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Hagener Juristische Beiträge Band 2 Der Reichsfinanzhof und seine Rechtsprechung in steuerlichen Angelegenheiten jüdischer Bürger 1933 – 1945 Michael Schmitt

Der Reichsfinanzhof und seine Rechtsprechung in ... · rischer Art auf die Institution Reichsfinanzhof einwirk-ten. Dabei soll zum einen Entstehung und Verfassung des RFH, aber auch

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Hagener Juristische Beiträge Band 2

Der Reichsfinanzhof und seine Rechtsprechung in steuerlichen Angelegenheiten jüdischer Bürger 1933 – 1945

Michael Schmitt

16,10 €ISBN 978-3-96163-059-2

http://unipress.readbox.net

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Michael Schmitt

Der Reichsfinanzhof und seine Rechtsprechung in steuerlichen Angelegenheiten jüdischer Bürger 1933 – 1945

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Hagener Juristische Beiträge

Band 2

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Der Reichsfinanzhof und seine Rechtsprechung in steuerlichen

Angelegenheiten jüdischer Bürger 1933 – 1945

von Michael Schmitt

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in

der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die vorliegende Arbeit wurde von Prof. Dr. Dr. Thomas

Vormbaum betreut und hat im Sommersemester 2010 als

Masterarbeit im Studiengang „Master of Laws“ der Rechtswissen-

schaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen vorgelegen.

1. Auflage 2017 ISSN 2511-0411 ISBN 978-3-96163-059-2 readbox unipress in der readbox publishing GmbH Münsterscher Verlag für Wissenschaft Am Hawerkamp 31 48155 Münster http://unipress.readbox.net

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Inhaltsverzeichnis

A) Einleitung .......................................................................... 9

B) Rahmenbedingungen im zeitlichen Kontext ............. 13

I. Entstehung des Reichsfinanzhofes........................... 13 1. Historie .................................................................. 13

a) Steuerrecht und Steuerrechtsprechung im Kaiserreich ................................................ 13

b) Steuerreform und Aufgabenzuwachs in der Weimarer Republik ................................ 17

c) Der Reichsfinanzhof im Unrechtsstaat ..... 18 2. Finanzgerichtlicher Unterbau ............................ 19 3. Besetzungsverfahren des Reichsfinanzhofes ... 23

II. Diskriminierende Steuergesetzgebung 1933 – 1945 ................................................................................ 24

1. Diskriminierungen auf konventionellem Steuerrechtsgebiet ................................................ 24 a) Steueranpassungsgesetz 1934 ..................... 24 b) Verordnung zur Änderung des

Einkommensteuergesetzes vom 1. Februar 1938 ............................................. 28

c) Verordnung zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom 17. Februar 1939 ........................................... 29

d) Verordnung zur Änderung des Vermögensteuergesetzes vom 31. Oktober 1939 .......................................... 30

e) Durchführungsverordnung zum Umsatzsteuergesetz vom 23. Dezember 1938 ....................................... 30

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f) Gesetz über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusvereinigungen vom 28. März 1938 .................................................31

2. Diskriminierende steuerliche Einzelgesetze .....31 a) Judenvermögensabgabe ................................31 b) Arisierungsabgabe..........................................36 c) Sozialausgleichsabgabe .................................38

3. Sonderfall Reichsfluchtsteuer .............................39 4. Rechnerisches Beispiel für die

Ungleichbehandlung.............................................47 III. Beamtenrecht 1933 – 1945 .........................................48

1. Status quo im Jahr 1933 .......................................48 2. Gesetz zur Wiederherstellung des

Berufsbeamtentums ..............................................50 3. Reichsbürgergesetz ...............................................52 4. Deutsches Beamtengesetz ...................................54

IV. Personelle Veränderungen beim RFH nach dem Machtwechsel ................................................................55

C) Spruchpraxis des Reichsfinanzhofes ...........................61

I. Stellung der Richter......................................................61 II. Verhältnis des Reichsfinanzhofes zum Reichs-

finanzministerium ........................................................62 III. Wirtschaftliche Betrachtungsweise............................68 IV. Rechtsprechung des RFH in steuerlichen An-

gelegenheiten von Juden ............................................71 1. Rechtsprechung zur Reichsfluchtsteuer ............72

a) Verfahren zu § 2 Ziff. 3 RFlStV .................73 b) Verfahren gegen § 2 Ziff. 4 und § 3

RFlStV .............................................................86 c) Gutachten des Großen Senats vom

7. August 1936 ...............................................93 d) Sonderfall zur Auslegung gegen den

Gesetzeswortlaut ...........................................98

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e) Stellungnahme ............................................... 99 2. Rechtsprechung zur Gemeinnützigkeit

jüdischer Organisationen .................................. 100 a) Urteile ............................................................ 101 b) Auswirkung der Rechtsprechung ............. 111 c) Stellungnahme ............................................. 112

3. Rechtsprechung zur Judenvermögensabgabe 113 4. Rechtsprechung zur sog. Arisierungsabgabe . 115 5. Rechtsprechung zu steuerlichen

Einzelgesetzen .................................................... 119 6. Kontroverse Entscheidungen .......................... 133 7. Positivismusthese ............................................... 137

D)Umgang mit Steuerrecht und Rechtsprechung aus der Zeit des Nationalsozialismus nach dem 8. Mai 1945 .................................................................... 143

I. Formeller Umgang .................................................... 143 1. Fortgeltung des Steuerrechts ............................ 143 2. Personelle Konsequenzen führender

Akteure ................................................................. 144 a) Reichsfinanzminister Schwerin von

Krosigk ......................................................... 145 b) Staatssekretär Reinhardt ............................ 147 c) Chefpräsident Mirre ................................... 150 d) Stellungnahme ............................................. 152

3. Institutionelle Kontinuität RFH – OFH – BFH ...................................................................... 153

4. Rückgabe – Entschädigung – Wiedergutmachung ............................................ 155

II. Materieller Umgang ................................................... 156 1. Personelle Kontinuität ....................................... 156 2. Rückgriff auf die Rechtsprechung des RFH

in der Spruchpraxis des BFH ........................... 157

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E) Abschließende Überlegungen zur Kontinuitätsthese ......................................................... 169

Literaturverzeichnis ........................................................... 173

Abkürzungsverzeichnis .................................................... 179

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A) Einleitung

Im Jahr 2010 wird neben dem Bundesgerichtshof auch der Bundesfinanzhof auf ein sechzigjähriges Bestehen zurückblicken können. Im Jahr 1993 fand allerdings beim Bundesfinanzhof in München bereits eine 75-Jahr-Feier statt, da der Reichsfinanzhof, in dessen Tradition stehend sich der BFH sieht, schon 1918, noch von Kai-sers Gnaden, seine Arbeit aufnahm. Diese Kontinuitätsthese löste 1993 einen scharf geführ-ten Streit in der Fach- wie in der Tagespresse aus. Es wurde einerseits argumentiert, dass der Reichsfinanzhof zwischen 1933 und 1945 schmähliche Unrechtsurteile gegen Kirchen und Juden gefällt habe. Würde man die Zeit der furchtbaren Juristen des Reichsfinanzhofes in die Tradition des Bundesfinanzhofes einbeziehen, perpe-tuiere man die Diskriminierung der Juden. Andererseits, so die Gegenposition, dürfe über den unbestreitbaren Unrechtsurteilen nicht vergessen werden, dass in der weitaus überwiegenden Anzahl der Entscheidungen sachlich Recht gesprochen wurde und diese Urteile zum Teil auch heute noch Bestand hätten. In genau dieser Rechtstradition stehe der Bundesfinanzhof. Diese Aus-sage findet sich auch heute noch im Internetauftritt des BFH. Begünstigt wurde diese Auseinandersetzung dadurch, dass eine systematische Aufarbeitung der Rechtspre-chungstätigkeit des Reichsfinanzhofes zwischen 1933 und 1945 auch heute im Jahr 2009 noch fehlt. Die ge-naue Anzahl der Urteile, bei denen nicht Recht, sondern aus rassistischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen Unrecht gesprochen wurde, ist bis heute nicht bekannt.

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Beim Festakt am 30. September 1993 unter dem Motto „75 Jahre Reichsfinanzhof – Bundesfinanzhof“ überwog – wenig überraschend – die zuletzt dargestellte Ansicht. Ausweislich der Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung vom 1. Oktober 1993, und abweichend vom veröffentlichten Redemanuskript1, führte der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber sogar aus, der Reichsfinanzhof sei wegen des Gesetzesbefehls in § 1 Steueranpassungsgesetz 1934, die Gesetze nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen, zur antisemitischen Rechtsprechung gezwungen gewesen. Durch diese Einleitung sind die Themen bereitet, die in dieser Arbeit untersucht werden sollen: Welche Rolle spielte die Steuerrechtsprechung von 1933 bis 1945 in einem System der Unterdrückung und des Terrors, das teils legale, teils anarchische Züge trug? Wenn es um die Anwendung der nationalsozialistischen Steuergesetze und Verordnungen gegenüber „arischen“ und „nichtarischen“ Rechtssuchenden geht, so stellt sich die Frage: Wie weit konnten die Richter unter der Dikta-tur ihre Eigenständigkeit und ihre traditionellen Grund-sätze der Steuerrechtsprechung wahren? Und wie groß war die innere Bereitschaft, den von Staats wegen ver-folgten Minderheiten die gleiche Behandlung zu gewäh-ren wie anderen Prozessparteien auch? In der bis heute nur spärlich vorhandenen Literatur über die Rechtspre-chung des Reichsfinanzhofes im Dritten Reich gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen über die Haltung der Richter gegenüber der nationalsozialistischen Politik. Ein

1 Der Präsident des Bundesfinanzhofs (Hrsg.), 75 Jahre Reichsfi-

nanzhof – Bundesfinanzhof, Festakt und Ausstellung., S. 23.

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stark verbreitetes Geschichtsbild betont das Verdienst, das sich der Reichsfinanzhof erworben hätte, indem er versuchte – wenn auch mit wechselndem Erfolg - die rechtsstaatliche Tradition nach Kräften zu wahren. Dem müssen eine Reihe von Entscheidungen entgegengehal-ten werden, in denen der Reichsfinanzhof erheblich von rechtsstaatlichen Grundsätzen abwich und sich eindeutig als verlängerter Arm des Reichsfinanzministeriums und damit als Machtinstrument des nationalsozialistischen Regimes erwies. Dieses teilweise sehr widersprüchliche Verhalten des Reichsfinanzhofes wirft die folgende Frage auf: Wurden die Richter nach der Machtergreifung zwangsläufig ein Opfer ihres unpolitischen Bewusstseins und ihrer strengen Gesetzestreue? Oder legten sie die Gesetze je nach den politischen Erfordernissen unter-schiedlich aus und leisteten damit einen eigenständigen Beitrag zu ihrer unglücklichen Rolle in der Diktatur, nämlich in politisch bedeutungslosen Angelegenheiten als traditionelle Wahrer des Rechts zu dienen, in poli-tisch relevanten Fällen hingegen als freiwillige „Kampf-justiz“ gegen die vermeintlichen Gegner des Nationalso-zialismus zu agieren? Im Folgenden soll anhand von Entscheidungen unter-sucht werden, inwieweit die oberste Steuergerichtsbar-keit diese Rolle des „Gehilfen des Reichsministeriums der Finanzen“ übernommen hatte oder übernehmen musste; und inwieweit sie den Spielraum der Gesetzes-auslegung dahingehend ausnutzte, die gesetzlich angeleg-ten Unrechtselemente weiter zu verschärfen, um den Machtanspruch des nationalsozialistischen Regimes gegenüber der Bevölkerung und gegenüber rassischen Minderheiten weiter zu festigen. Diese Arbeit beschränkt

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sich darauf, die Restriktionen im Steuerrecht und die zugehörigen Entscheidungen des Reichsfinanzhofes gegenüber Angehörigen des jüdischen Glaubens zu untersuchen. Wie diese waren aber auch Sinti, Roma und osteuropäische Fremdarbeiter, insbesondere Polen, sowie Kirchen, geistliche Orden und lebensanschauliche Vereinigungen Adressaten steuerlicher Ungleichbehand-lung. Diesem Teil C der Arbeit wird in Teil B vorangestellt, welche Rahmenbedingungen rechtlicher und organisato-rischer Art auf die Institution Reichsfinanzhof einwirk-ten. Dabei soll zum einen Entstehung und Verfassung des RFH, aber auch die Steuergesetzgebung und die Änderungen im Beamtenrecht nach 1933 dargestellt werden. Im abschließenden Teil D wird untersucht werden, wel-che persönlichen Konsequenzen sich nach 1945 für die Beteiligten aus ihrem Wirken zwischen 1933 und 1945 ergaben und wie mit der Hinterlassenschaft, der Spruch-praxis des RFH, in der Folgezeit umgegangen wurde. Daraus soll dann der zweite Themenkomplex, die Kon-tinuitätsfrage RFH – BFH, beleuchtet und beurteilt werden. Eine abschließende Klärung dieser Frage ist allerdings, soviel sei vorweggenommen, im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich.

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B) Rahmenbedingungen im zeitlichen Kontext

I. Entstehung des Reichsfinanzhofes

1. Historie

a) Steuerrecht und Steuerrechtsprechung im Kaiser-reich

Das Deutsche Reich von 1871 war auf der Grundlage eines freiwilligen Bundes souveräner deutscher Einzel-staaten2 als föderativer Bundesstaat errichtet worden. Nach der Verfassung vom 16. April 18713 wurde der Finanzbedarf des Reiches zunächst weitgehend aus Zöl-len und Matrikularbeiträgen der Länder gedeckt.4 Das System der Matrikularbeiträge bestand im Wesentlichen darin, dass die einzelnen Bundesglieder jeweils sämtliche in ihrem Land aufkommenden Steuererträge (mit Aus-nahme der Zölle) erhielten und an den Oberstaat zur Bestreitung der gemeinsamen Aufgaben Mitgliedsbeiträ-ge zahlten. In diesem System erhielten die Einzelstaaten über den Bund ein finanzielles Übergewicht, da sie bei der Festsetzung der Beiträge als die Gebenden ein ent-scheidendes Wort mitzureden hatten.5 Bereits Bismarck wollte von den Ländern unabhängiger werden und be-mühte sich, ohne Erfolg, um die Einführung von Reichssteuern. Sowohl seine Pläne zur Schaffung von Reichsmonopolen, als auch zur weiteren Ausschöpfung der Verbrauchssteuern scheiterten. Die Finanznot des Reiches (ständige Haushaltsdefizite und Anwachsen der

2 Siehe im Einzelnen: Präambel zur Reichsverfassung vom 16.April

1871, RGBl. S. 63. 3 RGBl. 1871, S. 63. 4 Art. 70 RV. 5 Leidel, Herbert, Die Begründung der Reichsverwaltung, S. 46.

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Reichsschulden), verursacht durch Sozialausgaben und Verteidigungslasten, machte schließlich eine grundsätzli-che Finanzreform, vor allem die Einführung direkter Reichssteuern und eine Trennung der beiderseitigen Haushalte immer erforderlicher. Erhebung und Verwaltung dieser in der Folgezeit einge-führten Zölle und Steuern6 oblag den einzelnen Bundes-staaten7 - 1918 waren es 26 Landessteuerverwaltungen – ohne einheitliche Kontrolle. Da ländereinheitliche Erlas-se oder vom Reich erlassene Richtlinien für die einheitli-che Handhabung unbekannt waren, führte die Veranla-gungstätigkeit der einzelnen Finanzverwaltungen zu unterschiedlichen Ergebnissen.8 Ebenfalls uneinheitlich war der gerichtliche Rechtsschutz in Steuersachen ausgestaltet. Das Reich hatte 1879 neben dem Reichsschatzamt auch das Reichsgericht errichtet, das für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen zuständig war. Für das wachsende Gebiet der Reichs-steuersachen fand man die Konstruktion, dass sich „der Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nicht mit dem der zivilrechtlichen Streitigkeiten decke und nicht schlechthin solche Ansprüche ausschloss, welche nach heutiger Auffassung als öffentlich-rechtliche angesehen werden“.9 Dem Reichsgericht wurden daher letztinstanz-lich auch die mit bürgerlich-handelsrechtlichen Fragen 6 1906 Erbschaftsteuer, 1909 bis 1913 Wehrbeitrag- und Besitzsteu-

ern, 1916 Kriegssteuergesetz auf Vermögen und Vermögenszu-wachs während der ersten drei Kriegsjahre, 1918 Kriegsabgabe für Kriegsmehreinnahmen, 1916 Gesetz über den Warenumsatzstem-pel, 1917 Kohlesteuer, 1918 Bier- und Weinsteuer.

7 Art. 36 I RV. 8 Offerhaus, Klaus, UR, 1993, S. 319. 9 RGZ 92, 313.

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zusammenhängenden Reichssteuern10 zugewiesen. Für den Wehrbeitrag und die Besitzsteuern von 1913, sowie für die Kriegsabgaben von 1916, drei wichtige direkte Reichssteuern, wurde die Bestimmung der Rechtszüge den Landesgesetzen überlassen, wodurch mehrheitlich der Verwaltungsrechtsweg mit dem jeweiligen Landes-verwaltungsgerichtshof, in einigen Ländern aber auch der ordentliche Rechtsweg mit dem Reichsgericht als letzter Instanz gegeben war.11 Dieser unbefriedigende Zustand drängte zu einer ein-heitlichen Revisionsinstanz in Steuersachen. Die Initiati-ve dazu ging von einem Unterausschuss des Haushalts-ausschusses des Reichstages aus, der im Sommer 1918 den Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes vorberiet und dabei eine Resolution zur Schaffung eines obersten Steuergerichtshofes „entsprechend dem Reichsgericht“ fasste. Letztlich machte der Reichstag seine Zustimmung zur neu einzuführenden Umsatzsteuer12 von der Errich-tung eines obersten Steuergerichtshofes des Reiches abhängig. Sein Motiv war, „dass wenn auf der einen Seite den Bürgern immer höhere Steuern auferlegt werden müssten, die Bürger auf der anderen Seite einer Garantie bedürften, dass die Gesetze im ganzen Reiche einheitlich

10 Erbschaftsteuer nach dem Reichserbschaftsteuergesetz vom 3. Juni

1906, RGBl. 1906, S. 654; Wechselstempel nach dem Reichswech-selstempelgesetz vom 15. Juli 1909, RGBl. 1909, S. 825; Reichs-stempelabgabe nach dem Reichsstempelgesetz vom 3. Juli 1913, RGBl. 1913, S. 639; Warenumsatzstempel nach dem Warenumsatz-stempelgesetz vom 26. Juni 1916, RGBl. 1916, S. 639; Abgaben von Personen- und Güterverkehr vom 8. April 1917, RGBl. 1917, S. 329.

11 Pausch, Alfons, von-Wallis-Fschr., 1985, S. 10. 12 RGBl. 1918, S. 779.

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angewandt und sie in der Lage sein würden, sich gegen Willkürlichkeiten und vermeidbare Härten in der Ausle-gung durch die Veranlagungs- und Erhebungsbehörden zu schützen“.13 14 Aus der Mitte des Reichstages folgte der Entwurf eines „Gesetzes über die Errichtung eines Reichsfinanzhofes“, der, mit Ausnahme der Konservativen, von allen Partei-en angenommen wurde und die Zustimmung der Länder fand.15 Das Gesetz, das wegen seiner großen Bedeutung für das Reich mit zwölf anderen eilbedürftigen Gesetzen, darunter das Umsatzsteuergesetz, zu einem Junktim verbunden war, wurde mit diesen am 26. Juli 1918 ver-kündet, mit der Maßgabe, dass die Tätigkeit des Reichs-finanzhofs am 1. Oktober 1918 beginnen sollte.16 Zum Sitz des RFH wurde München bestimmt. Dort nahm er zum 1. Oktober 1918, kurz vor dem Ausbruch der Novemberrevolution, seine Tätigkeit mit zunächst zwei Senaten und insgesamt 9 Richtern auf. Er war für folgende neun Reichssteuern zuständig: Wehrbeitrag, Besitzsteuer, Kriegsabgabe, Erbschaftsteu-er, Umsatzsteuer, Reichsstempelabgaben, Wechselstem-pelabgaben, Abgaben vom Personen- und Güterverkehr und Kohlensteuer.17 Für diese Rechtssachen war der ordentliche Rechtsweg ausgeschlossen.18

13 So Gustav Jahn, der erste Präsident des RFH, in seinen Lebenser-

innerungen, zitiert bei Kumpf, Johann Heinrich, Fschr. 75 Jahre RFH – BFH, 1993, S. 23.

14 Kumpf, Johann Heinrich, Die Reichsfinanzverwaltung im Natio-nalsozialismus, 2002, S. 143.

15 Pausch, Alfons, von-Wallis-Fschr., 1985, S. 10. 16 RGBl. 1918, S. 959. 17 Der Präsident des Bundesfinanzhofs (Hrsg.), 75 Jahre Reichsfi-

nanzhof – Bundesfinanzhof, Festakt und Ausstellung, S. 10. 18 § 8 Abs. 1 RFHG.

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b) Steuerreform und Aufgabenzuwachs in der Wei-marer Republik

Am 29. März 192019 verabschiedete der Reichstag der neu entstandenen Republik das von Finanzminister Matthias Erzberger ausgearbeitete Reichseinkommen-steuergesetz, sowie ein Körperschaftsteuer- und ein Kapitalertragsteuergesetz. Durch diese sog. Erzberger-sche Steuerreform wurden die nebeneinander existieren-den Einkommensteuern der Länder vereinheitlicht und dem Bund als Einnahmequelle erschlossen. Das Reich war damit nicht länger der „Kostgänger“ der Länder wie noch das Kaiserreich bis 1918; es hatte sich vielmehr durch den direkten Zugriff auf die maßgeblichen Steuer-quellen eine eigene Finanzkraft erschlossen. Nachdem sich durch diese grundlegende Steuerreform die Reichssteuern beträchtlich vermehrt hatten und die Zuständigkeit des Reichsfinanzhofes mit dem Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung vom 10. September 191920 auf alle Steuern einschließlich der Zölle und Ver-brauchsabgaben erweitert worden war, erhöhte sich auch die Anzahl der Verfahren beim RFH. Wurden 1919 noch 736 Verfahrenseingänge und 504 Erledigungen gezählt, so betrugen die Eingänge im Jahr 1928 4.712 Verfahren bei 4.081 Erledigungen und erreichten 1930 einen Höchststand von 6.455 Eingängen bei 5.788 Erle-digungen.21 Bis 1922 wurde die Anzahl der Senate daher auf insgesamt sechs aufgestockt. Der RFH verfügte ab

19 RGBl. 1920, S. 345, 359, 393. 20 RGBl. 1919, S. 1591. 21 Hartz, Wilhelm, DB, 1968, S. 1880.

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1924 über insgesamt 39 Richter; diese Zahl blieb bis Kriegsende nahezu konstant. Die Zuständigkeiten waren wie folgt auf die einzelnen Senate verteilt: I. Senat Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer der

Körperschaften u. a. II. Senat Kapitalverkehrsteuer, Grunderwerbsteuer

u. a. III. Senat Reichsbewertung, Reichsvermögensteuer,

Reichsfluchtsteuer, Erbschaftsteuer, Schen-kungsteuer, Grundsteuer u. a.

IV. Senat Einkommensteuer (soweit nicht VI. Senat zuständig), Lohnsteuer, Steuerabzug vom Kapitalertrag (soweit nicht I. oder VI. Senat zuständig) u. a.

V. Senat Umsatzsteuer, Zölle, Verbrauchsteuern u. a. VI. Senat Einkommensteuer aus Gewerbebetrieb

oder Land - und Forstwirtschaft, Gewerbe-steuer (soweit nicht I. Senat zuständig), Reichsabgabenordnung (soweit kein anderer Senat zuständig) u. a.

Zur Klärung unterschiedlicher Rechtsauffassungen zwi-schen den Senaten und zur Fertigung von Rechtsgut-achten22 bestand der Große Senat.23

c) Der Reichsfinanzhof im Unrechtsstaat

Im Zuge der Gleichschaltung aller staatlichen und gesell-schaftlichen Bereiche des öffentlichen Lebens während des „Dritten Reiches“ hat auch der Reichsfinanzhof dem Zugriff des Unrechtsstaates nicht widerstanden.

22 § 15 RFHG. 23 § 20 RFHG bzw. § 46 RAO.

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Wie von Seiten des Staates auf das Gericht eingewirkt wurde und welche Folgen sich daraus für die Spruchpra-xis ergaben wird in Teil C eingehend untersucht werden. Organisatorisch wurde beim RFH 1937 eine Unterabtei-lung des VI. Senates gebildet. Dieser Senat VI a war für Streitsachen wegen gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke zuständig und damit federführend bei der Umsetzung der Gemeinnützigkeitsvorschriften der §§ 17 – 19 des Steueranpassungsgesetzes von 1934.24 Das letzte veröffentlichte Urteil des Reichsfinanzhofes datiert vom 1. Dezember 194425. Der RFH stellte seine Tätigkeit mit Kriegsende ein. Mit Urkunde vom 25. Juli 1945 bestellte die amerikani-sche Militärregierung den vormaligen Senatspräsidenten beim Reichsfinanzhof Dr. Schmittmann zum Präsiden-ten des Obersten Finanzgerichtshofes26, dem bis zur Gründung des Bundesfinanzhofes am 29. Juni 195027 die letztinstanzliche steuerliche Rechtspflege in der amerika-nischen Besatzungszone oblag.

2. Finanzgerichtlicher Unterbau

Der RFH war gem. § 1 RFHG oberste Spruchbehörde über Revisionen gegen Entscheidungen in Reichsabga-bensachen und somit reine Rechtsinstanz. Nach Er-schöpfung des jeweils landesrechtlich geordneten Rechtsmittelzuges war die Rechtsbeschwerde an den Reichsfinanzhof gegeben. Ein einheitlicher Rechtsschutz

24 Siehe Tz. B.II.1.a. 25 RStBl. 1945, S. 60. 26 Der Präsident des Bundesfinanzhofs (Hrsg.), 75 Jahre Reichsfi-

nanzhof – Bundesfinanzhof, Festakt und Ausstellung., S. 71. 27 BGBl. 1950 S. 257.

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war damit zu Zeiten des Kaiserreiches noch nicht er-reicht, da der „Unterbau des RFH recht schwankend war: Reichsrechtliche Vorschriften über die Festsetzung und Veranlagung der Steuern waren lückenhaft und wenig zahlreich“.28 Auch die Weimarer Reichsverfassung brach nicht mit dem tradierten Grundsatz, dass die Zuständigkeit in der Verwaltung grundsätzlich den Ländern vorbehalten sein sollte. Sie eröffnete aber gleichzeitig dem Reich die Mög-lichkeit, gem. Art. 14 WV im Wege der einfachen Ge-setzgebung Verwaltungszweige an sich zu ziehen. Hier-von machte das Reich schon kurze Zeit nach der Verab-schiedung der Verfassung Gebrauch, als es im Rahmen der Reichsfinanzreform Erzbergers durch das „Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung“ vom 10. September 191929 eine eigene Finanzverwaltung mit eigenen Mittel- und Unterbehörden schuf. Die Bestimmungen dieses Gesetzes wurden in die Reichsabgabenordnung über-nommen. 30 Oberste Behörde dieser Verwaltung war das Reichsfi-nanzministerium, die Mittelinstanz bildeten 26 Landesfi-nanzämter (ab 1937 Oberfinanzpräsidien), die trotz der nominalen Bezeichnung reine Reichsbehörden waren, denen wiederum nahezu 1.000 Finanz- und rund 200 Hauptzollämter unterstanden. Mit der Reichsabgabenordnung 1919 wurden aber nicht nur neue Steuerbehörden geschaffen, sondern es wurde

28 So Gustav Jahn, der erste Präsident des RFH, in seinen Lebenser-

innerungen, zitiert bei Kumpf, Johann Heinrich, Fschr. 75 Jahre RFH – BFH, 1993, S. 25.

29 RGBl. 1919, S. 1591. 30 RGBl. 1919, S. 1993.

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auch das gesamte Besteuerungsverfahren für die Reichs-steuern einschließlich des Rechtsmittel- und Beitrei-bungsverfahrens einheitlich geregelt.31 Die in den §§ 14 - 18 RAO 1919 vorgesehenen erstin-stanzlichen Finanzgerichte wurden ab 1922 errichtet. Diese Finanzgerichte waren allerdings weder organisato-risch, noch personell von der Finanzverwaltung ge-trennt. Sie waren vielmehr dem jeweiligen Landesfinanz-amt angegliedert. Das Personal wurde ebenfalls von dieser Mittelbehörde gestellt. Die Kammern waren mit zwei hauptamtlichen und drei ehrenamtlichen Richtern besetzt. Die hauptamtlichen Richter waren Beamte des Landesfinanzamtes, die nur bei Bedarf als Richter tätig wurden. In der übrigen Zeit waren sie als Referenten der Mittelbehörde weisungsgebunden tätig. Dabei waren sie als Beamte auch jederzeit absetzbar und versetzbar. Aufgrund dieser Konstellation wurden immer wieder Zweifel an der Unabhängigkeit der Gerichte laut. Von Kritikern wurden sie als „Hausgerichte der Finanzver-waltung“32 bezeichnet, das finanzgerichtliche Verfahren „die Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens auf gericht-licher Ebene“33 genannt. Das Rechtsmittelverfahren (sog. Berufungsverfahren) lief gemäß der RAO 1919 damit wie folgt ab: Gegen die Veranlagung war zunächst binnen eines Mo-nats der Einspruch an das jeweilige Finanzamt gegeben. Wurde dem Einspruch nicht stattgegeben, so war binnen

31 Offerhaus, Klaus, UR, 1993, S. 320. 32 Kumpf, Johann Heinrich, Die Reichsfinanzverwaltung im Natio-

nalsozialismus, 2002, S. 144. 33 Grimm, Claus, DStZ, 1988, S. 471.

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eines Monats die Berufung an das beim Landesfinanz-amt bestehende Finanzgericht gegeben. Es konnte den Sachverhalt auch zu Ungunsten des Steuerpflichtigen (sog. „Verböserung“) neu aufrollen. Solange Finanzge-richte noch nicht bestanden, traten die zuvor zuständi-gen Verwaltungsgerichte (in Preußen die Bezirksaus-schüsse) an ihre Stelle. Gegen Urteile der Finanzgerichte stand sowohl dem Steuerbürger, als auch der Behörde binnen eines Monats die Rechtsbeschwerde an den Reichsfinanzhof zu. Er war an die Tatsachenfeststellun-gen der Vorinstanz gebunden. Mit „Führererlass“ vom 28. August 193934 wurden die Finanzgerichte dadurch wieder abgeschafft, dass an die Stelle des oben beschriebenen Verfahrens das sog. An-fechtungsverfahren trat, das bis dahin nur für Zölle gegolten hatte. Dieses Anfechtungsverfahren sah nur eine Entscheidung des Landesfinanzamtes vor35. Die Entscheidungen wurden von dort gebildeten „Abteilun-gen für die Bearbeitung von Anfechtungssachen auf dem Gebiet der Besitz- und Verkehrssteuern“ getroffen. Rechtsbeschwerden zum RFH gegen ihre Entscheidun-gen durften die Anfechtungsabteilungen nur noch in Sachen von grundsätzlicher Bedeutung oder wegen besonderer Umstände des Einzelfalles zulassen.

34 RGBl. 1939 I, S. 1535. 35 § 230 RAO 1931.

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3. Besetzungsverfahren des Reichsfinanzhofes

Gem. § 3 des Gesetzes über die Errichtung des Reichsfi-nanzhofes vom 26. Juli 1918 wurden die Mitglieder des Reichsfinanzhofes auf Vorschlag des Bundesrates vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt. Über das Verfahren zur Besetzung dieser Richterstellen verständigten sich die Bundesländer und das Reichsschatzamt am 9. September 1918 dahingehend, dass dem Reichsschatzamt im Voraus „ein Präsentationsrecht für etwa 20 vom Hundert der Gesamtzahl der Stellen“ eingeräumt wurde. Das Vor-schlagsrecht der Bundesländer sollte sich nach dem Verhältnis der „matrikularmäßigen Bevölkerung“ rich-ten.36 Nach der Reichsabgabenordnung 1919 wurden die Mit-glieder des Reichsfinanzhofes auf Vorschlag des Reichs-finanzministers vom Reichspräsidenten ernannt37. Der RFH selbst hatte weder ein Vorschlagsrecht, noch brauchte er bei der Auswahl der Mitglieder überhaupt gehört zu werden.38 Die Stellung der Richter war der der Richter am Reichs-gericht nachgebildet: lebenslängliche Ernennung bei einer Pensionsgrenze von 68 Jahren und einem Mindest-alter von 35 Jahren. Allerdings gab es kein reines Juris-tenprivileg; nur die Hälfte der Richter musste die Befähi-gung zum Richteramt haben.39

36 List, Heinrich, DStZ, 1993, S. 611. 37 § 54 RAO 1919. 38 List, Heinrich, DStZ, 1993, S. 611. 39 Der Präsident des Bundesfinanzhofs (Hrsg.), 75 Jahre Reichsfi-

nanzhof – Bundesfinanzhof, Festakt und Ausstellung, S. 67.

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II. Diskriminierende Steuergesetzgebung 1933 – 1945

Steuergesetze dienen auch heute nicht nur der Einnah-menbeschaffung des Staates, sondern auch als Mittel, politische Ziele und Vorstellungen umzusetzen. So lange dies in einem demokratischen Verfahren unter Beach-tung der Vorgaben einer freiheitlichen Verfassung ge-schieht ist dagegen, außer der zunehmenden Unüber-sichtlichkeit des Steuerrechts, nichts einzuwenden. Auch zur Zeit des Nationalsozialismus sollten mit Hilfe des Steuerrechts politische bzw. weltanschauliche Ziele umgesetzt werden. Allerdings befanden sich unter diesen Zielen nicht nur die Finanzierung der Wiederaufrüstung und des geplanten Krieges, sondern auch spezifisch nationalsozialistische Zielsetzungen wie die Durchset-zung der Rassenideologie. Da für Letzteres aber gerade nicht die gleiche Behandlung vor dem Gesetz angestrebt, die Gleichheit vielmehr „bewusst verleugnet“ wurde, können diese Steuergesetze bereits hier als gesetzliches Unrecht im Sinne Radbruchs bezeichnet werden. In diesem Kapitel sollen die Grundlagen herausgearbeitet werden, die die Richter des RFH, wenn sie positivistisch geprägt waren, anzuwenden hatten.

1. Diskriminierungen auf konventionellem Steuer-rechtsgebiet

a) Steueranpassungsgesetz 1934

Die aus der Zeit der Weimarer Republik bestehenden Steuergesetze blieben zunächst unverändert bestehen. Der 16. Oktober 1934 markierte dann den Einstieg in

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ein nationalsozialistisches Steuerrecht. Mit diesem Da-tum wurden die neu gefassten wichtigsten Steuergesetze, überwiegend Referentenentwürfe aus der Zeit vor dem Januar 1933, im Reichsgesetzblatt veröffentlicht.40 Wie Staatssekretär Reinhard in der Begründung zum Ände-rungsgesetz 1938 schrieb41 dienten die Änderungen insbesondere im Bereich der Einkommensteuer der Minderung der Arbeitslosigkeit durch Erhöhung der Kaufkraft der Kinderreichen und der Unternehmer. Regelungen, die eine Bevölkerungsgruppe einseitig dis-kriminierten, enthielten diese Gesetze nicht. Um das Steuerrecht an die nationalsozialistische Weltanschauung anzupassen, wurde den Steuergesetzen mit gleichem Datum ein sog. Steueranpassungsgesetz42 beigestellt. Dieses Gesetz enthielt fünf Gruppen von Vorschriften von denen für Zwecke dieser Arbeit nur der erste Ab-schnitt interessant ist. In ihm wurden in 20 Paragraphen Definitionsnormen, die für alle Steuern, nicht nur Reichssteuern, sondern auch für die Steuern der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände galten, als allgemei-ner Teil vor die Klammer der materiellen Einzelgesetze gezogen. Die meisten dieser 20 Paragraphen sind zu-nächst unverdächtig und finden sich z. T. wortgetreu noch heute in der AO 1977, ohne dass dies Anlass zur

40 Umsatzsteuer-, Bürgersteuer-, Einkommensteuer-, Körperschafts-

teuer-, Reichsbewertungs-, Bodenschätzungs-, Vermögensteuer-, Erbschaftsteuer-, Kapitalverkehrssteuergesetz jeweils vom 16. Ok-tober 1934, RGBl. I, S. 942, 985, 1005, 1031, 1035, 1050, 1052, 1056, 1058.

41 RStBl. 1938, S. 99. 42 RGBl. 1938 I, 925.

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Sorge geben müsste.43 Nach Wortlaut und Begründung des § 2 StAnpG 1934 wurde dem RFH allerdings jede Nachprüfung von Ermessensentscheidungen der Fi-nanzbehörden versagt. Dieses allgemeine Nachprüfungs-recht war bereits durch die Notverordnung vom 1. De-zember 193044 erheblich eingeschränkt worden. Mit Hilfe des § 2 StAnpG wurde dann der völlige Abbau dieser justizförmigen Verwaltungskontrolle erzwungen. Der RFH konnte lediglich noch untersuchen, ob über-haupt eine Entscheidung nach freiem Ermessen zu fällen war, oder ob nicht vielmehr durch Auslegung sog. unbe-stimmter Rechtsbegriffe eine Rechtsfrage zu entscheiden war und ob die Ermessensentscheidung sich in den vom Gesetz gezogenen Grenzen hielt.45 Der Wortlaut von § 2 Abs. 3 StAnpG, „Fragen der Bil-ligkeit und der Zweckmäßigkeit sind nach nationalsozia-listischer Weltanschauung zu beurteilen.“, macht aller-dings bereits die Stoßrichtung des § 1 dieses Gesetzes deutlich, der als Generalnorm ausgestaltet war: "(1) Die Steuergesetze sind nach nationalsozialistischer

Weltanschauung auszulegen. (2) Dabei sind die Volksanschauung, der Zweck und

die wirtschaftliche Bedeutung der Steuergesetze und die Entwicklung der Verhältnisse zu berück-sichtigen.

43 § 7 StAnpG 1934 entspricht § 44 AO Gesamtschuldner, § 8

StAnpG 1934 entspricht § 45 AO Gesamtrechtsnachfolge, § 10 StAnpG 1934 entspricht § 15 AO Angehörige usw.

44 RGBl. 1930 I, S. 517 ff., 3. Teil, Kap. IV (Steueranpassung Art. 1 Ziff. 69).

45 Uffelmann, Gerd, Neue Steuerrechtliche Schriftenreihe, Köln, 1949, S. 37.

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(3) Entsprechendes gilt für die Beurteilung von Tatbe-ständen.“46

Wie noch zu zeigen ist, wurde diese Vorschrift in der Folgezeit genutzt, um steuerliche Vergünstigungen in den Fällen zu versagen, in denen sie sich zu Gunsten von jüdischen Steuerbürgern oder Institutionen ausge-wirkt hätten. Konkrete Einschränkungen von steuerlichen Vergünsti-gungen für jüdische Einrichtungen ergaben sich aus den §§ 17 bis 19 des StAnpG. Nach § 17 Abs. 2 war eine Förderung der Allgemeinheit, die Voraussetzung der Anerkennung der Gemeinnützigkeit ist, nur noch dann anzunehmen, „wenn die Tätigkeit dem gemeinen Besten, das heißt dem Wohl der Deutschen Volksgemeinschaft auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet nutzt. Ob dies der Fall ist, beantwortet sich nach den An-schauungen der Volksgesamtheit“. Nach § 19 Abs. 1 waren kirchliche Zwecke nur solche, „durch deren Erfül-lung eine christliche Religionsgemeinschaft … gefördert wird“. Jüdische Einrichtungen ließen sich damit leicht, unter Verweis auf die nationalsozialistische Weltan-schauung, von der Anerkennung als gemeinnützig aus-schließen. Dies hatte den Verlust der Steuerbefreiung bei

46 Franzen vergleicht § 1 StAnpG 1934 mit dem § 2 StGB in der

Fassung vom 28. Juni 1935, der wie folgt lautete: „ Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt hat oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Strafe verdient. Findet auf die Tat kein bestimm-tes Gesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Ge-setz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft“. Franzen, Klaus, Klein-Fschr., 1994, S. 1061.

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der Körperschaft-, Vermögen-, Erbschaft- und Schen-kungsteuer zur Folge.

b) Verordnung zur Änderung des Einkommensteu-ergesetzes vom 1. Februar 193847

Bei der Einkommensteuer setzten die diskriminierenden Bestimmungen mit dem Steueränderungsgesetz 1938 ein. In § 32 EStG, der die sog. Kinderermäßigung (heute Kinderfreibetrag) regelte, wurde folgender Absatz 3 eingefügt: „(3) Für Kinder, die Juden sind, wird Kinderermäßigung

nicht gewährt.“ Zur Begründung führte Staatssekretär Reinhard lapidar aus, diese Vorschrift entspräche der nationalsozialisti-schen Rassepolitik.48 Im Vorgriff auf diese Gesetzesänderung hatten bereits die Einkommensteuerrichtlinien 193749 jüdische Kinder von der Steuerermäßigung nach § 32 EStG ausgeschlos-sen, ohne dies besonders zu begründen. Ebenso wurden Beiträge zu Bausparverträgen und Ver-sicherungen, die jüdische Eltern zu Gunsten ihrer Kin-der abgeschlossen hatten, nicht mehr zum Abzug als Sonderausgaben zugelassen.50 § 27 Abs. 3 der zweiten Durchführungsverordnung zum EStG51 verhinderte eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG in Fällen der außer-

47 RGBl. 1938 I, S. 99. 48 RStBl. 1938, S. 101. 49 RStBl. 1938, S. 224, dortige Tz. E II 2 a (1). 50 RStBl. 1938, S. 223, dortige Tz. D V (2). 51 RGBl. 1938 I, S. 147.

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gewöhnlichen Belastung, wenn von den Aufwendungen jüdische Kinder betroffen waren. Ab 1941 wurde die steuerliche Berücksichtigung außergewöhnlicher Belas-tungen für Juden gänzlich versagt.52 Gemäß Art. IV Abs. 1 des Steueränderungsgesetzes galten diese Regelungen rückwirkend bereits für die Veranlagung des Kalenderjahres 1937.

c) Verordnung zur Änderung des Einkommensteu-ergesetzes vom 17. Februar 193953

Das Änderungsgesetz von 1939 weitete die steuerliche Benachteiligung jüdischer Familien noch aus und schloss diese vom Steuertarif für Verheiratete (heute Splittingta-rif) aus. § 32 Abs. 6 idF EStG 1939 ordnete jüdische Steuerzahler grundsätzlich in die höchste Steuergruppe I ein. Zahlte eine „arische“ Familie mit zwei Kindern bei einem zu versteuernden Einkommen von 12.000 RM im Jahr 1939 1.210 RM an Einkommensteuer, so musste eine vergleichbare jüdische Familie 2.880 RM an das Finanzamt entrichten. Auch Ausnahmesteuersätze bei außerordentlichen Ein-künften im Sinne des § 34 EStG fanden fortan für Juden keine Anwendung mehr.54

52 A 131 EStR 1941, RStBl. 1942, S. 155. 53 RGBl. 1939 I, S. 283. 54 A 139 EStR 1941, RStBl. 1942, S. 159.

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d) Verordnung zur Änderung des Vermögensteuer-gesetzes vom 31. Oktober 193955

In § 5 des VStG wurde durch diese Änderung folgender Absatz 3 eingefügt: „(3) Für Juden werden keine Freibeträge gewährt.“ Damit waren Juden ab dem 1. Januar 1940 von sämtli-chen Freibeträgen ausgeschlossen. In der Folge waren sie bereits bei einem Gesamtvermögen von 5.000 RM zur Abgabe einer Vermögensteuererklärung verpflichtet, während die anderen Steuerpflichtigen erst bei 20.000 RM (Verheiratete) bzw. 10.000 RM (Ledige) dazu ver-pflichtet waren.

e) Durchführungsverordnung zum Umsatzsteuerge-setz vom 23. Dezember 193856

Die Umsätze von Privatgelehrten, Künstlern, Schriftstel-lern, Handlungsagenten und Maklern waren bis 1933 grundsätzlich von der Umsatzsteuer befreit. Das Um-satzsteuergesetz vom 16. Oktober 1934 kehrte dies um und unterwarf diese Umsätze grundsätzlich der Umsatz-steuer. In § 4 Nr. 13 UStG wurde allerdings eine Frei-grenze von 6.000 RM eingeführt. Damit trat die Steuer-pflicht erst dann ein, wenn der Gesamtumsatz diese Freigrenze überstieg. In die Durchführungsverordnung vom 23. Dezember 1938 wurde unter § 39 folgender Passus aufgenommen: „§ 4 Ziffer 13 des Gesetzes ist auf Juden nicht anwend-bar.“

55 RGBl. 1939 I, S. 2138. 56 RGBl. 1938 I, S. 1935.

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Jüdische Steuerpflichtige unterlagen daher bereits mit der ersten Reichsmark der Umsatzsteuerpflicht. Die Bestimmung trat zum 1. Januar 1939 in Kraft.

f) Gesetz über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusvereinigungen vom 28. März 193857

Durch dieses Gesetz verloren mit Ablauf des 31. März 1938 die jüdischen Kultusvereinigungen und ihre Ver-bände die Stellung von Körperschaften des öffentlichen Rechts und waren ab diesem Zeitpunkt Vereine des bürgerlichen Rechts. Das RFM nahm dies zum Anlass, in einer Durchführungsverordnung58 zur Grundsteuer, die Kultusvereinigungen rückwirkend zum 1. Januar 1938 zur Grundsteuer und mit Gesetz vom 23. April 193859 zur sog. Gebäudeentschuldungssteuer heranzu-ziehen.

2. Diskriminierende steuerliche Einzelgesetze

a) Judenvermögensabgabe

Am 12. November 1938 fand im Reichsluftfahrtministe-rium eine Besprechung statt, deren Anlass das am 7. November 1938 von Herschel Grynspan in Paris verübte Attentat an dem Botschaftsangehörigen vom Rath war. Obwohl die Nationalsozialisten den anschlie-ßenden Pogrom, in dem Juden getötet, Synagogen ver-wüstet und vielfach geplündert wurden, als spontanen Volkszorn zu deklarieren suchten, ist es angesichts der

57 RGBl. 1938 I, S. 338. 58 RGBl. 1938 I, S. 360. 59 RGBl. 1938 I, S. 409.

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eindeutigen Quellenlage bewiesen, dass dieser Pogrom – euphemistisch als Kristallnacht bezeichnet – ein organi-sierter Akt nationalsozialistischer Gewalt war.60 Neben weiteren diskriminierenden Verordnungen, mit denen auf das Vermögen von Juden zugegriffen wurde61, wurde bei dieser Besprechung auch die Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit (Judenvermögensabgabe)62 beschlossen. Der Wortlaut dieser Verordnung lautete wie folgt: „Die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk und Reich, die auch vor feigen Mordta-ten nicht zurückschreckt, erfordert entschiedene Abwehr und harte Sühne. Ich63 bestimme daher auf Grund der Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplans vom 18. Oktober 1936 (Reichsgesetzbl. I S. 887) das Folgende: § 1 Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit wird die Zahlung einer Kontribution von 1.000.000.000 Reichsmark an das Deutsche Reich aufer-legt.

60 Tarrab-Maslaton, Martin, Rechtliche Strukturen der Diskriminie-

rung der Juden im Dritten Reich, S. 141, mit weiteren Nachweisen. 61 VO zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewer-

betreibenden (VWjG, RGBl. 1938 I, S. 1581), VO zur Ausschal-tung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben (VAJW, RGBl. 1938 I, S. 1580), VO über den Einsatz jüdischen Vermögens (VEjV, RGBl. 1938 I, S. 1709).

62 RGBl. 1938 I, S. 1579. 63 Die Verordnung war von Hermann Göring unterzeichnet. In der

„Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplans“ (RGBl. 1936 I, S. 887) war festgelegt: „… Generaloberst Göring trifft die zur Erfüllung der ihm gestellten Aufgaben (Durchführung des Vierjah-resplans) erforderlichen Maßnahmen und hat soweit die Befugnis zum Erlass von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwal-tungsvorschriften“.

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§ 2 Die Durchführungsbestimmungen erlässt der Reichsminister der Finanzen im Benehmen mit den beteiligten Reichsministern.“ In der entsprechenden Durchführungsverordnung64 wurde die Finanzverwaltung mit der Erhebung der Kon-tribution beauftragt und die Vorschriften der RAO und des StAnpG 1934 für sinngemäß anwendbar erklärt. Abgabepflichtig waren Juden deutscher Staatsangehörig-keit und staatenlose Juden. Bemessungsgrundlage war der Gesamtwert des Vermögens nach dem Stand vom 12. November 1938. Auszugehen war dabei von dem Vermögen, das der Abgabepflichtige auf Grund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 193865 anmelden musste. Der Vermögensbegriff war dabei weiter gefasst als bei der Vermögensteuer. Zum Vermögen gehörten sämtliche Werte außer persönlichen Gebrauchsgegenständen und Hausrat. Damit waren auch Firmenwerte, Urheberrechte sowie Renten- und Versorgungsansprüche anzusetzen. Freibeträge, die bei der Vermögensteuer noch bis 1939 gewährt wurden (s. o. Tz. B.II.1.d) waren für die Juden-vermögensabgabe bedeutungslos. Verbindlichkeiten und eingetretenen Veränderungen bis zum 12. November 1938 waren zu berücksichtigen. Die Kontribution betrug 20 % dieses Vermögens und war in vier Raten, erstmals zum 15. Dezember 1938, fällig. In einem Runderlass des Reichsfinanzministeriums vom 13. Dezember 193866 war festgelegt, dass die Abgabe vornehmlich in Geld67 zu

64 RGBl. 1938 I, S. 1638. 65 RGBl. 1938 I, S. 414. 66 RStBl. 1938, S. 1130. 67 Göring sagte vor dem Reichsverteidigungsrat: „Da durch die

Ausgaben des letzten Sommers die Devisen erschöpft sind und da

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leisten war. Nur dort, wo keine Geldbestände vorhanden waren, sollte auch die Hingabe von Wertpapieren und Grundstücken akzeptiert werden. Die Wertpapiere mussten dafür allerdings nicht an das Finanzamt, son-dern „von der beauftragten Bank in ein für die Preußi-sche Staatsbank … Berlin zu errichtendes Depot umge-legt werden.“ Wegen etwaiger im Zusammenhang mit dem „Umsatz der Wertpapiere … entstehender Kosten“ hatten die Banken sich „an die abgabepflichtigen Juden“ zu halten. Der Erlass stellte, obwohl der gesamte Vor-gang staatlich verordnet war, fest: „Das Reich über-nimmt diese Kosten nicht.“ Bei der Übertragung von Grundstücken kamen noch weitere Voraussetzungen hinzu. Eine Inzahlungnahme war ausgeschlossen „ … bei a) Grundstücken, die meh-reren Eigentümern gehören, sofern nicht sämtliche Eigentümer ihre Anteile dem Reich übertragen wollen; b) Grundstücke, die offensichtlich überbelastet sind; c) Grundstücke, deren Wert nach Abzug der Belastun-gen und der durch den Eigentumsübergang …“ entste-henden Kosten die Abgabe übersteigt, „ … so dass das Reich noch herauszahlen müsste“. Die Kosten der Über-tragung waren ebenfalls von den jüdischen Eigentümern zu tragen, denn: „Die Inzahlungnahme von Grundstü-cken ist eine Vergünstigung gegenüber den abgabepflich-tigen Juden.“ Gem. § 10 DV blieb vorbehalten, die Zahlungspflicht zu erweitern, soweit dies zur Erreichung des Betrags von

die finanzielle Lage des Reiches ernst ist, … Sehr kritische Lage der Reichsfinanzen. Abhilfe zunächst durch die der Judenschaft aufer-legte Milliarde …“ Vordringlicher Zweck war damit, zur Deckung des Haushaltsdefizits 1938 möglichst rasch Geldbeträge einzuhe-ben. Siehe Tarrab-Maslaton, Martin, a. a. O., S. 216.

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einer Milliarde Reichsmark erforderlich war. Einem am 28. September 1939 im RFM angefertigten Vermerk68 ist zu entnehmen, dass bis zum 31. August 1939 insgesamt 804 Millionen RM69 an Judenvermögensabgabe einge-nommen worden waren. Es war damit abzusehen, dass das Gesamtaufkommen von einer Milliarde RM nicht erreicht werden würde. Deshalb wurde von dem Erwei-terungsvorbehalt Gebrauch gemacht und noch eine fünfte Rate zum 15. November 1939 erhoben70. Auf diese Weise wurden insgesamt etwa 1,127 Milliarden Reichsmark erhoben.71 Eine zusätzliche Einnahmequelle stellte die Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbetreibenden vom 12. November 1938 dar.72 Darin wurde den jüdischen Hausbesitzern aufgegeben, die beim Pogrom entstandenen Schäden zu beseitigen. Die Versicherungsleistungen, die den Eigentümern hier-für zustanden, waren vom Staat gem. § 2 Abs. 2 der Verordnung eingezogen73 worden. Diese Beträge in

68 Mehl, Stefan, Das Reichsfinanzministerium und die Verfolgung der

deutschen Juden 1933 – 1943, S. 74. 69 Einzahlungen 510.575.606 RM, Hingabe von Wertpapieren

293.624.416 RM, Hingabe von Grundstücken 143.081 RM. 70 RGBl. 1939 I, S. 2059. 71 Tarrab-Maslaton, Martin, a. a. O., S. 220. 72 RGBl. 1938 I, S. 1581. 73 Der Grund für diese Beschlagnahmetechnik lag darin, dass die

jüdischen Eigentümer zumeist versichert waren. Ohne Zugriff auf die Versicherungssumme, erklärte Göring: „ … würde also fol-gendes dabei herausspringen: Dass das Volk in einer berechtigten Abwehr dem Juden hat einen Schaden zufügen wollen und dass dann tatsächlich der Schaden von der deutschen Versicherungsge-sellschaft gedeckt wird.“ Zwar könne man die Versicherung von der Zahlungspflicht befreien, dadurch würde jedoch auf Rückversi-cherungen verzichtet. Diese internationalen Verpflichtungen bräch-ten aber Devisen, die man brauche. Im Ergebnis blieben die Versi-cherungen daher anspruchsverpflichtet, der Staat beschlagnahmte

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Höhe von 225 Millionen RM sollten zwar gem. § 7 Abs. 2 der „Durchführungsverordnung über die Sühne-leistung der Juden“74 auf die Judenvermögensabgabe angerechnet werden. Diese Anrechnung unterblieb aller-dings.75

b) Arisierungsabgabe

Die sog. Arisierungsabgabe wurde in der Literatur bis-lang wenig besprochen, obwohl sich der RFH in mehre-ren Entscheidungen mit den steuerlichen Folgen dieser Abgabe beschäftigte. Grundlage für diese Abgabe war § 15 der „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ (VEjV) vom 12. November 193876. Durch diese VEjV, sowie die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deut-schen Wirtschaftsleben vom 12. November 193877 wur-de die gesetzliche Grundlage für die „Arisierung“ aller jüdischen Gewerbebetriebe geschaffen. Auf staatliche Anordnung konnten jüdischen Gewerbetreibenden gezwungen werden, den Betrieb binnen einer bestimm-ten Frist zu veräußern oder abzuwickeln. Gem. § 15 Abs. 1 der VEjV konnte die „Genehmigung zur Veräu-ßerung jüdischer Gewerbebetriebe, jüdischen Grundbe-sitzes oder sonstiger jüdischer Vermögensteile unter Auflagen erteilt werden, die auch in Geldleistungen des

jedoch den Anspruch des jüdischen Versicherungsnehmers. Siehe Tarrab-Maslaton, Martin, a. a. O., S. 205.

74 RGBl. 1938 I, S. 1638. 75 Schauer, Ralf Erich, Die Steuergesetzgebung des Nationalsozialis-

mus als Mittel der Machtpolitik, S. 164. 76 RGBl. 1938 I, S. 1709. 77 RGBl. 1938 I, S. 1580.

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Erwerbers zugunsten des Reiches bestehen“ konnten. Diese zu zahlende Geldleistung (Arisierungsabgabe) sollte lt. Erlass des Reichswirtschaftsministeriums vom 6. Februar 193978 in Höhe von 70 % des Unterschiedes zwischen dem Kaufpreis und dem Verkehrswert festge-setzt werden, da die Verkäufe, bedingt durch die Vielzahl der Verkaufsvorgänge79, meist unterhalb des Verkehrs-wertes lagen. Die Differenz zwischen Verkehrswert und tatsächlichem Kaufpreis wurde „Entjudungsgewinn“ genannt; diesen hatte der Erwerber zu 70 % an das Reich abzuführen. Die Arisierungsabgabe war somit keine Steuer, der RFH hatte aber über die steuerliche Behandlung der Zahlung dieser Abgabe zu entscheiden. Zahlungspflichtig war hier zwar der nichtjüdische Er-werber. Wie man diese Vorschrift trotzdem zum Nach-teil des jüdischen Veräußerers auslegen konnte, demons-trierte der RFH in einem bemerkenswerten Urteil vom 12. Juli 193980 als er einen völlig unpassenden Sachver-halt unter diese Norm subsumierte und eine für den jüdischen Steuerpflichtigen nachteilige Entscheidung fällte.

78 RStBl. 1939, S. 387. 79 Von den ca. 100.000 jüdischen Betrieben des Jahres 1932 waren

aufgrund der mehr oder weniger zwangsweisen Verkäufe nach An-gaben des Reichswirtschaftsministeriums am 1. April 1938 noch 39.552 übrig; Voß, Reimer, Steuern im Dritten Reich, S. 136.

80 VI 453/39, RStBl. 1939, S. 939, siehe auch Seite 115.

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c) Sozialausgleichsabgabe

Mit Wirkung zum 1. August 1940 trat die Verordnung über die Erhebung einer Sozialausgleichsabgabe81 in Kraft. Danach hatten Polen einen Zuschlag zur Ein-kommensteuer zu entrichten. Die Abgabe betrug 15 % des Einkommens und wurde durch Steuerbescheid fest-gesetzt oder durch Lohnabzug erhoben. Zu diesem Zweck wurden in einer ersten Durchführungsverord-nung82 vom 10. August 1940 besondere Lohnsteuertabel-len veröffentlicht. In einer zweiten Durchführungsver-ordnung83 vom 24. September 1940 wurden diese Vor-schriften auch auf Juden ausgeweitet und die Sozialaus-gleichsabgabe ab dem 1. Januar 1941 erhoben. In einem Erlass des Reichsfinanzministeriums vom 20.September 1940 wurde akribisch dargelegt, wer unter den steuer-pflichtigen Personenkreis „Polen“ und „Juden“ zu sub-sumieren war.84 Im Kommentar zur Sozialausgleichsabgabe von Oer-mann85 wird die Abgabe zum einen damit begründet, Polen und Juden würden bei gleicher Arbeit gleichen Lohn erhalten wie „arische“ Arbeitnehmer, aber nicht den entsprechenden Belastungen, wie Beiträgen zur

81 RGBl. 1940 I, S. 1077). 82 RGBl. 1940 I, S. 1094. 83 RGBl. 1940 I, S. 1666. 84 Die Abgabe wurde 1942 auf „Zigeuner“ und „Ostarbeiter“ (Rus-

sensteuer) sowie andere nichtdeutsche Zwangsarbeiter ausgedehnt. 85 Oermann, Josef, 1901 – 1987, war von 1938 bis zur Einziehung

zum Wehrdienst 1944 Oberregierungsrat im RFM. Ab 1951 war Oermann Ministerialdirigent und Leiter der Steuerabteilung im Fi-nanzministerium in Nordrhein-Westfalen, danach von 1954 bis 1958 Oberfinanzpräsident in Köln. Von 1958 bis 1965 war Oer-mann Staatssekretär und Leiter der nordrhein-westfälischen Staats-kanzlei.

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Deutschen Arbeitsfront, Nationalsozialistischen Volks-wohlfahrt (NSV) und anderen Organisationen sowie Spenden zum Winterhilfswerk unterliegen, wofür die Abgabe einen Ausgleich schaffen solle. Sie wurde zudem noch gerechtfertigt mit „dem fehlenden Interesse aller Juden und Polen am Volksganzen“. Es sei daher not-wendig, dass denjenigen, „die zum Schutz des deutschen Lebensraumes persönlich nichts beitragen und ungehin-dert ihrer Beschäftigung nachgehen können, zum Aus-gleich dafür ein besonderes Opfer auferlegt wird“!86 Dies sprach den tatsächlichen Lebensverhältnissen der allermeisten Juden, die aus ihren Arbeitsverhältnissen verdrängt und zu entwürdigender Zwangsarbeit ver-pflichtet waren, geradezu Hohn, ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie gar nicht an den Leistungen des Win-terhilfswerkes oder der NSV partizipierten.

3. Sonderfall Reichsfluchtsteuer

Der fiskalische Zugriff auf das jüdische Vermögen er-folgte neben den von den NS-Machthabern erdachten Vorschriften auch mittels variierter Nutzung vorhande-ner Gesetze. Die Reichsfluchtsteuer war keine nationalsozialistische Neuschöpfung, sondern bereits 1931 vom Kabinett Brüning eingeführt worden87. Bedingt durch die Welt-

86 Schauer, Ralf Erich, a. a. O., S. 167. 87 Die Geschichte der Fluchtsteuer reicht tatsächlich viel weiter

zurück. Bereits im Mittelalter findet sich die Figur des „Abschoß“, zunächst als allgemeine Beschreibung einer Steuer und später als „Abzugsgeld“, „Nachsteuer“ sowie „gabella emigrationis“. Im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 sind in den §§ 140 – 183 Abgaben im Zusammenhang mit der Auswanderung ausführ-lich geregelt. Nach 1815 wurde im Zuge der Einigungsbewegung

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wirtschaftskrise und die harte Sparpolitik der deutschen Regierung kam es in den Jahren nach 1929 zu einer immensen Kapitalflucht ins Ausland. Allein 1931 trat ein Devisenverlust von 5 Milliarden RM ein.88 Um dieser Situation entgegenzuwirken wurde am 8. Dezember 1931 die „Vierte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schut-ze des inneren Friedens“89 erlassen. Die Reichsflucht-steuer bildete einen Teil dieses umfangreichen Geset-zeswerkes, das insgesamt den Sinn hatte, für eine Kon-solidierung von Wirtschaft und Finanzen zu sorgen. Sie hatte in diesem Gesetzespaket die Aufgabe, den fiskali-schen Verlust an laufenden Steuereinnahmen durch eine einmalige Leistung bei der Auswanderung abzugelten, wobei primär die Auswanderung verhindert werden sollte. Reichsteuerpflichtig waren gem. § 1 RFlStV alle Perso-nen, die am 31. März 1931 Angehörige des Deutschen Reiches gewesen sind und in der Zeit nach dem 31. März 1931 und vor dem 1. Januar 1933 ihren inländischen

diese Steuer zurückgedrängt bzw. aufgehoben. In der Deutschen Bundesakte (Art. XVIII c) war die Freiheit von aller Nachsteuer noch davon abhängig, dass das Vermögen des Auswandernden in einen anderen Bundesstaat überging und mit diesem besondere Verhältnisse durch Freizügigkeitsverträge bestanden. Die preußi-sche Verfassung von 1850 legte demgegenüber in Art. 11 fest, dass Abzugsgelder nicht erhoben werden. Die Reichsverfassung von 1871 gewährte schließlich vollständige Freizügigkeit und beseitigte alle Beschränkungen der Auswanderung. Am 20. Juli 1918 wurde das „Gesetz gegen die Steuerflucht“ erlassen, das zu einer der Reichsfluchtsteuer ähnelnden Abgabe führte. Dieses Gesetz wurde 1925 aufgehoben; siehe Tarrab-Maslaton, Martin, a. a. O., S. 226.

88 Tarrab-Maslaton, Martin, a. a. O., S. 227. 89 RGBl. 1931 I, S. 700.

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Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland aufgegeben hatten. § 2 RFlStV enthielt insgesamt vier Befreiungsvorschrif-ten von der Reichsfluchtsteuer. Dies betraf zunächst Auslandsbeamte und Personen, die erst nach 1927 ein-gewandert waren. Bedeutender waren die Befreiungsvor-schriften § 2 Ziff. 3 und 4 RFlStV: Gemäß Ziff. 3 entfiel die Reichsfluchtsteuer bei Personen, deren Wohnsitzver-legung im deutschen oder volkswirtschaftlichen Interes-se stand. Diese Voraussetzung war durch eine sog. Frei-stellungsbescheinigung des Landesfinanzamtes nachzu-weisen. Nach Ziff. 4 setzte die Reichssteuerpflicht erst bei einem steuerpflichtigen Vermögen von 200.000 RM oder einem steuerpflichtigen Einkommen von mehr als 20.000 RM ein. Insbesondere die Befreiungsvorschrift des § 2 Ziff. 3 RFlStV beschäftigte die Rechtsprechung. Dabei zeigten sich vor 1933 folgende Leitlinien: Die richtige Beurtei-lung des deutschen Interesses gehe hervor aus einem streng an sachlichen Gesichtspunkten orientierten Ver-gleich zwischen dem Vorteil der Auswanderung und dem Nachteil, der dem Deutschen Reich durch die Aus-wanderung entstehe. Überwiege der Nachteil, fehle das deutsche Interesse bzw. bei überwiegendem Vorteil liege der Befreiungsgrund vor.90 Im deutschen Interesse lag danach zum Beispiel die Auswanderung eines Ingeni-eurs, weil er nun in seiner Position im Ausland verstärkt Handelsbeziehungen für deutsche Firmen knüpfen kön-ne.91 92 Dass sich diese Sicht der Dinge nach 1933 änder-te wird noch zu zeigen sein.

90 RFHE 13, 206. 91 RFHE 3, 73.

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Die Höhe der Steuer war in § 3 festgelegt. Sie betrug 25 % des steuerpflichtigen Vermögens. Bemessungs-grundlage war das durch den Vermögensteuerbescheid festgestellte Gesamtvermögen, dem unter gewissen Voraussetzungen noch Schenkungen und Gesellschafts-anteile hinzuzurechnen waren. Im Fall der Rückkehr innerhalb von zwei Monaten ent-fiel die Reichsfluchtsteuer gem. § 7 rückwirkend. Daran wird das Interesse des Staates, durch die Steuer der Auswanderung entgegenzuwirken, deutlich. Hätte die eigentliche Absicht in einer Vermögensabschöpfung bestanden, hätte es dieser Vorschrift nicht bedurft. Die RFlStV war mit einem für Weimarer Verhältnisse drakonischen Sanktionskatalog ausgestattet worden. § 9 Nr. 1 legte die Bestrafung, Nr. 2 einen Steckbrief und Nr. 3 die Vermögensbeschlagnahme als Sanktionen fest. Nach § 9 Nr. 1 wurde der „Steuerpflichtige … wegen Steuerflucht mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Neben der Freiheitsstrafe ist auf Geldstrafe zu erkennen. Der Höchstbetrag der Geldstrafe ist unbe-schränkt.“ Gemäß § 9 Nr. 2 erging auf Kosten des Gesuchten ein Steuersteckbrief, der die Aufforderung enthielt, „den Steuerpflichtigen, falls er im Inland betroffen wird, vor-läufig festzunehmen …“ Den Steckbrief erließ das zu-ständige Finanzamt ohne vorherige richterliche Anord-nung. Eine Vorführung vor den Amtsrichter war erst nach der erfolgten vorläufigen Festnahme vorgesehen. Zusätzlich zur Strafe ordnete § 9 Nr. 3 die Beschlag-nahme des Vermögens des Steuerpflichtigen durch das

92 Siehe auch gleichgelagerte Fälle in RFHE 3, 87 und 3, 91.

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Finanzamt an. Dies diente „der Sicherung der Ansprü-che auf Reichsfluchtsteuer, Geldstrafe, Zuschläge und Kosten. Die Ansprüche auf Geldstrafe und Kosten des Steuerverfahrens fallen auch dann unter die Sicherung, wenn die Strafe noch nicht verhängt ist …“. Die Reichsfluchtsteuer war bis 31.12.1932 befristet, wurde aber im Dezember 1932 durch das Kabinett von Schleicher bis zum 31.12.1934 verlängert.93 Die Bestimmungen der RFlStV94 wurden mit dem „Ge-setz über die Änderung der Vorschriften über die Reichsfluchtsteuer“ vom 18. Mai 193495 wesentlich ver-schärft. Die Befreiungsvorschrift des § 2 Ziff. 4 wurde dahinge-hend geändert, dass steuerpflichtig nunmehr die in § 1 genannten Personen waren, deren Gesamtvermögen mehr als 50.000 RM betrug. Der Hinzurechnungsvor-schrift des § 3 Abs. 2 wurden drei weitere Posten hinzu-gefügt. Das Rückkehrerprivileg des bisherigen § 7 entfiel ersatz-los. Vielmehr wurde in Art. 2 des Änderungsgesetzes rückwirkend bestimmt: „Wer vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes die Reichsfluchtsteuer durch Vorlage einer polizeilichen Bescheinigung über die Wiederan-meldung zum Wegfall gebracht hat (§7 RFlStV in der bisherigen Fassung), hat den Nachweis zu führen, dass die polizeiliche Anmeldung mit den tatsächlichen Ver-hältnissen übereinstimmt. Wird der Nachweis nicht bis zum 1. Juni 1934 geführt, so entsteht die Reichsflucht-

93 RGBl. 1932 I, S. 572. 94 Ab 01.01.1935 Reichsfluchtsteuergesetz; siehe § 43 Abs. 3 StAnpG

1934, RStBl. 1934, S. 1165. 95 RGBl. 1934 I, S. 392.

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steuerschuld mit Ablauf dieser Frist von neuem und wird mit der Entstehung auch fällig.“ Nach § 7 in der neuen Fassung konnte das Finanzamt Sicherheitsleistung verlangen, wenn diese nach seinem Ermessen erforderlich war, um gegenwärtige oder zu-künftige Ansprüche auf Reichsfluchtsteuer, sonstige, vor der Auswanderung zu leistende Steuern oder andere steuerpflichtige Gegenleistungen zu sichern. Zukünftige Ansprüche waren Ansprüche, die bereits entstanden, aber noch nicht fällig waren, aber auch Ansprüche, die „noch nicht entstanden sind, deren zukünftige Entste-hung jedoch wahrscheinlich ist“. Zusätzliche Lasten bedeuteten die Änderungen im Ein-kommen96- und Vermögensteuergesetz97, beide vom 16. Oktober 1934. In Folge der in §§ 26, 27 EStG 1934 bzw. § 11 Abs. 2 VStG 1934 neu eingeführte Zusammenveranlagung von Eltern und Kindern wurden deren Einkünfte und Vermögen zusammengefasst und erweiterten so indirekt den Kreis der Reichsfluchtsteuer-pflichtigen.98 Nochmals verschärft wurden die Regelungen durch das „Gesetz zur Verlängerung der Vorschriften über die Reichsfluchtsteuer“ vom 19. Dezember 193799 wonach „der Wert von Schenkungen, die der Steuerpflichtige seit dem 1. Januar 1931 gemacht hat“ gem. § 3 Abs. 3 Ziff. 6 dem Gesamtvermögen zugerechnet wird, „wenn er [der Wert] insgesamt 10.000 RM übersteigt und in dem Ge-

96 RGBl. 1934 I, S. 1005. 97 RGBl. 1934 I, S. 1052. 98 Vgl. das auf Seite 86 besprochene Urteil vom 9.7.1936. 99 RGBl. 1937 I, S. 1385.

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samtvermögen, das dem letzten Vermögensteuerbe-scheid zugrunde liegt, nicht enthalten ist“. In einem Erlass des Reichsfinanzministers vom 23.12.1937100 wurde zur Befreiungsvorschrift des § 2 Ziff. 3 festgelegt, dass „… bei auswandernden Juden und jüdischen Mischlingen die Voraussetzungen für die Er-teilung einer Freistellungsbescheinigung in der Regel nicht vorliegen.“ Damit unterblieb für Juden eine Prü-fung der Befreiungsvoraussetzungen des § 2, da mit diesem Erlass festgestellt worden war, dass diese Vor-schrift bei ihnen nicht einschlägig sein konnte. Die Vorschriften über die Reichsfluchtsteuer, die bis dahin immer zeitlich begrenzt verlängert worden waren, wurden am 9. Dezember 1942101 „bis auf weiteres ver-längert“. Der Gesetzestext zur Reichsfluchtsteuer ist über alle Änderungen und Verlängerungen hinweg frei von anti-semitischen Tatbeständen geblieben. Sie war grundsätz-lich auf alle Steuerbürger, Juden wie Nichtjuden an-wendbar. Spätestens nach 1935 waren es allerdings zu-meist Juden, die aufgrund zunehmender Diskriminierung und Repressalien das Deutsche Reich verließen,102 was sich auch an den im Reichssteuerblatt veröffentlichten Steuersteckbriefen103 nachvollziehen lässt. Im Zusam- 100 RStBl. 1937, S. 1295. 101 RGBl. 1942 I, S. 682. 102 Tarrab-Maslaton, Martin, a. a. O., S. 238 mit weiteren Nachweisen. 103 Von 1932 bis 1943 wurden insgesamt 1.208 Steuersteckbriefe

ausgestellt. Diese verteilen sich zeitlich wie folgt: 1932: 14 Steck-briefe, 1933: 64, 1934: 136, 1935: 132, 1936: 179, 1937: 175, 1938: 177, 1939: 159, 1940: 118, 1941: 44, 1942: 8, 1943: 2. Ebenfalls in-teressant ist die geographische Verteilung der veröffentlichten Steckbriefe auf die einzelnen Oberfinanzpräsidien 1934 bis 1939: Berlin: 467 Steckbriefe, Stettin: 75, Darmstadt: 41, Düsseldorf: 16, Hamburg: 32, Breslau: 27, Köln: 26, Nürnberg: 23, Münster: 13,

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menspiel von Herabsetzung der Vermögensgrenzen, Ausweitung der Hinzurechungsvorschriften und Wegfall der Freibeträge bei der Vermögensteuer wandelte sich die Reichsfluchtsteuer nach 1933 von einem Instrument zur Verhinderung von Auswanderung hin zur Abgabe, die im Rahmen der fiskalischen Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung eine gewichtige Rolle spielte. Die quantitativen Erfolge der Reichsfluchtsteuer lassen sich anhand der Reichshaushaltspläne sehr exakt bezif-fern. Sie betrugen in den einzelnen Rechnungsjahren104: 1932/33 1.000 TRM 1933/34 17.602 TRM 1934/35 38.120 TRM 1935/36 45.337 TRM 1936/37 69.911 TRM 1937/38 81.354 TRM 1938/39 342.621 TRM 1939/40 216.189 TRM 1940/41 47.787 TRM105 1941/42 36.503 TRM 1942/43 31.460 TRM 1943/44 8.802 TRM 1944/45 6.000 TRM106

Hannover: 12, Königsberg: 12, Stuttgart: 11, München 10. Siehe Wolf, Kerstin, Reichsfluchtsteuer und Steuersteckbriefe 1932 – 1942, S. 5 und 7.

104 Das Haushalts-Rechungsjahr begann am 1. April und endete am 31. März.

105 Ein im Auftrag Heydrichs ergangener Runderlass vom 23.10.1941 zur Vorbereitung der Vernichtung der europäischen Juden ordnete an, „dass die Auswanderung von Juden mit sofortiger Wirkung zu verhindern ist“. Vgl. Mußgnug, Dorothee, Die Reichsfluchtsteuer 1931 – 1953, S. 52.

106 Mehl, Stefan, a. a. O., S. 44.

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Die Reichsfluchtsteuer bestand, von nationalsozialisti-schem Unrat gereinigt aber unter gleichem Namen, noch bis 1953 weiter107 und wurde durch das „Gesetz zur Aufhebung überholter steuerrechtlicher Vorschriften“ vom 23. Juli 1953 aufgehoben108.

4. Rechnerisches Beispiel für die Ungleichbehand-lung

Was die zusätzliche Besteuerung im Einzelnen bedeuten konnte, hat der Präsident des Finanzgerichts Hamburg a. D. Reimer Voß aufgrund der damals gültigen Einkom-mensteuertabellen berechnet. Ein verheirateter jüdischer Steuerpflichtiger mit 3 Kindern und einem zu versteu-ernden Einkommen von 4.000 RM hatte im Jahr 1941 eine Abgabenbelastung mit Einkommensteuer, Kriegs-zuschlag zur Einkommensteuer und Sozialausgleichsab-gabe in Höhe von 1.450 RM zu entrichten. Ein ver-

107 Der BFH tenorierte in seiner Entscheidung vom 20. Dezember

1951 (BStBl. 1952 II, S. 43): „ Die Vorschriften über die Reichs-fluchtsteuer haben seit ihrem Erlass ununterbrochen, auch über den 8. Mai 1945 hinaus, fortgegolten“. Im bemerkenswerten ersten Teil der Begründung legt der BFH dar, dass es sich bei der RFlStV nicht um nationalsozialistische Gesetzgebung handele. Dass über-wiegend „jüdische Staatsbürger“ (!) davon betroffen waren, sei vielmehr auf die Maßnahmen der damaligen Regierung zurückzu-führen, die ihnen das Leben in Deutschland unerträglich und schließlich unmöglich gemacht haben. Im zweiten Teil der Begrün-dung legt der BFH allerdings streng positivistisch dar, dass die RFlStV auf dem jeweils gesetzlich vorgeschriebenen Weg zustande gekommen sei („mit Gesetzeskraft ausgestattete Erlass des Füh-rers“) und die formelle Rechtmäßigkeit der Verlängerung der RFlStV vom 9. Dezember 1942 (s. o. Fn. 101) „nicht in Zweifel ge-zogen werden“ kann.

108 BGBl. 1953 I, S. 689.

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gleichbarer nichtjüdischer Steuerpflichtiger schuldete hingegen nur 168 RM.109

III. Beamtenrecht 1933 – 1945

Um die Spruchpraxis des RFH von 1933 bis 1945 zu beurteilen ist es nicht nur notwendig, das materielle Recht zu betrachten, das der RFH in seinen Urteilen anwandte, oder besser vollzog. Es muss auch betrachtet werden, welche Regelungen auf die Mitglieder der Spruchkörper unmittelbar einwirkten.

1. Status quo im Jahr 1933

Das Richteramt wurde bis zur Verabschiedung des Deutsche Richtergesetzes im Jahr 1961 als richterliches Beamtenverhältnis gesehen. Die Richter des RFH waren somit Beamte im Sinne des Reichsbeamtengesetzes von 1873110. In diesem Gesetz war der Kernbestand, die hergebrach-ten Grundsätze des Berufsbeamtentums, festgelegt. Zu diesen Grundsätzen zählten, und zählen heute noch, u. a. das Lebenszeitprinzip, das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis, die unparteiische Amtsausübung, sowie die Alimentation und die Fürsorgepflicht. Die Weimarer Verfassung übernahm nicht nur den Be-amtenbestand des Kaiserreiches, sondern auch diese Kernbereiche des Beamtentums. Art. 129 WV bestimm-te „Die Anstellung der Beamten erfolgt auf Lebenszeit.“, sowie „Die wohlerworbenen Ansprüche der Beamten

109 Voß, Reimer, a. a. O., S. 158. 110 RGBl. 1873, S. 61.

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sind unverletzlich.“ Art. 130 WV legte fest, dass die Beamten Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei seien und gewährleistete die Freiheit ihrer politischen Gesin-nung. Art. 128 WV lautete schließlich: „Die Grundlagen des Beamtenverhältnisses sind durch Reichsgesetz zu regeln“. Von dieser Ermächtigung wurde während der Zeit der Weimarer Republik nicht Gebrauch gemacht, sodass das Reichsbeamtengesetz von 1873 weiterhin galt. Nach der sog. „Machtergreifung“111 vom 30. Januar 1933 gingen die Nationalsozialisten daran, politische Gegner auszuschalten und Verwaltungen und deren Beamtenor-ganisationen gleichzuschalten.112 Ein Aspekt war dabei, dass ein im Sinne des Nationalso-zialismus funktionierender Verwaltungsapparat von entscheidender Bedeutung für den Machterhalt war. Hinzu kam, dass die Umstrukturierung des Beamtenap-parates der Weimarer Republik eine der wesentlichen Forderungen der Nationalsozialisten darstellte. Bereits aus dem Parteiprogramm der NSDAP von 1920 ging hervor, dass parteipolitisch orientierte Beamte, Nicht-Qualifizierte und Juden aus dem Staatsdienst auszu-scheiden hätten.113 Welche Beamten dann unter diese Schlagworte subsumiert wurden ist noch zu zeigen.

111 M. E. ist der Begriff der „Machtergreifung“ für die Vorgänge des

30.01.1933 falsch. Am 30.01.1933 wurde den Nationalsozialisten die Macht ausgeliefert. Machtergreifung und -sicherung fanden dann in den folgenden 18 Monaten statt. Da sich der Begriff der „Machtergreifung“ für den 30.01.1933 eingebürgert hat, soll er auch hier in diesem Zusammenhang verwendet werden.

112 Gössel, Klaus-Dieter, Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalso-zialismus, S. 98.

113 Das Parteiprogramm der NSDAP von 1920 lautet in Punkt 6: „Das Recht, über Führung und Gesetze des Staates zu bestimmen, darf nur dem Staatsbürger zustehen. Daher fordern wir, dass jedes öf-fentliche Amt, gleichgültig welcher Art, gleich ob im Reich, Land

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Mit zunächst rigorosen Mitteln gingen die Nationalsozia-listen daran, Fakten zu schaffen. Dazu zählten auch die „Säuberungen“ der Gerichte durch Terrorgruppen der SA. Ab dem 11. März 1933 drangen solche Terrorgrup-pen in fast alle deutschen Gerichtsgebäude ein, um die sofortige Dienstentlassung jüdischer und politisch miss-liebiger Richter und Staatsanwälte zu erzwingen.114 Alle diese Gewaltaktionen fanden noch vor legislativen Maß-nahmen statt.

2. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeam-tentums

Am 7. April 1933 wurde das Gesetz zur Wiederherstel-lung des Berufsbeamtentums (BBG)115 von der Reichsre-gierung, also der Exekutive, verabschiedet. Ob dieses Gesetz geschaffen wurde, um der inzwischen betriebe-nen Ämterpatronage durch die Nationalsozialisten eine rechtliche Grundlage zu geben116, oder ob dadurch un-kontrollierte gewalttätige Aktionen unterer Parteigliede-rungen künftig unterbunden werden sollten, scheint streitig,117 ist für die Zwecke dieser Arbeit aber unerheb-lich.

oder Gemeinde nur durch Staatsbürger bekleidet werden darf.“ Zur Definition des Staatsbürgers heißt es in Punkt 4: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“ Veröffentlicht bei Grot-kopp, Jörg, Beamtentum und Staatsformwechsel, S. 94.

114 Eisenhardt, Ulrich, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 441. 115 RGBl. 1933 I, S. 175. 116 Mommsen, Hans, Beamtentum im Dritten Reich, S. 39. 117 Tarrab-Maslaton, Martin, a. a. O., S. 32, mit weiteren Nachweisen.

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Das BBG gab die Möglichkeit zur Suspendierung, „… auch wenn die nach geltendem Recht hierfür erforderli-chen Voraussetzungen nicht vorliegen“118 Von diesen möglichen Entlassungen betroffen waren „Beamte, die seit dem 9. November 1918 in das Beamtenverhältnis eingetreten sind, ohne die für ihre Laufbahn vorge-schriebene oder übliche Vorbildung oder sonstige Eig-nung zu besitzen …“, sogenannte Parteibuchbeamte119, „Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betäti-gung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten …“120 und „Beamte, die nichtarischer Abstammung sind …“121. In der ersten Verordnung zur Durchführung des BBG122 wurde legaldefiniert, wer „Arier“ und wer Jude war, da die ethnischen Mischformen Unklarheiten bewirkten, sowie, wer als ungeeignet im Sinne des § 2 BBG anzuse-hen war. Ungeeignet waren dabei alle Beamten, die der kommunistischen Partei, deren Hilfsorganisationen oder Ersatzorganisationen angehörten. Eine Ausnahme vom Grundsatz des § 3 Abs. 1 BBG, wonach Beamte „nichtarischer“ Abstammung in den Ruhestand zu versetzen waren stellte § 3 Abs. 2 BBG dar. Danach galt Absatz 1 nicht „für Beamte, die bereits seit dem 1. August 1914 Beamte gewesen sind oder die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich … gekämpft haben“.

118 § 1 Abs. 1 BBG. 119 § 2 Abs. 1 BBG. 120 § 4 Satz 1 BBG. 121 § 3 Abs. 1 BBG. 122 VO vom 11. April 1933, RGBl. 1933 I, S. 195.

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Das BBG bot somit, bereits zwei Monate nach der sog. „Machtergreifung“, die Möglichkeit, politisch missliebige Beamte und auch einen Teil der Beschäftigten jüdischen Glaubens aus dem Beamtentum zu entfernen. Diesen Suspendierungen stand zunächst Art. 129 WV entgegen (s. o.), dessen Änderung grundsätzlich nur durch verfas-sungsänderndes Gesetz, nicht aber durch einfaches Reichsgesetz möglich war. Nach dem sog. Ermächti-gungsgesetz vom 24. März 1933123 konnte die Reichsre-gierung allerdings selbst Gesetze beschließen. Diese Gesetze konnten darüber hinaus gemäß Art. 2 Abs. 1 von der Reichsverfassung abweichen. Das Reichsgericht bestätigte diese Durchbrechung des Gewaltenteilungs-prinzips.124

3. Reichsbürgergesetz

Das Reichsbürgergesetz (RbG) vom 15. September 1935125 bildet zusammen mit dem sog. „Blutschutzge-setz“ die „Nürnberger Gesetze“. Beide stellen einen Tiefpunkt „recht“setzender Tätigkeit in Deutschland dar. Das RbG bestimmte in drei Paragraphen, dass „Staats-angehöriger ist, wer dem Schutzverband des Deutschen Reiches angehört …“126, das Reichs- und Staatsangehö-rigkeitsgesetz weiterhin gilt127, Reichsbürger nur der Staatsangehörige „deutschen Blutes“ sein kann128 und

123 RGBl. 1933 I, S. 141. 124 RGZ 155, 246 (250). 125 RGBl. 1935 I, S. 1146. 126 § 1 Abs. 1 RbG. 127 § 1 Abs. 2 RbG. 128 § 2 Abs. 1 RbG.

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nur Reichsbürger volle Rechte genießen.129 § 3 enthielt eine Verordnungsermächtigung. In der ersten Verord-nung zum RbG130 wurde definiert, wer „deutschen oder artverwandten Blutes“ war und wer nicht. Auf die abstrusen Unterscheidungen in Rasse- und Gel-tungsjuden131 sowie Mischlingen in verschiedenen Abstu-fungen soll hier nicht eingegangen werden. § 4 dieser Verordnung bestimmte, dass die so definierten Juden keine Reichsbürger seien und ihnen die Fähigkeit fehle, öffentliche Ämter zu bekleiden. Sie wurden daher, so-fern sie noch, unter Berufung auf § 3 Abs. 2 BBG, Be-amte waren, in den Ruhestand versetzt. Damit verließen auch die letzten Beamten jüdischen Glaubens, die sog. Frontkämpfer, die öffentlichen Ver-waltungen. Hatte das RbG noch festgelegt, dass deutsche Juden nicht Reichsbürger, aber Staatsangehörige waren und dem Schutzverband des Deutschen Reiches angehörte, so nahm die elfte Verordnung zum RbG132 ihnen selbst diese Position. Diese Verordnung bürgerte alle Juden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten, kollektiv aus. Das Vermögen dieser Personen verfiel dem Reich, ohne dass es auf die Freiwilligkeit des Auf-enthaltes ankam. Selbst ein zwangsweises Verlassen des Reiches durch Deportation erfüllte den objektiven Tat-bestand des gewöhnlichen Auslandsaufenthaltes.

129 § 2 Abs. 3 RbG. 130 RGBl. 1935 I, S. 1333. 131 Tarrab-Maslaton, Martin, a. a. O., S. 66. 132 RGBl. 1941 I, S. 722.

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4. Deutsches Beamtengesetz

Um den Einfluss der NSDAP auf die Fachverwaltungen abzusichern, wurde das Deutsche Beamtengesetz133 (DBG) am 26. Januar 1937 im Reichskabinett beschlos-sen. In der Einleitung zum DBG wurde die Stellung des Berufsbeamtentums im nationalsozialistischen Staat deutlich: „Ein im deutschen Volk wurzelndes, von nati-onalsozialistischer Weltanschauung durchdrungenes Berufsbeamtentum, das dem Führer des Deutschen Reiches, Adolf Hitler, in Treue verbunden ist, bildet einen Grundpfeiler des nationalsozialistischen Staates.“ Der Text des DBG spricht für sich, weshalb die ein-schlägigen Paragraphen im Wortlaut wiedergegeben werden sollen: „§ 1 (1) Der deutsche Beamte steht zum Führer und Reich in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhält-nis (Beamtenverhältnis). (2) Er ist der Vollstrecker des Willens des von der Nati-onalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei getragenen Staates. (3) Der Staat fordert von dem Beamten unbedingten Gehorsam und äußerste Pflichterfüllung; er sichert ihm dafür seine Lebensstellung. § 3 (1) Die Berufung in das Beamtenverhältnis ist ein Ver-trauensbeweis der Staatsführung, den der Beamte dadurch zu rechtfertigen hat, dass er sich der erhöhten Pflichten, die ihm seine Stellung auferlegt, stets bewusst ist. Führer und Reich verlangen von ihm echte Vater-

133 RGBl. 1937 I, S. 121.

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landsliebe, Opferbereitschaft und volle Hingabe der Arbeitskraft, Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten und Kameradschaftlichkeit gegenüber den Mitarbeitern. Allen Volksgenossen soll er ein Vorbild treuer Pflichter-füllung sein. Dem Führer, der ihm seinen besonderen Schutz zusichert, hat er Treue bis zum Tode zu halten. (2) Der Beamte hat jederzeit rückhaltlos für den natio-nalsozialistischen Staat einzutreten und sich in seinem gesamten Verhalten von der Tatsache leiten zu lassen, dass die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei in unlöslicher Verbundenheit mit dem Volke die Träge-rin des deutschen Staatsgedankens ist. … § 25 (1) Beamter kann nur werden, wer deutschen oder art-verwandten Blutes ist und, wenn er verheiratet ist, einen Ehegatten deutschen oder artverwandten Blutes hat. … (2) Ein Beamter darf eine Ehe nur mit einer Person deutschen oder artverwandten Blutes eingehen. … § 26 (1) Beamter kann nur werden, wer 1. Reichsbürger ist … 3. die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintritt.“

IV. Personelle Veränderungen beim RFH nach dem Machtwechsel

Lutz Graf Schwerin von Krosigk war Reichsfinanzminis-ter von 1932 bis 1945. In einem 1974 erschienenen Buch134 schreibt er wörtlich: „Für angeschossene Beamte

134 Graf Schwerin von Krosigk, Lutz, Staatsbankrott: die Geschichte

der Finanzpolitik des Deutschen Reiches von 1920 bis 1945, S. 259.

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war meist der Reichsfinanzhof in München der End-bahnhof. Um dieses Veilchen, das im Verborgenen blühte, kümmerte sich die Partei nicht. Dort konnte auch ein Nichtparteimitglied ungestört Präsident wer-den“. Ob der RFH tatsächlich für das dort tätige Personal ein Schutzraum war, ein „Veilchen, das im Verborgenen blühte“ soll näher untersucht werden. In der Tat gab es genau drei der ehemaligen Zentrums-partei angehörige Präsidenten der Landesfinanzämter, die an den Reichsfinanzhof versetzt wurden und dort „Asyl“ fanden135. Es handelte sich hierbei um Heinrich Schmittmann136, Hans Müller137 und Alexander Prugger138. Rüping bezeichnet diese Vorgänge allerdings als das „Kaltstellen“ dreier politisch missliebiger Oberfinanzpräsidenten.139 Andererseits mussten Richter aus politischen Gründen oder wegen ihrer Abstammung den Reichsfinanzhof

135 Kumpf, Johann Heinrich, DStZ, 1994, S. 66. 136 Dr. Heinrich Schmittmann (1878 – 1956) war bis 1933 Präsident

des Landesfinanzamtes in Düsseldorf. Zum 1. August 1933 wurde er Präsident des II. Senates beim RFH. Nach dem Zweiten Welt-krieg wurde Schmittmann 1945 Präsident des Obersten Finanzge-richtshofes und 1950 der erste Präsident des Bundesfinanzhofes.

137 Dr. Hans Müller (1884 – 1961) war bis 1933 Präsident des Landes-finanzamtes in Karlsruhe. Nach seiner Versetzung zum RFH wirk-te er dort als Reichsrichter. Nach Kriegsende ging er zunächst in Bayern in die Politik um dann in der Nachfolge Schmittmanns von 1951 bis 1954 Präsident des BFH zu werden.

138 Alexander Prugger (1887-1962) war bis 1933 Präsident des Landes-finanzamtes Würzburg. Er wurde 1933 als Reichsrichter zum RFH versetzt. Nach 1945 war er Oberfinanzpräsident und Leiter der Oberfinanzdirektion München.

139 Rüping, Hinrich, Justiz und Verwaltung im Führerstaat, S. 43.

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verlassen. Sie wurden in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht und z. T. um ihr Leben gebracht. Erstes Opfer war der Präsident des RFH Herbert Dorn (1887 – 1957), der 1931 Nachfolger des ersten Präsiden-ten Gustav Jahn geworden war. Er wurde als „Nichtari-er“ Ende 1933 mit Wirkung zum 31. März 1934 in den Ruhestand versetzt. Dorn wurde 1938 im Verlauf der Reichspogromnacht misshandelt. Er konnte Deutsch-land rechtzeitig verlassen und wurde Professor an der University of Delaware. Nach dem Inkrafttreten des BBG am 7. April 1933 wurde Heinrich Zapf zum 1. Juni 1934 in den Ruhestand versetzt. Zapf war von 1921 bis 1924 Staatssekretär im Reichsfinanzministerium und Mitglied der Zentrumspar-tei. Von 1924 bis 1934 war er dann Senatspräsident beim RFH. Ein wirkliches „Asyl“ im Reichsfinanzhof hatte sich vermutlich Rolf Grabower (1883 – 1963) erhofft. Grabower war Ministerialrat im Reichsfinanzministerium und hatte den Buch- und Betriebsprüfungsdienst der Reichsfinanzverwaltung aufgebaut. Er war jüdischer Abstammung und wurde 1934 als Reichsrichter an den RFH versetzt. Nach den Nürnberger Gesetzen wurde er 1935 aus dem Amt gedrängt. Es folgte eine vorüberge-hende Zwangspensionierung, dann eine rückwirkende Entlassung unter Nachforderung „überzahlter Dienstbe-züge“ und schließlich die Einstellung seiner Ruhege-haltszahlungen. Durch Gestapo-Bescheid vom 28. März 1942 wurde er in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt, wo er als einer der wenigen Überlebenden von sowjetischen Truppen befreit wurde. Grabower wurde im Herbst 1945 zum Oberfinanzpräsidenten von

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Nürnberg ernannt. Daneben übernahm er eine Professur an der Universität Erlangen und lehrte an der Hochschu-le für Politische Wissenschaften in München.140 Ein anderer Richter des Reichsfinanzhofes konnte dieser Bedrohung nicht entkommen: Franz Oppens, im Januar 1933 noch vor der „nationalsozialistischen Machtergrei-fung“ an den Reichsfinanzhof gekommen, wurde zum 31.12.1935 in den Ruhestand versetzt. Er wollte, wie er im Oktober 1941 dem Oberfinanzpräsidium Hamburg mitteilte, „demnächst“ in die USA auswandern. Dieser Plan scheiterte. Oppens wurde 1944 nach Auschwitz deportiert. Dort verlieren sich seine Spuren. Wie Grabower und Oppens wurde auch Reichsfinanzrat Robert Wendriner zum 31.12.1935 wegen seiner Ab-stammung in den Ruhestand versetzt. Er konnte emi-grieren. Nach 1945 kehrte er nach Deutschland zurück. Er ist dem Vernehmen nach Ende der 60er Jahre in München gestorben. Lt. Meinl/Zwilling141 verließen zwischen 1933 und 1938 rund 30 Mitglieder den Reichsfinanzhof, viele davon zwangsweise aufgrund der diskriminierenden NS-Gesetze. Auch sei die Praxis der Stellenbesetzung geän-dert worden. Statt unabhängiger Richter seien vermehrt linientreue Finanzbeamte an das Gericht berufen wor-den. Lt. Rüping wurden neun Reichsrichter aus parteipo-litischen Gründen ernannt.142

140 Pausch, Alfons, DStZ, 1983, S. 207. 141 Meinl, Susanne, Zwilling, Jutta, Legalisierter Raub: Die Ausplünde-

rung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzver-waltung in Hessen, S. 262.

142 Rüping, Hinrich, Justiz und Verwaltung im Führerstaat, S. 43.

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Die Aussage Schwerin von Krosigks, dass „ein Nichtpar-teimitglied ungestört Präsident werden“ konnte, ist für sich genommen durchaus zutreffend. Ludwig Mirre war zum Zeitpunkt seiner Ernennung zum Präsidenten des Reichsfinanzhofes 1935 in der Tat nicht Mitglied der NSDAP. Er war allerdings damals bereits Mitglied des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen. Vom 1. Mai 1934 bis zu seiner Berufung an den RFH war Mirre Präsident des Landesfinanzamtes München und maßgeblich an der steuerlichen Exemption Hitlers betei-ligt. 1937 trat Mirre dann der NSDAP bei, wenige Wo-chen, nachdem sein Minister Schwerin von Krosigk diesen Schritt getan hatte.143 Der Reichsfinanzhof war somit keinesfalls „ein Veilchen, das im Verborgenen blühte“. Auch hier traf diejenigen, die „keine Volksgenossen waren“ die volle Härte natio-nalsozialistischen Unrechts.

143 Siehe zu diesem gesamten Abschnitt: Kumpf, Johann Heinrich,

DStZ, 1994, S. 66, mit weiteren Nachweisen.

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C) Spruchpraxis des Reichsfinanzhofes

In diesem Kapitel soll die Rechtsprechung des Reichsfi-nanzhofes in den steuerlichen Angelegenheiten jüdischer Bürger eingehend untersucht werden. Zuvor muss noch dargestellt werden, wie unabhängig die Stellung der Richter nach 1933 bei der Urteilsfindung noch war, welche Einflussnahmen von Seiten des Reichsfinanzmi-nisteriums erfolgten und wie sich der RFH bereits vor 1933 methodisch von den durch die einzelnen Sachver-halte vorgegebenen zivilrechtlichen Gestaltungen löste.

I. Stellung der Richter

Die Existenz des Reichsfinanzhofs als eigenständige Gerichtsbarkeit war in der Weimarer Verfassung nicht garantiert. Gem. Art. 107 WV mussten im Reich und in den Ländern „Verwaltungsgerichte zum Schutze der Einzelnen gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden bestehen“. Der RFH war ein Sonderverwaltungsgericht im Sinne des Art. 107 WV.144 Nach Art. 102 WV waren die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Gleiches war in § 36 RAO für die Richter des Reichsfinanzhofes bestimmt. Gem. § 36 Abs. 1 HS 2 RAO fand Art. 104 WV auf sie An-wendung, wonach die Richter auf Lebenszeit ernannt wurden. Sie konnten „wider ihren Willen nur kraft rich-terlicher Entscheidung und nur aus den Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, dau-ernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden“.

144 Voß, Reimer, a. a. O., S. 183.

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Formell wurde diese Rechtslage durch die Machtüber-nahme der Nationalsozialisten nicht geändert. Allerdings wirkten ab 1933 das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (siehe oben Tz. B.III.2) und ab 1937 das Deutsche Beamtengesetz (siehe oben Tz. B.III.4) auf diese richterliche Unabhängigkeit ein. Zu-dem erhielt Hitler nach seiner berüchtigten Reichstags-rede vom 26. April 1942, in der er ausrief, er werde nicht eher ruhen, bis jeder Deutsche einsehe, dass es eine Schande sei, Jurist zu sein, vom Reichstag das Recht der Amtsenthebung gegenüber jedem Deutschen, also auch gegenüber Richtern.145

II. Verhältnis des Reichsfinanzhofes zum Reichsfi-nanzministerium

Das Reichsfinanzministerium hatte noch aus der Weima-rer Zeit faktisch eine Fülle von Einflussmöglichkeiten auf Zusammensetzung und innere Organisation des RFH. Wie schon dargestellt146, wurden die Richter auf alleini-gen Vorschlag des Reichsfinanzministers vom Reichs-präsidenten ernannt. Darüber hinaus war der RFH etat-mäßig ein Teil des Reichsfinanzministeriums. Der Reichsfinanzminister bestimmte die Anzahl der Senate und die Art der Veröffentlichung der Entscheidungen. Ein öffentlicher Angriff auf die Stellung des Reichsfi-nanzhofs als unabhängiger oberster Gerichtshof blieb nach 1933 zunächst aus. Zwar hatte der neue Staatsekre-

145 Vormbaum, Thomas, Einführung in die moderne Strafrechtsge-

schichte, S. 212. 146 S. o. Tz. B.I.3.

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tär im Reichsfinanzministerium Reinhardt im Herbst 1933 auf dem Deutschen Juristentag angekündigt, dass „dem Reichsfinanzhof nicht mehr ein so großer Spiel-raum wie bisher bei der Auslegung der Steuergesetzge-bung gegeben sein wird“.147 Finanzminister Graf Schwerin von Krosigk hatte bei der Amtseinführung des neuen RFH-Präsidenten Kloß am 20. Januar 1934148 dem Reichsfinanzhof aber noch be-scheinigt, dass „Verwaltung und Rechtsprechung von gleicher Bedeutung“ sein werden bei der Durchführung der Steuergesetze. Im Februar 1935 bei der Amtseinführung des neuen Präsidenten Mirre, Dr. Kloß war am 1. Dezember 1934 verstorben, wurde Reinhard allerdings deutlicher. Er erteilte dem Reichsfinanzhof zwar eine Bestandsgarantie, machte den versammelten Richtern aber deutlich, dass die eigenständige Rolle des Reichsfinanzhofes bei der Steuerrechtsentwicklung vorbei sei. Reinhard sagte wört-lich149: „Es ist selbstverständlich, dass im Rahmen der gegebe-nen Möglichkeiten alles getan werden muss, um beste-hende Gesetze nationalsozialistischen Grundsätzen anzugleichen und in neuen Gesetzen die Grundsätze des Nationalsozialismus zur Geltung zu bringen. Und es ist ebenso selbstverständlich, dass bestehende Gesetze, auch diejenigen aus der Zeit vor dem 30. Januar 1933,

147 RStBl. 1933, S. 1025. Die Reden Reinhardts wurden regelmäßig im

Reichssteuerblatt veröffentlicht und erhielten damit die Qualität amtlicher Verlautbarungen.

148 RStBl. 1934, S. 65. 149 RStBl. 1935, S. 641; die entscheidenden Passagen werden in wörtli-

cher Rede wiedergegeben, um Aussage und Diktion zu dokumen-tieren.

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nach nationalsozialistischer Weltanschauung ausgelegt werden müssen. § 1 des Steueranpassungsgesetzes vom 16. Oktober 1934 bestimmt ausdrücklich: ‚Die Steuerge-setze sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen.’ Diese Vorschrift erstreckt sich auf jegliche Steuergesetze, die vorhanden sind, auch auf diejenigen aus der Zeit vor dem 30. Januar 1933. Sie ist am 17. Oktober 1934 in Kraft getreten. Es wird infolgedes-sen manche Vorschrift aus der Zeit vor dem 30. Januar 1933 heute anders ausgelegt und angewandt werden müssen als früher, und es wird auch manches Urteil des Reichsfinanzhofes aus jener Zeit heute nicht mehr als maßgebend betrachtet werden können.“ „Die Steuerverwaltungsbehörden haben die Gesetze nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen und anzuwenden. Die Steuergerichte werden angerufen, um festzustellen, ob die Auslegung durch die Steuerver-waltungsbehörde dem Willen des Gesetzgebers und der nationalsozialistischen Weltanschauung entspricht. Ge-setzgeber ist der Führer. Ihm zur Seite stehen als seine Vertrauensmänner die einzelnen Fachminister … Die einzelnen Fachminister … sind in ihrer Eigenschaft als Helfer des Führers mit den Gedanken des Führers am besten vertraut. Sie sind die am ehesten Berufenen, um zu bekunden, was durch das Gesetz … gewollt ist und nach welchen Grundsätzen das Gesetz … durchzufüh-ren [ist]. Der Erlass von Verwaltungsverordnungen … durch den zuständigen Fachminister bedarf der Zu-stimmung des … Stellvertreters des Führers. … Dessen Beauftragter zur Wahrung der Grundsätze des National-sozialismus in der gesamten Steuergesetzgebung bin ich selbst. … Hat der Fachminister eine Rechtsverordnung

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oder eine Verwaltungsvorschrift erlassen, so sind im nationalsozialistischen Staat die Steuergerichte daran unter allen Umständen gebunden. Es ist früher wieder-holt vorgekommen, dass die Steuergerichte sich auch mit der Frage befasst haben, ob die Durchführungsverord-nung oder Verwaltungsvorschrift mit dem Gesetz in Einklang stehe, und dass sie, wenn sie zur Verneinung der Frage kamen, die Verordnung oder Vorschrift nicht anerkannten. Dazu sind die Steuergerichte im national-sozialistischen Staat nicht befugt. … Es hieße der natio-nalsozialistischen Weltanschauung widersprechen oder nationalsozialistischer als der Führer, dessen Vertrau-ensmann und die Nationalsozialistische Deutsche Arbei-terpartei sein wollen und würde zu einem Zustand der Steuerunsicherheit führen, wenn ein Steuergericht erklä-ren wollte, dass das, was der Fachminister verordnet … habe, nicht mit dem Gesetz in Einklang zu bringe sei.“ „Aus meinen Ausführungen über die Aufgaben des Reichsfinanzhofs ergibt sich zusammenfassend, dass im nationalsozialistischen Staat der Reichsfinanzhof der Gehilfe des Reichsministers der Finanzen bei der Ausle-gung der Steuergesetze und bei der Entwicklung des Steuerrechts nach den Grundsätzen der nationalsozialis-tischen Weltanschauung zu sein hat.“ Reinhardt soll den RFH in dieser Rede zudem noch als „auf die Gesetzesauslegung beschränkten Zweig des Reichsfinanzministeriums“ bezeichnet haben.150

150 Rüping, Hinrich, NJW, 2001, S. 3028; die Bemerkung zur Einglie-

derung in das Ministerium fehlt im gedruckten Text des Reichs-steuerblattes, ist im originalen Wortlaut der Rede aber wohl enthal-ten.

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Mit dieser Rede wurde der Reichsfinanzhof seiner bishe-rigen Stellung als unabhängiger oberster Gerichtshof völlig entkleidet. Der Präsident wurde damit gleichzeitig auch zum Befehlsempfänger des RdF herabqualifiziert. Protest aus dem versammelten Auditorium gegen diesen Affront blieb allerdings aus. Im Gegenteil; Präsident Mirre sagte in seiner Dankesrede151 vielmehr: „Es gibt keinen Zweifel mehr über die Grundsätze nach denen die Gesetze auszulegen sind. Es wird lediglich unsere Pflicht sein, uns immer mehr in den Gedanken-gang unseres Führers Adolf Hitler zu vertiefen, damit wir alle Entscheidungen in seinem Geiste fällen kön-nen.“152 Bezeichnend für das Verhältnis zwischen dem Reichs-minister der Finanzen und dem Reichsfinanzhof ist auch der Erlass des RdF vom 21. August 1936153. Reinhardt hielt darin verschiedene Bestimmungen der Reichsabga-benordnung als mit den Grundsätzen nationalsozialisti-scher Staatsführung nicht für vereinbar und gebot in barscher Diktion folgende Änderungen: "1. § 59 AO weist dem sog. Präsidium des Reichsfinanz-hofes gewisse Geschäfte zu. Diese Geschäfte wird künf-tighin der Präsident allein zu führen haben. 2. Gemäß § 64 AO veröffentlicht der Reichsfinanzhof seine Entscheidungen. Üblicherweise entscheidet über die Veröffentlichung der Senat. Das wird künftighin Sache des Senatspräsidenten sein.

151 Steuer-Warte, 1935, S. 178. 152 Die Feier endete mit einem dreifachen „Sieg Heil“, in das die

Festversammlung lt. Chronist freudig einstimmte, sowie dem Ab-singen des Deutschland- und des Horst-Wessel-Liedes.

153 Abgedruckt bei List, Heinrich, von-Wallis-Fschr., 1985, S. 21.

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3. § 287 AO sieht vor, dass der Senat den Reichsminis-ter der Finanzen um Beteiligung am Rechtsbeschwerde-verfahren ersuchen kann. Hierüber wird künftighin der Senatspräsident allein zu befinden haben. Meine Beteiligung ist insbesondere in den folgenden Fällen geboten: a) Wenn ein Senat glaubt, von einem meiner veröffent-lichten Runderlasse abweichen zu sollen, b) wenn entscheidende Erwägungen mit den durch mich verkündeten Grundsätzen nationalsozialistischer Steuerpolitik in Widerspruch zu geraten drohen, c) wenn die Entscheidung geeignet ist, Verwaltungs-schwierigkeiten hervorzurufen, d) wenn ein Senat glaubt, von Verwaltungsanordnungen abweichen zu sollen, die ich getroffen oder gebilligt habe und die dem Reichsfinanzhof zur Kenntnis gelangt sind. 4. Der Senatspräsident hat auf Abfassung der Ent-scheidungsgründe bestimmenden Einfluss zu nehmen. Er hat insbesondere dafür zu sorgen, dass die Entschei-dungsgründe nicht mehr enthalten, als zur Begründung der getroffenen Entscheidung erforderlich ist. Für die Abfassung der Entscheidungsgründe sind die Mitglieder den Anordnungen des Senatspräsidenten unterworfen.“ Damit war einerseits das „Führerprinzip“ auch am RFH eingeführt, andererseits sicherte sich Reinhardt durch diesen Erlass umfangreiche Beteiligungs- und damit faktisch Einflussmöglichkeiten. Diese Regelungen wurden erst durch das Einführungs-gesetz zu den Realsteuergesetzen vom 1. Dezember 1936154 legalisiert.

154 RGBl. 1936, S. 961, Abschnitt III, Nr. 63.

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Am 6. Oktober 1941 besuchte der sich bis dahin nicht für die Finanzgerichtsbarkeit interessierende Reichsfi-nanzminister Graf Schwerin von Krosigk den Reichsfi-nanzhof. Unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit und Wahrung absoluter Vertraulichkeit begrüßte Präsident Mirre, den Gast, die Senatspräsidenten referierten über ihre Arbeitsbereiche unter den damaligen Verhältnissen und der Minister antwortete in einer allgemein gehalte-nen Schlussansprache. Keiner der Senatspräsidenten, darunter so anerkannte Steuerrechtler wie Schmittmann, Veiel oder Hübschmann, griff dabei Reinhards Konzep-tion einer rein instrumentalen Funktion des RFH auf oder sprach sie auch nur an.155 Zu diesem Zeitpunkt hatte der Reichsfinanzhof seine Rolle als eigenständiges, unabhängiges Organ der Steuer-rechtspflege längst ausgespielt und sich dem Willen des Reichsfinanzministeriums untergeordnet. Dass dieser Prozess bereits früh einsetzte und in wichtigen Teilberei-chen durchaus ohne erkennbares Widerstreben im Reichsfinanzhof abgelaufen war, wird in Tz. C. IV. aus-führlich dargestellt werden.

III. Wirtschaftliche Betrachtungsweise

Bevor die Rechtsprechung des obersten Steuergerichtes in der Zeit von 1933 bis 1945 untersucht werden soll, ist noch auf die Methode der Rechtsanwendung durch den Reichsfinanzhof einzugehen. Der RFH fühlte sich von Anfang an nicht an die Judika-tur des Reichsgerichts zum Zivilrecht gebunden. In 155 Rüping, Hinrich, NJW, 2001, S. 3029.

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seinen Händen wurde das Steuerrecht zu einer selbstän-digen Rechtsmaterie mit eigener Begrifflichkeit entwi-ckelt, die für den hauptsächlich am Zivilrecht geschulten Juristen immer schwerer zugänglich wurde. Diese in ihren Auswirkungen noch heute spürbare Tendenz wur-de mit einer prinzipiellen Zweckverschiedenheit des Steuerrechts gegenüber dem Zivilrecht erklärt. Dem Steuerrecht komme es, so Enno Becker156 im Jahr 1931157, darauf an, „die Auswirkungen wirtschaftlicher Kräfte steuerlich zu erfassen“. Die Finanzbehörden und die Finanzgerichte hätten daher auf die „tatsächliche Gestaltung im wirtschaftlichen Leben Rücksicht zu nehmen“, nicht dagegen auf die „bloß formale Rechtsge-staltung“. Keinesfalls dürfe es geschehen, dass der Rich-ter auf den „Hokuspokus der bürgerlich-rechtlichen Aufmachung hereinfällt“158. Erster Zweck eines Steuer-gesetzes sei daher, „Geld hereinzubekommen, und dass dieser Zweck bei drängender Notlage des Reichs … berücksichtigt werden muss, zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Rechtsprechung des Reichsfi-nanzhofes und erklärt manche Entscheidung, die früher nicht oder doch nicht in dieser Schärfe ergangen wäre. Die Notlage des Reiches gebietet, die Besteuerung streng durchzuführen, alle Löcher zu verstopfen und für eine wirkliche Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu sorgen“.

156 Senatspräsident Dr. Enno Becker (1869 – 1940), Verfasser des

Gesetzesentwurfs zur Reichsabgabenordnung 1919 und renom-mierter Kommentator von Reichsabgabenordnung und Einkom-mensteuergesetz.

157 Becker, Enno, StuW 1931 I, S. 429, 433. 158 Eine stringente Verbindung zum konkreten Ordnungsdenken von

Carl Schmitt ziehen sowohl Hinrich Rüping, Justiz und Verwaltung im Führerstaat, S. 55, als auch Reimer Voß, Steuern im Dritten Reich, S. 42.

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Ihren reinsten Ausdruck fanden diese Vorstellungen in der vom RFH aus § 4 RAO entwickelten „wirtschaftli-chen Betrachtungsweise“159. Sie wurde sowohl bei der Gesetzesauslegung, als auch bei der richterlichen Fest-stellung des Sachverhaltes angewandt160. Dadurch konnte es geschehen, dass ein zivilrechtlicher Gesellschafter nicht161, ein zivilrechtlicher Arbeitnehmer hingegen doch162 als steuerrechtlicher Mitunternehmer betrachtet wurde. Wo sich die wirtschaftliche Betrachtungsweise mit dem staatswohlorientierten Fiskalismus paarte, konnten sich für den Steuerbürger beträchtliche Nachteile erge-ben.163 164 Gleiches gilt für eine andere Schöpfung des Reichsfi-nanzhofes vor 1933, die sog. typisierende Betrachtungs-weise165. Bei der Anwendung dieser Methode bleiben die

159 Grundlegend dazu RFHE 8, 140. 160 Becker, Enno, Reichsabgabenordnung, § 4, Bem. 2 und 3. 161 RStBl. 1931, S. 190. 162 RStBl. 1932, S. 1173. 163 Tipke, Klaus, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I. S. 94. 164 Die wirtschaftliche Betrachtungsweise ist eine bis in die Jetztzeit

praktizierte Auslegungsmethode im Steuerrecht. Sie wurde vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 27.12.1991 (2 BvR 72/90, BStBl. 1992 II, S. 212) für zulässig erachtet. Der entschei-dende Unterschied zum Zeitraum zwischen 1933 und 1945 besteht im Telos der Auslegung. Geht es heute um eine an den spezifischen Zielen einer steuerrechtlichen Regelung und deren eigengesetzli-cher Terminologie auszurichtende steuerrechtliche Beurteilung, ob der bewirkte wirtschaftliche Erfolg einen steuerlichen Tatbestand erfüllt, so sollten die Auslegungsergebnisse damals auch noch den völkischen Vorstellungen des nationalsozialistischen Staates ent-sprechen.

165 Die Rechtsprechung zur typisierenden Betrachtungsweise wurde vom BFH zunächst unverändert fortgeführt. In der Folgezeit wur-de sie allerdings immer restriktiver gehandhabt. Damit stellt auch in der Steuerrechtsprechung die Typisierung nur die zulässige Aus-

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konkreten Verhältnisse des Einzelfalles unberücksichtigt. Es wurde vielmehr darauf abgestellt, wie sich ein Sach-verhalt typischerweise darstellte. Derjenige, der seine Verhältnisse abweichend vom typischen Fall gestaltet hatte, wurde im Ergebnis doch so behandelt, als läge bei ihm der typische Fall vor166. Welche Folgen eine solche staatswohlorientierte Recht-sprechung167 in einem Staat haben konnte, wie er sich nach 1933 etablierte, soll im folgenden Abschnitt darge-stellt werden.

IV. Rechtsprechung des RFH in steuerlichen Ange-legenheiten von Juden168 169

Die Hauptschwierigkeit in diesem Teil der Arbeit besteht darin, die einschlägigen Urteile zu finden, da eine syste-matische Aufarbeitung der Rechtsprechung des RFH fehlt. Der RFH hat in der Zeit von 1933 bis 1942 insge-samt 29.571170 Rechtsstreite erledigt. Veröffentlicht wur-den von 1934 bis 1943 1998171 Urteile und Gutachten. Die zur Veröffentlichung freigegebenen Urteile erschie-

nahme zur vorrangigen Einzelfallprüfung dar (BStBl. 1957 III, S. 286; BStBl. 1991 II, S. 751).

166 RFHE, 20, 317. 167 Kumpf, Johann Heinrich, Die Finanzgerichtsbarkeit im Dritten

Reich, S. 84. 168 Es werden in diesem Abschnitt z. T. Unterlagen aus den einzelnen

Prozessakten zitiert. Diese Zitate wurden dem Beitrag von Kumpf aus Fn. 169 entnommen. Als Fundstelle gibt Kumpf folgendes Ak-tenzeichen des Bundesarchivs an: BA-B R 37; die angeführten Stel-len sind dort jeweils in den nach Geschäftszeichen abgelegten Un-terlagen auffindbar.

169 Kumpf, Johann Heinrich, Die Reichsfinanzverwaltung im Natio-nalsozialismus, 2002, S. 153 – 156.

170 Groh, Karl, Die Reichsfinanzverwaltung, S. 126. 171 Franzen, Klaus, Klein-Fschr., 1994, S. 1064.

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nen z. T. in der „Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des Reichsfinanzhofes“ (RFHE), aber auch im Reichssteuerblatt, in der Zeitschrift „Steuer und Wirtschaft“ (StuW), sowie der sog. „Mrozek-Kartei“. Band 54 der RFHE mit den Entscheidungen vom 25. Juni 1943 bis zum 1. März 1945 erschien erst im Jahr 1952. Es finden sich darin keine diskriminierenden Ur-teile gegenüber jüdischen Steuerzahlern, was natürlich auch daran liegen kann, dass man diese nach Kriegsende weggelassen hat. Neben den Entscheidungen selbst mutet auch die Diktion der Urteilsbegründungen aus heutiger Sicht z. T. sehr befremdlich an. Da Sprache sehr viel über deren Benutzer verrät, werden im Folgenden Passagen dann wörtlich übernommen, wenn sie Erhel-lendes zur Problemstellung beitragen können.

1. Rechtsprechung zur Reichsfluchtsteuer

Wie bereits dargelegt handelte es sich bei der Reichs-fluchtsteuer nicht um eine Erfindung des nationalsozia-listischen Staates. Die Zielsetzung der Besteuerung wan-delte sich nach 1933 allerdings grundlegend von der Verhinderung der Auswanderung hin zur Ausplünde-rung jüdischer Bürger, denen durch Geschehnisse au-ßerhalb des Steuerrechts ein Verbleiben in Deutschland unmöglich gemacht wurde. Es werden in der folgenden Besprechung auch einige grundlegende Urteile des RFH aufgeführt, bei denen im Sachverhalt nicht ausdrücklich auf die Konfession des Steuerpflichtigen eingegangen wurde. Bürger jüdischen Glaubens waren über den ent-schiedenen Einzelfall hinaus allerdings auch Hauptbe-troffene dieser Urteile.

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a) Verfahren zu § 2 Ziff. 3 RFlStV

Das Gros der Verfahren zur Reichsfluchtsteuer vor dem RFH betraf die Befreiungsvorschrift des § 2 Ziff. 3 RFlStV. Danach war von der Reichsfluchtsteuerpflicht befreit, wem das Finanzamt bescheinigte, dass die Aus-wanderung im deutschen Interesse liege. Der an sachli-chen Gesichtspunkten orientierte Vergleich, mit dem bis zur Machtergreifung zwischen dem Vorteil der Auswan-derung und dem Nachteil, der dem Deutschen Reich durch die Auswanderung entstehe, abgewogen wurde, ist in Tz. B.II.3 beschrieben. Bereits mit Urteil vom 20. Dezember 1933172 verabschie-dete sich der RFH von diesem streng sachlichen Grund-satz. Ein jüdischer Rechtsanwalt, der auf Grund des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933173 seine Zulassung verloren hatte, verlegte im Juni 1933 seinen Wohnsitz nach England um dort zu studieren und Vertretungen deutscher Firmen zu übernehmen. Eine Freistellungsbescheinigung war ihm von den Finanzbehörden verweigert worden, weil er Deutschland lediglich aus persönlichen Gründen verlas-sen habe und er seine Arbeitskraft auch weiterhin nutz-bringend in Deutschland verwerten könne. Der Be-schwerdeführer bestritt, dass er sein Auskommen in Deutschland finden könne und er somit der Erwerbslo-senfürsorge zur Last fallen würde. Außerdem käme die von ihm geplante Vertretertätigkeit der deutschen Aus-fuhr zu Gute. Im Übrigen herrsche in Deutschland die

172 III A 353/33, RStBl. 1934, S. 90. 173 RGBl. 1933 I, S. 18.

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Auffassung, dass die Auswanderung von Nichtariern in deutschem Interesse liege. Der Blick in die Prozessakten174 ergibt, dass der III. Senat „den Herrn RM d. F. um Beteiligung am Verfah-ren“ ersuchte und ihm dabei die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage vorlegte, „ob die Aufgabe des inlän-dischen Wohnsitzes durch solche [nichtarische] Perso-nen im deutschen Interesse liegt …, ferner, ob die RFlStV auch auf Personen angewandt werden soll, die zur Abwanderung nur durch Maßnahmen der Regierung veranlasst worden sind“. Die Stellungnahme des RdF wurde vom RFH größtenteils übernommen und als Urteilsbegründung abgedruckt. Darin heißt es u. a. es würde der Zweck der RFlStV vereitelt, „wenn in die Handhabung der Verordnung Gesichtspunkte gebracht würden, an die der Gesetzgeber im Jahre 1931 noch nicht denken konnte, und die bei folgerichtiger Durch-führung zu einem dem Reichshaushalt abträglichen Ergebnis führen müsste.“ Dazu gehöre die Frage, „ob die Auswanderung von Nichtariern in deutschem Inte-resse liege. Diese Frage stand bei Erlass der RFlStV überhaupt noch nicht ernstlich zur Erörterung; ihre Bejahung würde auch dem reichsten Nichtarier die Mög-lichkeit eröffnen, ohne Rechtsnachteil dem Drucke der deutschen Steuergesetze zu entgehen. Damit wäre für Nichtarier ein Ausnahmezustand geschaffen, der mit der Forderung steuerlicher Gerechtigkeit und Gleichmäßig-keit schlechthin unvereinbar wäre. … Der Senat tritt deshalb dem RdF darin bei, dass die Vorschriften dieser Verordnung ohne Einschränkung auf Nichtarier anzu-

174 Kumpf, Johann Heinrich, Die Reichsfinanzverwaltung im Natio-

nalsozialismus, 2002, S. 153.

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wenden sind. …Damit scheidet die Rassezugehörigkeit eines Steuerpflichtigen im Rahmen der RFlStV aus jeder Erörterung aus“. Der RdF und mit ihm der RFH verneinte ein deutsches Interesse an der Auswanderung, da „Maßnahmen der Reichsregierung, durch die Nichtarier gezwungen (hervor-gehoben im Original) werden, auszuwandern, nicht bestehen. Wenn aber ein Nichtarier den Wunsch hat, seinen Wohnsitz in das Ausland zu verlegen, so soll er daran nicht gehindert werden. Ein deutsches Interesse an der Auswanderung wird im Allgemeinen zu verneinen sein“. Dass der Rechtsanwalt auch weiterhin sein Auskommen in Deutschland haben würde wird wie folgt begründet: „Die von der Reichsregierung seit dem 30. Januar 1933 zuungunsten der Nichtarier getroffenen Maßnahmen waren durch die politische Lage bedingt und haben den Zweck, den überragenden Einfluss, den die Nichtarier seit Beendigung des Weltkrieges nicht nur auf die Lei-tung von Behörden, sondern auch in der Wirtschaft hatten, zu beseitigen. Die dadurch erforderlich geworde-ne Umstellung in der Berufsausübung der Nichtarier kann aber kein Grund sein zu einer allgemeinen Freistel-lung von der Reichsfluchtsteuer bei der Abwanderung solcher Personen. Ebenso wie sich nach Schluss des Weltkrieges die vielen Berufsoffiziere, Beamten und z. T. auch Angehörigen der freien Berufe umstellen mussten, kann dies auch den Nichtariern zugemutet werden, zu-mal diese Umstellung den unter die RFlStV fallenden Personen durch ihre Vermögenslage regelmäßig erleich-tert wird“.

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Das Urteil wurde dem RFM vor der Veröffentlichung zugesandt. Das Ministerium beanstandete die Wiederga-be des folgenden Satzes seines Gutachtens im Urteil: „Von einem auswandernden Nichtarier kann aber nicht erwartet werden, dass er im Ausland deutsche Art und deutsches Wesen fördert“. Das RFM sah hier die Mög-lichkeit des Konfliktes mit dem Auswärtigen Amt, das rügen könnte, „dass dieser Satz zwar richtig ist, aber bei einer allgemeinen Veröffentlichung außenpolitisch un-günstig wirkt“. Die Antwort des RFH lautete: „ Sehr geehrter Herr Ministerialrat! Auf das gefl. Schreiben vom 11. d. Mts. teile ich Ihnen unter Rückgabe der Entschei-dung v. 20.12.33 ergebenst mit, dass der Senat beschlos-sen hat, das Urteil unter Weglassung des betreffenden Satzes zu veröffentlichen“. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers hatte in einem Schriftsatz vom 20. September 1933 auf den Widerspruch zum sog. Palästina-Erlass - Runderlass 54/33 des Reichswirtschaftsministeriums - hingewiesen und diesen wie folgt zitiert: „Ich habe keine Bedenken, dass solche Genehmigungen auch Neuauswanderern erteilt werden, wenn die Übersiedlung nach dem Aus-lande durch besondere persönliche Umstände gerecht-fertigt ist, oder im deutschen Interesse liegt. Diese Vo-raussetzung wird bei der Abwanderung von Nichtariern grundsätzlich zu bejahen sein“. Das RFM erklärte hierzu in der o. a. Stellungnahme, dass es sich nur um einen scheinbaren Widerspruch handele; das Reichswirt-schaftsministerium habe nicht beabsichtigt, eine Ausle-gung für den Begriff „deutsches Interesse“ zu geben, der für die Durchführung der RFlStV von Bedeutung sei.

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„Vielmehr sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die Abwanderung der Nichtarier aus kultur- und rasse-politischen Gründen erwünscht ist“. Mit diesem Winkelzug, dass die Auswanderung aus kul-tur- und rassepolitischen Gründen deutschen Interessen entspräche, für Zwecke der Reichsfluchtsteuer deutsche Interessen an der Auswanderung aber verneint wurden, waren bereits im Dezember 1933 die Weichen dahinge-hend gestellt, dass mit der Reichsfluchtsteuer nicht mehr die Auswanderung verhindert, sondern die „Juden-Auswanderung“ besteuert wurde. Dies geschah wohlgemerkt zeitlich weit vor dem Inkraft-treten des Steueranpassungsgesetzes 1934 und auch vor der „Gehilfen-Rede“ von Staatssekretär Reinhard vor der Richterschaft des RFH 1935. Mit Urteil vom 16. Februar 1934175 hatte der RFH über die Reichssteuerpflicht eines Rechtsanwaltes zu ent-scheiden, der ebenfalls im ersten Halbjahr 1933 seine Zulassung verloren hatte und nach Palästina ausgewan-dert war, um von dort deutsche Waren zu importieren. Entsprechend dem in Tz. B.II.3 zitierten Urteil des ausgewanderten Ingenieurs176 wäre die Reichssteuer-pflicht zu verneinen gewesen. Der RFH geht in der Begründung vom 16. Februar 1934 überhaupt nicht auf seine bisherige ständige Rechtsprechung ein. Er verweist vielmehr auf sein Urteil vom 20. Dezember 1933, in dem ausgeführt sei, dass die Rassezugehörigkeit des Steuer-pflichtigen aus jeder Erörterung ausscheide. Zudem könne „ein deutsches Interesse an der Auswanderung

175 III A 43/34, RStBl. 1934, S. 371. 176 RFHE 3, 73.

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von Nichtariern im allgemeinen (Hervorhebung im Origi-nal), wie der dem oben erwähnten Verfahren beigetrete-ne Reichsminister der Finanzen zutreffend ausgeführt hat, nicht anerkannt werden“. Auch in den folgenden vier Urteilen verwies der RFH, nun schon in ständiger Rechtsprechung, auf sein Urteil vom 20. Dezember 1933: Am 8. März 1934177 und am 12. April 1934178 bejahte der RFH bei zwei Ärzten, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt hatten die Steuerpflicht. Sie seien keineswegs zur Auswanderung gezwungen gewesen. Sie hätten ihre ärztliche Tätigkeit vielmehr weiterhin ungehindert ausü-ben können, auch wenn sich die Einnahmen erheblich vermindert hätten. Einer der Ärzte hatte seine leitende Stellung als Direktor eines Krankenhauses „als Nichtari-er“ aufgeben müssen. Sein Weggang erfolgte lt. RFH nur deshalb, „weil es ihm vorteilhaft erschien, die sich ihm bietende Gelegenheit, an einem ausländischen Kranken-haus in ähnlicher Stellung wirken zu können, wahrzu-nehmen“. Ebenfalls am 12. April 1934179 trat der RFH den „zutref-fenden Ausführungen“ des Finanzgerichts bei, wonach es zweifelhaft erscheine, „ob der Beschwerdeführer als Nichtarier gerade bei der Werbung für deutsche Filme im Ausland besondere Erfolge erzielen könne“. Es han-delte sich dabei um einen Filmkaufmann, der nach Hol-land ausgewandert war.

177 III A 68/34, RStBl. 1934, S. 565. 178 III A 117/34, RStBl. 1934, S. 591. 179 III A 75/34, RStBl. 1934, S. 590.

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Auch noch am 17. Juni 1937180, das Reichsbürgergesetz war bereits seit zwei Jahren in Kraft, hielt der RFH die Annahme des Beschwerdeführers für abwegig, „dass aus dem nationalsozialistischen Staatsgefühl heraus die Aus-wanderung eines Juden grundsätzlich als im deutschen Interesse liegend erachtet werden müsse“. Völlig entgegengesetzt argumentierte der RFH im Urteil vom 12. November 1936181. Hier hatte der Beschwerde-führer bereits im Vorverfahren eingeräumt, dass eine Reichssteuerpflicht entsprechend der Rechtsprechung des RFH gegeben sei. Seine Auswanderung im April 1934 sei aber gleichwohl aus volkswirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt. Dies könne aber erst im Laufe einiger Jahre nachgewiesen werden. Er beantragte daher, die Fälligkeit der Steuer auf fünf Jahre zu stunden, da dann abzusehen sei, dass durch seine Tätigkeit im Aus-land ein ganz wesentlicher Export aus Deutschland getätigt worden sei. Entscheidend für die Bewilligung der Stundung war, ob die Auswanderung ausschließlich aus betrieblichen Gründen erfolgte, oder ob andere „private“ Gründe im Vordergrund standen. Der RFH formulierte in seinem Urteil wörtlich: „Damals [im April 1934] war der politische Umschwung bereits vollzogen. Die Abwanderung von Nichtariern aus Deutschland war politisch erwünscht und zu ihrem Teil geeignet, eine Lösung der Judenfrage herbeizuführen. Die Devisenstel-len förderten die im Frühsommer 1933 einsetzende und sich bis gegen Jahresende dauernd steigernde Abwande-rung durch Devisenzuteilung, um den Auswandernden die Begründung einer neuen Existenz im Ausland zu

180 III A 148/37, RStBl. 1937, S.949. 181 III A 137/36, RStBl. 1936, S. 1202.

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ermöglichen“. Zwischen den Zeilen lässt sich lesen, der Beschwerdeführer habe wohl die „günstige“ Gelegenheit zur Auswanderung genutzt und sei deshalb aus „priva-ten“ Gründen ausgereist. Die Stundung wurde abge-lehnt. Die Formulierung „Die Abwanderung von Nicht-ariern aus Deutschland war politisch erwünscht …“ findet sich wortgleich im Urteil vom 11. Februar 1937.182 Im Urteil vom 29. April 1937183 konnte ein Beschwerde-führer, dem nach vollendetem medizinischem Studium und Ableistung des praktischen Jahres die staatliche Approbation „aufgrund der Arierbestimmungen verwei-gert“ worden war, den RFH nicht davon überzeugen, dass er nur vorübergehend für die Dauer von ca. zwei Jahren „nach Amerika“ ausgewandert sei. Er wolle sich dort weiterbilden um dann nach seiner Rückkehr die pharmazeutische Fabrik seines Vaters zu leiten. Die Weiterbildung sei dafür vorteilhaft. Er habe deshalb seinen inländischen Wohnsitz, eine Wohnung im Vater-haus, beibehalten und sei daher nicht reichsfluchtsteuer-pflichtig. Der RFH entschied, dass er sehr wohl seinen Wohnsitz aufgegeben habe, da anzunehmen sei, „dass der Beschwerdeführer schon jetzt den Willen habe, in Amerika jede sich ihm bietende Gelegenheit zu ergrei-fen, um als Arzt oder in einem pharmazeutischen Be-trieb tätig zu werden; dort habe er viel bessere Zukunfts-aussichten, als sie in Deutschland für Juden beständen“.

182 III A 9/37, RStBl. 1937, S. 475. 183 III A 44/37, RStBl. 1937, S. 615.

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Im Urteil vom 26. Mai 1937184 kam es dann wiederum auf das tatsächliche Aufgeben der Wohnung an. Diesem Urteil liegt ein jüdisches Massenschicksal zu Grunde. Die beschwerdeführenden Eheleute, „Nichtarier“, hatten im Sommer 1935 ihr Unternehmen verkauft und die Reichsfluchtsteuer auf Grund des letzten Vermögen-steuerbescheides 1931/35 bezahlt. Der Ehemann war am 21. Oktober 1935 ausgereist, um Arbeit zu suchen. Der Spediteur war für den 13. Dezember 1935 bestellt, am 17. Dezember 1935 wurde die Wohnung zum 1. April 1936 gekündigt. Die Ehefrau blieb noch bis Ende Dezember 1935 in der Wohnung, wo ihr am 14. Dezember 1935 der Vermögensteuerbescheid für 1936/38 zugestellt worden war. Die Ehefrau war dann Ende 1935 ebenfalls ausgereist. Streitig war hier, ob die Reichsfluchtsteuer nach dem Vermögensteuerbescheid 1931/35, oder dem höheren Bescheid 1936/38 zu be-rechnen war. Es kam also auf den Zeitpunkt der Aus-wanderung an. Der RFH entschied: „Das Gesamtverhal-ten des Beschwerdeführers, der Verkauf seines Unter-nehmens, die freiwillige Bezahlung der Reichsfluchtsteu-er, die Kündigung der Wohnung und die Vorbereitung des Umzuges sprechen … dafür, dass der Beschwerde-führer von Anfang an die Absicht gehabt hat, seinen Wohnsitz … aufzugeben. Eine solche Absicht genügt aber noch nicht, um die Reichsfluchtsteuer zu begrün-den, sondern hierzu ist die tatsächliche Aufgabe des Wohnsitzes erforderlich“. Die Steuer war damit von der höheren Bemessungsgrundlage zu berechnen.

184 III A 109/37, RStBl. 1937, S. 733.

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In einem weiteren Urteil vom gleichen Tag, dem 26. Mai 1937185 kommt es wiederum nicht auf das tatsächliche Aufgeben der Wohnung an. Ein jüdisches Ehepaar, das im April 1933 aus gesundheitlichen Gründen ausgereist war und nach ärztlichen Zeugnissen vom Dezember 1936 aus medizinischen Gründen „im milden südlichen Klima leben und jede Aufregung vermeiden“ musste, hatte seine inländische Wohnung beibehalten und führte auch noch sein inländisches Geschäft weiter. Der RFH bejahte hier die Steuerpflicht, da auf Grund der ärztli-chen Zeugnisse festgestellt sei, „dass die Beschwerdefüh-rer dauernd oder zum mindesten für absehbare Zeit im Ausland bleiben werden“. Dem Beibehalten der Woh-nung maß der RFH hier ausdrücklich keine Indizwir-kung zu. Der Bezugnahme auf die Befreiungsvorschrift des § 2 Ziff. 3 entzog der RFH mit Urteil vom 15. September 1938186 endgültig den Boden, indem er die Steuerbefrei-ung unter Bezug auf den Runderlass des RFM vom 23. Dezember 1937187 generell ablehnte und dies damit begründete, dass „Juden im Allgemeinen nicht geeignet sind, die Belange des deutschen Volkes im Ausland wirksam zu vertreten“. In besagtem Runderlass war festgelegt worden, dass „bei auswandernden Juden oder jüdischen Mischlingen die Voraussetzungen für die Er-teilung einer Freistellungsbescheinigung in der Regel nicht vorliegen“.

185 III A 117/37, RStBl. 1937, S. 741. 186 III 208/38, RStBl. 1939, S. 153. 187 RStBl. 1937, S. 1295.

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Damit hatte der III. Senat wiederum eine Kehrtwende vollzogen und letztlich doch die Rassezugehörigkeit zum Objekt der Reichsfluchtsteuer erklärt. In vielen Fällen bestritten die Auswanderer ihre Steuer-pflicht, da die Emigration bzw. das Verbleiben im Aus-land nicht freiwillig geschah. Der RFH verwarf diese Klagen in der Regel mit der Begründung, dass die Furcht eines Juden vor Verfolgung keinen Zwang im unmittel-baren Sinn darstelle. Ein solcher unmittelbarer Zwang liege nur bei Verbringung ins Ausland „im Zustand der Bewusstlosigkeit oder mit Gewalt“ vor. Das Urteil vom 15. März 1934188 gab dem Beschwerde-führer zwar Recht, der Steuerbescheid und der Steuer-steckbrief wurden aufgehoben, da er sich nur vorüber-gehend im Ausland aufgehalten und seinen Wohnsitz nicht aufgegeben hatte. Bemerkenswert ist hingegen die bagatellisierende Formulierung, die der RFH in seiner Sachverhaltsschilderung benutzt; der jüdische Steuerbür-ger habe sich „aus Furcht vor Belästigungen“ im Aus-land aufgehalten. Die gleiche Formulierung „Furcht vor Belästigungen“ findet sich im Urteil vom 27. September 1934189. Der Beschwerdeführer „ein nichtarischer Geschäftsmann“ hatte Deutschland im Juni 1933 mit seiner Familie ver-lassen. Im September 1933 hatte die politische Polizei sein Vermögen beschlagnahmt und seine Wohnung versiegelt. Dadurch sei für ihn die Rückkehr nach

188 III A 61/34, RStBl. 1934, S. 794. 189 III A 311/34, RStBl. 1934, S. 1225.

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Deutschland tatsächlich unmöglich geworden und er habe durch die Versiegelung das Verfügungsrecht über seine Wohnung verloren. Im Folgenden wird wörtlich aus der Urteilsbegründung zitiert: „Allerdings können polizeiliche Eingriffe, wie die Versiegelung der Wohnung und die Vermögensbeschlagnahme allein den Wohnsitz nicht beenden. Wenn aber der Pflichtige sich mit der Sachlage abfindet, und in keiner Weise die Absicht be-kundet, seinen inländischen Wohnsitz aufrechtzuerhal-ten, kann dieser als aufgegeben betrachtet werden. So verhält es sich hier nach den Feststellungen des Finanz-gerichts und den eigenen Angaben des Beschwerdefüh-rers, der selbst vorträgt, dass er nicht mehr beabsichtige, nach Deutschland zurückzukehren. Er wendet lediglich folgendes ein: Da die ihm zugefügten schweren Miss-handlungen bisher keine Sühne gefunden hätten und ihm die Schutzhaft angedroht worden sei, müsse er befürchten, dass er nach seiner Rückkehr rechtlos und unter Umständen weiteren Gefährdungen von Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Dadurch sei eine Lage gegeben, die dem Ausschluss der freien Willensbestimmung gleichzustellen ist. … Der Umstand allein, dass der Steu-erpflichtige sich nicht freiwillig im Ausland aufhält, son-dern durch die Verhältnisse (z. B. Furcht vor Belästigun-gen) dazu genötigt wird, steht der Erhebung der Reichs-fluchtsteuer nicht entgegen. Welchen Einfluss der Aus-schluss der freien Willensbestimmung auf den Wohnsitz … hat, kann dahingestellt sein, denn im vorliegenden Fall kann von einem Ausschluss der freien Willensbe-stimmung … nicht die Rede sein. Die vom Beschwerde-führer angegebenen Vorgänge haben sich in der ersten Zeit der politischen Umwälzung abgespielt, als die Lei-

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denschaften noch erregt gewesen und einzelne Übergrif-fe vorgekommen sein mögen, die von den leitenden Stellen keineswegs gebilligt worden sind. Seitdem haben sich die Gemüter aber wieder beruhigt. Nach den … Versicherungen von Regierungsmitgliedern und bei den heute in Deutschland bestehenden Verhältnissen ist nicht anzunehmen, dass dem Beschwerdeführer noch irgendwelches Unrecht zugefügt wird“. Dass der RFH auch hier die Reichssteuerpflicht bejaht, überrascht nicht. Im Fall eines Emigranten, für den ein Steuersteckbrief ausgefertigt war, urteilte der RFH am 31. Januar 1935190: „Besorgnis vor Verhaftung beim Grenzübertritt braucht einen Steuerpflichtigen nicht von der Rückkehr abhal-ten“. In die gleiche Kerbe schlugen die Richter mit dem Urteil vom 6. Februar 1936191 von dem allerdings nicht jüdische Bürger, sondern Mitglieder der KPD betroffen waren. Im Urteilstenor heißt es: „Die Mitteilung der Geheimen Staatspolizei, dass die Rückkehr eines im Ausland befindlichen Deutschen unerwünscht sei, hin-dert die Rückkehr des Steuerpflichtigen in das Inland nicht“. In den Urteilsgründen führt der RFH aus: „Im Streitfall hätte der Beschwerdeführer die Bedenken der Geheimen Staatspolizei beseitigen und sich damit seine persönliche Freiheit sichern müssen“.

190 III A 365/34, RStBl. 1935, S. 339. 191 III A 278/35, RStBl. 1936, S. 195.

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b) Verfahren gegen § 2 Ziff. 4 und § 3 RFlStV

Weitere Verfahren in Reichsfluchtsteuersachen richteten sich gegen die Bemessungsgrundlage und die Freigrenze des § 2 Ziff. 4. Danach waren Personen, deren Vermö-gen 200.000 RM, ab 1934 50.000 RM, und deren steuer-pflichtiges Einkommen 20.000 RM nicht überstieg, von der Steuer befreit. Durch die geänderten Steuergesetze vom Herbst 1934 wurden Eltern und deren haushaltszu-gehörigen Kinder für Zwecke der Einkommensteuer und der Vermögensteuer zusammen veranlagt. Nach § 2 Ziff. 4 Satz 2 RFlStV kam es für die Befreiungsvorschrift darauf an, ob das gemeinsame steuerpflichtige Einkom-men von Eltern und Kindern den Betrag von 20.000 RM überstieg. Hinsichtlich des zusammen veranlagten Ver-mögens wurde nichts ausgesagt. Eine Zusammenrech-nung der Vermögen von Eltern und Kinder war damit nach dem Gesetzestext der RFlStV nicht vorgesehen. Aus der Urteilsbegründung vom 9. Juli 1936192 geht hervor, dass der RFH dieses Problem auch gesehen hat. Er bat den Reichsminister der Finanzen daher um Stel-lungnahme, die im Urteil in extenso wiedergegeben wurde. In der Stellungnahme wird erklärt, dass die Be-stimmung des § 2 Ziff. 4 Satz 2 „sinngemäß mit Wirkung vom 1. Januar 1935 ab auch auf das zusammen veranlag-te … Vermögen von Eltern und Kindern anzuwenden“ sei. Das Ministerium formulierte in der Stellungnahme § 2 Ziff. 4 Satz 2 neu und schloss dabei textlich die auf-getretene Regelungslücke. Einer Veröffentlichung einer Neufassung der RFlStV bedürfe es allerdings nicht, denn „gemäß § 1 StAnpG ist bei der Auslegung der Steuerge-

192 III A 53/36, RStBl. 1936, S. 867.

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setze u. a. die Entwicklung der Verhältnisse zu berück-sichtigen“. „Hieraus ergibt sich, dass § 11 Abs. 2 VStG [die Zusammenveranlagung] auch bei Durchführung des Reichsfluchtsteuergesetzes ohne weiteres anzuwenden ist“. Nach Abdruck dieser Stellungnahme in der Urteils-begründung bemerkt der RFH knapp: „Dem tritt der Senat bei“. Im Urteil vom 3. September 1936193 entschied der RFH, dass auch bei bereits aus dem Haushalt der Eltern ausge-schiedenen Kindern, die alleine auswandern, in den Vorjahren aber mit ihren Eltern zusammen veranlagt worden waren, für Zwecke der Überprüfung der Frei-grenzen des § 2 Ziff. 4 die Vermögen und Einkommen zusammen zu rechnen seien. Hinsichtlich des steuerpflichtigen Einkommens von mehr als 20.000 RM urteilte der RFH am 9. Januar 1936194, dass darunter nicht das steuerpflichtige Ein-kommen lt. Einkommensteuerbescheid, sondern das Einkommen zu verstehen sei, „das ermittelt worden ist, bevor der steuerfreie Einkommensteil und die Famili-enermäßigungen in Abzug gebracht worden sind.“ Am 28. Mai 1936195entschied der RFH, dass ein „nichta-rischer“ Notar, der im ersten Halbjahr 1933 seine Kanz-lei verloren hatte und sich ab August 1933 ununterbro-chen im Ausland befand reichsfluchtsteuerpflichtig sei, obwohl sein veranlagtes Einkommen genau 20.000 RM und damit nicht mehr als 20.000 RM betragen hatte. Der Betrag von 20.000 RM war dadurch zustande gekom-men, dass das eigentlich ermittelte Einkommen in Höhe

193 III A 96/36, RStBl. 1936, S. 949. 194 III A 333/35, RStBl. 1936, S. 445. 195 III A 260/35, RStBl. 1936, S. 800.

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von 20.125 RM gem. § 54 Abs. 1 EStG 1925 auf volle hunderte Reichsmark abgerundet worden war. Für Zwe-cke der Reichsfluchtsteuer sei diese Rundungsvorschrift nicht anwendbar. In Widerspruch hierzu entschied der RFH am 7. Okto-ber 1937196, dass für die Ermittlung der Einkommens-grenze von 20.000 RM nur das steuerpflichtige Ein-kommen im Sinne des Einkommensteuergesetzes ver-standen werden könne und dieses sei wiederum das veranlagte Einkommen. „Durch die Zugrundelegung des veranlagten Einkommens soll … eine besondere Ermitt-lung des Einkommens im Reichsfluchtsteuerverfahren vermieden und die Erhebung der Reichsfluchtsteuer vereinfacht und beschleunigt werden“. In diesem veran-lagten Einkommen war ein einmaliger Veräußerungsge-winn des Steuerpflichtigen enthalten, „nachdem er als Nichtarier sein Lotteriegeschäft hatte verkaufen müs-sen“. Sein Einkommen betrug daher für das Jahr 1935 36.851 RM, während es in den Vorjahren immer 4.000 bis 8.000 RM betragen hatte. Das Finanzgericht stellte den Steuerbürger von der Reichsfluchtsteuer frei, da nach der amtlichen Begründung zum Änderungsgesetz vom 18. Mai 1934197 nur steuerlich leistungsfähige Per-sonen von der Reichsfluchtsteuer betroffen werden sollten. Bei Beurteilung der steuerlichen Leistungsfähig-keit könne nach dem Zweck der Verordnung nur solches Einkommen berücksichtigt werden, das aus den ge-wöhnlichen Einkommensquellen fließe, nicht aber Ein-kommen, das durch die Aufgabe der Einkommensquelle entstanden sei. Zudem sei im vorliegenden Fall keine

196 III A 138/37, RStBl. 1937, S. 1160. 197 RGBl. 1934 I, S. 598.

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Steuerquelle verloren gegangen, sondern auf einen ande-ren übergegangen. Der RFH sieht in seiner Begründung die „steuerliche Leistungsfähigkeit“ als unbestimmten Rechtsbegriff, der in der RFlStV dahingehend konkreti-siert wurde, dass leistungsfähig ist, wer ein steuerpflichti-ges Einkommen von mehr als 20.000 RM habe. Ob er dies einmalig oder ständig erziele sei unerheblich, da sonst die einmaligen Einnahmen und die damit zusam-menhängenden Werbungskosten für das Reichsflucht-steuerverfahren ermittelt werden müssten, „was die Erhebung der Reichsfluchtsteuer erschweren oder ver-zögern könne“. Derartige Ungleichmäßigkeiten seien bei festen Grenzbeträgen „nun einmal nicht zu vermeiden“. Ob die Steuerquelle nicht verlorengehe, sondern nur auf einen anderen übergehe sei ebenfalls unerheblich, da die Reichsfluchtsteuerpflicht nicht voraussetze, „dass im Einzelfall infolge der Auswanderung dem Reich tatsäch-lich Steuereinnahmen entgehen“. Viel weiter kann man sich von der ursprünglichen Intention der RFlStV 1931 nicht mehr entfernen! Völlig anders argumentierte der RFH noch am 21. Janu-ar 1937198 hinsichtlich des steuerpflichtigen Vermögens. Ein Ehepaar, dem bei der Veranlagung zur Vermögen-steuer nach Abzug der Freibeträge kein steuerpflichtiges Vermögen verblieb, hatte vom Finanzamt nur eine Mit-teilung über die Freistellung von der Vermögensteuer erhalten. Das Finanzamt hatte für Zwecke der Reichs-fluchtsteuer das steuerpflichtige Vermögen vor Abzug der persönlichen Freibeträge gem. § 5 VStG neu berech-net. Das Finanzgericht hatte die Eheleute von der

198 III A 166/36, RStBl. 1937, S. 335.

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Reichsfluchtsteuer freigestellt. Es erblickte „in Überein-stimmung mit dem zum bisherigen Vermögensteuerge-setz ergangen Urteil vom 5. Dezember 1935 … in dem Erlass eines Freistellungsbescheides in allen Fällen eine Feststellung des Gesamtvermögens auf Null.“ Diese Feststellung sei auch für die Errechnung der Reichs-fluchtsteuergrundlage maßgeblich. Lt. Urteilsbegründung des RFH zwingt die Entwicklung des Vermögensteuer-rechts dazu, „die Reichsfluchtsteuervorschriften in ge-wissen Teilen jetzt anders zu lesen“. Wenn eine Freistel-lungsmitteilung ergangen ist, sei das Vermögen nicht mehr ohne weiteres mit Null anzunehmen. Es müsse vielmehr festgestellt werden, auf welchen Betrag das Gesamtvermögen ermittelt worden war. Von diesem Betrag seien keine Freibeträge gem. § 5 VStG abzuzie-hen. Eine logische Herleitung dieser Erkenntnis blieb der RFH schuldig. Es genügte der Verweis auf ein ähn-lich gelagertes Urteil vom 23. Januar 1936199 in dem der dem Verfahren beigetretene RdF genau dies festlegte. Die Vorentscheidung des Finanzgerichts war aufzuhe-ben, weil sie der „neueren Rechtsentwicklung nicht Rechnung getragen hat“. Für eine weitere „Erweiterung der Bemessungsgrundla-ge“ sorgte der RFH mit Urteil vom 28. Januar 1938200, wonach auch Schenkungen, die erst nach der Auswande-rung stattfanden, gem. § 3 Abs. 3 hinzuzurechnen waren. Der RdF führte in seiner in der Urteilsbegründung abge-druckten Stellungnahme aus: „Diese Auslegung steht zwar im Widerspruch zu dem vom RFH bisher vertrete-

199 III A 2/36, RFHE 39, 68. 200 III 226/37, RStBl. 1938, S. 313.

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nen Grundsatz, dass unter Erwerb im Sinne des § 3 Abs. 3 ein Erwerb im Sinne des ErbStG zu verstehen sei. Diese Bedenken müssen aber im Hinblick auf das mit den Hinzurechnungsvorschriften angestrebte Ziel zu-rücktreten“. Der III. Senat schrieb hierzu in der folgen-den Urteilsbegründung nur: „Dem tritt der Senat bei. Auch abgesehen von der Notwendigkeit, Umgehungen zu verhindern, würde es dem Zweck der Hinzurech-nungsvorschrift und dem Grundsatz der Gleichmäßig-keit der Besteuerung widersprechen, die Hinzurechnung davon abhängig zu machen, ob zufällig die Schenkung vor oder nach der Auswanderung ausgeführt worden ist, und ob vor der Auswanderung ein rechtsverbindliches Schenkungsversprechen abgegeben worden ist oder nicht“! Auch wenn der RFH im Rahmen der wirtschaft-lichen Betrachtungsweise das Zivilrecht für die steuerli-che Rechtsprechung als nicht bindend betrachtete, so müsste doch in diesem Fall zumindest das Verpflich-tungsgeschäft am Tag der Auswanderung bestanden haben, um zum Ergebnis der Hinzurechnung wegen Gestaltungsmissbrauchs zu kommen. Ein Musterbeispiel für die typisierende Betrachtungswei-se findet sich im Urteil vom 27. Juni 1939201. Danach ist eine nach der Auswanderung eines „jüdischen Misch-lings“ vollzogene Schenkung dem Gesamtvermögen hinzuzurechnen, wenn der Steuerpflichtige bei der Aus-wanderung mit ihr rechnen konnte. „Eine ausdrückliche Zusage braucht nicht vorzuliegen“. Weiter führt der RFH aus: „Wenn der wirtschaftlich unselbständige, vermögenslose Sohn vermögender Eltern auswandert,

201 III 164/39, RStBl. 1939, S. 920.

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um im Ausland eine Lebensstellung zu begründen, so kann er nach der allgemeinen Lebenserfahrung in der Regel damit rechnen, dass ihm seine Eltern die hierzu erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass es im vorliegenden Fall anders gewesen sei“. Welche im Zeitpunkt der Aus-wanderung bestehende Vermögensposition hier zuge-rechnet wurde, ist mit heutigem Steuerverständnis nicht feststellbar. Schenkungen waren dem Urteil vom 28. Januar 1938202 zufolge auch dann dem maßgebenden Gesamtvermögen zuzurechnen, wenn dem Steuerpflichtigen damit erst die Mittel zur Verfügung gestellt wurden, um die mit der Auswanderung verbunden Aufwendungen wie Transfer-kosten und Reichsfluchtsteuer zu zahlen. Der RFH lehnte die Behandlung als durchlaufende Posten, die das Gesamtvermögen insgesamt nicht erhöhen, ab und begründete diesmal formalistisch, der Steuerpflichtige habe die geschenkten Beträge „bis zur Auswanderung“ erworben. Da der Zeitpunkt des Erwerbs der Beträge und der Zeitpunkt der Fälligkeit der Reichsfluchtsteuer auseinanderfallen, seien die geschenkten Beträge im Zeitpunkt der Auswanderung als Vermögen zu erfassen. Dass die Reichsfluchtsteuer durch diese Steuer auf den geschenkten Steuerbetrag nicht ein Viertel, sondern ein Drittel des übrigen Gesamtvermögens betrage stehe nicht im Widerspruch mit dem Zweck der RFlStV. „Im übrigen wird noch auf das U. v. 28. Januar 1938 III 226/37 (RStBl. 1938, S. 313) verwiesen, in dem der

202 III 10/38, RStBl. 1938, S. 315.

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Senat in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des RdF einen ähnlichen Fall entschieden hat“. Die Zurechnung dieser Schenkungen, die nach der Aus-wanderung erfolgten, beim Beschenkten hinderten den RFH allerdings nicht daran, den Wert der Schenkung noch einmal bei den später auswandernden Schenkern zu erfassen, weil die Schenkung erst nach dem für die Ermittlung ihres Vermögens maßgebenden Zeitpunkt vollzogen wurde. Im Urteil vom 22. Februar 1939203 führte der RFH aus: „Die sich hieraus ergebende dop-pelte Heranziehung zur Reichsfluchtsteuer muss in Kauf genommen werden; sie ist eine notwendige Folge der in der RFlStV getroffenen Regelung“. Diese Formulierung findet sich auch in den Urteilen vom 13. Oktober 1938204 und 16. März 1939205, denen vergleichbare Sachverhalte zu Grunde lagen.

c) Gutachten des Großen Senats vom 7. August 1936206

Gem. § 81 Ziff. 2 RAO 1919 war ein leitender Angestell-ter eines inländischen Unternehmens, der seinen inländi-schen Wohnsitz aufgab, um im Ausland für das Unter-nehmen zu arbeiten, wie eine Person zu behandeln, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Erst mit dem Ausscheiden aus seiner Stellung als leitender Ange-stellter wurde er damit reichssteuerpflichtig. § 81 RAO

203 III 53/39, RStBl. 1939, S. 644. 204 III 255/38, RStBl. 1938, S. 1002. 205 III 53/39, RStBl. 1939, S. 644. 206 GrS D 7/36, RStBl. 1936, S. 876.

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1919 war durch § 21 Ziff. 1 StAnpG aufgehoben wor-den. An seine Stelle trat mit Wirkung vom 1. Januar 1935 § 14 Abs. 3 StAnpG 1934. Dieser bestimmte, dass die Vorschriften über die Gleichstellung der leitenden Ange-stellten mit Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, nicht für die Erbschaftsteuer und die Reichsfluchtsteuer gelten sollten. Als Begründung wurde angeführt, dass es den auswandernden Personen nach alter Rechtslage möglich war, zunächst ihr Vermögen „trotz aller Transfer-Schwierigkeiten“ ins Ausland zu verbringen, um dann ihre Stellung als leitender Ange-stellter aufzugeben. Der RdF war in der Gesetzesbe-gründung der Ansicht, dass diese Gesetzesänderung nicht nur die leitenden Angestellten, die nach dem 31.12.1934 auswanderten, der Reichssteuerpflicht unter-warf. Es sollte vielmehr auch bei denjenigen, die schon vorher ausgewandert waren, der fingierte Aufenthalt im Inland zum 31.12.1934 beendet werden. Diese Personen wären somit zum 1. Januar 1935 reichsfluchtsteuerpflich-tig geworden. Der III. Senat des RFH hatte sich in drei Entscheidun-gen207 dieser gesetzlichen Rückwirkung verweigert. Der Reichsminister der Finanzen ersuchte den RFH gem. § 63 RAO um ein Rechtsgutachten und legte dar, dass er die Auffassung, die diesen Urteilen zugrunde liegt, nicht teile. Nach dem Wegfall der Ausnahmevor-schrift lebe § 1 RFlStV wieder auf. Einer besonderen gesetzlichen Vorschrift bedürfe es hierzu nicht. Die Anwendung des § 1 RFlStV auf die Fälle der genannten

207 Urteil vom 23.1.1936, III A 284/35, RStBl. 1936, S. 179, Urteil

vom 28.5.1936, III A 58/36 (nicht veröffentlicht); Urteil vom 12.3.1936, III A 30/36 (nicht veröffentlicht).

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Art ergebe sich aus dem Zweck und der Bedeutung der RFlStV. Der Große Senat stimmte der Auffassung des Reichsmi-nisters der Finanzen zu. Zwar habe eine Gesetzesbe-gründung keine Gesetzeskraft und könne eine im Gesetz fehlende Vorschrift nicht ersetzen. Wenn aber § 14 Abs. 3 StAnpG für leitende Angestellte inländischer Unter-nehmen gelten solle, die sich nicht im Inland aufhalten, lasse diese Fassung die Auslegung zu, dass damit alle Personen, auf die diese Merkmale zuträfen gemeint sind, „gleichviel, ob sie vor dem 1. Januar 1935 oder später ausgewandert sind. Bezieht sich diese Fassung aber auch auf die leitenden Angestellten, die vor dem 1. Januar 1935 ausgewandert sind, so kann das nach dem Wortlaut bedeuten, dass sie im Sinne des Reichsfluchtsteuergeset-zes so zu behandeln sind, als wenn sie den gewöhnlichen Aufenthalt am 31. Dezember 1934 aufgegeben hätten, und dass demnach mit dem 1. Januar 1935 der Reichs-fluchtsteueranspruch gegen sie entstanden ist“. Damit fügte sich auch der Große Senat des RFH dem Willen des RdF und billigte einer verbösernden Novellie-rung Rückwirkung zu. Felix208 führt dazu aus: „Die ein-flussreichste Instanz des RFH schaltete sich selbst gleich. In dieser Entscheidung dokumentiert sich die Preisgabe des Rechts durch den RFH. Er hatte durchaus die Mög-lichkeit, anders zu entscheiden. Er scherte sich aber nicht um Gesetz und Recht“. Das Gutachten zeigte Wirkung in einem Urteil vom 8. Januar 1937209. Der RFH hatte sich im ersten Rechts-

208 Felix, Günther, BB, 1993, S. 1301. 209 III A 220/36, RFHE 40, 308.

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zug mit Urteil vom 28. Mai 1936210 geweigert, durch das Inkrafttreten des § 14 Abs. 3 StAnpG eine steuerliche Rückwirkung für bereits vor dem 1. Januar 1935 ausge-wanderte leitende Angestellte zu sehen. Das Urteil wurde in der o. a. Stellungnahme des RdF zitiert. Der RFH hatte die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen, damit dieses feststelle, ob der Beschwerdeführer seinen inländischen Wohnsitz evtl. nach dem 1. Januar 1935 aufgegeben habe. Dies hatte das Finanzgericht aber nicht getan, sondern sich dem Gutachten des Großen Senats angeschlossen. Der Beschwerdeführer rügte die Verlet-zung des § 296 Abs. 4 RAO und vertrat den Standpunkt, dass auch der RFH an seine frühere Beurteilung im neuen Rechtsgang gebunden sei. Nach § 296 Abs. 4 RAO wäre das Finanzgericht an die rechtliche Beurteilung gebunden gewesen, die der Auf-hebung und Rückverweisung zu Grunde lag. Dass das Finanzgericht dies hier nicht tat, wurde vom RFH aus-drücklich gebilligt. „Das im Sinn des Reichsministers der Finanzen erstattete Gutachten des Großen Senats und die sich seither ihm ständig anschließende Rechtspre-chung des erkennenden Senats sind einer Änderung des Rechts gleichzuachten, die das Finanzgericht vor eine neue Lage stellen“. Entsprechendes gelte für die Bin-dung des RFH an ein von ihm im ersten Rechtsgang gefälltes Urteil. Zwar habe der RFH früher mehrfach erkannt, dass er an seine erstmalige rechtliche Beurtei-lung gebunden sei. Dies könne aber nur gelten, wenn der RFH bei seiner neuerlichen Entscheidung die gleiche Rechtslage vorfinde. „Die Volksanschauung … würde es

210 III A 58/36 (nicht veröffentlicht).

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nicht verstehen, wenn ein Steuergericht in Fällen der vorliegenden Art einen von ihm früher vertretenen, später als unrichtig erkannten Rechtssatz bei einer ferne-ren Entscheidung nur deshalb gegen seine bessere Über-zeugung wiederum anwenden würden, weil es nach der früheren Rechtsprechung gehindert war, seinen Stand-punkt zu ändern“. Das o. a., vom RdF in seiner Stellungnahme beanstande-te Urteil vom 23. Januar 1936211 ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Auf der einen Seite lehnte das Gericht mit bemerkens-werten Gründen212 213 eine Rückwirkung durch § 14 Abs. 3 StAnpG auf bereits vor dem 1. Januar 1935 aus-gewanderte leitende Angestellte ab. Der Rechtsbe-schwerde des Klägers wurde damit stattgegeben. Auf der anderen Seite wies das Gericht in der Urteilsbe-gründung den Weg, wie ein Reichsfluchtsteuerbescheid doch noch wirksam ergehen könnte. Es klärte das Fi-nanzamt zunächst dahingehend auf, dass es der Steuer-festsetzung nicht entgegen stehe, wenn der Steuerbürger, der 1929 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatte, mit dem Gesetz über den Widerruf von Einbürge-rungen vom 28. April 1934214 wieder ausgebürgert wor-den war. Am maßgebenden Stichtag 31. März 1931 sei er jedenfalls deutscher Staatsangehöriger gewesen. Sodann 211 III A 284/35, RStBl. 1936, S. 179. 212 “Die Gesetzesbegründung hat zwar für die Auslegung des Gesetzes

maßgebende Bedeutung, aber sie hat keine Gesetzeskraft und kann nicht eine im Gesetz fehlende Vorschrift ersetzen.”

213 „Nach Auffassung des Senates kommt der neuen Vorschrift in § 14 Abs. 3 StAnpG keine größere Bedeutung zu, als sich aus ihrem Wortlaut klar ergibt.“

214 RGBl. 1934 I, S. 480.

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mutmaßt der Senat auf über zwei Seiten der Urteilsbe-gründung, dass der Beschwerdeführer aufgrund gesund-heitlicher Probleme evtl. gar nicht in der Lage gewesen sein könnte, als leitender Angestellter tätig zu werden. Sollte dies zutreffen, wäre das, so der III. Senat, eine neue Tatsache, die eine Berichtigung des ursprünglichen Bescheides ermöglichen würde.

d) Sonderfall zur Auslegung gegen den Gesetzes-wortlaut

Abschließend noch ein Urteil vom 17. Juli 1941215, von dem zwar kein Bürger jüdischen Glaubens betroffen war, das aber dokumentiert, wie weit sich der RFH bei seiner Urteilsfindung zu diesem Zeitpunkt bereits vom Gesetzestext entfernt hatte. Der RFH unterwarf hier einen in Wien lebenden tschechoslowakischen Staatsan-gehörigen, der in ein Gebiet außerhalb des deutschen Reiches auswanderte, der Reichsfluchtsteuer. Nach dem Wortlaut der RFlStV waren nur deutsche Staatsangehö-rige reichsfluchtsteuerpflichtig. Für Einwohner des Pro-tektorats Böhmen und Mähren war die Zahlung einer Auswanderungssteuer vorgesehen, wenn sie aus dem Gebiet des Protektorats nach außerhalb des Reiches auswanderten. Der Beschwerdeführer hätte danach weder Reichsfluchtsteuer, noch Auswanderungssteuer zahlen müssen. Der RFH sah diese Regelungslücke und schloss diese im Interesse der „Gleichmäßigkeit der Besteuerung“ mit folgender Argumentation: „Der Um-stand, dass die Heranziehung zur Reichsfluchtsteuer dem Wortlaut der RFlStV widerspricht … ist nicht ausschlag- 215 III 37/41, RStBl. 1941, 586.

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gebend. Die RFlStV stammt aus dem Jahr 1931. Es ist in vieler Beziehung durch die Entwicklung der Verhältnisse als überholt anzusehen. Seine Vorschriften müssen da-her auf Grund § 1 StAnpG nach ihrem Zweck und unter Berücksichtigung der Entwicklung der Verhältnisse ausgelegt werden. Es ist danach gerechtfertigt, die Ange-hörigen des ehemaligen tschechoslowakischen Staates im Reich der Reichsfluchtsteuer zu unterwerfen“.

e) Stellungnahme

Die Juden wanderten ab 1933 nicht aus Deutschland aus, um der deutschen Besteuerung zu entgehen, son-dern um der nationalsozialistischen Verfolgung zu ent-kommen. Bei Zweckauslegung der RFlStV hätte ent-schieden werden müssen, dass diese nicht anwendbar ist, wenn jemand nicht aus steuerlichen Gründen auswan-dert, sondern aus anderen Gründen, z. B. aus Angst vor der Verletzung der körperlichen Integrität durch Gewalt und vor wirtschaftlichen Schikanen und rechtlicher Diskriminierung. Der RFH traf eine andere, vom Zweck der Verordnung weder gebotene noch zulässige Unterscheidung, nämlich die zwischen Auswanderung aufgrund unmittelbaren Zwanges (die in den Urteilen nicht vorkam) und nicht unmittelbar erzwungener Auswanderung. Dazu ließ er sich vom Finanzministerium bescheinigen, dass es keine Maßnahmen der Reichsregierung gebe, durch die Juden gezwungen würden, das Land zu verlassen. Was den Juden angetan wurde, wurde als bloße Furcht vor Beläs-tigungen oder als überholte revolutionäre Übergangser-scheinung abgetan. Damit wurde überspielt, dass die

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Auswanderungsgründe der Juden mit der Steuerbelas-tung rein gar nichts zu tun hatten. Die ersten Urteile hierzu ergingen knapp elf Monate nach der sog. Machtergreifung und weit vor dem Steuer-anpassungsgesetz 1934 und der „Gehilfen-Rede“ von Staatssekretär Reinhard. Sie beriefen sich ausgerechnet auf den Gleichheitsgrundsatz. Wenn ein auswandernder „Arier“ fluchtsteuerpflichtig sei, könne es nicht angehen, dass ein „Nichtarier“ das Land verlassen darf, ohne mit dieser Steuer belastet zu sein. Dieser Ansatz ist metho-disch falsch. Unter dem Aspekt des Fluchtsteuerzwecks lagen die Fälle der Auswanderung aus steuerlichen Moti-ven und die Fälle der ganz anders gearteten Motive der Juden nicht gleich. Ob man das aus ideologischen oder opportunistischen Gründen nicht sehen wollte oder ob methodische Insuffizienz216 vorlag, lässt sich aufgrund der Urteilsgründe nicht entscheiden. Jedenfalls haben die Richter ihren Handlungsspielraum nicht genutzt. Dadurch ersparte es der RFH der Regierung, den Grundtatbestand der RFlStV ändern oder ergänzen zu müssen. Die Regierung konnte weiter so tun, als handle es sich um eine normale Emigration, die auch normal zu besteuern sei. Der Reichsfinanzhof ist bei der Reichs-fluchtsteuer seiner Rolle als Gehilfe des Reichsfinanzmi-nisters gerecht geworden.

2. Rechtsprechung zur Gemeinnützigkeit jüdischer Organisationen

Die steuerrechtliche Diskriminierung jüdischer Organi-sationen, die soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser, 216 Tipke, Klaus, BB, 1993, S. 1814.

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Kinderheilanstalten, Schulen usw. unterhielten, durch die höchstrichterliche Rechtsprechung begann 1936. Grund-sätzlich waren diese karitativen Organisationen steuerbe-freit wegen Mildtätigkeit, Gemeinnützigkeit oder Verfol-gung kirchlicher Zwecke. Diese Steuervergünstigungen wurden ihnen Schritt für Schritt genommen, auch mit Wirkung für die Vergangenheit. Rechtlicher Ausgangs-punkt hierfür waren die §§ 17 – 19 StAnpG 1934. Zur Diskriminierung aufgrund der nationalsozialistischen Rassenideologie kamen hier ergänzend noch benachteili-gende Methoden und Begründungen hinzu, die der RFH aufgrund der nach 1933 praktizierten Kirchenpolitik auch gegenüber den christlichen Kirchen und geistlichen Orden entwickelt hatte.

a) Urteile

In einem ersten Urteil vom 7. April 1936217 hatte der RFH über die Gemeinnützigkeit eines Schulfonds zu entscheiden. Dieser wurde von einer Synagogengemein-de betrieben, um für „unbemittelte jüdische Zöglinge beiderlei Geschlechts“ das Unterrichtshonorar für höhe-re Lehranstalten zu bestreiten. Der Fonds, der bislang wegen Gemeinnützigkeit und Mildtätigkeit von der Steu-er freigestellt war, war vom Finanzamt für die Jahre 1930/31 und 1932/33 zur Körperschaftsteuer herange-zogen worden, „da die Stiftung nicht deutschen Zwe-cken, sondern der Förderung fremdrassiger Personen diene“. Der Vorstand der Synagogengemeinde brachte zur Begründung vor, für die Beurteilung der Frage der Gemeinnützigkeit oder Mildtätigkeit seien ausschließlich 217 I A 227/35, RStBl. 1936, S. 442.

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die Vorschriften des § 9 Abs. 1 Nr. 7 KStG 1925 maß-gebend, wonach der Fonds unstreitig steuerbefreit war. Das StAnpG 1934, das nach seinem § 46 mit der Ver-kündung, also nicht rückwirkend, in Kraft getreten sei, und das KStG 1934, das nach seinem § 24 erstmalig auf Veranlagungen für das Kalenderjahr 1934 anzuwenden sei, müssten außer Betracht bleiben. Auch der RFH verneinte eine rückwirkende Anwend-barkeit der §§ 17 – 19 StAnpG 1934 und des KStG 1934. Für die Auslegung der steuerlichen Vorschriften des KStG 1925 sei allerdings § 1 StAnpG heranzuziehen. „Auslegungsgrundsätze, gleichgültig, ob sie durch die Rechtsprechung oder durch Gesetz aufgestellt werden, müssen bei der Beurteilung aller Rechtsfragen angewen-det werden, die vom Zeitpunkt der Aufstellung der Grundsätze an zur Entscheidung gelangen. Darauf, welchem Zeitraum der zur Beurteilung stehende Tatbe-stand angehört, kommt es nicht an“. Gemeinnützig sei nach der Durchführungsverordnung zum KStG 1925 ein Zweck, dessen Erfüllung unmittelbar die Allgemeinheit fördert. Eine Förderung der Allgemeinheit könne nur angenommen werden, wenn eine Tätigkeit dem gemei-nen Besten auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet nütze. Unter dem gemeinen Besten sei aber im Sinne nationalsozialistischen Gedankengutes das Wohl der deutschen Volksgemeinschaft zu verstehen. „Die Förderung der höheren Schulbildung von jüdischen, also fremdrassigen Staatsangehörigen, … dient jedoch nicht dem Wohl der deutschen Volksgemeinschaft“. Das Kriterium der Mildtätigkeit scheiterte lt. Urteilsbe-gründung daran, dass der Zweck des Fonds nicht darauf gerichtet sei, „bedürftige“ Personen zu unterstützen.

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Bedürftige seien Personen, die infolge ihrer körperlichen oder geistigen Beschaffenheit oder ihrer wirtschaftlichen Lage der Hilfe bedürfen. Der Fonds unterstütze aber nur „unbemittelte“ jüdische Zöglinge und zahle diesen das Schulhonorar für die höhere Lehranstalt. „Unmittelbar abgeholfen werden soll also damit dem Mangel höherer Schulbildung bei den unterstützten Personen. Ein derar-tiger Mangel kann aber als „Bedürftigkeit“ … nicht anerkannt werden“. Der RFH nahm mit der Begründung zur Mildtätigkeit einen Zustand vorweg, der gesetzlich erst am 1. Dezember 1936 mit dem Einführungsgesetz zu den Realsteuern218 geregelt wurde. Dieses Urteil des RFH hatte fatale Wirkung als Leit-Entscheidung für die folgende Ausschluss-Rechtsprechung. Die rückwirkende Berücksichtigung der Rasseideologie war hier gesetzlich nicht normiert. Das Urteil fordert deshalb zur Methodenkritik heraus. Dass der RFH auch nicht vor noch älteren Rechtssätzen Halt machte, damit „bei der Auslegung des Gesetzes dem durch die Staatserneuerung eingetretenen Wandel der Lebens- und Rechtsanschauung Rechnung getragen wird“, zeigt das Gutachten des Großen Senats vom 11. Juli 1936219. Ein Waisenhaus durfte auf Grund einer Urkunde des Herzogs Georg-Wilhelm vom 25. Januar 1694 beim Verkauf von Grundstücken eine Abgabe (sog. Gottespfennig) erheben. Der RFH folgte dem RdF dahingehend, dass es sich bei der Abgabe um ein „nicht mehr zeitgemäßes Gebilde“ handele.

218 Abschn. III § 29 Nr. 4, RGBl. 1936, S. 977. 219 GrS 5/36, RStBl. 1936, S. 903.

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Die Abgabe sei nach § 1 StAnpG zu beurteilen. Dabei sei von der nationalsozialistischen Weltanschauung aus-zugehen. Was unter dieser Anschauung zu verstehen sei, ergibt sich lt. RFH nicht nur aus der Begründung zum Steueranpassungsgesetz220, sondern auch aus den „Leit-sätzen I – V für die Gestaltung und Auslegung der Steu-ergesetze nach nationalsozialistischer Weltanschauung von Staatssekretär Reinhard, Deutsche Steuerzeitung 1935 Nr. 19 bis 22“. Das Gutachten des Großen Senats zitiert als Auslegungsquelle zudem noch die folgende Aussage des „Reichsführers der Rechtswahrer“ Reichs-minister Dr. Frank: „Grundlage der Auslegung aller Rechtsquellen ist die nationalsozialistische Weltanschau-ung, wie sie insbesondere im Parteiprogramm und in den Äußerungen des Führers ihren Ausdruck findet“! Der Tenor des Urteiles vom 10. Dezember 1936221 lautet wörtlich und in voller Länge: „Die Vermögensteuerbe-freiung wegen Verfolgung mildtätiger Zwecke kommt nicht in Frage, wenn Juden unterstützt werden sollen. Die Juden sind keine Deutschen Volksgenossen“. Die am 1. Dezember 1936 mit dem Einführungsgesetz zu den Realsteuergesetzen geschaffene neue Rechtslage könne rückwirkend angewendet werden, da sie der Rechtsentwicklung folge und lediglich eine Klarstellung enthalte, dass eine Steuerbefreiung wegen Unterstützung von Juden der nationalsozialistischen Weltanschauung nicht entspreche. § 18 StAnpG war durch dieses Gesetz dahin geändert worden, dass mildtätig nur solche Zwe-cke seien, die ausschließlich und unmittelbar darauf

220 RStBl. 1934, S. 1398. 221 III A 194/36, RStBl. 1937, S. 21.

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gerichtet sind, bedürftige deutsche Volksgenossen zu unterstützen. „Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass die rasse- und blutmäßige Zugehörigkeit zum Deutschen Volk entscheidet. Juden sind keine Deutschen Volksge-nossen“. Hilfsweise führt der RFH aus, die Heilstätte, ein eingetragener Verein, genüge auch nicht den Voraus-setzungen des seinerzeitigen Gemeinnützigkeitsrechts. Der RFH hatte also keine Veranlassung, das Rasseargu-ment zu bemühen. Gleichwohl tat er es. Dies gilt auch für das Urteil vom 18. März 1937222. Der RFH erwähnt beiläufig, dass die Gemeinnützigkeit der beschwerdeführenden Anstalt, die die Erhaltung, Fort-bildung und Verbreitung der Wissenschaft des Juden-tums bezweckte, auch nach den bisherigen Vorausset-zungen nicht gegeben war. Tragender Grund des Urtei-les ist aber die rückwirkende Anwendung des § 19 StAnpG aus Gründen der nationalsozialistischen Welt-anschauung. Mit Urteil vom gleichen Tag223 bejahte der RFH die Vermögensteuerpflicht der Anstalt. Auch im Urteil vom 17. März 1938224 wandte der RFH § 18 StAnpG in der Fassung nach dem Einführungsge-setz zu den Realsteuergesetzen rückwirkend für das Jahr 1935 an, da es sich nur um eine Klarstellung handele. Hier betraf das abschlägige Urteil eine Stiftung, die ein Kleinkinder- und Säuglingsheim für „israelitische Kin-der“ betrieb. In der Urteilsbegründung heißt es wie folgt: „Wenn die Beschwerdeführerin in der mündlichen Ver-handlung ausgeführt hat, dass zwischen rassepolitischen

222 III A 59/37, RStBl. 1937, S. 793. 223 III A 60/37, RStBl. 1937, S. 476. 224 VI a 35/37, RStBl. 1938, S. 276.

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Zielen einerseits und nationalsozialistischer Weltan-schauung andererseits unterschieden werden müsse, so kann ihr darin nicht gefolgt werden. Der Rassegedanke ist vielmehr Ausgangspunkt und damit ein sehr wesentli-cher Bestandteil der nationalsozialistischen Weltan-schauung. Dass aber eine Steuerbefreiung wegen Unter-stützung von Juden dem allgemeinen Beurteilungsgrund-satz des § 1 Abs. 3 StAnpG widersprechen würde, ist schon im Vorbescheid betont.“ Felix225 bezeichnet dieses Urteil als ein „lupenreines Weltanschauungs-Urteil steuerrechtlicher Provenienz“. Sportvereine, die die Ertüchtigung und Erziehung der jüdischen Jugend erstrebten, waren mit Urteil vom 17. März 1938226 ebenfalls nicht gemeinnützig, da sie die „jüdische Volksgemeinschaft“ förderten. Eine Definition dieses Begriffes fehlte ebenso, wie eine Aussage, ob es in Deutschland etwas wie eine jüdische Volksgemeinschaft überhaupt gab. Das Urteil vom 25. Oktober 1938227 betraf keine jüdische Organisation, sondern eine Stiftung, die Judenmission im Sinne der evangelisch-lutherischen Kirche betrieb. Weiterer Zweck war, „das Seelenheil der gewonnenen Proselyten zu fördern, gegebenenfalls ihnen auch mit Geldzuwendungen zu helfen, wenn sie infolge des Glau-benswechsels angefeindet werden und dadurch in Not geraten“. Die Stiftung war nach Ansicht des RFH nicht gemeinnützig tätig, denn „das deutsche Volk sieht in

225 Felix, Günther, BB, 1993, S. 1298. 226 VI a 45/37, RStBl. 1938, S. 288. 227 VI a 88/37, RStBl. 1938, S. 1051.

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dem Übertritt von Juden zum christlichen Glauben keine Förderung seines Wohls“. Ebenfalls keine jüdische Organisation, sondern einen katholischen Missionsverein betraf das Urteil vom 29. November 1938228, das wegen seiner Urteilsbegrün-dung trotzdem hier besprochen werden soll. Der Verein, der unter anderem die Sklavenbefreiung in Afrika ver-folgte, begehrte aufgrund der §§ 17 – 19 StAnpG Befrei-ung von der Schenkungsteuer für eine Schenkung aus dem Jahr 1930, da er ausschließlich kirchliche und ge-meinnützige Zwecke verfolge. In unterwürfiger Haltung zu Hitler versagt der RFH diese Steuerbefreiung mit der Begründung: „Nach nationalsozialistischer Weltan-schauung sind nur solche Zwecke steuerbegünstigt, die das Wohl der deutschen Volksgenossen fördern. Diese Voraussetzung ist bei der Bekehrung fremdrassiger Men-schen zum Christentum nicht gegeben (vgl. die Ausfüh-rungen des Führers in „Mein Kampf“ S. 445 und 446 und Punkt 24 des Programms der NSDAP)“. Die Fund-stellen werden im Urteil nicht näher beschrieben, sollen nun aber wörtlich zitiert werden, um die ethische Di-mension dieses Rückgriffes zu verdeutlichen: „Dass sich dabei auch unsere Kirchen am Ebenbilde des Herrn versündigen, dessen Bedeutung von ihnen noch am allermeisten betont wird, liegt ganz in der Linie ihres heutigen Wirkens, das immer vom Geiste redet und den Träger desselben, den Menschen, zum verkommenen Proleten degenerieren lässt. Dann allerdings staunt man mit blöden Gesichtern über die geringe Wirkung des

228 VI a 10/38, RStBl. 1938, S. 1164.

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christlichen Glaubens im eigenen Lande, über die ent-setzliche „Gottlosigkeit“ dieses körperlich verhunzten und damit natürlich auch geistig verlumpten Jammer-packs und sucht sich dafür mit Erfolg bei Hottentotten und Zulukaffern mit dem Segen der Kirche zu entschä-digen. Während unsere europäischen Völker, Gott sei Lob und Dank, in den Zustand eines körperlichen und moralischen Aussatzes verfallen, wandert der fromme Missionar nach Zentralafrika und errichtet Negermissio-nen, bis unsere „höhere Kultur“ aus gesunden, wenn auch primitiven und tiefstehenden Menschenkindern auch dort eine faulige Bastardbrut gemacht haben wird. Es würde dem Sinne des Edelsten auf dieser Welt mehr entsprechen, wenn unsere beiden christlichen Kirchen, statt die Neger mit Missionen zu belästigen, die jene weder wünschen noch verstehen, unsere europäische Menschheit gütig, aber allen Ernstes belehren würden, dass es bei nicht gesunden Eltern ein Gott wohlgefällige-res Werk ist, sich eines gesunden armen kleinen Waisen-kindes zu erbarmen, um diesem Vater und Mutter zu schenken, als selber ein krankes, sich und der anderen Welt nur Unglück und Leid bringendes Kind ins Leben zu setzen“229. Einer Beschwerdeführerin, eine von Juden gegründete Stiftung, die ein Krankenhaus betrieb, in dem seit 1939 ausschließlich Juden aufgenommen wurden, wurde mit Urteil vom 23. Juli 1941230 die für Krankenhäuser, die der Bevölkerung dienten, gem. § 4 Nr. 8 Grundsteuergesetz in Verbindung mit § 16 Abs. 1 Grundsteuer-DV übliche

229 Hitler, Adolf, Mein Kampf, S. 445 – 446. 230 VI a 34/41, RStBl. 1941, S. 553.

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Befreiung von der Grundsteuer versagt. Methodisch wandte der RFH hier, um zu diesem Ergebnis zu kom-men, § 1 Abs. 3 StAnpG an. Die Vorinstanz hatte sich noch in einer Gesetzesauslegung versucht, um die Steu-erbefreiung zu versagen. Danach wäre unter dem Begriff „Bevölkerung“ nur „die deutsche Bevölkerung“ zu ver-stehen. Der RFH hingegen postulierte, es handle sich hier nicht um eine Frage der Gesetzesauslegung. Es sei vielmehr eine Frage, wie der vorliegende Tatbestand nach nationalsozialistischer Weltanschauung zu beurtei-len ist. Diese Beurteilung lautete dann: „Es würde dem gesunden deutschen Volksempfinden widersprechen, wenn der Beschwerdeführerin, einer rein jüdischen Ein-richtung, Steuerbefreiung gewährt würde“. Ein Finanzamt hatte in einer Nachfeststellung zur Ver-mögensteuer auf den 1. Januar 1940 den Bestattungs-platz einer israelitischen Gemeinde mit dem gemeinen Wert, also dem Verkehrswert, bewertet. Die Beschwer-deführerin, die Gemeinde, wandte sich gegen die Bewer-tungsfähigkeit des Grundstückes, weil es keinen Ver-kehrswert habe und deshalb auch kein Wirtschaftsgut darstelle. Es dürfe nach den jüdischen Religionsgesetzen niemals veräußert werden. Die einzelnen Gräber müss-ten ihrem jetzigen Zweck für ewige Zeiten dienen, weil es bei jüdischen Friedhöfen eine Beschränkung der Bele-gungszeit nicht gebe. Der RFH erkannte am 26. Juni 1941231 für Recht, dass Grund und Boden stets ein Wirt-schaftsgut sei. Die jüdischen Synagogen-Gemeinden hätten in den Friedhöfen einen Vermögenswert, von

231 III 158/40, RStBl. 1941, S. 806.

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dem sie zu gegebener Zeit Gebrauch machen könnten. Dass sie daran durch Religionsvorschriften gehindert seien, sah der RFH als „lediglich persönlichen Umstand, der die Bewertung des Grundstückes … nicht berühren kann“. Im Urteilstenor hieß es deshalb: „Jüdische Bestat-tungsplätze sind vermögensteuerpflichtig“. Dass der RFH auch sehr beweglich war, wenn das Er-gebnis der Argumentation eine Steuerbefreiung sein sollte, zeigt das Urteil vom 27. Januar 1939232. Hier wur-de, gesetzeswidrig, einem von der NSDAP betriebenen Schülerheim, das einer nationalsozialistischen Muster-schule angegliedert war, Befreiung von der Umsatzsteuer gewährt. Zur Begründung für die Erfüllung einer öffent-lich-rechtlichen Aufgabe hieß es: „Nationalsozialistisches Denken, Fühlen und Handeln schon von Jugend an zu erschließen, strebt das Schülerheim in ganz besonderem Maße an“. Abschließend noch ein Urteil, das zwar wiederum nicht eine jüdische Organisation betrifft, in seiner Begründung aber tief blicken lässt. Eine Stiftung hatte nach ihrer Satzung den Zweck, die Bibel zu verbreiten. Hierzu ließ sie Übersetzungen von Altem und Neuem Testament in „Eingeborenen-Sprachen“ herstellen und in Missions-ländern verteilen. Der RFH verweist in seinem Urteil vom 17. März 1943233 zum einen auf sein bereits zitiertes Urteil vom 29. November 1938, in dem auf Hitlers „Mein Kampf“ verwiesen wird. Zum anderen führt er wörtlich aus: „Nun kann es keinem Zweifel unterliegen,

232 V 515/37, RFHE 46, 187. 233 VI a 4/43, RFHE 53, 140.

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dass die Herstellung und Verbreitung des Alten Testa-ments, in dem die jüdische Rasse und ihre Geschichte verherrlicht wird, mit der nationalsozialistischen Weltan-schauung nicht in Einklang zu bringen ist. Das national-sozialistische deutsche Volk könnte es nicht verstehen, dass die Herausgabe und der Vertrieb einer Schrift, die das Judentum, mit dem es einen Kampf auf Leben und Tod führt, verherrlicht und als das auserwählte Volk Gottes darstellt, als gemeinnützig anerkannt und steuer-begünstigt werden“. Um das Urteil zeitlich richtig einordnen zu können, sollen noch einige zeitgeschichtliche Aspekte aufgeführt werden: Nach der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 rollten bereits seit über einem Jahr die Transporte in die Vernichtungslager im Osten. Am 31. Januar 1943 hatte die VI. Armee in Stalingrad kapituliert. In Folge des 1940 begonnen Luftkrieges waren bereits eine Vielzahl von Städten, darunter Köln, Mönchengladbach, Regens-burg, Schweinfurt, aber auch London und Coventry, Opfer von Bombardements geworden. München wurde unmittelbar vor diesem Urteilsspruch am 10. März 1943 von 217 Flugzeugen der Royal Air-Force mit 567 t Bomben angegriffen234. Das Urteil erlaubt damit einen tiefen Einblick in die Geisteshaltung der urteilenden Richter.

b) Auswirkung der Rechtsprechung

Neben den in den Urteilen ganz konkret ausgesproche-nen steuerlichen Folgen hinsichtlich der jeweiligen Steu-erarten hatte der rückwirkende Wegfall der Gemeinnüt- 234 Piekalkiewicz, Janusz, Luftkrieg 1939 – 1945, S. 433 – 434.

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zigkeit aus einem weiteren Grund existenzbedrohende Wirkung für die jüdischen Organisationen. Die meisten dieser karitativen Zwecken dienenden Einrichtungen finanzierten sich vorwiegend aus Spenden, die vor Erlass des Steueranpassungsgesetzes nicht der Schenkungsteuer unterworfen waren. Nach der Rechtsprechung des RFH konnte das StAnpG auch auf vor 1934 liegende Sach-verhalte angewandt werden. Im Ergebnis bedeutete dies, dass für bis zu 10 Jahre zurückliegende Schenkungen nachträglich Schenkungsteuer erhoben werden konnte. Die sich für diesen langen Zeitraum ergebenden Steuer-forderungen waren vielfach höher als das aktuelle Ge-samtvermögen dieser Organisationen. Lt. dem damaligen Steuerreferenten der „Reichsvertretung der deutschen Juden“, Kurt Ball, galt als oberste Devise, einen solchen Steuerfall niemals vor die Finanzgerichte kommen zu lassen. Stattdessen versuchte man, solche Fälle mit dem Finanzamt „gütlich“ zu regeln, auch um den Preis großer steuerlicher Nachteile für die Zukunft, solange das Fi-nanzamt auf eine Nachforderung für die Vergangenheit verzichtete. 235 Dies zeigt deutlich, wie tief das Vertrauen in den Reichsfinanzhof als Garant eines wirklichen Rechtsschutzes in Steuerangelegenheiten gesunken war.

c) Stellungnahme

Der RFH hatte, streng positivistisch gesehen, nach dem Ergehen des Steueranpassungsgesetzes kaum noch Spiel-raum bei der steuerlichen Beurteilung gemeinnütziger jüdischer Organisationen. Wo noch richterliche Frei-

235 Friedenberger, Martin, Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalso-

zialismus, 2002, S. 56.

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räume bestanden, wurden diese aber zu Ungunsten der Organisationen genutzt. Die Rückwirkung der Steuerge-setze hingegen war nicht zwingend. In der Weimarer Zeit wurde die Auffassung vertreten, dass Steuergesetze grundsätzlich nicht zurückwirken dürften.236 Hier ging es um die Rückwirkung der Anwendung der nationalsozia-listischen Weltanschauung auf die Zeit vor 1933. Diese Weltanschauung galt rechtlich vor 1933 nicht und war faktisch auch nicht herrschend. Die NSDAP war vor 1933 keine Mehrheitspartei und die von ihr propagierte Weltanschauung entsprach vor 1933 nicht der allgemei-nen Rechtsüberzeugung. Die Rechtsprechung des RFH hätte somit, auch unter positivistischen Gesichtspunk-ten, hier anders ausfallen müssen. Es wurde in diesem Bereich daher nicht Recht gesprochen, sondern Politik vollzogen.

3. Rechtsprechung zur Judenvermögensabgabe

In den veröffentlichten Urteilen des RFH finden sich nur zwei Entscheidungen zur Judenvermögensabgabe, euphemistisch auch Sühneleistung genannt. Diese gerin-ge Zahl erklärt sich aus der Begründung des Urteiles vom 14. September 1939237. Danach sei die Judenvermö-gensabgabe keine Steuer im Sinne des § 1 AO, sondern eine „Sühne für die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem Deutschen Volk und Reich“. Damit würde die RAO an sich nicht gelten. Wenn die RAO in § 9 Abs. 2 der Durchführungsverordnung über die Süh-

236 Bühler, Ottmar, Lehrbuch des Steuerrechts I, S. 58. 237 III 233/39, RStBl. 1939, S. 1089.

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neleistung238 gleichwohl für sinngemäß anwendbar er-klärt worden ist, so sei dies lediglich aus Vereinfa-chungsgründen geschehen, um dem Verfahren bei der Erhebung der Abgabe technisch eine Grundlage zu geben. Sinngemäß anwendbar seien daher nur diejenigen Vorschriften der RAO, die sich mit der technischen Einziehung einer Steuerschuld befassen, nicht jedoch solche Vorschriften, die den Rechtsmittelzug zum Ge-genstand haben. Insoweit sei gem. § 9 Abs. 5 der DV gegen die Entscheidungen der Finanzämter nur die Beschwerde an den Oberfinanzpräsidenten gegeben und eine Rechtsbeschwerde an den RFH damit ausgeschlos-sen. § 9 Abs. 2 der DV lautete nur, dass die Vorschriften der Reichsabgabenordnung, des Steueranpassungsgesetzes und des Steuersäumnisgesetzes sinngemäß anwendbar sind. Die Versagung der Rechtsbeschwerde war damit nicht zwingend. Es sei denn, man sah in Führer, Partei und Verwaltung erstrangige Rechtsquellen. Das zweite Urteil vom 23. Mai 1939239 trägt nichts We-sentliches zu diesem Rechtsgebiet bei. Es ist formal betrachtet nach damaligem Rechtsverständnis sogar vertretbar. Ein im Dezember 1938 ausgewanderter Jude wurde am 22. Dezember 1938 zur Reichsfluchtsteuer veranlagt. Offenbar erreichte ihn der Bescheid verspätet. Am 13. Februar 1939 legte er Rechtsbehelf ein und begehrte die Anwendung der im RdF-Erlass vom 7. Februar 1939240 getroffenen Regelung, dass die Juden-

238 RGBl. 1938 I, S. 1638. 239 III 120/39, RStBl. 1939, S. 756. 240 RStBl. 1939, S. 250.

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vermögensabgabe von der Bemessungsgrundlage der Reichsfluchtsteuer abzuziehen sei. Der RFH verweigerte sich aus formalen Gründen. In der Sache allerdings wird die Judenvermögensabgabe, Felix241 bezeichnet sie als „menschenrechtswidrige Schandabgabe“, als Routineab-gabe behandelt. Ansatzpunkte für richterliches Missbe-hagen finden sich in dem Urteil nicht.

4. Rechtsprechung zur sog. Arisierungsabgabe

Wie bereits dargelegt, war die sog. Arisierungsabgabe gem. § 15 VEjV vom Käufer in Höhe von 70 % des Unterschiedes zwischen Verkehrswert und Kaufpreis an das Reich zu leisten. Die Begründung lag darin, dass in Folge der Vielzahl von Verkäufen jüdischer Unterneh-men die Kaufpreise unter die tatsächlichen Werte gefal-len waren. Dieser Gewinn sollte den „arischen“ Käufern nicht vollständig verbleiben. Im Urteil vom 12. Juli 1939242 hatte ein Bürger jüdischen Glaubens sein Unternehmen an einen Nichtjuden für 330.000 RM veräußert. Der Gauwirtschaftsberater der NSDAP, der diesen Verkauf gem. der VEjV zu geneh-migen hatte, sprach die Genehmigung unter der Auflage aus, dass der jüdische Verkäufer, nicht der Erwerber, einen Betrag von 33.000 RM an den Härtefonds zur Verwaltung des Gauleiters zahlt. Der Gauwirtschaftsbe-rater begründete dies damit, dass die Grundstücke und Maschinen hier zu hoch bewertet worden seien. Diese Auflage lässt sich auch mit einer positivistischen Sicht

241 Felix, Günther, BB, 1993, S. 1298. 242 VI 453/39, RStBl. 1939, S. 939.

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der Dinge nicht mehr unter § 15 VEjV subsumieren und erfolgte daher ohne gesetzliche Grundlage. Der RFH hatte darüber zu entscheiden, ob diese Zahlung, die er selbst als Arisierungsabgabe bezeichnete, den Veräuße-rungsgewinn des Verkäufers mindert. Der RFH bewertete diese rechtsgrundlose Zahlung an die Partei als eine Personensteuer, die gem. § 12 Abs. 3 EStG nicht abzugsfähig sei. Er begründete dies damit, dass das veräußerte jüdische Unternehmen seit 1933 durch die nach dem Umbruch getroffenen staatlichen Maßnahmen (z. B. durch Beseitigung der Arbeitslosig-keit, Festigung der Preise usw.) gegenüber früher wert-voller geworden sei. Den Juden könne dieser erhöhte Preis nicht zuerkannt werden. Es solle verhindert wer-den, dass dem jüdischen Veräußerer Werte verblieben, die aus der Machtübernahme durch die NSDAP ent-standen und nicht im inneren Wert des Unternehmens begründet seien. Die Arisierungsabgabe sei daher weder den Veräußerungskosten zuzurechnen, noch sei der Kaufpreis zu mindern. „Es handelt sich um eine beson-ders geartete Abgabe, deren Entstehung in der staatli-chen und wirtschaftlichen Entwicklung und in der Not-wendigkeit der Wegnahme unverdienten Vermögenszu-wachses bei den Juden ihre Begründung findet. … Die Veräußerung stellte lediglich den äußeren Anlass dar, während der Sinn der Abgabe dahin ging, nicht den Verkauf, sondern den Geschäftsinhaber zu treffen“. Eine solche Zahlung würde sich auf dem Gebiet der Steuern als Personensteuer darstellen; die Zahlung der Arisierungsabgabe sei daher eine besondere Art von nicht abzugsfähiger Aufwendung im Sinne des § 12 Abs. 3 EStG. Der jüdische Veräußerer wurde durch diesen

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Spruch, mit dem eine rechtsgrundlose Zahlung gebilligt wurde, mehrfach geschädigt. Er hatte sowieso schon aufgrund der VEjV sein Unternehmen verkaufen müs-sen und dabei wohl, aufgrund des hohen Angebotes, einen niedrigen Kaufpreis erzielt. Zudem hatte er von seinem Verkaufserlös einen Betrag von 33.000 RM an eine politische Partei zu zahlen und den ungeminderten Veräußerungserlös zu versteuern. Eine jüdische Grundstückseigentümerin verkaufte am 23. Dezember 1938 ihr in Hamburg gelegenes Grund-stück für 53.000 RM. Der Erwerber verpflichtete sich im Vertrag, einen zusätzlichen Betrag von 5.000 RM als Arisierungsabgabe gem. § 15 VEjV an das Reich abzu-führen. Der RFH hatte im Urteil vom 10. Januar 1941243 darüber zu entscheiden, ob die 5.000 RM der Bemes-sungsgrundlage für die Hamburgische Wertzuwachssteu-er, die die Verkäuferin zu zahlen hatte, hinzuzurechnen sei. Der RFH führte aus, „dass ein Grundstück in der Hand eines Juden einen geringeren Wert haben kann als in der Hand eines Nichtjuden. In diesem Fall soll das Entgelt, das der Jude erhält, nur dem Wert entsprechen, den das Grundstück in seiner Hand hat. Andererseits ist es aber nicht begründet, dass dem Erwerber Gewinne zufließen, weil der Veräußerer ein Jude ist“. Die Zahlung gehöre daher zu den Leistungen, die dem Erwerber obliegen und bei diesem deshalb Anschaffungskosten244 darstellen. Sie sei aber nicht ein Teil der Leistungen, die

243 II 139/40, RStBl. 1941, S. 167. 244 Zum gleichen Ergebnis kam der RFH im Urteil vom 3. Juni 1942,

VI 334/41, RStBl. 1942, S. 871 und im Urteil vom 16. Juli 1942, III 79/42, RStBl. 1942, S. 942.

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der Veräußerer erhält. Der RFH verneinte damit die Einrechnung der 5.000 RM in die steuerliche Bemes-sungsgrundlage, entschied also zu Gunsten der Be-schwerdeführerin. Der gleiche Senat urteilte eine Woche später am 15. Januar 1941245, dass die Abgabe in die Bemessungs-grundlage der Grunderwerbsteuer, die der Erwerber zu tragen hat, einzurechnen sei. Der Beschwerdeführer hatte 1938 von einer Jüdin ein Grundstück zu einem Preis von 78.000 RM erworben. Als Arisierungsabgabe waren zusätzlich 6.000 RM festgesetzt und vom Erwer-ber auch an das Reich gezahlt worden. Das Finanzamt hatte die Grunderwerbsteuer entsprechend § 11 Abs. 3 Ziff. 2 GrEStG 1940 aus einer Bemessungsgrundlage von 84.000 RM errechnet. Der Beschwerdeführer wand-te sich dagegen mit der Begründung, es fehle hinsichtlich der 6.000 RM an einer vertraglichen Vereinbarung zwi-schen ihm und der Veräußerin. Eine entsprechende Vorschrift habe das anzuwendende GrEStG 1927 nicht enthalten. Der RFH entschied, dem Erwerber eines „jüdischen Grundbesitzes“ dürften keine steuerlichen Vorteile dar-aus erwachsen, dass er von einem Juden gekauft habe. Er sei daher so zu stellen, wie wenn er von einem Nicht-juden erworben habe. Es würde nicht der Volksan-schauung entsprechen, die Höhe der Grunderwerbsteuer hier unterschiedlich zu bemessen. Das Grunderwerbs-teuergesetz von 1927 sei gem. § 1 StAnpG 1934 dahin-gehend auszulegen, dass die sog. Arisierungsabgabe zur

245 II 2/41,RStBl. 1941, S. 375.

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steuerlichen Bemessungsgrundlage gehöre, die damit 84.000 RM betrug. Im Urteil vom 15. Mai 1941246 ließ der RFH eine beim Erwerb eines Betriebes angeordnete Auflage, die er selbst „Entjudungsauflage“ nennt, nicht als Schuldpos-ten bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zu. Aus rein steuerlicher Sicht ist diese Entscheidung nicht zu beanstanden, da eine Schuld am Bewertungs-stichtag nicht entstanden war. Begründet wird dies aller-dings mit einem Hinweis auf eine Fundstelle in einem steuerlichen Lehrbuch, das Staatssekretär Reinhard selbst verfasst und herausgegeben hatte. Mit Ausnahme des ersten besprochenen Urteiles sind die Entscheidungen aus rein steuerlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Auflagen lassen sich auch unter die Vorschrift des § 15 Abs. 2 VEjV subsumieren. Trotzdem darf nicht übersehen werden, dass die zu beurteilenden Lebenssachverhalte blankes Unrecht darstellen, der RFH hingegen diese „Arisierungsabgabe“ mit der „Entju-dungsgewinne“ abgeschöpft werden sollten offensicht-lich für eine zeitgemäße Belastung hielt.

5. Rechtsprechung zu steuerlichen Einzelgesetzen

Wie in Teil B.II.1 der Arbeit dargestellt, erfolgte die steuerliche Diskriminierung der Steuerpflichtigen jüdi-schen Glaubens nicht nur durch Einzelmaßnahmen wie Vermögens- oder Arisierungsabgabe, sondern auch auf dem Gebiet der Steuerarten, die jeden Bürger betrafen. Es wundert daher nicht, dass auch auf diesem Gebiet 246 III 129/40, RStBl. 1941, S. 774.

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diskriminierende Entscheidungen zu finden sind. Die Urteile sind nachfolgend nach Senaten chronologisch geordnet aufgeführt. Durch das „Gesetz über die Zulassung von Steuerbera-tern“ vom 6. Mai 1933247 wurden „Nichtarier“ im Sinne des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamten-tums von der Tätigkeit als Steuerberater ausgeschlossen. Die RAO wurde durch dieses Gesetz dahin geändert, dass das Vorbringen dieser Steuerberater „ohne steuer-rechtliche Wirkung“ war. Aufgrund dieser Rechtslage wies der I. Senat mit Urteil vom 20. Oktober 1936248 eine Rechtsbeschwerde zurück. Der langjährige Rechtsberater der Beschwerdeführerin, der „unbestritten Nichtarier“ war, hatte die Beschwerde unterzeichnet und begründet. Der Einwand der Kläge-rin, sie könne sich zur Unterzeichnung ihrer Schriftstü-cke wahlweise und beliebig der ihr genehmen Personen bedienen wurde als rechtsirrig abgelehnt. In der Rechtssache eines jüdischen Verbandes, der An-lernwerkstätten und Lehrlingswohnheime betrieb, ent-schied der I. Senat am 30. Juni 1942,249 dass für Zwecke der Gewerbesteuer auch für die Jahre 1938 und 1939 ein Einheitswert des Betriebsvermögens gemäß der Ge-meinnützigkeits-Verordnung vom 16. Dezember 1941250, und damit rückwirkend, festzustellen sei.

247 RGBl. 1933 I, S. 257. 248 I A 208/36, RStBl. 1936, S. 1077. 249 I 237/41, RStBl. 1942, S. 731. 250 RStBl. 1941, S. 937.

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Der III. Senat war neben der Reichsfluchtsteuer auch für Vermögensteuer zuständig. Im Sachverhalt zum Urteil vom 10. März 1937251 begehrte ein „nichtarischer“ Rechtsanwalt christlichen Glaubens den Abzug eines Freibetrages bei der Vermögensteuer, weil er erwerbsun-fähig sei. Mit Wirkung zum 15. Juni 1933 sei ihm als Nichtarier die Ausübung der Rechtsanwaltschaft unter-sagt worden. Er und seine Familie seien allerdings christ-lichen Glaubensbekenntnisses. Dies führe dazu, dass arische Arbeitgeber ihn ablehnten, da er Jude, und nicht-arische Arbeitgeber ihn nicht einstellen wollten, da er Christ sei. Auch das Arbeitsamt sei nicht in der Lage ihm, auch anders geartete, Arbeit zu verschaffen. Er beantragte daher den Freibetrag wegen Erwerbsunfähig-keit. Der III. Senat postuliert zunächst, dass der Freibe-trag denjenigen zustehen würde, die sich ihren Lebens-unterhalt selbst verdienen müssten, „hiervon aber aus irgendwelchen Gründen dauernd behindert seien“. In der weiteren Begründung formuliert der Senat dann aber: „Wenn auch die Nichtarier heute nicht mehr zu den Volksgenossen gehören und ihnen die eine oder andere Steuervergünstigung versagt ist, so spielt dieser Umstand bei der jetzt zu entscheidenden Frage keine Rolle. Erwerbsunfähig ist nur, wer aus Gründen, die in seiner Person liegen … nicht in der Lage ist, etwas zu erwerben. Es ist richtig, dass der politische Umschwung den Beschwerdeführer aus seiner Tätigkeit herausgeris-sen und ihm eine weitere Betätigung wesentlich er-schwert hat. Hierdurch ist der Beschwerdeführer wohl erwerbslos geworden, aber nicht erwerbsunfähig“.

251 III A 49/37, RStBl. 1937, S. 501.

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Eine Unternehmerin hatte in der Zeit von Ende Mai 1935 bis Ende Januar 1936 insgesamt 140 Arbeitnehmer wegen nichtarischer Abstammung entlassen und diesen Abgangsentschädigungen in Höhe eines halben Jahres-verdienstes gezahlt. Auf diese Zuwendungen hatte sie keine Lohnsteuer einbehalten und abgeführt. Die Be-schwerdeführerin stützte sich dabei auf § 3 Ziff. 7 EStG, wonach diese Zahlungen, die auf Grund des § 56 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit gezahlt wurden, steuerfrei seien. Der IV. Senat erläuterte in seinem Urteil vom 13. Januar 1938252 zunächst die Voraussetzungen für die Steuerfrei-heit. Danach seien Entschädigungen wegen Entlassun-gen auf Grund des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit gem. § 3 Ziff. 7 EStG steuerfrei. Dazu müssten allerdings die Voraussetzungen des § 56 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vorliegen. Nach diesem § 56 seien Entschädigungen nur dann frei, wenn die Kündigung unbillig hart erscheine und nicht durch die Verhältnisse des Betriebes bedingt sei. Hier setzte der Senat an, als er weiter ausführte: „Die Anschauung nach dem Umbruch musste es deshalb im Interesse derartiger Betriebe als notwendig erscheinen lassen, nichtarische Angestellte aus dem Betrieb zu entfernen, um dessen ungestörte und förderliche Weiterführung zu gewährleis-ten. Die Entlassungen waren also betriebsbedingt“. Damit bejahte der RFH die Steuerpflicht der Abfindun-gen. Die Arbeitgeberin wurde als Haftungsschuldnerin zur Zahlung verpflichtet.

252 IV 124/37, RStBl. 1938, S. 468.

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Am 14. November 1940253 hatte der IV. Senat über die tarifliche Einstufung eines Ehepaares bei der Einkom-mensteuer zu entscheiden. Das Ehepaar hatte unter-schiedliche Konfessionszugehörigkeiten. Der Ehemann war jüdischen Glaubens, die Ehefrau nicht. Das gesamte zu versteuernde Einkommen des Jahres 1939 entfiel auf die Ehefrau, der Ehemann war ohne eigene Einkünfte. Für die Eheleute war, trotz Gütertrennung, gem. § 26 EStG eine Zusammenveranlagung durchzuführen. Strei-tig war, welche Steuergruppe des § 32 EStG auf dieses einheitlich ermittelte zu versteuernde Einkommen an-zuwenden war. § 32 Abs. 6 EStG 1939, der Juden grund-sätzlich in die höchste Steuergruppe I einstufte, traf für konfessionsverschiedene zusammenveranlagte Ehegatten keine Regelung. Der RFH entschied sich, obwohl der Ehemann ohne eigene Einkünfte war, dafür, die Konfes-sion des Ehemannes für die Einstufung zu Grunde zu legen und billigte damit die Einstufung in die Steuer-gruppe I. Die Begründung hierfür lautete wie folgt: „Es bleibt deshalb nur die Lösung, dass die Einkommensteu-er … unter Berücksichtigung der Rassezugehörigkeit des einen oder des anderen Ehegatten festgesetzt wird. Bei der Frage, wessen Rassezugehörigkeit entscheidend ist, kann es aber wiederum nicht darauf ankommen, woher die Einkünfte stammen, die zusammen zu veranlagen sind, es muss vielmehr … angenommen werden, dass die Person des Haushaltsvorstandes im Vordergrund steht und das ist im vorliegenden Fall … auch nach der Volksanschauung (§ 1 StAnpG) der Ehemann“.

253 IV 211/40, RStBl. 1941, S. 204.

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Aus den Prozessakten254 geht hervor, dass das RFM zwar am Verfahren nicht förmlich beteiligt war. Der Vorsit-zende des Senats fragte aber am 3. Oktober 1940 beim Ministerium an: „In der EinkSt-Sache für 1939 der Frau M. G. in Berlin erwägt der Senat, folgendes Urteil zu erlassen, zu dem ich um Zustimmung bitte“. Die Zu-stimmung des RFM wurde mit Datum vom 28. Oktober 1940 erteilt. Am 16. Januar 1941 hatte der IV. Senat dann die Um-kehrung dieser Konstellation zu beurteilen. Im Sachver-halt heißt es hierzu: „ Die Beschwerdeführerin ist ihrer Abstammung nach Jüdin. Sie ist mit einem schweizeri-schen Staatsangehörigen verheiratet, der nach der Hei-ratsurkunde deutschblütig ist. Der Ehemann hat seinen Wohnsitz … in der Schweiz, die Beschwerdeführerin in M (Inland)“. Auch in diesem Fall hat Kumpf255 die Pro-zessakten ausgewertet. Danach erhielt der Berichterstat-ter die eingegangene Rechtsbeschwerde mit dem Hin-weis: „Es ist der umgekehrte Fall wie 211/40. Bitte auch hier den Minister zuzuziehen“. Der RdF wurde am 30. November 1940 um Verfahrensbeteiligung ersucht: „Da bei der beschränkten StPfl. des Ehemannes der Beschwerdeführerin eine Haushaltsbesteuerung nach § 26 EStG nicht zu erfolgen hat, liege die Erwägung nahe, dass die allein zu veranlagende Bfrin. als Jüdin zu behandeln ist, wenn nicht für Ausländer Besonderheiten anerkannt werden. Andererseits kann es vielleicht allge-

254 Kumpf, Johann Heinrich, Die Reichsfinanzverwaltung im Natio-

nalsozialismus, 2002, S. 154. 255 Ders. ebd.

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mein gerechtfertigt sein, zu berücksichtigen, dass die Bfrin. mit einem Nichtjuden verheiratet ist“. Die im letzten Satz angedeutete Lösung, die sich zu Gunsten der Beschwerdeführerin ausgewirkt hätte, wur-de vom RFM mit Schreiben vom 17. Dezember 1940 verworfen. Entsprechend entschied der Senat, dass Juden nach der Regelung des § 32 Abs. 6 EStG grund-sätzlich in die höchste Steuergruppe I einzugliedern seien. Etwas anderes gelte bei „gemischten Ehen“ nur dann, wenn die Ehegatten zusammen zu veranlagen sind. Dann sei die Abstammung des Ehemannes ent-scheidend. Kein Aufsatteln im Unrecht, wie bei den beiden voran-gegangen Entscheidungen, sondern die konsequente Anwendung Radbruchschen Unrechts findet sich im Urteil vom 23. Dezember 1940256. Hiernach ist es für die Einreihung in die Steuergruppen des Einkommensteuer-rechts unerheblich, welche Staatsangehörigkeit der Steu-erbürger besitzt. Der IV. Senat bestätigte die Einreihung des kinderlos verheirateten jüdischen Steuerbürgers ungarischer Staatsangehörigkeit gem. § 32 Abs. 6 EStG in die höchste Steuergruppe I. Die in der Zeit nach 1933 ergangenen Entscheidungen konnten durch die Länge der Einspruchsbegründung noch den Eindruck erwecken, der jeweilige Senat habe sich gründlich mit der Sache auseinander gesetzt; dies schwand allerdings zunehmend. Einen traurigen Tief-punkt hierzu bildete das Urteil vom 20. November

256 IV 228/40, RStBl. 1941, S. 142.

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1941257. In ganzen vier Sätzen wurde die Rechtsbe-schwerde des Steuerbürgers („Der Jude A in Breslau …“) als unbegründet zurückgewiesen. Die Entscheidung lautet wörtlich: „Die Vorbehörden haben den Antrag des Juden, ihm einen ermäßigten Steuersatz (§ 34 Abs. 2 Ziff. 4 EStG) zuzubilligen, mit Recht abgelehnt. Es handelt sich bei der Entscheidung, die der Reichsfinanzhof in der Rechtsbeschwerdesache des Juden zu treffen hat, aber nicht um eine Frage der Gesetzesauslegung. Es ist die Frage zu entscheiden, wie der vorliegende Tatbestand nach nationalsozialistischer Weltanschauung zu beurtei-len ist (§ 1 Absatz 3 StAnpG). Es würde der gesunden deutschen Volksanschauung widersprechen, wenn einem Juden der ermäßigte Steuersatz (§ 34 Absatz 2 Ziff. 4 EStG) zugebilligt würde.“ Der Blick in die Prozessakten258 offenbart jedoch Uner-wartetes. Der Wortlaut des Einkommensteuergesetzes sprach hier zu Gunsten des Beschwerdeführers, eine vom RdF erlassene Verwaltungsvorschrift dagegen. Das Finanzgericht als Vorinstanz hatte dazu ausgeführt: „Die von dem RdF erlassenen Verwaltungsvorschriften sind für die Finanzgerichte bindend. Ich verweise auf die Ausführungen des Staatssekretärs Fritz Reinhardt in seiner Rede vor dem RFH in München am 13.4.1935“. Der Berichterstatter des IV. Senats fertigte zwei unter-schiedliche Lösungsvorschläge. Der erste, der der Ver-waltungsvorschrift folgte, war für den Beschwerdeführer nachteilig. Der zweite, der von der eindeutigen Gesetzes-

257 IV 47/41, RStBl. 1941, S. 881. 258 Kumpf, Johann Heinrich, Die Reichsfinanzverwaltung im Natio-

nalsozialismus, 2002, S. 155.

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lage ausging, gab ihm hingegen Recht. Der Senat legte die Sache dem RdF mit dem Hinweis vor, dass er beab-sichtige, der zweiten Möglichkeit zuzustimmen. Im, von Staatssekretär Reinhard persönlich unterschriebenen, Antwortschreiben vom 30. Juni 1941 hieß es: „Ich kann mich damit nicht einverstanden erklären. Das Finanzamt und der Oberfinanzpräsident haben den Antrag des Juden, ihm einen ermäßigten Steuersatz … zuzubilligen, mit Recht abgelehnt. Die Ablehnung darf aber nicht so begründet werden, wie es der Bericht des vierten Senats in dem Abschnitt „Erste Möglichkeit“ vorsieht“. Der Berichterstatter fertigte daraufhin einen entsprechenden Urteilsentwurf mit dem Zusatz: „Diese Beurteilung des Tatbestandes entspricht auch der Auffassung des RdF“. Der Satz wurde gestrichen und die Sache vertagt, da sich im Senat Widerstand regte. Einer der Beisitzer notierte in der Akte: „§ 34 EStG ist eine reine Tarifvorschrift, die … auf alle Steuerpflichtigen anzuwenden ist. Von einer Steuerbegünstigung kann deshalb bei Anwendung einer solchen Tarifvorschrift keine Rede sein. Wenn dem Herrn RdF die Anwendung des § 34 EStG auf Juden untragbar erscheint, so möchte ihm anheim gegeben werden, das Gesetz zu ändern“. Am 20. November 1941 traf der Senat die o. a. Entscheidung. Am Tag danach schrieb einer der Richter an den Senatspräsidenten, dass das Urteil zwar entsprechend der Bitte des RdF ausgefal-len sei. „Dass diese Bitten als Weisungen gemeint sind, dürfte einem Zweifel nicht unterliegen.“ Er bezeichnet ein solches Eingreifen der Verwaltung in einen einzelnen Steuerfall aber als nicht zulässigen Eingriff in die Freiheit der richterlichen Betätigung. Er bittet daher anzuregen, dass der „Chefpräsident … an den Herrn Reichsminister

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der Finanzen die Bitte richtet, dafür besorgt zu sein, dass die richterliche Unabhängigkeit des höchsten Steuerge-richts gewahrt bleibt, soweit das mit dem Führerprinzip vereinbar ist“. Lt. einem Aktenvermerk fand dieses Gespräch am 6. Dezember 1941 auch statt. Über das Ergebnis ist allerdings nichts vermerkt. Das Urteil vom 20. November 1941 erreichte den jüdi-schen Steuerzahler in Breslau nicht mehr. Er war nach den Feststellungen des RFH „unbekannt verzogen“. In seinem Urteil vom 11. Februar 1943259 verschärfte der IV. Senat die bestehende Rechtslage hinsichtlich der sog. Sozialausgleichsabgabe. Juden hatten seit Dezember 1940 ebenfalls diese Zusatzsteuer zu zahlen (vgl. Tz. B.II.2.c). Der Beschwerdeführer war „anlässlich seiner im August 1932 mit einer Volljüdin geschlossenen Ehe zur jüdischen Glaubensgemeinschaft übergetreten“. Damit war er nicht Jude im Sinne des Reichsbürgerge-setzes. Bis zu dieser Entscheidung war es allgemeine Auffassung, dass nach allen Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsanweisungen die Abstammung über die Zugehörigkeit zur „jüdischen Rasse“ entschied. Der RFH entschied allerdings: „Es ist dem Beschwerdeführer zuzugeben, dass für die Nürnberger Gesetze im Wesent-lichen nicht das Glaubensbekenntnis maßgebend ist, dass vielmehr in der Regel die blutmäßigen Beziehungen entscheiden. … Dem OFPräs ist aber auch darin beizu-treten, dass darüber hinaus nach der Volksanschauung steuerlich als Jude auch derjenige behandelt werden

259 IV 167/42, RStBl. 1943, S. 251.

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muss, der zwar rassemäßig Nichtjude ist, sich aber offen zur jüdischen Religionsgemeinschaft bekennt, ihr dem-gemäß angehört und sich so selbst zufolge eigenen Wil-lens in den Kreis der Juden eingereiht hat“. Der RFH ging damit über die bisherige Ansicht weit hinaus und ließ auch die bloße Glaubenszugehörigkeit für die Zu-ordnung ausreichen. Wegen dieses Systemwechsels, nicht wegen der inhaltlichen Entscheidung, erfuhr das Urteil in der Fachpresse vorsichtig formulierte Kritik. RFH-Richter Zitzlaff schrieb in der Zeitschrift „Steuer und Wirtschaft“: „Man wird vielleicht der Meinung sein, dem Stpfl., der noch im August 1932 sich mit einer Jüdin verheiratet hat und dieserhalb zur jüdischen Religions-gemeinschaft übergetreten ist, geschähe nur Recht, wenn er jetzt mit der Sozialausgleichsabgabe beglückt würde. Dagegen wäre an sich wohl nichts zu sagen. Entschei-dend wird aber sein, dass der Begriff Jude im öffentli-chen Recht einheitlich durchgeführt wird“.260 Der VI. Senat des RFH hatte sich in zwei Entscheidun-gen mit den steuerlichen Folgen des Boykotts jüdischer Geschäfte auseinander zu setzen. In der Entscheidung vom 9. Februar 1938261 betraf der Rechtsstreit eine „arische“ Kaufhauseigentümerin, die eine Teilwertabschreibung auf ihr Geschäftsgebäude beantragte. Eine solche war möglich, wenn das Wirt-schaftsgut, hier das Kaufhausgebäude, dauerhaft wesent-lich wertgemindert war. Die Beschwerdeführerin be-gründete diese Wertminderung mit dem Überangebot an

260 Kumpf, Johann Heinrich, Die Reichsfinanzverwaltung im Natio-

nalsozialismus, 2002, S. 152. 261 VI 739/37, RStBl. 1938, S. 532.

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jüdischen Grundstücken, die infolge des Boykotts ver-mehrt zum Verkauf standen. Das Finanzamt und auch das Finanzgericht argumentierten dagegen, dass die Beschwerdeführerin „als arisches Unternehmen dadurch, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung vom Kauf in jüdischen Geschäftshäusern zurückgezogen hat, einen großen Zuwachs an Kundschaft gehabt [hat], der sich auch in entsprechenden Gewinnen ausgewirkt hat“. Wenn der Gewinn aber gestiegen sei, müsste man daraus herleiten, dass auch der Wert des Grundstückes nicht zurückgegangen sein könne. Der Senat hält eine Wertminderung in Folge des Über-angebots jüdischer Grundstücke und damit eine Teil-wert-Abschreibung für grundsätzlich denkbar. Die güns-tige Entwicklung des Geschäftes der Beschwerdeführe-rin sei allerdings auch beim Wert des Grundstückes zu berücksichtigen, soweit es sich nicht um eine nur vo-rübergehende Überrendite handelt. Zur Klärung dieser Fragen verwies der RFH die Rechts-beschwerde an das Finanzgericht zurück. Am 7. Dezember 1938262 hatte sich der Senat dann mit der Rechtsbeschwerde eines „nichtarischen“ Kaufhaus-betreibers zu befassen. Dieser hatte in der Bilanz für das Jahr 1934 die Abschreibungen auf das Vorratsvermögen, also den Warenbestand, auf 20,33 % der Anschaffungs-kosten erhöht. In den Vorjahren betrug diese Abschrei-bungsrate bei ihm immer 13,12 %. Finanzamt und Fi-nanzgericht sahen den bisherigen Abschreibungssatz als ausreichend an und erhöhten den Gewinn um

262 VI 715/38, RStBl. 1939, S. 258.

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100.000 RM. Der Kaufmann begründete seine Rechtsbe-schwerde u. a. damit, dass er als „Nichtarier“ unter dem Boykott der jüdischen Geschäfte leide und daher ein erhöhtes Absatzrisiko habe. Der RFH wies die Rechtsbeschwerde als unbegründet ab. Er begründete dies mit der heute noch gültigen De-finition des Teilwertes. Teilwert ist der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebes im Rahmen des Gesamt-kaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde. Dabei seien die Besonderheiten die nicht in den objektiven Verhältnissen des Betriebes, sondern aus-schließlich in der Person des Gewerbetreibenden be-gründet seien, auszuscheiden. „Unbeachtlich ist somit, … dass es sich um einen jüdischen Kaufmann handelt, der im Interesse des Wettbewerbs mit den arischen Firmen mit geringeren Rohaufschlägen arbeitet. Die Tatsache, dass ein jüdisches Geschäft vorliegt, könnte lediglich insofern eine Rolle spielen, als durch zahlreiche Verkäufe derartiger Geschäfte unter Umständen der Gesamtwert sinkt und hierdurch die Teilwerte beein-flusst werden. Man wird jedoch davon ausgehen müssen, dass … hierdurch lediglich der Teilwert des Anlagever-mögens, nicht aber des Warenlagers berührt wird.“ Die Divergenz zu dem ersten Urteil ist evident. Zum Abschluss noch ein Urteil des VI. Senats vom 17. September 1941263 zu den steuerlichen Folgen des Ausscheidens eines jüdischen Gesellschafters. Eine oHG hatte „nach der Machtergreifung von der Gauleitung zunächst die Erlaubnis erhalten, sich als ‚Deutsches

263 VI 12/41, RStBl. 1941, S. 842.

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Unternehmen’ zu bezeichnen“. In ihren zahlreichen, über ganz Deutschland verteilten Verkaufsstellen wur-den diese als „Deutsches Geschäft“ beschildert. Die Erlaubnis wurde am 18. Juli 1935 widerrufen. Wegen dieser „politischen Zeitumstände“ schied der jüdische Teilhaber zum Buchwert seines Kapitalkontos in der Handelsbilanz aus der oHG aus. Das Kapitalkonto in der Steuerbilanz lag aus verschiedenen Gründen wert-mäßig höher als das in der Handelsbilanz. Der Teilhaber realisierte damit einen steuerlichen Verlust. Streitig war die Behandlung beim fortführenden „arischen“ Einzel-unternehmer. Finanzamt und Finanzgericht hatten den Unterschiedsbetrag zwischen Kaufpreis und steuerli-chem Kapitalkonto diesem als laufenden Gewinn zuge-rechnet. In seiner Entscheidung betonte der Senat zunächst, dass entsprechend dem Gesetz und seiner eigenen ständigen Rechtsprechung in Höhe des streitigen Betrages die Buchwerte in der Bilanz herabgesetzt werden müssten. Der Erwerber würde dadurch bei einem späteren Ver-kauf durch dann geringere Buchwerte einen höheren Veräußerungsgewinn erzielen. Dadurch wäre der Verlust per Saldo neutralisiert. Genau so ist dieses steuerliche Problem heute – wieder – zu lösen. Von dieser Handha-bung sei im vorliegenden Fall allerdings abzuweichen und der Betrag ausnahmsweise als laufender Gewinn zu erfassen, da besondere Umstände hierfür erkennbar seien. „Dem Juden blieb unter diesen Umständen [dem Widerruf der Erlaubnis, sich „Deutsches Unternehmen“ nennen zu dürfen] gar nichts anderes übrig, als sofort aus der Firma auszuscheiden, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch des ganzen Unternehmens zu vermei-

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den. Er suchte für sich zu retten, was zu retten war, musste sich aber schließlich ‚nach ernsthaftem Wider-stand’ mit dem Erreichten zufrieden geben.“ Auf der anderen Seite bedeutete „das Ausscheiden des Juden … für das nunmehr rein arische Unternehmen … einen erheblichen wirtschaftlichen Gewinn.“ Wegen dieses Gewinnes sah es der RFH als nicht gerechtfertigt an, die Buchwerte zu mindern. Der Betrag sei stattdessen sofort als Gewinn zu versteuern.

6. Kontroverse Entscheidungen

Wenn in anderen Arbeiten der Nachweis geführt wird, dass der Reichsfinanzhof sehr wohl Rückgrat gegenüber dem Reichsfinanzministerium gezeigt habe, werden die beiden folgenden Themenkomplexe angeführt, die des-halb nicht unterschlagen werden sollen. Der RFH hatte am 20. März 1930264 entschieden, dass Parteibeiträge auch dann als Lebenshaltungskosten und nicht als abzugsfähige Werbungskosten anzusehen seien, wenn der Steuerpflichtige nachweise, dass er die Beiträge nur aus geschäftlichen Rücksichten zahle. Diese Recht-sprechung behielt er bei, als er am 10. Mai 1933265 ent-schied, dass ein Bankunternehmen, bei dem ein Teilha-ber jüdischen Glaubens war, Beiträge zum jüdischen Zentralverein nicht als Betriebsausgaben abziehen durf-te. Ebenso versagte es der RFH am 4. April 1933266 einem jüdischen Seminarlehrer, die Zahlung des freiwil-

264 VI A 147/30, RFHE 27, 82. 265 VI A 607/33, StuW 1933, Nr. 589. 266 VI A 296/33, RStBl. 1933, S. 590

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ligen „jüdischen Zehnten“ als Werbungskosten zu be-rücksichtigen. In Fortführung dieser Rechtsprechung hat der RFH dann mit Urteil vom 19. Dezember 1934267 auch Beiträge und Spenden an die NSDAP und das Winterhilfswerk für nicht abzugsfähig erklärt. Die Ab-lehnung der Abzugsfähigkeit solcher Aufwendungen für parteiliche Zwecke und ihre Zurechnung zu den Le-benshaltungskosten wurde dem RFH allerdings wesent-lich dadurch erleichtert, dass der RdF zwar nicht mit der Begründung, aber im Ergebnis mit dem RFH überein-stimmte. Die Entscheidungen zu Ungunsten der Steuer-pflichtigen fanden lt. Uffelmann268 die volle Billigung des Staatssekretärs Reinhardt. Damit passen diese Entschei-dungen denn doch wieder in das Bild, das durch das damals geflügelte Wort: „Herr Reinhardt ist ein starker Mann, der Reichsfinanzhof schließt sich an“269 treffend ausgedrückt wird. Der zweite Komplex wird unter dem Schlagwort „Kon-flikt mit dem Reichsfinanzministerium“ im Schrifttum behandelt. Die Finanzverwaltung und auch das Finanzgericht woll-ten sich mit Hilfe des § 1 Abs. 3 StAnpG eine erweiterte Auslegung des § 92 AO verschaffen, um bereits be-standskräftige Bescheide ändern zu können, wenn ihrer Meinung nach der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der 267 VI A 460/34, RStBl. 1935, S. 414, sowie StuW 1933, Nr. 686 und

Nr. 697. 268 Uffelmann, Gerd, Die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes

unter nationalsozialistischem Einfluß in den Jahren 1933 – 1943, Diss. Köln, 1947, S. 11 (leider ohne weiteren Nachweis).

269 Davy, Ulrike, Nationalsozialismus und Recht: Rechtsetzung und Rechtswissenschaft in Österreich unter der Herrschaft des Natio-nalsozialismus, S. 344.

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Besteuerung erheblich verletzt wurde. Im konkreten Fall ging es um die 1929 erfolgte Einheitsbewertung eines Grundstückes, das vom Finanzamt fälschlicherweise als Feldgrundstück und nicht als Bauland bewertet worden war. Die Finanzverwaltung wollte den Fehler nach Ein-tritt der Bestandskraft mit Hilfe eines Berichtigungsbe-scheides korrigieren. Der Reichsfinanzhof ging in seinem Urteil vom 21. August 1935270 zwar explizit auf § 1 StAnpG ein, entschied jedoch, dass die fehlerhafte Rechtsanwendung durch einen Beamten der Finanzver-waltung keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 AO darstelle und verneinte somit die Änderbarkeit. Reinhardt antwortete mit einem Gutachtenersuchen vom 17. Juli 1936271. In diesem Ersuchen wurde aller-dings nicht ein Gutachten zu einer zweifelhaften Rechts-frage gewünscht, sondern der RdF forderte den Großen Senat auf, die durchaus gleichmäßige und übereinstim-mende Rechtsprechung des VI. und anderer Senate zu überprüfen, weil er (Reinhardt) hierzu eine andere Mei-nung vertrat! In ungewöhnlicher Diktion enthielt das Ersuchen in nur leicht verschleierter Form die Aufforde-rung, die bisherige Rechtsprechung für falsch zu erklären und sich dem Befehl Reinhardts zu beugen. Es sollte nicht nur für den Fall des § 92 Abs. 3 AO eine sehr weite Auslegung der Berichtigungsmöglichkeit, sondern ein genereller Vorrang des § 1 Abs. 3 StAnpG gegenüber allen formaljuristischen Regelungen, die aus der Zeit vor 1933 herrührten, ausgesprochen werden. Der Reichsfinanzhof löste diese Frage dahingehend, dass er dem Grunde nach § 1 Abs. 3 StAnpG auch weiterhin

270 VI A 255/35, RStBl. 1935, S. 1189. 271 RStBl. 1936, S. 911.

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hier nicht für anwendbar hielt. Er widersetzte sich also insoweit der Anordnung Reinhardts. Auf den zu beurtei-lenden Einzelfall bezogen kam der Große Senat hinge-gen zu der Erkenntnis, dass die bisherige Auslegung des § 92 Abs. 3 AO durch den VI. Senat zu eng gewesen sei. Er warf die Frage auf, ob die bisherige Auslegung dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit der Besteuerung „sowie den Erfordernissen, die sich aus der Geschäftslage der Reichsfinanzverwaltung ergeben“ ausreichend Rechnung trage und verneinte diese. Er erklärte dies damit, dass die Volksanschauung fordere, dass ein Steuerpflichtiger nicht zum Nachteil der Volks-gesamtheit im Genuss ungerechtfertigter Steuervorteile verbleibe, die nur aus nicht immer vermeidbaren Verse-hen der Veranlagungsbeamten herrührten. Der RFH kam damit zu dem Schluss, dass zu den offenbaren Unrichtigkeiten im Sinne des § 92 Abs. 3 AO auch sol-che Veranlagungsfehler zu rechnen sind, die dadurch entstanden, dass das geltende Recht aus einem Versehen heraus nicht oder nicht richtig angewandt wurde. Damit hatte der RFH im Ergebnis seine bisherige Rechtspre-chung desavouiert und sich dem Standpunkt der Steuer-verwaltung angeschlossen. Das Institut der Bestandskraft von Steuerbescheiden war damit aufgegeben und der Finanzbehörde eine unbeschränkte Korrekturmöglich-keit eröffnet. Eine Regelung, die diese Entscheidung auch positivistisch untermauerte, erging übrigens erst mit der Steuervereinfachungs-VO vom 14. September 1944.272

272 RGBl. 1944 I, S. 202.

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7. Positivismusthese

Betrachtet man kritisch die Gesamtentwicklung der Steuerrechtsprechung in den über 12 Jahren nationalso-zialistischer Herrschaft, so ergibt sich folgende Bilanz: Die verstärkt fiskalische Grundhaltung verdichtete das Steuerrechtsverhältnis zu einer „öffentlich-rechtlichen Treueverpflichtung aller Volksgenossen“273 im Hinblick auf den gestiegenen Finanzbedarf des Reiches zur Fi-nanzierung der Aufrüstung und später des Krieges. War die bereits früher praktizierte wirtschaftliche Betrach-tungsweise bis 1933 noch rechtsstaatlich motiviert, so bemühte sich der Reichsfinanzhof in zunehmendem Maße, durch willkürliche Auslegung von Generalklauseln eine Lücke zu schließen, die zwischen der Steuerpolitik der Regierung und dem Stand der Gesetzgebung klaffte. Damit wurde z. B. erst durch den RFH die Reichsflucht-steuer zu einem Instrument der wirtschaftlichen Ver-nichtung der Juden. Waren die Richter aber wirklich, wie Edmund Stoiber eingangs meinte, durch den Gesetzesbefehl des Steuer-anpassungsgesetzes zur antisemitischen Rechtsprechung, zu den in Teil C dargestellten Urteilen, verpflichtet? Gustav Radbruch formulierte im September 1945 in seinem Aufsatz „Fünf Minuten Rechtsphilosophie“274, die positivistische Gesetzeslehre, also die bedingungslose Anwendung der vom staatlichen Gesetzgeber erlassenen Gesetze durch die Rechtsanwender, habe die Juristen wehrlos gemacht „gegen noch so willkürliche, noch so 273 Urteil vom 22.5.1935, IV A 467/34, RFHE 38, 47, Urteil vom

26.9.1936, III A 34/35, RStBl. 1936, S. 950. 274 Radbruch, Gustav, Rechtsphilosophie, S. 209.

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grausame, noch so verbrecherische Gesetze“. Durch den dem Positivismus zu Grunde liegenden Satz „Gesetz ist Gesetz“ sei sowohl gesetzliches Unrecht, wie überge-setzliches Recht ein Widerspruch in sich gewesen. Doch taugt dieser Ansatz wirklich, um zu erklären, was sowohl inhaltlich, als auch sprachlich in den veröffent-lichten Urteilen des Reichsfinanzhofes von 1933 bis 1945 seinen Niederschlag gefunden hat? Wurden die Richter nach der Machtergreifung wirklich zwangsläufig ein Opfer ihres unpolitischen Bewusstseins und ihrer strengen Gesetzestreue? Oder leisteten sie nicht doch einen eigenen Beitrag zur Verschärfung der gesetzlich angelegten Unrechtselemen-te im Steuerrecht? Die in den vorstehenden Urteilen aufgeführten Sachver-halte, Entscheidungen und z. T. wörtlich zitierten Be-gründungen beantworten die Frage, ob es die gesetzes-positivistische Einstellung der Richter gewesen sei, die sie der nationalsozialistischen Diktatur dienstbar ge-macht habe: Nein, sie war es nicht. Gerade eine strenge gesetzespositivistische Haltung hätte die Richter eher widerstandsfähig gegenüber der Diktatur machen müs-sen. Die Anwendung des Steueranpassungsgesetzes auf Sachverhalte vor dessen in Kraft treten, die rückwirken-de Aberkennung der Gemeinnützigkeit, aber auch die Ausdehnung der Steuerpflicht über den Wortlaut des Gesetzes hinaus, wie im Urteil zur Reichsfluchtsteuer eines tschechischen Staatsangehörigen geschehen (siehe Seite 98), wären bei einer rein positivistischen Grundhal-tung nicht möglich gewesen. Zwar hätte der Reichsfi-nanzhof auch dann neue antisemitische Steuergesetze

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anzuwenden gehabt, aber er hätte bei Wahrung der Ge-setzestreue die überkommenen Normen entschiedener bewahren und ihre Schutzfunktion gegenüber verfolgten Minderheiten weit besser ausüben können. Da der Positivismus als Erklärung somit erkennbar ausscheidet, bleiben nur noch Anpassung oder Überzeu-gung übrig. Um diese beiden, zumindest im Ergebnis gleichen Moti-ve, von Kant´scher Legalität und Moralität mag man in diesem Zusammenhang nicht reden, trennen zu können, ist die Frage zu untersuchen, ob die Richter dabei unter irgendeinem Zwang standen. In der Tat wurden Schlüs-selstellungen bald nach der Machtergreifung mit Natio-nalsozialisten besetzt. Aufgrund des Gesetzes zur Wie-derherstellung des Berufsbeamtentums wurden diejeni-gen Richter, die nichtarischer Abstammung waren oder „nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rücksichtslos für den nationalen Staat eintreten“, pensioniert oder entlas-sen. Dass auch Richter von diesem Gesetz betroffen waren, stellte eine Verletzung einer der wichtigsten Ga-rantien der Unabhängigkeit der Rechtspflege dar. Auch Angriffe durch kritische Äußerungen in der Literatur und eine massive Einflussnahme der einheitlich ausge-richteten Finanzverwaltung unter der rücksichtslosen Führung Reinhardts halfen, die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes in ein immer stärker nationalsozialis-tisch betontes Fahrwasser zu lenken. Dies wird aber nicht die ganze Erklärung für das Verhal-ten des Reichsfinanzhofes in der Zeit von 1933 bis 1945 sein. Ein großer Teil der Gründe hierfür dürfte auch im

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politischen und gesellschaftlichen Bewusstsein der Rich-terschaft selbst zu suchen sein. Gleich anderen national und konservativ gesinnten bürgerlichen Schichten wurde sie gegen Ende der Republik von den antidemokrati-schen und antiliberalen Strömungen ergriffen, die am wirkungsvollsten von der NSDAP repräsentiert wurden. Hitlers anfängliche Erfolge und die damit verbundene rasche Anlehnung an das neue Regime führten dazu, dass Teile der Richterschaft die Gefährdungen des Rechtsstaates nicht erkennen konnten oder wollten. So schrieb Reichsrichter Zitzlaff bereits 1934: „Im autoritä-ren Staate ist es undenkbar, dass die Staatshoheit von dem Staatsbürger vor ein so genanntes objektives Ge-richt gezogen wird. Die Aufgabe der Verwaltungsgerich-te kann nur sein, die staatshoheitlichen Grundsätze in gleicher Weise, wie es die Pflicht der Verwaltungsbehör-den ist, durchzusetzen. … Man kann die Finanzgerichts-barkeit nur so auffassen, dass zur Entscheidung der sachlichen Beschwerden im einzelnen Falle besondere Organe der Aufsichtsbehörden mit einer Art richterli-chen Selbständigkeit und unter Wahrung gewisser rich-terlicher Formen tätig werden. Es ist aber von der größ-ten Wichtigkeit, dass die Verwaltungs- und Aufsichtsbe-hörden und die Finanzgerichte vom gleichen Geist ge-tragen werden und dass sie sich bewusst sind, dass sie zusammen in dem gleichen Geiste wirken müssen, um die Steuergesetze zum Wohle der Gesamtheit durchzu-führen.“275

275 Zitzlaff, Franz, Der Deutsche Volkswirt, 1934, S. 16.

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Der Niederschlag der nationalsozialistischen Rassenlehre in der Steuerrechtsprechung hat seine Ursache nicht zuletzt in dem latenten Antisemitismus, der bereits vor 1933 in breiten Schichten der deutschen Bevölkerung vorhanden war. Er war ausgelöst bzw. verstärkt worden durch den Neid auf die wirtschaftlich gehobene Stellung vieler Juden, sowie durch alte Vorurteile, die aus der traditionellen Fremdenstellung der Juden im christlichen Gesellschaftsgefüge resultierten, und nicht zuletzt durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch von 1929 bis 1933. Hitler verstand es geschickt, den antisemitischen Impuls zu einer Massenbewegung zu machen, der auch manch ein Richter des Reichsfinanzhofes folgte. Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Positivismus taugt nicht als Erklärung, schon gar nicht als Entschuldi-gung, für die ausführlich dargestellten Unrechtssprüche. Ob Anpassung oder Überzeugung die Motive waren, kann wohl nur durch einen Einblick in die einzelnen Prozessakten beantwortet werden und ist im Rahmen dieser knapp bemessenen Arbeit nicht leistbar.

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D)Umgang mit Steuerrecht und Rechtsprechung aus der Zeit des Nationalsozialismus nach dem 8. Mai 1945

I. Formeller Umgang

1. Fortgeltung des Steuerrechts

Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches unter-zeichneten am 5. Juni 1945 die Oberbefehlshaber der vier Besatzungsmächte im Namen ihrer Regierungen eine Deklaration über die Ausübung der obersten Ge-walt in Deutschland. Organ zur Ausübung dieser Gewalt sollte der Alliierte Kontrollrat sein, der sich am 30. Juli 1945 konstituierte. Durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 (KRG Nr. 1) wurden 25 Ge-setze und Verordnungen „politischer Natur oder Aus-nahmegesetze“ ausdrücklich aufgehoben. Steuergesetze befanden sich nicht darunter. Es wurde also, wie auf der Konferenz von Potsdam vereinbart, auch im Steuerrecht nicht wieder der Rechtszustand von 1933 hergestellt. Vielmehr blieben die bestehenden Steuergesetze in Kraft. Sie durften nach Art. II des Kontrollratsgesetzes Nr. 1 allerdings nur so angewandt werden, dass niemand aufgrund Rasse, Glauben, Staatsangehörigkeit usw. be-nachteiligt wurde. Vorläufer des KRG Nr. 1 war das Gesetz Nr. 1 der Militärregierung für Deutschland276, das am 18. September 1944, dem Tag des Beginns der Be-

276 Sammlung der Gesetze, Verordnungen, Anweisungen und Anord-

nungen der Militärregierung – Deutschland, Nr. 1, S. 16.

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setzung, in Kraft trat. In Art. III dieses Gesetzes hieß es wörtlich: „Entscheidungen der deutschen Gerichte, deutscher Amtsstellen und Beamter oder juristische Aufsätze, die nationalsozialistische Ziele oder Lehren erklären oder anwenden, dürfen in Zukunft nicht mehr als Quelle für die Auslegung oder Anwendung deutschen Rechts zitiert oder befolgt werden.“ Damit waren auch die entsprechenden Entscheidungen des Reichsfinanz-hofes nicht mehr anzuwenden.

2. Personelle Konsequenzen führender Akteure

Nach der Kontrollratsdirektive Nr. 24 vom 12. Januar 1946277 waren der Reichsfinanzminister, der Staatssekre-tär sowie der Präsident und Vizepräsident des RFH qua Amt zwangsweise aus ihren öffentlichen Ämtern zu entfernen. Die Richter und Senatspräsidenten des RFH konnten somit in ihren Positionen verweilen. Nach dem Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946278 hatte in der ame-rikanischen Besatzungszone jeder Deutsche über 18 Jahren zur Durchführung des „Entnazifizierungsverfah-rens“ einen Fragebogen auszufüllen. Zur Beurteilung der Verantwortlichkeiten wurden fünf Gruppen, von Haupt-schuldigen bis zu Entlasteten, gebildet, in die die über-prüften Personen eingruppiert wurden. Dabei galten gem. Art. 6 dieses Gesetzes „bis zur Widerlegung“ der Reichsfinanzminister, der Staatssekretär, sowie der Prä-sident des RFH als Hauptschuldige. Der Vizepräsident war als Belasteter einzustufen. Richter waren gem. Art. 7

277 ABl. 1946, S. 228. 278 BayGVBl. 1946, S. 145.

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Abs. 2 Nr. 4 dann als Aktivisten einzustufen, wenn sie im Dienste des Nationalsozialismus ihr Amt politisch missbraucht hatten. Strafrechtliche Konsequenzen blie-ben nach diesem Gesetz ausdrücklich unberührt, sind aber im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit nicht bekannt, da sich auch hier die doppelten Hürden des sog. Richter-privileges als zu hoch erwiesen. Aus Platzgründen sollen hier nur die persönlichen Kon-sequenzen für den Reichsfinanzminister, den Staatssek-retär und den Präsidenten des Reichsfinanzhofes darge-stellt werden.

a) Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk

Lutz Graf Schwerin von Krosigk, geb. 1887, trat nach dem juristischen Studium 1914 als Regierungsassessor in die preußische Verwaltung ein. 1920, nach der Kriegs-teilnahme, begann er seine Tätigkeit im neu geschaffenen Reichsfinanzministerium. Nach einer steilen Beamten-karriere279 wurde er 1932 Reichsfinanzminister im „Ka-binett der Barone“ unter Reichskanzler Franz von Pa-pen. Er blieb dies auch im Kabinett von Schleicher. Nach dessen Sturz wurde er, entsprechend den Abspra-chen zwischen der nationalkonservativen Rechten und den Nationalsozialisten, in das erste Kabinett Hitler berufen. Parteilos, doch der DNVP nahe stehend, war er als anerkannter Experte auf dem Gebiet der Staatsfinan-zen einer der Garanten für Fachkompetenz und Konti-nuität, mit deren Hilfe die Zustimmung des zunächst zögerlichen Reichspräsidenten Hindenburg gewonnen,

279 1921 Regierungsrat, 1922 Oberregierungsrat, 1924 Ministerialrat,

1929 Ministerialdirektor.

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die deutsche Wirtschaft sowie das Ausland beruhigt und die reibungslose Mitarbeit der deutschen Beamtenschaft gesichert werden sollten.280 Ihm wurde mit Fritz Rein-hardt ein überzeugter Nationalsozialist als Staatssekretär zur Seite gestellt. Nach der vereinbarten Aufgabenteilung war der Minister hauptsächlich für das Etatressort ver-antwortlich, der Staatsekretär hatte hingegen in Steuer- und Personalfragen freie Hand. Obwohl Schwerin von Krosigk erst 1937 in die NSDAP eintrat, war er doch von Anfang an an der Etablierung der NS-Diktatur beteiligt und bekannte sich bereits frühzeitig eindeutig zu zentralen Zielen des Nationalsozialismus. Es finden sich in Reden und Vorträgen Positionierungen, in denen er die „nationale Revolution“ enthusiastisch begrüßte, die völkische Ideologie des Nationalsozialismus bejahte und die Wiederaufrüstung rechtfertigte. Schwerin von Krosigk übernahm in der sog. „Geschäfts-führenden Reichsregierung“ des Admiral Dönitz zusätz-lich noch das Amt des Außenministers und stand dem Gremium als „Leitender Minister“ vor. Er wurde mit dem gesamten Kabinett Dönitz am 23. Mai 1945 inter-niert. Im sog. „Wilhelmstraßenprozess“ wurde er am 14. April 1949 zwar im Anklagepunkt „Verbrechen gegen den Frieden“ freigesprochen. Verurteilt wurde er allerdings im Anklagepunkt V (Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Gräueltaten und Vergehen gegen die Zivilbevölkerung, Verfolgung von Juden, Katholiken und anderen Minderheiten) und Punkt VI (Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Raub und Plünderung). Das Strafmaß

280 Woitkowski, Hans-Peter, Die Reichsfinanzverwaltung im National-

sozialismus, 2002, S. 247.

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lautete zehn Jahre Haft; er wurde 1951 begnadigt! Im deutschen Entnazifizierungsverfahren wurde er in die Gruppe 3 „Aktivisten“ eingestuft, aber mit dem aus-drücklichen Vermerk, dass er die Pension eines Ministe-rialdirektors (seine Beamtenstellung vor der Ernennung zum Minister) in voller Höhe erhalten solle.281 Im Ruhe-stand widmete sich Schwerin von Krosigk einer publizis-tischen Tätigkeit282 und verstarb 1977 in Essen.

b) Staatssekretär Reinhardt283

Fritz Reinhardt, geboren 1895, arbeitete nach Abschluss der Handelsschule zunächst als Kaufmann in Riga. Nach dem Ende des Krieges begann er als Handelsschullehrer und zeitweiliger Sachbearbeiter beim Landesfinanzamt Thüringen. Im Jahr 1924 zog er nach Herrsching am Ammersee, gründete dort eine Fernhandelsschule und vertrieb mehrere kaufmännische und steuerliche Schrif-ten. 1926 trat Reinhardt in die NSDAP ein (Mit-gliedsnummer 45.959) und engagierte sich als Propagan-daredner. Nach parteiinterner284 und kommunalpolit-

281 Pausch, Alfons, DStZ 1983, S. 490. 282 „Es geschah in Deutschland – Menschenbilder unseres Jahrhun-

derts“, Tübingen/Stuttgart 1951; „Die große Zeit des Feuers. Der Weg der deutschen Industrie“, Tübingen/Stuttgart 1957, „Alles auf Wagnis. Der Kaufmann gestern, heute, morgen“, Tübin-gen/Stuttgart 1963, „Staatsbankrott. Die Geschichte der Finanzpo-litik des Deutschen Reiches von 1920 – 1945“, Göttingen, 1974, „Jenny Marx, Liebe und Leid im Schatten von Karl Marx“, Stutt-gart, 1977.

283 Schöpf, Andreas, Fritz Reinhardt – Kaufmann und „alter Kämp-fer“, in: Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus, Bre-men, 2002, S. 253 - 256.

284 1927 Bezirksleiter Oberbayern-Süd, 1928 Gauleiter Oberbayern und Propagandaleiter unter Himmler und Goebbels.

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ischer285 Karriere zog er 1930 in den Reichstag ein und wurde zum Finanzfachmann seiner Fraktion mit Sitz in allen einschlägigen Ausschüssen. Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde er Staatssekretär im Reichsfinanzministerium. Aufgrund der zwischen Minister und Staatssekretär vereinbarten Aufgabenteilung hatte Reinhardt in Steuer- und Personalfragen freie Hand. Auf dem Personalsektor nutzte er seine Kompetenzen, um im Geschäftsbereich des Finanzministeriums die interne Gleichschaltung voranzutreiben.286 Das Ausbildungswesen der Reichsfi-nanzverwaltung wurde völlig umgestaltet, sodass auch nationalsozialistische Weltanschauung, Wehrertüchti-gung und Geländeübungen in die Ausbildungsinhalte einflossen. Nationalsozialismus war ab 1935 ein Lehr-fach an der Steuerschule, das sowohl schriftlich, als auch mündlich geprüft wurde. Das Steuerrecht wurde ab 1934 grundlegend umgestaltet. Gingen die Entwürfe zu den einzelnen Fachgesetzen noch auf Vorarbeiten der Ministerialbürokratie z. T. aus der Weimarer Zeit zurück, so war § 1 des Steueranpas-sungsgesetzes 1934 eine Schöpfung Reinhardts, durch die die - zunächst noch - neutral formulierten Steuerge-setze nach nationalsozialistischer Weltanschauung anzu-

285 Reinhardt war ab 1928 zweiter Bürgermeister der Gemeinde Herr-

sching. Eine der von Reinhardt im Jahr 1935 ins Leben gerufenen Reichsfinanzschulen wurde denn auch in Herrsching gebaut. Sie wird heute noch vom Freistaat Bayern zur Ausbildung seiner Steu-erbeamten genutzt und ist ein „Musterbeispiel“ für den damals gängigen Monumentalstil in der Architektur.

Siehe auch: mapio.net/pic/p-18866045/. 286 Rüping nennt die Zahl von neun aus parteipolitischen Gründen

ernannten Reichsrichtern am RFH; siehe Rüping, Hinrich, Justiz und Verwaltung im Führerstaat, 2002, S. 43, Fn. 14.

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wenden waren. Die Leitlinien der „neuen“ Finanzpolitik erläuterte Reinhardt in einer Vielzahl von Vorträgen und Aufsätzen, die sowohl im Reichssteuerblatt, als auch in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Deutsche Steuerzeitung“ veröffentlicht wurden. Der Bezug der Zeitschrift wurde für die Finanzverwaltung zur Pflicht und hatte, zusammen mit den von Reinhardt publizier-ten Büchern, die Qualität amtlicher Verlautbarun-gen.287 288 289 Genauso wenig Skrupel wie beim Missbrauch seines Amtes zur Vermarktung seiner Elaborate hatte Rein-hardt dabei, in die Steuerfälle prominenter Nationalso-zialisten einzugreifen. Im Zusammenspiel mit dem da-maligen Präsidenten des Landesfinanzamtes München, Mirre, sorgte er dafür, dass Hitler beim Finanzamt Mün-chen-Ost einfach steuerfrei gestellt wurde. Auch in den steuerlichen Angelegenheiten von Goebbels, Rosenberg und Himmler war Reinhardt unterstützend tätig. Als Dienstherr der Reichsfinanzverwaltung war Rein-hard in die fiskalische Verfolgung und Ausplünderung der jüdischen Bürger unmittelbar eingebunden. Antijüdi-sche Maßnahmen und Gesetzesänderungen wurden

287 Die Veranlagungsrichtlinien für 1935, Ziffer B II lauteten: „Der

Teilwert für Wirtschaftsgüter, die der Abnutzung oder Substanz-verringerung unterliegen, bestimmt sich nach den Grundsätzen, die in Reinhardt, Buchführung, Bilanz und Steuern, Band I Lehrab-schnitt 13 Abschnitt B (Seiten 140 bis 51) dargestellt sind!“; siehe RStBl. 1936, S. 35.

288 Reinhardt soll Einnahmen von bis zu 85.000 RM p. a. für schrift-stellerische Tätigkeit bezogen haben; vgl. Pausch, Alfons, Der Steu-erberater, 1987, S. 356.

289 „Verbreitung seiner literarischen Produkte [war ein] schwerer Missbrauch seiner amtlichen Stellung“; vgl. Bühler, Ottmar, Fi-nanzgewalt im Wandel der Verfassungen, S. 10 (zitiert nach Voß, Reimer, Steuern im Dritten Reich, S. 52, Fn. 298).

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letztlich durch ihn angeordnet. Auch die „Elfte Verord-nung zum Reichsbürgergesetz“ vom 25. November 1941290 wurde von ihm mitgezeichnet. Reinhardt wurde am 3. Mai 1945 von amerikanischen Truppen in Garmisch-Partenkirchen festgenommen. Im sog. Wilhelmstraßenprozess war er nicht angeklagt, sondern sagte als Zeuge gegen Schwerin von Krosigk aus. In seinem eigenen Entnazifizierungsverfahren ver-suchte Reinhardt, sich als Fachmann darzustellen, der nur der Finanzverwaltung und dem Steuerrecht diente und dabei „Toleranz in der Judenfrage“ und Unpartei-lichkeit an den Tag legte. Deswegen habe er mit den Spitzen des NS-Staates wie Goebbels, Himmler, Heyd-rich, Ley und Bormann in ständigem Konflikt gestanden. Er wurde von der Hauptkammer München am 17. Juni 1949 als „Hauptschuldiger“ eingestuft und zu vier Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufungskammer reduzierte das Strafmaß am 16. November 1949 dann auf drei Jahre. Die Internierungszeit wurde auf das Strafmaß angerechnet und er kam sofort frei.291 Reinhardt arbeitete anschließend als Steuerberater in Bad Wörishofen und verstarb 1969.

c) Chefpräsident Mirre292

Ludwig Mirre, geboren 1878, kam 1921 aus der preußi-schen Finanzverwaltung als Richter an den Reichsfi-

290 RGBl. 1941 I, S. 722. 291 Auszüge aus den Unterlagen zum Entnazifizierungsverfahren

Reinhardts bei: Schöpf, Andreas, Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus, 2002, S. 256.

292 Kumpf, Johann Heinrich, Die Reichsfinanzverwaltung im Natio-nalsozialismus, 2002, S. 146 - 148.

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nanzhof. 1933 nahm Mirre am Deutschen Juristentag in Leipzig teil und lernte Staatsekretär Reinhardt als Lo-giergast bei einem gemeinsamen Bekannten kennen. Zum 1. Mai 1934 wurde Mirre Präsident des Landesfi-nanzamtes München und kehrte 1935 als sog. Chefprä-sident an den RFH zurück. In seiner Zeit in der Finanz-verwaltung war Mirre maßgeblich an der steuerlichen Exemption Hitlers beteiligt. Nach Rücksprache mit Reinhardt wies er mit Schreiben vom 19. Dezember 1934 den zuständigen Bearbeiter an, „dass nach der staatsrechtlichen Stellung des Führers eine Steuerpflicht nicht vorliegt und dass es eine staatspolitische Frage ist, ob und in wieweit der Führer einem Steuerpflichtigen gleichgestellt wird.“293 Die zeitliche Abfolge dieser Ge-schehnisse gab und gibt Anlass zu Spekulationen, ob das eine das andere bedingte. Jedenfalls erhielt Mirre durch die Reichskanzlei monatlich eine geheime und steuerfreie (!) Zuwendung von 2.000 RM.294 Das Jahresgehalt als RFH-Präsident betrug zum Vergleich 25.000 RM jähr-lich. Mirre war neben seiner Tätigkeit als RFH-Präsident auch Senatspräsident des Senates VI. a, der zentral für Ent-scheidungen über die Gemeinnützigkeit kirchlicher und weltlicher Organisationen entschied. Rüping295 charakterisiert Mirre als „Prototyp eines Funk-tionärs, der sich dem System aus Schwäche angepasst und als Repräsentant des obersten Steuergerichts selbst zum Gehilfen der Finanzverwaltung gemacht hat“.

293 Abgedruckt bei Rüping, Hinrich, Justiz und Verwaltung im Führer-

staat, 2002, S. 53. 294 Ueberschär, Gerd/Vogel, Winfried, Dienen und Verdienen. Hitlers

Geschenke an seine Eliten, S. 247. 295 Rüping, Hinrich, Justiz und Verwaltung im Führerstaat, 2002, S. 54.

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Nach Kriegsende war Mirre zehn Monate interniert. In seinem Entnazifizierungsverfahren wurde er am 7. Ok-tober 1948 als „Mitläufer“ eingestuft und ihm eine Süh-ne von 100 DM, zahlbar an den Wiedergutmachungs-fond, auferlegt. Hierfür wurde ihm Ratenzahlung ge-währt. Am 23. Dezember wurde Mirre zum Senatspräsidenten am OFH herabgestuft und gleichzeitig unter Fortzah-lung der Bezüge in den Ruhestand versetzt. Er verstarb 1954.

d) Stellungnahme

Diese drei Männer, die maßgeblich an der fiskalischen Ausplünderung jüdischer Bürger und anderer unter-drückter Minderheiten beteiligt bzw. führend und initiie-rend tätig waren, kamen mit relativ geringen Strafen davon. Zwei von ihnen erhielten sogar auf Kosten der Allgemeinheit Pensionszahlungen. Es stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeit. Generalprävention und Spezialprävention taugen in diesem historisch einmaligen Fall nicht als Strafzwecke. Es verbleibt aber noch die Vergeltungstheorie, wonach zu strafen ist, weil es ge-recht ist. Weil die Handelnden nicht nur gegen die Mora-lität, sondern auch gegen die von Kant im kategorischen Imperativ postulierte Legalität verstoßen haben. Die ausgesprochenen Strafen genügen allerdings auch nicht der Kantschen Talionslehre, können ihr nach heutigem Verständnis auch gar nicht genügen. John Rawls liefert hier einen zielführenden Ansatz, ob die ausgesprochenen Strafen oder Sühneleistungen gerecht sind für das, was die drei Personen zu verantworten haben. Danach wäre

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eine Strafe gerecht, wenn jeder, gleich ob Täter oder Opfer, der ausgesprochenen Strafe unter dem „Schleier des Nichtwissens“ zustimmen würde, bevor er weiß, welchen Platz er in dieser Konstellation einnehmen wird. Nach diesem Kriterium ist hier die Gerechtigkeit durch die ausgesprochenen Strafen nicht wieder hergestellt worden.

3. Institutionelle Kontinuität RFH – OFH – BFH

Mit der Kapitulation Deutschlands vom 8. Mai 1945 endete auch die Tätigkeit des Reichsfinanzhofes. Der Neuaufbau der Finanzgerichtsbarkeit, der von unten her durch die Wiedererrichtung von Finanzgerichten einsetz-te, führte infolge der Aufspaltung des Reichsgebietes in vier Besatzungszonen zu unterschiedlichen Übergangs-lösungen, auch in der Nachfolgefrage des obersten Steu-ergerichts. Insgesamt betrachtet war nur in der amerika-nischen Zone eine spezielle Revisionsinstanz in Steuer-sachen tätig: der im Juli 1945 mit Genehmigung der Militärregierung errichtete Oberste Finanzgerichtshof in München. Er erhielt seine Unterkunft im Gebäude des ehemaligen RFH, lehnte sich eng an dessen organisatori-sche und personelle Verfassung an und war bemüht, in Fortentwicklung der Rechtsprechung der Weimarer Epoche die Tradition des Hauses zu wahren. Bestrebun-gen, seine Zuständigkeit auch auf andere Besatzungszo-nen auszudehnen, wurden 1949 nicht mehr weiter ver-folgt, um dem im Werden begriffenen Bonner Grundge-setz nicht vorzugreifen. Im Zuge der Vereinigung der drei westlichen Besat-zungszonen in der Bundesrepublik Deutschland gehörte

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die Beseitigung der empfindlichen Rechtszersplitterung in der Finanzgerichtsbarkeit zu einer vordringlichen Frage von Verfassungsrang. So wurde in Artikel 108 Abs. 5 des Grundgesetzes von 1949 ausdrücklich be-stimmt: „Die Finanzgerichtsbarkeit wird durch Bundes-gesetz einheitlich geregelt.“ Der erste Schritt zur Rechts-einheit auf diesem Gebiet wurde, wie schon 1918, mit der Errichtung einer obersten Rechtsmittelbehörde getan: dem Bundesfinanzhof, der durch das „Gesetz über den Bundesfinanzhof“ vom 29. Juni 1950296 zu-gleich als erstes der in Artikel 96 Abs. 1 des Grundgeset-zes vorgesehenen Obersten Bundesverwaltungsgerichte geschaffen wurde. Das Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Juli 1950 bedeutete grundsätzlich das Ende der Zu-ständigkeit der bisher mit Steuersachen befassten letzten Instanzen der Länder. Für Berlin wurde der BFH am 27. Juni 1952, für das Saarland ab 6. Juli 1959 zuständig. Der Oberste Finanzgerichtshof in München blieb bis zur tatsächlichen Geschäftsaufnahme des Bundesfinanzho-fes am 1. September 1950 tätig, um an diesem Tage die bei ihm anhängigen Sachen dem Nachfolger zu überge-ben und ihm sein Gebäude zu überlassen. Für den Aufbau des Bundesfinanzhofes galt der Grund-satz, dass auf ihn die Vorschriften über den ehemaligen Reichsfinanzhof – insbesondere in Bezug auf seine Or-ganisation, seine Zuständigkeit, sein Verfahren und die Einlegung von Rechtsmitteln – weitgehend Anwendung fanden. Geändert wurde allerdings das Besetzungsver-fahren. Die Zulassung von bis zur Hälfte der Mitglieder-zahl mit „juristischen Laien“ entfiel. Die Auswahl der

296 BGBl. 1950, S. 257.

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Mitglieder des BFH erfolgte auch nicht mehr durch den Finanzminister, sondern durch den Richterwahlaus-schuss des Deutschen Bundestages.297 Der Bundesfinanzhof gehört seit 1970 zum Geschäfts-bereich des Bundesjustizministeriums, nachdem er zuvor beim Bundesfinanzministerium angesiedelt war.

4. Rückgabe – Entschädigung – Wiedergutma-chung

Eine ausführliche Behandlung dieses interessanten The-mas fällt der Seitenbegrenzung zum Opfer. Die Urteile des Reichsfinanzhofes, auch die rassistisch motivierten, blieben nach 1945 bestehen. Die jüdischen Steuerzahler, deren Vermögen – auch – durch das unter Punkt B.II dargestellte fiskalische Instrumentarium abgeschöpft worden war, mussten in Rückerstattungs- und Entschä-digungsverfahren versuchen, Wiedergutmachung zu erlangen. Diese Verfahren waren in den Besatzungszo-nen unterschiedlich geregelt; erst das Bundesrückerstat-tungsgesetz vom 19. Juli 1957298 führte hier zu einer Vereinheitlichung. Die Abwicklung dieser Verfahren, mit denen die Finanzverwaltung beauftragt war, stellt insge-samt kein Ruhmesblatt des bundesdeutschen Fiskus dar.299

297 Pausch, Alfons, Fschr. 50 Jahre Deutsche Gerichtsbarkeit, 1968, S.

24. 298 BGBl. 1957 I, S. 734. 299 Zur Vertiefung: Lillteicher, Jürgen, Die Rückerstattung jüdischen

Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, Diss. Freiburg, 2002.

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II. Materieller Umgang

1. Personelle Kontinuität

Bevor untersucht werden soll, wie sich die Rechtspre-chung des BFH entwickelte, ob Rückgriffe auf die Rechtsprechung des RFH, evtl. sogar auf die in Teil C dargestellten ideologisch geprägten Urteile, stattfanden, muss klar sein, wer in der Anfangszeit des Bundesfi-nanzhofes Recht sprach. Waren es dieselben, die bereits von 1933 bis 1945 am Reichsfinanzhof wirkten, oder kam es zum großen personellen Umbruch nach dem 8. Mai 1945? Der Bundesfinanzhof begann seine Tätigkeit mit vier Senaten. Die Zahl der Richter betrug zu diesem Zeit-punkt einschließlich der Senatspräsidenten und dem Präsidenten des BFH insgesamt 19 Herren300, die alle-samt bereits als Reichsrichter beim Reichsfinanzhof tätig waren. Von diesen 19 Richtern waren 13 Mitglied der NSDAP gewesen.301 Präsident des BFH wurde Dr. Hein-rich Schmittmann302. Als Senatspräsidenten wirkten Otto Bodenstein (Senatspräsident seit 1934), Dr. Walter Hüb-schmann (Vorsitzender des V. Senates seit 1935), Joseph Gebhardt (Senatspräsident seit 1942) und Dr. Walther Ansorge (Senatspräsident seit 1949; Richter seit 1934). Zum 1. Oktober 1950 fand ein umfangreiches Personal-revirement statt. Neun der bisherigen Richter, unter ihnen Senatspräsident Bodenstein verließen den BFH

300 Pausch, Alfons, Fschr. 50 Jahre Deutsche Gerichtsbarkeit, 1968, S.

24. 301 Kumpf, Johann, Heinrich, DStZ, 1994, S. 68. 302 Siehe Fußnote 136.

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und elf neue Richter, die zum weitaus größten Teil der früheren Reichsfinanzverwaltung303 entstammten, be-gannen ihre Tätigkeit. Unter den 23 Kandidaten, die dem Vorläufigen Richterwahlausschuss für den BFH 1950 präsentiert wurden, waren neun ehemalige Mitglieder der NSDAP.304 Auch unter den in späteren Jahren berufenen Richter (z. B. Hugo von Wallis, Richter am BFH ab Juli 1957) fanden sich noch ehemalige Parteimitglieder. Eine personelle Kontinuität zwischen RFH, OFH und BFH war also durchaus gegeben, was nicht verwundert, da erfahrene oberste Steuerrichter nicht schlagartig mit dem Mai 1945 wie Phoenix aus der Asche entstehen konnten. Für eine Bewertung der Rechtsprechung des BFH taugt diese Erkenntnis allerdings nicht; hierfür ist vielmehr, losgelöst von den handelnden Personen, die Spruchpra-xis des BFH nun eingehend zu untersuchen.

2. Rückgriff auf die Rechtsprechung des RFH in der Spruchpraxis des BFH

Bedingt durch die damalige Jugendhaftigkeit des Steuer-rechts hatte der Reichsfinanzhof in seinen Anfangsjah-ren eine Fülle von Grundsatzentscheidungen zu treffen, deren Rechtsinstitute und allgemeine Rechtsgrundsätze auch heute noch aktuell sind.

303 Eine Ausnahme bildete Bernhard Wolff. Er hatte Deutschland

1938 verlassen und kehrte erst 1948 zurück. Vor seiner Berufung in das Richterverhältnis arbeitete er bei der britischen Kontrollkom-mission in Köln. Im September 1951 wurde er dann zum Richter beim Bundesverfassungsgericht gewählt.

304 Kumpf, Johann, Heinrich, DStZ, 1994, S. 68.

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Die Rechtsinstitute der umsatzsteuerlichen305 und kör-perschaftsteuerlichen306 Organschaft, der Behandlung eines Sanierungsgewinnes307, der verdeckten Gewinnaus-schüttung308, der Korrektur der Verrechnungspreise309 zwischen verbundenen, in verschiedenen Staaten ansäs-sigen Unternehmen und der Liebhaberei310 entwickelte der RFH bereits in der Zeit der Weimarer Republik. Auch die sog. Grundsätze ordnungsgemäßer Buchfüh-rung, an deren Entwicklung auch das Preußische Ober-verwaltungsgericht teilhatte, waren 1933 bereits Bestand-teil der Rechtsprechung geworden.311 Die Rechtsfortbildung durch Richterrecht fand auch in der Zeit von 1933 bis 1945 statt. Der Reichsfinanzhof entwickelte in dieser Zeit insbesondere die folgenden Rechtsinstitute bzw. Rechtsgrundsätze, die heute noch Gültigkeit haben: Bei der Betriebsaufspaltung, wird die Rechtsträgerschaft für ein Unternehmen auf mehrere Rechtsträger aufge-teilt. Hintergrund dieser Gestaltung, neben der eintre-tenden Haftungsbegrenzung, war, dass nach damaliger Rechtslage die Pachtzahlung einerseits den Gewinn des

305 Urteil vom 14.12.1923, V A 141/23, RFHE 13, 146, heute § 2 Abs.

2 UStG. 306 Urteil vom 14.11.1929, I A 623/28, RFHE 26, 124, heute § 14

KStG. 307 Urteil vom 30.06.1927, VI A 297/27, RFHE 21, 263, heute § 3 Nr.

66 EStG, gültig bis 1997. 308 Urteil vom 02.05.1931, I A 173/30, RStBl. 1931, S. 497, heute § 8

Abs. 3 KStG. 309 Urteil vom 30.01.1930, I A 226/29, RStBl. 1930, S. 148, heute § 90

Abs. 3 AO, § 1 Abs. 1 GAufzV. 310 Urteil vom 18.02.1925, VI B 44725, RFHE 15, 291, heute H 2

EStR 2008. 311 Voß, Reimer, Steuern im Dritten Reich, S. 189, m. w. N, heute §§

145 ff. AO.

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Betriebsunternehmens minderten, andererseits aber beim Besitzunternehmen nicht der Gewerbesteuer unterlagen. Reinhardt sah darin einen Steuerumgehungstatbestand, der im Rahmen der nationalsozialistischen Weltanschau-ung nicht geduldet werden konnte.312 Eine entsprechen-de gesetzliche Regelung unterblieb allerdings. Der Reichsfinanzhof folgte Reinhardts Auffassung in voller Konsequenz: Entgegen früherer Rechtsprechung313 be-handelten die Richter verpachtetes Anlagevermögen und Gesellschaftsanteile am Betriebsunternehmen als Son-derbetriebsvermögen beim Besitzunternehmen und unterwarfen beide der Gewerbesteuer, da das Besitzun-ternehmen, nach Auffassung des RFH, ebenfalls eine gewerbliche Tätigkeit und keine bloße Vermögensver-waltung ausübt.314 Mit Urteil vom 21. Dezember 1938315 verwarf der Reichsfinanzhof seine frühere Rechtsauffassung und qualifizierte Vergütungen des Vaters an seine im Betrieb mitarbeitenden Kinder als Arbeitslohn, wenn die Be-schäftigungsverhältnisse einem Drittvergleich standhiel-ten. Betriebliche Verlustzuweisungen, die auf den Kapitalan-teil eines stillen Gesellschafters entfallen, waren nach

312 RStBl. 1936, S. 1041. 313 Urteil vom 03.12.1924, VI e A 188/24, RFHE 16, 15, Urteil vom

15.03.1933, VI A 1638/33, RFHE 25, 56. 314 Urteil vom 30.11.1939, III 37/38, RStBl. 1940, S. 361; die gesetzli-

che Regelung fehlt bis heute; geregelt in H 15.7 (4) EStR 2008. 315 VI 803 und 804/38, RFHE 46, 10, heute R 4.8 EStR 2008.

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dem Urteil vom 23. Mai 1933316 bei diesem als Wer-bungskosten aus Kapitalvermögen abzugsfähig. Entgegen der Auffassung des für Körperschaftsteuer zuständigen Senats des Reichsfinanzhofes, der grund-sätzlich ein Wahlrecht bei der Berücksichtigung von Fertigungsgemeinkosten im Rahmen der aktivierungs-pflichtigen Herstellungskosten zugestand317, lehnte der Große Senat318 im Rahmen eines Gutachtenersuchens des RFM ein Wahlrecht grundsätzlich ab und behandelte Fertigungsgemeinkosten als Pflichtbestandteil bei der Aktivierung der Herstellungskosten. Im Bereich der Kfz.-Kosten revidierte der RFH nach und nach nahezu seine gesamte frühere Rechtspre-chung319. Mit Urteil vom 11. November 1937320 wurde der Betriebsausgabenabzug für Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb grundsätzlich versagt. Unfallkosten konnten lt. Urteil vom 14. Dezember 1938321 nur noch dann als Betriebsausgaben oder Wer-bungskosten geltend gemacht werden, wenn es sich um einen nicht strafbaren Unfall auf einer beruflich oder betrieblich veranlassten Fahrt handelte. Gleichfalls ent-gegen seiner früheren Rechtsprechung322 und auf Drän-gen Reinhardts323 entschied der RFH am 8. September

316 VI A 422/33, RFHE 33, 272, heute § 20 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG. 317 Urteil vom 09.01.1931, I A 245/30, RStBl. 1931, S. 307. 318 Gutachten vom 04.02.1939, GrS D 7/38, RFHE 46, 150, heute R

6.3 EStR 2008. 319 Urteil vom 14.11.1934, VI A 195/34, StuW 1935 II, Nr. 22. 320 IV 121/37, RFHE 42, 247, heute z. T. § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG. 321 VI 739/38, RFHE, 45, 305, heute H 4.3 (2-4) EStR 2008. 322 Urteil vom 26. Januar 1938, VI 3/38, StuW 1938 II, Nr. 136. 323 Reinhardt, Fritz, DStZ 1937, S. 633.

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1938324, den privaten Anteil der Kfz.-Kosten wieder als Entnahmen dem Gewinn hinzuzurechnen. Ein auch heute wieder aktuelles Thema war bereits 1937 Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Nach den Veranlagungsrichtlinien 1935325 waren Aufwendun-gen für ein häusliches Arbeitszimmer grundsätzlich nicht mehr abzugsfähig. Der RFH hatte bis dahin326 in Fällen, in denen kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand, die Kosten als Werbungskosten anerkannt. Mit Urteil vom 2. Juni 1937327 schloss sich der RFH wörtlich den Veranlagungsrichtlinien des RFM an.328 Der heute übliche Begriff der Steuerentstrickung wurde zwar nicht vom RFH kreiert, die zugehörige steuerliche Behandlung geht allerdings auf ein Urteil vom 30. April 1935329 zurück. Hier sah der RFH in der Einbringung einer im Ausland gelegenen unselbständigen Betriebs-stätte einer unbeschränkt steuerpflichtigen inländischen Aktiengesellschaft in eine neu gegründete ausländische Aktiengesellschaft gegen Gewährung von Gesellschafts-rechten dann eine Gewinnrealisierung als gegeben an, wenn der Wert der Aktien den Buchwert der früheren Betriebsstätte übersteigt.

324 VI 516/38, RFHE 44, 349, heute § 6 Abs. 4 S. 2 EStG. 325 Runderlass des RdF vom 30. Dezember 1935, RStBl. 1936, S. 35. 326 Urteil vom 28.08.1935, VI A 262/35, StuW 1935 II, Nr. 527. 327 IV A 74/36, RFHE 41,273, heute § 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG, evtl.

verfassungswidrig, vgl. Vorlagebeschluss des BFH vom 25.08.2009, VI B 69/09.

328 Siehe sehr ausführlich mit weiteren Nachweisen: Uffelmann, Gerd, Neue Steuerrechtliche Schriftenreihe, Köln, 1949, S. 44.

329 I A 58/34, RFHE 38, 99, heute § 4 Abs. 1 S. 3 EStG.

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Mit Urteil vom 19. Januar 1938330 entschied der RFH, dass die Anschaffungskosten eines mit Abbruchabsicht erworbenen Gebäudes dem Bilanzposten Grund und Boden zuzurechnen sind. Ein Abzug als Betriebsausga-ben war damit nicht mehr möglich. Die Behandlung eines derivativen Praxiswertes als ab-nutzbares Wirtschaftsgut geht auf ein Urteil des RFH vom 28. Juli 1938331 zurück. Das Gericht berücksichtigte dabei, dass der Praxiswert auf dem persönlichen Ver-trauensverhältnis zwischen Patient und Arzt beruht und sich im Falle eines Verkaufes in verhältnismäßig kurzer Zeit verflüchtigt (und sich in der Person des Käufers der Praxis wieder neu bildet). Wie in den Fußnoten aufgezeigt, sind diese Urteile des Reichsfinanzhofes inzwischen in Gesetzes-, oder Richt-linienform umgesetzt. Auch der Bundesfinanzhof hat die Rechtsprechung übernommen, da die Tenores, wenn auch in einigen Fällen nicht die Entstehungsgeschichte, rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen. Bedenken wegen ihrer Entstehung in der Zeit des Nationalsozia-lismus sind wegen des weltanschaulich neutralen Inhalts obsolet. Abseits dieser Grundlagen des steuerlichen Richterrechts griff der BFH verstärkt in den fünfziger Jahren des ver-gangenen Jahrhunderts in Urteilsbegründungen immer wieder auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes zurück. Eine Durchsicht der Jahrgänge 1951 bis 1955

330 VI 762/37, RFHE 43, 111, heute H 6.4 EStR 2008. 331 IV 5/38, RFHE 44, 286, heute § 7 Abs. 1 S. 3 EStG, H 7.1 EStR

2008.

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des Bundessteuerblattes erbrachte hier allerdings keiner-lei Auffälligkeiten. Die Verweise führten durchweg zu Urteilen, die weltanschaulich neutral einen steuerlichen Einzelsachverhalt entschieden. Wenn Urteile zitiert wurden, bei denen die nationalsozialistische Weltan-schauung zur Entscheidungsfindung herangezogen wor-den war, geschah dies, um darzustellen, dass an dieser Rechtsprechung nicht mehr festgehalten wird.332 Von dieser Aussage ist eine Ausnahme zu machen: Bis in das Jahr 1984 fehlte eine gesetzliche Regelung, die die Abzugsfähigkeit von betrieblich veranlassten Geldbußen untersagte. Mit Urteil vom 21. Juli 1955333 und nachfol-gend vom 10. September 1957334 verneinte der BFH die Abzugsfähigkeit von betrieblich veranlassten Geldbußen und Ordnungsstrafen als Betriebsausgaben. Er bezog sich dabei ausdrücklich auf ein Urteil des Reichsfinanz-hofes vom 8. März 1939335 Dieser hatte dort, in Abkehr seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung336, erstmals die Abzugsfähigkeit verneint, da sich die tatsächlichen Verhältnisse und die Volksanschauung geändert hätten, was nach § 1 Abs. 3 StAnpG zu berücksichtigen sei. Auslöser dieser Kehrtwende war ein Erlass des RdF vom 4. Februar 1939337 mit dem dieser anordnete, dass Ord-nungsstrafen künftig nicht mehr abzugsfähig sein sollten. Der BFH bemühte bei seinem Urteil natürlich nicht die

332 Beispielsweise Urteil vom 16.11.1950, II z 43/50 S, BStBl. 1951 III,

S. 3 und Urteil vom 06.06.1951, III 69/51 U, BStBl. 1951 III, S. 148.

333 IV 373/54 U, BStBl. 1955 III, S. 338. 334 I 322/56 S, BStBl. 1957 III, S. 415. 335 IV 175/39, RStBl. 1939, S. 507. 336 Umfangreiche Nachweise im Vorlagebeschluss vom 28.04.1982, I

R 89/77, BStBl. 1982 II, S. 556. 337 RStBl. 1939, S. 251.

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nationalsozialistische Weltanschauung, sondern er kreier-te die Generalklausel des Grundgedankens der Einheit der Rechtsordnung, wonach der Gesetzgeber, der die Strafgesetze und die Steuergesetze erlässt, die Auslegung aufeinander abgestimmt wissen will und deshalb nicht wollen kann, dass Geldstrafen mittelbar dadurch gemil-dert werden, dass ihre Entrichtung zu einer Steuersen-kung führen. Es liege deshalb eine Regelungslücke einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes vor, die es zu schließen gelte. Die Nichtabzugsfähigkeit von Geld-bußen war ständige Rechtsprechung des BFH und sog. gängige Verwaltungspraxis bis der Große Senat am 21. November 1983338 mit einer lesenswerten Begrün-dung eine planwidrige Gesetzeslücke verneinte und den Betriebsausgabenabzug zuließ. Durch das Steuerände-rungsgesetz vom 25. Juli 1984339 wurde der Rechtszu-stand vor Ergehen des Beschlusses mit Wirkung auch für die Vergangenheit wieder hergestellt, indem ein Ab-zugsverbot für bestimmte Geldbußen und ähnliche Sanktionen normiert340 wurde. Spannender ist die Frage, ob die unter Teil C dargestell-ten Urteile Einzug in die Urteilsbegründungen des Bun-desfinanzhofes gefunden haben und wie der BFH seine Urteile zur Reichsfluchtsteuer, die noch bis 1953341 erho-ben wurde, begründete. Der Bundesfinanzhof hat sich in drei Entscheidungen mit Sachverhalten zur Reichsfluchtsteuer beschäftigt. Eine davon ist das bereits in Fußnote 107 besprochene

338 GrS 2/82, BStBl. 1984 II, S. 160. 339 BGBl. 1984 I, S. 1006. 340 § 4 Abs. 5 Nr. 8 und § 9 Abs. 5 EStG. 341 Siehe Tz. B.II.3.

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Urteil vom 20. Dezember 1951, das in streng positivisti-scher Herleitung die Fortgeltung der Reichsfluchtsteuer über den 8. Mai 1945 hinaus begründet. Im Urteil vom 15. November 1951342 entschied der BFH in einem noch offenen Verfahren jüdischer Steuerzahler aus dem Jahr 1939, dass die Erhebung der Reichsfluchtsteuer nach Artikel 3 GG dann unzulässig sei, wenn die Auswande-rung unmittelbar oder mittelbar durch rassistische Ver-folgung erzwungen wurde. Im Urteil vom 6. Mai 1955343 schließlich tenorierte der III. Senat des BFH, dass nach Erlass des Gesetzes zur Aufhebung überholter steuerli-cher Vorschriften vom 23. Juli 1953344 die Erhebung der Reichsfluchtsteuer auch in solchen Fällen ausgeschlossen ist, in denen zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes die Steuerschuld schon entstanden, die Steuerfestsetzung aber noch nicht rechtskräftig war. Damit endete zum Stichtag 23. Juli 1953 das Kapitel Reichsfluchtsteuer auch in der Bundesrepublik Deutschland. Von den in Teil C besprochenen Urteilen werden tat-sächlich vier in Entscheidungen des BFH zitiert. Diese vier Rechtssätze lassen sich in zwei Gruppen aufteilen. Die erste Gruppe umfasst drei Urteile345. Diesen Urteilen ist gemein, dass sie neben ihrer ideologischen und rassis- 342 III 62/50 S, BStBl. 1952 III, S. 11. 343 III 103/53 S, BStBl. 1955 III, S. 204. 344 BGBl. 1953 I, S. 689. 345 Urteil vom 11.02.1937, III A 9/37, besprochen auf Seite 80, zitiert

in III 414/58 U vom 14.06.1960; Urteil vom 07.12.1938, VI 715/38, besprochen auf Seite 130, zitiert in I 111/54 U vom 31.01.1956, zitiert in IV 566/54 U vom 26.01.1956; Urteil vom 07.04.1936, I A 227/35, besprochen auf Seite 101, zitiert in I 213/62 vom 05.02.1964, zitiert in I R 39/92 vom 05.11.1992, zitiert in I R 27/92 vom 24.03.1993, zitiert in I R 106/00 vom 29. Januar 2003.

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tischen Grundaussage auch einen rechtlichen Teil enthal-ten, der, isoliert betrachtet, zu durchaus zulässigen Er-gebnissen kommt. Auf diese klar abgegrenzten fachli-chen Kapitel beziehen sich die Verweisungen. Hinweise darauf, dass die zitierten Urteile in ihrer Gesamtausrich-tung nicht unproblematisch sind, finden sich in den zitierenden Entscheidungen des BFH nicht. Beim vierten zitierten Urteil346 hingegen schließt sich der BFH dem Tenor an und führt aus, dass insoweit ein laufender Gewinn des verbleibenden Gesellschafters vorliege, als der gezahlte Kaufpreis unter dem Buchwert des übernommenen Anteils liegt, wenn der Teilwert des übernommenen Gesellschaftsanteiles nicht unter dem Buchwert liegt. Der Teilhaber sei aus besonderen be-trieblichen Gründen mit diesem niedrigen Kaufpreis zufrieden gewesen, deshalb sei hier keine Abstockung der Buchwerte vorzunehmen, sondern ein laufender Gewinn zu versteuern. Der RFH habe bereits 1941 in dem zitierten Urteil entschieden, dass bei Vorliegen betrieblicher Gründe ein laufender Gewinn vorliege. Wie bei der Besprechung des zitierten Urteils auf Seite 131 dargelegt, lagen die betrieblichen Gründe im jüdischen Glauben eines der Teilhaber und der darauf folgenden Aberkennung des Status als „Deutsches Unternehmen“. Diese Verweisung zeugt von Unkenntnis der den Tenor tragenden Gründe der zitierten Entscheidung. Im Jahr 1973347 gab der BFH diese Rechtsprechung insgesamt auf. Seither sind in solchen Fällen grundsätz-lich immer Abstockungen der Buchwerte vorzunehmen.

346 Urteil vom 17.09.1941, VI 12/41, besprochen auf Seite 131, zitiert

in I 63/61 U vom 20.03.1962. 347 Urteil vom 11.07.1973, I R 126/71, BStBl. 1974 II, S. 50.

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die in Teil C dargestellten, ideologisch kontaminierten Urteile des RFH keinen Einzug in die Rechtsprechungspraxis des BFH gehalten haben. Der Bundesfinanzhof hat sich in den nunmehr fast sechzig Jahren seines Bestehens er-folgreich von seinem Vorvorgänger Reichsfinanzhof emanzipiert. Anders als dieser wirkt der BFH in seinen Entscheidungen, die immer für Überraschungen sorgen und auch kontrovers diskutiert werden, aber durchaus auch als Regulativ des Steuergesetzgebers.

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E) Abschließende Überlegungen zur Kontinuitäts-these

Es bleibt zuletzt noch die eingangs gestellte Frage nach der Kontinuität von Reichsfinanzhof und Bundesfi-nanzhof zu besprechen. Bis Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahr-hunderts war es Konsens, dass der Reichsfinanzhof als reines Fachgericht in schwieriger Zeit sachlich und unbe-irrt Recht gesprochen habe. Der damalige Bundesfi-nanzminister Strauß konstatierte bei seinem Grußwort zur 50-Jahr-Feier des RFH – BFH, der Reichsfinanzhof habe es verstanden, sich von politisch gefärbten Urteilen freizuhalten.348 Weber-Fas urteilte zum gleichen Ereignis sogar noch freundlicher, die Rechtsprechung des RFH sei in der NS-Zeit trotz politischer, positivistischer und persönlicher Pressionen im Ganzen integer geblieben.349 Felix ist es zu verdanken, dass er in zwei grundlegenden Aufsätzen350, pünktlich zur 75-Jahr-Feier im Jahr 1993 darauf hinwies, dass diese These nicht haltbar ist. Zwar gibt es neben den in Teil C dargestellten Schandur-teilen auch Verfahren, in denen der Reichsfinanzhof vordergründig Kurs hielt.351 Dabei war er sich allerdings entweder der Zustimmung des Staatssekretärs Reinhardt sicher, oder er gab zwar nicht bei seiner Begründung, aber im Ergebnis nach, um einen möglichen Konflikt so ins Leere laufen zu lassen. In den anderen Fällen hat er sich hingegen ohne großes Widerstreben als verlängerter Arm des Reichsfinanzministeriums betätigt. Daneben

348 StuW 1969, S. 3. 349 Juristenzeitung, 1969, S. 218. 350 Felix, Günther, BB, 1993, S. 1297 ff. und S. 1597 ff. 351 Siehe Tz. C.IV.6.

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gibt es unstreitig eine sehr große Anzahl nicht zu bean-standender Urteile zu steuerlichen Vorschriften die selbst für überzeugte Nationalsozialisten kaum Möglich-keiten boten, nationalsozialistisches Gedankengut ein-fließen zu lassen. Wenig hilfreich sind allerdings Arbei-ten wie die von Franzen352, der errechnet, dass „nur“ 1,4 von 100 der amtlich veröffentlichten Urteile nicht trag-bar sind oder die von Pezzer353, der diese Urteile in der Abteilung Kuriosa führt. Quantitäten, bezogen auf dikta-torisch-autorisierte Publikationen sind kein geeigneter Maßstab für ein Urteil über Werte und Unwerte, insbe-sondere nicht auf der Ebene des Rechts. Die Kontroll-frage muss vielmehr lauten: War es auch nur einem jüdischen Steuerpflichtigen hilfreich oder von Nutzen, dass der Reichsfinanzhof in Sachen arischer Steuer-pflichtiger sachlich geurteilt hat? Nach welchen rechtli-chen oder gar moralischen Gesichtspunkten sollte es vertretbar sein, den zynischen und existenzvernichten-den Urteilen gegen Juden zu begegnen mit dem Hinweis auf die korrekte Behandlung der Nichtjuden? Entschei-dend ist somit nicht, ob einige oder auch viele Urteile des Reichsfinanzhofs nach heutigen dogmatischen Maß-stäben unbedenklich oder sogar von beachtlicher Quali-tät sind. Diskriminierung einer Gruppe nach rassischen Gesichtspunkten bedeutet für ein Gericht den Sünden-fall. Damit ist ein Anfangsverdacht gegeben, dass der Reichsfinanzhof als Institution diskreditiert ist. Diesen zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten wurde bis-her nicht fundiert entgegengetreten.

352 Franzen, Klaus, Fschr. für Franz Klein, Köln, 1994, S. 1061 - 1074. 353 Pezzer, Heinz-Jürgen, Fschr. 75 Jahre RFH – BFH, Bonn, 1993, S.

369 - 384.

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Der Bundesfinanzhof sollte daher sehr selbstbewusst im Jahr 2010 auf ein erfolgreiches sechzigjähriges Wirken zurückblicken. Ob der BFH im Jahr 2019 dann, trotz aller zweifellos vorhandener Kontinuität, das Gebäude ist das gleiche, ebenso die handelnden Personen in der Übergangszeit, auf 100 Jahre RFH – BFH zurückblicken sollte, könnte in der bis dahin verbleibenden Zeit geklärt werden. Den Weg hierzu hat der damalige bayerische Ministerpräsident Stoiber beim Festakt zur 75-Jahr-Feier RFH – BFH am 30. September 1993 in seinem Gruß-wort gewiesen: „Eine Geschichte des Reichsfinanzhofes, die unter Berücksichtigung des nationalsozialistischen Umfelds die Entwicklung dieser Institution angemessen würdigt, kann letztlich nur von der Geschichtswissen-schaft erarbeitet werden. Es wäre eine verdienstvolle Aufgabe, wenn sich die Wissenschaft, sei es an einer Hochschule oder an einer außeruniversitären Einrich-tung, dieses Themas annehmen würde.“ Es gilt, diesen Vorschlag aufzugreifen; die erforderlichen Primär- und Sekundärquellen sind in ausreichendem Maße vorhan-den.354

354 Im Bundesarchiv sind rund 65.000 Prozessakten des Reichsfinanz-

hofes überliefert; siehe Kumpf, Johann Heinrich, Justizalltag im Dritten Reich, 1988, S. 100 m. w. N..

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Abkürzungsverzeichnis

a. a. O. am angegebenen Ort ABl. Amtsblatt des Kontrollrats in Deutsch-

land AO Abgabenordnung 1977 BayGVBl. Bayerisches Gesetz- und Verordnungs-

blatt BB Betriebs-Berater BBG Gesetz zur Wiederherstellung des Berufs-

beamtentums - Berufsbeamtengesetz BFH Bundesfinanzhof BGBl. Bundesgesetzblatt BStBl. Bundessteuerblatt DB Der Betrieb DNVP Deutschnationale Volkspartei DStZ Deutsche Steuerzeitung DV Durchführungsverordnung ErbStG Erbschaftsteuergesetz EStG Einkommensteuergesetz EStR Einkommensteuer-Richtlinien FSchr. Festschrift GAufzV Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsver-

ordnung GrEStG Grunderwerbsteuergesetz GrS Großer Senat idF in der Fassung KStG Körperschaftsteuergesetz lt. laut m. w. N. mit weiteren Nachweisen NJW Neue Juristische Wochenschrift NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-

partei OFPräs. Oberfinanzpräsident RAO Reichsabgabenordnung 1919 RdF Reichsminister der Finanzen RFlStV Reichsfluchtsteuerverordnung

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180

RFH Reichsfinanzhof RFHE Sammlung der Entscheidungen und Gut-

achten des Reichsfinanzhofes RFHG Gesetz über die Errichtung eines Reichs-

finanzhofes vom 26. Juli 1918, RGBl. S. 959

RFM Reichsfinanzministerium RGBl. Reichsgesetzblatt RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in

Zivilsachen RM Reichsmark RStBl. Reichssteuerblatt RV Verfassung des Deutschen Reiches vom

16.4.1871 SA Sturmabteilung StAnpG Steueranpassungsgesetz 1934 StGB Strafgesetzbuch StuW Steuer und Wirtschaft Tz. Textziffer UR Umsatzsteuer-Rundschau UStG Umsatzsteuergesetz VEjV Verordnung über den Einsatz jüdischen

Vermögens VO Verordnung VStG Vermögensteuergesetz WV Weimarer Verfassung z. T. zum Teil