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ARCHIV DER PHARMACIE, -IIMMMM- 23. Band, 11. Heft. A. Originalmit theilungen, Der Pharmaceutische Unterricht in Deutschland. (Schluss.) VII. Die Maturitgt. Nur eine Schwierigkeit bleibt noch iibrig. Es geniigt, das Wort Mat uri t It auszusprechen, urn sofort in die Brandung der hitzigsten Er6rteruugen gerissen zu werden. Man kiinnte allerdings meinen, dass die Pharmaceuten , welche in Zukunft gereifter als bisher und zahlreicher in das Phaxmaceutische Institut eintreten und nament- lich mit weit vollstandigerer Ausbildung am demselben hervorgehen, sich damit zufrieden geben diirften und durchaus nicht nbtig &t- ten, sich urn engheraige Gesinnungen zu kiimmern, selbst wenn sie ihnen im bestechendsten Gewande des academischen Idealismus ent- gegentreten. Jedoch, mit Vorurteilen muss man rechnen, wenn man sich nicht einfach dariiber wegsetzen kann oder will, wozu oft sehr vie1 Nut und Selbstbewusstsein bester Art - und Tiichtigkeit geh6rt. Die Universitat verlangt nun einmal die Reife nach ihrer Art und wird die Pharmaceuten erst dann als vollkommen berech- tigt anerkennen , wenn sie dieser Forderung Genfige leisten, obwohl namentlich in den naturwissenschaftlichen Facultaten Aushnftsmit- tel genug gehandhabt werden, urn jene Forderung zu umgehen oder wenigstens den Mangel des Maturitiltsnachweises wirkungslos zu machen. Wie ein solcher schreiender Widerspruch zu erkliiren ist, gehiirt nicht hierher ; consequent sind jedenfalls diejenigen , welche eigentlich der ohne Maturifatszeugnis anglopfenden Jugend die Pfor- ten der Universitiilt unnachsichtlich schliessen wollen. Um so weit- lierziger iift'nen sich die HiirsZile und Laboratonen der technischen Hochschulen, hebt ja doch schon die Priifungsordnung vom 5. M%z 1875 in 3 4, Absatz 3, die pharmaceutische Fachschule bei der poly- Von F. A. Fliickiger. Arch. a. pharm. xxm. Bas. 11. ~ft. 28

Der Pharmaceutische Unterricht in Deutschland

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ARCHIV DER PHARMACIE, -IIMMMM-

23. Band, 11. Heft.

A. Originalmit theilungen,

Der Pharmaceutische Unterricht in Deutschland.

(Schluss.)

VII. Die Maturitgt. Nur eine Schwierigkeit bleibt noch iibrig. Es geniigt, das Wort

Mat ur i t It auszusprechen, urn sofort in die Brandung der hitzigsten Er6rteruugen gerissen zu werden. Man kiinnte allerdings meinen, dass die Pharmaceuten , welche in Zukunft gereifter als bisher und zahlreicher in das Phaxmaceutische Institut eintreten und nament- lich mit weit vollstandigerer Ausbildung am demselben hervorgehen, sich damit zufrieden geben diirften und durchaus nicht nbtig &t- ten, sich urn engheraige Gesinnungen zu kiimmern, selbst wenn sie ihnen im bestechendsten Gewande des academischen Idealismus ent- gegentreten. Jedoch, mit Vorurteilen muss man rechnen, wenn man sich nicht einfach dariiber wegsetzen kann oder will, wozu oft sehr vie1 Nut und Selbstbewusstsein bester Art - und Tiichtigkeit geh6rt. Die Universitat verlangt nun einmal die Reife nach ihrer Art und wird die Pharmaceuten erst dann als vollkommen berech- tigt anerkennen , wenn sie dieser Forderung Genfige leisten, obwohl namentlich in den naturwissenschaftlichen Facultaten Aushnftsmit- tel genug gehandhabt werden, urn jene Forderung zu umgehen oder wenigstens den Mangel des Maturitiltsnachweises wirkungslos zu machen. Wie ein solcher schreiender Widerspruch zu erkliiren ist, gehiirt nicht hierher ; consequent sind jedenfalls diejenigen , welche eigentlich der ohne Maturifatszeugnis anglopfenden Jugend die Pfor- ten der Universitiilt unnachsichtlich schliessen wollen. Um so weit- lierziger iift'nen sich die HiirsZile und Laboratonen der technischen Hochschulen, hebt ja doch schon die Priifungsordnung vom 5. M%z 1875 in 3 4, Absatz 3, die pharmaceutische Fachschule bei der poly-

Von F. A. Fliickiger.

Arch. a. pharm. xxm. Bas. 11. ~ f t . 28

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technischen Schule zu Braunschweig und die technischen Lehranstal- ten in Stuttgart und Karlsruhe, gewiss nicht mit Unrecht, auf die gleiche Stufe wie die Universitlten. Grundsatzlich liesse sich fiber- haupt die Frage erijrtern , ob nicht die wissenschaftliche Ausbildiing der Pharmaceuten einfach an die Polytechnischen Hochschulen zii verlegen sei. Der Behauptung , dass cler pharmaceixtische Unterricht an diesen eine freundliche Aufnahme und gedeihliche Entwickelung zu gewzrtigen hatte , wie es ja die ,, Pharmaceutische Faehschule " in Braunschweig zeigt , soll wenigstens an dieser Stelle durchaus nicht widersprochen werden. Ohne anclerseits einzustimmen in die Befiirclitung, dass es , nach den obigen Erlzuterungen , doch Univer- sit5tsfacultiten geben kiinnte , welche gegen die Entwickelung oder Erbauung Phnrmaceutischer Institute Verwahrung einlegen wurden, weil der Unterricht an denselben ,, besonders zugeschnitten " sei, muss doch eingeriiumt werden, dass mit der Verlegung dieses Un- terrichtes an die technischen Lehranstalten die Maturifktsfrage aus der Welt geschafft werden kijnnte, ohne die in diesen Bliittern tiberall nachdriicklichst angestrebte Verineidung eines einseitigen Zuschnit- tes und kurzsichtige Selbstiiberhebung im geringsten aufzugeben. Wenn es gelingt, die hier besprochenen Fragen in lebendigen Fluss zu bringen, so wird das entscheidende Wort sichorlich nicht in ein- seitiger Weise von der Stimmung der Universitiitsfacultlen aus- gehcn kijnnen , sondern clie Pharmacie selbst wird billigermassen aach mitzureden haben. Erst aus miiglichst erschiipfender, einsich- tiger Priifung der gesamten Sachlage wird sich ein Urteil fiber die Vorziige der Universitikt und der technischen Hochschulen in dieser besondern Frage ableiten lassen. Sollten die staatlichen Behijrden und die Apotheker durch eine solche vorurteilsfreie Untersuchung gedrangt werden , sich endgiiltig den letztgenannten Lehranstalten zuzuneigen, so wiirde eine Einwendung gegen eine solche Massregel, sofern sie durchgreifend getroffen wiirde, von dem Standpuncte die- ser Zeilen aus unmaglich sein.

Einstweilen aber steht der angehende Pharmaceut noch dem Maturifiitsexamen gegenuber , welches die Universitiit von ihm ver- langt, wenn er sich von dem liiblichen Ehrgeize leiten Ilsst, ein vollberechtigter academischer Burger werden zu wollen. Ob und welcher Nutzen ihm aim der Maturiflt f i r seinen Beruf erwiichst, kommt nicht zunachst in Frage , das beziigliche Document bringt ihn auf die Stufe der hSher Gcbildeten, gewiss ein unter allen Um-

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stinden zu erstrebendes Ziel. Die Universitit hat den Spruch der Jahrhunderte fiir sich, wenn sie an jenem Masstabe festhalt. Durch das Zeitalter des Humanismus, der Aufglkung und sogar in dem- jenigen des Dampfes hat sich das Ansehen der classischen Studien in ungetriibtem Glanze erhalten; ihre Ergebnisse dienen immer noch als Kennzeichen und Priifstein der Geistescultur. Es unterliegt kei- nem Zweifel, wo der Menschheit in vollendetster Form die Erkennt- n i s der Schijnheit aufgegangen ist, wo sie sich zuerst xu der Gedan- kenfiille erhabenster Selbstbetrachtung aufgeschwungen hat. Wir wissen ganz genau , wie sich aus der naivsten Dernocratie die wun- derbarste Bliithe des Stidtewesens entfaltet hat, wie der reinen, freien Form des Bundesstaates der machtvollste Casarismus folgte, wie die antiken Staatseinrichtungen in erstaunlicher VollsGndigkeit ausgebaut wurden. Es fehlt eben so wenig an genauem Einblicke in das Gluck und die Bedrangnis der damdigen Landwirtschaft, wie an ergreifendster Anschauung des Jammers der grossen Sttdte , des Glanzes und Elendes der MiliGrherrschaft , der Verkommenheit des Sclaventums. Wie das alles geworden und versunken ist , steht lebendig in iiberwtGltigenden Ziigen vor uns und noch unendlich viel mehr, so viel dass es jedes Tersuches auch nur der fliichtigsten Andeutung spottet. So uniibersehbar gross ist in der That der Go- halt der Altertumswissenschaft im weitesten Sinne und es gewahrt unzweifelhaft den grijssten Genuss, sich durch die Alten selbst in diese Welt von Ereignissen und CulturFormen einfiihren zu lassen und an diesem unerschtipflichen Borne der Erkenntnis zu schtipfen. Gewiss ist dieses uneryasslich, wenn ein harmonischer Abschluss der Bildung erreicht werden soll, welcher auch fiir den Apotheker f i n - schenswerth erscheint.

Immerhin ltisst sich die Frage nicht unterdriicken, was denn eigentlich der Zweck und das Ergebnis der Gigantenarbeit ist, welcha die Heroh gerade der deutschen Philologie seit Winckelmann, Heyne , F. A. Wolf , Gijthe, Wilhelm von Humboldt , Otfried Muller, Btickh, Gottfr ied Hermann bis auf Mommsen und Cur t ius und eine Legion anderer verrichtet haben. Haben solche Qeister nicht eben ihre graft eingesetzt, urn der Nation das Ver- stiindnis des Alterturns nach allen Bichtungen zu erschlieasen? Geniigen Fuhrer dieses Ranges nicht, um uns mit voller Sicherheit die dunkelsten Zeiten zu erhellen? 1st es in der That ngtig, Jahre und Jahre der kostbaren Jugendzeit zu opfern, um ein htichst geringes

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Theilchen der Arbeit zu verrichten, wenigstens nachzuahmen, welche den unverganglichen Ruhm jener Manner ausmacht? Muss man in der That selbst in die Schichte hinabsteigen , welche dieselben so erfolgreich ausgebeutet haben ? Unserem QersYandnisse naher geriickt, bedeutet eine solche Forderung ungefihr dasselbe , wie etwa die Zumutung , die unsterblichen Arbeiten von D a l t o n , B e r z e l i u s , Dulong und P e t i t , Dumas , S t a s zu wiederholen, um sich dem Glauben an die Atomgewichte hingeben zu diirfen. Und weiter, verstehen es die heutigen Gymnasien, die richtige Summe aus den classischen Studien zu ziehen? Nehmen wir einen regelrecht geschulten Abiturienten von durchschnittlicher Begabung und einen gleich ausgeriisteten Jiingling , der ohne die Prima durchgemacht zu haben, rnit offenem Sinne seine Begeisterung fiir die Alten nicht zww an den Quellen selbst, sondern bei den geistvollsten jener Philologen und Archaologen der Gegenwart mit richtiger Wahl geschijpft und vielleicht an Ort und Stelle in Agrigent, in Pom- peji, im Colosseum, im Vatican ergiinzt hat, ohne gerade in Perga- mon, Olympia oder Mykenai eigentlich rnit dabei gewesen zu sein. Es ist doch denkbar, dass der zweite dieser Jiinglinge in weit htihe- rem Grade der erhebenden und bildenden Wirkung der classischen Studien teilhaftig werde, als der andere, selbst wenn die Gunst des Schicksals den letzteren ebenfalls mit der wirklichen Anschauung des classischen Sudens begliickt. Damit sol1 nur der M6glich- keit gedacht werden , dass classische Bildung vielleicht doch nicht so durchaus notwendig die hergebrachte Gymnasialbildung zur Qor- aussetzung hat, sofern es auf den Geist und nicht nur auf den Buch- staben der classischen Studien ankommt. Dieser M6glichkeit ist sogar aus den bestunterrichteten Kreisen selbst schon vor langer Zeit gedacht und das Wort geredet worden: ,,Es ist ein ebenso grober als allverbreiteter Irrtum, die altclassische Bildung rnit La- teinsprechen und Lateinschreiben zu verwechseln , da doch viele dies handhaben ohne von jener eine Spur zu besitzen u n d u m g e - k e h r t " (Hermann Kijchly 1848, These 32). Und wie gewijhn- lich verfiegt die mitunter reeht hohle Frucht sofort nach Erreichung der schulmassigen Maturiyit! Ja WON, gereift und gezeitigt wird haufig eine stattliche Treibhausfrucht, aber sie fdlt ab von dem diirren Stengel.

Das bewunderungswiirdige Gesamtergebnis der classischen Stu- dien nirnmt eine hervorragende Stelle irn geistigen Besitzstande der

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Gegenwart ein; es steht mit unendlich reichem, glgnzendem Gehalte einer ganz andern Welt gegeniiber , welche die Neuzeit erschlossen hat, dem Gebiete der Naturwissenschaften in seiner iiberwgltigenden Uniibersehlbarkeit und Vielseitigkeit. Schon lgngst darf die geistes- bildende Macht gewisser naturwissenschaftlicher Fiicher nicht ausser Acht gelassen werden , wenn von einer bestimmten Normalbildung die Rede ist, deren Masstab in der ,,Maturitiit" gesucht wird. Ohne das von den berufenen Fachmiinnern immer und immer wider besprochene Capitel der Reform des Gymnasialunterrichtes weiter in den Kreis der vorliegenden Untersuchung zu ziehen, darf doch wohl behaupkt werden, dass der Strom der Zeit gerade durch den Auf- gchwung der Naturwissenschaft mehr und mehr von der Vorstellung abgelenkt wird , ganz vorzugsweise nur in den classischen Studien das Riistzeug zur geistigen , ja sogar zur sittlichen Durchbildung zu erblicken. Man mag mit Wehmut oder nicht einem solchen ,, Mate- rialismus und Americanismus 'L zusehen, so ist die Thatsache unleug- bar, dass der unwiderstehliche Einfluss der Naturwissenschaft in vie1 rascherer Entwickelung beg-riffen ist als die Erweiterung des geisti- gen Besitzstandes , welche die Gegenwart den so ausserordentlich iiberraschenden und kostbaren Erfolgen der Archlologie und Philologie zu danken hat. Die Lijsung der vielen erzieherischen Fragen, welche in jener Hinsicht den herkijmmlichen Anschauungen in den Weg treten, ist die schwierigste Aufgabe der Schulmanner, welche der unberufene Beobachter gerne denselben iiberlisst und sich nicht ver- misst, ein Urteil abzugeben.

Dass jedoch der Glaube an den innern Werth der von den Gymnasien erstrebten Maturifit betrlchtlich abgeschwfcht ist , kann schwerlich in Abrede gestellt werden. Wer geneigt ist , dieselbe nicht unbedingt als Biirgschaft wahrer und hijherer Qeistesbildung anzuerkennen , vielleicht sogar den Einfluss der classischen Gymna- sien auf die Entwickelung mannhafter Charactere kritisch priift, der kommt allerdings in schwere Verlegenheit, wenn er die segensreiche Wirkung wahrhaft classischer Gemiitsbildung und geistiger Bus- rilstung mit den durch die Not der Zeit verscharften Anforderun- gen in Einklang bringen soll; die erlijsende Formel ist noch nicht gefunden.

Die reifliche Erwagung dieser Puncte verlangt denn doch ihr Recht , wenn das Verlangen des Maturifltsnachweises an die Phar- maceuten herantritt. In Verbindung rnit der Hebung des Fach-

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unterrichtes , welche Hauptzielpunct dieser Bliitter ist , bedeutet die Maturitatsforderung ein grosses Opfer an Zeit und Geld und eine ganzliche Umgestaltung des Bildungsganges der angehenden Apothe- ker. Es fragt sich, ob die Erreichung der Maturitat in demselben Grade als gebieterische Notwendigkeit erscheint , wie die hderung der Priifungseinrichtungen und die Hebung der Pharmaceutischen Institute.

Welchen Nutzen bringt der Maturititszwang dem Pharmaceuten? Die wiinschenswertheste Erhbhung seiner Bildnng, welche ihm nament- lich auch dem Arzte gegeniiber eine etwas giinstigere , wenigstens geachtetere Stellung eintragen kannte. Die hauptstchlich greifbare Frucht aber w%re die vollkommene Gleichstellung der Pharmaceuten an der Universitat , allerdings auch ein sehr beachtenswerther Fort- schritt. Die vorstehenden Zeilen (Seite 380) haben dargethan, dass die Stellung der Pharmaceuten vorlaufig in sehr hohem Grade ver- bessert werden kann , ohne die einschneidende Maturifatsforderung. Tragt diese letztere nicht den Sieg davon, so kiinnen die Pharma- ceutischen Institute im Sinne dieser Zeilen ausgleichend eintreten und eine endgiiltige Lijsung der Maturitatsfrage vorbereiten ; kaum liegt dann eine Gefahr im Verzuge. Einen andern Vorteil, wenn man hierin einen Vorteil erblicken will, hatte die Maturitatsforderung ferner im Gefolge, wenigstens nach 5 4, Absatz 2 der Priifungsordnung, S. 324, namlich die Herabsetzung der Dauer der Lehrzeit. Werden die neuen Pharmaceutischen Institute ins Leben gerufen , so miissen sie notwendig auf einer neuen Priifungsordnung ruhen , welche sich jedenfalls iiber die Lehrzeit auszusprechen haben wird.

Nicht immer ist die goldene Mittelstrasse die beste und gerade hier wird man eine solche verwerfen, wenigstens ist die pharmaeeu- tische Welt in dieser Frage schroff in zwei Heerlager getheilt, welche allerdings nicht in der Lage sind, sich gegenseitig Zuge- stindnisse zu machen. Die einen erwarten alles Heil van dem Zau- berworte der Maturitit und pflegen sich unbedingt und unbesehen darauf zu verlassen, dass damit ganz ohne weiteres die Hebung des Standes im weitesten Umfange erreicht werde. Der Enthusiasmus glaubt, dass sogar die Stellung des Apothekers dem Arzte gegen- iiber eine unendlich vie1 giinstigere, eine vornehmere werden miisste. Ganz gewiss wird dieses einigermassen der Fall sein kbnnen, sobald auch noch einige andere Bedingungen yon Seiten des Apothekers (Seite 337 u. 340 oben) erftillt sind, welche mit der Maturitat nicht

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zusammenhangen. Im iibrigen wird die Pharmacie sich nach wie vor damit zufriiden geben miissen , ein unentbehrliches , nach der Gediegenheit seiner Leistungen gewiirdigtes , allerdings auch selbst- bewusstes Werkzeug der Medicin zu sein und zu bleiben.

Dass die hiihere Bildung dem Apothekerstande ein vermehrtes Ansehen einbringen wird, ist sicher, doch hat sich an den wahren Sinn der Hatwitlit auch manches Vorurteil gehlngt , welches, oft zum Schaden des Jiinglings, der classischen Gymnasialbildung einen nicht immer gerechtfertigten Vorzug , eine magische Wirkung blind- lings zuschreibt. Die vorliegenden Zeilen wiirden zwecklos sein, wenn es ihnen nicht gelinge, die Anhanger der Maturitlt davon zu iiber- zeugen, dass der Schaden viel tiefer liegt, als dass er einer so ein- fachen Heilung weichen kijnnte. Das dringendste und eingreifendste ist nicht die aussere Stellung des Pharmaceuten, sondern die Ver- besserung seiner eigentlichsten Ausbildung, welche hier als Aufgabe der Pharmaceutischen Institute vorgezeichnet ist. Davon ist keine Rede, durch diese in der Maturifitsfrage jene unmtigliche Mittel- strasse einschlagen zu mollen, wohl aber wird durch die Institute die Maturifit einstweilen aus der Schlachtlinie geriickt. Zunachst die Institute und einige Frist zur Entfaltung ihrer segensreichen Wirksamkeit, dann erst trete man wieder an die inzwischen viel- leicht auch mehr abgeklhte Maturifitsfrage heran.

Andere v e r w e rf e n iiberhaupt grundsatzlich den Gedanken, den Pharmaceuten vol le G y m n a s i a l b i l d u n g zuzumuten und zu die- ser Ansicht bekennen sich nicht wenige h6chst einsichtige und gewiegte Vertreter des Apothekerstandes. Sie befiirchten , dass der notwendige Zugang zum Fache zuriickgehen wiirde ; die nlchste Folge w5re die Vernachlassigung der Apotheken des platten Landes und ein noch grherer , ungesunder Zudrang zu den StSidten als bis- her. Wenn sich diese Befiirchtungen auch einigermassen durch die Erwagung widerlegen lassen, dass das sichere Brot der Apotheke doch wohl immer seine Zugkraft bewghren w i d , so lasst sich eine andere Einrede weniger leicht abweisen. Manche Apotheker - und diesen steht doch wohl hier das gewichtigste Urtheil eu - halten dafiir, dass die allerdings oft sehr eigenartige Richtung der Gym- nasialbildung den Jiingling wenig geschickt mache zur Erfiillung der zahlreichen, oft wenig ansprechenden, sogar griindlich langweiligen Pflichten des Berufes, welche doch fiir das Wohl und Wehe der Mitmenschen von eben so entscheidender Bedeutung sind, wie fur

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den schliesslichen Erfolg , das Lebensgluck des Apothekers selbst. Die Anhtinger dieser Ansicht sprechen vielfach aus Erfahrung und lassen sich nicht einreden, dass gerade jene besondere, auf dem Gymnasium zu voller Bliithe reifende, mitunter allzusehr vom Markte des Lebens abgewendete ideale Erzieliung den angehenden, wie den gereiften Apotheker am sichersten uber die Not des Augenblickes hinwegfiihre und dem Berufe selbst in treuester Hingabe den schiin- sten Lohn abzugewinnen befabige. Unleugbar besteht ein grosser Gegensatz zwischen dem Sandpuncte der vollendeten Gymnasialbil- dung und der aufreibenden Berufsausiibung in der einsamen Apo- theke eines abgelegenen Landstikitchens , wenn es dergleichen noch gibt ; ein schreiendes MisverhAltnis zwischen Mittel und Erfolg, zwischen Vorbereitung und Abschluss lasst sich nicht in Abrede stellen und es ist zu begreifen, dass manche Fachgenossen im Q-e- folge der Xaturifltsforderung eine schleichende epidemische Unzu- friedenheit und Zerfahrenheit am Narke der Pharmacie nagen sehen, welche grosse Gefahren fur den affentlichen Gesundheitsdienst her- aufzubeschwiiren geeignet ist. Diese Seite der Frage ist vie1 zu ernst, um kurzer Hand erledigt zu werden.

So stehen sich die Parteien gegeniiber, enthusiastische Anhanger der MaturifAt und eben so iiberzeugte Gegner dieser Forderung. Fiir die ersteren spricht die gegenwiirtige, unbefriedigende Lage der Phar- macie, fur die zweite Ansicht die grosse Gefahr eines Experimentes, dessen Erfolg ganz gewiss nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden kann; schliige es fehl, so ware der Pharmacie und der Gesellschaft sehr schlecht gedient. Diese ganz begreifliche Uneinigkeit unter den berufensten Vertretern der practischen PhaTmacie ist in hohem Girade bedauerlich und hat dem so dringend notwendigen Fortschritte sehr geschadet; nur eine imposante Mehrheit wird bei den leitenden Behiirden etwas zu erreichen irn Stande sein. So lange sich die- selbe nicht findet, sind die letzteren vollkommen im Rechte, die Frage einer Reform der Pharmacie als nicht spruchreif liegen zu lassen. Aber zum Frieden kann man den Kampfern nicht rathen; man muss h e n mit warmster Ueberzeugung zurufen: Senkt die Fahnen, schliesst Waffenstillstand, ver tagt n u r d i e se e ine Frage, urn gemeinsam wichtigeres zu erreichen! Gewiss ist keine Gefahr im Verzuge ; sofern inzwischen die segensreiche Umgestaltung des pharma- ceutischen Unterrichtes durchgefiihrt wird , kaim die Maturifatsfrage einige Zeit ruhen , urn spatiter unter weit giinstigeren UrnstSlnden

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erwogen xu werden. Heute hat wcder die eke , noch die andere Partei die mindeste Aussicht, ihre Meinung durchzusetzen, aber beide vereint werden sicherlich diejenigen viel wertvolleren , viel unzwei- felhafteren Verbesserungen zu erreichen im Stande sein, deren Um- risse hier in grossen Ziigen entworfen worden sind. Dass darin die sichern und gesunden Keime eines grossen Fortschrittes liegen, darf wohl zuversichtlich behauptet werden ohne gerade fiir die Form der hier empfohlenen Massregeln die Unfehlbarkeit in Anspruch zu nehmen. Denn bei dem Ausbau dieses ganzen Planes werden sich Einzelfragen zeigen, deren Beantwortung nicht von vornherein gege- ben ist. Wer jedoch ruhigen Blickes die Lage des pharmaceuti- schen Unterrichtes in Deutschland ins Auge fasst, wird die Ueber- zeugung theilen, dass es nicht mehr hnge so gehen kann. Geschieht nichts von alledem, was hier und auch von andern Seiten gefordert wird, so hbrt iiber kurz oder lang der pharmaceutische Fachunter- richt auf. Da dieses von manchen Seiten empfohlen und angestrebt wird , so erscheint es As Pflicht der pharmaceutischen Kreise, sich im Widerstande gegen diese Ansichten zu einigen und die letzteren durch bessere Griinde zu entkraften, nicht aber die kostbare Zeit und Kraft langer zu vergeuden durch den Streit um die Xaturitat. Denn diese, in dem gewbhnlichen Sinne des Wortes, ist nicht uner- llssliche Vorbedingung fiir die Hebung der Fachbildung , so begeh- renswert sie auch erscheint.

VIII. Neue Priihgsordnung , nener Unterrichtsplan. An die neuen oder erneuten Pharmaceutischen Institute asst

sich mit Leichtigkeit eine viel bessere Priifungsordnung anlehen und aus dieser schbpfen die Institute ihrerseits einen guten Theil ihrer Kraft und Berechtigung. Die grbssere Zahl der an den weni- gen Priifungsorten zusammenstrbmenden Candidaten trifk dort weit vollkommenere Einrichtungen , die Behbrden eine grbssere Auswahl von Examinatoren. Es wird leichter gelingen, auch aus dem Kreise der Apotheker hbchst geeignete und bereitwillige Examinatoren zu gewinnen, da es sich nicht mehr um 23 Priifungscommissionen han- delt ; eine wirksamere Herbeiziehung der Apotheker selbst wird vom giinstigsten Einflusse auf den ganzen Stand begleitet sein. Es ist mbglich, nunmehr der Priifungscommission mehr inneren Halt zu geben , sie zu mehr collegialen Beschliissen zusammenzufassen und den Einzelvoten ihre verantwortungsreiche Schkfe zu benehmen.

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Das ganze Priifungswesen wird sich einheitlicher, iibersichtlicher und darum auch gerechter ordnen lassen. Die wenigen Priifungscolle- gien kbnnen sich iiber die Ausfiihrung ihrer Aufgabe bis in all0

Einzelheiten mit Leichtigkeit verstindigen und endlich Ibst sich auch ihre Thdtigkeit iiberwachen , was gegenwiirtig ein Ding der Unmbg- lichkeit ist. Ob ein RSrnchen Mistrauen in dieser Hinsicht heute berechtigt sein kbnnte , mbge hier , im Hinblicke auf die zukiinftigc hessere Einrichtung, Rglich unertjrtert bleiben. Es bedarf auch kei- nes Beweises, dass auf diesen neuen Grundlagen der ganze Gang der Priifung von den jetzt vorhandenen Ubelstiinden befreit werden kann. Und auch hier wieder muss betont werden, dass unter der Aegide der Universifdt oder der technischen Hochschule der hand- werksmiissige Zuschnitt, die Einseitigkeit und Selbstgeniigsamkeit ausschliesslicher Fachschulen , vermieden wird. Aber auch auf die geeiguete Herbeiziehung der practischen Apotheker ist aus den hier zur Geniige entwickelten Gdnden nicht minder Gewicht xu legen. Findet man dieselben aus gussern oder innern Griinden nicht gerade am Sitze der Priifungscommission , so steht einer Berufung geeigne- ter Apotheker aus andern Orten um so weniger etwas im Wege, als gelegentliche Anstande bei der Ausfiihrung des Examens nun- mehr vermittelst der Einrichtungen der Institute sehr leicht gehoben werden ktinnten.

Die Mbglichkeit eines guten Unter r ich tsp lanes und eines zweckmlssigen Priifungsverfahrens ist an die Pharmaceutischen Insti- tute gekniipft, so gut wie diese nicht denkbar sind ohne die Zugabe des Priifungswesens ; hierdurch erst erhalten die Institute ihre volle Bedeutung und der gesamte pharmaceutische Unterricht seinen plan- massigen Abschluss. Die Grundziige eines neuen Unterrichtsplanes sind in den vorstehenden Zeilen gegeben; es wiirde nutzlos sein, denselben hier in den Einzelheiten ausfiihren zu wollen, doch diir- fen einige naheliegende Fragen nicht ganz mit Stillschweigan iiber- gangen werden. Ton Wichtigkeit ist die eigenthiimliche Behandlung, welche die Maturititsangelegenheit (S. 324) in 8 4, Absatz 2 der gegen- wktigen Priifungsordnung erfahren hat. Der Inhaber ekes Maturi- tatszeugnisses erspart sich ein Jahr an der Lehrzeit, gerade als hatte er sich in dem letzten auf dem Gymnasiiim zugebrachten Jahre bereits irgend welche practische Anstelligkeit erworben, welche ihn befihigen ktinnte, sich am Receptirtische, in der Defectur oder im Laboratorinm der Apotheke rascher surecht zu finden und ein-

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zuleben als ein anderer, nur bis zu der Secunda gelangter Jiingling. Der Lehrherr ubernimmt allerdings auch wissenschaftliche Pflichten in Betreff der fachmassigen Vorbildung des Lehrlings und hier kiinnte man annehmen, dass der mit vollen Gtymnasialstudien aus- geriistete Zijgling mit griisserem Fassungsvermiigen an den ,, Ersten Unterricht des Pharmaceuten '' herantreten werde. Doch wird auch dieser Vorsprung sehr oft aufgewogen werden durch naturwissen- schaftliche Torkenntnisse , welche ein nicht ausschliesslich mit clas- sischen Studien genahrter Schiiler in die Lehre mitbringt. ES ist daher zu untersuchen, ob dem mit voller Maturitat eintretenden Jiinglinge eine Pramie zuerkannt werden sol1 , ob es zweckmassig ist, sie in der gegenwartigen Form ( 5 4, Absatz 2) zu gewiihren und ob nicht uberhaupt ein Jahr an der Lehrze i t fiir alle ange- henden Pharmaceuten gekiirzt werden diirfe.

Bleibt nach dem in diesen Betrachtungen empfohlenen Plane die Maturitatsfrage vorerst noch ungeEst, so wiirde auch wohl erst spater zu untersuchen sein, ob und wie die freiwillige Mehrleistung auf dem Gymnasium zu beriicksichtigen sei. Sollte die Maturitat sohliesslich nicht unbedingt verlangt werden , so gabe es bessere Mittel der Auszeichnung. Der durch griindlichere Vorbildung begtin- stigte junge Pharmaceut mijge sich z. B. zu einer Mehrleistung im Pharmaceutischen Institute aufschwingen , eine selbstandige Arbeit liefern, wie es in den franziisischen und americanischen Fachschulen geschieht. Werden diese Thesen und Inaugural-Essays bisweilen in Deutschland zu leicht erfunden , so m6gen die Pharmaceutischen Institute fur dieselben bei uns alsbald einen strengern Masstab schaf- fen. Daran reiht sich dann die Frage, welcher Lohn an eine gedie- gene Dissertation zu kniipfen ware, ob sich der Verfasser nicht hinlanglich durch die academische Doctorwiirde entschadigt findet, ob er nicht in irgend einer Weise etwa bei einer umfassenden Rege- lung des Gffentlichen Gesundheitsdienstes eine besondere Berficksich- tigung zu beanspruchen hgtte, ein Gedanke , der schon mehrfach geaussert worden ist (oben, Seite 322, unter 4). Gewiss wird nie- mand mehr 1 darauf verfallen , innerhalb des Apothekerberufes selbst irgend eine Bevorzugung einzufiihren ; Apotheker erster und zweiter Classe sind ganz undenkbar.

Nicht nur die Dauer der Lehrzeit , sondern auch die dre i j ah- r i g e D i en s t z e i t in der Apotheke wird sich eine Erarterung gefal- len lassen miissen, obschon vorerst nicht einzusehen ist, dass die

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letztere ohne Schaden verkiirzt oder getheilt und durch ein oder zwei Semester Universitiitsstudium unterbrochen werden kiinnte, was auch schon in Anregung gebracht worden ist. Solchen Wiinschen gegeniiber kann nicht genug betont werden, dass die wichtigste Angelegenheit des Stnndes dermalen darauf hinaus lauft, die Grund- lagen seines Wesens neu zu gestalten und zu festigen. Dariiber muss die Einigung zuerst erreicht werden , nicht aber sollten Zeit und Kraft verschwendet werden, um die Ansichten in Betreff der Ausfuhrung zii kliren. 1st einmal die Stellung gewonnen, welche die vorliegende Schrift in den Hauptziigen fur die Pharmacie bean- sprucht, so wird es nicht schwer fallen, das ganze Gebaude zweck- mbsig auszugestalten ; dem grossen Zwecke wird freilich dieser und jener eine Lieblingsidee zum Opfer hringen miissen.

Seit Jahr und Tag hallt es in der Pharmaceutischen Presse wieder von vielstimmigen Klagen (,, Hangen und Bangen in schwe- bender Pein" - Phoebus, 1875) , welche darin einig sind, dass die Pharmacie auf schiefe Bahn gerathen ist. Dass ein guter, viel- leicht der gr6ssere Theil des Misbehagens geschLftliche Ubelstlnde betrifft , ist sehr begreiflich , denn die schliessliche Lebensstellung, welche sich der Apotheker zu erringen vermag, ist fur ihn wich- tiger als wissenschaftlicher Erfolg. Es fehlt aber trotzdem keines- wegs an Einsicht in den Zusammenhang der Dinge; wiederholt ist eine Verbesserung der Lage der Pharmacie ungefihr in dam hier entwickelten Sinne , sogar recht einlisslich gefordert worden , leider aber nicht mit derjenigen Obereinstimmung, welche allein zum Ziele fuhren kann; nicht genug kann die Notwendigkeit der Einigung betont werden.

F. A. Fliickiger , Pharmaceutischer Unterricht in Deutschland.

IX. Centrale Standesvertretung mit eigenem Sitze und eigenen Bulfsmitteln.

Ein anderer ebenso gewichtiger Vorwurf kann dem deutschen Apothekerstande gleichfalls nicht erspart werden. Er hat sich in dem einilussreichen , mlchtig gegliederten D e u t s c he n Ap o t h e- ker-Ver e ine eine treffliche Organisation gegeben, welche z. B. bei Gelegenheit der Neubearbeitung der Pharmacopoea Gterrnanica recht wohl zur Geltung kam, insofern jedenfalls als der Verein bei diesem Werke in wiirdigster und wirksamster Weise vertreten war. Die Fachgenossen in Frankreich und England kiinnen sich einer solchen staatlichen Anerkennung bei iihnlichem Anlasse durchaus

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nicht in gleichem Masse riihmen. Wie vie1 der Deutsche Apothe- ker -Verein unter der energischen Leitung , deren er sich erfreut, fiir die Interessen des Standes leistet und anregt, ist bekannt genug. Dauert auch die unermiidliche ThAtigkeit des Directoriums fiber die Zeit der Jahresversammlungen hinaus, so leidet der Verein doch an dem Mange1 e ines fes ten Si tses . Er tritt nicht hinlbglich in Sicht , er ist , wenn auch eine anerkannte juristische Persiinlichkeit, doch nicht recht greifbar und fassbar, der Natur der Sache nach nicht immer bei der Hand wenn es gilt. Es geniigt nicht, den rechten Mann zu haben, sondern er muss auch am rechten Platze stehen, um die Hebel anzusetzen. Und dieser Platz fehlt dem Deut- schen Apothekerstande. Man wolle ja nicht glauben, dass dieses von untergeordneter Bedeutung sei.

In Paris ging aus einer Anregung des Apothekers Nicolaus Houel (schon gegen Ende des XVI. Jahrhunderts) nach und nach eine Pharmaceutische Schule und eine Pharmaceutische Gesellschaft hervor. Man mag iiber das Centralisationsbediirfnis des Nachbar- volkes denken, wie man will und hervorheben, wie sehr das Land unter dem Einflusse der Hauptstadt zu leiden hatte, so muss man doch zugeben, dass die Pariser Apotheker sich grosser Verdienste urn das Fach riihmen diirfen und sick in ihrer Sociiti de Pharma- cie de Paris seit dem Anfange des Jahrhunderts ein hohes Ansehen zu erringen verstanden haben. B ou ill on - Lag ran g e , Br on gni a r t , V au q u e l in , die beiden Boullay, Guibourt , Bussy, Caventou, SBrullas, Soubeiran, Gaul t ie r de C l a u b r y , Boudet, B u i g n e t beispielsweise sind in der *That Namen aus jenem Kreise , welche tiichtige wissenschaft- liche Leistungen auf pharmaceutischem Boden bedeuten. Dass einige ihrer Wiger nicht oder nicht ausschliesslich der Pharmacie ange- hijrten und dass ihre Arbeiten theilweise weit iiber die Apotheke hinausgriffen, spricht nur fiir das Ansehen, dessen sich die Phar- macie in Paris erfreute zu einer Zeit, wo die franzbsische Wissen- schaft in weit hijherem Glanze strahlte als heute. Der vereinten Thatigkeit der dortigen Pharmaceutischen Schule und der genannten Pharmaceutischen Gesellschaft ist es auch vornamlich zu danken, dass die Beziehungen der Pharmacie zu der wissenschaftlichen Me- dicin sehr erfreulicher und fir die erstere sehr ehrenvoller Natur sind; von jeher sassen und sitzen Pharmaceuten im hohen Rate der wissenschaftlichen Medicin Frankreichs , frei gewahlt von der

Rob i qu e t , P e 11 e t i e r , L a ug i e r ,

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Academie selbst. Wo kime dergleichen in andern Landern vor ! Kleider machen Leute; der Palast der Ecole de Pharmacie in Paris steht dem Stande nicht iibel. Gibe es nur in Deutschland auch einen Nicolaus Houel! Doch, es ist unbillig, zu vergleichen; Paris zehrt an einem mehrhundertjahrigen wissenschaftlichen Ruhine ; auf solchem Boden bedurfte es nix der wenig anstrengenden Znsam- menfassiing der reichlich vorhandenen KrHfte, um der Pharmacie in nachhaltiger Weise zu dienen, in einer Atmosphke, wo ohnehin die Centralisation iiberall reift. In dieser Art kijnnte in Deutsch- land nur von Berlin, doch nur seit einigen Jahren die Rede sein.

Aber um so bewunderungswiirdiger ist die Leistung des unvergleichlichen Apothekers Jacob Bel l (1810-1859). Dieser treffliche Mann, nichts weniger als ein Gelehrter , erkannte mit richtigem Blicke, was dem allerdings sehr erbizmlichen Apothekenwesen seines Lan- des not that. Am 15. April 1841 griindete Jacob B e l l die Pharmaceutical Society of Great Britain, im Juli des gleichen Jahres liess er die erste Nummer des Pharmaceutical Journal vom Stapel iind am 18. Februar 1843 erfolgte die staatliche Anerkennung der Gesellschaft (Royal Charter of Incorporation) mit der Berechtigung, Examinatoren der Pharmacie zu ernennen und vollgiiltige beziigliche Diplome auszustellen. B e 11 verfolgte die Weiterentwickelung seiner Schijpfung unermiidlich und unterzog sich 1850 sogar der widerwk- tigen Bewerbung um einen Sitz im Parlament, um dort noch die Vervollsthdigung und einige Ausfiihrungsbestimmungen jener ersten Anerkennungsurkunde zii erkiimpfen, was endlich am 30. Juni 1852 durch den ,, Phamacy Act " erreicht wurde. Durch das Recht zur Ernennung eines von der Gesellschaft abhingigen Registrators erlangte dieselbe die Oberaufsicht iiber das ganze pharmaceutische Personal Grossbritanniens und ein fernerer ,,Pharmacy Act " vom 31. Juli 1868 iibertrug der Gesellschaft noch die Regelung des Giftverkau- fes. Inzwischen hatte diese auch schon im Bewusstsein ihrer ver- antwortlichen Stellung eine pharmaceutische Schuie errichtet und sich 1857 die von der letztern benutzten Gebgude gesichert. In diesem Mittelpuncte des englischen Apothekerwesens haben die Lei- ter der Gesellschaft ausser den Hijrsaen und Laboratorien eine vortreffliche fachwissenschaftliche Bibliothek von 9000 Blnden zu freiester Benutzung aufgestellt und eine nicht minder werthvolle Drogensammlung untergebracht, welche durch einen tiichtigen Beamten

Buch London ist ein weit weniger giinstiger Boden.

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beaufsichtigt und vermebrt , auch hiufig von dem letzteren zu lehr- reichen Mitteilungen im Journal der Gesellschaft benutzt wid. Ferner hat die Gesellschaft in Edinburgh ahnliche Einrichtungen fiir die Pharmacie Schottlands getroffen und denselben am 13. Novem- ber 1884 ein eigenes Gebaude angewiesen.

Nun mag man freilich Betrachtungen dariiber anstellen, dass das ijffentliche Leben in England ganz andern Gesetzen, bisweilen auch gar keinen - mijchte man sagen, folgt als auf dem Continente. Man mag es ungeheuerlich finden, dass Apothekern die Leitung ihrer Berufsange- legenheiten im weitesten Sinne in die Hand gegeben wurde statt regelrechten Regierungsraten , aber des Eindruckes eines achtung- gebietenden, thatkraftigen Standesbewusstseins zu allgemeinem Nutzen und Frommen kann man sich nicht erwehren. Durch diese freie Vereinigung von Apothekern ist unleugbar sehr vie1 gutes geschaffen worden. Ein Hauptgrund ihfes Erfolges liegt eben darin, dass die Gesellschaft ihren bleibenden Sitz in der Metxopole hat.

Es ware zu verlockend, noch langer bei diesen, vm grossen Mitteln getragenen Bestrebungen und Leistungen aushdischer Fach- genossen zu verweilen, wohl gar noch einen Blick auf die america- nischen Colleges of Pharmacy zu werfen, welche auch einmal in nicht allzu grosser Ferne erstarken werden. Doch sollen diese kur- zen Andeutungen nur zeigen, welche Kraft die Pharmacie aus einem stiindigen Mittelpuncte schijpfen kann. Dadurch erst tritt sie ver- k6rpert in lebensvolle Erscheinung , verbreitet Anregung und Unter- stiitzung nach allen Seiten, befreit sich von Fesseln mancher Art und verscheucht bemiihende Vorurteile. Gilt es, irgend welche Ziele des Standes in practischer oder wissenschaftlicher Richtung nachdriicklich zu verfolgen und der ijffentlichen Meinung gegeniiber oder bei den Staatsbehtirden zu vertreten, so sind die Mittel dazu in grijsster Vollstiindigkeit schlagfertig bei der Hand - wenn sich eben die Apotheker rechtzeitig jenen Stiitzpunct geschaffen haben, wie es die englischen Collegen in Bloombury Square verstanden. Davon kann nicht die Etede sein, deutsche Eigenart und unabander- liche Einrichtungen verlcennend, der Obertragung aualbdischer An- schauungen und Gewohnheiteu auf deutachen Boden das Wort zu reden; eines schickt sich nicbt fiir alle. Aber ausser aller Frage stahen die gxossen Vortheile , welche der Pharmacie Deutschlands aus einem solchen Brennpuncte erwachsen miissten; der Mangel eines solchen ist eine Versaumnis, die man urn so schlrfer riigen

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darf , je lauter manigfaltige Beschwerden der Apotheker die Tages- literatur fiillen. Hilf dir selbst, so wird dir Gott helfen! In Deutsch- land ist diese Aufgabe schwieriger als in andern Llndern; darin liegt niir eben eine Aufforderung mehr, dieselbe mit vereinten und erhijhten Krlften anzugreifen, ist ja doch bereits in dem machtigen Deutschen Apotheker -Vereine eine unschgtzbare Stiitze gegeben, welche ihrerseits auch nur Fijrderung von einem stindigen Mittel- puncte aus zu gewartigen hatte. Ungesucht wiirden sich die Auf- forderungen zur Entfaltung lohnender schijpferischer Thatkraft ein- stellen. Wie vie1 nachdrticklicher wiirden sich z. B. von dem in einem solchen Brennpuncte sitzenden hohen Rate der Pharmacie die in diesen Byittern erijrterten Unterrichtsfragen behandeln las- sen, wie kfiftig wiirde man von dort aus auf die Erhijrung man- cher Beschwerden des Standes tlringen ! Wie erspriesslich wfre es, von einem solchen Sitze aus mit den Behijrden zu verkehren. Der Mangel eines solchen ist ein sehr grosser Ubelstand, denn nur wer rechtzeitig bei der Hand ist, erreicht etwas.

In richtiger Voraussioht hat der Apotheker -Yerein eine Com- mission bestellt , welche ihm uber die Pharmacopce der Zukunft schon jetzt berichten soll, aber es halt schwer, diesen Ausschuss im Gange zu erhalten ; von jener leitenden Centralstelle aus wiirden derartige Aufgaben bequem zu bewaltigen , vielleicht sogar durch ein besonderes Laboratorium und Museum zu unterstiitzen sein. In dem bisher durch Privatthatigkeit zu Stande gekommenen Jahres- berichte der Pharmacie ist ein nicht zu unterschitzender geistiger Hebel gegeben , welcher aber in den letzten Jahren gelegentlich starken Hemmungen ausgesetzt war. Die nachhaltige Farderung auch dieser Leistung ware eine bedeutsame Aufgabe einer stidigen Vertretung des Paches.

Doch genilgt der Thatendrang allein nicht; er bedarf des giin- stigen Bodens und Spielraumes. Wie trefflich wiirde sich dam der heutige Mittelpunct der wissenschaftlichen und industriellen Chemie eignen, der Sitz gross angelegter , aufbliihender botanischer Institute wissenschaftlicher und practischer Richtung , wo sich ferner in der nlchsten Zukunft der gerade auch fiir die Pharmacie bedeutsame Einfluss uberseeischer Beziehungen fiihlbar machen wird! Gewiss, bleibt die Pharmacie auf dieser Arena im Hintergrunde, so fehlt es an Selbsterkenntnis ; nirgends fliessen Hiilfsquellen aller Art so uberreich wie hier.

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Man bekommt gelegentlich von dem Vereine der Apotheker Berl ins zu hBren; wann wird dort der deutsche Nicolaus Houel oder Jacob Bell erscheinen? Was in Wien miiglich ist, sollte in Berlin nicht noch vie1 besser zu erreichen sein?!

X. Vorschl%ge. Der Verfasser der vorstehenden Zeilen wUrde sich mit diesen

nicht vor das Forum der Offentlichkeit wagen, wenn er nicht auf das innigste von der nberzeugung durchdrungen wBe, dass seine Vorschllge geeignet sind, den hauptsachlichsten Ubelstiinden, welche auf der deutschen Pharmacie lasten, grundlich abzuhelfen. Es ist alIerdings die Meinung des Verfassers , dass dieses wesentlich auf keinem anderen Wege erreichbar sei, doch bilden seine Eriirterungen nur eben die Grundlage und die Umrisse eines Neubaues, welchen sich allerdings die Einzelheiten in der Ausfuhrung zu fiigen hat- ten. Absichtlich ist fur jetzt vermieden worden, von den letzteren mehr in diese Blatter aufzunehmen , als was unerllsslich schien, urn das innerste Wesen des Baues unzweideutig hervortreten zu lassen.

Die gr6ssten Anstrengungen der beteiligten Kreise werden erfor- derlich sein, um nur die Bausteine zu gewinnen und auch jene Anstrengungen sind nur erreichbar , wenn sich ein einheitlicher Wille fur das Programm erblkt. Sind diese Vorbedingungen erfullt, so werden sich auch die Bauleute einstellen, welche zum Abschlusse des Ganaen jetzt noch fehlen miigen. Zuerst die grossen, folgen- reichen Angelegenheiten, dann erst die davon abhgngigen Massregeln und Einrichtungen! Miichte es gelingen , alle diejenigen Kreise, welche von der Bedeutung des Apothekerstandes diirchdrungen sind, ob zu demselben gehiirig oder nicht, zu uberzeugen und auf folgende Zielpuncte zii vereinigen:

1) Verminderung der Zahl der Priifungscommissionen auf ein Viertel.

2) Sitz derselben in den Pharmaceutischen Instituten. 3) Hebung und Sicherung der Pharmaceutischen Institute inner-

halb ihrer Zugehiirigkeit zu den Universitiiten oder technischen Bochschulen.

4) Erweiterung des Unterrichtsplanes gestiitzt auf die vollkom- menere Einrichtung der genannten Institute.

Arch. d. Pharm. d. Bds. 11. Hft. 29

426 W. Mielck , Unna’sohe Diinndarmpillen.

5) Bessere Priifungsordnung mit wirhamer Vertretung des Apo- thekerstandes.

6) Vertagung der Maturitiitsfrage. 7) Griindung eines festen Mittelpunctes der deutschen Pharmacie.

Ueber Unna’sche Diinndarmpillen. Ton Dr. W. M i e l e k in Hamburg.

Die Grfinde, welche bisher Veranlassung gaben, Pillen mit einer UmhiiIlung zu versehen, waren ihrer Bedeutung nach rein ausser- liche. Das eine Ma1 galt es, den widerlichen Geruch der Pillen zu verdecken, das andere Ma1 dieselben so iiber die Zunge zu bringen, dass entweder eine diinne Haut den schlecht schmeckenden Inhalt vor der Abgabe an den Speichel bewahrte, oder eine angenehm- schmeckende Hiille sich darbot. Auch der Gesichtssinn fand seine Berficksichtigung ; freundlich liichelten die silbernen Kfigelchen und der vor Zeiten beliebte Goldiiberzug sollte Gewiihr leisten fiir den Werth des Innern.

Eine besondere Valenz fiir das Verhalten der Pille im Innern des Menschen konnten und sollten alle diese Ueberzuge nicht haben.

Auch ktimmerte man sich bisher wenig darum, in welcher Region des Verdauungstraktus die Aufnahme des Pilleninhaltes vor sich ging , T O die Lijsung der Pale ihren Anfang nahm und ihre Endschaft erreichte. Im Allgemeinen nahm man wohl an, dass jede gut bereitete Pille bereits im Magen zergehe, und dass die Bestand- theile derselben, so weit sie nicht etwa schon von der Magenwan- dung aufgesogen , zusammen mit dem weiter befijrderten Magen- safte dem Darm zugefihrt wurden. Dass Pillen im scheinbar unver- anderten Zustande dem Lichte der Aussenwelt wieder zugefiihrt wer- den, ist allerdings auch gelegentlich konstatirt worden.

Ob aber der eine oder der andere Stoff in seiner Wirkung modificirt werde, oder auch in ganz anderer Weise dieselbe aussere, je nachdem er gleich anfangs vom Magen her, oder erst spiiter vom Darme oder von den verschiedenen Abtheilungen des Darmes ails dem Saftecyclus zugefuhrt werde , diese Frage konnte bisher kaum aufgestellt , geschweige denn geltist werden , da zu einer Methode, die niithigen Beobachtungen anzustellen , mit dem ersten Anfange auch Ales andere fehlte.