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Schriftliche Hausarbeit zur Prüfung für das Lehramt an Gymnasien Thema der Arbeit: Der Mensch als praktisches Wesen. Zur Bedeutung impliziten Wissens im Sport Beurteilender Hochschullehrer: Prof. Dr. Thomas Alkemeyer Zweitgutachter: Prof. Dr. Matthias Schierz Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg Institut für Sportwissenschaft Vorgelegt von: Kristina Brümmer Oldenburg, den 28.11.2006

Der Mensch als praktisches Wesen. Zur Bedeutung … · Theorien des Sozialbehavioristen George Herbert Mead (Kapitel 3.1), der Wis-sens- und Erkenntnisphilosophen Gilbert Ryle (Kapitel

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Schriftliche Hausarbeit zur Prüfung für das Lehramt an Gymnasien

Thema der Arbeit:

Der Mensch als praktisches Wesen.

Zur Bedeutung impliziten Wissens

im Sport

Beurteilender Hochschullehrer: Prof. Dr. Thomas Alkemeyer

Zweitgutachter: Prof. Dr. Matthias Schierz

Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg

Institut für Sportwissenschaft

Vorgelegt von: Kristina Brümmer Oldenburg, den 28.11.2006

Der Mensch als praktisches Wesen Inhaltsverzeichnis

I

Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen.................................................................................. II Vorwort ..................................................................................................................III 1. Einleitung ..........................................................................................1 2. Handlungen als Abbilder geistiger Vorgänge - Paradigmen und anthropologische Grundlagen traditioneller Handlungstheorien..........5

2.1 Die soziologische Perspektive....................................................................... 5 2.2 Die psychologische Perspektive.................................................................... 7 2.3 Die bewegungswissenschaftliche Perspektive ............................................ 11 2.4 Resümee ...................................................................................................... 16

3. Das Wissen des Körpers - Praxeologische Erklärungen der menschlichen Handlungsfähigkeit ......................................................17

3.1 George Herbert Mead - Die praxeologische Konstitution geistiger Fähigkeiten........................................................................................................ 18 3.2 Gilbert Ryle – Die Dichotomie von theoretischem Wissen (knowing that) und praktischem Können (knowing how).......................................................... 21 3.3 Michael Polanyi – Die Bedeutung eines impliziten Wissens für ein praktisches Können ........................................................................................... 25 3.4 Pierre Bourdieu – Der Habitus als präreflexive Handlungsressource......... 30

3.4.1 Habitus als strukturierte Struktur ......................................................... 32 3.4.2 Habitus als strukturierende Struktur..................................................... 33

3.5 Die Antinomie der handlungstheoretischen und der praxistheoretischen Perspektiven – Eine Zwischenbilanz ................................................................ 37

4. Praktische Experten und ihre Fähigkeit zur intuitiven Bewältigung des Unplanbaren..................................................................................42

4.1 Überlegungen aus dem Bereich der pädagogischen und psychologischen Expertiseforschung............................................................................................ 43

4.1.1 Exkurs A - „Ways of the Hand” ........................................................... 44 4.1.2 Zum Erwerb praktischer Fertigkeiten und zum Wert der Intuition...... 47 4.1.3 Exkurs B - Die Struktur des Expertenwissens ..................................... 50

4.2 Überlegungen aud dem Bereich der Arbeitswissenschaft........................... 54 4.2.1 Das traditionelle Modell des planmäßig-rationalen Arbeitshandelns und seine Grenzen ......................................................................................... 54 4.2.2 Das Modell des erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandelns und seine Bedeutung für die intuitive Bewältigung des Unplanbaren.......... 56

4.3 Resümee ...................................................................................................... 60 5. Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung.63

5.1 Zur Bedeutung von Bewegungsgefühlen und subjektiven Theorien für ein gekonntes Bewegungshandeln .......................................................................... 64 5.2 Zum Phänomen der „sprachlosen“ Handlungsfähigkeit sportlicher Experten ............................................................................................................ 70

Der Mensch als praktisches Wesen Inhaltsverzeichnis

II

5.2.1 Implizites Bewegungslernen ................................................................ 72 5.2.2 Common Coding von Bewegung und Wahrnehmung.......................... 76 5.2.3 Unbewusste Informationsverarbeitung ............................................... 78 5.2.4 Bewegungspriming .............................................................................. 79

5.3 Resümee und didaktischer Ausblick ........................................................... 81 6. Schlussbetrachtung..........................................................................85 Literatur................................................................................................................. 91

Verzeichnis der Abbildungen

Nummer Titel Seite

1 Übersicht über das differenzierte Handlungsgrundschema 12

2 Triadische Phasenstruktur der Handlung 13

3 Der Zusammenhang von Wissen (knowing that) und Können (knowing how) nach der „intellektualistischen

Legende“

22

4 Merkmale des objektivierenden und des subjektivieren-den Handelns

60

5 Darstellung der Komponenten des professionellen Wis-sens

67

6 Lehr-lern-theoretische Konsequenzen 84

Der Mensch als praktisches Wesen Vorwort

III

Vorwort

Die vorliegende Examensarbeit ist im Wintersemester 2006/07 an der Fakul-

tät für Sportwissenschaft der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg entstan-

den und beschäftigt sich mit dem Thema „Der Mensch als praktisches Wesen. Zur

Bedeutung impliziten Wissens im Sport“. Die Idee zu der Arbeit entstammt zwei

Veranstaltungen am Fachbereich für Sport und Gesellschaft, von denen sich eine

mit soziologischen Praxistheorien, die andere mit einer Betrachtung sportlicher

Praktiken im Lichte anerkannter Handlungstheorien beschäftigte. In beiden Semi-

naren wurde an Hand verschiedener Lektüre darüber diskutiert, dass und warum

weder der Erwerb, noch die gelingende Ausführung körperlich-praktischer Fähig-

keiten und Fertigkeiten mit Hilfe traditioneller Handlungsmodelle angemessen

beschreibbar scheinen. Eben diese Problematik thematisieren die folgenden Kapi-

tel.

Der Mensch als praktisches Wesen Einleitung

1

1. Einleitung

Traditionelle Handlungstheorien unterschiedlicher Human-, Gesellschafts-

und Geisteswissenschaften (hierunter auch die Sportwissenschaft) attribuieren der

menschlichen Aktivität ausschließlich unter derjenigen Prämisse den Status einer

zielgerichteten, intentionalen, sinnvollen und damit intelligenten Handlung, dass

sich der Akteur vor ihrer manifesten Realisation selbstbestimmt Ziele setzt, Hand-

lungspläne entwickelt und in seinem Gedächtnis gespeicherte explizite Wissens-

bestände aktiviert, auf deren Grundlage er die praktische Bewältigung einer Hand-

lungssituation durchdenkt und mental vorwegnimmt. Die etablierten Theoriekon-

zepte widmen der Beschreibung und Analyse dieser präaktionalen Denk- und Be-

wusstseinsprozesse einen Großteil ihrer wissenschaftlichen Aufmerksamkeit, las-

sen hingegen jedoch der körperlich-praktischen Dimension des konkreten Hand-

lungsakts nur ein marginales und nachgeordnetes Interesse zuteil werden, indem

sie diese auf den Rang einer bloßen Widerspiegelung beziehungsweise eines nicht

weiter erklärungsbedürftigen Epiphänomens der Aktivität des Verstandes verwei-

sen. Hiermit implizieren die theoretischen Programme die Vorstellung, dass der

menschliche Körper lediglich insofern zum Gelingen der Handlung beiträgt, als er

den rational-reflexiven Funktionen der geistigen Instanz eine Form gibt und sie in

die Praxis umsetzt. Die handlungstheoretischen Ansätze konzipieren den Men-

schen in erster Linie als Geisteswesen, das über ein umfangreiches Maß an kogni-

tiven Anlagen und intellektuellen Potentialen verfügt, die es ihm überhaupt erst

ermöglichen, in zielgerichteter, sinnvoller und intentionaler Weise zu handeln.

Das Ziel der Arbeit besteht darin, unter Referenz auf eine Reihe von ausge-

wählten theoretischen Konzeptionen, die das Phänomen des Handelns aus unter-

schiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven thematisieren, die traditionellen

Handlungstheorien erstens hinsichtlich des ihnen zu Grunde liegenden, kogniti-

vistisch verengten Menschenbildes und ihrer rationalistischen Modellierung des

menschlichen Handlungsvermögens zu hinterfragen und zweitens zu demonstrie-

ren, dass die Fähigkeit zum (zunehmend) gekonnten Handeln – insbesondere auch

in sportlichen Kontexten – nicht auf die reflexiven Leistungen des Verstandes zu

reduzieren ist. Es soll gezeigt werden, dass in der gelingenden (Bewegungs-)

Der Mensch als praktisches Wesen Einleitung

2

Handlung vielmehr ein implizites Wissen zum Tragen kommt, das praktische

Hervorbringungen gleichsam „aus dem Körper heraus“ auf eine präreflexive und

nicht-durchdachte, aber dennoch durchaus sinnvolle und intelligente Art und Wei-

se reguliert.

Die Arbeit beginnt im 2. Kapitel mit einer exemplarischen Darlegung der

zentralen Inhalte ausgewählter Handlungstheorien der Soziologie (Kapitel 2.1),

Psychologie (Kapitel 2.2) und der Bewegungswissenschaft (Kapitel 2.3), sowie

einer Erläuterung ihrer anthropologischen Grundannahmen. Die Theoriepro-

gramme der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen beschreiben menschli-

ches Handeln als intentionales, zielgerichtetes, mit einem subjektiven Sinn aus-

gestattetes Tun autonomer Subjekte, das nur dann auf eine intelligente Weise

vollzogen werden kann, wenn es durch einen mentalen Entwurf im Sinne eines

intern repräsentierten Handlungsplans vorbereitet wird. Sie thematisieren das

Phänomen des Handelns primär bezüglich kognitiver Denkvorgänge, die sich vor,

während und nach seiner manifesten Ausführung im Geiste des Akteurs abspielen

und verstehen dementsprechend ein planmäßiges und rational-reflexives Vorge-

hen als seinen Prototyp und seine Idealform.1 In Anlehnung an diese Grundlegun-

gen betonen handlungstheoretische Ansätze und Didaktiken der Bewegungswis-

senschaft, dass intellektuelle Fähigkeiten eine Art Voraussetzungscharakter für

motorische Lernprozesse und die gekonnte Ausführung von Bewegungshandlun-

gen übernehmen (vgl. Meinel/Schnabel 2006, 148ff.).

Im 3. Kapitel der Arbeit wird auf der Grundlage einiger „Klassiker“ der philo-

sophischen und soziologischen Praxistheorie eine antagonistische Position gegen-

über traditionellen Handlungskonzepten expliziert. An Hand einer Darstellung der

Theorien des Sozialbehavioristen George Herbert Mead (Kapitel 3.1), der Wis-

sens- und Erkenntnisphilosophen Gilbert Ryle (Kapitel 3.2) und Michael Polanyi

(Kapitel 3.3) und des Sozialpraxeologen Pierre Bourdieu (Kapitel 3.4) werden

wesentliche ihrer Annahmen in Zweifel gezogen und im Hinblick auf den ihnen

inhärenten kognitivistischen Reduktionismus relativiert. Die praxistheoretischen 1 Vergleiche zum Beispiel Miebach (1991) und Etzrodt (2003) für eine Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte soziologischer Handlungstheorien, v.Cranach et al. (1980) für eine Einführung in die psychologische Handlungstheorie und Roth/Hossner (1999, 131ff.) oder Göhner (1999, 178ff.) für eine Darstellung handlungstheoretischer Ansätze in der Bewegungswissenschaft.

Der Mensch als praktisches Wesen Einleitung

3

Ansätze vertreten die Auffassung, dass sich in der versierten menschlichen Hand-

lung eine spezifische Form der genuin praktischen Intelligenz zeigt, die nicht von

intellektuellen Fähigkeiten oder geistigen Potentialen allein herrührt, sondern die

auf einem im menschlichen Körper situierten impliziten Wissen gründet, das ihren

geregelten und intelligenten Vollzug organisiert.2

Unter anderem inspiriert durch die in Kapitel 3 erläuterten Theorieprogramme

der Philosophie und der Soziologie beginnt sich an den Rändern verschiedener

Gesellschafts-, Human- und Geisteswissenschaften seit einigen Jahren ein allmäh-

licher Paradigmenwechsel abzuzeichnen, der sich in einer zunehmenden Abkehr

von den anthropologischen Idealen der etablierten Handlungstheorie und promi-

nenten Konzeptualisierungen der menschlichen Lern- und Handlungsfähigkeit

artikuliert. In Kapitel 4 werden Überlegungen aus den Bereichen der gegenwärti-

gen Expertiseforschung (Kapitel 4.1) und aktuellen Untersuchungen im For-

schungsfeld der Arbeitswissenschaft (Kapitel 4.2) erläutert, die von der Annahme

getragen werden, dass ein planbefolgendes, verstandesgeleitetes und rational-

reflexives Tun nicht als Idealform des menschlichen Handlungs- und Lernvermö-

gens zu klassifizieren ist. Die Ansätze gehen davon aus, dass für das (zunehmen-

de) Gelingen praktischer Handlungen vielmehr ein implizites Körperwissen ver-

antwortlich ist, das es dem Akteur ermöglicht, auf situative Kontingenzen und

nicht-geplante Unwägbarkeiten schnell und angemessen reagieren zu können.3

Obwohl dieses interdisziplinär thematisierte menschliche Vermögen zur Be-

wältigung unvorhergesehener Zusammenhänge und offener, unbestimmter Kon-

texte auch für die Praxis in sportlichen Handlungssituationen von hohem und

prägnantem Erklärungswert ist, steht eine systematische Theoretisierung der neue-

ren Erkenntnisse zum Wesen des menschlichen Handelns und Lernens innerhalb

2 Die Darstellung stützt sich im Wesentlichen auf folgende Werke: Bourdieu, P., 1976: Entwurf einer Theorie der Praxis. Frankfurt a.M.: Suhrkamp; Bourdieu, P., 1987: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp; Mead, G.H., 2000: Geist, Identität und Gesell-schaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp; Polanyi, M., 1985: Implizites Wissen. Frankfurt a.M.: Suhr-kamp; Ryle, G., 1969: Der Begriff des Geistes. Stuttgart: Reclam. 3 Wichtigste Referenzen für die Ausführungen in Kapitel 4 bilden folgende Werke: Böhle, F., Milkau, B., 1988: Vom Handrad zum Bildschirm. Eine Untersuchung zur sinnlichen Erfahrung im Arbeitsprozess. Frankfurt: Campus; Böhle, F., Pfeiffer, S., Sevsay-Tegethoff, N., 2004: Die Be-wältigung des Unplanbaren. Wiesbaden: VS – Verlag für Sozialwissenschaften; Bromme, R., 1992: Der Lehrer als Experte. Zur Psychologie des professionellen Wissens. Bern: Huber; Drey-fus, H., Dreyfus, S., 1988: Künstliche Intelligenz. Von den Grenzen der Denkmaschine und dem Wert der Intuition. Reinbek: Rowohlt, Sudnow, D., 1978: Ways of the Hand. Cambridge: Harvard University Press.

Der Mensch als praktisches Wesen Einleitung

4

bewegungswissenschaftlicher Konzepte – von einigen Ausnahmen einmal ange-

sehen – bisher weitgehend noch aus. Im 5. Kapitel werden mit den Überlegungen

von Volker Lippens (Kapitel 5.1) und Armin Kibele (Kapitel 5.2) zunächst zwei

jener Ansätze präsentiert, die die Notwendigkeit einer Überwindung etablierter

Handlungs- und Bewegungsmodelle aus einer sportwissenschaftlichen Perspekti-

ve begründen und sich verstärkt um eine Rekonzeptualisierung der menschlichen

Lern- und Handlungsfähigkeit im Rahmen der Kontexte von Spiel, Sport und Be-

wegung bemühen.4 Anschließend werden in Kapitel 5.3 einige didaktische Kon-

sequenzen für die sportliche Lehr-Lern-Praxis erörtert, die sich aus den theoreti-

schen Ausführungen zur Bedeutung eines praktischen und impliziten Körperwis-

sens für ein kompetentes Bewegungshandeln ergeben.

Eine Schlussbetrachtung in Kapitel 6, in der neben einer Zusammenfassung

der wichtigsten Ergebnisse ein themenspezifischer Forschungsausblick dargestellt

wird, beendet die Arbeit.

4 Vergleiche zum Beispiel Kibele, A., 2001a: Implizites Bewegungslernen. In: Spectrum der Sportwissenschaften, 2, S. 7-16; Lippens, V., 1997a: Auf dem Weg zu einer pädagogischen Bewe-gungslehre. Köln.

Der Mensch als praktisches Wesen Paradigmen traditioneller Handlungstheorien

5

2. Handlungen als Abbilder geistiger Vorgänge - Paradigmen und

anthropologische Grundlagen traditioneller Handlungstheorien

Handlungstheorien verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen beschäftigen

sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit einer Analyse und Erklärung mensch-

licher Aktivität in überschaubaren, räumlich wie zeitlich begrenzten Situationen

und Zusammenhängen. Obwohl es sich bei ihnen um ein Bündel von Analysean-

sätzen handelt, das eher lediglich durch Familienähnlichkeiten als durch eine ein-

heitliche theoretische Programmatik gekennzeichnet ist, weisen sie in ihren Über-

legungen zur Erklärung des Handelns und hinsichtlich ihrer Menschenbildannah-

men durchaus prägnante Parallelen zueinander auf. In den folgenden Kapiteln

wird an Hand einer Erläuterung der wichtigsten Postulate traditioneller Konzepti-

onen der Soziologie, Psychologie und Bewegungswissenschaft eine konsensual

akzeptierte Definition des menschlichen Handlungsvermögens versucht.

2.1 Die soziologische Perspektive

Viele soziologische Handlungstheorien finden ihren Ausgangspunkt in den

Explikationen Max Webers, der als einer der Begründer der deutschen Sozialtheo-

rie gilt. Weber konzeptualisiert Handeln als einen Spezialfall menschlichen Ver-

haltens, der immer dann vorliegt, wenn ein Akteur mit seinem Tun einen subjekti-

ven Sinn verbindet (vgl. Miebach 1991, 17). In seinen Ausführungen zum Ideal-

typus des zweckrationalen Handelns definiert der deutsche Soziologe Handlungen

überdies als Instrumente zur Erreichung individueller Interessen und Nutzen so-

wie bewusst intendierter Ziele und Zwecke und interpretiert die Aktivitäten des

Handelnden in dieser Hinsicht als manifesten Ausdruck rational-reflexiver Kalku-

lationen darüber, mit Hilfe welcher Mittel diese am besten zu realisieren sind (vgl.

Balog 1998, 27).

Auch Talcott Parsons bezieht sich im Anschluss an die Überlegungen Max

Webers in seinem frühen Theorieprogramm in erster Linie auf den voluntaristi-

schen Aspekt des menschlichen Handelns und weist die willentliche und absichts-

volle Gerichtetheit auf ein Ziel als dessen zentrales Charakteristikum aus (vgl.

Gabriel 1998, 7). Der amerikanische Soziologe forciert die Klärung der Fragen,

Der Mensch als praktisches Wesen Paradigmen traditioneller Handlungstheorien

6

wie Akteure ihre subjektiv bedeutsamen Wünsche und Absichten handelnd um-

setzen und auf welchen kognitiven und motivationalen Grundlagen ihr Handeln

basiert. Seine Handlungstheorie fußt auf dem anthropologischen Ideal eines auto-

nomen Akteurs, der sich nicht nur bewusst Ziele für sein Handeln setzt, sondern

darüber hinaus rationale und strategische Entscheidungen über den optimalen Ein-

satz jener ihm zur Verfügung stehenden Mittel trifft, an Hand derer er seine Wün-

sche, Intentionen und Ziele zu realisieren sucht (vgl. Schmid 1998, 56f.).

Gemäß prominenter soziologischer Rollentheorien erscheint das handelnde

Subjekt als rational-reflexiver Inhaber verschiedener Verhaltensstile. Dieser

Zweig der Handlungstheorie beschreibt menschliches Handeln auf der Grundlage

normativer Verhaltenserwartungen, die in der Abhängigkeit von der Position, die

der Akteur zu einem gegebenen Zeitpunkt in einer sozialen Gruppe beziehungs-

weise der sozialen Struktur einnimmt, an ihn gestellt sind. Um das Gelingen der

sozialen Interaktion zu garantieren, adaptiert ein Individuum aus dem Gesamt

diverser Verhaltensmöglichkeiten (Rollen) überlegt-strategisch eine solche, die

den spezifischen Erwartungen, welche an die von ihm eingenommene Position

gerichtet sind, entspricht (vgl. Etzrodt 2003, 287ff.).

Als weitere einflussreiche Handlungstheorie gilt innerhalb des soziologischen

Diskurses der von Alfred Schütz begründete sozialphänomenologische Subjekti-

vismus. In Übereinstimmung mit voluntaristischen und utilitaristischen Strömun-

gen bestimmt Schütz Alltagspraktiken als Produkt der Entscheidungs- und Er-

kenntnisakte, sowie der Wissens-, Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata be-

wusster und intentionaler Individuen, denen ihre Lebenswelt als unmittelbar sinn-

hafte und vertraute gegeben ist. Individuelle Handlungsakte treten als Ergebnis

subjektiver Intentionen freier und ungebundener Akteure in den Mittelpunkt sei-

nes wissenschaftlichen Interesses (vgl. Wacquant 1996, 27). In diesem Sinne habe

seiner Ansicht nach die Analyse sozialen Handelns am Bewusstsein und den indi-

viduellen Interpretations- und Verstehensleistungen der einzelnen Akteure anzu-

setzen, die diese im Geiste zu einem mentalen Handlungsentwurf verdichten und

in welchem wiederum für Schütz der „primäre und fundamentale Sinn“ (Schütz

zitiert nach Miebach 1991, 119) einer Handlung besteht.

Der Mensch als praktisches Wesen Paradigmen traditioneller Handlungstheorien

7

Traditionelle soziologische Handlungstheorien interpretieren menschliches

Handeln aus der Perspektive der Akteure und begreifen es als ein mit einem sub-

jektiven Sinn ausgestattetes, finalistisches Tun (von übersubjektiven Einflüssen

relativ) freier und ungebundener, rational-reflexiver und intentionaler Individuen,

die – im Falle des sozialen Handelns – zielgerichtet zueinander in Beziehung tre-

ten und durch ihre Interaktionen eine soziale Ordnung etablieren. Das Phänomen

Gesellschaft tritt als Ergebnis der kontinuierlichen Hervorbringungen und der ag-

gregierten Handlungsakte kompetenter Akteure lediglich als Randbedingung oder

Resultat, nicht aber als zentrale Einflussgröße oder Determinante des Handlungs-

vollzugs in den soziologischen Blick (vgl. Münch 2003, 10). Weiterhin betonen

etablierte soziologische Handlungstheorien die zentrale Relevanz vorgeordneter

Planungs- und Denkvorgänge auf Seiten der tätigen Subjekte, auf Grund derer sie

konkreten Handlungsakten überhaupt erst einen Sinn beimessen. Die erläuterten

Theorieprogramme fokussieren in ihrer Analyse des Handelns überwiegend jene

ideellen Bewusstseinsprozesse, die im Geiste des einzelnen Akteurs vor sich ge-

hen. Weitaus weniger wissenschaftliche Aufmerksamkeit wird indessen dem ma-

nifesten Vollzug des konkreten Handlungsaktes zuteil. Ein überwiegender Groß-

teil etablierter soziologischer Handlungskonzepte abstrahiert von der körperlich-

praktischen Dimension des Handelns und elaboriert stattdessen fast ausschließlich

auf den rationalistischen Aspekt des menschlichen Tuns, indem er ihm ein

Höchstmaß an explizitem Sinn, strategischer Überlegtheit und bewusster Intentio-

nalität unterstellt.

2.2 Die psychologische Perspektive

Neben der Soziologie erscheint die Psychologie als weitere Wissenschaftsdis-

ziplin, die sich mit der Analyse und Erklärung von Handlungen beschäftigt. Lange

Zeit modelliert sie in Anlehnung an die Theorietradition des Behaviorismus

menschliches Tun auf der Grundlage linearer Reiz-Reaktionsschemata und tra-

diert so eine reduktionistische Auffassung des Menschen als passiver Rezeptor

und Prozessor externer Umweltreize und eine Interpretation seiner Handlungen

als unmittelbare Antwort auf von außen auf ihn einwirkende Stimuli. Die am me-

thodologischen Behaviorismus orientierte Handlungspsychologie vernachlässigt

Der Mensch als praktisches Wesen Paradigmen traditioneller Handlungstheorien

8

die Existenz innerer subjektiver Prozesse, die zwischen wirkendem Reiz und

sichtbarer Reaktion im menschlichen Individuum ablaufen und betrachtet diese

als nicht-konstitutives und damit nicht weiter erläuterungsbedürftiges Epiphäno-

men des Tuns (vgl. Groeben 1986, 61f.).

Aus einer Kritik an diesem Versäumnis begründet in den 1960er Jahren die

kognitive Wende die Abkehr der Psychologie von behavioristischen Subjektmo-

dellen und Handlungskonzepten. Diese entzündet neben einer Verbreitung inno-

vativer Theorieprogramme eine Neuformulierung des Menschenbildes dahinge-

hend, dass dieser von nun an als „aktiv auf seine Umwelt einwirkendes und zu-

kunftsbezogenes Wesen“ ausgewiesen wird, „das sich selbst Ziele setzt und Hypo-

thesen (Erwartungen) über seine Umwelt aufstellt“ (Werbik 1978, 11; Hervorhe-

bungen im Original). Die zuvor als kausal-linear postulierte Verbindung von Reiz

und Reaktion wird demnach als durch ein Dazwischentreten einer Reihe interner,

subjektiver Bewusstseinsprozesse entkoppelt angesehen.5

Einen entscheidenden Beitrag zu dem umfassenden Paradigmenwechsel leistet

das von den amerikanischen Psychologen Miller, Galanter und Pribram im Jahre

1960 erstmals veröffentlichte Buch Strategien des Handelns, das einen innovati-

ven Ansatz zum Verständnis des menschlichen Tuns expliziert, der auf den

zentralen Konzepten der TOTE-Einheit und des Plans aufbaut.6 Die Autoren

begreifen eine Handlung nicht länger als kausal durch Umweltreize verursacht,

sondern definieren sie vielmehr als ein „geplantes und strukturiertes Gefüge

zielgerichteter Operationen“ (Aebli 1973, 8). Das Grundgerüst einer

zielgerichteten Handlung bildet in ihrem Verständnis die sogenannte TOTE-

(Test-Operate-Test-Exit-) Einheit. Mit dieser gehen die Autoren davon aus, dass

Individuen im Hinblick auf einen angestrebten Zustand (ein bewusst intendiertes

Ziel) die von ihnen vorgefundene Handlungssituation zunächst auf der Grundlage

kognitiver Bewusstseinsprozesse und expliziter Wissensbestände bewerten (T1),

dann handelnd auf sie einwirken (Operationsphase O), das Ergebnis ihres

Einwirkens überprüfen (T2) und bei gegebener Kongruenz mit der Zielsetzung die

Schleife schließlich beenden (vgl. Aebli 1973, 8). Gemäß ihrer Theorie sind

zielgerichtete Handlungen als ein Konglomerat solcher TOTE-Einheiten, als ver- 5 In diesem Zusammenhang interessieren insbesondere Kognitionen und Denkprozesse, während Emotionen für die Handlungsregulation eine nur marginale Funktion zugestanden wird (vgl. Loosch 1999, 28). 6 Miller, G.A., Galanter, E., Pribram, K.H., 1973: Strategien des Handelns. Stuttgart: Klett.

Der Mensch als praktisches Wesen Paradigmen traditioneller Handlungstheorien

9

ein Konglomerat solcher TOTE-Einheiten, als verschachtelte Struktur zeitlich

aufeinander folgender und hierarchisch gegliederter Teilziele und –operationen,

zu verstehen.

Eine entscheidende Funktion und Voraussetzung für die menschliche zielge-

richtete Aktivität übernimmt in der psychologischen Handlungstheorie Millers,

Galanters und Pribrams das Konzept des Plans. Unter diesem verstehen sie eine

ideelle Repräsentation der Handlung, in der die hierarchisch geordneten Teilziele

und –operationen zusammengefasst sind und die diese gedanklich – und unter

Berücksichtigung handlungsrelevanter Wissensbestände – organisiert und vor-

wegnimmt (vgl. Miller et al. 1973, 26ff.). Vor diesem Hintergrund werden Hand-

lungen als sichtbarer Vollzug eines solchen ex ante entwickelten Handlungsplans,

in dem die manifeste Ausführung geistig vorweggenommen ist, betrachtet (vgl.

ebd., 42).

In der Folge des kognitivistischen Paradigmenwechsels akzentuieren die hand-

lungspsychologischen Strömungen verstärkt eine analytische Gegenüberstellung

der Konzepte Handeln und Verhalten, die sie als antagonistische Ausprägungen

der menschlichen Aktivität verstehen (vgl. Werbik 1978, 18; Groeben 1986, 185).

Um eine klare Unterscheidung von Handlungen und unwillkürlichen Formen des

Verhaltens zu ermöglichen, qualifizieren die Ansätze menschliche Aktivität ledig-

lich unter derjenigen Voraussetzung als Handlung, dass sie die Merkmale der

Zielgerichtetheit und des Zielbewusstseins, der Intentionalität, der Sinnerfülltheit,

sowie der (zumindest partiell) bewussten Kontrolliertheit und Planung aufweist

(vgl. v.Cranach et al. 1980, 24ff.; Groeben 1986, 71; Werbik 1978, 18f.; Volpert

2003, 13). Diese für die Kennzeichnung und Definition von Handlungen als kon-

stitutiv ausgewiesenen Attribute deuten das vorrangige Forschungsinteresse der

psychologischen Theorieansätze an: auch sie berücksichtigen weniger die gegen-

ständliche Seite des menschlichen Tuns, sondern widmen ihre Aufmerksamkeit

vielmehr fast ausschließlich seiner geistigen Organisation.

In Weiterführung der kybernetischen Überlegungen Millers, Galanters und

Pribrams zur mentalen Regulation, Steuerung und Planung des Handelns un-

terstreichen auch die Handlungstheorien, die in der Gegenwart den fachwissen-

schaftlichen Diskurs dominieren, die zentrale Relevanz des kognitiven Systems

Der Mensch als praktisches Wesen Paradigmen traditioneller Handlungstheorien

10

für die menschliche zielgerichtete Aktivität (vgl. Heckhausen 1989, 212; Volpert

2003, 37ff.), indem sie Handlungen übereinstimmend in vier Phasen einteilen, von

denen drei auf vor- und nachbereitende Bewusstseinsprozesse Bezug nehmen.

Während beispielsweise Heckhausen (1989, 212ff.) von den Phasen Entscheiden,

Planen, Ausführen und Bewerten spricht, differenziert Volpert (2003, 41) zwi-

schen Zielbildung, Planerzeugung, Durcharbeiten des Plans und finaler Rückmel-

dung. Auch in diesen Modellvorstellungen zur menschlichen Aktivität ist dem-

nach der Ausführung einer konkreten Handlung der innere Entwurf eines Hand-

lungsziels und –plans, über welchen das definierte Ziel erreicht werden soll und in

den ein explizites Wissen einfließt, das der Mensch über sich und seine Umwelt

gewonnen hat und an dem er den Einsatz der praktischen Operationen zur Zieler-

reichung bemisst, vorgeordnet. Obwohl eingeräumt wird, dass eine differenzierte

und reflexive Detailplanung aller einzelnen Ziele und Schritte der Handlung kei-

neswegs vonnöten ist, sind die psychologischen Handlungstheorien dennoch

durchdrungen und charakterisiert von ihrer paradigmatischen Grundauffassung

des konstitutiven Voraussetzungscharakters handlungsstrukturierender Bewusst-

seinsvorgänge (vgl. Volpert 2003, 45).

Die Handlungspsychologie – so lässt sich resümieren - vertritt in der Folge der

kognitiven Wende die Auffassung, dass menschliche Aktivität, um als sinnerfüllte

und intelligente Handlung qualifiziert werden zu können, durch zahlreiche, im

bewussten Geiste des Menschen situierte Sinnstiftungs-, Ziel- und Intentionsbil-

dungs-, sowie Verlaufsplanungs-, Abwägungs- und Evaluationsprozesse organi-

siert werden muss. Sie gründet auf dem anthropologischen Ideal eines reflexiv-

rationalen, bewussten und autonomen Subjekts, das intentional, strategisch und

freiheitlich7 potentielle Handlungsalternativen abwägt und geistige Pläne entwirft,

die es in der Praxis körperlich handelnd umsetzt. Autonomes Denken und das re-

flektierende Bewusstsein stellen zugleich Grundpfeiler und notwendige Voraus-

setzungen des Handelns dar. Menschlichem Tun wird ausschließlich in der Per-

spektive von auf ihm zu Grunde liegende Kognitionen und innere geistige Organi-

7 Sowohl v.Cranach et al. (1980, 33) als auch Groeben (1986, 63) weisen die Freiheit des Akteurs zum „Auch-anders-Tun-Können“ als konstitutives Charakteristikum der menschlichen Handlungs-fähigkeit aus.

Der Mensch als praktisches Wesen Paradigmen traditioneller Handlungstheorien

11

sations-, Zielbildungs- und Planungsprozesse der Status eines bedeutungsvollen,

sinnerfüllten und intentionalen Handelns attribuiert.

2.3 Die bewegungswissenschaftliche Perspektive

Handlungstheoretische Konzepte der Sport- und Bewegungswissenschaft rear-

tikulieren wesentliche Thesen psychologischer Theorieprogramme bezüglich der

kognitiven Organisation von Handlungen und untersuchen menschliches Sich-

Bewegen vor allem im Hinblick auf seine psychische Strukturierung.8 Das menta-

le Regulationssystem erscheint als diejenige Instanz, die nicht nur für die gelin-

gende Ausführung von Bewegungshandlungen, sondern auch für motorische

Lern- und Anpassungsprozesse als primär verantwortliche gekennzeichnet wird.

In dieser Tradition entwickelt Gerhard Kaminski an Hand einer empirischen

Untersuchung von Lernprozessen beim Skifahren mit seinem differenzierten

Handlungsgrundschema zur Bewältigung von Mehrfachaufgaben im Sport eine

rahmentheoretische Konzeption, die in ihren Kerntheoremen und Schlüsselmoti-

ven an die Überlegungen Millers et al. (1973) anknüpft.9 Kaminski hebt in Anleh-

nung an das Werk der amerikanischen Psychologen hervor, dass Bewegungshand-

lungen – verstanden als hierarchisch organisiertes Gefüge von Teilhandlungen im

Sinne verschachtelter TOTE-Einheiten – als durch einen bewusst angestrebten

Zielzustand, zu dessen Erreichung geeignete Operationen eingesetzt werden, kon-

stituiert interpretiert werden müssen (vgl. Kaminski 1973, 240). In seinem Ver-

ständnis wird eine Bewegungsrealisation aus einem Repertoire an bereits vorhan-

denen und im bewussten Geiste gespeicherten Könnensmustern bestritten, deren

Abruf planvoll-abwägend geschieht.

8 Für eine Übersicht bewegungswissenschaftlicher Handlungskonzepte und ihrer theoretischen Grundlagen vergleiche zum Beispiel Roth, K., Hossner, E.-J., 1999: Die funktionalen Betrach-tungsweisen. In: Roth, K., Willimczik, K. (Hg.): Bewegungswissenschaft. Reinbek: Rowohlt, S. 127-226. 9 Kaminski, G., 1973: Bewegungshandlungen als Bewältigung von Mehrfachaufgaben. In: Sport-wissenschaft, 3, S. 233-250.

Der Mensch als praktisches Wesen Paradigmen traditioneller Handlungstheorien

12

Abbildung 1: Übersicht über das differenzierte Handlungsgrundschema (nach Kaminski 1973, 242)

Ferner betont Kaminski, dass die Ausführung einer Bewegungshandlung

durch verschiedenartige intellektuelle Operationen vorbereitet und initiiert wird.

Unter bewusster Zurateziehung verfügbarer Wissensbestände und durch die

Wahrnehmung situativer Gegebenheiten entwickelt der Sportler ein antizipatives

Handlungsraumkonzept, das ihm – in Analogie zur Funktion des Plans in psycho-

logischen Handlungsregulationstheorien – als geistige Orientierungsgrundlage für

seine Bewegungsrealisation dient (vgl. ebd., 242ff.). Zwischen den antizipativen

Handlungsplan und das eigentliche Ausführungsgeschehen ist im Verständnis

Kaminskis eine weitere kognitive Prüfinstanz geschaltet, die kontinuierlich über-

wacht, ob zwischen diesen eine hinreichende Konkordanz besteht. Während im

Falle ihres Vorliegens die Bewegungshandlung fortgesetzt wird, erfordert das

Feststellen einer Inkongruenz eine korrigierende Modifikation des Handlungs-

plans (vgl. ebd., 244f.).

Das von Kaminski eingeführte, sehr komplexe antizipative Handlungsraum-

konzept, das sich aus expliziten Wissensanteilen, kognitiven Situationseinschät-

zungen sowie Zielsetzungs- und Operationsaspekten zusammensetzt, dient dem

Sportler, so die Kernaussage seiner Theorie, als entscheidende geistige Bezugs-

Der Mensch als praktisches Wesen Paradigmen traditioneller Handlungstheorien

13

grundlage und psychische Regulationsinstanz, ohne die ein gekonntes, zielgerich-

tetes und sinnvolles Sich-Bewegen kaum möglich scheint.

Auch der Sportpsychologe Nitsch interessiert sich nach eigener Aussage „in

erster Linie [für] die Entdeckung der „Logik“ menschlichen Handelns, d.h. [für]

die Gesetzmäßigkeiten, die der Begründung, Planung, Ausführung, Bewertung

und Veränderung von Handlungen unterliegen“ (Nitsch 1986, 189; Hervorhebun-

gen im Original). Um diese zu erfassen, bemüht er sich um eine Analyse von Be-

wegungen gemäß ihrer „triadischen Grundstruktur“ (ebd., 229).

Abbildung 2: Triadische Phasenstruktur der Handlung (leicht modifiziert nach Nitsch/Munzert 1997, 124)

Er differenziert Bewegungshandlungen in drei Phasen, die er als regelkreisar-

tig miteinander verbunden und in einem wechselseitigen Beeinflussungsverhältnis

zueinander stehend begreift. In der ersten Phase der Antizipation sind die bewuss-

ten Operationen des kognitiven Regulationssystems von zentralem Erkenntnisin-

teresse.

In der ersten Handlungsphase wird auf Grund der „Einschätzung der Aus-

gangsbedingungen die auszuführende Handlung gedanklich vorweggenommen

(antizipiert)“ (ebd., 232). Auf der Folie einer Situationsanalyse10 und ihrer Bewer-

tung im Hinblick auf die eigene Handlungskompetenz plant der Sportler zunächst

10 Nitsch (1986, 202) definiert eine Situation als Beziehung von Person-, Umwelt- und Aufgabengegebenheiten.

Der Mensch als praktisches Wesen Paradigmen traditioneller Handlungstheorien

14

das Ziel und den groben Ablauf seiner Bewegung (vgl. ebd., 232ff.). Im An-

schluss an eine sehr ausführliche und komplexe Antizipationsphase geht es in der

folgenden Realisationsphase um die Verwirklichung vorgängig gefasster Absich-

ten und mental definierter Handlungspläne durch ihre konkrete, körperlich-

praktische Ausführung. Im zweiten Schritt der Bewegungsorganisation findet das

geistig Geplante demnach seinen sichtbaren Ausdruck (vgl. ebd., 254ff.). Schließ-

lich übernimmt die Interpretationsphase am Ende der Bewegungshandlung eine

Art Kontroll- und Evaluationsfunktion. In ihr werden mit vergleichendem Blick

auf die Antizipation und die tatsächliche Ausführung die Folgen der Handlung

bewertet und neue Wissensbestände sowie subjektive Bezugsmaßstäbe für das

zukünftige Handeln generiert (vgl. ebd., 262ff.).

An Hand der Ausführungen Kaminskis und Nitschs wird transparent, dass

auch handlungstheoretische Bewegungskonzepte bewussten Kognitionen, menta-

len Kontrollfunktionen, planenden und evaluierenden Denkprozessen, sowie ex-

pliziten Wissensbeständen einen primären Stellenwert für ein gelingendes, sinn-

volles und intentionales Sich-Bewegen im Sport attestieren. Das kognitive System

übernimmt in ihrem Verständnis für die Koordination eines gelingenden sportli-

chen Handelns die entscheidende Aufgabe.

Disziplinspezifisch breit rezipierte Bewegungslehren und Didaktiken weisen

zu den oben dargelegten Konzeptionen zahlreiche Ankopplungsstellen auf und

leiten aus diesen Implikationen und Konsequenzen für die Gestaltung motorischer

Lehr-Lern-Prozesse ab. So deklarieren beispielsweise Meinel/Schnabel die Ent-

wicklung geistig-intellektueller Fähigkeiten als unentbehrliche Grundlage und

notwendige Voraussetzung für sensomotorische Anpassungsprozesse und den

Erwerb einer Handlungsfähigkeit im Praxisfeld von Sport, Spiel und Bewegung.11

Die Bewegungswissenschaftler gehen davon aus, dass der Sportler – um ein

motorisches Lernziel erreichen und eine Bewegungshandlung zunehmend gekonnt

realisieren zu können – zunächst über ein ausreichendes Maß an explizitem und

theoretischem Regelwissen um den vorschriftlichen Verlauf der abgestrebten Be-

wegung verfügen muss:

11 Meinel, K., Schnabel, G., 2006: Bewegungslehre – Sportmotorik. München: Südwest Verlag.

Der Mensch als praktisches Wesen Paradigmen traditioneller Handlungstheorien

15

„Andererseits gelingt das Erlernen neuer Handlungen oder die Verbesserung und Verfeinerung bereits erworbener Bewe-gungsvollzüge nun umso besser, schneller und rationeller, je mehr Kenntnisse dem Lernenden […] über die Struktur der Bewegung selbst zur Verfügung stehen.“ (Meinel/Schnabel 2006, 147). „Intellektuelle Voraussetzungen für das motorische Lernen bestehen zum Einen im Wissen um den angestrebten richtigen Bewegungsablauf, um motorische „Kniffe“, Feinheiten und Regeln, die die jeweilige Technik betreffen, zum Anderen im Denkvermögen des Sportlers.“ (ebd., 158).

Vor diesem Hintergrund besteht in ihrem Verständnis die wichtigste Aufgabe

des Lehrenden darin, den Lernenden durch explizite Belehrungen, sprachlich

vermittelte Bewegungsanleitungen und ausführliche Erklärungen bezüglich der

Zieltechnik mit einem umfangreichen Maß an bewegungswissenschaftlich legiti-

mierten und normierten Detailwissen um den optimalen Bewegungsvollzug aus-

zustatten (vgl. ebd., 148). Dieses Wissen soll dem Lernenden vor der Bewegungs-

ausführung als rationale Grundlage dazu dienen, ein inneres Modell in Gestalt

einer detailgenauen Vorstellung der Zielbewegung aufzubauen, die die körperlich-

praktische Realisierung mental vorwegnimmt, und von ihm während der Ausfüh-

rung als kognitiver Referenzrahmen zur aufmerksamen und bewusst-rationalen

Kontrolle und Regulation der Einzelheiten und Parameter der Bewegung dienen

(vgl. ebd., 57, 181). Vom Sportler fordern die Bewegungstheoretiker demnach

eine hohe verstandesmäßige Involviertheit in den motorischen Anpassungspro-

zess. Sie vertreten die Auffassung, dass „eine hohe bewusste Anteilnahme, eine

ständige bewusste „Mitarbeit“ des Lernenden in allen Stadien, den Lernfortschritt

[beschleunigt]“, „das Erlernen komplizierterer Bewegungshandlungen überhaupt

erst möglich [macht]“ (ebd., 154; Hervorhebungen im Original) und sich überdies

die Regulierung von Bewegungen in dem Maße verbessert, in dem der Lernende

fähig wird, Teile, Phasen und Momente des Bewegungsvollzugs bewusst zu iden-

tifizieren und explizit zu benennen (vgl. ebd., 153).

Auch in dem von Meinel/Schnabel explizierten sportdidaktischen Konzept

wird demnach vorbereitend-planenden und ausführungsbegleitend-

kontrollierenden Bewusstseins- und Denkprozessen sowie rationalen Verstehens-

akten die zentrale Verantwortlichkeit und der Status einer unabdingbaren Voraus-

setzung für die (zunehmend) gelingende Ausführung einer sportlichen Handlung

beigemessen. Die von ihnen entwickelte Bewegungslehre wird darüber hinaus von

Der Mensch als praktisches Wesen Paradigmen traditioneller Handlungstheorien

16

der Annahme getragen, dass der sportliche Lehr-Lern-Prozess durch die verbale

Vermittlung eines umfangreichen, objektivierbaren und wissenschaftlich begrün-

deten Detailwissens über die zu lernende Bewegung vorzubereiten ist und impli-

ziert damit die Vorstellung, dass der Erwerb motorischer Fähigkeiten und Fertig-

keiten und die gekonnte Ausführung von Bewegungshandlungen im Wesentlichen

auf einem expliziten Wissen um ihre Ausführungsvorschriften, Regeln und Ab-

laufdetails gründet.

2.4 Resümee

Traditionelle Handlungstheorien verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen

beschreiben und analysieren ein (zunehmend) gekonntes Handeln in erster Linie

bezüglich kognitiver Denkvorgänge, die sich im Geiste des autonomen und

selbstbestimmten Akteurs abspielen. Dem Aspekt seiner konkreten Umsetzung

hingegen messen sie nur mehr den Status eines bloßen, sichtbaren Abbildes vers-

tandesbasierter Bewusstseinsprozesse oder objektivierbarer Theoriekenntnisse bei,

und betrachten sie damit als nicht weiter erklärungsbedürftige und nachgeordnete

Angelegenheit. Im Verständnis der etablierten Ansätze gilt menschliche Aktivität

ausschließlich unter derjenigen Prämisse als zielgerichtet, sinnerfüllt und bedeu-

tungsvoll – und demnach als Handlung - dass vor ihrer körperlich-praktischen

Ausführung mental Ziele gesetzt, Sinn gestiftet, Entscheidungen getroffen, Pläne

entworfen, Wissen aktiviert und Probleme gelöst werden.

Die handlungstheoretischen Programme – selbst diejenigen, die sich um eine

wissenschaftliche Erklärung des Handelns in sportlichen und damit fundamental

körperbezogenen Kontexten bemühen – konzipieren den Mensch primär als Geis-

teswesen, das über ein hohes Maß an intellektuellen Fähigkeiten verfügt, auf

Grund derer es überhaupt erst handlungsfähig ist. Sein Körper trägt in ihrem Ver-

ständnis lediglich insofern zur gekonnten Handlung bei, als er den zuvor vom re-

flektierenden Verstand generierten Kenntnissen, Zielen und Plänen eine materielle

Gestalt gibt und sie in die Welt trägt.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

17

3. Das Wissen des Körpers - Praxeologische Erklärungen der

menschlichen Handlungsfähigkeit

Die in Kapitel 2 erläuterten Thesen und anthropologischen Grundannahmen

der in den verschiedenen Human-, Gesellschafts- und Geisteswissenschaften etab-

lierten Handlungstheorien stehen in der Tradition des cartesianischen Körper-

Geist-Dualismus.12 Sie implizieren die Vorstellung einer Hierarchie zwischen den

beiden antagonistischen Instanzen, indem sie dem Geist als planendem, antizipie-

rendem und evaluierendem Moment gegenüber dem Körper als lediglich ausfüh-

rendem ein ungleich größeres Erkenntnisvermögen beimessen und sie die Potenti-

ale der menschlichen Handlungs- und Lernfähigkeit im verborgenen Geiste des

Individuums lokalisieren. Der Körper tritt ausschließlich in seiner Funktion als

Instrument, das vom lenkenden Geist bedient und dominiert wird, in den Fokus

ihrer Betrachtungen; menschliche gekonnte Praxis als manifester Ausdruck expli-

ziter Wissensbestände oder als sichtbares Resultat der abwägenden, strategisier-

enden und planenden Operationen des kognitiven Systems rational-reflexiver, zu

autonomen Entscheidungen befähigter und von übersubjektiven Einflüssen relativ

unberührter Subjekte.

Unter Berufung auf einige Klassiker der praxeologischen13 Philosophie und

Soziologie sollen im weiteren Verlauf der Arbeit die Ideale gängiger Handlungs-

und Bewegungstheorien, die das epistemische Paradigma des hierarchischen An-

tagonismus von Körper und Geist tradieren, hinterfragt, die von Descartes verbrei-

tete Dichotomie in ihrer Rigidität unterminiert und divergierendes Verständnis der

menschlichen Handlungsfähigkeit absehbar werden.

12 Im 17. Jahrhundert begründet der Philosoph René Descartes aus dem wissenschaftlichen Bestre-ben, die Frage zu klären, wie es dem Menschen möglich sei, zu einer über jeden Zweifel erhabe-nen Erkenntnis zu gelangen, die Differenzierung des menschlichen Wesens in zwei dualistische Substanzen, den reinen Geist (res cogitans) einerseits und den materiellen, geistlosen Körper (res

extensa) andererseits. Descartes erhebt den Geist zur epistemologischen Priorität und stigmatisiert gleichzeitig den menschlichen Körper als unzuverlässiges, gleichsam erkenntnishemmendes In-strument, indem er postuliert, dass sichere Urteile über die Welt nur dann zu erlangen seien, wenn der störende Einfluss körperlich-sinnlicher Wahrnehmungen und Empfindungen ausgeschaltet ist (vgl. Prohl 1999, 218f.). 13 Das Adjektiv praxeologisch hebt auf den Tatbestand ab, dass die betreffenden wissenschaftli-chen Konzepte im Gegensatz zu traditionellen handlungstheoretischen Ansätzen ihre Aufmerk-samkeit nicht primär internen Geistesoperationen oder Denkprozessen widmen, sondern sich ins-besondere für die Erschließung der genuin körperlich-praktischen Logik des gegenständlichen Vollzugs interessieren.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

18

3.1 George Herbert Mead - Die praxeologische Konstitution geistiger Fähig-

keiten

In seinem Werk Geist, Identität und Gesellschaft legt George Herbert Mead

ein sozialbehavioristisches Theorieprogramm dar, mit dem sich Grundlagen tradi-

tioneller Handlungstheorien einer kritischen Revision unterziehen lassen.14 In die-

sem nimmt der Philosoph eine genetische Perspektive ein, indem er erstens weder

die Ebene der Gesellschaft, noch Momente der individuellen Identität, des Be-

wusstseins und des Geistes der Mitglieder dieser Gesellschaft unhinterfragt als

gegebene voraussetzt, sondern sie stattdessen als durch interaktive Austauschpro-

zesse zwischen den gesellschaftlichen Individuen praxeologisch konstituierte be-

greift und er zweitens der Aufklärung dieses Entstehungsprozesses das Primat

seiner wissenschaftlichen Aufmerksamkeit widmet.

Für die Entfaltung der meadschen Argumentation ist die Konzeption der signi-

fikanten Geste, die er in Analogie zu einem reaktionsauslösendem Reiz im Beha-

viorismus als einen distinktiven Ausgangspunkt einer (gesellschaftlichen) Hand-

lung versteht, von zentraler Relevanz. An Hand der Schilderungen eines Hundes-

kampfes und der Geschehnisse beim Fintieren und Parieren im Boxen oder Fech-

ten demonstriert Mead, dass der interaktive, praktische Austausch signifikanter

Gesten im Sinne eines Reiz-Reaktionsschemas in durchaus zielgerichteter Art und

Weise vonstatten geht und eine wechselseitige und sinnvolle Anpassung der je-

weiligen Aktivitäten der Opponenten aneinander erfolgt, ohne dass diese von den

Akteuren bewusst und strategisch verfolgt wird. Vielmehr ist der Akkomodati-

onsprozess von unmittelbarer, gewissermaßen intuitiv-instinktiver Natur:

„Der gleichen Situation stehen wir beim Boxen und Fechten gegenüber, bei der Finte und der Parade, die von einem Teil-nehmer beim anderen ausgelöst wird. Dann ändert der erste der beiden wiederum seinen Angriff; es kommt unter Umstän-den zu einem sehr lange andauernden Hin und Her, bevor tat-sächlich ein Treffer erzielt wird. Diese Situation gleicht der der kämpfenden Hunde. Wenn ein Teilnehmer erfolgreich sein soll, darf ein Großteil seiner Angriffe und seiner Verteidigung nicht überlegt sein, sondern muss unmittelbar ablaufen. Er muss sich „instinktiv“ auf die Haltung des anderen einstellen.“ (Mead 2000, 82; Hervorhebungen im Original).

14 Mead, G.H., 2000: Geist, Identität und Gesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

19

Der Austausch signifikanter Gesten organisiert eine sinnerfüllte Interaktion

zwischen (mindestens) zwei, einer spezifischen Gemeinschaft angehörigen Partei-

en. Er ist im Sinne Meads als ein in eine spezifische Richtung weisender, ziel- und

zweckgerichteter, von keinem der Involvierten jedoch bewusst angestrebter, rein

körperlicher Anpassungsprozess zu interpretieren, der ohne die vermeintlich vor-

aussetzungsträchtige Beteiligung kognitiver Regulationsinstanzen auskommt (vgl.

ebd., 81f.).

Mead veranschaulicht mit seinen Ausführungen, dass die sinnvolle, interaktive

(gesellschaftliche) Praxis ihren Ursprung nicht in den inneren Vorgängen und

Operationen des menschlichen Geistes haben kann. Vielmehr unterzieht er diese

Relation einer Transformation, indem er illustriert, dass Individuen bereits in der

Lage sind, zielgerichtet körperlich-praktisch zu anderen Gesellschaftsmitgliedern

in Beziehung zu treten, bevor sie überhaupt über Anlagen wie Geist und Identi-

tätsbewusstsein oder die Disposition zum Denken und Reflektieren verfügen.

Noch bevor diese kognitiven und selbstreferentiellen Momente in der menschli-

chen Erfahrung auftreten, kann – so Mead – „der Körper […] vorhanden und sehr

intelligent tätig sein“ (ebd., 178).

Im Verständnis des amerikanischen Philosophen entwickeln sich umgekehrt

rational-reflexive Fähigkeiten erst in der Folge körperlich-materieller, gesell-

schaftlicher Austauschprozesse. Am Beispiel der Genese einer selbstreflexiven

Persönlichkeit demonstriert er, dass diese fundamental durch soziale Interaktions-

prozeduren bedingt und determiniert wird. Menschliche Identität entwickelt sich

als Ergebnis der Internalisierung des praktischen Austausches mit anderen Indivi-

duen, nämlich indem das Subjekt sich in seiner Erfahrung darüber gewahr wird,

welche Reaktionen es mit seinen körperlichen Gesten in seinem Interaktionspart-

ner auszulösen vermag, es sich also selbst objektivierend gegenübertritt, um sich

aus der Perspektive seines Gegenübers zu sehen (vgl. ebd., 180). Nur wenn ein

Individuum auf diese Weise etwas über sich selbst erfährt, sich selbst gedanklich

zum Objekt wird, „indem [es] die Haltungen anderer Individuen gegenüber sich

selbst innerhalb einer gesellschaftlichen Umwelt oder eines Erfahrungs- und Ver-

haltenskontextes einnimmt, in den [es] ebenso wie die anderen eingeschaltet ist“

(ebd., 180), ist es ihm möglich, eine Identität auszubilden. Demnach kann es –

folgt man der Argumentationslinie Meads – keine Identität geben, „die außerhalb

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

20

der gesellschaftlichen Erfahrung [und der körperlichen Interaktion; Anmerkung

der Verfasserin] erwächst“ (ebd., 182).

In gleicher Weise konzeptualisiert Mead ebenso Denken und Geist als disposi-

tionelle Produkte einer Verinnerlichung sozialer Interaktionsprozesse mit anderen

Individuen. Auch bewusste Kognitionen und andere verstandesmäßige und ratio-

nal-reflexive Fähigkeiten erscheinen vor dem Hintergrund seiner Theorie als das

Ergebnis einer nach innen verlagerten Interaktion und Auseinandersetzung mit

den Reaktionen und Handlungsweisen des „verallgemeinerten Anderen“ (ebd.,

196): „Dieses Hereinnehmen-in-unsere-Erfahrung dieser äußerlichen Übermitt-

lung von Gesten, die wir mit anderen in den gesellschaftlichen Prozess

eingeschalteten Menschen ausführen, macht das Wesen des Denkens aus.“ (ebd.,

86). Erst allmählich werden also, bedingt durch den praktischen Austausch von

Gesten, im gesellschaftlichen Interaktions- und Erfahrungsprozess die Dispositio-

nen Verstand, Denken, reflektierendes Bewusstsein und Identität praxeologisch

konstituiert. Sie sind somit nicht als rein individuelle, im Privaten und Subjekti-

ven verborgene Instanzen zu begreifen. Vielmehr wurzeln die geistigen und

selbstreflexiven Anlagen des Menschen in körperlich-praktischen Interaktionen

mit anderen Gesellschaftsmitgliedern und sind daher von sozialer Natur.15

George Herbert Mead schildert auf eindringliche Weise, dass der menschliche

Körper über eine eigene Intelligenz verfügt, die der gesellschaftlichen Praxis ihre

Richtung und Bedeutung verleiht. Diese somatische Fähigkeit ist nicht nur von

bewussten Kognitionen und anderen geistigen Inhalten relativ unabhängig, son-

dern ihnen sogar präexistent. Entgegen der Annahmen klassischer cartesianischer

Theorien kann deshalb ein im bewussten Geiste des Menschen situiertes Erkennt-

nis- und Planungsvermögen oder explizites Wissen keine notwendige Vorausset-

zung für die menschliche Handlungsfähigkeit darstellen. Gemäß der Theorie

Meads sind umgekehrt intellektuelle und reflektierende Anlagen und Fähigkeiten

als Produkte der ungeplanten, aber dennoch zielgerichteten und sinnerfüllten kör-

perlich-materiellen Praxis im gesellschaftlichen Interaktionsprozesses zu verste-

hen.

15 Zu einer Kritik an der Vorstellung des menschlichen Bewusstseins/Geistes als rein private und verborgene Instanz vergleiche auch Gilbert Ryles Überlegungen zum „Dogma des Gespensts in der Maschine“ (Ryle 1969, 13) im folgenden Kapitel.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

21

3.2 Gilbert Ryle – Die Dichotomie von theoretischem Wissen (knowing that)

und praktischem Können (knowing how)

Viele einflussreiche soziologische und philosophische Theoriekonzepte, die

ihr Programm der Überwindung der von René Descartes in die Human-, Gesell-

schafts- und Geisteswissenschaften hineingetragenen Körper-Geist-Hierarchie

verschrieben haben, finden ihren Referenzrahmen in den Überlegungen des briti-

schen Philosophen Gilbert Ryle. Dieser liefert mit seinem Werk Der Begriff des

Geistes nicht nur entscheidenende Denkanstöße zu einer Revision des Verhältnis-

ses von Körper und Geist, sondern darüber hinaus auch zu der Beziehung von

theoretischem Wissen und praktischem Können.16

Ryle ficht Ansätze, die das cartesianische Ideal der ontologischen Hegemonie

des Geistes perpetuieren, als Repräsentanten einer „intellektualistischen Legende“

(Ryle 1969, 32) an und wirft ihnen vor, auf einem „Dogma des Gespensts in der

Maschine“ (ebd., 13) zu gründen. Mit dieser Metapher kritisiert er nachdrücklich

die Darstellung des Menschen und seines Geistes als für andere nicht sichtbares,

gespenstartiges Wesen, das auf eine unbegreifliche und nicht näher bestimmte Art

und Weise in einem als maschinenanalog beschriebenen Körper verschanzt ist,

welchen es von innen heraus durch kognitive Operationen steuert und bedient. Die

Vertreter der intellektualistischen Legende – so der Vorwurf Ryles – gestehen

einer sichtbaren Handlung nur dann die Prädikate intelligent, gekonnt oder ge-

schickt zu, wenn der Akteur vor und während der Ausführung seine „Gedanken

bei der Sache hat“ (ebd., 31), er also in seinem bewussten Geiste gespeicherte

Wissensbestände und Theoriekenntnisse aktiviert und vorgängig mental erwogene

Handlungskriterien und –pläne einhält (vgl. ebd., 32). Um sich demnach solche

Attribute zu verdienen, muss sich ein physisch-körperlicher Vorgang diese von

einer vorgeordneten Aktivität übertragen lassen, die nicht - um mit Ryles Worten

zu sprechen - in der Maschine, sondern im Gespenst vor sich gehen (vgl. ebd.,

36).

Gemäß dieses Verständnisses ist ein gekonntes, mit Intelligenz ausgestattetes

Handeln als Vorgang zu interpretieren, der sich in zwei getrennten, parallel ne-

beneinander existierenden Welten, einer körperlich-öffentlichen und einer geistig-

privaten, abspielt. Es ist das Tun zweier Dinge: des theoretischen Erwägens pas-

16 Ryle, G., 1969: Der Begriff des Geistes. Stuttgart: Reclam.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

22

sender Wissensbestände, Zielsetzungen, Vorschriften und Pläne beziehungsweise

des kognitiv-intellektuellen Problemlösens einerseits und des praktischen Umset-

zens dieser vorgängig mental durchgespielten Theoretisierungen andererseits (vgl.

ebd., 32).

Abbildung 3: Der Zusammenhang von Wissen (knowing that) und Können (knowing how) nach der „intellektualistischen Legende“ (nach Neuweg 1999, 63)

Gilbert Ryle jedoch negiert diese Postulate, etikettiert sie als kognitivistisch

verkürzt und hebt hervor, dass die Beschreibung des menschlichen Tuns als intel-

ligent, sinnerfüllt und zielgerichtet nicht durch den doppelten Vorgang des primä-

ren Erwägens und des sekundären Ausführens bedingt wird. In seinem Verständ-

nis geht Intelligenz der öffentlich-sichtbaren Handlungsausführung nicht als geis-

tige Operation voraus und ist auch nicht in Form von expliziten Handlungsrezep-

ten, Theoriekenntnissen oder Regeln intern repräsentiert. Vielmehr kommt der

Philosoph vor dem Hintergrund eines häufig zu beobachtenden Alltagsphäno-

mens, dass nämlich „einer schlecht praktiziert, was er vorzüglich predigt“ (ebd.,

60), ein guter und über ein hohes Maß an explizitem Wissen verfügender Theore-

tiker also durchaus ein schlechter Praktiker sein kann und umgekehrt, zu dem

Schluss, dass ein gekonntes Handeln keinesfalls als bloßer Ausdruck oder exaktes

Abbild expliziter und bewusst verfügbarer Regelkenntnisse oder Wissenbestände

zu begreifen ist. Im ryleschen Verständnis ist der Zusammenhang zwischen einem

theoretischen Wissen (knowing that) und einem, einer spezifischen, von außen

u

rsäc

hlic

h

quas

i-si

mul

tan

Schattenhandlung Erwägen von Wissen (Know-that) in Form

eines Planes oder einer Regel

Wahrnehmen, Handeln, Denken

„zweite Welt“

„erste Welt“

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

23

rekonstruierbaren Logik folgenden, gekonnten Handeln (knowing how) mitnichten

von linearem und ursächlichem Charakter.

Ryle unterstreicht des Weiteren, dass die Intelligenz oder Bedeutungshaltig-

keit einer Handlung weniger in ihrer ideellen Widerspiegelung, als vielmehr in der

praktischen Tätigkeit selbst zu verorten ist. Es gibt viele Arten von Handlungen,

in denen sich ein intelligentes Können, also ein knowing how, zeigt, deren ver-

meintlich zuvor geistig erwogenen Ausführungsmaßstäbe und -kriterien jedoch

unformuliert und damit nicht explizit gewusst und bewusst verfügbar sind. An

Hand der Fähigkeit zum richtigen Argumentieren demonstriert Ryle dies exem-

plarisch, indem er hervorhebt, dass Menschen durchaus logisch argumentieren

können, ohne die Regeln hierfür zu kennen und ohne vor dem Sprechen ihre Ar-

gumente geplant und mental strukturiert zu haben. Es gelingt ihnen, auf die richti-

ge Art und Weise zu argumentieren, „ohne aber die Vorschriften einer Methodo-

logie zu erwägen“ (ebd., 58).

Überdies ist es laut Ryle möglich, praktische Fertigkeiten wie beispielsweise

das Schachspielen zu erlernen, ohne dass dies eine explizite Unterweisung erfor-

dert und ohne dass der Lernende zugleich fähig wird, „die Vorschriften zu formu-

lieren, mit Hilfe derer ‚erlaubt’ und ‚unerlaubt’ definiert werden“ (ebd., 49). In

seinem Verständnis lehrt „das Wie […] uns die Praxis; zwar durch Kritik und

Beispiele beeinflusst, aber oft ganz ohne theoretische Unterweisung“ (ebd. 49).

Wer richtig und intelligent spielen kann, muss demnach keineswegs in der Lage

sein, die Regeln richtig aufzusagen; er muss imstande sein, die passenden Züge zu

machen (vgl. ebd., 49).

Attribuiert man einer Handlung also das Merkmal intelligent, bezieht man

sich demnach nicht darauf, wie jemand mental Strategien zur nachfolgenden Aus-

führung erwägt, man bezieht sich auf die spezifische Weise der Ausführung

selbst: „Wenn ich etwas mit Intelligenz tue, d.h. also meine Gedanken bei der

Sache habe, die ich tue, dann tue ich nur ein Ding, nicht zwei; meine Handlung

hat eine besondere Art oder Ausführung, nicht besondere Vorgänger.“ (ebd., 36).

Gilbert Ryle verortet die Intelligenz einer Handlung im Gegensatz zur cartesi-

anischen Auffassung nicht in okkulten geistigen Ursachen hinter ihrer manifesten

Realisation, sondern in den Fähigkeiten des Akteurs, dessen Ausübung die Hand-

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

24

lung selbst ist. Diese bezeichnet er mit dem Terminus der Disposition, unter wel-

chem er im Kontrast zu geistigen Fähigkeiten und kognitiven Wissensinhalten ein

Ensemble praktischer Anlagen subsumiert, das durch Übung zur „zweiten Natur“

(ebd., 48) des Akteurs geworden ist. Die Dispositionen stehen trotz dieses Status

jedoch in diametraler Opposition zu erstarrten Automatismen und unflexiblen

Gewohnheiten, zumal sie übertragbare und anpassungsfähige Schemata darstellen,

die in „mannigfaltig vielen Handlungen, Äußerungen und Gedanken zum Aus-

druck kommen“ (ebd., 53).

Ryle unterminiert mit seinen Thesen nicht nur die Annahme des ursächlichen

Voraussetzungscharakters von Theorie/Wissen für gelingende Praxis/Können,

sondern geht bezüglich der Beschreibung der Verhältnisse von Theorie und Praxis

sowie Wissen und Können noch weiter. Er kehrt die traditionell anerkannte Rela-

tion geradezu um, indem er veranschaulicht, dass die erfolgreiche und kompetente

Praxis ihrer eigenen Theorie vorausgeht und dass Regeln, Wissensbestände, Be-

zugsmaßstäbe und Zielsetzungen, noch ehe sie explizit gekannt werden und ins

Bewusstsein treten, praktiziert und intentional verfolgt werden und nur deshalb

überhaupt theoretisch abzuleiten sind (vgl. ebd., 33). Vor diesem Hintergrund

erscheint ein theoretisches Wissen – knowing that - weniger als Voraussetzung für

sinnerfülltes, zielgerichtetes, erfolgreiches und intelligentes Handeln – knowing

how -, denn vielmehr als Ergebnis der Reflexion auf vorgängig praktiziertes Kön-

nen.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

25

3.3 Michael Polanyi – Die Bedeutung eines impliziten Wissens für ein prakti-

sches Können

Grundlegende Ideen Gilbert Ryles fortführend, demonstriert auch der ungari-

sche Philosoph Michael Polanyi mit seinen wissens- und erkenntnisphilosophi-

schen Überlegungen, dass die menschlichen Fähigkeiten zum gekonnten Handeln

und zur Ausführung praktischer Fertigkeiten und Geschicklichkeiten nicht ursäch-

lich auf ein explizites Wissen um ihre Ausführungsvorschriften und –details zu-

rückzuführen und zu reduzieren sind.17 In Anlehnung an die Einsichten der Ges-

taltpsychologie18 untersucht er menschliches Erkennen und gelingendes, sinner-

fülltes Tun von der Tatsache ausgehend, „dass wir mehr wissen, als wir zu sagen

wissen“ (Polanyi 1985, 14) und zeigt, dass jegliches praktisches Können auf der

Kognition nur sehr beschränkt zugänglichen und über das Medium der Sprache

nicht transferier- und formalisierbaren, impliziten Wissensbeständen beruht, die

weniger als geistige, denn als inkorporierte Inhalte und damit als grundlegende

Bestandteile des Körpers zu verstehen sind.

Polanyis Erläuterungen zum impliziten Wissen finden ihren Ausgangspunkt in

der Beschreibung einer alltäglichen Erfahrung. Häufig sind Menschen in der La-

ge, von einem Gesicht eine Vielzahl verschiedener Stimmungen abzulesen oder

aber aus einer Menge an Gesichtern ein uns bekanntes zu selektieren. Trotz dieses

Vermögens sind sie dabei jedoch in den seltensten Fällen befähigt, genauer an-

zugeben, welchen Zeichen sie ihr Wissen über eine bestimmte Emotion entneh-

men, oder ihre detaillierten Kenntnisse der Physiognomie einer uns bekannten

Person unter Rückgriff auf sprachliche Mittel angemessen zu verbalisieren. Der

Philosoph erklärt dieses Phänomen auf der Grundlage eines Gestaltbildungspro-

zesses: im Falle des (Wieder-)Erkennens eines Gesichts fügt der Mensch im

Wahrnehmungsvorgang dessen physiognomische Einzelheiten zu einer gestaltar-

tigen Ganzheit zusammen, ohne dass er gleichzeitig die zu integrierenden Einzel-

heiten zu identifizieren oder zu benennen wüsste. Während dieses Erkenntnisvor-

gangs wirkt – so Polanyis These – eine „stumme Macht“ (ebd., 15), die eine Ges-

talt (das erkanntes Gesicht) aus ihren Bestandteilen zusammenfügt. Diese stumme

17 Polanyi, M, 1985: Implizites Wissen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 18 Für eine Übersicht der wichtigsten Prinzipien und Thesen der Gestalttheorie vergleiche zum Beispiel Wertheimer, M., 1925: Über Gestalttheorie. Erlangen: Weltkreis Verlag.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

26

und integrative Kraft, ist das, was er in der Folge als „implizites Wissen“ (ebd.,

16) bezeichnet.

Dieses besteht gemäß der Definition Polanyis in seiner Grundstruktur aus zwei

Gliedern, dem proximalen Term, den der Philosoph als Analogon zu den Einzel-

heiten in der Gestaltpsychologie begreift, und dem distalen Term, verstanden als

Parallelkonstrukt zur Ganzheit/Gestalt in der Gestaltpsychologie, welche durch

verschiedenartige Verflechtungsbeziehungen19 miteinander in Verbindung stehen.

Zum Zwecke der Etablierung eines bedeutungsvollen Verhältnisses zwischen den

zwei Gliedern des impliziten Wissens kommt der Aufmerksamkeitszentrierung

eine Schlüsselfunktion zu (vgl. ebd., 18ff.). Damit das implizite Wissen seine in-

tegrierende und bedeutungsstiftende Wirkungsmacht entfalten kann, ist es not-

wendig, die Aufmerksamkeit von den Einzelheiten/dem proximalen Term des zu

Erschließenden abzuziehen und auf die Ganzheit/das distale Gefüge zu lenken:

„Implizites Wissen einer kohärenten Entität stützt sich auf un-ser Gewahrwerden der einzelnen Merkmale dieser Entität, um sich dieser letzteren zuzuwenden. […] Schalten wir dagegen unsere Aufmerksamkeit auf die einzelnen Merkmale um, so verlieren diese ihre Funktion als einzelne Merkmale, und die Entität, der unser Interesse galt, entzieht sich uns.“ (ebd., 37).

Um die grundlegenden Mechanismen, mittels derer ein implizites Wissen er-

worben wird, zu verdeutlichen, rezipiert Polanyi Experimente zur unterschwelli-

gen Wahrnehmung, die zur Aufklärung dieses Prozesses einen wichtigen Beitrag

leisten können. In einem dieser Versuche konfrontieren die Psychologen Lazarus

und McCleary Versuchpersonen mit einer Vielzahl sinnloser Silben, wobei auf

das Erscheinen einiger von ihnen die Personen einem Stromschlag ausgesetzt

werden. Nach einer gewissen Anzahl von Versuchsdurchgängen zeigen die Test-

personen bei der Präsentation jener Silben, auf die zuvor ein elektrischer Schlag

gefolgt ist, körperliche Indizien - in Form von Muskelzuckungen - der Antizipati-

on eines solchen. Trotz dieser körperlichen Reaktion können die Probanden je-

doch die Silben, auf die sie mit dieser antworten, nicht benennen können (vgl.

ebd., 17).

Unter Rückgriff auf dieses Beispiel verdeutlicht Michael Polanyi neben der

Natur des impliziten Wissens auch das Wesen seines Erwerbs. So bestimmt er die

19 Polanyi (1985, 18ff.) spricht in diesem Zusammenhang von der funktionalen, der phänomena-len, der semantischen und der ontologischen Dimension des impliziten Wissens.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

27

Schocksilben als sein proximales, die nachfolgenden Stromstöße als sein distales

Glied. Nachdem die Versuchspersonen gelernt haben, die beiden Glieder zu ver-

knüpfen, ohne dass ihnen dieser Assoziationsvorgang jedoch ins Bewusstsein tritt,

ruft der Anblick der Schocksilben die körperliche Erwartung eines Stromstoßes

hervor. Da die Probanden ihre gesamte Aufmerksamkeit den Stromschlägen wid-

men und sie die schockauslösenden Bedingungen nur insofern – gleichsam hinter-

grundbewusst – registrieren, als sie mit diesen in Zusammenhang stehen, nimmt

Polanyi an, dass sie - im Gegensatz zur bewussten Verfügbarkeit über ein angeb-

bares Wissen bezüglich des distalen Terms – eine rein implizite und genuin kör-

perliche Kenntnis des proximalen Terms erlangen, ohne diesen jedoch bewusst

identifizieren zu können. Das proximale Glied wird demnach lediglich in seiner

Bedeutung für das distale Gefüge registriert, indem von jenem her die Aufmerk-

samkeit diesem zuwendet und der proximalen Instanz im Lichte der distalen ge-

wahr geworden wird(vgl. ebd., 18ff.).

Ein weiteres Merkmal des impliziten Wissens exemplifiziert der Philosoph am

Gebrauch einer Sonde oder eines Stocks zum Abtasten eines Weges. Während

diese Instrumente zunächst ausschließlich in ihrem Druck auf die Handfläche

wahrgenommen werden, verändert sich die Beziehung des Benutzers zu ihnen im

Laufe des Lernprozesses und der Gewöhnung grundlegend. Das Gewahrwerden

eines proximalen Widerstandes an der Hand transformiert sich in ein Gespür für

die distalen, mit dem Stock/der Sonde zu erkundenden Dinge der Welt. Zuvor

bedeutungsleere, proximale (körpernahe) Empfindungen, nämlich der diffuse

Druck an der Handfläche, werden in das Hintergrundbewusstsein verlagert und in

bedeutungsvolle, distale (körperferne) Sensationen, das Gefühl für die Gegenstän-

de, die mit der Sonde ertastet werden, verwandelt. Äußere, zu erschließende Ge-

gebenheiten werden so allmählich unmittelbar körperlich wahrgenommen; soma-

tische Empfindungen nach und nach in eine Wahrnehmung der Dinge der Welt

übersetzt. In der fortlaufenden Verbesserung des Umgangs mit Stock und Sonde

werden Akteure ihrer körperinternen Vorgänge zunehmend in Gestalt der Qualität

der zu erkundenden Objekte - ihrer Lage, Größe, Form und Bewegung - gewahr,

auf die sie ihre Aufmerksamkeit richten (vgl. ebd., 21).

Der Körper nimmt in Polanyis epistemologischen Theorieprogramm damit ei-

ne Schlüsselrolle ein und wird – in Analogie zur Funktion des Geistes in traditio-

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

28

nellen Handlungstheorien – als diejenige Instanz qualifiziert, über die der Mensch

sämtliche, sowohl praktische als auch intellektuelle, Kenntnisse der äußeren Welt

gewinnt. Wie der Philosoph exemplarisch am Gebrauch einer Sonde illustriert,

erkennen Menschen Objekte, indem sie körperliche Empfindungen in eine unmit-

telbare Wahrnehmung dieser transformieren; sie empfinden ihren Körper gewis-

sermaßen als diese Dinge, verleiben sie sich ein und lassen sie so – ohne dass dies

die Beteiligung des reflektierenden Bewusstseins erfordert – als proximalen Term

eines impliziten Wissens fungieren, das in gekonnten praktischen Handlungen

seine Bedeutung entfaltet und zum Ausdruck kommt (vgl. ebd., 23).20

Im Verständnis des ungarischen Wissenschaftlers geschieht auch die Integra-

tion der Einzelheiten des zu Erkennenden zu einer kohärenten Entität auf der

Grundlage eines impliziten Wissens im Modus der Einverleibung. So kann die

Bedeutung komplexer Ganzheiten nicht durch den distanziert-analytischen Blick

auf seine proximalen Einzelheiten, sondern nur durch eine körperlich-sinnliche

Einfühlung, mittels derer die Teile zu einem bedeutungstragenden Ganzen ver-

schmolzen werden, erfasst werden. Der Akt des impliziten Wissens stützt sich

somit „auf die Verinnerlichung von einzelnen Merkmalen, auf die wir nicht ach-

ten und die wir daher auch nicht näher bestimmen können, sowie auf die Lenkung

unserer Aufmerksamkeit von diesen unspezifizierbaren Einzelheiten weg auf eine

komplexe Entität, in der sie auf eine für uns undefinierbare Weise zusammenge-

fasst sind“ (ebd., 30).

Polanyi betont, dass die bewusste und analytische Fokussierung einzelner

Merkmale einer kohärenten Entität das implizite Wissen seiner integrierenden

Kraft berauben und dass eine zu große Nähe und Kontrolle seine Bedeutungsex-

tinktion forcieren können:

„Konzentriert sich ein Pianist ganz auf seine Finger [verstan-den als proximaler Term gegenüber dem zu spielenden Musik-stück als distalem Gefüge; Anmerkung der Verfasserin], so kann es geschehen, dass deren Beweglichkeit dadurch vorü-bergehend gelähmt wird. Ein Muster oder ein Gesicht können wir buchstäblich aus dem Blick verlieren, wenn wir seine ein-zelnen Züge – hinreichend vergrößert – untersuchen.“ (ebd., 25f.)

20 Spricht Polanyi von „Einverleibung“ nimmt er Bezug auf Theodor Lipps und Wilhelm Dilthey, die „Einfühlung“ und „Empathie“ als eigentliche Wissensmodi des Menschen definieren, auf de-nen sämtliche Formen des Erkennens, Könnens und Verstehens beruhen (vgl. Polanyi 1985, 24).

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

29

Eine solche Zerstörung kann jedoch, so schränkt er ein, durchaus zweckmäßig

sein und eine positive Funktion erfüllen, indem sie durch den Versuch einer Rein-

tegration und erneuten Verinnerlichung einzelner Merkmale wieder gut gemacht

wird und sogar dazu beitragen kann, den Einzelheiten eine präzisere integrierte

Bedeutung zu verleihen (vgl. ebd., 26).

Grundlegende Formen des menschlichen Wissens und Könnens basieren den

theoretischen Modellierungen Polanyis folgend auf dem einfühlenden Herstellen

einer bedeutungsvollen, sinnstiftenden, dem Bewusstsein ihrem Wesen nach je-

doch nur stark eingeschränkt zugänglichen, wortlosen und impliziten Relation.

Diese organisiert nicht nur Wahrnehmungvorgänge, sondern äußert sich in einer

komplexeren Form zum Beispiel auch im nicht-explizierbaren, praktisch-

körperlichen Können, wie es in der Ausübung künstlerischer oder athletischer

Geschicklichkeiten zum Ausdruck kommt (vgl. ebd., 16).21 Im Verständnis Pola-

nyis bildet das implizite und einverleibte Wissen die unausgesprochene Grundlage

und den nicht-formalisierbaren Bezugsrahmen für sämtliche Wissens- und Kön-

nensdimensionen, für die Gesamtheit aller Formen der menschlichen Praxis und

Theorie. Der Philosoph geht sogar davon aus, dass auch das vermeintlich rein

verstandesmäßig-abstrakte Erlernen einer mathematischen Theorie auf einem ver-

innerlichten, impliziten Körperwissen beruht, das nur in der Praxis selbst seine

organisierende Wirkung entfaltet. Demnach können auch scheinbar rein geistige

Fähigkeiten nur durch ihre praktische Anwendung wirklich erworben und begrif-

fen werden (vgl. ebd., 25).

Beide, die theoretisch-geistige wie auch die praktisch-körperliche Dimension

des menschlichen Könnens, zeichnen sich demnach durch eine ähnliche, auf im-

pliziten Ordnungsbildungen beruhende, Struktur und ein identisches, genuin kör-

perliches Fundament aus. Diese wissenschaftliche Erkenntnis macht nicht nur die

cartesianische Hierarchisierung des geistigen gegenüber dem körperlichen Er-

kenntnispotential geradezu obsolet, sondern stellt überdies eine durchaus tragfähi-

ge Alternative zu den epistemologischen Paradigmen etablierter human-, gesell-

21 Im Hinblick auf die gekonnte Ausführung von Bewegungen bedeuten die Ausführungen Polany-is, dass der Sportler seine Aufmerksamkeit nicht einzelnen Bewegungsparametern oder –details (dem proximalen Term), sondern der Bewegung als Ganzer (dem distalen Gefüge) zuwenden sollte, damit das implizite Wissen seine integrative Kraft entfalten kann.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

30

schafts- und geisteswissenschaftlicher Theorieprogramme dar. In Polanyis Über-

legungen zum impliziten Wissen tritt der Körper nicht mehr als erkenntnisträges

Instrument in Erscheinung, das lediglich Befehle ausführt, die der Geist an es de-

legiert. Vielmehr wird ihm ein eigenes Wissenspotential zugestanden, das für die

menschliche gekonnte und intelligente Praxis von tragender Bedeutung und

grundlegender Relevanz ist.

3.4 Pierre Bourdieu – Der Habitus als präreflexive Handlungsressource

Im Jahre 1967 veröffentlicht der französische Wissenschaftler Pierre Bourdieu

mit seiner Theorie der Praxis eine Konzeption zur Analyse sozialer Phänomene

und des menschlichen Handelns, die auf dem Begriff des Habitus aufbaut und den

menschlichen Körper und körperliche Praktiken in den Fokus der soziologischen

Forschung rückt.22 Der bourdieusche Ansatz gilt als einer der prominentesten und

elaboriertesten Repräsentanten eines Bündels an Theoriekonzepten, die unter dem

Terminus der „soziologischen Praxistheorien“ subsumiert werden und stellt inso-

fern eine sozialwissenschaftliche Innovation dar, als sie sich in grundlegenden

Prämissen und insbesondere durch ein modifiziertes Verständnis der menschli-

chen Handlungsfähigkeit, von traditionellen Handlungstheorien abhebt (vgl.

Reckwitz 2003, 282ff.).

Bourdieus Überlegungen nehmen ihren Ausgang von einer Kritik an den, den

sozialwissenschaftlichen Diskurs dominierenden, etablierten handlungstheoreti-

schen Programmen der „subjektivistischen Theorien des intentionalen Bewusst-

seins“ (Reckwitz 2000, 310). Bourdieu wirft diesen vor, fast gänzlich vom Ein-

fluss objektiver Gegebenheiten zu abstrahieren und somit erstens die wirklich-

keitsferne Vorstellung eines freien und autonomen Akteurs zu perpetuieren und

zweitens demgemäß wichtige Aspekte der sozialen Wirklichkeit zu verkennen

(vgl. ebd., 315).

Im Bestreben, ihre restriktiven Momente, sowie ihre verzerrenden Konse-

quenzen für die Analyse gesellschaftlicher Phänomene zu nivellieren, entwickelt

Bourdieu in seiner Theorie der Praxis das Schlüsselmotiv des Habitus, auf dessen

Grundlage er die Inhalte traditioneller subjektivistischer Handlungstheorien mit

22 Bourdieu, P., 1976: Entwurf einer Theorie der Praxis. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

31

Kernannahmen objektivistischer Erkenntnisweisen zu synthetisieren versucht, um

so ein ausgewogeneres Bild der sozialen Realität zu zeichnen, das sowohl die Fä-

higkeiten der gesellschaftlichen Subjekte, als auch die Existenz objektiver Gege-

benheiten in ihrer Bedeutung für und ihrem Einfluss auf diese angemessen zu er-

fassen vermag (vgl. Bourdieu 1987, 49ff.). Es gelingt Bourdieu mit seinem Habi-

tus-Konzept insofern, die Dichotomie von subjektivistischen und objektivistischen

Theorieprogrammen zu transzendieren, als es einerseits – in der Tradition des

Objektivismus – die Existenz objektiver Strukturen und sozialer Regeln, sowie

ihren Einfluss auf die menschliche Praxis anerkennt, gleichzeitig aber andererseits

auch – handlungstheoretischen Erkenntnissen folgend – die subjektiven Sichtwei-

sen, Erfahrungen und Interpretationsleistungen der gesellschaftlichen Individuen

in seine Betrachtung der sozialen Wirklichkeit und Praxis integriert, um so die

Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien zu berücksichtigen, die ihr Handeln

von innen heraus strukturieren (vgl. Wacquant 1996, 24ff.).

So räumt der französische Sozialtheoretiker in Einklang mit objektivistischen

Thesen ein, dass soziale Akteure zwar mit systematisch strukurierten, gesell-

schaftlich geprägten Anlagen ausgestattet sind, die für ihre Praxis konstitutiv sind,

diese jedoch nicht – in diesem Punkt geht er über den Objektivismus hinaus und

adaptiert Momente und Inhalte subjektivistischer Handlungstheorien – im Sinne

eines mechanistischen Determinismus bestimmen. Vielmehr stellen diese einen

Möglichkeitshorizont für die Genese von praktischen Hervorbringungen dar, der

einen relativ großen Spielraum für individuelle Interpretationen lässt. Die hand-

lungsanleitenden, sozial geprägten Anlagen sind das, was Bourdieu unter den

Dispositionen des Habitus versteht.

In Sozialer Sinn23 definiert er Habitusformationen als „Systeme dauerhafter

und übertragbarer Dispositionen, als strukturierte Strukturen, die wie geschaffen

sind, als strukturierende Strukturen zu fungieren, d.h. als Ordnungs- und Erzeu-

gungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen“ (Bourdieu 1987, 98). In Refle-

xive Anthropologie24 führt Bourdieu dies im Gespräch mit Loïc Wacquant weiter

aus, indem er den Habitus als ein „sozial konstituiertes System von strukturierten

23 Bourdieu, P., 1987: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 24 Bourdieu, P., Wacquant, L., 1996: Reflexive Anthropologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

32

und strukturierenden Dispositionen bezeichnet, das durch Praxis erworben wird

und konstant auf praktische Funktionen ausgerichtet ist“ (Bourdieu/Wacquant

1996, 154). In diesen Aussagen wird eine doppelte Bestimmung des Habitus-

Begriffs transparent.

3.4.1 Habitus als strukturierte Struktur

Bourdieu versteht den Habitus als Ergebnis einer permanenten, sich nicht-

reflexiv vollziehenden „Einverleibung der Strukturen“ (Bourdieu 1976, 189).

Durch Praxis in der spezifisch strukturierten sozialen Welt schlagen sich ihre

Strukturen in Dispositionen und Anlagen der Akteure nieder, ohne dass sie sich

dieses Prozesses bewusst sind. Individuen werden so zu Trägern übersubjektiver

Wissensordnungen, die ihnen präexistent und in ihren Körpern sedimentiert sind.

Somit kann der Habitus als eine implizite Wissensstruktur bezeichnet werden, die

sich im Akteur durch soziale Einübung und Erfahrung im fortlaufenden Hand-

lungsvollzug eingelebt hat. Gebauer/Krais (2002, 5) unterstreichen, dass „in den

Habitus […] die Denk- und Sichtweisen, die Wahrnehmungsschemata, die Prinzi-

pien des Urteilens und Bewertens [eingehen], die in einer Gesellschaft am Werk

sind“. Bourdieu selbst (1976, 169) bezeichnet ihn in gleicher Stoßrichtung als eine

gesellschaftlich vermittelte „Handlungs-, Wahrnehmungs- und Denkmatrix“. Die

spezifische Strukturierung der habituellen Dispositionen eines Akteurs ist bedingt

durch die Erfahrungen, die dieser im Laufe seines Lebens macht, sowie durch die

Struktur der gesellschaftlichen Räume und sozialen Felder, in denen er sich auf-

hält.

Im Hinblick auf seine strukturierte Struktur bezeichnet Bourdieu (1976, 164)

den Habitus auch als opus operatum. Mit diesem Terminus hebt er hervor, dass

dieser nicht als angeborene Instanz zu missverstehen ist, sondern vielmehr als

etwas Gewordenes und Erworbenes. Der Franzose weist vielfach und ausdrück-

lich darauf hin, dass die habituellen Dispositionen nicht im menschlichen Geist zu

verorten, sondern dauerhaft in den Körper eingeschrieben, inkorporiert sind. Im

Sinne einer „permanenten Gedächtnisstütze“ (ebd., 199) bewahrt der Körper die

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

33

Struktur des Habitus auf.25 Ferner konzipiert Bourdieu den Habitus als eine prä-

reflexiv wirkende Instanz, die als einverleibte Struktur sowohl vor bewussten Be-

zugnahmen als auch vor absichtlichen und überlegten Transformationen zugriffs-

geschützt ist (vgl. ebd., 200). Abhebend auf die Funktion des Körpers als Spei-

cher, sowie die Tatsache, dass seine dispositionelle Prägung aus der Einverleibung

sozialer, historischer und gesellschaftlicher Strukturen hervorgeht, wird der Habi-

tus auch als „das Körper gewordene Soziale“ (Bourdieu/Wacquant 1996, 161)

oder als „einverleibte Geschichte“ (Bourdieu 1987, 122) benannt.

3.4.2 Habitus als strukturierende Struktur

Die zweite Seite des Habitus bezeichnet Bourdieu als strukturierende Struktur,

generatives Prinzip oder modus operandi (vgl. ebd., 164). Sie liefert eine Antwort

auf die Frage, wie und auf welche Art und Weise vom Habitus praktische Hervor-

bringungen generiert werden. Als präreflexive, einverleibte und dauerhafte Ord-

nungs- und Erzeugungsgrundlage strukturiert der Habitus Wahrnehmungen,

Denkweisen und Praktiken und zwar im Sinne einer „Spontaneität ohne Willen

und Bewusstsein“ (Bourdieu 1987, 105). Dies impliziert, dass er als strukturieren-

de Struktur und generatives Prinzip praktische Hervorbringungen nicht auf me-

chanistische und kausale Weise determiniert, sondern als Erzeugungsgrundlage

vielmehr eine Art Möglichkeitshorizont darstellt, innerhalb dessen er den Akteu-

ren durchaus Handlungsspielraum und Platz für Kreativität lässt. Damit kann der

Habitus als ein System von Strukturen aufgefasst werden, das innerhalb seiner

Grenzen relativ frei und schöpferisch Hervorbringungen erzeugen kann (vgl. ebd.,

103).

Da „das Prinzip des Handelns […] auf dem Zusammentreffen von Habitus

und Feld [beruht]“ (Bourdieu 1997, 193), ist die „Arbeitsweise“ des Habitus nur

dann zu verstehen, wenn man ihn in Beziehung zu einem Feld, einer Praxiswelt

setzt. Seine Dispositionen generieren nur dann spontan und ohne das Zutun von

Bewusstsein und Willen Hervorbringungen, wenn sie auf Umgebungen treffen,

25 Hier sei kurz darauf hingewiesen, dass Bourdieu annimmt, dass mit dem Aufbau innerer Einstel-lungen, dem Erwerb von Dispositionen, immer auch der Erwerb einer spezifischen Körperhaltung zusammenhängt; auf die somatische Dimension des Habitus hebt er mit dem Terminus der Hexis ab (vgl. Bourdieu 1976, 195).

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

34

deren Reize und Signale sie entschlüsseln können, wenn also eine gewisse Koin-

zidenz zwischen den Strukturen des Habitus und denen des Feldes besteht.

Die kollektiven Wissensschemata des Habitus müssen von Akteuren immer in

einer konkreten Handlungssituation zur Anwendung gebracht werden. Da sie ihr

Bewusstsein übersteigen, kann man nicht davon ausgehen, dass Bourdieu die Ge-

nerierung von Wahrnehmungen und Praktiken auf der Basis habitueller Dispositi-

onen als einen kognitiven, rationalen Akt annimmt. In seiner Konzeption über-

nimmt der sogenannte praktische Sinn die Strukturierung der Wahrnehmung, das

Hervorbringen von Praktiken, kurz: die kreative, flexible und praktische Bewälti-

gung der Handlungssituationen. Dieser ermöglicht eine „präreflexive, unterbe-

wusste Beherrschung der sozialen Welt, die von den Akteuren durch ihr dauerhaf-

tes Eintauchen in diese erworben wird“ (Wacquant 1996, 41). Trifft der Habitus

auf ein Feld, dessen objektivierte Geschichte zu einem gewissen Grad mit der in

ihm inkorporierten Geschichte übereinstimmt, ermöglicht sein Praxissinn den Ak-

teuren zum Einen ein unmittelbares, praktisches und auf früheren Erfahrungen

fußendes Verstehen der Handlungssituation und routinisierte Sinnzuschreibungen

gegenüber ihren Gegenständen und Gegebenheiten, sowie zum Zweiten ein routi-

nisiertes, implizites und körperliches know-how-Wissen zu ihrer flexiblen Bewäl-

tigung (vgl. Reckwitz 2000, 325).

Der praktische Sinn erfüllt somit eine doppelte Funktion: er ermöglicht die

spontane und unmittelbare Orientierung innerhalb der sozialen Welt, sowie die

Hervorbringung angemessener Praktiken jenseits expliziter Überlegungen oder

rationaler Zielgerichtetheit. Trifft der Habitus auf ein Feld, zu dem er passt, funk-

tioniert er ähnlich eines Instinkts und ermöglicht die Generierung von Praktiken,

die „objektiv geregelt und regelmäßig sind, ohne das Ergebnis von Regeln zu

sein“ (Bourdieu 1987, 99) und leitet als praktischer Sinn Entscheidungen, „die

zwar nicht überlegt, aber doch durchaus systematisch und zwar nicht zweckgeri-

chet sind, aber rückblickend durchaus zweckmäßig erscheinen“ (ebd., 122). In-

nerhalb der bourdieuschen Konzeption wird demnach weniger dem erkennenden,

planenden und reflektierenden Bewusstsein des Akteurs, als dem Wirken des

praktischen Sinns des Habitus die Verantwortung für eine sinnvolle Interaktion

mit der Welt und zielgerichtete und intentionale Aktivitäten zugeschrieben. Im

Falle eines harmonischen Zusammentreffens einverleibter und objektivierter

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

35

Strukturen ermöglicht er die praktische Erkenntnis und Beherrschung der sozialen

Welt, ohne die Notwendigkeit zu implizieren, ihr vorher geistig-objektivierend

gegenüberzutreten. Vielmehr gründen diese Fähigkeiten auf einem sinnlich-

körperlichen Gespür, einer sozial erworbenen, inkorporierten Sensibilität für die

Dinge der Welt, welche wiederum auf einer materiell-somatischen und unmittel-

baren Verwobenheit des Subjekts mit eben diesen fußt.26

Um die Funktionsweise des praktischen Sinns zu verdeutlichen, greift Bour-

dieu (vgl. ebd., 122ff.) auf die Sprache des Sports zurück und vergleicht ihn mit

einem Sinn für das Spiel. Dieser ist eine sich aus der Spielerfahrung ergebende

Fähigkeit des Körpers, die Spielsituation augenblicklich intuitiv und ohne nach-

zudenken zu erfassen und genauso zu handeln, wie es das Spiel erfordert (vgl.

Bourdieu 1997, 178). Der Spielsinn ist „eine recht genaue Vorstellung von dem

wundersamen Zusammentreffen von Habitus und Feld, von einverleibter und ob-

jektivierter Geschichte, das die fast perfekte Vorwegnahme der Zukunft in allen

konkreten Spielsituationen ermöglicht“ (Bourdieu 1987, 122). Er sorgt dafür, dass

das Spiel für die Spieler einen subjektiven Sinn erhält und seine Spielhandlungen

dem Spiel angepasst sind, ohne dass er dies bewusst steuern würde.

Da die von den Spielern hervorgebrachten Handlungen objektiv in eine ver-

nünftige Richtung weisen, sinnvoll und sinnerfüllt sind, ohne dass dies das Zutun

ihres Bewusstseins erfordert, ohne dass die Spieler sogar überhaupt sagen könn-

ten, wie sie handeln und warum sie handeln, wie sie handeln, hat, so Bourdieu

(ebd., 127), „ihr Tun mehr Sinn, als sie selber wissen“. Die vom Habitus als Pra-

xis- oder Spielsinn generierte Praxis vollzieht sich demnach gemäß einer implizi-

26 Für fortführende Überlegungen zur Bedeutung einer „sozialen Sensibilität“ für das menschliche Erkennen und intentionale Handeln vergleiche zum Beispiel Ostrow (1990). Den Gedanken der Verflochtenheit des Akteurs mit der ihn umgebenden Sozialwelt übernimmt der französische Soziologe aus der Phänomenologie Merleau-Pontys. Dieser konstatiert, dass das menschliche Erkennen der Welt und die Disposition zur praktischen Intentionalität auf einem präobjektiven, körperlich-sinnlichen Kontakt von Individuum und Welt beruhen (vgl. Merleau-Ponty 2004, 172ff.), den er mit dem Terminus der „Zwischenleiblichkeit“ (ebd., 185) belegt. Nur deshalb, weil „innen und außen […] überhaupt nicht voneinander zu trennen [sind]“, „die Welt ganz innen in mir und ich […] ganz außen von mir [bin]“ (Merleau-Ponty zitiert nach Wacquant 1996, 41), die Welt also im Subjekt repräsentiert und dieses gleichzeitig ein integraler Bestandteil der Welt ist, ist gemäß der Argumentation Merleau-Pontys eine zielgerichtete Praxis überhaupt nur möglich. Bedingt durch diese „begriffslose Kohäsion“ [„cohesion without concept“] (Merleau-Ponty zitiert nach Ostrow 1990, 2) von Welt und Akteur, die sich in dessen phänomenalen Erleben als eine körperlich-spürende Sensibilität für das zu Erkennende äußert, sind intentionales Handeln und Verstehen möglich, noch bevor das reflektierende Bewusstsein den Dingen der Welt objekti-vierend gegenübertritt und sie als vom Akteur geschiedene Instanzen voraussetzt.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

36

ten und genuin praktischen Logik, die das Bewusstsein der Akteure übersteigt und

mit mehr Sinn ausgestattet ist, als sie selber wissen. Dieses implizite Körperwis-

sen wird ausschließlich in der vom Habitus generierten Praxis aktiviert und wirk-

sam und existiert als solches nur im Zustand des Praktischen.

Die bourdieusche Theorie der Praxis stellt insofern eine Herausforderung an

traditionelle, kognitivistische Handlungstheorien dar, als sie mit dem anthropolo-

gischen Ideal eines selbstreflexiven, unabhängigen und autonomen Subjekts

bricht, das sich selbstbestimmt Ziele setzt, deren Erreichung es bewusst-

intentional anstrebt. Bourdieu begreift auf der Basis des Leitmotivs des Habitus

menschliche Praxis nicht als das Ergebnis der Verfolgung explizit gesetzter Ziele,

geistig generierter Handlungspläne oder autonomer (Zweck-Mittel-) Entscheidun-

gen freier Subjekte, sondern modelliert sie vielmehr als Resultat eines durch ge-

sellschaftliche Erfahrungen erworbenen, impliziten Wissens des Körpers.

Mit dem Konstrukt des praktischen Sinns demonstriert der französische Sozi-

al- und Kulturtheoretiker überdies, dass auf der Grundlage der habituellen Dispo-

sitionen ohne Beteiligung des Bewusstseins Praktiken generiert werden können,

die einer körperlich-praktischen, den Akteuren selbst jedoch präreflexiv bleiben-

den Logik gehorchen. Die Hervorbringungen des praktischen Sinns können

durchaus sinnvoll geregelt, sowie objektiv an Ziele angepasst sein, ohne dass die

Akteure dies jedoch verstandesmäßig und rational intendieren würden. Gelingen-

de menschliche Praxis ist im Falle eines harmonischen Korrespondierens von Ha-

bitus und Feld, einer Koinzidenz von einverleibter und objektivierter Geschichte,

bedeutungshaltiger als es die Akteure selbst rational wissen oder verbal explizie-

ren können und somit keinesfalls als bloßes Abbild einer mentalen, im bewussten

Geiste oder intentionalen Bewusstsein situierten, ideellen Repräsentation, oder als

sichtbarer, körperlich-materieller Ausdruck eines vorgängig verfügbaren explizi-

ten Wissens zu verstehen.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

37

3.5 Die Antinomie der handlungstheoretischen und der praxistheoretischen

Perspektiven – Eine Zwischenbilanz

Traditionelle Handlungstheorien und Bewegungskonzepte thematisieren das

Phänomen des menschlichen Handelns primär bezüglich kognitiver Denk-, Pla-

nungs-, Kontroll- und Regulierungsprozesse, die sich vor, während und nach sei-

ner manifesten Ausführung im verborgenen Geiste des Individuums abspielen und

auf Grund derer sie menschlicher Aktivität überhaupt erst Prädikate wie sinnvoll,

zielgerichtet oder intelligent attribuieren. Dementsprechend beschreiben und ana-

lysieren sie ein planbefolgend-rationales Tun als den Prototyp und die Idealform

des Handelns. Seiner materiell-körperlichen Dimension hingegen schenken sie

kaum wissenschaftliche Beachtung. Die gegenständliche Realisation erscheint

lediglich als Abbild mentaler Operationen und damit als nicht weiter erläute-

rungsbedürftiges Epiphänomen geistiger Aktivitäten. Überdies widerspiegelt sich

in einem Großteil der tradierten handlungs- und bewegungstheoretischen Pro-

gramme die Annahme einer hierarchischen Relation der menschlichen Fähigkei-

ten des theoretischen Wissens und des praktischen Könnens. So wird angenom-

men, dass ein gekonntes und intelligentes Handeln linear und ursächlich auf

sprachlich formalisier- und objektivierbare Wissensbestände (zum Beispiel in

Gestalt eines expliziten Regelwissens oder einer detaillierten Kenntnis von Aus-

führungskriterien), die im bewussten Geiste des Akteurs gespeichert sind, zurück-

zuführen ist.

Die handlungstheoretischen Strömungen der Soziologie (siehe Kapitel 2.1),

Psychologie (siehe Kapitel 2.2) und der Bewegungswissenschaft (siehe Kapitel

2.3) gründen auf dem epistemologischen Subjektmodell eines rational-reflexiven

Akteurs, der über die Autonomie verfügt, freiheitlich und selbstbestimmt eine

Vielzahl an Handlungsalternativen auszuprobieren. Diese theoretischen Konstruk-

te konzipieren den Menschen als ein von seinem bewussten Geiste beherrschtes

Wesen, das seine Aktivitäten mental plant, organisiert und evaluiert. Ausschließ-

lich seinem analytischen Verstand werden die Dispositionen zur Sinnstiftung,

Bedeutungsgenese, Intelligenz und Handlungsfähigkeit zugestanden, während

dem menschlichen Körper nahezu jegliches Erkenntnis- und Verstehenspotential

abgesprochen und von der körperlich-praktischen Dimension seiner Existenz fast

gänzlich abstrahiert wird.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

38

Unter Berufung auf Erkenntnisse und Orientierungen der philosophischen

und soziologischen Praxistheorie scheinen offensichtliche Unzulänglichkeiten,

Versäumnisse und Schwächen der traditionellen handlungs- und bewegungstheo-

retischen Ansätze auf, und können wichtige von ihnen angeführte Charakteristika

des menschlichen Handlungsvermögens einer kritischen Revision unterzogen

werden.

George Herbert Mead (1975) illustriert in seinem sozialbehavioristischen

Theorieprogramm, dass der menschliche Körper über eine eigene Intelligenz ver-

fügt, die von verstandesmäßigen Geistesvorgängen unabhängig, ihnen sogar präe-

xistent ist. Denken und Bewusstsein gehen einem zielgerichteten und sinnerfüllten

Handeln nicht als intellektuelle Strategien voraus, sondern werden vielmehr erst

in der körperlich-materiellen Interaktion mit anderen Individuen praxeologisch

konstruiert. Das handlungstheoretische Paradigma des Voraussetzungscharakters

der geistigen Instanz für die bedeutungsvolle menschliche Aktivität kann dem-

nach mit Mead unterminiert werden.

Auf dem Fundament der Überlegungen von Gilbert Ryle (1969) hinsichtlich

des Verhältnisses von gelingender Praxis (knowing how) und theoretischem Wis-

sen (knowing that), ist zu bezweifeln, dass sich eine intelligente Handlung in zwei

separat ablaufende Teilaktivitäten – im Sinne eines vorgeordneten, geistigen Pla-

nungs- und Wissensaktivierungsprozesses und eines dann folgenden, nachgeord-

neten, körperlich-praktischen Realisierungsgeschehens – differenzieren lässt, ei-

ner manifesten Handlung also tatsächlich kognitive Operationen und ein explizites

Wissen um ihre Ausführungsregeln und –maßstäbe zu Grunde liegen, oder eine

von außen rekonstruierbare Logik des Handelns notwendigerweise in Form von

gewussten Prinzipien und Regeln intern repräsentiert ist. Der britische Philosoph

demonstriert im Gegensatz zu traditionellen Handlungskonzepten, dass die gelin-

gende Handlung mit einer spezifischen Form der praktischen Intelligenz ausges-

tattet ist, die das reflektierende Bewusstsein der Akteure übersteigt und damit

nicht als geistige Widerspiegelung in diesem repräsentiert sein kann. Vielmehr,

als dass ein explizites Regelwissen die Voraussetzung für die korrekte und sinn-

volle Ausführung einer Handlung darstellt, ist dieses gemäß der Definition Ryles

– im Gegenteil – als Ergebnis einer nachgeordneten geistigen Reflexion auf die

gelingende körperliche Praxis zu verstehen.

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

39

Auch die Konzeptionen der Wissenschaftler Michael Polanyi (1985) und Pi-

erre Bourdieu (1967; 1987) lassen zentrale Schlüsselannahmen der Handlungsthe-

orien hintergehbar werden. Übereinstimmend zeigen beide Wissenschaftler, dass

ein gelingendes Handeln und praktische Fertigkeiten auf einem impliziten, den

Akteuren selbst präreflexiven und dem Medium der Sprache nur stark limitiert

zugänglichen Körperwissen beruhen, welches nicht in expliziter Form in der geis-

tigen Ideenwelt gespeichert, sondern nur in der Praxis selbst existiert ihren gere-

gelten, sinnvollen und intentionalen Vollzug stillschweigend und unausgespro-

chen betreibt. Die Logik einer Handlung ist also auch gemäß der Vorstellungen

Bourdieus und Polanyis nicht in den Strategisierungen des Verstandes oder expli-

ziten Kenntnissen der Vollzugsregeln zu verorten, sondern als in der körperlich-

praktischen Realisation selbst situiert zu begreifen.

Die Wissenstheorie des ungarischen Philosophen Polanyi negiert des Weiteren

die in den handlungtheoretischen Konzepten weit verbreitete Tendenz, eine er-

folgreiche Handlung als Resultat einer aufmerksamen und bewussten Kontrolle

ihrer Ablaufdetails zu betrachten. In Fortführung gestaltpsychologischer Einsich-

ten demonstriert er, dass eine bewusste Fokussierung der Einzelheiten - im Ge-

genteil - den Lern- und Erkenntnisfortschritt hemmen und das implizite Wissen

seiner integrierenden Kraft berauben kann (vgl. Polanyi 1985, 25f.). Vor dem

Hintergrund des Konzepts des impliziten Körperwissens bleibt insbesondere die

von den handlungstheoretisch orientierten Bewegungswissenschaftlern Mei-

nel/Schnabel (2006, 148ff.) propagierte sportdidaktische Notwendigkeit der Ver-

mittlung eines expliziten Wissens um die Ausführungsregeln und einer bewussten

Kontrolle der einzelnen Bewegungsparameter und –details der Zielbewegung -

zumindest in einer solchen Rigidität, mit der sie diese einfordern - nicht vertret-

bar.

Auch das sich in traditionellen Handlungtheorien widerspiegelnde Ideal eines

autonomen und ungebundenen Akteurs, dessen Handlungen einem rein subjekti-

ven Sinn folgen und dem die Freiheit des „Auch-anders-tun-Könnens“ (Groeben

1986, 63) offensteht, ist auf Grund der praxeologischen Erkenntnisse in Zweifel

zu ziehen. Sowohl George Herbert Mead (1975, 180ff.), als auch Pierre Bourdieu

(1976; 1987) heben hervor, dass Handlungen durch soziale Einflüsse und habitu-

elle Dispositionen geprägt sind und somit niemals einem rein privaten oder sub-

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

40

jektiven Sinn folgen, sondern gewissen übersubjektiven Determinanten unterlie-

gen und ihrem Wesen nach gesellschaftlich geprägt sind. Vor dem Hintergrund

der bourdieuschen Sozialtheorie ist so davon auszugehen, dass jegliche praktische

Hervorbringungen von sozialen Einflussfaktoren wie beispielsweise Erziehung,

Geschlecht, Herkunft determiniert und begrenzt sind. Diese habituelle Bedingtheit

sorgt dafür, dass einem bestimmten Akteur eine spezifische Art und Weise zu

handeln besonders naheliegen mag, während ihm eine andere gleichsam verstellt

ist. Zumal die impliziten, gesellschaftlich erworbenen und inkorporierten habituel-

len Dispositionen – gemäß bourdieuscher Definition – außerdem der Reflexion

des Akteurs nicht zugänglich sind und als dauerhaftes und nicht-hinterfragtes Be-

zugssystem und einschränkender Möglichkeitshorizont für Denk-, Wahrneh-

mungs- und Handlungsweisen dienen, scheint es mehr als fraglich, ob Subjekte

jemals autonom entscheiden, frei und unberührt von übersubjektiven Einflüssen

praktisch tätig sind und ihnen diverse Möglichkeiten des „Auch-anders-tun-

Könnens“ beziehungsweise der Übernahme unterschiedlichster Rollen offenste-

hen (vgl. Bourdieu 1976, 199f.).

Die erläuterten Programmatiken der exemplarisch angeführten Repräsentanten

der praxeologischen Philosophie und Soziologie betrachten den Menschen nicht

länger als reines Geisteswesen, sondern rücken seinen Körper vor allem im Hin-

blick auf das in ihm inkorporierte, implizite Wissens- und Könnenspotential, und

auf seine Bedeutung für das menschliche Erkenntnis- und Handlungsvermögen in

das Zentrum ihrer wissenschaftlichen Bemühungen. Die in Kapitel 3 erläuterten

Theorieprogramme der Philosophie und der Soziologie relativieren die der Hand-

lungstheorie inhärente Vorstellung einer hierarchischen Dichotomie von Körper

und Geist und heben die kognitivistische und intellektualistische Verengung auf,

die in traditionellen soziologischen, psychologischen und bewegungswissen-

schaftlichen Konzeptionen impliziert ist. Im kontradiktorischen Gegensatz zur

cartesianischen Tradition schreiben sie dem menschlichen Körper eine eigene,

von bewussten Kognitionen und expliziten Theoriekenntnissen unabhängige Intel-

ligenz zu, die in der materiell-somatischen Praxis generiert wird, als solche nur in

dieser selbst existiert und ihren Vollzug auf sinnvolle und zielgerichtete Art und

Weise reguliert. Der menschliche Körper erscheint in diesen Ansätzen damit nicht

Der Mensch als praktisches Wesen Das Wissen des Körpers

41

länger als bloßes, vom Geist beherrschtes Instrument, sondern wird als eigentli-

cher Träger der intelligenten Handlung verstanden.

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

42

4. Praktische Experten und ihre Fähigkeit zur intuitiven Bewälti-

gung des Unplanbaren

Seit einigen Jahren zeichnet sich an den Rändern diverser Human-, Kultur-,

Gesellschafts- und Geisteswissenschaften (zum Beispiel der Psychologie, der Pä-

dagogik, der Sportwissenschaft und verschiedenen Strömungen der Sozialwissen-

schaft) ein durch die praxeologischen Erkenntnisse inspirierter Perspektivenwech-

sel ab, der sich in einer zunehmenden Abkehr von anthropologischen Idealen der

traditionellen Handlungstheorie und verbreiteten Konzeptualisierungen des

menschlichen Handlungs-, Lern- und Erkenntnisvermögens äußert.

Wenngleich es zwar bisher an einer konsensual geteilten theoretischen Fun-

dierung und einer analytischen Synthese der facettenreichen interdisziplinären

Erkenntnisse fehlt, welche eine notwendige Voraussetzung für die systematische

Ausschöpfung ihres Innovationswerts und ihres Potentials für eine umfassende

und tiefgreifende Substitution des seit mehr als 200 Jahren in der westlichen Wis-

senschaft etablierten Menschenbildes darstellen, weisen die Forschungsansätze

jedoch zahlreiche Parallelen und theoretische Ankopplungsstellen zueinander auf.

In den nächsten Kapiteln der Arbeit soll über eine exemplarische Darlegung der

zentralen Inhalte und Zielsetzungen unterschiedlicher Ansätze der psychologi-

schen und pädagogischen Expertiseforschung (Kapitel 4.1), der Arbeitswissen-

schaft (Kapitel 4.2) sowie der Sportwissenschaft (Kapitel 5) eine Annäherung an

eine neue Theorieperspektive auf die menschliche Handlungs-, Lern- und Er-

kenntnisfähigkeit erreicht werden.27

27 Für eine aktuelle Stellungnahme zum praxeologischen Paradigmenwechsel im Feld der Kultur-wissenschaften vergleiche beispielsweise Hörning, K.H., 2001: Experten des Alltags. Die Wieder-entdeckung des praktischen Wissens. Weilerswist: Velbrück; Reckwitz, A., 2000: Die Transforma-tion der Kulturtheorien. Weilerswist: Velbrück; Reckwitz, A., 2003: Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive. In: Zeitschrift für Soziologie, 4, S. 282-301.

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

43

4.1 Überlegungen aus dem Bereich der pädagogischen und psychologischen

Expertiseforschung

Im Jahre 1988 veröffentlichen die amerikanischen Wissenschaftler Hubert und

Stuart Dreyfus das Werk Künstliche Intelligenz. Von den Grenzen der Denkma-

schine und dem Wert der Intuition und beziehen mit diesem eine antagonistische

Position zu kognitivistischen Handlungstheorien der cartesianischen Schule, deren

Erbe bis in die Gegenwart die westliche Philosophie, Psychologie und andere

Wissenschaften dominiert.28 An Hand eines gestuften Modells zum Erwerb prak-

tischer Fertigkeiten entkräften die amerikanischen Autoren zentrale Thesen der

traditionellen Handlungstheorie, indem sie demonstrieren, dass die Fähigkeit zum

analytischen und regelbefolgenden Denken und Planen mitnichten als Idealtypus

der menschlichen Intelligenz und des menschlichen Entwicklungsvermögens eti-

kettiert werden kann. Sie verdeutlichen, dass diese lediglich ein Übergangsstadi-

um auf dem Weg zur Genese einer distinktiv menschlichen Form einer intuitiv-

gefühlsmäßigen und praktischen Intelligenz darstellt, für deren Erwerb nicht aus-

schließlich der Geist, sondern insbesondere der Körper einschließlich seiner Sinne

die unentbehrliche Grundlage bildet.

Die intelligente Praxis des Könners – so illustriert die Theorie der Brüder

Dreyfus - zeichnet sich gerade nicht durch ein bewusst-verstandesgeleitetes Be-

folgen expliziter Prinzipien und abstrakter Theoriekenntnisse oder ein exaktes

Umsetzen präaktional entwickelter Handlungspläne aus. Vielmehr ist es umge-

kehrt die ungewandte und nicht-intelligente Aktivität des praxisunerfahrenen No-

vizen, die durch solch ein, von Descartes und diversen Handlungstheoretikern als

idealtypisch ausgewiesenes, rational-reflexives Vorgehen charakterisiert ist.

Eindrücklich und besonders anschaulich demonstriert dasselbe der Musiker

und Phänomenologe David Sudnow in seiner autobiographischen Studie zum Er-

werb der Improvisationsfähigkeit im Jazz, die der Entwicklung des Modells der

Brüder Dreyfus als wichtiges Bezugssytem dient (vgl. Neuweg 1999, 296).

28 Dreyfus, H., Dreyfus, S., 1988: Künstliche Intelligenz. Von den Grenzen der Denkmaschine und dem Wert der Intuition. Reinbek: Rowohlt.

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

44

4.1.1 Exkurs A - „Ways of the Hand”

In seinem Buch Ways of the Hand dokumentiert Sudnow in theoretischer An-

lehnung an die Leibphänomenologie Maurice Merleau-Pontys die graduelle Ent-

wicklung seiner Fähigkeit zur Jazz-Improvisation am Piano.29 In den Anfangssta-

dien versucht er als Novize, diese systematisch zu entwickeln, indem er ein um-

fangreiches theoretisches Wissen über den Aufbau der Klaviertastatur und die

Konstruktion von Akkorden und Harmonien anhäuft und seine Aufmerksamkeit

primär dem Erwerb grundlegender technischer Fertigkeiten widmet. Die ersten

Schritte des Anfängers Sudnow orientieren sich an der intensiven Beobachtung

und Analyse der Improvisationen seines Lehrers. Seine ersten eigenen praktischen

Versuche zeichnen sich dadurch aus, dass er das Vorgehen seiner Hände visuell

kontrolliert und überwacht und die Position der zu spielenden Noten auf dem

Keyboard bewusst ansteuert. So sehr er auch den Versuch unternimmt, die Fähig-

keit zur Improvisation durch eine rational-reflexive Kontrolle seiner Hände sowie

die Formulierung und Anwendung von Regeln zu erwerben, muss er dennoch

nach einer gewissen Zeit feststellen, dass er auf diese Art und Weise zwar das

noten- und vorgabenkonforme Klavierspielen erlernt, jedoch kaum Fortschritte

hinsichtlich seiner Improvisationsfähigkeit macht (vgl. Sudnow 1978, 1ff.).

Nach etwa zwei Jahren des kontinuierlichen Übens vollzieht sich im Spiel

Sudnows eine entscheidende Entwicklung, die ihn seinem Ziel ein erhebliches

Stück näher bringt. Diese wird bedingt durch einen Wandel der Zentrierung seiner

Aufmerksamkeit, die von nun an weniger auf die Tasten des Klaviers gerichtet ist,

sondern vielmehr den produzierten Tönen gilt: „It was not until the start of my

third year of play that I found myself ‘going for the sounds’.“ (ebd. 37). Sudnow

kontrolliert sein Spiel in diesem zweiten Stadium nicht mehr visuell durch den

Blick auf seine Hände und die einzelnen Zieltasten, sondern durch eine globalere,

akustische Wahrnehmung der gespielten Melodie. Gleichzeitig entwickelt er eine

Antizipationsfähigkeit über den Klang der folgenden Töne, noch bevor er die ent-

sprechenden Tasten überhaupt drückt: „I was going for the sounds, for a course of

melody, I began to find that I knew what the next notes would sound like.“ (ebd.,

29 Sudnow, D., 1978: Ways of the Hand. Cambridge: Harvard University Press.

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

45

45). Seine Hände folgen dabei seiner Antizipation wie selbstverständlich und mü-

helos. Das zunehmend gekonnt improvisierende Spiel Sudnows ist an diesem

Punkt nicht länger als bewusst kontrolliertes Tun zu qualifizieren; vielmehr schil-

dert er aus der Perspektive seines phänomenalen Erlebens, dass es ihm scheint, als

handelten seine Hände auf dem ihnen vertrauten Keyboard wie von selbst. Sein

Klavierspiel folgt der Führung seiner „wissenden“ Hände, nicht der seines ration-

alen Verstandes: „It had become a hand knowing know to enter into the scope of a

field, and do a line of shaped movement through the course as a course of particu-

lar keys.” (ebd., 52).

Um den Klang einer Note oder den Abstand zwischen zwei Tasten weiß Sud-

now nur, wenn er im Spiel involviert ist; es ist ein hochgradig praxisbezogenes

und kontextabhängiges Wissen, das er als in seinen Händen situiert erlebt: „I do

not know ‘distances between keys’ in general, I know them in a context, always,

of unfolding courses. I know them within arenas of essential hand distancing, and

with a configurational facility.“ (ebd., 71). Seine Hände agieren in der konkreten

Praxis am Piano demnach gemäß einer „Logik in actu“ (Bourdieu 1997, 182), das

heißt einer Logik oder Intelligenz, die jenseits dieser nicht als bewusster Inhalt

seines Verstandes existiert.

Sudnow tut den entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Improvisationsfä-

higkeit, als er einen Meister-Pianisten bei seinem Klavierspiel beobachtet und er

zur Erkenntnis gelangt, dass sich scheinbar dessen gesamter Körper an der Mu-

sikproduktion beteiligt, seine Bewegungen die Melodie gewissermaßen wider-

spiegeln:

„I watched him night after night, watched him move from chord to chord with a broadly swaying participation of his shoulders and entire torso, watched him delineate waves of movement, some broadly encircling, others subdividing the broadly undulating strokes with finer rotational movement […]. As his foot tapped up and down, his head went through a similar rotational course, and the strict up-and-down tapping of the foot was incorporated within a cyclical manner of ac-centing his bodily movements [...]. In order to get a sound of a song to happen like his, his observable bodily idiom, his style of articulating a beat, served as a guide.” (Sudnow 1978, 82f.).

In der Folge beginnt Sudnow, diese Ergriffenheit zu imitieren, seinem Spiel

eine körperliche Artikulation zu verleihen und ihm eine sinnlich-spürende Auf-

merksamkeit entgegen zu bringen. Er schildert, dass diese transmodale Invol-

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

46

viertheit und erhöhte Sensibilität ihn zur Wahrnehmung ganz neuer Eindrücke

befähigt, die eine bewusste Justierung seines Spiels auf der Basis einer Orientie-

rung an Regeln oder Prinzipien obsolet werden lässt. In diesem Stadium, in dem

er - so die phänomenologische Beschreibung des Jazz-Pianisten – voll in seiner

Musik aufgeht und ganz bei der Sache ist, entfaltet sich seine gekonnte Improvisa-

tion wie von selbst und äußert sich in einem transmodalen Gespür für seine Rich-

tigkeit, ohne dass er diese an konkreten Merkmalen festmachen könnte:

„All prior ways of being seem thoroughly lacking, and the new way is encountered with a ‘this is it’ feeling, almost as a revelation.“ (ebd., 84), „What happened, suddenly appearing and then disappearing in these ways, was quite different from what former practices on the terrain had amounted to. For a brief course of time while playing rapidly along, a line of mel-ody would be generated, interweavingly flowing over the du-ration of several chords, fluently winding about in ways I had never seen my hands wind about before [...]” (ebd., 85), “[...], the real jazz presenting itself so dramatically special and with nothing that I could precisely nail down as things to do [...]” (ebd., 87).

Im Zuge dieses Aufgehens in seiner Musik ist Sudnow mit seiner vollen Kon-

zentration bei der Sache, jedoch nicht in dem Sinne, dass sein bewusster Verstand

das Spiel planerisch und koordinativ vorgibt und somit eine Art Voraussetzungs-

charakter für dessen Gelingen übernimmt; vielmehr treten auf dieser Kompetenz-

stufe Momente des Bewusstseins in strikter Synchronizität zu seinen künstlerisch-

praktischen Äußerungen auf: „a new way for intentions to be formed, a new sort

of synchrony and directionality of linkage between my head’s aimings for sung

sounds and my fingers’ aimings for singable sounds, becoming progressively sha-

ped and refined.“ (ebd. 96). Auf dem Niveau der Expertise hat der Jazz-Musiker

den Eindruck, als agieren seine mit dem Klavier auf engste, aber dennoch nicht-

reflexive Weise vertrauten Hände wie von selbst, als bringen diese mühelos die

gekonnte Improvisation hervor, ohne dass er dies verstandesmäßig anstrebt. Die

Fähigkeit zur Improvisation ist ihm nun einverleibt: der Könner Sudnow reguliert

und bewertet seine künstlerische Praxis nicht unter rationaler Referenz auf ge-

wusste Maßstäbe und Vorgaben, sondern auf der Grundlage eines körperlich-

sinnlichen und präreflexiven Erlebens, eines in der musischen Praxis erworbenen

Gefühls für die Richtigkeit seines Tuns, das sich immer dann entfaltet, wenn er in

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

47

seinem Spiel aufgeht und diesem seine transmodale Aufmerksamkeit entgegen

bringt (vgl. ebd., 103).

Die Fähigkeit zur Jazz-Improvisation, so lässt sich aus David Sudnows Studie

folgern, erfordert weder ausschließlich ein thematisches Wissen um die Struktur

und Nomenklatur des improvisierenden Spiels oder eine Koordination dieses

durch den planenden und kontrollierenden Verstand, noch das Anwenden und

Befolgen expliziter, theoretisch abstrahier- und formalisierbarer Regeln und Prin-

zipien. Vielmehr fußt die Akquise der Improvisationsfähigkeit gemäß seiner phä-

nomenologischen Schilderungen auf einer körperlich-sinnlichen Involviertheit

und Verwachsenheit des Pianisten mit seiner Musik in der künstlerischen Praxis

am Klavier, auf deren Basis sich das gekonnte Spiel wie von selbst und ohne die

Interferenz kognitiver Regulationsmomente organisiert.30

4.1.2 Zum Erwerb praktischer Fertigkeiten und zum Wert der Intuition

Unter anderem inspiriert durch die phänomenologischen Schilderungen David

Sudnows entwerfen Hubert und Stuart Dreyfus ein elaboriertes Modell zum Er-

werb praktischer Fertigkeiten, das wichtige Phasen des von Sudnow illustrativ

dargelegten Lernprozesses reartikuliert und diese überdies theoretisch untermauert

und weiterführt. Gemäß ihres Modells des Fertigkeitserwerbs lernt der Neuling

auf der ersten Stufe ausschließlich durch verbale Informationen, zumal er anfäng-

lich – so ihre These – mit anderen (zum Beispiel mimetischen) Methoden infor-

mationell überfordert ist. Ziel dieses ersten Stadiums ist es, den Novizen zu befä-

higen, objektive Fakten, relevante Handlungsmuster und explizite Regeln zu er-

kennen, mittels derer auf Grund der Fakten und Muster Handlungen zu bestimmen

sind, sowie einzelne Kontextmerkmale der Handlungssituation bewusst zu dis-

kriminieren und angemessene Reaktionen auf diese zu erinnern. Dreyfus/Dreyfus

betonen, dass diese Inhalte jedoch noch ohne ihren Bezug zur Handlungssituation

erworben werden. Auf der ersten Stufe des Lernprozesses wird demnach primär

die Akquise eines kontextunabhängigen Regelwissens, eines regelgeleiteten kno-

wing that fokussiert, auf dessen Grundlage der Anfänger erste praktische Erfah- 30 Es ist diese körperlich-sinnliche Vertrautheit Sudnows mit dem Klavier, die auf das von Mer-leau-Ponty thematisierte Phänomen der Zwischenleiblichkeit verweist (siehe auch Fußnote Num-mer 26).

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

48

rungen mit der zu erwerbenden Fertigkeit erlangen kann (vgl. Dreyfus/Dreyfus

1988, 43f.).

Auch noch auf der zweiten Stufe des Kompetenzerwerbs steht neben dem ver-

standesmäßigen und –kontrollierten Erwägen expliziter Handlungsprinzipien das

bewusste Wahrnehmen und Kategorisieren situativer Einzelmerkmale im Vorder-

grund des Lernprozesses. Allerdings lernt der fortgeschrittene Anfänger jetzt all-

mählich, Regeln, Handlungsmuster und Merkmale situationsabhängig, also in

ihrer Relation zum globaleren Handlungskontext, anzuwenden und zu erkennen

(vgl. ebd., 45f.).

Das kompetente Handeln im folgenden, dritten Stadium des Lernprozesses des

Modells Dreyfus’ entspricht jenem Tun, dessen Struktur in den Modellen der psy-

chologischen Handlungstheorie (siehe Kapitel 2.2) beschrieben wird: der Lernen-

de erreicht jetzt das Niveau des bewusst-verstandesmäßigen und analytischen

Problemlösens und erwirbt im Zuge dessen die Fähigkeit, seine Handlungen im

Hinblick auf ihre Abläufe und Ziele strategisch zu planen, Alternativen abzuwä-

gen und adäquat umzusetzen (vgl. ebd., 46ff.).

Die vierte Stufe initiiert gemäß der Theorie von Dreyfus/Dreyfus die Über-

windung und innovative Erweiterung traditioneller Handlungsmodelle, deren

Grundtenor von Charakteristika des bewussten, rational-reflexiven Entscheidens

und distanzierten Abwägens von Handlungsalternativen und dem Paradigma des

sorgfältig überlegten Tuns durchdrungen ist. Im Stadium der Gewandtheit trifft

der Akteur keine distanzierten Entscheidungen mehr; vielmehr passiert auf der

Basis einer ganzheitlich-holistischen und nicht länger elementenhaft-analytischen,

Situationswahrnehmung „sein gewandtes Vorgehen [einfach], offensichtlich, weil

er in der Vergangenheit ähnliche Situationen erlebt hat, an die er sich nun erinnert.

Diese Erinnerungen lösen ähnliche Pläne aus wie die, die schon damals funktio-

nierten, und Erwartungen von Ereignissen, wie sie ebenfalls vorher in vergleich-

barer Form auftraten“ (ebd., 52). Ein gewandter Boxer beispielsweise „erkennt

den Moment, in dem er angreifen muss nicht dadurch, dass er verschiedene Fak-

ten bezüglich seiner Körperposition und der seines Gegners miteinander verbin-

det. Vielmehr lösen die gesamte visuelle Szene vor ihm und gewisse Empfindun-

gen in seinem Inneren Erinnerungen an frühere ähnliche Situationen aus, in denen

ein Angriff erfolgreich war“ (ebd., 52).

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

49

Diese vierte Stufe des Fertigkeitserwerbs ist geprägt durch die Entwicklung

eines intuitiven, körperlich-sinnlichen Gespürs, das dem Akteur auf der Grundla-

ge vergangener Ereignisse und des holistischen Erkennens situativer Ähnlichkei-

ten ein phänomenal als mühelos empfundenes, unmittelbares Erfassen der Situati-

on ermöglicht, ohne dass bewusste Kognitionen vermittelnd an diesem Verste-

hensprozess beteiligt sind.31

Im Kontrast zur sich anschließenden Stufe der Expertise knüpft sich im vor-

letzten Stadium an diese erfahrungsbasierte, spontane und präreflexive Situations-

erfassung jedoch ein Moment der Interferenz des Bewusstseins an, in dem Sinne,

als die Entscheidung für eine bestimmte Aktion noch geistig-verstandesmäßig

gefällt wird (vgl. ebd., 51ff.). Der gewandte Könner sieht also zwar unmittelbar

und ohne eine bewusste, auf Regeln, Prinzipien oder explizite Wissensbestände

rekurrierende Situationsanalyse, was zu tun ist, muss jedoch noch rational ent-

scheiden, wie er tut, was zu tun ist.

Im Stadium der Expertise ist dies anders. Der Erfahrungsschatz des Experten

mit konkreten Fällen ist nun so groß, dass jede spezifische Situation, in die er ge-

rät, die angemessene Verhaltenweise intuitiv und unmittelbar, also ohne die Me-

diation bewusster Kognitionen, auslöst. Sein Handeln basiert auf früheren Erfah-

rungen und einem nicht-bewussten, spontanen und holistischen Erkennen von

Ähnlichkeiten zwischen neuen und vergangenen Gesamtsituationen. Den grundle-

genden Referenzrahmen für die intelligente Praxis des Experten bildet demnach

ein in dieser durch Imitation von Vorbildern, Einübung und persönliche Erfahrun-

gen erworbenes, höchst umfangreiches, inkorporiertes und implizites Fallwissen

das ihm – in Analogie zur Funktion des praktischen Sinn des Habitus in der bour-

dieuschen Theorie (siehe Kapitel 3.4.2) - ein unmittelbares und situatives Ver-

ständnis einer Vielzahl verschiedener Problemsituationen sowie ein instinktives

Reagieren auf diese ermöglicht (vgl. ebd., 54ff.).32

31 Im Gegensatz zum alltäglichen Sprachgebrauch ist das Phänomen des Intuition gemäß der Theo-rie von Dreyfus/Dreyfus nicht mit einer übernatürlichen und unerklärlichen Inspiration im Sinne des oft zitierten „Bauchgefühls“ gleichzusetzen, sondern als Fähigkeit zum als mühelos empfun-denen Verstehen und Handeln zu interpretieren, die immer dann zum Tragen kommt, wenn Akteu-re in der aktuellen Situation, in die sie involviert sind, Ähnlichkeiten zu vergangenen Ereignissen erkennen (vgl. Dreyfus/Dreyfus 1988, 52f.). 32 Dreyfus/Dreyfus verorten in eben dieser Disposition zur nicht-reflexiven, unmittelbaren und intuitiven Bewältigung verschiedenartiger und unvorhergesehener Problemsituationen den genuin menschlichen Aspekt des Handelns und Erkennens, der den Menschen gegenüber „logischen

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

50

4.1.3 Exkurs B - Die Struktur des Expertenwissens

Ergänzend zur Phänomenologie des Fertigkeitserwerbs der Brüder Dreyfus hat

sich in den letzten Jahren insbesondere der Pädagoge und Psychologe Rainer

Bromme um eine Analyse des strukturellen Unterschiedes zwischen dem regel-

und prinzipiengeleiteten Handeln des Novizen und der knowing-how-basierten,

intelligenten Praxis des Experten verdient gemacht.33 An Hand einer Untersu-

chung mit unerfahrenen Lehreraspiranten und über einen großen Schatz an prakti-

schen Lehrerfahrungen verfügenden Experten demonstriert er, dass das dem re-

flektierenden Bewusstsein nur sehr begrenzt zugängliche, implizite knowing how

des Experten nicht nur als Ergebnis eines im Zuge des Übungsprozesses aus der

bewussten Aufmerksamkeit herabgesunkenen, vormals explizit gelernten, theore-

tischen Wissens zu verstehen ist. Bromme betont, dass sich dieser in einem, den

praktischen Erfahrungs- und Übungsprozess begleitenden, als „Prozeduralisie-

rung“ (Bromme 1992, 150) bezeichneten Vorgang, sowohl inhaltlich als auch

strukturell gravierend verändert und sich zu einem subjektiv geprägten „Denkstil“

(Ludwik Fleck zitiert nach Neuweg 1999, 330) weiterentwickelt, der dem Lehrer

zunehmend als präreflexiver Bezugsrahmen für die gelingende Unterrichtspraxis

dient (vgl. Bromme 1992, 147).

Entscheidende Merkmale des professionellen Expertenwissens im Unterschied

zu dem des Anfängers liegen gemäß der Interpretation Brommes in seiner qualita-

tiven Organisation und seinem spezifischen Inhalt. In Relation zum Novizen ver-

fügt der praktische Experte auf Grund seiner umfangreicheren Erfahrungen mit

der konkreten Unterrichtspraxis nicht lediglich quantitativ und extensional über

ein „Mehr“ an Handlungswissen, sondern vielmehr sind die Wissensinhalte, die

den Aktivitäten des Experten zu Grunde liegen, qualitativ und intensional anders, Denkmaschinen“ wie Computern und Robotern auszeichnet. Trotz erheblicher Fortschritte und Neuerungen im Forschungsfeld der künstlichen Intelligenz und der Möglichkeit, diesen die Fähig-keit zum analytischen Problemlösen und zur rationalen Kalkulation (zum Beispiel in Gestalt von Wenn-Dann-Relationen) einzuprogrammieren, widersetzt sich das in der körperlich-materiellen Praxis erworbene, implizite knowing how, das dem intelligenten Handeln des menschlichen Exper-ten zu Grunde liegt, jeglichen Versuchen der Formalisierung in Regeln und somit der technologi-schen Simulation in Computerprogrammen (vgl. Dreyfus/Dreyfus 1988, 258ff.). Zu einer aktuel-len, wenngleich ähnlichen Einschätzung der Unmöglichkeit einer computertechnologischen Mo-dellierung der spezifischen Form der menschlichen praktischen Intelligenz vergleiche den Artikel Intelligenz steckt in den Beinen., Süddeutsche Zeitung, 8.7.2003. 33 Bromme, R., 1992: Der Lehrer als Experte: Zur Psychologie des professionellen Wissens. Bern: Huber.

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

51

verdichteter, strukturiert als jene, die in der Aktivität des Neulings zum Ausdruck

kommen (vgl. ebd., 139ff.).

Das implizite, einverleibte und auf persönlichen Erfahrungen beruhende Wis-

sen, welches aus der Perspektive der Expertiseforschung das Fundament der prak-

tischen Aktivitäten des Experten bildet, ist in Kategorien dividiert und zusam-

mengefasst, die es ihm ermöglichen, wahrgenommene Situationen in ihrer Ganz-

heit und Komplexität schneller erfassen und bewerten zu können und dementspre-

chend ohne große zeitliche Verzögerungen in angemessener Art und Weise auf

diese zu reagieren. Überdies zeichnet sich nach Bromme die Wissensorganisation

erfahrener und erfolgreicher Lehrer durch eine hohe Fall- und Situationsbezogen-

heit aus. Das knowing how des Experten ist ein hochgradig abstrakt-relationales

und vermaschtes Konstrukt, innerhalb dessen einzelne Situationsaspekte systema-

tisch aufeinander bezogen und zu einem konsistenten Bild eines Falls verschmol-

zen sind (vgl. ebd., 149). Auf Grund eines hohen Maßes an praktischen Erfahrun-

gen mit einer Vielzahl spezifischer Merkmale verschiedener Unterrichtskonstella-

tionen ist solchen Lehrkräften, die auf dem Niveau der Expertise praktizieren,

treffen sie erneut auf ähnliche Umstände, ein intuitiv angemessenes Handeln auf

der Basis eines „Gefühls für die Situation“ (ebd., 141) möglich. Anstatt also auf

eine kognitive Analyse einzelner Situations- oder Fallmerkmale zu rekurrieren,

auf deren Grundlage sie dann bewusste Entscheidungen für die Exekution dieser

oder jener Handlung treffen, verlassen sich Experten bei der Evaluation und Be-

wältigung konkreter Situationen weniger auf die rationale, denn auf die emotiona-

le Regulationsinstanz, die im Sinne eines erfahrungsabhängig sich entwickelnden,

instinktiven Gespürs für das angemessene Handeln in ihr phänomenales Erleben

drängt und verhaltensrelevant wird.

Für die gekonnte Lehrpraxis sind umfangreiche, theoretische und regelhafte

Wissensbestände bezüglich ihrer Prinzipien allein demnach unzureichend. Um das

Niveau der Expertise zu erreichen, auf dem verschiedenartige unterrichtliche

Konstellationen instinktiv und ohne lange nachdenken oder erwägen zu müssen,

bewältigt werden können, ist es notwendig, diese durch persönliche praktische

„Felderfahrungen“, also in der Unterrichtspraxis inhaltlich anzureichern und situa-

tions- und fallbezogen zu organisieren und zu vernetzen. Nur auf der Grundlage

einer Vielzahl von praktischen Erfahrungen mit konkreten Unterrichtssituationen

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

52

selbst kann demnach ein formalisierbares Wissenschaftswissen in einen prärefle-

xiv wirkenden, impliziten und subjektiven Bezugsrahmen für praktische Hervor-

bringungen und ein individuelles knowing how des Unterrichtens transformiert

werden.

Dass der intuitive Experte nicht rational-kalkulierend denkt, bevor er handelt,

darf nicht dahingehend fehlinterpretiert werden, sein Vorgehen in irgendeiner

Weise als gedankenlos oder irrational zu etikettieren. Dies impliziert nicht, dass

Dreyfus/Dreyfus und Bromme die menschliche Disposition zum Denken gänzlich

von der Expertisestufe zu verbannen beabsichtigen. Wie oben erläutert, nehmen

die Wissenschaftler an, dass die intelligente Praxis des Experten auf einem sehr

umfangreichen, impliziten und einverleibten Erfahrungswissen fußt, das als prä-

reflexiver Hintergrund für seine Hervorbringungen fungiert. Insbesondere wenn

der versierte Akteur auf Situationen trifft, in denen seine Wahrnehmungs- und

Handlungsroutinen zeitweilig außer Kraft gesetzt sind, setzt auch im Stadium der

Expertise eine Form des Nachdenkens ein, die mit Dreyfus/Dreyfus (1988, 62) als

„besonnene Rationalität“ und mit Donald Schön (zitiert nach Neuweg 1999, 356)

als „reflection-in-action“ zu bezeichnen ist. Diese Formen des Reflektierens be-

stehen jedoch weniger in einem begrifflichen, logisch-schlussfolgernden Denken,

oder einem für die Anfängerstufen charakteristischen, der konkreten Praxis abge-

wandten, analytischen Rekurs auf explizit gelernte Interpretationsschemata im

Sinne eines starren Regelwerkes und zielen nicht auf die Modifikation einzelner

handlungsdeterminierender Regeln oder Prinzipien. Vielmehr nutzt der Experte

diese Formen des Denkens-im-Tun, um unter Bezug auf seine individuellen Vor-

erfahrungen die Problemsituation in ihrer Konkretheit besser zu erfassen und zu

einer intuitiven und ganzheitlich-holistischen Alternativinterpretation zu gelan-

gen, die dann in seine Fallbibliothek integriert wird (vgl. Neuweg 1999, 355ff.).

Es handelt sich also um Strategien des praxisnahen Reflektierens, die den konkre-

ten Vollzug von Handlungen begleiten und vergleichbar sind mit jenem aufmerk-

samen „Bei-der-Sache-sein“ und jener konzentrierten Involviertheit, die der Jazz-

Musiker Sudnow auf dem Niveau der Expertise seinem improvisierenden Spiel

auf dem Piano entgegenbringt (vgl. Sudnow 1978, 84ff.).

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

53

Das Handeln des Experten – so lassen sich die phänomenologischen Schilde-

rungen Sudnows sowie die Einsichten der Brüder Dreyfus und des Pädagogen

Bromme als Argumente gegen traditionelle Handlungstheorien zusammenfassen -

darf nicht als distanziert-analytisches Problemlösen, als bewusstes Nachdenken

über die Zukunft oder als strategisches Entwerfen und Realisieren von Plänen

missverstanden werden: „Wenn keine außerordentlichen Schwierigkeiten auftau-

chen, lösen Experten weder Probleme noch treffen die Entscheidungen. Sie ma-

chen einfach das, was normalerweise funktioniert.“ (Dreyfus/Dreyfus 1988, 55).

Ein von den Brüdern Dreyfus zitierter Kampfsportler äußert sich zu diesem Tat-

bestand wie folgt: „Es gibt keine Wahl. Es geschieht unbewusst, automatisch,

natürlich. Es darf kein Gedanke aufkommen, denn für Gedanken ist Denkzeit er-

forderlich und das bedeutet Fehler… Nimmst du dir Zeit zu denken: ‘Ich muss

diese oder jene Taktik anwenden’, wirst du niedergeschlagen, noch während du

denkst.“ (ebd., 57).

Die Autoren begreifen das Können des Experten als zum selbstverständlich

und natürlich gewordenen Teil seiner Person, seines Körpers; das Können ist ihm

einverleibt. Analytisch-verstandesgeleitetes Denken ist demnach nicht – in diesem

Punkt unterscheidet sich das Expertenparadigma fundamental von cartesianischen

Idealen, die in traditionellen Handlungsmodellen zum Ausdruck kommen - als

Höchststufe des menschlichen Erkennens und Könnens zu interpretieren. Viel-

mehr kann umgekehrt die Interferenz des rational-reflexiven und kalkulierenden

Bewusstseins gemäß der Theorie von Dreyfus/Dreyfus das Erreichen des Experti-

seniveaus verhindern und sogar dazu beitragen, dass der versierte Experte auf

niedrigere Kompetenzstufen regrediert.

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

54

4.2 Überlegungen aud dem Bereich der Arbeitswissenschaft

In westlichen Gesellschaften repräsentiert die Sphäre der Arbeit – so der

fachwissenschaftliche Konsens - den Prototyp jener planmäßig-rationaler Formen

des menschlichen Handelns, die traditionelle Handlungsregulationstheorien zu

beschreiben und analysieren beabsichtigen. Die moderne Arbeitswissenschaft

verortet die zentrale Herausforderung an das Arbeitshandeln darin, auf der Grund-

lage einer umfassenden geistigen Vorwegnahme der Arbeitsschritte, die Wahr-

scheinlichkeit des Auftretens von Kontingenzen und Unsicherheiten weitestge-

hend einzuschränken und räumt damit rational-reflexiven und instrumentellen

Denkprozessen die oberste Priorität ein. Auch sie rückt demnach in erster Linie

kognitive Verstandesprozesse in das Zentrum ihrer empirischen und theoretischen

Untersuchungen, während die manifeste Realisierung konkreter Arbeitshandlun-

gen für sie lediglich von marginalem Interesse ist und auf den Rang der bloßen

Ausführung oder Überprüfung der verstandesgeleiteten und vernunftsbasierten

Planungen verwiesen wird (vgl. Böhle 2002, 11).

4.2.1 Das traditionelle Modell des planmäßig-rationalen Arbeitshandelns und

seine Grenzen

Um auf der Grundlage einer möglichst umfassenden, ex ante vorgenommenen

Planung des Arbeitsprozesses die Wahrscheinlichkeit des Auftretens unvorherge-

sehener Situationen und Störungen im Betriebslauf so weit wie möglich einzu-

dämmen und zu reduzieren, sind Arbeiter dazu angehalten, ihr Tun unter bewuss-

ter Bezugnahme auf vorgegebene Prinzipien, ein logisch-abstraktes Regelwissen

und explizite Gebrauchsanweisungen, zum Beispiel bezüglich des Umgangs mit

Maschinen, Computern oder anderen technischen Systemen, rational-reflexiv zu

durchdringen und zu organisieren. Ferner haben sie ihre Bemühungen darauf zu

richten, wahrgenommene Informationen möglichst exakt zu registrieren und unter

Referenz auf wissenschaftlich legitimierte und normierte Wissensbestände sach-

gemäß zu interpretieren. Als Voraussetzung für ein störungsfreies und effizientes

Vorgehen – so die These der kognitivistisch orientierten Arbeitswissenschaft –

muss der Arbeiter eine distanziert-objektivierende Beziehung zu den Arbeitsge-

genständen etablieren und ihre vernunft- und verstandesgeleitete Beherrschung,

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

55

die durch den Erwerb eines extensiven und lückenfreien, expliziten Gebrauchs-

wissens gewährleistet wird, forcieren.

Auch das moderne Arbeitsverständnis perpetuiert die Tradition der cartesiani-

schen Körper-Geist-Hierarchie. Während die analytisch-logische Durchdringung

praktischer Arbeitsvollzüge sowie die Herstellung einer Plan- und Berechenbar-

keit im Arbeitsprozess als wichtigste Zielsetzungen erscheinen, wird dem mensch-

lichen Körper und seinen Sinnen nicht nur jegliche erkenntnisleitende Funktion

abgesprochen, ihnen wird sogar der epistemologische Makel angehaftet, die ver-

nunftgeleitete Absorption objektiver Informationen, an Hand derer der zukünftige

Arbeitsprozess organisiert und geplant werden soll, zu behindern und durch den

Einfluss von Emotionen und persönlichen Empfindungen, die von einer sachlich-

analytischen Wahrnehmung und Bewertung des Gegebenen ablenken könnten,

subjektivistisch zu verzerren (vgl. Böhle 2006, 253).

Im Angesicht der gegenwärtigen Akzeleration, Technisierung und Rationali-

sierung der industriellen Produktion jedoch beginnt sich in der Arbeitswissen-

schaft ein allmählicher Perspektivenwechsel anzudeuten und das Modell des

planmäßig-rationalen Arbeitshandelns an Erklärungskraft einzubüßen. Insbeson-

dere der Einsatz neuer, immer komplexer werdender Informations- und Steue-

rungstechnologien sowie die zunehmende Vernetzung technischer und organisato-

rischer Betriebsabläufe führen dazu, dass Einflussgrößen und Rahmenbedingun-

gen des Produktionsprozesses vielfältiger und unübersichtlicher werden und sich

Arbeiter im Umgang mit immer weniger eindeutig berechenbaren technischen

Gerätschaften und betrieblichen Zusammenhängen verstärkt mit widersprüchli-

chen Informationen, Kontingenzen und einer hieraus sich ergebenden, rapide ab-

nehmenden Möglichkeit der Planbarkeit ihrer Arbeitshandlungen konfrontiert

sehen (vgl. Böhle 2006, 256ff.).

In Situationen, in denen nicht nur ambivalente Handlungszusammenhänge be-

rücksichtigt werden müssen, sondern überdies die Anforderung besteht, schnell,

flexibel und improvisierend auf unvorhergesehene Unwägbarkeiten zu reagieren,

reicht es nicht aus, sich auf vorgegebene fixierte Regelwerke, theoretische Ein-

sichten und präaktional abgewogene und geplante Arbeitsstrategien zu verlassen.

Die angemessene „Bewältigung des Unplanbaren“ (Böhle et al. 2004) erfordert

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

56

die Substitution der cartesianischen Idealform des planmäßig-rationalen Arbeitens

durch eine divergierende Form des menschlichen Handelns und Verstehens und

eine qualitativ andere Art und Weise des Begreifens von Wirklichkeit, den Modus

einer intuitiven und praktisch-körperlichen Intelligenz nämlich, der die spontane

Anpassung der Arbeitsaktivität an konkrete unvorhergesehene Gegebenheiten in

situ, das heißt im Rahmen des praktischen Vollzug selbst, ermöglicht.

4.2.2 Das Modell des erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandelns

und seine Bedeutung für die intuitive Bewältigung des Unplanbaren

Auf der Grundlage von Untersuchungen zur Tätigkeit von Facharbeitern an

konventionellen und computergesteuerten Werkzeugmaschinen entwickelt der

Arbeitssoziologe Fritz Böhle ein mit empirischen Daten untermauertes, theoreti-

sches Konzept, das menschlichen Kompetenzen, die nach Kriterien des Modells

des finalistisch-planmäßigen und kognitiv-rationalen Handelns als minderwertig

und erkenntnishemmend stigmatisiert werden, für die Bewältigung von Arbeitsan-

forderungen zu prominenter Bedeutung verhilft.34 Der besondere Wert des ge-

konnten Arbeitshandeln in der technisierten Moderne liegt weniger im Vermögen

des Menschen zu einer antizipativen Detailplanung und mentalen Vorwegnahme

der Arbeitsstrategien, sondern ist vielmehr in einer spezifischen Fähigkeit zu ver-

orten, die es ihm ermöglicht, unvorhergesehenen Anforderungen, Kontingenzen

und Ambivalenzen in den konkreten Handlungssituationen selbst, angemessen

begegnen zu können, ohne dass diesem Prozess reflexive Verstandesleistungen

oder kognitive Zielbildungs- und Planungsprozesse vorausgehen (vgl. Böhle

2004, 42). Die Ausbildung eines solchen Handlungsvermögens erfordert den Ein-

satz spezifischer Arbeitspraktiken und –strategien, die der Sozialwissenschaftler

als erfahrungsgeleitet-subjektivierende bestimmt, und die sich in wesentlichen

Aspekten von einem rational-objektivierenden Vorgehen unterscheiden.

34 Vergleiche beispielsweise Böhle, F., Milkau, B., 1988: Vom Handrad zum Bildschirm. Eine Untersuchung zur sinnlichen Erfahrung im Arbeitsprozess. Frankfurt: Campus; Böhle, F., Pfeif-fer, S., Sevsay-Tegethoff, N., 2004: Die Bewältigung des Unplanbaren. Wiesbaden: VS – Verlag für Sozialwissenschaften.

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

57

Charakteristisch für die von Böhle explizierte, distinktive Form des erfah-

rungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandelns ist zum Ersten eine spezifische

Beziehung des Arbeiters zu dem technischen Artefakt, mit dem er umgeht. Wäh-

rend das Modell des rational-planmäßigen Handelns eine distanzierte Beherr-

schung der Maschine gemäß vorgegebener, formalisierter Regeln bestrebt, forciert

der erfahrungsgeleitet-subjektivierend vorgehende Arbeiter das Gegenteil und

etabliert eine persönliche, empathisch-einfühlende Beziehung zu dieser, indem er

sie als etwas anerkennt, das ähnlich eines Menschen über ein Eigenleben verfügt

und dessen Reaktionen somit weder vollständig antizipierbar, noch gemäß festste-

hender Regeln völlig beherrschbar sind. Seine Tätigkeit an dem technischen Sys-

tem ist dialogisch-interaktiver Natur; der Facharbeiter „befragt“ die Maschine in

der Praxis auf ihre spezifischen Eigenschaften und Merkmale. Sein Vorgehen

folgt dabei nicht fixierten Prinzipien oder wissenschaftlichen Vorgaben, sondern

ist im Gegenteil eher als spielerisch-erprobendes und entdeckendes „Herantasten“

zu charakterisieren, das es ihm ermöglicht, die in den Artefakten enthaltenen Be-

sonderheiten und Möglichkeiten im materiellen Umgang mit ihnen über verschie-

dene Sinnesmodalitäten tastend, sehend, hörend und fühlend zu erschließen, um

so eine intime Vertrautheit zu ihnen zu gewinnen (vgl. Böhle 2006, 259f.).

In einem solchen dialogisch-explorativen Verhältnis folgt die adäquate Vor-

gehensweise keinem vorher definierten Plan, vielmehr determinieren erst die

durch eine bestimmte Handlungsweise ausgelösten Wirkungen und Reaktionen

der Gerätschaften das weitere Tun des Arbeiters. Erst in der materiellen Interakti-

on mit dem technischen Artefakt formt sich die konkrete Arbeitspraktik und wer-

den Teilhandlungen und –ziele Schritt für Schritt eruiert. Im spielerisch-

sympathetischen Umgang mit dem Gerät lernt der Arbeiter, sein Handeln situativ

an konkrete Umstände anzupassen und Handlungsoptionen im praktischen Voll-

zug zu entwickeln (vgl. Böhle/Milkau 1988, 30f.).

Zum Zweiten nimmt das körperlich-sinnliche Empfinden im Konzept des er-

fahrungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandelns einen grundlegenden Stellen-

wert ein. Die gekonnte Interaktion des Facharbeiters mit der Maschine basiert

nicht lediglich auf der distanzierten Wahrnehmung einzelner, eindeutig definier-

barer Informationen, die dann im Rekurs auf ein technisches Wissenschaftswissen

interpretiert und zur rationalen Bewertung des Ereignisses herangezogen werden,

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

58

sondern folgt in erster Linie einer holistischen Situationseinschätzung auf der

Grundlage einer Vielzahl körperlich-sinnlicher Eindrücke. Der erfahrene Arbeiter

orientiert sich an verschiedenartigen, teilweise recht diffusen und für Laien kaum

diskriminierbaren Quellen (Geräuschen, Vibrationen, diffusen Farbveränderungen

und Ähnlichem), deren Informationen er über diverse Sinneskanäle absorbiert und

die in seinem subjektiven Erleben zu einem transmodalen Gefühl für den Gegens-

tand und die Situation verschmolzen sind. Es handelt sich um eine ganzheitliche,

spürende und nicht-reflexive Wahrnehmung des Arbeitsfeldes, die nicht an ein-

zelnen, objektiv definier- oder analysierbaren Merkmalen festzumachen ist. Im

Konzept des erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandelns erscheinen

somit individuelle Empfindungen und Wahrnehmungen, die sich weder objekti-

vieren noch rational nachvollziehen lassen und denen innerhalb rationalistischer

Theorien das Stigma der Erkenntnisverzerrung und –behinderung anhaftet, als

besondere menschliche Fähigkeiten zur Erfassung objektiver Gegebenheiten und

zur intelligenten Bewältigung der Arbeitspraxis gemäß einer nicht-analytischen,

sondern körperlich-sinnlichen Logik (vgl. Böhle 2004, 45ff.).

Des Weiteren bestimmt Böhle die Fähigkeit des Facharbeiters zum assoziati-

ven, holistischen und bildhaften Denken als drittes Kernmerkmal des erfahrungs-

geleitet-subjektivierenden Arbeitshandelns. In großer Nähe zu den Erkenntnissen

der Expertiseforschung (siehe Kapitel 4.1) unterstreicht er, dass der erfahrene

Praktiker Geschehnisse nicht gemäß begrifflich-logischer Operationen und unter

Rückgriff auf theoretische Einsichten interpretiert, sondern sich an einem umfas-

senden Schatz an persönlichen Praxiserfahrungen mit diversen Situationen und

Arbeitskonstellationen orientiert, auf dessen Fundament die Wahrnehmung ge-

genwärtiger Ereignisse in ihm Assoziationen und das spontane, holistische Erken-

nen von Ähnlichkeiten zu in der Vergangenheit erlebten Ereignissen auslösen, die

sowohl eine zergliedernde Analyse des Problemfeldes, als auch die bewusst-

kalkulierende Planung folgender Handlungsoperationen überflüssig machen (vgl.

Böhle 2004, 46).

Die grundlegenden Mechanismen, die dem erfahrungsgeleitet-

subjektivierenden Arbeitshandeln zu Grunde liegen und die in einer körperlich-

sinnlichen und holistischen Erfassung des Problemfeldes in Verbindung mit ei-

nem subjektiven Gespür für die Situation und die Maschine, den Fähigkeiten zum

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

59

assoziativen Denken und zur Eruierung von praktischen Operationen im materiel-

len Arbeitsprozess selbst, sowie der vertrauten Beziehung des Arbeiters zum tech-

nischen Gerät bestehen, entwickeln sich in dem Maße, in dem dieser konkrete

Praxiserfahrungen mit dem Arbeitsgegenstand macht. Sie sind das Ergebnis des

spielerisch-explorativen Umgangs mit dem materiellen Artefakt. Gleichzeitig bil-

den diese praktisch erworbenen Dispositionen umgekehrt aber auch das voraus-

setzungsvolle Fundament eines impliziten und persönlichen, dem Arbeiter gleich-

sam in Fleisch und Blut übergegangenen Erfahrungswissens, das es ihm erstens

nicht nur ermöglicht, Abweichungen vom Normallauf intuitiv und unmittelbar

spürend festzustellen zu können, sondern das ihm zweitens außerdem als unent-

behrliche Bezugsgrundlage für die präreflexive, schnelle, effiziente und sichere

Behebung von Unregelmäßigkeiten und die situative und flexible Bewältigung

des Unplanbaren im Vollzug des praktischen Handelns selbst dient.

Böhles Erhebungen offenbaren Schwächen traditioneller arbeitswissenschaft-

licher und handlungstheoretischer Konzeptualisierungen und ebnen den Weg für

einen veränderten Blick auf die menschliche Fähigkeit zum Begreifen von Wirk-

lichkeit und zum intelligenten Handeln. Entgegen der Leitthese der etablierten

Handlungstheorien besteht die zentrale Anforderung an ein erfolgreiches Arbeits-

handeln weder in einer kognitiven Regulierung oder einer vorgeordneten Definiti-

on praktischer Operationen, noch in einer planmäßigen Beherrschung des Ar-

beitsprozesses und technischer Artefakte. Vielmehr stellt die Fähigkeit zur ange-

messenen Bewältigung von Kontingenzen und Unwägbarkeiten die primäre Her-

ausforderung an den Arbeiter dar. Dieser kann mit einem kognitiv-rationalen und

instrumentell-zielgerichteten Vorgehen, das an fest definierten Plänen oder starren

Regelwerken ausgerichtet wird, nicht erfolgreich begegnet werden, sondern erfor-

dert vom Arbeiter vielmehr ein körperlich-sinnliches und gefühlsmäßiges Vermö-

gen zu einem explorativen und ambiguitätstoleranten Handeln in offenen Situati-

onen. Eben dieses kann im Prozess des erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Ar-

beitshandelns erworben werden.35

35 Ergänzend zu den Ausführungen Fritz Böhles zum Konzept des erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandelns begründen in der Soziologie die sich im angloamerikanischen Raum seit einigen Dekaden einer großen Prominenz erfreuenden Studies of Work die Notwendig-

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

60

Abbildung 4: Merkmale des objektivierenden und des subjektivierenden Handelns (nach Böhle 2004, 48)

4.3 Resümee

In Anknüpfung an zentrale Argumente der praxeologischen Philosophie und

Soziologie initiieren die Erkenntnisse der Expertiseforschung und die Ergebnisse

der Untersuchungen im Feld der Arbeit eine Überwindung der im cartesianischen

Reduktionismus verhafteten Menschenbildannahmen und Handlungsmodelle.

Letztere proklamieren ein rationales Verstehen und analytisches Denken als

höchste menschliche Erkenntnispotentiale und Entwicklungsziele sowie alle ge-

keit einer Abkehr von Modellen des planmäßig-rationalen und verstandesgeleitet-objektivierenden Handelns und intellektualistisch geprägten Konzeptualisierungen des menschlichen Erkennens und Verstehens (vergleiche zum Beispiel Bergmann (2005) für einen Überblick oder die Studie von Heath/Hindmarsh/Luff (1999) zu den gekonnten Aktivitäten eines Zugführers in der Londoner U-Bahn, die Böhles wichtigste Erkenntnisse fast exakt widerspiegelt). Parallel zu den Entwicklungen im Feld der soziologischen Arbeitswissenschaft beginnt sich auch im Rahmen der arbeitspsychologischen Forschung seit einigen Jahren ein allmählicher Perspekti-venwechsel zu vollziehen. Einige prominente Vertreter traditioneller kognitivistischer Handlungs-regulationstheorien selbst üben zunehmend Kritik an der sich in ihren eigenen Konzepten wider-spiegelnden Vereinseitigung des menschlichen Handlungs- und Erkenntnispotentials. In diesem Sinne forcieren sie einerseits die Modifikation ihrer theoretischen Grundlegungen vor allem im Hinblick auf die Anerkennung der Relevanz rein subjektiver, körperlich-sinnlicher, gefühlsmäßig-emotionaler und impliziter Wissenskomponenten für die gelingende (Arbeits-)Aktivität und das Erfassen von Wirklichkeit sowie andererseits die verstärkte Akzeptanz menschlicher Kompeten-zen, die gerade nicht im Herstellen von Planbarkeit und der Beherrschung des Vorhersehbaren, sondern in der intuitiven und präreflexiven Bewältigung unwägbarer und kontingenter Zusam-menhänge in situ bestehen (vgl. Volpert 2003).

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

61

ordneten praktischen Äußerungen als Resultat einer Befolgung formalisierbarer

und expliziter Wissensbestände, Regeln oder Prinzipien, die im zur ontologischen

Priorität erhobenen, bewussten Geiste gespeichert sind. Dieser Theorietradition

folgend, ist die spezifisch menschliche Fähigkeit, die diesen gegenüber der Natur

und anderen Lebewesen auszeichnet, in einem verstandesbasierten knowing that

zu situieren, die als spezifisch menschlich konnotierte Intelligenz in seiner Dispo-

sition zum abstrakt-theoretischen Denken und Wissen. Während seinem Verstand

also der Status jener distinktiven Instanz beigemessen wird, die das Menschentier

erst zum erkenntnisfähigen und intelligent handelnden Menschen macht, wird der

materielle Körper einschließlich seiner Sinne als „Hemmschuh der Erkenntnis“

(Bourdieu 1997, 176) konzeptualisiert, der der Entfaltung des menschlichen Po-

tentials zur Intelligenz und Rationalität eher im Wege steht, als ihr dient (vgl.

Dreyfus 1985, 183).

In den neueren Theoriekonzepten hingegen erfahren sowohl der menschliche

Körper, als auch sinnliche Empfindungen und gefühlsmäßig-emotionale Urteile,

die in der cartesianischen Tradition als irrational, unlogisch und erkenntnisgefähr-

dend stigmatisiert werden (vgl. Prohl 1999, 218f.), eine grundlegende epistemi-

sche Aufwertung. Die praxeologischen Ansätze betrachten den Mensch nicht län-

ger als von seinem bewussten Geiste und analytischen Verstand dominiertes, the-

oretisches Abstraktum, sondern verstehen ihn als praktisches Wesen, das durch

seine körperlich-sinnliche Bezogenheit auf und Interaktion mit der Welt maßgeb-

liche Erkenntnisse über diese gewinnt. Übereinstimmend illustrieren Sudnow

(1978), Dreyfus/Dreyfus (1988), Bromme (1992) und Böhle (2004; 2006), dass

sich das gelingende Handeln eines versierten Akteurs dadurch auszeichnet, dass

dieser auf der Grundlage eines durch praktische Erfahrungen in seinem Körper

sedimentierten, subjektiven und impliziten Wissens, das sich in seinem phänome-

nalen Erleben als ein transmodales Gespür und eine gefühlszentrierte Intuition für

die Richtigkeit seines Tuns artikuliert, diversen (auch unbestimmten und kontin-

genten) Situationen angemessen zu begegnen in der Lage ist, ohne diese durch-

denken zu müssen. Hiermit transzendieren die innovativen Theorieprogramme das

cartesianische Postulat einer Übermacht des regulierenden und kontrollierenden

Geistes und gestehen dem empfindungsbegabten Körper insofern eine erkenntnis-

und handlungsleitende Relevanz zu, als sie diesem sowohl für die Genese einer

Der Mensch als praktisches Wesen Praktische Experten und die Bewältigung

des Unplanbaren

62

spezifischen Form der impliziten und praktischen Intelligenz, als auch für die Fä-

higkeit zum gekonnten, sinnvollen und zielgerichteten Handeln in offenen Zu-

sammenhängen die primäre Verantwortlichkeit beimessen.

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

63

5. Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewe-

gung

Es scheint von unmittelbarer Evidenz, dass die Erkenntnisse jener Theoriepro-

gramme, die sich mit der Natur des Erwerbs praktischer Fertigkeiten beschäftigen

und ein kompetentes Handeln auf der Grundlage eines rationalistisch nicht model-

lierbaren, praktisch erworbenen und impliziten Wissens des Körpers als spezifisch

menschliches Vermögen zur situativen, unverzüglichen und intuitiv-

gefühlsmäßigen Bewältigung unvorhergesehender Zusammenhänge und unbe-

stimmter Kontexte begreifen, einen besonders prägnanten Erklärungswert für die

(zunehmend) gelingende Praxis in sportlichen und damit primär körperbezogenen

Zusammenhängen besitzen. Nicht zufällig plausibilisiert eine Vielzahl der praxeo-

logischen Ansätze ihre Überlegungen nämlich an Hand von Beispielen aus dem

Bereich von Spiel, Sport und Bewegung.36

In einem Handlungsfeld, in dem wie im Feld der Arbeit zeitliche Dringlichkei-

ten, eine hohe informationelle Komplexität der Umgebung, sowie situative Kon-

tingenzen und Unwägbarkeiten bewältigt werden müssen, ist ein Vorgehen nach

dem Modell des planmäßig-rationalen Tuns, das die Notwendigkeit reflexiver

Bewusstseinsprozesse und abwägender Denkvorgänge, die der konkreten Ausfüh-

rung vorgeordnet sind, in den Vordergrund stellt, wenig erfolgversprechend.37 Um

seinen Herausforderungen angemessen begegnen zu können, scheint die von den

praxeologischen Konzepten aus einer interdisziplinären Perspektive thematisierte,

implizite und körperlich-praktische Fähigkeit zur unmittelbaren, nicht-

bewusstseinspflichtigen und gefühlsmäßig-intuitiven Handlungsregulierung in

situ von grundlegender Bedeutung.

36 Vergleiche beispielsweise das bourdieusche Konzept des praktischen Spielsinns, das er unter Referenz auf die Geschehnisse in den Sportspielen einführt (vgl. Bourdieu 1987, 122ff.), Meads Erläuterungen zur Entstehung einer zielgerichteten und sinnerfüllten Interaktion am Beispiel des Austausches signifikanter Gesten im Boxen (vgl. Mead 1975, 82), die Explikationen Gilbert Ryles und der Brüder Dreyfus zur gekonnten Aktivität von Kampfsportexperten (vgl. Ryle 1969, 59; Dreyfus/Dreyfus 1988, 52ff.) oder auch Böhles Parallelisierung der Phänomene des erfahrungsge-leitet-subjektivierenden Arbeitshandelns und des Spielens (vgl. Böhle 2006, 249ff.). 37 Zu denken ist in diesem Zusammenhang insbesondere an Sportarten mit Gegner-/Partnerbezug wie die Sportspiele und diverse Kampfsportarten, in dem die Geschehnisse vom Einzelnen nie vollständig überschaut, geplant und vorhergesehen werden können.

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

64

Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher und beklagenswerter, dass

eine systematische Integration der Erkenntnisse zur Bedeutung einer impliziten

und praktischen Intelligenz des materiellen Körpers für das menschliche gekonnte

Handeln in Konzepte der Sportwissenschaft und der Bewegungslehre bisher weit-

gehend noch aussteht. Mit den Überlegungen von Volker Lippens und Armin Ki-

bele werden im Folgenden zwei bewegungswissenschaftliche Ansätze erläutert,

die sich als einige der wenigen darum bemühen, den praxeologischen Einsichten

einen Eingang in die Theorien des motorischen Lernens und des Bewegungshan-

delns zu verschaffen.

5.1 Zur Bedeutung von Bewegungsgefühlen und subjektiven Theorien für

ein gekonntes Bewegungshandeln

Im Bereich der Bewegungswissenschaft ist es vor allem Volker Lippens, der

sich in den letzten Jahren mit seinen Untersuchungen zu den subjektiven Innen-

sichten von Sportlern während motorischer Anpassungsprozesse und der Bedeu-

tung des Bewegungsgefühls für ein gekonntes Handeln im Sport um eine Integra-

tion der Erkenntnisse der praxeologischen Ansätze in Theorien des menschlichen

Sich-Bewegens verdient gemacht hat.38 Ähnlich des Vorgehens Fritz Böhles im

Forschungsfeld der soziologischen Arbeitswissenschaft (siehe Kapitel 4.2) stellt

Lippens repräsentativ für den Bereich der Bewegungslehre traditionelle Hand-

lungsmodelle zur Debatte, indem er nachweist, dass ein gekonntes Handeln im

Feld des Sports, in dem – wie im Feld der Arbeit – die Anforderung besteht,

schnell, angemessen und situativ auf unvorhergesehene und ambivalente Zusam-

menhänge reagieren zu müssen, keineswegs einseitig als rational-

verstandesmäßiges Tun zu charakterisieren ist. In Analogie zu den Einsichten

Böhles demonstriert Lippens, dass ein gelingendes sportliches Handeln vielmehr

in erster Linie auf den Fähigkeiten und Kompetenzen des mit einer spezifischen

38 Vergleiche zum Beispiel Lippens, V., 1993: Forschungsproblem subjektive Theorien – zur In-nensicht in Lern- und Optimierungsprozessen. Köln: Strauß; Lippens, V., 1997a: Auf dem Weg zu einer pädagogischen Bewegungslehre. Köln: Strauß.

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

65

Form der impliziten und intuitiv-gefühlsmäßigen Intelligenz ausgestatteten, pra-

xiserfahrenen Körpers beruht.

Die Entfaltung seines wissenschaftlichen Standpunktes nimmt ihren Ausgang

von einer analytischen Erfassung des inneren Erlebens von Sportlern während

motorischer Lehr-Lern-Prozesse. An Hand von empirischen Befunden aus einer

Reihe von Felduntersuchungen, in denen er unter Anwendung unterschiedlicher

Datenerhebungsverfahren (qualitative Interviews, Fragebögen, Kartenlegetechnik)

die subjektiven Innensichten von Ruderern zu rekonstruieren sucht, exemplifiziert

er, dass sich die Regulation, Justierung und Evaluation eines (zunehmend) ge-

konnten Handelns im Feld des Sports mitnichten ausschließlich an einem explizi-

ten und objektivierbaren Wissen um die Technik der Zielbewegung ausrichtet.

Entscheidend sind vielmehr handlungsanleitende subjektive Wissensbestände, die

als Konglomerat von deskriptiven Wissensanteilen und persönlichen Hypothesen

und Heuristiken, die aus einer individuellen und körperlich-praktischen Ausei-

nandersetzung mit dem Gegenstand/Problemfeld gewonnen wurden, zum Teil in

impliziter und inkorporierter Form vorliegen und nicht in ihrem ganzen Umfang

formalisierbar und dem Zugriff des Bewusstsein zugänglich sind.

Sportler organisieren ihre Bewegungen – so ergibt sich aus der Erfassung ihrer

Innensichten – keinesfalls ausschließlich an Hand von explizit gewussten und

sprachlich vermittelbaren, biomechanisch, funktional oder morphologisch be-

gründeten Regeln und Theorien der Bewegungswissenschaft, sondern primär un-

ter Referenz auf ein in der körperlichen Übungspraxis erworbenes, partiell impli-

zites Wissen, das neben kognitiven Inhalten insbesondere erfahrungsabhängig

sich entwickelnde, gefühlsmäßige Einschätzungen und emotionale Urteile umfasst

(vgl. Lippens 1997b, 178ff.).39

Insbesondere in den subjektiven Theorien von Sportlern, die das Niveau der

Expertise erreicht haben, sind implizite und emotionale Komponenten von domi-

39 Obschon Lippens mit der Betonung der Relevanz gefühlsmäßiger und nicht-bewusster Kompo-nenten für das (zunehmend) gekonnte Bewegungshandeln grundlegende Prämissen der Theorie des Fertigkeitserwerbs der Brüder Dreyfus (siehe Kapitel 4.1) übernimmt und in einer bewe-gungswissenschaftlichen Perspektive weiterführt, hebt er im Gegensatz zu dieser hervor, dass auch Lerner in den Anfangsstadien des motorischen Anpassungsprozesses ihre Bewegungen nicht aus-

schließlich kognitiv-analytisch und unter Referenz auf explizit erworbene, objektivierbare Wis-sensbestände regulieren, sondern bereits auf niedrigen Kompetenzstufen implizite, emotionale und rein subjektive Steuerungskomponenten eine wichtige Rolle spielen (vgl. Lippens 1993, 61ff.).

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

66

nanter Bedeutung für die Bewegungsproduktion und –bewertung. Eine von Vol-

ker Lippens und Andreas Hebbel-Seeger40 durchgeführte empirische Studie mit

professionellen Ruderern beweist, dass, obwohl sportliche Experten durchaus in

der Lage sind, ihre Bewegungen auf intelligente Art und Weise auszuführen und

ungeplante Zusammenhänge und Kontexte angemessen und schnell zu bewälti-

gen, sie jedoch in den seltensten Fälle ein ihrer gekonnten Aktivität zu Grunde

liegendes Regelwissen verbalisieren können.41 Die von Lippens und Hebbel-

Seeger befragten, praktisch versierten Ruderer geben bezüglich ihres gelingenden

Tuns in den meisten Fällen lediglich an, einfach ein „Gefühl“ für die richtige Ge-

samtbewegung zu haben, in dem – so ergibt sich aus einer Rekonstruktion ihrer

Innensichten - eine Vielzahl subjektiver Empfindungen und teilweise recht diffu-

ser, körperlich-sinnlicher Eindrücke und Wahrnehmungen miteinander ver-

schmolzen sind, die weder eindeutig benennbar oder objektiv begründbar sind,

noch für Außenstehende rational nachvollziehbar erscheinen (vgl. Hebbel-

Seeger/Lippens 1995, 107).

Dieses ganzheitliche und verschiedene Sinnesmodalitäten umspannende Ge-

fühl, die Intuition des erfahrenen Sportlers für die Angemessenheit der Bewegung,

ist im Verständnis von Lippens und Hebbel-Seeger (1995, 106ff.) als phänomena-

les Ergebnis eines in der praktischen Auseinandersetzung mit einer Vielzahl kon-

kreter Handlungs- und Übungssituationen inkorporierten und partiell impliziten

Expertenwissens sensu Bromme (siehe Kapitel 4.1.3) zu interpretieren, das mit-

tels des Mediums der Sprache nicht angemessen zu formalisieren und zu rekon-

40 Hebbel-Seeger, A., Lippens, V., 1995: Professionelles Wissen. Überlegungen zu Struktur und Verbesserung. In: Psychologie und Sport, 2, S. 106-114. 41 Lippens begründet diese „sprachlose“ Handlungsfähigkeit sportlicher Experten mit dem Kon-zept der Quasi-Automatisierung. Dieses entstammt der motorischen Schema-Theorie von Zimmer und Körndle (1988), die davon ausgeht, dass Bewegungen durch ein umfangreiches Maß an kör-perlich-praktischer Einübung und Erfahrung in Gestalt von Motorik-Schemata bestehend aus basa-len Einheiten, Regeln und zulässigen Transformationen im Gedächtnis des Sportlers gespeichert werden. Gemäß ihres Modells organisieren die Regeln die basalen Einheiten zu bestimmten Mus-tern/Schemata. Die zulässigen Transformationen wiederum garantieren die Anpassung der Sche-mata an vorliegende Handlungs- und Umgebungsbedingungen unter Beibehaltung eines Mindest-maßes an invarianten Anteilen. Des Weiteren impliziert die Theorie die Annahme, dass in ein übergeordnetes Motorik-Schema als basale Einheiten untergeordnete, weniger komplexe Schemata integriert sein können, die „quasi-automatisiert“ ablaufen, in dem Sinne, als ihre praktische Reali-sation keinerlei kognitive Verarbeitungskapazitäten mehr in Anspruch nimmt, sie also nicht länger bewusst organisiert werden muss. Diese integrative Entlastungsfunktion bedingt jedoch auch, dass die Untereinheiten eines Motorik-Schemas dem reflexiven Bewusstsein nicht länger zugänglich sind, so dass der Sportler folglich nur noch wenig Spezifisches über seine gekonnte Aktivität aus-sagen kann (vgl. auch Lippens 1997a, 62ff.).

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

67

struieren ist. Dieses ermöglicht dem sportlichen Experten nicht nur ein spontanes,

assoziatives und holistisches Erkennen von Ähnlichkeiten zwischen gegenwärti-

gen und vergangenen Ereignissen, sondern dient ihm außerdem zugleich sowohl

als situativer Verhaltensregulator im Hinblick auf die kontextadäquate Bewe-

gungsproduktion, als auch als entscheidender, präreflexiver Bezugsmaßstab für

die unmittelbare Bewertung seines Tuns noch während des Vollzugs der Bewe-

gung selbst und lässt damit zeitaufwändige, kognitiv-analytische Planungs-, Or-

ganisations- und Evaluationsprozesse obsolet werden (vgl. Lippens 1993, 66).

Abbildung 5: Darstellung der Komponenten des professionellen Wissens (nach Hebbel-Seeger/Lippens 1995, 109)

Ein kompetentes Bewegungshandeln beruht demnach - so lassen sich Lippens’

und Hebbel-Seegers Ausführungen als Kritik an der handlungstheoretischen Be-

wegungswissenschaft und den sportdidaktischen Postulaten Meinels/Schnabels

(siehe Kapitel 2.3) interpretieren - weniger auf einem expliziten und objektivier-

baren Wissen über den optimalen Bewegungsablauf oder einer bewusst-

verstandesmäßigen Kontrolle einzelner Bewegungsparameter oder Ausführungs-

details, als vielmehr auf einer in der konkreten körperlichen Übungspraxis gene-

rierten, impliziten und transmodalen Sensibilität für die Angemessenheit des

Tuns, die mit den von Dreyfus/Dreyfus (1988, 62) und Schön (nach Neuweg

1999, 356) beschriebenen Formen des praxisnahen Reflektierens, der konzentrier-

ten und ungeteilten Aufmerksamkeit, die die erfahrungsgeleitet-subjektivierend

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

68

vorgehenden Arbeiter in den Erhebungen Böhles ihren Maschinen entgegenbrin-

gen (vgl. Böhle 2004, 45ff.) sowie dem nicht-reflexiven, spürenden „Bei-der-

Sache-Sein“, die das improvisierende Spiel des Jazz-Pianisten Sudnow (1978,

84ff.) auszeichnet, vergleichbar ist.42

Lippens gibt zu bedenken, dass die Entwicklung eines solchen subjektiven

Bewegungsgefühls durch ein am sichtbaren Bewegungsverlauf orientiertes Feed-

back oder durch objektiv normierte und wissenschaftlich legitimierte Vorgaben

von außen behindert werden kann und kommt vor diesem Hintergrund in exakter

Umkehrung zu den Vorstellungen traditioneller Bewegungskonzepte zu dem

Schluss, dass der Lehrende den motorischen Lern- und Anpassungsprozess gar im

Sinne einer „Störgröße“ (Lippens 1993, 52) negativ interferieren kann. Zumal es

demnach scheint, dass ein verbal vermitteltes, explizit-deskriptives Detailwissen

über den Verlauf der Zielbewegung weder ein gekonntes Bewegungshandeln noch

motorische Anpassungsprozesse linear-kausal hervorzurufen vermögen, sie um-

gekehrt sogar negativ beeinflussen können, ist die Notwendigkeit externer Beleh-

rungen und die ihnen beispielweise von Meinel/Schnabel (2006, 148) attribuierte

Unterstützungs- und Voraussetzungsfunktion für das Lernen zu relativieren.43

Ein zielgerichtetes, sinnerfülltes und gekonntes Sich-Bewegen im Sport ist vor

dem Hintergrund der Überlegungen von Volker Lippens als Ergebnis einer in der

praktischen Einübung erworbenen, implizit-intuitiven und emotional regulierten

42 In großer Nähe zu den Ausführungen von Böhle, Sudnow und Dreyfus/Dreyfus werten Lippens und Hebbel-Seeger somit Kompetenzen und Fähigkeiten, wie rein subjektive Wahrnehmungen und gefühlsmäßig-intuitive Einschätzungen, die in traditionellen Ansätzen gemeinhin als minderwertig und störend gelten, epistemisch auf, indem sie diese als spezifisch menschliche Fähigkeiten zur gekonnten Einschätzung und versierten praktischen Bewältigung sportlicher Herausforderungen und Handlungssituationen qualifizieren. 43 Diese Ergebnisse lassen sich mit Hilfe einer Studie zum Techniktraining im Spitzensport, die von einer Gruppe von Bewegungswissenschaftlern um Klaus Roth (1996) durchgeführt wurde, validieren. Die Rekonstruktion und Zusammenfassung der Alltagstheorien erfolgreicher Trainer von professionellen Sportlern ergibt, dass auch unter diesen ein Konsens darüber besteht, dass eine verstandesmäßige Organisation und Überwachung einzelner Bewegungsmerkmale unter Rückgriff auf ein bewegungstheoretisch begründetes Wissen für den Erwerb sportlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten keineswegs hinreichend ist, sondern gar kontraproduktiv sein kann. Idealerweise – so der konsensuale Grundtenor der Traineraussagen - sei die kontrollierende Aufmerksamkeit der Sportler lediglich auf einige besonders prägnante „Knotenpunkte“ der Bewegung zu lenken, an Hand derer ihre Realisation justiert und bewertet werden soll. Überdies misst die große Mehrheit der befragten Trainer der Kategorie des subjektiven Bewegungsgefühls den Status einer zentralen Voraussetzung für die Bewegungsdifferenzierung sowie einer wichtigen Zielgröße im Trainings-prozess bei und widmet dementsprechend seiner Entwicklung und Verbesserung ein umfangrei-ches Maß an Vermittlungsanstrengung (vgl. Roth et al. 1996, 74f.).

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

69

Intelligenz und Sensibilität des Körpers zu interpretieren, die es dem Sportler er-

möglicht, unmittelbar und ohne lange nachdenken zu müssen auf diverse Prob-

lemsituationen reagieren zu können und damit im Umkehrschluss nicht – wie dies

in traditionellen handlungstheoretischen Bewegungskonzepten impliziert ist – als

bloßes Abbild sprachlich vermittelbarer Wissensbestände oder vorgeordneter ana-

lytischer Denk-, Planungs- und Kontrolloperationen.

Letztere übernehmen anstatt einer Voraussetzungs- eher lediglich eine Art

„Notfallfunktion“, in dem Sinne, dass, wenn die Bewegungsausführungen des

Sportlers nicht mehr problemlos gelingen, die emotional-intuitive durch die geis-

tige Regulationsinstanz substituiert wird und eine rational orientierte Phase der

Handlungsjustierung und Modifikation einzelner Bewegungsparameter einsetzt.

Erst im Falle des Nicht-Gelingens also, das sich im phänomenalen Erleben und

den subjektiven Theorien des Sportlers als „schwerfälliges Gefühl“ widerspiegelt

(vgl. Lippens 2004, 236), bildet der menschliche Geist zum Zwecke der Ausfüh-

rungskorrektur und –verbesserung die primäre Bezugsgrundlage für die Regulati-

on von Bewegungen, indem durch eine verstandesmäßige und detailgenaue Kon-

trolle der Ausführung in ihren Einzelheiten die motorische Schema-Integration

nach Zimmer/Körndle (1988, 85ff.; siehe auch Fußnote Nummer 41) aufgehoben

und durch den Versuch einer erneuten Reintegration der untergeordneten in ein

übergeordnetes Motorik-Schema die Bewegung präzisiert und eine verbesserte

Anpassung an die situativen Erfordernisse des Feldes erreicht werden kann (vgl.

ebd., 237f.).44

44 Damit unterstreicht Lippens in Übereinstimmung mit den Überlegungen Polanyis (1985, 26), dass auch auf dem Niveau der Expertise eine verstandesmäßig-bewusste und zergliedernde Analy-se der Bewegung von Zeit zu Zeit einen durchaus produktiven Zweck erfüllen kann. In seinen Überlegungen scheint Bewegungshandeln entgegen der Prämissen der Brüder Dreyfus (1988, 43ff.), die mit großer Rigidität ein bewusst-rationales Vorgehen den niedrigen Könnensstadien und ein präreflexiv-gefühlsmäßiges den hohen vorbehalten, auf allen Kompetenzstufen – wenngleich in stark unterschiedlichen Ausprägungen – zwischen den Polen von Bewusstheit und Nicht-Bewusstheit zu oszillieren.

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

70

5.2 Zum Phänomen der „sprachlosen“ Handlungsfähigkeit sportlicher Ex-

perten

Ergänzend zu den Ausführungen von Volker Lippens, ist es im Bereich der

Bewegungslehre Armin Kibele, der mit seinen Überlegungen zur Bedeutung eines

impliziten Lernens und Wissens im Sport eine Integration praxeologischer Er-

kenntnisse in Theorien des Sich-Bewegens forciert und insbesondere Ansätze der

Theorie des ungarischen Philosophen Polanyi aus einer bewegungswissenschaftli-

chen Perspektive reartikuliert und weiterführt.45

Kibele entwickelt ein innovatives, kognitionspsychologisch und neurophysio-

logisch begründetes sowie durch empirische Erhebungen abgesichertes Erklä-

rungsmodell, das Aspekte der Implizitheit und Körperlichkeit in den Mittelpunkt

des Lernens und des zielgerichteten und gekonnten Bewegungshandelns stellt und

damit Paradigmen traditioneller Handlungs- und Bewegungskonzepte transzen-

diert (vgl. Kibele 2001a; Kibele 2001b; Kibele 2002).

Seine Konzeption gereicht ihm zur Beantwortung einer in den praxeologi-

schen Theorieansätzen aufgeworfenen, jedoch von der sportwissenschaftlichen

Forschung bislang vernachlässigten und auf der Folie handlungstheoretischer An-

sätze nicht erklärbarer Fragestellung. Sie erläutert, wie und warum sportliche Ex-

perten in Situationen, die sich durch einen hohen Zeitdruck und eine komplexe,

sich schnell und permanent verändernde Reizumgebung auszeichnen (prototypi-

sche Beispiele für solche finden sich beispielsweise in den Sportspielen und di-

versen Kampfsportarten) nicht nur unverzüglich, sondern auch angemessen und

damit durchaus intelligent reagieren können, jedoch im Nachhinein kaum fähig

sind, nachvollziehbare Auskünfte darüber zu geben, an welchen wahrgenomme-

nen Situationsmerkmalen oder expliziten Wissenbeständen sie ihr gekonntes Han-

deln ausgerichtet haben (vgl. Kibele 2001b, IX), also offensichtlich – um Polanyis

berühmte Aussage zu zitieren – „mehr wissen, als [sie] zu sagen wissen“ (Polanyi

1985, 14).

45 Kibele, A., 2001a: Implizites Bewegungslernen. In: Spectrum der Sportwissenschaften, 2, S. 7-16; Kibele, A., 2001b: Unbewusste Informationsverarbeitung – ein Thema für die Sportwissen-schaft?! Frankfurt a.M.: Lang; Kibele, A., 2002: Bewegungspriming. In: Leistungssport, 5, S. 56-62.

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

71

Vor dem Hintergrund dieses in der Sportpraxis häufig zu beobachtenden Phä-

nomens bemängelt Kibele prominente Handlungs- und Bewegungsmodelle in

doppelter Weise als unzutreffend. Zum Einen relativiert er die ihnen inhärente

Vorstellung einer unentbehrlichen Voraussetzungsträchtigkeit rationaler Verste-

hensakte für den zunehmenden Erwerb einer Handlungsfähigkeit im Praxisfeld

des Sports. Im Anschluss an die Erkenntnisse Polanyis belegt er, dass motorische

Anpassungsprozesse beim Bewegungslernen bedingt durch die körperlich-

praktische Auseinandersetzung mit dem Problemfeld im Wesentlichen auf eine

implizite Art und Weise erfolgen und überdies weder explizite Belehrungen oder

sprachliche Anweisungen von außen voraussetzen, noch zwangsläufig rationale

Einsichten nach sich ziehen, die als kognitive Widerspiegelung des Erlernten im

bewussten Gedächtnis gespeichert und repräsentiert sind und auf Nachfrage ver-

balisiert werden können (vgl. Kibele 2001a, 7ff.).

Zum Anderen kritisiert der Bewegungswissenschaftler in Anlehnung an die

praxeologische Philosophie und Soziologie an den herkömmlichen Ansätzen, dass

sie die Funktion geistiger Operationen – zum Beispiel in Gestalt einer verstan-

desmäßigen Kontrolle und Regulation des Bewegungsablaufs in seinen Einzelhei-

ten oder einer rational-reflexiven Analyse der handlungsrelevanten Kontextmerk-

male unter Referenz auf explizit gewusste Regeln und Zusammenhänge - für die

gelingende, zielgerichtete und situationsadäquate Ausführung überbewerten. Ki-

bele betont, dass für die Dispositionen zur unmittelbaren und antizipierenden Si-

tuationseinschätzung sowie zum schnellen und intuitiven Handeln, die die gelin-

gende Aktivität des sportlichen Experten auszeichnen, bewusste Steuerungspro-

zesse und Kognitionen lediglich eine untergeordnete Rolle spielen. Er zeigt, dass

vielmehr nicht-bewusstseinspflichtige und nur zu einem kleinen Teil bewusst-

seinsfähige Vorgänge, die auf einer in der körperlichen Praxis erworbenen Ver-

knüpfung perzeptiver und motorischer Strukturen sowie der Fähigkeit zur nicht-

bewussten Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen beruhen, von pri-

märer Relevanz sind (vgl. Kibele 2002, 58ff.).

Kibele untermauert seinen innovativen, praxeologisch orientierten sportwis-

senschaftlichen Standpunkt und seine kritisch-antagonistische Position gegenüber

traditionellen Handlungs- und Bewegungsmodellen im Wesentlichen an Hand

dreier der kognitionspsychologischen und neurophysiologischen Forschung ent-

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

72

stammenden Theorieansätzen, die in den nachfolgenden Kapiteln näher expliziert

werden (vgl. Kibele 2002, 58ff.; Kibele 2001a, 9ff.).

5.2.1 Implizites Bewegungslernen

Um transparent zu machen, dass und vor allem wie Menschen im Sport unab-

hängig von externen, sprachlich vermittelten Belehrungen auf implizite Art und

Weise motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten und die Disposition zum gekonn-

ten und situationsadäquaten Handeln erlangen, ohne jedoch gleichzeitig zu lernen,

ein entsprechendes explizites Wissen bezüglich dieser zu formulieren, verweist

Kibele – wie auch Polanyi (1985, 17), wenn er zu verdeutlichen beabsichtigt, wie

ein implizites Wissen erworben wird - auf Befunde der experimentell orientierten

Kognitionspsychologie, die sich seit einigen Jahrzehnten verstärkt mit solchen

impliziten Lernprozessen auseinandersetzt (vgl. Kibele 2001a, 9ff.) Den Bezugs-

rahmen der meisten Arbeiten zu dieser Thematik bilden die Studien Arthur Re-

bers, der bereits in den frühen 1980er Jahren auf der Grundlage seiner Untersu-

chungen zum Erlernen künstlicher Grammatiken erstmals zu den Phänomenen des

impliziten Lernens und des Erwerbs eines impliziten Wissens veröffentlicht.46

Im Ausgangspunkt seiner Experimente generiert Reber nach einer selbst ent-

wickelten finiten Grammatik regeldeterminierende Buchstabensequenzen, mit

denen er in der ersten Lernphase eine Gruppe von Versuchspersonen konfrontiert

und diese dazu auffordert, sie aufmerksam zu betrachten und zu memorieren. Erst

nach diesem ersten Durchgang klärt der Versuchsleiter die Testpersonen darüber

auf, dass die Buchstabenfolgen gemäß bestimmter Regeln zusammengestellt wur-

den und dass es nun darum ginge, ihr Wissen über diese zu prüfen. In der sich

anschließenden Testphase werden dieselben Teilnehmer erneut mit Zeichense-

quenzen konfrontiert, unter denen sich in diesem Durchlauf sowohl regelkonfor-

me als auch –verletzende befinden. Nach jeder Präsentation einer solchen, werden

46 Reber, A.S., 1989: Implicit learning and tacit knowledge. In: Journal of Experimental Psychol-ogy: General, 118, S. 219-235; Reber, A.S., Kassin, S.M., Lewis, S., Cantor, G., 1980: On the relationship between implicit and explicit modes in the learning of a complex rule structure. In: Journal of Experimental Psychology: Human Learning and Memory, 6, S. 492-502.

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

73

die Versuchspersonen dazu aufgefordert, anzugeben, ob die zuvor gesehene der

Regel entspricht, oder nicht.

Rebers Studien zum Erlernen künstlichen Grammatiken lassen sich unter zwei

für die Thematik relevanten Erkenntnissen subsumieren: zum Einen gelingt es den

Versuchspersonen zwar überdurchschnittlich häufig, regelgenerierende und regel-

verletzende Reihen zu unterscheiden, zum Anderen können sie jedoch die Regeln,

die ihre Urteile leiten, nicht annähernd richtig und vollständig beschreiben oder

ein ihrem angemessenen Vorgehen zu Grunde liegendes, explizites Wissen um

diese zu formulieren. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse kommt der Kogni-

tionspsychologe zu dem Schluss, dass die Testpersonen die grammatischen Re-

geln implizit erlernt und ein nicht zu versprachlichendes, implizites Wissen über

sie erlangt haben, das zwar nicht intern in ihrem bewussten Gedächtnis repräsen-

tiert ist und eben deshalb nicht verbalisiert werden kann, aber dennoch in der kon-

kreten Praxis verhaltensrelevant wird (vgl. Reber 1989, 219ff.). In der Tradition

der Experimente Rebers weisen auch diverse andere Befunde aus der kognitions-

psychologischen Lernforschung nach, dass Menschen komplexe Regelhaftigkei-

ten erlernen, ohne vorher über ihre Existenz belehrt worden zu sein und ohne

zugleich eine verstandesmäßig-rationale Einsicht in diese zu bekommen, dass sie

also Lernerfahrungen praktisch nutzen, die unabhängig von der Interferenz ihres

reflektierenden (Erinnerungs-) Bewusstseins die Ausführung von Aktivitäten be-

einflusst.47

Die amerikanischen Psychologen Endel Tulving und Daniel Schacter begrün-

den die Möglichkeiten impliziter Lern- und Anpassungsprozesse und einer nicht-

bewusstseinspflichtigen Erfahrungsnutzung unter Verweis auf die Existenz einer

spezifischen, bewusstseinsunabhängigen und impliziten Form des menschlichen

Gedächtnisses, das sie als perzeptuelles Repräsentationssystem oder Priming be-

zeichnen. Sie gehen davon aus, dass in diesem wiederkehrende strukturelle

Merkmale und Reizkonstellationen der Lernumgebung eine nicht-bewusste inter-

ne Repräsentation hervorrufen, die, wenn sie später durch ein Wiederauftreten

derselben Konfigurationen aktiviert wird, ein Gefühl der Vertrautheit und eine

bestimmte Reaktionsneigung hervorrufen. Priming ist demnach als ein impliziter

47 Für eine Übersicht der verschiedenen Erhebungen zu impliziten Lernphänomenen vergleiche auch Perrig (1996, 205ff.) und Kibele (2001a, 9ff.).

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

74

Modus der praktischen Nutzung von Erfahrungen zu interpretieren, die nicht-

bewusstseinsmäßig im menschlichen perzeptuellen Gedächtnis gespeichert sind

(vgl. Tulving/Schacter 1990, 301ff.).

In jüngerer Zeit berichtet in Fortführung der epistemologischen Einsichten Po-

lanyis und der kognitionspsychologischen Erkenntnisse auch aus der Perspektive

der sportwissenschaftlichen Forschung eine Reihe von Autoren von nicht-

bewusstseinspflichtigen, impliziten Lern- und Erfahrungsnutzungsphänomenen

bei Bewegungsaufgaben.48 Übereinstimmend weisen die Erhebungen nach, dass

Versuchspersonen in der wiederholten körperlich-praktischen Auseinandersetzung

mit einer Lernaufgabe zunehmend Fähigkeiten und Fertigkeiten und eine motori-

sche Anpassung an strukturelle Merkmale der Lernumgebung erwerben, ohne

eingängig über die ihnen zu Grunde liegenden Prinzipien und Zusammenhänge

instruiert worden zu sein und ohne im Zuge des Einübungsprozesses parallel zum

kontinuierlich sich steigernden Können ein bewusst verfügbares und verbal for-

malisierbares, deklaratives Regelwissen um diese zu erlangen.

Kibele kommt vor dem Hintergrund der sportwissenschaftlichen und kogniti-

onspsychologischen Forschung zum impliziten Lernen zu dem Schluss, dass die

Akquise eines explizites und im bewussten Geiste gespeicherten Wissens um die

der situationsadäquaten und gekonnten Aufgabenbewältigung zu Grunde liegen-

den Regeln und Prinzipien keineswegs länger als unentbehrliche Grundlage und

Voraussetzung für das Bewegungslernen zu betrachten ist (vgl. Kibele 2001a, 8).

Ergänzend zu dieser Folgerung beweist eine Studie der Sportwissenschaftler

Wulf/Weigelt eindrücklich, dass der Lernerfolg umgekehrt sogar negativ mit dem

Umfang an explizitem Wissen korrelieren kann, ein implizites Lernen ohne vorhe-

rige Anteilungen einem regelbefolgenden Lernen mit einer vorgängigen Wissens-

48 Vergleiche zum Beispiel Hoffmann, J., 1994: Der implizite Erwerb von Handlungswissen. In: Zeitschrift für Sportpsychologie, 8, S. 56-66; Magill, R., 1998: Knowledge is more than we can talk about. In: Research Quarterly for Exercise and Sport, S. 104-110; Wulf, G., Schmidt, R.A., 1997: Variability of Practice and Implicit Motor Learning. In: Journal of Experimental Psychol-ogy: Learning, Memory, and Cognition, 23, 4, S. 987-1006; Wulf, G., Weigelt, C., 1997: Instruc-tions in Learning a Complex Motor Skill: To Tell or not to Tell. In: Research Quarterly for Exer-cise and Sport, 68, S. 362-367; Wulf, G., Höß, M., Prinz, W., 1998: Instructions for Motor Learn-ing: Differential Effects of Internal Versus External Focus of Attention. In: Journal of Motor Be-havior, 30, 2, S. 169-179; Wulf, G., Prinz, W., 2000: Bewegungslernen und Instruktionen. In: Sportwissenschaft, 3, S. 289-297.

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

75

vermittlung in seiner Effektivität durchaus überlegen sein kann (vgl.

Wulf/Weigelt 1997, 362ff.).

Eine grundlegende Bedingung für die Erzielung optimaler Lern- und Anpas-

sungseffekte - so belegt neben der praxeologischen Theorie Polanyis sowohl die

sportwissenschaftliche als auch die psychologische Forschung zum Erwerb eines

impliziten Handlungswissens – liegt in einer spezifischen Lenkung der Aufmerk-

samkeit des Lernenden. Während die handlungstheoretische Bewegungslehre un-

terstreicht, dass diese dazu genutzt werden solle, das Bewegungsgeschehen in

seinen Einzelheiten bewusst-verstandesmäßig zu überwachen (vgl. Mei-

nel/Schnabel 2006, 153), beziehen sowohl Polanyi (1985, 30) aus einer erkennt-

nistheoretischen, als auch Reber et al. (1989, 492ff.) aus einer kognitionspsycho-

logischen und beispielsweise Wulf/Prinz (2000, 289ff.) aus einer bewegungswis-

senschaftlichen Perspektive eine antagonistische Position, indem sie betonen, dass

diese gerade nicht konkreten (proximalen) und möglicherweise irrelevanten Ein-

zelmerkmalen in der Lernumgebung oder der anzueignenden Bewegung selbst

gelten sollte, sondern vielmehr als eine Art ungerichteter Suchscheinwerfer auf

jenen Ausschnitt in der Lernumgebung, in dem die tatsächlich relevanten Merk-

male verborgen sind, oder auf den angestrebten (distalen) Bewegungseffekt, der

mit der zu lernenden Bewegung zu erreichen beabsichtigt ist, fungieren sollte. In

diesem Sinne, so sind die handlungstheoretischen Postulate zu relativieren, fördert

die Vermittung eines deskriptiven Wissens um die zu erwerbende Bewegung den

Lernprozess lediglich insofern, als sie dem Lernenden hilft, handlungsrelevante

Merkmale zu diskriminieren, auf die er zum Zwecke des Erreichens eines optima-

len impliziten Lerneffekts seine Aufmerksamkeit fokussieren sollte.

Kibele fasst zusammen, dass somit instruierende Bewegungsanteilungen so-

wie sprachlich vermittelte Belehrungen und eine rational-reflexive Kontrolle oder

aufmerksame Fokussierung einzelner Bewegungsparameter, die auf ein bewusst

verfügbares Detailwissen um die optimale Bewegungsausführung rekurriert, kei-

neswegs als notwendige Voraussetzungen für motorische Anpassungsprozesse zu

betrachten sind, sondern umgekehrt gar als potentiell negative Einflussgrößen zu

klassifizieren sind. Mit dem Verweis auf eine Reihe unterschiedlicher Theorien

und Experimente demonstriert er, dass grundlegende Formen des Lernens im Feld

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

76

von Bewegung und Sport in der körperlich-praktischen Auseinandersetzung mit

der Aufgabe jenseits der Beteiligung rationaler Verstehens- und Erinnerungsakte

oder anderer bewusster Kognitionen auf nicht-reflexive Art und Weise erfolgen

und den Erwerb eines impliziten Handlungswissens nach sich ziehen, das nicht im

bewussten Geiste gespeichert und zu jeder Zeit abrufbar ist, sondern sich aus-

schließlich in der konkreten körperlichen Praxis im vertrauten Feld materialisiert

und verhaltensrelevant wird (vgl. Kibele 2001a, 7ff.).

5.2.2 Common Coding von Bewegung und Wahrnehmung

Mit zunehmender Praxiserfahrung in einem spezifischen Handlungsfeld des

Sports – so nicht nur die These praxeologischer Theorien, sondern auch die empi-

rische Feststellung Kibeles - gelingt Sportlern der Übergang von Situationswahr-

nehmung und –einschätzung zu motorischer Handlungsausführung immer häufi-

ger intuitiv, das heißt ohne ein Dazwischentreten bewusst-kognitiver Analyse-

und Abwägungsprozesse (vgl. Kibele 2001a, 13). Um dieses aus einer handlungs-

theoretischen Perspektive kaum verständlich zu machende Phänomen aufzuklären,

bezieht sich der Sportwissenschaftler erneut auf Ergebnisse der kognitionspsycho-

logischen Forschung.

Gemäß der von einer Arbeitsgruppe um die Psychologen Bernhard Hommel

und Wolfgang Prinz entwickelten Theorie der Ereigniskodierung49 ist der Grund

für diese Fähigkeit zum unmittelbaren und situationsadäquaten Handeln ohne

nachdenken zu müssen, in einer sich in der regelmäßigen körperlich-praktischen

Auseinandersetzung mit dem Problemfeld entwickelnden und permanent verfesti-

genden neuronalen Verknüpfung, einem „Common Coding“ (Prinz 1997, 129),

perzeptiver und motorischer Nervenzellen zu verorten. Die Wissenschaftler ver-

treten in ihrer Theorie die Auffassung, dass interne Repräsentationen sowohl

wahrgenommener Ereignisse (wahrgenommene Kontextmerkmale einer spezifi-

schen sportlichen Handlungssituation einschließlich wahrgenommener Effekte der

in dieser ausgeführten Handlungen der Gegner und Mitspieler), als auch produ-

zierter Ereignisse (eigens ausgeführte Bewegungen) nicht isoliert voneinander im 49 Hommel, B., Müsseler, J., Aschersleben, G., Prinz, W., 2001: The Theory of Event Coding. In: Behavioral and Brain Sciences, 24, S. 849-937.

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

77

Gedächtnis gespeichert, sondern vielmehr über gemeinsame Merkmale kodiert

werden.

Prinz expliziert, dass sogenannte Zielcodes - verstanden als interne Gedächt-

nisrepräsentationen, in denen wahrgenommene Kontextmerkmale und erlebte

Handlungseffekte abgebildet sind - und sogenannte Bewegungscodes, die wieder-

um die körperlich-praktischen Mittel zur Erreichung des jeweiligen Effekts oder

Ziels spezifizieren, in globalere Repräsentationen – Handlungscodes – integriert

sind. Ein Handlungscode markiert demnach die Verknüpfung von erlebten Hand-

lungseffekten und wahrgenommenen Situationsmerkmalen mit entsprechenden

(Eigen-)Bewegungen, die bei kontinuierlicher praktischer Ausführung und Ein-

übung eine Kovariationsbeziehung eingehen und in der überdies die aktuellen

Handlungsdispositionen des Akteurs in Gestalt von Plänen, Absichten und Zielen

verankert sind (vgl. Prinz 1998, 15f.).

Wurde in der regelmäßigen praktischen Auseinandersetzung mit dem Prob-

lemfeld eine solche neuronale Verstrickung perzeptiver und motorischer Struktu-

ren erworben, wird, nimmt der Sportler zum wiederholten Male ein spezifisches

Merkmal in der Umgebung wahr, dieses in den Zielcode integriert, wodurch –

beim Vorliegen einer entsprechenden Handlungsabsicht – ein mit dem Zielcode in

einem Handlungscode verkoppelter Bewegungscode aktiviert, der ohne die Medi-

ation weiterer Denk-, Planungs- und Bewusstseinsvorgänge oder anderer geistig-

verstandesmäßiger Operationen ein bestimmtes motorisches Verhalten, das sich in

der Vergangenheit bewährt hat, unmittelbar induziert (vgl. Prinz 1997, 134ff.).

Folgt man der Common-Coding-Hypothese und der Theorie der Ereignisko-

dierung, wird aus einer kognitionspsychologischen und neurophysiologischen

Perspektive nicht nur ersichtlich, warum praxiserfahrene Könner im Sport über

die Fähigkeit zum schnellen und kontextangemessenen, intuitiven Reagieren ver-

fügen, sondern wird des Weiteren transparent, dass bewusste Kognitionen und

mentale Denkprozesse nicht als unabdingbare Voraussetzung und kausal-lineare

Ursache für das intelligente und gekonnte Bewegungshandeln im Sport zu inter-

pretieren sind. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Konzepte erscheinen sie

vielmehr nur noch als eine Art Begleiterscheinung nicht-bewusstseinsfähiger und

handlungsverursachender neuronaler Prozesse, die sich aus einer in der konkreten

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

78

körperlichen Praxis entstandenen Kovariationsverbindung von Wahrnehmen und

Bewegen ergeben (vgl. Kibele 2002, 59f.).

5.2.3 Unbewusste Informationsverarbeitung

Aus der Absicht, zu verdeutlichen, wie und warum es erfahrenen und profes-

sionellen Sportlern möglich ist, das sich andeutende Gegnerverhalten oder sich

abzeichnende Situationsveränderungen bereits in ihrem Entstehungszustand anti-

zipieren und angemessen auf diese Umgebungsreize reagieren zu können, ohne

jedoch über die Fähigkeit zu verfügen, entsprechende Merkmale bewusst diskri-

minieren oder explizit benennen zu können, verweist Kibele (2002, 60f.) auf die

von Neumann, Ansorge und Klotz entwickelte Theorie der direkten Parameter-

spezifikation.50

Diese stellt einen geeigneten Rahmen dar, in dem das Phänomen einer solchen

Dissoziation von bewusstem Erleben und sinnvollem, zielgerichtetem Handeln

begreiflich gemacht werden kann. Die Ausgangsbasis der Theorie ist in den Ent-

deckungen der Neurophysiologen Milner und Goodale zur Funktionsdifferenzie-

rung im visuellen Kortex zu verorten. Durch übereinstimmende Befunde aus einer

Reihe empirischer Untersuchungen gelangen die Wissenschaftler zu der Auffas-

sung, dass die Verarbeitung visueller Reize nicht notwendigerweise den Aufbau

einer bewussten internen Repräsentation dieser nach sich ziehen muss, um eine

Reaktion auszulösen. Vielmehr, so ihre These, spaltet sich die Reizprozessierung

im visuellen Kortex in zwei separate Bahnen, den dorsalen Strang einerseits und

den ventralen Strang andererseits, von denen nicht beide zu einer Abbildung im

Bewusstsein führen. Während die Reizverarbeitung über den ventralen Strang

zunächst zu einer bewusst erlebten Wahrnehmung führt und erst dann eine ent-

sprechende Reaktion hervorruft, führt der dorsale Prozessierungsweg gewisser-

maßen ohne Umweg über das Bewusstsein an diesem vorbei und löst ohne die

Vermittlung einer bewussten Repräsentation eine Reaktion aus. In diesem Falle

50 Neumann, O., Ansorge, U., Klotz, W., 1998: Funktionsdifferenzierung im visuellen Kortex. Grundlage für motorische Aktivierung durch nicht bewusst wahrgenommene Reize? In: Psycho-logische Rundschau, 4, S. 185-196.

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

79

wird der visuelle Reiz, ohne phänomenal bewusst erlebt und wahrgenommen

worden zu sein, verhaltensrelevent (vgl. Neumann et al. 1998, 186ff.).51

Der dorsale Verarbeitungsweg bildet die Grundlage Möglichkeit einer direk-

ten Parameterspezifikation, also einer Spezifikation motorischer Parameter, be-

ziehungsweise einer Veranlassung motorischer Reaktionen durch Reize, die nicht

auf dem längeren und damit langsameren ventralen Weg über das Bewusstsein

prozessiert werden müssen. Die direkte Parameterspezifikation ermöglicht es

Sportlern, insbesondere in den zeitlich eingeengten Kontexten der Sportspiele und

Kampfsportarten unverzüglich und antizipierend zu reagieren, beeinträchtigt je-

doch gleichzeitig ihre Fähigkeit zur angemessenen Identifikation und Beschrei-

bung jener handlungsrelevanter Umgebungsmerkmale, an denen sie ihr Tun orien-

tieren (vgl. Neumann et al. 1998, 191).

Im Unterschied zu den Paradigmen traditioneller handlungstheoretischer Be-

wegungsmodelle messen auch Neumann, Ansorge und Klotz Bewusstseinsprozes-

sen nicht länger den Status einer unabdingbaren Voraussetzung oder eines ursäch-

lichen Initiators situationsadäquater und gelingender Praxis bei. Innerhalb ihres

Ansatzes stellen bewusste Kognitionen insofern eher lediglich Bereitschaftsbe-

dingungen für das gekonnte Handeln dar, als bestimmte rational-reflexiv gefasste

Zielintentionen den schnelleren und nicht-bewusstseinspflichtigen Weg für die

Reizverarbeitung und Handlungssteuerung vorbahnen (vgl. Kibele 2002, 61).

5.2.4 Bewegungspriming

Armin Kibele synthetisiert aus den drei Erklärungsansätzen das theoretische

Prinzip des Bewegungsprimings (vgl. Kibele 2001a, 56ff.). Mit diesem unterstellt

er erstens unter Verweis auf die Ergebnisse der impliziten Lernforschung und die

Beweise Tulvings/Schacters (1990) für die Existenz eines nicht-bewussten, per-

zeptuellen Repräsentationssystems, dass in der körperlich-praktischen und nicht-

reflexiven Auseinandersetzung mit der Lernumgebung im Lernprozess Merkmale

und Reizkonfigurationen dieser im impliziten Gedächtnissystem des Primings 51 Für nähere Erläuterungen zum Phänomen der unbewussten Informationsverarbeitung vergleiche auch Perrig, W., Wippich, W., Perrig-Chiello, P., 1993: Unbewusste Informationsverarbeitung. Bern: Huber.

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

80

gespeichert werden, diese perzeptiven Strukturen zweitens und in Übereinstim-

mung mit der Common-Coding-Hypothese von Wolfgang Prinz (1997) durch

Übung im spezifischen sportlichen Betätigungsfeld mit motorischen Repräsentati-

onen neuronal gekoppelt werden und gemäß der Theorie der direkten Parameter-

spezifikation von Neumann et al. (1998) drittens bei späterer Aktivierung durch

eine nicht-bewusste Wahrnehmung direkt, unverzüglich und ohne die Mediation

bewusster Kognitionen oder die Interferenz geistiger Vorgänge die mit dieser ver-

knüpfte motorische Reaktion ausgelöst/geprimt wird.

Kibele stellt der Bewegungswissenschaft mit seinem Ansatz zum Bewe-

gungspriming ein innovatives theoretisches Modell bereit, der in der Tradition der

praxeologischen Philosophie und Soziologie Aspekte der praktischen Körperlich-

keit und der Implizitheit in den Fokus motorischer Anpassungsprozesse und der

sportlichen Handlungsfähigkeit rückt und damit rationalistische und intellektualis-

tische Verkürzungen etablierter handlungstheoretischer Bewegungsmodelle über-

windet. Mit diesem gelingt es ihm nicht nur, aus einer bewegungswissenschaftli-

chen, neurophysiologischen und kognitionspsychologischen Perspektive evident

werden zu lassen, warum erfahrene Könner im Sport in komplexen und zeitlich

eingeengten Situationen, in denen es unmöglich ist, gemäß handlungstheoretischer

Idealvorstellungen vorzugehen und zunächst die Vielzahl der visuell absorbierten

Situationsmerkmale im Rekurs auf deklarative Wissensbestände zu analysieren,

um sich dann aus einem Ensemble diverser Handlungsalternativen für die kon-

textadäquateste zu entscheiden, handlungsfähig sind. Das von Kibele entwickelte

Konzept des Bewegungspriming eignet sich überdies, das in der soziologischen

Praxistheorie Pierre Bourdieus (1987, 122ff.) als Handlungsressource thematisier-

te Konstrukt des praktischen Sinns empirisch zu erhärten und zu erklären, wie

dieser dem praxiserfahrenen Sportler im ihm vertrauten Feld die nicht-reflexive,

unmittelbare und antizipierende Wahrnehmung, Verarbeitung und Einschätzung

von Reizkonstellationen bereits in ihrem Entstehungszustand ermöglicht und ihn

befähigt, jenseits der Beteiligung seines reflektierenden Bewusstseins und seiner

lenkenden und kontrollierenden Geistesinstanz intuitiv und sinnvoll, zielgerichtet

und intentional auf diese reagieren zu können.

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

81

5.3 Resümee und didaktischer Ausblick

Die der praxeologischen Theorietradition folgenden Konzeptionen Volker

Lippens’ und Armin Kibeles begründen aus einer sportwissenschaftlichen Per-

spektive die Notwendigkeit einer Überwindung rationalistischer und intellektua-

listischer Handlungsmodelle und Bewegungstheorien. Lippens demonstriert, dass

ein gekonntes und intelligentes Handeln im Praxisfeld von Spiel, Sport und Be-

wegung keineswegs als bloßes Abbild bewusst verfügbarer und wissenschaftlich

normierter Theoriekenntnisse oder vorgeordneter rational-reflexiver Verstandes-

leistungen zu interpretieren ist, sondern vielmehr auf einem dem Bewusstsein nur

begrenzt zugänglichen, subjektiven und partiell impliziten Wissen beruht, das in

der praktisch-körperlichen Auseinandersetzung mit dem Problemfeld generiert

und einverleibt wird und das als intuitives und transmodales Gefühl für die richti-

ge Bewegung in das phänomenale Erleben des Sportlers drängt und es ihm ermög-

licht, sein Tun jenseits der Beteiligung bewusster Kognitionen oder geistiger Ope-

rationen im Vollzug selbst zu organisieren und zu evaluieren (vgl. Lippens 1997a,

97ff.).

In ganz ähnlicher Weise betont auch Armin Kibele, dass für die gelingende

Praxis im Handlungsfeld des Sports erfahrungsabhängige und implizite Kompo-

nenten, sowie nicht-bewusstseinspflichtige und rein körperliche Vorgänge von

viel prägnanterer Bedeutung sind, als bewusste Kognitionen, rationale Verste-

hensakte oder ein umfangreiches Maß an explizitem und wissenschaftlich legiti-

miertem Detailwissen um die technisch richtige Bewegungsausführung (vgl. Ki-

bele 2002, 56ff.). Zentrale Momente, die von handlungstheoretischen Bewe-

gungskonzepten als idealtypische und voraussetzungsträchtige Bedingungen für

motorische Lernprozesse deklariert werden, erscheinen vor dem Hintergrund der

Überlegungen von Lippens und Kibele nicht nur als von lediglich marginaler Be-

deutung für den Erwerb einer sportlichen Handlungsfähigkeit, sondern umgekehrt

gar als potentiell negative Einflussfaktoren. Während so beispielsweise die hand-

lungstheoretisch orientierten Bewegungswissenschaftler Meinel/Schnabel (2006,

153f.) betonen, dass der Lernende seine Bewegungen verstandesmäßig und unter

Berücksichtigung expliziter Bewegungsanweisungen und geistiger Bezugnahme

auf ein zuvor über das Medium der Sprache vermitteltes Wissen um die Zieltech-

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

82

nik möglichst detailgenau in ihren Einzelheiten kontrollieren und regulieren sollte,

illustrieren sowohl Lippens als auch Kibele, dass eine bewusste Kontrolle und

aufmerksame Fokussierung einzelner Bewegungsparameter und eine externe Be-

einflussung der Bewegungsausführung motorische Anpassungsprozesse und eine

gekonnte Realisation stören und sogar verhindern können (vgl. Kibele 2001a, 7ff.;

Lippens 1993, 52).

In dieser Hinsicht darf die Sportdidaktik nicht primär eine verbale und kogni-

tiv anspruchsvolle Technikvermittlung forcieren und den Lernenden über explizite

und detailgenaue Bewegungsanweisungen zu einer bewusst-verstandesmäßigen

Planung, Kontrolle und Evaluierung seines Tuns anhalten. Vielmehr sollte die

sportliche Lehr-Lern-Praxis, so legen sowohl die bewegungswissenschaftlichen,

als auch die praxeologischen Erkenntnisse der diversen anderen gesellschafts-,

human- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen nahe, dem Lernenden vielfälti-

ge praktische Felderfahrungen ermöglichen, durch die er in der konkreten, körper-

lichen Auseinandersetzung mit dem Handlungsfeld oder dem Lerngegenstand ein

implizites (Körper-)Wissen (Polanyi), einen praktischen Sinn (Bourdieu), ein

knowing how (Ryle), ein professionelles Wissen (Bromme), ein subjektives Be-

wegungsgefühl (Lippens) beziehungsweise die Fähigkeit zum Bewgungspriming

(Kibele) entwickeln kann, welche ihm die situative, unmittelbare und intuitive

Bewältigung diverser sportartspezifischer Problemzusammenhänge ermöglichen.

Explizite und sprachlich vermittelte Belehrungen und Bewegungskorrekturen

im Hinblick auf das Erreichen einer optimalen Zieltechnik, sowie eine bewusst-

analytische Kontrolle der Bewegung in ihren Einzelheiten sollte im Lehr-Lern-

Prozess eine der praktischen Erfahrung untergeordnete Rolle einnehmen und ten-

denziell eher auf hohen Kompetenzstufen und dann zum Einsatz kommen, wenn

es um eine Perfektionierung der Bewegungsausführung geht.

Auch Fritz Böhles Ausführungen zum Konzept des erfahrungsgeleitet-

subjektivierenden Arbeitshandelns können in dieser Hinsicht in einer sportdidakti-

schen Perspektive fruchtbar gemacht werden. Wie der Arbeitssoziologe in seinen

Erhebungen demonstriert, beruht die Fähigkeit der Arbeiter zur angemessenen

„Bewältigung des Unplanbaren“ (Böhle et al. 2004) in situ nicht auf der Tatsache,

dass sie über ein hohes Maß an objektivem und wissenschaftlich legitimiertem

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

83

Rezeptwissen über den Umgang mit den Gerätschaften verfügen, sondern viel-

mehr darauf, dass sie in der spielerisch-explorativen und körperlich-sinnlichen

Interaktion umfangreiche Kenntnisse über diese erlangen. Zumal auch das Feld

des Sports an die in ihm Aktiven die Herausforderung stellt, sich schnell und situ-

ativ auf unplanbare und unvorhergesehene Kontexte einstellen zu müssen, sollte

auch die Sportdidaktik ihre Priorität nicht auf die Vermittlung eines vorschriftlich-

objektivierenden Umgangs mit Gerätschaften und typischen Handlungssituationen

legen, sondern es den Lernenden ermöglichen, sich dem Feld auf spielerisch-

explorative Weise anzunähern, um so nach und nach die Fähigkeit zu dem von

Böhle explizierten intuitiv-gefühlsmäßigen und ambiguitätstoleranten Handeln in

offenen und unbestimmten Zusammenhängen zu entwickeln (vgl. Böhle 2004,

34ff).

Mit Blick auf das in der soziologischen Praxistheorie Pierre Bourdieus als

Handlungsressource thematisierte Konzept des Habitus muss in der sportlichen

Lehrpraxis überdies berücksichtigt werden, dass Bewegungslernen und –handeln,

also die Art und Weise, seinen Körper im Feld von Spiel, Sport und Bewegung zu

nutzen, fundamental habituell geprägt ist und damit abhängig von sozialen Ein-

flussfaktoren wie beispielsweise Erziehung, Herkunft und Geschlechtszugehörig-

keit. Der Habitus wirkt zugleich als vorbewusster Möglichkeitshorizont und als

nicht-hinterfragter Grenzrahmen für körperlich-praktische Hervorbringungen (vgl.

Bourdieu 1976, 169). Diese habituelle Bedingtheit sorgt dafür, dass bestimmten

Individuen spezifische Handlungs- und Lernformen besonders naheliegen, wäh-

rend ihnen andere wiederum verstellt sind. Handlungstheoretische Bewegungs-

konzepte und Didaktiken, insbesondere solche, die das Ideal eines autonomen

Akteurs perpetuieren, der jede Möglichkeit des „Auch-anders-tun-Könnens“

(Groeben 1986, 63) hat, übersehen, dass damit nicht allen Lernenden sämtliche

Arten des Handelns und Lernens offenstehen und zugänglich sind und dass Be-

wegungsweisen und Lernstile bis zu einem gewissen Grad von einem impliziten

Wissen in Gestalt von präreflexiven, in der materiellen Praxis in den Körper ein-

geschriebenen habituellen Dispositionen determiniert werden. Auch vor dem Hin-

tergrund dieser Problematik ist von der Bewegungslehre und Sportdidaktik zu

fordern, nicht ausschließlich vorschriftlich-objektivierende Vermittlungs- und

Lehrweisen zu forcieren. Sollen Lernende im Sport in ihrer Subjektivität ernst

Der Mensch als praktisches Wesen Sportliche Experten und ihre Intuition für die richtige Bewegung

84

genommen werden, ist es erforderlich, ihnen vielgestaltige Möglichkeiten zu er-

öffnen, sich dem Problemfeld oder Lerngegenstand auf unterschiedliche Weisen

anzunähern, um so einen individuell geeigneten Zugang zu ihm zu finden.

Abbildung 6: Lehr-lern-theoretische Konsequenzen

Der Mensch als praktisches Wesen Schlussbetrachtung

85

6. Schlussbetrachtung

Seit einigen Jahren weisen neuere Theorien verschiedener Human-, Kultur-,

Gesellschafts- und Geisteswissenschaften in Übernahme und Weiterführung der

Erkenntnisse der soziologischen und philosophischen Praxistheorie verstärkt auf

einige grundlegende Schwächen der in der cartesianischen Theorietradition ver-

hafteten Handlungsmodelle hin. Sie begründen aus unterschiedlichen wissen-

schaftlichen Blickwinkeln die Notwendigkeit einer Überwindung der in diesen

implizierten, rationalistischen Konzeptualisierungen des menschlichen Hand-

lungs- und Erkenntnisvermögens und des ihnen zu Grunde liegenden mentalis-

tisch und kognitivistisch verengten Menschenbildes. Obwohl es zwar bislang noch

an einer konsensual geteilten theoretischen Grundlegung und einer systematischen

Zusammenführung der interdisziplinären praxeologischen Erkenntnisse fehlt, wei-

sen die Ansätze sowohl in ihren Inhalten als auch ihren Zielsetzungen offensicht-

liche Parallelen zueinander auf.

So stimmen sie erstens darin überein, eine als zielgerichtet, intentional und

sinnvoll qualifizierte Handlung nicht länger reduktionistisch als bloßes Abbild der

intellektuellen Aktivitäten und Fähigkeiten des menschlichen Geistes begreifen zu

wollen. Die innovativen praxeologischen Theorieprogramme demonstrieren, dass

die gelingende Ausführung einer Handlung weit mehr ist als das bloße Umsetzen

präaktional geistig entwickelter Pläne oder im Bewusstsein gespeicherter, explizi-

ter und objektivierbarer Wissensbestände. Sie explizieren, dass in ihr nämlich eine

in der präreflexiven, körperlich-praktischen Auseinandersetzung mit einem spezi-

fischen Handlungsfeld generierte und in den Körper des Akteurs eingeschriebene

Intelligenz und ein subjektives und implizites (Erfahrungs-) Wissen zum Tragen

kommen, die den praktischen Vollzug von Handlungen im vertrauten Feld unab-

hängig von der Beteiligung des reflektierenden Verstandes auf eine durchaus in-

telligente Art und Weise spontan und situativ regulieren.

Zweitens illustrieren die praxeologischen Theoriekonzepte übereinstimmend,

dass das den etablierten Handlungstheorien der verschiedenen wissenschaftlichen

Disziplinen inhärente anthropologische Subjektmodell eines autonomen und rati-

onal-reflexiven Akteurs, der über ein hohes Maß an intellektuellen Dispositionen

und mentalen Anlagen verfügt, mittels derer er seine praktischen Hervorbringun-

Der Mensch als praktisches Wesen Schlussbetrachtung

86

gen selbstbestimmt, strategisch und überlegt organisiert und reguliert, vor dem

Hintergrund ihrer Erkenntnisse hintergehbar wird und relativiert werden muss. Im

Rahmen ihrer Überlegungen erscheint der Mensch nicht länger als ein von seinem

bewussten Verstand dominiertes Geisteswesen, dem es ausschließlich auf Grund

seiner kognitiven Fähigkeiten möglich ist, gelingende und sinnvolle Handlungen

auszuführen, sondern als fundamental praktisches Wesen, das insbesondere durch

seine somatische Bezogenheit auf und seine körperlich-sinnliche Interaktion mit

einem bestimmten Handlungsfeld umfangreiche Erkenntnisse über dieses ge-

winnt, welche es wiederum zu dessen präreflexiver und intuitiv-gefühlsmäßiger

Beherrschung instand setzen.

Die praxeologischen Ansätze modifizieren demnach die von René Descartes

implementierte und den traditionellen Handlungskonzepten reartikulierte Vorstel-

lung einer hierarchischen Körper-Geist-Relation, indem sie dem praxiserfahrenen

Körper auf Grund des in ihm sedimentierten Erkenntnispotentials und impliziten

Wissens den Status der für die kompetente Handlungsrealisation primär verant-

wortlichen Instanz attribuieren. Es sind eben diese epistemische Aufwertung des

menschlichen Körpers und die Anerkennung der zentralen Voraussetzungsfunkti-

on eines präreflexiven und inkorporierten Körperwissens für die gelingende Pra-

xis, die die Unterminierung des die traditionellen Handlungstheorien durchdrin-

genden anthropologischen Ideals eines rationalen, selbstbestimmten und selbstre-

flexiven Akteurs bedingen. Zumal das durch praktische Einübung und Erfahrung

gewissermaßen stillschweigend und ohne Umweg über das reflektierende Be-

wusstsein des Individuums in seinen Körper eingeschriebene, implizite Wissen als

nicht-hinterfragtes und vor absichtlichen Transformationen zugriffsgeschütztes

Bezugssystem und sowohl ermöglichender, als zugleich auch einschränkender

Ordnungsrahmen für praktische Hervorbringungen dient (vgl. Bourdieu 1976,

199f.), erscheinen die Handlungsfreiheit des Akteurs und seine Möglichkeiten des

„Auch-anders-tun-Könnens“ (Groeben 1986, 63) im Lichte der praxeologischen

Einsichten mitnichten unbegrenzt.

Dieser Bruch der modernen Theoriekonzepte mit der, auf dem Ideal der Auto-

nomie und Selbstbestimmtheit des Subjekts fußenden, kulturellen Leitidee der

Moderne, darf die interdisziplinäre Forschung jedoch keinesfalls dazu veranlas-

sen, den Innovationswert und das wissenschaftliche Potential ihrer Erkenntnisse

Der Mensch als praktisches Wesen Schlussbetrachtung

87

zu negieren. Insbesondere für die Thematisierung und Analyse eines (zunehmend)

gekonnten Handelns in offenen und unbestimmten, informationell komplexen,

zeitlich engen, vorrangig körperbezogenen und nicht-verbalen Handlungskontex-

ten, wie sie beispielsweise für das Praxisfeld des Sports prototypisch sind, und in

denen ein Vorgehen nach dem handlungstheoretischen Modell des planmäßig-

rationalen, ausführlich durchdachten Tuns an offensichtliche Grenzen stößt, ist

das von den verschiedenen Praxeologien nachgewiesene menschliche Vermögen

zur nicht-bewusstseinspflichtigen und intuitiv-gefühlsmäßigen Situationsbewälti-

gung auf der Basis eines einverleibten und impliziten Wissens von grundlegender

Erklärungskraft.

Vor diesem Hintergrund ist zum Einen zu kritisieren, dass die bewegungstheo-

retische Diskussion um ein gekonntes Bewegungshandeln und den Erwerb einer

Handlungsfähigkeit im Sport bis in die Gegenwart hauptsächlich von handlungs-

theoretischen Prämissen dominiert wird. Überdies ist zum Zweiten von der bewe-

gungswissenschaftlichen Forschung zu fordern, dem Vorbild von Volker Lippens

und Armin Kibele zu folgen und sich verstärkt um eine umfassende Integration

der praxeologischen Paradigmen in Theorien des menschlichen Sich-Bewegens

und ihre Didaktiken zu bemühen, um ein Lernen und Handeln im Praxisfeld des

Sports seinem charakteristischen Wesen nach erfass- und verstehbar zu machen.

Jedoch bestehen nicht nur im Bereich der Bewegungs- und Sportwissenschaft

Theoretisierungsdefizite und ein Forschungsbedarf. So obliegt es der interdis-

ziplinären Forschung, den sich in den unterschiedlichen Human-, Kultur-, Gesell-

schafts- und Geisteswissenschaften abzeichnenden Paradigmenwechsel zukünfig

stärker voranzutreiben und das in ihren Konzeptualisierungen implizierte Innova-

tionspotential einerseits für eine nachhaltige Irritation des cartesianischen Men-

schenbildes und andererseits für die umfassende Verbreitung einer allgemeinwis-

senschaftlich akzeptierten, nicht-intellektualistischen Modellierung und Konzep-

tualisierung des menschlichen Handlungs- und Erkenntnisvermögens systemati-

scher auszuschöpfen.

Um diese Ziele zu erreichen, ist es für die Wissenschaft von entscheidender

Bedeutung, zu begreifen, dass das Praxisfeld des Sports einen wichtigen und adä-

quaten Forschungsgegenstand darstellt, an dem in besonders prägnanter Weise

Der Mensch als praktisches Wesen Schlussbetrachtung

88

Einsichten in den genuin körperlich-praktischen und impliziten Charakter des

menschlichen Lernens, Verstehens und Handelns zu erlangen sind. Dass sich an

Hand der Erschließung und Analyse des Lernens, Verstehens und Handelns in den

begrenzten und überschaubaren Interaktionskontexten von Spiel und Sport Er-

kenntnisse gewinnen lassen, die in anderen Praxisfeldern weit weniger scharf zu

Tage treten, und die nicht nur für eine theoretische Erhärtung und Erweiterung,

sondern auch für eine empirische Legitimierung praxeologischer Thesen fruchtbar

gemacht werden können, lässt sich aus den bewegungstheoretischen Ausführun-

gen von Volker Lippens und Armin Kibele schlussfolgern.

Kibele beispielsweise demonstriert mit seinen Studien zum Lernen sportlicher

Fertigkeiten eindrücklich, dass intellektuelle Fähigkeiten, explizite Theoriekennt-

nisse und rational-reflexive Einsichten weder als hinreichende noch als notwendi-

ge Bedingungen für den Erwerb körperlich-praktischer Handlungskompetenzen

zu qualifizieren sind und verbale Belehrungen ein ungeeignetes Medium für ihre

Vermittlung darstellen. Der Bewegungswissenschaftler beweist, dass sich sport-

praktische Beispiele besonders gut eignen, um zu veranschaulichen und empirisch

zu belegen, dass grundlegende Formen des Lernens und Verstehens primär auf

stumme und nicht-durchdachte, sondern rein körperliche Weise erfolgen, indem

sich das zu Erfassende nämlich in der präreflexiven, materiell-somatischen Inter-

aktion mit einem spezifischen Handlungsfeld dauerhaft in den Körper des Akteurs

einschreibt und in der Folge praktische Handlungen auf gleichsam stillschweigen-

de und sprachlich nicht beschreibbare Art und Weise geregelt hervorbringt (vgl.

Kibele 2001b, 151ff.).

Ferner belegen die Ergebnisse der sportwissenschaftlichen Untersuchungen

von Volker Lippens und Armin Kibele, dass die aufmerksame Beobachtung und

Analyse sportlicher Handlungen einen entscheidenden Beitrag zur Aufklärung des

charakteristischen Wesens des Handlungsvermögens menschlicher Experten leis-

ten kann. So wird, wenn sowohl Kibele als auch Lippens aus ihren empirischen

Erhebungen berichten, dass erfahrene Sportler kompetent, situationsadäquat und

damit intelligent körperlich-praktisch tätig werden, jedoch kaum objektiv nach-

vollziehbare Gründe oder rational gewusste Regeln und Prinzipien für ihr Vorge-

hen verbalisieren können, also auf „sprachlose“ Art und Weise handlungsfähig

sind, zum Einen unmittelbar einsichtig, dass ein sinnvolles, intentionales und

Der Mensch als praktisches Wesen Schlussbetrachtung

89

gelingendes Tun keineswegs ausschließlich auf explizite und sprachlich formali-

sierbare Theoriekenntnisse zu reduzieren ist, sondern im Wesentlichen von einer

nicht-formalisierbaren und impliziten Intelligenz des praxis- und felderfahrenen

Körpers abhängig ist. Zum Anderen tritt an diesem Beispielen auch in aller Deut-

lichkeit hervor, dass sich die von René Descartes postulierte und von traditionel-

len Handlungsmodellen reartikulierte Körper-Geist-Hierarchie bei der gekonnten

Ausführung sportlicher Praktiken geradezu umgekehrt darstellt, der menschliche

Körper in diesem Fall viel mehr zu wissen scheint, als der vermeintlich intelligen-

tere Geist (vgl. Kibele 2002, 56ff.; Lippens 1997b, 178ff.).

Lippens und Kibele untermauern mit ihren bewegungswissenschaftlichen

Ausführungen eine These, die Pierre Bourdieu aus einer sozialtheoretischen Per-

spektive erhebt, dass nämlich „der Sport einer der Bereiche ist, in dem sich das

Problem des Verhältnisses von Theorie und Praktik wie auch das von Sprache und

Körper [und damit auch das von Implizitheit und Explizitheit; Anmerkung der

Verfasserin] am schärfsten stellt“ (Bourdieu 1992, 205). Beispiele aus der Sport-

praxis – so ist zusammenzufassen – bieten demnach einen besonders angemesse-

nen Rahmen, in dem empirisch überprüfbare Erkenntnisse gewonnen werden

können, die den praxeologischen Theoriekonzepten der verschiedenen Human-,

Kultur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften nicht nur zu einer umfassenden

theoretischen Modifikation etablierter, rationalistischer Handlungsmodelle gerei-

chen können, sondern des Weiteren für eine systematische Unterminierung und

Revision der cartesianischen Dichotomie zwischen dem vermeintlich erkenntnis-

leitenden, sprach- und vernunftbegabten Geist und dem als erkenntnishemmend

und „unintelligent“ stigmatisierten Körper genutzt werden können.

Vor dem Hintergrund dieses Tatbestandes besteht eine zentrale Aufgabe der

interdisziplinären Forschung zum menschlichen Lernen und Handeln darin, es

dem Bourdieu-Schüler und Sozialpraxeologen Loïc Wacquant, der als einer der

wenigen Theoretiker die allgemeinwissenschaftliche Relevanz des Forschungsfel-

des des Sport erkannt zu haben scheint, nachzutun und zu realisieren, dass die

Erschließung der spezifischen Logik sportlicher Praktiken grundlegende Einsich-

ten in die Logik einer jeglichen menschlichen Praxis zu gewährleisten vermag

(vgl. Wacquant 2001, 21). Ist dieser Schritt getan, müssen die Bemühungen dar-

auf gerichtet werden, auf der Grundlage der exemplarisch am Sport gewonnenen

Der Mensch als praktisches Wesen Schlussbetrachtung

90

Erkenntnisse ein integratives wissenschaftliches Fundament für das facettenreiche

Bündel an praxeologischen Analyseansätzen zu formulieren, auf dem eine elabo-

rierte Theorie des impliziten und „sprachlosen“ Lernens, Handelns und Verste-

hens mit dem Körper erarbeitet und aufgestellt werden kann, die der Hegemonie

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Rechtliche Erklärung

Ich bin damit einverstanden, dass die von mir gefertigte Hausarbeit mit dem The-

ma „Der Mensch als praktisches Wesen. Zur Bedeutung impliziten Wissens im

Sport“ zur Einsicht durch andere Personen zur Verfügung gestellt wird. Ich habe

auch keine Bedenken, dass meine Hausarbeit Interessenten ausgeliehen wird. Mir

ist bekannt, dass eine Ausleihe erst 5 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres mög-

lich ist, in dem mir das endgültige Ergebnis der Prüfung mitgeteilt worden ist.

Hiermit versichere ich, dass ich die Arbeit selbständig verfasst und keine anderen

als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.

Oldenburg, den 28.11.2006

(Kristina Brümmer)