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Emanzipation Zeitung zum Kongress Der Tag 1

Der Moment #1

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Die erste Ausgabe der Kongress-Zeitung am Momentum14.

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Page 1: Der Moment #1

Emanzipation

Zeitung zum Kongress

Der Tag1

Page 2: Der Moment #1

Das beste Argument

Sozialbereich und politische AktivistInnen aufeinander-treffen, enstehen nicht nur Diskussionsfelder, die sich im alltäglichen Leben meist nicht auftun, sondern werden oft Grundsteine für eine weitere Zusammenarbeit über den Kongress hinaus gelegt. Hall-statt als Kongressort wurde vom Organisationsteam da-bei nicht zufällig gewählt: Der UNESCO-Weltkulturerbeort stößt zwar jedes Jahr auf ’s Neue an die Grenzen seiner Kapazitäten, um den Mo-mentum-Kongress fassen zu können, bietet jedoch eine At-mosphäre, die Möglichkeiten zum Forschen und Diskutie-ren abseits des hektischen All-tags mit seinen Sachzwängen schafft. Und nicht umsonst kommen besonders viele kriti-

sche Köpfe aus dieser Region des Salzkammerguts. Beste Voraussetzungen also, um Thesen und Konzepte gegen den neoliberalen Mainstream zu entwickeln. Einer der we-sentlichen Unterschiede zu anderen wissenschaftlichen Kongressen bleibt seit sie-ben Jahren der Gleiche: Was zählen soll, ist nicht der Titel oder akademische Grad der TeilnehmerInnen, sondern das beste Argument. Die Kon-gresszeitung derMoment wird dabei das Leben am Kongress begleiten und die eine oder andere Hintergrundinforma-tion zum Geschehen liefern. Für die zeitnahsten Informati-onen bitte die Twitterwall im Kongresshaus beachten. In-sofern: Willkommen bei Mo-mentum14! (VG)

IMPRESSUM:Momentum - Verein für kritische Wissenschaft und PolitikRedaktion: Theresa Aigner (TA), Anna Ellmer (AE), Vanessa Gaigg (VG), Bettina mühleder (BM)Layout: Susi Aichinger, Fotos: Org-Team, Clemens Sauerwein

Auf gleicher Augenhöhe ringen heuer wieder knapp 300 TeilnehmerInnen um Ideen und Konzepte zur Ent-wicklung einer emanzipierten Gesellschaft.

Emanzipation

Mittlerweile zum siebten Mal versammeln sich Interessierte aus Wissenschaft und For-schung, Politik und Praxis in Hallstatt, um gemeinsam an der Idee einer besseren, gerechteren und heuer be-sonders: Einer emanzipier-ten Gesellschaft zu arbeiten. Wenn dabei Studierende, WissenschafterInnen, Arbei-tende aus dem Kultur- oder

SONNTAG, 19. 10. 2014

9:30

Frühstück im Kongresshaus

10:30

Abschlussmatineé mit

Klaus Werner-Lobo

11:30

Schlussworte und Ausblick

DONNERSTAG, 16. 10. 2014

14:00

Pre-Conference Workshops

18:30

Eröffnung von „Momentum14:

Emanzipation“ mit Kathrin Hart-

mann

ab 20:30

Buffet und Musik im Kongresshaus

FREITAG, 17. 10. 2014

9:00

Diskussionen in den Tracks

19:00

Performance: von Monika Klengel

ab 20:30

Abendessen im Kongresshaus

SAMSTAG, 18. 10. 2014

9:00

Diskussionen in den Tracks

16:00 Kaffeepause

16:30 Tracks; Concluding Session

19:00 Ideenforum

ab 20:30

Abendessen im Kongresshaus

ab 21:30

Cocktails und Party im Kongress-

haus

Das ProgrammAuf Momentum14 wird ein abwechslungsreiches Programm mit einer Mischung aus Dis-kussion, Workshop und Performance und Party geboten. Hier ein kleiner Überblick über die kommenden Tage:

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Momentum: Sie beschreiben in ihrem Buch, dass Armut zu-nehmend als selbstverschul-deter Zustand wahrgenom-men wird und die Solidarität mit den Betroffenen immer geringer wird. Welche Um-stände haben dazu geführt?

Kathrin Hartmann: Das ist eine direkte Folge der neolibe-ralen Politik, die in den 90ern der Gesellschaft vermittelt hat, dass der Gürtel enger ge-schnallt werden muss. Mit der damals postulierten Eigen-verantwortung gingen auch die Privatisierung öffentlicher Leistungen und eine Beschnei-dung der Arbeitnehmerrechte einher. Es hieß, dass wir uns die angeblich überbordenden Sozialsysteme nicht mehr leis-ten können. Das hat dazu ge-führt, dass die Mittelschicht Angst bekommen hat, zu je-nen zu gehören, die abstiegs-gefährdet sind. Indem man sie als „Leistungsträger“ tituliert hat, wurde eine vermeintliche Selbstversicherung geschaf-fen, die besagt: „Wer wirklich leistet, dem kann so was nicht passieren“. Deswegen tritt die Mittelschicht nach unten.

Wann ist die Diffamierung der Armen salonfähig geworden?

In Deutschland passierte das vor allem durch die Einfüh-

rung der Agenda 2010. Indem unser damaliger, sogenannter Sozialdemokrat und Bundes-kanzler (Gerhard Schröder, Anm.) deren Vorstellung mit einer Diffamierungskampagne gegen Armut verbunden hat. Er hat damals gesagt: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“. Da-mit unterstellt er, dass dieje-nigen, die keine Arbeit haben, finden oder von ihrer Arbeit nicht leben können, selber schuld und faul sind.

Das ist jetzt schon einige Jah-re her. Wie konnte sich diese Sichtweise weiter etablieren?

Danach habe ich beobachtet, dass diese Sichtweise in den Mainstream übergegangen ist und dazu haben auch die soge-nannten seriösen Medien stark beigetragen. Was bösartig und ordinär formuliert in der „BILD“-Zeitung steht, war ge-nauso bösartig, nur mit schö-neren Worten versehen, plötz-lich auch in der „Zeit“ oder in der „FAZ“ zu lesen. Da habe ich eine Verrohung und intellektu-elle Verwahrlosung des Bür-gertums und der Mittelschicht festgestellt, die auch vor den Medien nicht Halt gemacht hat. Sie haben den Profiteuren nach dem Mund geschrieben und so die gesellschaftliche Spaltung und Entsolidarisie-rung weiter befeuert.

Warum kann sich der My-thos der Leistungsgesellschaft überhaupt so hartnäckig hal-ten?

Auch das ist ein Verdienst der Mainstream-Medien. Wenn dort Arme oder Langzeitar-beitslose vorkommen, dann geht es nicht um die Lebens-realität dieser Menschen, sondern sie werden über ei-nen Kamm geschoren und als diejenigen dargestellt, die wir uns nicht mehr leisten kön-nen. Deswegen funktionieren ja auch „Hurra-Botschaften“, dass die Arbeitslosenzahl ge-sunken sei, so gut. Obwohl das totaler Quatsch ist. Denn dieses permanent beschwore-ne Jobwunder hat allein damit zu tun, dass ein unglaublich menschenrechtsverletzender und entrechtender Niedrig-lohnsektor geschaffen wurde, der Deutschland zu einem Exportvorteil verhilft und an-dere europäische Länder in die Armut stürzt. Gleichzeitig müssen aber eine ganze Men-ge Menschen bei der Stange gehalten werden. Und so wird die Angst vor Diffamierung dazu genutzt, eine Drohkulis-se für all jene zu errichten, die vom Abstieg bedroht sind.

Müsste nicht insbesondere in der Mittelschicht ein Be-wusstsein für diese Spaltung

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Kathrin Hartmann ist Journa-

listin und Buchautorin, sie lebt

und arbeitet in München. In ih-

rem erstes Buch „Ende der Mär-

chenstunde - wie Industrie die

Lifestyle-Ökos und Lohas ver-

einnahmt“ geht Hartmann der

Frage nach, ob Menschen die

sich durch vermeintlich ethisches

Konsumverhalten ein besseres

Gewissen erkaufen, die Welt

tatsächlich besser machen. Ihr

neues Buch trägt den Titel „Wir

müssen leider draußen bleiben -

die neue Armut in der Konsum-

gesellschaft“.

Emanzipation

„Wir müssen Reichtum bekämpfen“In ihrem Buch „Wir müssen leider draußen bleiben – Die neue Armut in der Konsumgesellschaft“ geht Kathrin Hartmann der Frage nach, warum es nur einem immer kleineren Teil der Gesell-schaft vorbehalten ist, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

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und Entsolidarisierung ge-schaffen werden, um einem selbstbestimmten Leben nä-her zu kommen?

Ein wesentliches Problem ist, dass dieser emanzipative Gedanke in der Diskussion gar nicht existiert. Dass Ar-mut das Gegenteil von einem selbstbestimmten Leben ist, das kommt nicht vor. Auch die Mittelschicht, die sich an ihre Jobs klammert und sich alle möglichen Frechheiten, etwa Lohnkürzungen, gefal-len lässt, lebt nicht selbstbe-stimmt. Das gelingt nur mehr einer sehr kleinen Schicht, die über Macht, Geld und Ein-fluss verfügt. Deshalb müssen wir Reichtum viel stärker hin-terfragen.

Braucht es nicht auch ande-re Mittel – solche, die über klassische Umverteilungsinst-rumente wie etwa die Besteu-erung von Vermögen hinaus-gehen?

Es muss natürlich darüber hi-naus etwas geschehen. Aber solange nicht anerkannt wird, dass Reichtum und Armut zwei Seiten derselben Medail-le sind, wird sich langfristig nichts ändern. Das Gegenteil passiert. Armut wird abge-koppelt von Reichtum disku-tiert, es wird nach sogenann-ten „Lösungen“ gesucht und dann kommen so wahnwit-zige Sachen wie die Tafeln (dabei werden überschüssige Lebensmittel an Bedürftige abgegeben, Anm.) ins Spiel.

Die Leute sind gerne bereit, solche einfachen, pragmati-schen Lösungen zu akzeptie-ren – die aber in Wirklichkeit die Strukturen verhärten, an-statt sie in Frage zu stellen. Es gibt eine Weigerung seitens der Mittelschicht anzuerken-nen, dass Reichtum ein Prob-lem für uns alle ist. Dass wir Reichtum bekämpfen müssen, denn Reichtum ist immer auf Kosten anderer zustande ge-kommen. Wenn wir das nicht einsehen, ist es schwierig, überhaupt auf einen Gerech-tigkeitsbegriff oder zu einer solidarischen Idee davon, wie wir miteinander leben wollen, zu kommen.

Wo soll man nach den eman-zipatorischen Kräften suchen, die das einfordern?

Im Grunde wären das Ins-titutionen wie die Gewerk-schaft. Aber die vertreten in-zwischen auch nicht mehr so viele Menschen und es sind insgesamt viel mehr Akteu-re am Start. Deshalb wird es immer schwieriger. Und sehr viel mehr Akteure tun genau das Gegenteil. Da haben wir die Philantrokapitalisten und Stiftungen, Stichwort: Bill Gates Stiftung. Leute, die ein unfassbares Vermögen ange-sammelt haben und sich jetzt als Weltretter aufspielen. Das sind Figuren, die durch Geld sehr viel Macht und auch Möglichkeiten, sich darzustel-len, haben. Deswegen ist eine wichtige Frage: Wer stellt hier die Gegenöffentlichkeit?

Und wer stellt sie?

Es gibt Organisationen wie At-tac, die Teil davon sind. Aber letztlich kommt es darauf an, dass Bündnisse entstehen, dass möglichst viele Men-schen in unterschiedlichen Bereichen mobilisiert werden. Es ist ja nicht hoffnungslos – wenn man daran denkt, dass es eine erfolgreiche Bürgerin-itiative gegen die Wasser-Pri-vatisierung gegeben hat oder an den aktuellen Versuch, eine Bürgerinitiative gegen das TTIP-Abkommen auf die Bei-ne zu stellen. Aber die Gegen-akteure sind sehr mächtig, da sollten wir uns nichts vorma-chen. Umso wichtiger ist es, dass wir diese Macht verste-hen und uns gegen sie wehren.

(TA)

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Emanzipation

Foto: Privat