man in manchen Fhllen ausgesproehen den Eindruek, dab tier JungvogeI v or dem Warnton flieht. Man halte sich vor Augen, dab ein eben trocken gewordenes Kiicken, sagen wir eines Goldfasans, dureh k e i n e n wie i m m e r g e a r t e t e n R e i z zu einer richtigen Fluehtreaktion zu bringen ist, a u g e r durch den W~rn- ton seiner }][utter. Ein noeh n~sses Goldfasankttcken sah ieh einmal gut einen Meter welt rennen und dann in einer dunklen Ecke Deekung nehmen, als ich sein ~lteres Geschwister aus dem Neste nahm und die darob erschreckte ftenne den Warnruf h6ren lieB. Im Ruhezustand war dieses gefltiehtete giicken kaum imstande, den gopf aufrecht zu tragen, konnte nicht stehen und aueh nieht langsam gehen. Nut unter dem ungehenren Erregungsdruck des Warntones konnte es zu kurzem, aber raschem Rennen aufgepeitseht werden. Solche ganz kleine Kiicken fliehen beim Warnen der Henne auch immer yon ih r weg and nehmen dann oft sehr welt yon ihr und voneinander entfernt Deckung, in der sie dann so lunge bleiben, bis das gewShnliehe Loeken der Mutter er- tSnt. Beunruhigt man die letztere dauernd welter, so dab sie nieht lockt, so wagen sie sich ebenso lunge nieht hervor.

Die etwas grSl]eren, bereits zum Aufbaumen f~higen Ktickeu sehr vieler HiihnervSgel zeigen zwei streng getrennte Antworten auf z wei v e r s c h i e d e n e W a r n l a u t e derEltern. Auch dasBankivahuhn und das Haushuhn hubert zwei getrennte ~Varnrufe fiir den fliegenden Feind und den Bodenfeind. Man begegnet abet in der Literatur der Ans~cht,

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da~ es sich da um graduell verschiedene Ausdriieke derselben Erregung handle. Aus dieser Tatsache entnehme ieh die Bereehtigung, hier ohnehin Bekanntes nochmals breitzutreten. Gallus bankiva reagiert auf einen fliegenden Raubvogel mit einem langgezogenen, sonantisehen R-Laut, der meist als ,Rr~ih" wiedergegeben wird. Dieser Laut ist auslSsbar dureh einen fliegenden Raubvoge], aber auctl dureh irgend einen anderen ungewohnten fliegenden Gro~vogel, a~uch wean er gar nicht, raubvogel- artig wirkt. Ich hSrte das ,,Rrfih" der hiesigen Haush~ihne als Antwort auf den Anb]ick meiner fliegenden StSrehe, Graug~nse, Kormorane, Kolkraben und anderer Grol3vSge], also auch soleher, die durchaus nicht raubvogelartig wirken. Noeh sicherer und nicht dureh GewShnung ab- stumpfbar war die AuslSsung des ,,Rr~ih" durch kurzhalsige und sehr sehnelt fliegende VSgel: sowohl meine MSnehsittiche als anch in sehr raschem Sturzflug herabsausende Haustauben brachten regelmal~ig die Dor~iihner zum Aussto~en dieses Raubvogel-Warnrufes.

En'eicht dieselbe Erregung, deren Ausdruck der Rr~h-Ruf ist, h5here Grade, so erfolgt eine Fluchtreaktion n a e h u n t e n d. h. boden- w~irts ins Finstere, also womSglich u n t e r eine Deckung. Die ,,Rr~ih- Erregung" ist zwangsl~ufig mit Nach-oben-Blicken gekoppelt.

Antler dieser Warn- nnd Fluchtlmndtung besitzen die Haushfihner und viele andere H[ihnervSgel noch eine zweite. Erblickt ein Haas- oder Bankivahuhn ein n i e h t f l i e g e n d e s , aber ibm gef~hr]ich er- seheinendes Tier, so bekommt man einen ganz anderen Ton zu hSren. Das Huhn sagt zun~ehst einmal: ,gockokokok", mit sehr starker Be- tonung der zweiten Silbe. Dauert die Erregung an und tritt nicht so- fortige Beruhigung ein, so hSrt man in regelm~igen Abst~inden yon etwas weniger als einer Sekunde einzelne Goek-Laute, die sieh je naeh St~irke der Erregung h~ufiger oder seltener zu einem sehr ]auten, zwei- silbigen ,,Gog6hk" steigern. Dieser Warnlaut wird merkwfirdigerweise yon der Henne naeh dem Legen ausgestot3en und ist den Meisten in dieser Verbindung bekannter als als Warnlaut.

Es liegt nun die Frage nahe~ wieso denn gerade der Warnlaut gleieh naeh dem Legen zur AuslSsung komme. Zun~ichst sieht dieses Verhalten so sinnlos, ja geradezu biologiseh sch~idlich aus, da~ man nieht meinen mSchte, dab es der Wildform in der gleiehen Weise zu eigen sei. Ein ~hnliches Gehaben finden wir jedoeh bei tier Amsel zur Zeit der Abenddiimmerung. Jeder kennt alas bezeichnende laute Warnen, das die Amseln vor dem Sehlafengehen hSren lassen. H~IN- ROTH hat die Vermutung ausgesproehen, da~ dieses laate Warnen stets welt ent.fernt yon dem eigenflichen Sehlafplatz tier VSgel ausgesto~en

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werde, dab diese also nach dem W~rnen stumm eine grSl3ere Streeke weir abstrichen, eine Vermutung, die dutch die Beob~chtung durchaus best~tigt wurde. Ieh vermutete nun, dal~ bei den gennen eine ghn- liche biologische Bedeutuag des lauten Warnens vorliege, was durch eine Nachfrage, die HEINROTH freundlicherweise auf meine Bitte an- stellte, ebenfalls bestgtigt wurde. Bankivahennen and auch Haushuhn- Bankiva-B2reuzungstiere verlassen das Nest nach dem Legen stumm und heim]ich und f l i e g e n eine mSglichst weite Strecke yon ihm weg, um dann erst in das aneh ihnen zukommende L e g e g a c k e r n auszubrechen. Da der Trieb zu diesem Wegfliegen bei den mehr oder weniger flug- unfiihigen Haushtihnern meist ~usfallt, so erfolgt bei ihnen das Lege- gackern in durcbaus unzweekmiil3igerweise dieht beim Neste. Auch bei tier legenden Henne ist das Gaekern also im Grande genommen mit Flugstimmung gekoppelt.

Bei der gewShnliehen Bodenfeind-Warnreaktion sieht man dem Huhn sehon wghrend des regelmgl3igen gock-gock-goek usw. deutlich Flugstiramung an: es wird lang und schlank and vollfiihrt im Takte zu den einzelnen Lauten lebhafte gopfbewegungen, die einwandfrei ats Auffliege-Zielbewegungen zu erkennen sin& Steigert sich die Erregung in d i e s e r Stimmung his zur motorischen Auswirkung, so fliegt der Vogel schliel3]ich im Augenblicke eines ,rGog6hk" unter mehrmaliger rascher Wiederholung dieses Ietzten Lautes in die HShe. Bei dieser Reaktion siehert das Huhn mit Bliekrichtung zum Boden.

DieseBodenfeind-Warnreaktion istbeim domestizierten Huhn dadurch verwiseht, dab es bei sehwereren Rassen kamn je zum wirklichen Auffliegen kommt; man kann aber an ihrer Bedeutung nieht mehr zweifeIn, weml man die entspreehende Verhaltungsweise des Goldfasans kennt.

Beim Goldfasan finden wit, ebenso wie offenbar bei sehr vielen HiihnervSgeln, diese]be doppelte Warnreaktion. Entsprechend der hSheren Stimmlage yon Ch.~:ysotophus klingt der Flugwarnlaut mehr wie ,,Rrihh"; dem Bodenfeind-VCarnton des Bankivahuhnes entsprieht ein zartes ,,Grix-grix-grix", das in etwas grSgeren zeitlichen Intervallen ausgestol]en wird als der entspreehende Laut des Hanshuhnes~ und der in einem zweisilbigen ,,Girrih" gipfelt, das ebenso wie tier zweisilbige Ruf des ttuhnes immer zwischen l~ingeren Folgen des einsilbigen ein- gesehaltet wird. Man bekonnnt ihn aber seltener zu h6ren als beim ttuhn, da beim C~oldfasan das Auffliegen viel leichter und friiher ein- tritt als bei jenen. Aueh geht das Anffliegen beim Goldfasan im Gegen- satz zum Haushuha meist still vor sich. Sehr hi~ufig baumt der @otd- fasan dann sofort auf, ohne welter zu fliehen.

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Fiir unsere Betrachtung ist hier wichtig, dal] diese Zweiheit der Reaktion bei kleinen Hiibner- und Goldfasankficken zun~iehst nieht vorhanden ist. Goldfasankficken nehinen auf beide Arten yon Warn- rufeu hin sofort Deckung. Erst you der Zeit ab, wo sie etwas flug- f~hig sind und aueh des Naehts Init der Mutter aufzubauinen beginnen, fangen sie an, auf den Bodenfeind-Warn]aut in Auffliegestiininung zu geraten.

Vergleichend kann man sagen, da~ diese Mutter und Kind ange- borene und im Sinne der Arterhaltung ungeheuer zweekin~l~ige Ver- haltungsweise der HiihnervSgel einen viel reflexmi~l]igeren, unbewuBten Eindruek hervorruft als das nur durch das Gehaben der Eltern hervor- gerufene Siehern und Fliehen der jungen Dohlen und anderer Raben- vSgel.

Man darf aueh nicht vergessen, da6 die jungen RabenvSgel auf das Ersehreeken ihrer Ftil~rer bin sichern, d. h. nach einem Feinde Aussehen halten; sie verhaltea sieh also so, ,,als wiifiten" sie trieb- Inh~ig, dab sie yon den Fiihrern vor etwas Drittem gewarnt wiirden, iin Gegensatz zu kleinen Nestfltichterkiicken, die allein Anschein naeh direkt vo r dein Warnton ihrer Mutter fliehen. 5'Ian InSchte ja aueh diesen fl'isehgesehltipften kleinen Tieren yon vornherein nicht so hoch- entwickelte Verhaltungsweisen zutrauen wie einem kSrperlich er- waehsenen jungen Rabenvogel. Die gr6geren, flugf~higen Htihnerkiicken benehmen sich beim Ert6nen des Bodenfeind-Warnlautes wie die tlabenjungen, d. h. sie siehern naeh at]en Seiten nach dein zu er- wartenden Feinde.

Es seien Inir einige Worte tiber das V e r h a l t e n be i A u s f a l l d e r W a r n l e i s t u n g gestattet.

Da die WarntSne und Gebhrden der einzelnen Arten meist nur in ihrer spezifisehen Form die dazugehSrigen Reaktionen der Jung- vSgel aus]Ssen, so ist der Elternstelle vertretende Mensch meist nieht iinstande, stellvertretende Reize su setzen.

Nun finden wir aber bei vielen Tieren die Neigung, Reaktionen, die eigentlich einer bestimmten AuslSsungsweise zugehSren, beiin Aus- bleiben des adgquaten Reizes aueh dutch einen anderen Reiz auslSsen zu lassen. Es wird die Reizsehwe]le der betreffenden Reflexe oder Reflexketten iininer welter erniedrigt, bis die gauze :Reaktion sehliel]lich sogar o hne erkennbaren fiul]eren Reiz, wie ich zu sagen pflege ,auf ,,Leerlauf", zur Ausftihrung gelangt. Es ist~ als ob die durch lange Zeit nicht ausgelSste arteigene Triebhandlung Inangels eines gugeren Reizes schliel31ich s e l b s t zu einem i n n e r e n Reize wiirde.

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Ieh befinde reich i~ der Auffassung dieser Dinge in einem ge- wissen Gegensatze zu Gaoss, der alle solehe Leerlaufreaktionen Ms ,,Spiel" betraehtet und ihnen einen biologisehen Weft im Sinne einer Einiibung der Reaktion zuschreibt. Ieh meine nfimlieh, dab nut ver- h~ItnismN]ig wenig Leerlaufreaktionen diesen Namen wirklieh verdienen, dab sehr wenige yon ihnen sieh wirklieh yon der I ~ e a k t i o n des E r n s t f a l l e s u n t e r s e h e i d e n . Zweifellos ist dasKampfspiel zweier junger Hunde tats~iehlieh etwas ganz anderes als ein ernster Itunde- kampf and nicht etwa nur graduell yon einem solehen versehieden. Der Hauptuntersehied besteht in dem E r h a l t e n b l e i b e n a l l e r s o z i a l e n H e m m u n g e n beim Spiele, und zwar aueh beim heftigsten und leidensehaftliehsten Spiel. Vor allem erhi~lt sieh die Hemmung, ernstlieh anzubeiBen, wNlrend sie beim ernstli&en Kampfe, und zwar aueh bei der kleinsten ernsten Reiberei sofort voltst~ndig ausgesehaltet wird. Aehnliehe Untersehiede zwisehen Spiel and Ernsffall lassen sieh bei sehr vielen Tierspielen naehweisen, and nur dann soltte meiner Meinung naeh von ,,Spiel" gesproehen werden. Ieh bin n~mlieh iiber- zeugt, dab sieh die Vorgi~nge im Zentralnervensystem des Tieres in sehr vielen FMlen bei der Leerlaufreaktion in n i e h t s yon dem im Ernst- fall ausgel6sten Ablauf unterseheiden, und zwar umso weniger, je geringer die geistige EntwieklungshShe des betreffenden Tieres ist. Ieh bin iiberzeugt, dab ein kleines Kaninehenkind, das auf einer freien Wiese plStzlieh wild Haken zu sehlagen beginnt und dann der n~ehsten Deekung zustiirmt und sieh dort driiekt, sieh genau so wirklieh ,,fiirehtet", wie wenn ein Habieht hinter ihm her w~re. Andererseits verh~ilt sieh ein Zieklein bei dem entspreehenden ,,~'lueht"spiel ganz anders, denn es bleibt naeh einigen Haken- und Querspriingen stehen und fordert sein verfolgendes G-esehwister zur weiteren Verfotgung auf. Da h~tten wit also tatsi~ehliell ein Spiel vor arts. Die Grenzen sind, wie tiberM1, nieht seharf zu ziehen; trotzdem aber d iirften wir mit tier Annahme nieht sehr welt fehlgehen, dab b e i V 5 g e 1 n die groge Mehr- zahl der Leerlaufreaktionen mit denen des Ernstfalles b e z i~ gli e h d e r i n n e r e n N e r v e n v o r g ~ t n g e i d e n t und daher nieht als Spiel zu betraehten sin& S~molJs, wohl ein sehr guter Kenner und Deuter tierisehen Benehmens, sprieht den VSgeln die F~higkeit zum Spiel rundweg ab. Ausnahmen und Uebergi~nge gibt es natiirlieh, und zwar, wie zu erwarten, bei den grogen RabenvSgeln und Papageien.

Bei Ausfall der Warnfunktion yon seiten des Elterntieres kommt es nun bei vielen JungvSgeln zu sehr eigentiimliehen Leerabli~ufen der normMerweise gerade dureh das Warnen ausgel5sten Flueht- und Sieher-

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Reaktionen. Man finder dann haufig eine ganz eigentfimliche Fahrigkeit u n d U e b e r b e r e i t s c h a f t zu F l u c h t b a n d l u n g e n , die vollkommen unabh~ngig yon der Zahmheit des Vogels gegenfiber seinem Pfleger ist. Es ist, als w a r t e der Vogel darauL einma] fliehen zu miissen, ja, als wiirde es ihm eine Beruhigung sein, wenn der ewig ausbleibende Feind endlich erscheinen wtirde. Hs~RO1H pflegt fin Scherz und in bewugter Vermenschlichung diese Stimmung der zahmen Jungvggel in die Worte zu fassen: ,,Wann kommt der Kerl nun endlich?" Die Neigung, sich vor nnwichtigen and kleinen Dingen unm~ig zu ftirchten, steht dann in einem auffallenden Gegensatz zu dem Vertrauen, das sic dem Pfleger entgegenbringen, ja, man kSnnte sagen, sie stiinde in einem u m - g e k e h r t e n V e r h ~ l t n i s zu diesem Vertrauen. Zu der Annahme, dab die erw~ihnte Fahrigkeit and Panikbereitsehaft auf den Ausfall der elterlichen Warnfunktion zuriiekzufiihren sei, werde ich hauptsgehlieh dureh den Umstand veranlaBt, dab sic gerade bei solchen Arten am deutlichsten zur Beobachtung kommem bei denen Eltern trod Kindern besonders ]ange und innig miteinander in Beziehung stehen und bei d e n e n d i e J u n g e n w e n i g a n g e b o r e n e K e n n t n i s de r zu f l i e h e n - den F ei n d e zeigen. Gerade solche JungvSgel, die sieh dem Mensehen gegentiber als besonders vertrauensvoll erweisen, geh6ren Arten an, bei denen, wie bei den Dohlen, die AuslSsung des Fluehttriebes nieht durch den Anblick clues triebm~Sig als solehen erkannten Feindes, sondern dureh das Miterleben der Warn- und Fluchtreaktion der ffihrenden Eltern ausgelSst wird. Gerade bei ihnen setzt dann die ,,Leerlauf"- Beantwortung eines gar nieht gebotenen Warnreizes ein. Naeh H~:~RoT~ finden wir die beschriebene Erscheinung sehr stark bei Kraniehen, bei G--raug5nsen und bei golkraben, ftir welch letztere aueh meine Beob- achtungen dasselbe gezeigt haben. Ich mSehte dann noeh den genannten Arten die Dohle hinzuNgen; fiber die dureh giinzlieh grundlosen Alarm hervorgernfenen Paniken, denen fiihrerlose Jungvggel dieser Art ganz besonders ausgesetzt sind, habe ich an anderer Stelle beriehtet. ~)

Bei ihnen handett es sieh kurz gesagt alarum, dab die Fureht- reaktionen des einen Vogels bei dem niiehsten eine ebensolehe auslSst, die s t a r k e r ist, als sic selbst. Das kleinste Ersehreeken eines Indi- vidnum ffihrt zur Flueht der ganzen Sehar, wofern soviele Individuen gegenw~trtig sind, dab die Erregungssteigerungen b elm jedesmaligen Ueberspringen des Reizes zu seiner geniigenden Verst~rktmg ffihren. Bei einer normalen Schar erwachsener VSgel reagiert jedes Individunm auf den Ausdruek der Pnreht bei einem Kumpan h S c h s t e n s mit

1) Beitriige zur Ethologie sozialer Corviden. J. Orn. LXXIX, 1931, It. 1.

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einer ebenso starken Erregung, nie mit einer st~irkeren. Das ]awinen- hafte Anschwellen der Panik bei den JnngvSgeln beruht auf einer a b n o r m e n H e r a b s e t z u a g de r S c h w e l ] w e r t e des W a r n - r e i z e s . Bei der erhShten Panikbereitschaft maneher Huftiere mag es iihnlich sein.

d) D a s V e r t e i d i g e n .

Das Verteidigen der Jungen dutch die ElternvSgel seheint in vielen Fiillen yon den Jungen ,,zur Kenntnis genommen" zu werden. Bei Hiihnerkiieken beobaehtete Bai)c~z~ER, dab sieh die Jnngen bei lderan- nahen eines Feindes, der eine Verteidignngsreaktion bei der Glueke anslSste, h i n t e r der Glueke, wie B~t~cxN~R sieh ausdriiekt, ,,im Gefahrsehatten" sieh ansammeln. Aehnliehes konnte ieh bei Naeht- und Seidenreihern an fliiggen Jungv6geln beobaehten.

4. Die Trennbarkeit der Funktionskreise.

Dag es in der Umwelt des Jungvogels nieht in Erseheinung tritt, ob alte die besprochenen Leistungen des Elterntieres yon einem und demselben individuellen Wesen ausgehen oder nicht, glaube ich daraus entnehmen zu diirfen, dag es die die einzelnen Leistungskreise be- treffenden Instinkthandlungen des Jungvogels in keiner ~Veise stSrt~ wean in jedem einzelnen ein anderer Kumpan die Gegenleistung zu seinen eigenen Trieben abgibt. Natiirlich mug dies in einer zu dem Bauplan seiner Triebhandhmgen passenden Weise gesehehen.

So nehmen kleine Nestflfiehter meist ohne weiteres damit vorlieb, wenn ihnen der Mensch den Kumpan im Fanktionskreise des Ffihrens darstellt, ihrem Trieb zum Unterkriechen und Siehw~rmenlassen jedoch die Gegenleistung eines passenden Petroleumofens geboten wird. Waehen sie auf und krieehen sie unter der Petroleumglueke hervor, so weinen sie ebenso ,naeh" dem Ftihrnngskmnpan, wie sie, wenn sie frieren oder miide sind, ,,naeh" dem Wiirmespender weinen.

Ebenso zeigt sieh in Fiillen, wo normalerweise das Elterntier die Leistungen des Fiihrens und des Fiitterns in sieh vereinigt, eine weit- gehende Unabh~ngigkeit dieser Funktionskreise. Ieh habe wiederholt junge Dohlen, die icl~ arts Zeitmangel nicht selber ftihren konnte, ganz einfaeh an die Sehar meiner alten, freifliegenden Dohlen angegliedert. Ihr Naehfolgetrieb richter sieh dann ohne weiteres auf die Schar der AltvSgel, und die Tiere maehen hie Versuche, mir naehzufliegen, voraus- gesetzt, dag sie satt sind. Aueh lassen sie sich yon mir nicht an Orte fiihren, wo sie und die anderen Dohlen sonst nieht hinkommen, w~hrend

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eine durch ihren Nachfolgetrieb an reich gefesselte Dottle sieh nat~irlieh blindlings fiberallhin fiihren lgBt. Die Bettelreaktionen richten sich ebenso gegen reich wie bei einer auch im F~ihren auf reich an- gewiesenen Jungdohle, hSehstens mag es sein~ da$ der Sperrtrieb bei solchen VSgeln etwas frtiher erliseht Ms bei VSgeln~ die durch ihr Nachfliegen noch yon einer anderen Seite her an reich gebunden sind. Ein Anbetteln der ihren Nachfolgebetrieb befriedigenden alten Dohlen kommt bei solehen JungvSgeln nut ganz ausnMlmsweise einmal vor.

Dg das Reagieren auf das Warnen der Eltern vSllig angeboren und vSllig unabhgngig von Erworbenem ist, so erscheint es verstgndlich, dal~ sich der Funktionskreis gerade dieser Leistung einer besonderen Unabh~ngigkeit yon anderen erfreut. Es spielt denn aueh die Person des Warners dabei keine Ro]le. Ein Jungvogel, dem in alien anderen Funktionskreisen der Menseh oder eJn bestimmter Mensch Eltern- kumpan ist, gerRt durch das Warnen eines alten Artgenossen genau so in Erregung, wie in F~Ilen, wo die Nachahmung der elterlichen ~V~rnl~ute im Bereieh mensehticher Stimmittel liegt~ der Mensch durch eine solche N~ehahmung die bei ihren riehtigen Eltern befindliehen JungvSgel in Sehrecken versetzen kann. (Fortsetzung folgt.)