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Leitthema K. Ulsenheimer · Ulsenheimer-Friedrich Rechtsanwälte, München Der Sachverständigenbeweis Allgemeine Voraussetzungen und verfahrensrechtliche Besonderheiten für die Gutachtenerstellung Anaesthesist 2005 · 54:1081–1088 DOI 10.1007/s00101-005-0934-y Online publiziert: 25. Oktober 2005 © Springer Medizin Verlag 2005 Das fachärztliche Gutachten im Haftungsprozess Dass die Gutachtenerstattung regelmäßig „Dreh- und Angelpunkt“ des sog. Arzthaf- tungsprozesses ist, dürfte unstreitig sein. Denn nur der medizinische Sachverstän- dige kann aufgrund seines Wissens und seiner Erfahrung die Frage klären, ob ein ärztlicher Behandlungsfehler vor- liegt und dieser für den Schaden oder gar den Tod des Patienten ursächlich gewor- den ist. Oftmals lässt sich auch die Fra- ge des Organisationsfehlers nur mithil- fe des Gutachters klären, so z. B. bei der Problematik der Parallelnarkose und des fachübergreifenden Bereitschaftsdiens- tes, da hier der Aspekt der Risikoerhö- hung von entscheidender Bedeutung ist. Auch die Frage, was medizinisch „wesent- lich“ und deshalb zu dokumentieren ist, hängt maßgeblich vom Votum des Sach- verständigen ab. Dagegen liegt das Thema „Risikoauf- klärung“ weitestgehend in der Hand des Juristen, dem der Sachverständige aber auch hier z. B. hinsichtlich der Dringlich- keit des Eingriffs, möglicher Behandlungs- alternativen, der Komplikationsdichte oder der Heilungschancen wichtige Auf- schlüsse für seine rechtliche Wertung der Ordnungsgemäßheit der Aufklärung ge- ben kann. Diese ist allerdings ausschließ- liche Aufgabe des Richters. Gleiches gilt für die Frage nach dem „groben“ Behand- lungsfehler, dessen Feststellung eine rein juristische Beurteilung ist, für die sich das Gericht allerdings auf tatsächliche, meist vom Gutachter vorgetragene Anhalts- punkte stützen muss. 1 Schon diese wenigen Anmerkungen zur Schlüsselrolle des fachärztlichen Gut- achtens im Haftungsprozess lassen zu- gleich aber auch erkennen, dass der Sach- verständige neben fachlicher Kompetenz ein gewisses rechtliches Grundwissen ha- ben muss, ohne das er seiner Stellung und Funktion im jeweiligen Verfahren nicht ge- recht werden kann. Diesbezüglich liegt lei- der manches im Argen, da auf dem Feld der Begutachtung möglicher ärztlicher Be- handlungs- und Organisationsfehler kaum eine Qualitätskontrolle stattfindet und des- halb nicht selten überzogene Anforderun- gen gestellt („Maximalstandard“ anstelle des „Facharztstandards“), die Verantwort- lichkeiten falsch beurteilt werden (z. B. be- züglich der Bereitstellung von Blutkonser- ven im Rahmen der Geburtshilfe) oder die Ausführungen zur Kausalität am Kern des Problems vorbeigehen. Wenn dann noch fachliche Mängel und Erfahrungsdefizite hinzukommen, so ist dies nicht nur für die Prozessbeteiligten deprimierend, sondern in gleichem Maße auch für die beiden gro- ßen Fachgebiete Medizin und Recht ei- ne bedrückende Erkenntnis. Die nachfol- genden Ausführungen sollen daher zu ei- ner Qualitätsverbesserung der gutachter- lichen Tätigkeit beitragen. Im ersten Teil werden die allgemeinen Voraussetzungen umrissen, die jeder Sachverständige erfül- len muss; im zweiten Teil wird dann auf die notwendigen Grundkenntnisse bzw. verfahrensrechtlichen Besonderheiten im Zivil- und Strafprozess eingegangen. Allgemeine fachliche und persön- liche Qualitätserfordernisse E Brauchbarkeit und Überzeugungskraft eines Gutachtens stehen und fallen mit der Fachkompetenz und der intel- lektuellen Redlichkeit des Verfassers. Angesichts der Dynamik des medizini- schen Fortschritts sowie der damit zwangs- läufig verbundenen wissenschaftlichen Spezialisierung und Subspezialisierung besteht die Gefahr, dass Gutachter ihre Fähigkeiten überschätzen und ihre fachli- che Zuständigkeit überschreiten, z. B. der Chirurg zu speziellen anästhesiologischen Fragen Stellung nimmt oder umgekehrt. Grundsätzlich gilt: Die gutach terliche Kom- petenz findet ihre Grenze in der jeweiligen Weiterbildungsordnung. 2 Die Beschrän- kung auf das eigene Fachgebiet und die Hinzuziehung eines Spezialisten für spezi- elle Fragestellungen, die in andere Fachge- biete hineinreichen, sind zugleich Vorbe- dingungen dafür, dass der Gutachter über die nötigen theoretisch-wissenschaftlichen Kenntnisse und allgemeinen praktischen Erfahrungen verfügt. Dazu gehört ferner, dass er sich auf dem aktuellen Wissens- stand befindet, neue Methoden und neue Richtungen seines Fachs ebenso wie evtl. vorhandene Leit- oder Richtlinien kennt und einen „Schulenstreit“ nicht einseitig 1 BGH VersR 1996, 633, 634. 2 Sandvoß, Arztrecht 2003, 176. Redaktion K. Peter, München 1081 Der Anaesthesist 11 · 2005 |

Der Sachverständigenbeweis

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Leit the ma

K. Ul sen hei mer · Ul sen hei mer-Fried rich Rechts an wäl te, Mün chen

Der Sach ver stän di gen be weisAll ge mei ne Vo raus set zun gen und ver fah rens recht li che Be son der hei ten für die Gut ach ten er stel lung

Anaesthesist 2005 · 54:1081–1088DOI 10.1007/s00101-005-0934-yOn li ne pub li ziert: 25. Ok to ber 2005© Sprin ger Me di zin Ver lag 2005

Das fach ärzt li che Gut ach ten im Haf tungs pro zess

Dass die Gut ach ten er stat tung re gel mä ßig

„Dreh- und An gel punkt“ des sog. Arzt haf-

tungs pro zes ses ist, dürf te un strei tig sein.

Denn nur der me di zi ni sche Sach ver stän-

di ge kann auf grund sei nes Wis sens und

sei ner Er fah rung die Fra ge klä ren, ob

ein ärzt li cher Be hand lungs feh ler vor-

liegt und die ser für den Scha den oder gar

den Tod des Pa ti en ten ur säch lich ge wor-

den ist. Oft mals lässt sich auch die Fra-

ge des Or ga ni sa ti ons feh lers nur mit hil-

fe des Gut ach ters klä ren, so z. B. bei der

Pro b le ma tik der Par al lel nar ko se und des

fach über grei fen den Be reit schafts diens-

tes, da hier der As pekt der Ri si ko er hö-

hung von ent schei den der Be deu tung ist.

Auch die Fra ge, was me di zi nisch „we sent-

lich“ und des halb zu do ku men tie ren ist,

hängt maß geb lich vom Vo tum des Sach-

ver stän di gen ab.

Da ge gen liegt das The ma „Ri si ko auf-

klä rung“ wei test ge hend in der Hand des

Ju ris ten, dem der Sach ver stän di ge aber

auch hier z. B. hin sicht lich der Dring lich-

keit des Ein griffs, mög li cher Be hand lungs-

al ter na ti ven, der Kom pli ka ti ons dich te

oder der Hei lungs chan cen wich ti ge Auf-

schlüs se für sei ne recht li che Wer tung der

Ord nungs ge mäß heit der Auf klä rung ge-

ben kann. Die se ist al ler dings aus schließ-

li che Auf ga be des Rich ters. Glei ches gilt

für die Fra ge nach dem „gro ben“ Be hand-

lungs feh ler, des sen Fest stel lung eine rein

ju ris ti sche Be ur tei lung ist, für die sich das

Ge richt al ler dings auf tat säch li che, meist

vom Gut ach ter vor ge tra ge ne An halts-

punk te stüt zen muss.1

Schon die se we ni gen An mer kun gen

zur Schlüs sel rol le des fach ärzt li chen Gut-

ach tens im Haf tungs pro zess las sen zu-

gleich aber auch er ken nen, dass der Sach-

ver stän di ge ne ben fach li cher Kom pe tenz

ein ge wis ses recht li ches Grund wis sen ha-

ben muss, ohne das er sei ner Stel lung und

Funk ti on im je wei li gen Ver fah ren nicht ge-

recht wer den kann. Dies be züg lich liegt lei-

der man ches im Ar gen, da auf dem Feld

der Be gut ach tung mög li cher ärzt li cher Be-

hand lungs- und Or ga ni sa ti ons feh ler kaum

eine Qua li täts kon trol le statt fin det und des-

halb nicht sel ten über zo ge ne An for de run-

gen ge stellt („Ma xi mal stan dard“ an stel le

des „Fach arzt stan dards“), die Ver ant wort-

lich kei ten falsch be ur teilt wer den (z. B. be-

züg lich der Be reit stel lung von Blut kon ser-

ven im Rah men der Ge burts hil fe) oder die

Aus füh run gen zur Kau sa li tät am Kern des

Pro blems vor bei ge hen. Wenn dann noch

fach li che Män gel und Er fah rungs de fi zi te

hin zu kom men, so ist dies nicht nur für die

Pro zess be tei lig ten de pri mie rend, son dern

in glei chem Maße auch für die bei den gro-

ßen Fach ge bie te Me di zin und Recht ei-

ne be drücken de Er kennt nis. Die nach fol-

gen den Aus füh run gen sol len da her zu ei-

ner Qua li täts ver bes se rung der gut ach ter-

li chen Tä tig keit bei tra gen. Im ers ten Teil

wer den die all ge mei nen Vo raus set zun gen

um ris sen, die je der Sach ver stän di ge er fül-

len muss; im zwei ten Teil wird dann auf

die not wen di gen Grund kennt nis se bzw.

ver fah rens recht li chen Be son der hei ten im

Zi vil- und Straf pro zess ein ge gan gen.

All ge mei ne fach li che und per sön-liche Qua li täts er for der nis se

E Brauch bar keit und Über zeu gungs kraft ei nes Gut ach tens ste hen und fal len mit der Fach kom pe tenz und der in tel-lek tu el len Red lich keit des Ver fas sers.

An ge sichts der Dy na mik des me di zi ni-

schen Fort schritts so wie der da mit zwangs-

läu fig ver bun de nen wis sen schaft li chen

Spe zia li sie rung und Sub spe zia li sie rung

be steht die Ge fahr, dass Gut ach ter ihre

Fä hig kei ten über schät zen und ihre fach li-

che Zu stän dig keit über schrei ten, z. B. der

Chi rurg zu spe zi el len an äs the sio lo gi schen

Fra gen Stel lung nimmt oder um ge kehrt.

Grund sätz lich gilt: Die gut ach ter li che Kom-

pe tenz fin det ihre Gren ze in der je wei li gen

Wei ter bil dungs ord nung.2 Die Be schrän-

kung auf das ei ge ne Fach ge biet und die

Hin zu zie hung ei nes Spe zia lis ten für spe zi-

el le Fra ge stel lun gen, die in an de re Fach ge-

bie te hin ein rei chen, sind zu gleich Vor be-

din gun gen da für, dass der Gut ach ter über

die nö ti gen theo re tisch-wis sen schaft li chen

Kennt nis se und all ge mei nen prak ti schen

Er fah run gen ver fügt. Dazu ge hört fer ner,

dass er sich auf dem ak tu el len Wis sens-

stand be fin det, neue Me tho den und neue

Rich tun gen sei nes Fachs eben so wie evtl.

vor han de ne Leit- oder Richt li ni en kennt

und einen „Schu len streit“ nicht ein sei tig

1 BGH VersR 1996, 633, 634. 2 Sand voß, Arzt recht 2003, 176.

RedaktionK. Peter, München

1081Der Anaesthesist 11 · 2005 |

übung ih res Am tes von über hol ten und

in die sem Zu sam men hang der Rechts ord-

nung wi der spre chen den Stan des re geln

frei zu ma chen“,3 wie der Bun des ge richts-

hof (BGH) mein te, ist nie em pi risch un-

ter sucht wor den. Als An walt mit fast 30-

jäh ri ger Er fah rung in der ar ti gen Pro zes-

sen möch te ich hin zu fü gen: Es gibt lei der

auch eine – durch aus nicht klei ne – Grup-

pe von Sach ver stän di gen, die ih ren Be rufs-

kol le gen ge gen über be son ders kri tisch, ja

über heb lich und vor ein ge nom men sind

und ih nen, in Ab wand lung des be kann ten

„Krä hen zi tats“, „bei de Au gen aus ha cken“.

> Ob jek ti vi tät geht stets vor Stan des so li da ri tät, aber auch vor Ri va li tät

Die Ver pflich tung zur Un par tei lich keit be-

steht un ab hän gig da von, wer den Sach ver-

stän di gen auf trag er teilt hat. Auch das sog.

Pri vat- oder Par tei gut ach ten, das der Sach-

ver stän di ge im Auf trag ei ner Pro zess par-

tei oder des Be schul dig ten er stat tet, darf

nicht par tei isch sein. Das Ver trau en in die

Wis sen schaft lebt vom Glau ben an die

Un ab hän gig keit der Ex per ten. Der Sach-

ver stän di ge soll ge ra de nicht der Gut ach-

ter ei ner Sei te im Pro zess sein; des halb ist

es auch ver fehlt, vom Gut ach ter „des Ge-

richts“, „der Staats an walt schaft“ oder „der

Ver tei di gung“ usw. zu spre chen. Zu be dau-

ern ist da her auch der Stand punkt vie ler

Sach ver stän di ger, die auf An fra ge im mer

wie der klä ren, sie sei en zur Über nah me

ei nes Gut ach ten auf trags nur be reit, wenn

sie vom Ge richt und von der Staats an walt-

schaft be stellt und ge la den wer den. Mög li-

cher wei se be ruht die se ab leh nen de Ein stel-

lung auf der ir ri gen Mei nung, man er war-

te oder ver lan ge um je den Preis ein po si-

ti ves Gut ach ten, viel leicht sind aber auch

schlech te Er fah run gen in der Be hand lung

vor Ge richt sei tens der Pro zess be tei lig ten

für eine sol che Ver wei ge rungs hal tung aus-

schlag ge bend. Für die Rechts pfle ge ins ge-

samt und für die je weils sach ver stän di gen

Rat Su chen den ist die se Ein stel lung al ler-

dings in ho hem Maße be dau er lich.

Die Pflicht zur Un par tei lich keit und

Un vor ein ge nom men heit ge bie tet es, ein

schrift li ches Gut ach ten ab zuän dern, wenn

neue Tat sa chen be kannt wer den, die die

Die Jus tiz pra xis zeigt je doch lei der oft-

mals ein an de res Bild: Gut ach ter mei nun-

gen wer den nicht sel ten als „si che res Wis-

sen“, Emp feh lun gen bzw. ei ge ne For de run-

gen als ver bind li cher „Stan dard“, an er kann-

te Leit li ni en als ver fehlt bzw. über holt be-

zeich net, apo dik ti sche Fest stel lun gen oh-

ne je den kon kret nach prüf ba ren Li te ra tur-

be leg ge trof fen, neue wis sen schaft li che Er-

kennt nis se ver schwie gen oder be stimm te

Ver fah rens tech ni ken ohne ei ge ne Be rufs-

er fah rung da mit be wer tet. Da durch wer-

den Rich ter, Staats an walt und Rechts an-

wäl te man gels ei ge ner Sach kun de in die

Irre ge führt, so dass ein un rich ti ges Ur teil

am Ende fast un ver meid lich ist!

E Ne ben der ho hen fach li chen Kom pe-tenz sind als wei te re Grund vor aus set-zun gen für ein Tä tig wer den des Sach-ver stän di gen sei ne Un be fan gen heit, sei ne Vor ur teils frei heit und sei ne Un-vor ein ge nom men heit zu nen nen.

Der Gut ach ter muss streng ob jek tiv, aus-

schließ lich sach be zo gen bei der Durch-

sicht der Un ter la gen, et wai gen Un ter su-

chun gen und der Er stat tung sei nes Gut ach-

tens vor ge hen. Schon der Ein druck der Par-

tei lich keit aus der Sicht ei nes ver stän di gen

Pro zess be tei lig ten be grün det den Ein wand

der Be fan gen heit, z. B. die enge be ruf li che

Zu sam men ar beit mit dem be klag ten (be-

schul dig ten) Arzt im Rah men ge mein sa-

mer Pub li ka ti o nen, grund le gen de wis sen-

schaft li che Mei nungs ver schie den hei ten,

enge wirt schaft li che Be zie hun gen zu ei ner

Par tei, „Leh rer-Schü ler-Ver hält nis“, ab wer-

ten de Äu ße run gen über eine Par tei. Da ge-

gen ist die ge mein sa me Mit glied schaft in

ei ner wis sen schaft li chen Fach ge sell schaft

oder die Tat sa che ge mein sa men Be kannt-

seins von Kon gres sen re gel mä ßig kein Be-

fan gen heits grund. Den noch soll te der Gut-

ach ter recht zei tig und frei mü tig auch auf

sol che Um stän de hin wei sen, um den Pro-

zess be tei lig ten Ge le gen heit zur Stel lung-

nah me zu ge ben. Es ist für alle pein lich,

wenn die se Din ge erst nach und nach im

Pro zess zu ta ge tre ten und das Gut ach ten

da durch mög li cher wei se ent wer ten.

Ob jek ti vi tät geht stets vor Stan des so li-

da ri tät, aber auch vor Ri va li tät. Ob „vor al-

lem im Kunst feh ler pro zess“ me di zi ni sche

Gut ach ter Schwie rig kei ten hat ten oder viel-

leicht auch noch ha ben, „sich bei der Aus-

dar stellt, son dern das gan ze Mei nungs-

spek trum deut lich macht. Dies gilt ins be-

son de re, wenn es ab wei chen de An sich ten

gibt, die aber für die kon kre te Be hand lung

un ter Be rück sich ti gung al ler Um stän de im

Rah men des ärzt li chen Er mes sens und der

ärzt li chen Me tho den frei heit noch ver tret-

bar sind. Un ver zicht bar ist auch die ei ge ne

be ruf li che Er fah rung, wenn es um die Be-

ur tei lung ei ner be stimm ten Be hand lungs-

al ter na ti ve geht.

Zu den all ge mei nen, von je dem Sach-

ver stän di gen zu er fül len den Pflich ten ist

un ter dem As pekt der fach li chen Qua li-

tät schließ lich auch der lo gi sche Auf bau

des Sach ver stän di gen gut ach tens zu for-

dern. An der Spit ze müs sen die Be ur tei-

lungs grund la gen des Gut ach tens ge nannt

wer den, d. h. wel che Ak ten ihm im Ein zel-

nen von Blatt 1 bis... zur Ver fü gung stan-

den, ob und wie vie le Rönt gen bil der ein ge-

se hen wur den, und wel che sons ti gen Un-

ter la gen kon kret vor la gen.

An zwei ter Stel le steht die Wie der ga be

des Be weis be schlus ses bzw. der ge stell ten

Fra gen.

Im An schluss da ran folgt der Sach ver-

halt, wie ihn der Gut ach ter – ohne Ver mu-

tun gen, ohne Un ter stel lun gen und Hy po-

the sen, ohne ei ge ne Be weis wür di gung –

er mit telt hat, wel che Lücken in tat säch li-

cher Hin sicht noch be ste hen, wel che Sach-

ver halts al ter na ti ven mög lich sind, und

worin die Un ter schie de lie gen.

Da nach kommt an vier ter Stel le die me-

di zi ni sche Wer tung des Sach ver halts mit ei-

ner mög lichst prä zi sen Be ant wor tung der

ge stell ten Fra gen mit ein ge hen der Be grün-

dung. Da raus muss her vor ge hen, auf wel-

cher wis sen schaft li chen Ba sis das Gut ach-

ten auf baut und wel che per sön li chen kli-

ni schen oder sons ti gen Er fah run gen der

Sach ver stän di ge in gleich oder ähn lich ge-

la ger ten Fäl len hat.

Das Gut ach ten schließt mit dem Li te-

ra tur ver zeich nis ab, in dem die zi tier ten

Wer ke mit Ti tel, Auf la ge, Er schei nungs-

jahr, Band und Sei te so wie eben so die zi-

tier ten Zeit schrif ten mit Jahr gang und Sei-

ten zahl an zu ge ben sind, da mit die Ver fah-

rens be tei lig ten die Fund stel len nach le sen

kön nen. Falsche Zi ta te, über hol te Lehr-

mei nun gen aus frü he ren Buchauf la gen

u. a. sind kei ne Sel ten heit und kön nen

nur auf die sem Weg über prüft und kor ri-

giert wer den. 3 BGH NJW 1975, 1464.

1082 | Der Anaesthesist 11 · 2005

Leit the ma

Zusammenfassung · Abstract

Anaesthesist 2005 · 54:1081–1088DOI 10.1007/s00101-005-0934-y© Sprin ger Me di zin Ver lag 2005

K. Ul sen hei mer

Der Sach ver stän di gen be weis. All ge mei ne Vo raus set zun gen und ver fah rens recht li che Be son der hei ten für die Gut ach ten er stel lung

Zu sam men fas sungAn ge sichts der Hoch kon junk tur der Arzt-haf tung, in de ren Mit tel punkt der Be hand-lungs feh ler steht, ist das Vo tum des me di-zi ni schen Sach ver stän di gen „Dreh- und An-gel punkt“ der Aus ein an der set zung zwi-schen Arzt und Pa ti ent. Umso wich ti ger er-scheint des halb aus recht li cher Sicht die Vor be rei tung des Gut ach ters auf sei ne Tä-tig keit im Pro zess. An ge fan gen von ei nem sys te ma ti schen, lo gi schen Auf bau des Gut-ach tens wer den die wich tigs ten Qua li täts-an for de run gen be han delt: Fach kom pe-tenz, Ob jek ti vi tät und Un par tei lich keit, in-tel lek tu el le Red lich keit und Ver ständ lich-keit der Spra che, Pflicht zur höchst per sön li-

chen Er stat tung des Gut ach tens, Be schrän-kung auf das me di zi ni sche Fach ge biet, kei-ne Rechts aus füh run gen, kei ne Un ter stel-lun gen, strik te Be ach tung des Be weisthe-mas. Als Ge hil fe des Rich ters muss der Gut-ach ter ge wis se recht li che Grund kennt nis-se ha ben. Dazu ge hö ren u. a. die Be son-der hei ten des Zi vil- und Straf ver fah rens im Hin blick auf die un ter schied li che Be-weis last, die Kau sa li tät ei nes Be hand lungs- und Or ga ni sa ti ons feh lers für den Ein tritt des Scha dens oder gar des To des des Pa ti-en ten, die For mel der „an Si cher heit gren-zen den Wahr schein lich keit“, die Be deu-tung des „gro ben“ Be hand lungs feh lers, der

Ab stractIn view of the boom in med i cal li a bil i ty suits, which cen tre around med i cal mal-prac tice, the de ci sion of the med i cal ex-pert is the piv ot in the con flict be tween doc tor and pa tient. There fore, from a le-gal point of view it is ex treme ly im por tant that the ex pert is well pre pared for a court-room ap pear ance. Be gin ning from a sys-tem at ic and log i cal struc ture of the ex pert opin ion, the most im por tant de mands on qual i ty are dealt with: pro fes sion al com pe-tence, ob jec tiv i ty and im par tial i ty, in tel lec-tu al in tegri ty and in tel li gi bil i ty of speech, duty to give a strict ly per son al de liv ery of

the opin ion, lim i ta tion to the med i cal spe-cial i ty, no le gal com ments, no in sin u a tions and strict ad her ence to the theme. As an aid to the Judge, the ex pert must have a cer tain de gree of back ground le gal knowl-edge. This in cludes the pe cu liar i ties of civ-il and crim i nal pro ce dures with re spect to the bur den of proof, the causal i ty of med-i cal or or gan i sa tion al er rors in treat ment lead ing to in ju ry or even death of the pa-tient, the sig nif i cance of the term “a prob a-bil i ty bor der ing on cer tain ty”, the mean ing of “gross” er rors in treat ment, the guide-lines and the med i cal stan dards. The obli-

Ex pert ev i dence. Gen er al pre req ui sites and pro ce du ral char ac ter is tics for ex pert opin ions

„Leit li ni en“ und des „me di zi ni schen Stan-dards“. Die Auf ga be des me di zi ni schen Sach ver stän di gen im Arzt haf tungs pro zess ist nicht nur über aus ver ant wor tungs voll und schwie rig, son dern für den Gut ach ter selbst haf tungs recht lich nicht un ge fähr lich. Denn seit dem 01.08.2002 kön nen auch grob fahr läs si ge Feh ler des Gut ach tens zum Scha denser satz ver pflich ten (§ 839a Bür ger li ches Ge setz buch, BGB).

Schlüs sel wör terRich ter ge hil fe · Un be fan gen heit · Fach kom pe tenz · Fach arzt stan dard · Kau sa li tät

ga tion of the med i cal ex pert in ques tions of med i cal mal prac tice is not only an ex-treme ly re spon si ble and dif fi cult one, but also not with out risk for the ex pert him self. Since Au gust 2002 gross neg li gent er rors by the ex pert are also li able for com pen-sa tion in law un der § 839a of the Ger man Civ il Code Book.

Key wordsAid to the Judge · Im par tial i ty · Pro fes sion al com pe tence · Med i cal spe cial ist stan dards · Causal i ty

1083Der Anaesthesist 11 · 2005 |

Auf recht er hal tung der zu nächst schrift-

lich ver tre te nen Auf fas sung aus schlie-

ßen. Dies mag manch mal schwer fal len,

da man na tür lich ver sucht ist, sei ne Mei-

nung zu ver tei di gen, doch muss man von

ei nem pflicht be wuss ten Sach ver stän di gen

ver lan gen, dass er einen sach li chen Feh ler

oder Irr tum ein ge steht und auf eine ver-

än der te Sach la ge ent spre chend rea giert.

Es spricht m. E. „nur für die Qua li tät des

Sach ver stän di gen, wenn die ser sich nicht

scheut, sei ne ei ge ne An sicht zu re vi die ren

und sich selbst zu wi der le gen“.4

Ein ver nünf ti ger Auf trag ge ber er war tet

kein „ge schön tes“ Gut ach ten, son dern will

mög lichst um fas send und un ge schminkt

die „me di zi ni sche Wahr heit“ wis sen. „Ge-

fäl lig keits gut ach ten“ wer den rasch als sol-

che er kannt, so dass ihr Be weis wert prak-

tisch gleich Null ist. Na tür lich hat eine Pro-

zess par tei oder der be schul dig te Arzt die

Hoff nung auf ein ihn ent las ten des Vo tum

des Gut ach ters. Aber auch wenn die ses

ne ga tiv aus fällt, ist es kei nes wegs wert los.

Denn wenn dem Arzt ein Be hand lungs-

feh ler oder ein or ga ni sa to ri sches Ver säum-

nis un ter lau fen ist, muss die Ver tei di gung

bzw. der Pro zess an ders ge führt wer den

als dann, wenn mit Si cher heit oder Wahr-

schein lich keit kein Feh ler nach weis bar ist.

Glei ches gilt – vice ver sa –, wenn der Pa ti-

ent den Auf trag zur Er stat tung des Gut ach-

tens er teilt hat. An ei nem lang dau ern den

Pro zess in al ler Öf fent lich keit kann we der

ihm noch dem Arzt noch dem Kran ken-

haus an ge sichts der Kos ten, der psy chi-

schen Be las tung, der Ruf schä di gung und

des Ar beits auf wands ge le gen sein.

E Das Ge bot der Un par tei lich keit ver bie-tet dem Sach ver stän di gen, Lücken in den tat säch li chen Fest stel lun gen oder di ver gie ren de Zeu gen aus sa gen durch Un ter stel lun gen, Ver mu tun gen, Ei gen-in ter pre ta ti on oder Spe ku la tio nen zu-guns ten oder -un guns ten ei ner Par tei zu be sei ti gen.

Die man gel haf te Do ku men ta tion kann der

Sach ver stän di ge rü gen, er hat sie je doch

hin zu neh men und darf nicht aus der feh-

len den Do ku men ta tion der Un ter su chung

(z. B. der Durch füh rung ei nes EKG) den

Schluss zie hen, dass die se man gels Vor han-

den seins (des EKG-Strei fens) nicht statt ge-

fun den hat! Hält der Gut ach ter einen Sau er-

stoff man gel des Pa ti en ten für ge ge ben, ob-

wohl die Sau er stoff sät ti gung nach An ga be

des Arz tes gut war, ohne dass dies do ku men-

tiert ist, darf er nicht kur z er Hand vom Ge-

gen teil aus ge hen, son dern muss sein Gut ach-

ten al ter na tiv, ent spre chend den ver schie de-

nen tat säch li chen Mög lich kei ten auf bau-

en und ver su chen, Un klar hei ten, Män gel

und Wi der sprü che auf zu zei gen. Wenn Fak-

ten strei tig sind und ein ein deu ti ges Be wei-

s er geb nis fehlt oder ihm vom Ge richt bzw.

Staats an walt nicht be stimm te Vor ga ben in

tat säch li cher Hin sicht ge macht sind, von

de nen er aus ge hen soll, ist auch im Gut ach-

ten die Un ter schied lich keit des mög li chen

Ge sche hensab laufs, je nach dem, wel cher

Sach ver halts al ter na ti ve man folgt, zum Aus-

druck zu brin gen, und die je wei li gen Fol ge-

run gen sind dif fe ren ziert dar zu stel len. Da-

bei darf der Sach ver stän di ge na tür lich sei ne

Mei nung hin sicht lich der mehr oder we ni-

ger gro ßen Plau si bi li tät bzw. der mehr oder

we ni ger gro ßen Wahr schein lich keit ei nes

be stimm ten Ge sche hensab laufs auf grund

me di zi ni scher Sach zu sam men hän ge äu-

ßern; eine ei ge ne Be weis wür di gung ist ihm

je doch un ter sagt.

Eben so sind dem Sach ver stän di gen ei-

gen stän di ge Er mitt lun gen, die selbst stän di-

ge Ver neh mung von Zeu gen über we sent li-

che Streit punk te, die un mit tel ba re Kon takt-

auf nah me mit der Ge gen par tei oder dem

Be schul dig ten ver bo ten. Denn die Sach-

ver halts er mitt lung ist Auf ga be der Par tei-

en, des Ge richts oder der Straf ver fol gungs-

be hör de. Der me di zi ni sche Gut ach ter, der

nach Art ei nes „Hilfss he riffs“ „kri mi na lis-

ti schen Jagd- und Ver fol gungs ei fer“5 ent wi-

ckelt, macht sich be fan gen und ge fähr det so-

mit sei ne wei te re Mit wir kung im Pro zess.

E Alle ap pro bier ten Ärz te sind nach den ein schlä gi gen Ge set zes re ge lun-gen ver pflich tet, sich dem Ge richt, der Staats an walt schaft und – un ter be-stimm ten Vo raus set zun gen – auch der Ver tei di gung als Sach ver stän di ge zur Ver fü gung zu stel len.

Sie dür fen den Gut ach ten auf trag nur aus

stich hal ti gen Grün den ab leh nen, z. B. in-

fol ge Ar beits über las tung, Be fan gen heit,

man geln der Sach kun de oder Ter min-

schwie rig kei ten. Das Gut ach ten ist nach

des sen Über nah me in „an ge mes se ner

Frist“ zu er stat ten, an de ren falls kann ein

Ord nungs geld an ge droht und dann auch

ver hängt wer den. Die lan ge Dau er zwi-

schen Be auf tra gung und Fer tig stel lung

des Gut ach tens ist ein be son ders „wun der

Punkt“ in der Jus tiz pra xis, da oft mals ein

hal b es Jahr und mehr ver ge hen, bis das

Gut ach ten vor liegt.

E Die Gut ach ter pflicht ist eine höchst-per sön lich zu er fül len de. Sie lässt sich da her nicht ein fach auf Mit ar bei ter oder an de re „ab schie ben“.

Dies schließt nicht aus, bei der Vor be rei-

tung und Ab fas sung des Gut ach tens wis-

sen schaft li che Mit ar bei ter oder sons ti-

ge ge eig ne te Hilfs kräf te hin zu zu zie hen,

doch muss die per sön li che Ver ant wor tung

des be auf trag ten Sach ver stän di gen für das

Gut ach ten ins ge samt un ein ge schränkt ge-

wahrt blei ben.6 Der Sach ver stän di ge muss

die vol le Ver ant wor tung für das Gut ach ten

über neh men und mit sei ner Un ter schrift

zu er ken nen ge ben, dass er dazu nach ei ge-

nem Kennt nis stand in der Lage war. Der

blo ße Ver merk „ein ver stan den“ bringt

dies nicht klar ge nug zum Aus druck, viel-

mehr ver langt die Ju di ka tur, ins be son de-

re bei kli ni schen Un ter su chun gen, Zu sät-

ze wie „nach ei ge ner Kennt nis und Be ur-

tei lung“ oder „auf grund ei ge ner Un ter su-

chung und Ur teils bil dung ge neh migt“.

E Je der Sach ver stän di ge soll te sein Gut-ach ten in ver ständ li cher Spra che, oh-ne ein Schwel gen in fach li chen Ter mi ni ab fas sen.

Selbst ver ständ lich ha ben jede Wis sen-

schaft und jede Dis zi plin ihre ei ge ne Fach-

spra che, doch wenn ein Rich ter, Staats an-

walt, Rechts an walt oder sons ti ger Ver fah-

rens be tei lig ter das Gut ach ten qua si erst

mit hil fe kli ni scher Wör ter bü cher über-

set zen muss, be steht nicht nur die Ge fahr

von Miss ver ständ nis sen, son dern dass

das Gut ach ten ins ge samt fehl in ter pre tiert

wird. Wer die zwei fel los oft schwie ri gen

me di zi ni schen Zu sam men hän ge nicht

4 Schi mans ky, Sgb 1986, 408.

5 Dahs/Dahs, Die Re vi si on im Straf pro zess, 1984, Rdnr. 220. 6 BVer wG NJW 1984, 2645.

1084 | Der Anaesthesist 11 · 2005

Leit the ma

an schau lich und auch für einen mit nor-

ma ler In tel li genz aus ge stat te ten Ju ris ten

be greif lich dar zu le gen ver mag, ent wer tet

nicht nur sein Gut ach ten und die da rin in-

ves tier te Ge dan ken ar beit be trächt lich, son-

dern pro vo ziert auch un nö ti ge Fra gen, kri-

ti sche An mer kun gen und letzt lich die Ge-

fahr ei nes Fehl ur teils mit all sei nen ver hee-

ren den Fol gen.

E Die recht li che Sub sum ti on, d. h. die recht li che Wür di gung des Tat sa chen-stoffs, ob liegt nicht dem Sach ver stän-di gen, son dern ist aus schließ lich Auf ga be des Rich ters.

Die ser darf sie da her dem Sach ver stän di-

gen we der über ant wor ten, noch darf je ner

qua si die rich ter li che Funk ti on über neh-

men. Der Gut ach ter muss sich be wusst

sein, dass er „Rich ter ge hil fe“ ist, und soll-

te sich da her da vor hü ten, recht li che Wer-

tun gen vor zu neh men, selbst wenn er un-

zu läs si ger wei se dazu auf ge for dert, z. B. ge-

fragt wird, ob das Ver hal ten des Arz tes

„grob fahr läs sig“, „schuld haft“ oder gar

„straf bar“ war.

Lei der ge schieht es aber im mer wie der,

dass Sach ver stän di ge von ei nem „fahr läs si-

gen Ver hal ten“ spre chen oder von ei nem

„gro ben Be hand lungs feh ler“, ohne zu wis-

sen, was im Rechts sin ne „Fahr läs sig keit“

be deu tet, und wel che Vo raus set zun gen

aus recht li cher Sicht der Be griff des „gro-

ben“ Be hand lungs feh lers er fül len muss,

und wel che schwer wie gen den, in al ler

Re gel Streit ent schei den den Fol ge run gen

sich da ran knüp fen (näm lich die Be weis-

la stum kehr zu un guns ten des Arz tes bei

der Fra ge nach der Kau sa li tät des Be hand-

lungs feh lers für den Scha den).

Recht li che Grund kennt nis se und ver fah rens recht li che Be son der hei ten

Die fol gen den recht li chen Grund kennt nis-

se soll te je der Sach ver stän di ge ha ben.

Der Gut ach ter als „Be weis mit tel“

Der Gut ach ter ge hört ne ben Zeu gen und

Ur kun den zu den Be weis mit teln des Ver-

fah rens. Als Ge hil fe des Rich ters soll er

den Tat sa chen stoff er mit teln, der nur

auf grund be son de rer sach kun di ger Be-

ur tei lung ge won nen wer den kann, und

das wis sen schaft li che Rüst zeug ver mit-

teln, das die sach ge mä ße Aus wer tung der

Kran ken blatt un ter la gen, Zeu gen aus sa gen

und sons ti ger Sach ver halts an ga ben er mög-

licht. Der Sach ver stän di ge „ist we der be ru-

fen noch in der Lage, dem Rich ter die Ver-

ant wor tung für die Fest stel lun gen ab zu-

neh men, die dem Ur teil zu grun de ge legt

wer den“.7 Die Rol len ver tei lung zwi schen

Ge richt und Gut ach ter ist so mit ein deu tig:

Al lein ver ant wort li cher Ent schei dungs trä-

ger ist der Rich ter, der des halb das Gut ach-

ten auf sei ne Über zeu gungs kraft hin prü-

fen, Äu ße run gen nach voll zie hen, Wi der-

sprü chen und er kenn ba ren Un klar hei ten

nach ge hen, Ein wen dun gen be rück sich ti-

gen, sie dem Sach ver stän di gen vor hal ten

und ggf. auf Er gän zung oder Klä rung von

Zwei fels fra gen drän gen muss.8

Ant wort pflicht des Gut ach ters

Fra gen des Ge richts und an de rer Ver fah-

rens be tei lig ter muss der Sach ver stän di ge

be ant wor ten. Dass man che da bei mit un-

ter un wirsch, mit Un ver ständ nis oder gar

Po le mik auf kri ti sche Be mer kun gen und

Zwei fel an ih rer Eig nung, auf Ein wen dun-

gen oder die Dar le gung von – viel leicht

ver meint li chen – Wi der sprü chen und

Lücken in der Be gut ach tung re a gie ren,

ist mensch lich ver ständ lich, in der Sa che

aber falsch. Mag die Gut ach ter kri tik auch

oft mals über zo gen sein, der Sach ver stän-

di ge soll te sich hü ten, „mit glei cher Mün-

ze heim zu zah len“. Er muss sich vor Au-

gen hal ten, dass ihm me di zi ni sche Lai en

ge gen über sit zen, die zum einen Ver ständ-

nis schwie rig kei ten und un ter schied li che

Vor kennt nis se, vor al lem aber ganz un ter-

schied li che Auf ga ben im Pro zess ha ben.

Spe zi ell die An wäl te sind zur ein sei ti gen

Wahr neh mung der In ter es sen ih rer Man-

dan ten ver pflich tet und müs sen des halb

al les tun, um ein be las ten des Gut ach ten

an zu grei fen, Zwei fel an der Rich tig keit zu

we cken und Be den ken ge gen sei ne Über-

zeu gungs kraft vor zu tra gen. Die se Be mü-

hun gen rich ten sich nicht ge gen die Per-

son des Sach ver stän di gen, son dern er fol-

gen in der Sache im In te res se ih res Man-

dan ten. Dass da bei die an walt li chen Ver-

7 BGHSt 7, 239.

8 BGH NJW 1995, 779; NJW 2004, 1871.

Im Straf recht gilt da ge gen der Satz: In

du bio pro reo. Da her ist hier eine pflicht-

wid ri ge Hand lung oder Un ter las sung des

Arz tes nur dann ur säch lich, wenn bei sorg-

falts ge mäßem Ver hal ten der Tod oder die

Kör per ver let zung mit an Si cher heit gren-

zen der Wahr schein lich keit ver mie den

wor den wäre. Da bei ist die ser der me di zi-

ni schen Fach spra che frem de Be griff nicht

mit „100iger Ge wiss heit“ gleich zu set zen

und auch von der Recht spre chung nicht

im Sin ne be stimm ter ma the ma tisch-sta-

tis ti scher Pro zent zah len de fi niert wor den.

Die „an Si cher heit gren zen de Wahr schein-

lich keit“ lässt sich viel mehr im mer schon,

aber auch nur dann be ja hen, wenn nach

An sicht des Gut ach ters kei ne aus kon kre-

ten An halts punk ten be grün de ten „ver-

nünf ti gen Zwei fel“ an der Kau sa li tät des

Feh lers für den Ge sund heits scha den bzw.

den Tod des Pa ti en ten be ste hen.9 Eine

„große“ oder „sehr hohe“ Wahr schein lich-

keit, eine Ri si ko er hö hung oder „bes se re

Chan cen“ bei sorg fäl ti ger Be hand lung ge-

nü gen für den Kau sa li täts nach weis ei nes

ärzt li chen Fehl ver hal tens nicht.10

Ein wei te rer wich ti ger Un ter schied zwi-

schen dem Straf ver fah ren und dem Zi vil-

rechtss treit liegt für den Gut ach ter in der

Bin dungs wir kung des ihm er teil ten Gut ach-

ten auf trags. Da im Zi vil pro zess das Ge-

richt nicht von Amts we gen er mit telt, son-

dern vom Sach vor trag der Par tei en ab hän-

gig ist, ist Grund la ge sei ner Tä tig keit hier

der Be weis be schluss mit den da rin vor ge-

ge be nen Be weis fra gen. So weit er for der-

lich, muss der Gut ach ter auf eine Prä zi sie-

rung bzw. Er gän zung des Be weisthe mas

drän gen oder auf Mög lich kei ten der Ver-

voll stän di gung der Tat sa chen grund la ge,

etwa durch Her an zie hung von Kran ken-

blatt un ter la gen oder Rönt gen bil dern, hin-

wei sen. Im Üb ri gen aber ist aus schließ lich

das vom Ge richt for mu lier te Be weisthe ma

maß ge bend und steckt da mit die Gren zen

der gut ach ter li chen Tä tig keit ab. Wird al-

so z. B. nach der Feh ler haf tig keit und der

Ur säch lich keit ei ner be stimm ten ärzt li-

chen Maß nah me ge fragt, so hat der Sach-

ver stän di ge sich aus schließ lich auf die sen

Pro blem be reich zu be schrän ken und darf

nicht etwa auch die Auf klä rungs pro ble-

ma tik ein be zie hen, die der kla gen de Pa-

ti ent viel leicht über haupt nicht an ge spro-

chen hat. Ein sol ches Ver hal ten des Gut-

ach ters kann leicht zur Rüge der Be fan gen-

heit füh ren.

In sel te nen Fäl len ist al ler dings auch

im Zi vil pro zess der ge richt lich be stell te

Sach ver stän di ge ver pflich tet, spon tan von

sich aus über das Be weisthe ma zu Las ten ei-

ner Par tei hin aus zu grei fen, näm lich dann,

wenn sich dies auf grund kon kre ter An halts-

punk te auf drän gen muss. Ist etwa die Fra-

ge nur nach der Art und Wei se der Durch-

füh rung des Ein griffs ge stellt, nicht aber da-

nach, ob die ser als sol cher über haupt me di-

zi nisch in di ziert war, so hat der Gut ach ter

das nicht sach ver stän di ge Ge richt auf die

Pro b le ma tik der In di ka ti on hin zu wei sen.

Ganz an ders ist die Si tu a ti on im Straf-

ver fah ren: Hier ist der Gut ach ter auf trag

im mer um fas send zu ver ste hen, d. h. der

Sach ver stän di ge muss alle in Be tracht

kom men den Pflicht ver stö ße des an ge-

spro che nen Sach be rei ches prü fen, selbst

wenn ihm nur eine ganz kon kre te Fra ge,

z. B. die nach der In di ka ti on ei ner Be hand-

lungs maß nah me ge stellt wur de. Der Gut-

ach ter darf und muss im Straf pro zess, der

der Wahr heits er mitt lung dient, über das

for mu lier te Be weisthe ma hin aus ge hen,

wenn er er kennt, dass die Ent schei dung

für oder ge gen den be trof fe nen Arzt von

an de ren wich ti gen Um stän den ab hängt.

Die an ihn ge rich te te Fra ge, ob die ge bo-

te ne Sorg falt ver letzt bzw. ge gen den fach-

ärzt li chen Stan dard ver sto ßen wur de, um-

fasst also im mer das ge sam te Be hand lungs-

ge sche hen ein schließ lich sei ner Or ga ni sa-

ti on, nicht je doch die Auf klä rungs pro ble-

ma tik, die eine Rechts fra ge dar stellt, über

die Ge richt und Staats an walt selbst stän dig

zu be fin den ha ben.

Fach arzt stan dard be stimmt Sorg falts maß stab

Der Sorg falts maß stab, an dem das ärzt li-

che Ver hal ten als „rich tig“ bzw. „ver tret-

bar“ oder „pflicht wid rig“ bzw. „un ver tret-

bar“ ge mes sen ist, wird durch den Fach-

arzt stan dard be stimmt. Die ser Be griff

stimmt mit dem eben falls oft ge brauch-

ten Ter mi nus „Stand der Wis sen schaft“

über ein und wird in halt lich als das zum

Be hand lungs zeit punkt in der ärzt li chen

Pra xis und Er fah rung be währ te, nach na-

tur wis sen schaft li cher Er kennt nis ge si cher-

9 BGH NStZ 1981, 218; 1985, 26.

10 BGH MDR 1988, 100.

tre ter al ler dings bis wei len den Sach ver-

stän di gen auch gänz lich un qua li fi ziert im

per sön li chen Be reich at ta ckie ren und pro-

vo zie ren, soll nicht ver schwie gen wer den

und macht sei ne oh ne hin schon schwie ri-

ge Auf ga be noch schwe rer, da in sol chen

Fäl len ein au ßer or dent lich großes Maß an

Selbst be herr schung und Selbst be wusst-

sein er for der lich ist, um die ge bo te ne Ob-

jek ti vi tät zu wah ren.

Zi vil- ist nicht gleich Straf recht

Zi vil pro zess und Straf ver fah ren wei sen je-

weils recht li che Be son der hei ten auf, die

der Sach ver stän di ge ken nen und be ach-

ten muss.

Im Zi vil pro zess gibt es Be weis re ge lun-

gen un ter schied li cher Art, eine be stimm-

te Be weis last ver tei lung auf Klä ger und Be-

klag te. Bei spiel: die Be weis la stum kehr zu-

un guns ten des be klag ten Arz tes oder des

Kran ken hau ses bei gro ben Be hand lungs-

oder Or ga ni sa ti ons feh lern, voll be herrsch-

ba ren Ri si ken, Do ku men ta ti ons män geln

u. a. Im Straf ver fah ren da ge gen gilt un ein-

ge schränkt der Grund satz: „Im Zwei fel für

den An ge klag ten“, eine Be weis la stum kehr

oder -er leich te rung zu Las ten des Arz tes

ist also un zu läs sig.

Die Fra ge der Kau sa li tät ei nes Be hand-

lungs- oder Or ga ni sa ti ons feh lers für den

ein ge tre te nen Scha den oder gar Tod des

Pa ti en ten ent schei det oft mals über den

Aus gang des Pro zes ses. Da her muss der

Sach ver stän di ge wis sen, dass im Zi vil-

und Straf recht un ter schied lich stren ge An-

for de run gen an den Nach weis der Kau sa li-

tät ge stellt wer den.

Im Zi vil recht wird die Ur säch lich keit

ei ner ärzt li chen Maß nah me für den Scha-

den be jaht, wenn dies mit ei nem für das

„prak ti sche Le ben brauch ba ren Grad von

Ge wiss heit fest steht, der Zwei feln Schwei-

gen ge bie tet, ohne sie gänz lich aus zu schlie-

ßen“. Die se et was si byl li nisch an mu ten de

For mu lie rung be sagt: Wenn nach der ge-

wöhn li chen Le bens er fah rung, nach dem

nor ma len Ver lauf der Din ge trotz ge wis ser

Restzwei fel der Scha den oder der Tod des

Pa ti en ten nach der Über zeu gung des Sach-

ver stän di gen ur säch lich auf den Be hand-

lungs- oder Or ga ni sa ti ons feh ler zu rück-

zu füh ren ist, wird im Zi vil pro zess die Fra-

ge der sog. haf tungs be grün den den Kau sa-

li tät be jaht.

1086 | Der Anaesthesist 11 · 2005

Leit the ma

Fach arzt, um ein klei ne res kom mu na les

Kran ken haus oder eine Uni ver si täts- bzw.

Spe zi al kli nik, um einen seit lan gem vor be-

rei te ten Ein griff oder die Be wäl ti gung ei-

ner plötz li chen Kom pli ka ti on han delt.

Der Maß stab für die ärzt li che Be hand-

lung und Haf tung ist also si tua ti ons ori en-

tiert, ab hän gig von den ver füg ba ren ärzt-

li chen, pfle ge ri schen, räum li chen, ap pa ra-

ti ven und sons ti gen the ra peu ti schen Mit-

teln, so dass „in Gren zen der zu for dern de

me di zi ni sche Stan dard je nach den per so-

nel len und sach li chen Mög lich kei ten ver-

schie den ist“.13 Des halb müs sen künf tig

auch mehr und mehr Kos ten aspek te an ge-

sichts der Knapp heit der Res sour cen und

den da raus sich er ge ben den Ein schrän kun-

gen vom Sach ver stän di gen be rück sich tigt

wer den. „Der haf tungs recht lich zu for dern-

de Stan dard igno riert in so weit nicht öko no-

mi sche Zwän ge.“14 „Wenn auch nach Aus-

schöp fung al ler or ga ni sa to ri schen Mög-

lich kei ten, Ra tio na li sie rungs maß nah men

und Um ver tei lung der fi nan zi el len Mit tel

die per so nel len und in stru men tel len Eng-

päs se in fol ge der Mit tel knapp heit nicht zu

be sei ti gen sind, ist der me di zi ni sche Stan-

dard hic et nunc zwangs läu fig nied ri ger an-

zu set zen als dort, wo die Sach- und Per so-

nal aus stat tung auf grund güns ti ge rer wirt-

schaft li cher Ver hält nis se bes ser ist“.15 Die

Schutz- und Si cher heits in ter es sen des Pa-

ti en ten müs sen aber stets ge wahrt blei ben

(da her z. B. Un zu läs sig keit der re gel haf ten

Eta blie rung der sog. Par al lel nar ko se).

Die da raus für den Sach ver stän di gen

sich er ge ben de Er kennt nis und Schluss-

fol ge rung hat der BGH schon vor lan ger

Zeit sehr deut lich for mu liert: Die Sorg falts-

pflich ten „dür fen sich da her nicht un be se-

hen an den Mög lich kei ten von Uni ver si-

täts kli ni ken und Spe zi al kran ken häu sern

ori en tie ren, son dern müs sen sich auch an

den für die sen Pa ti en ten in die ser Si tu a ti-

on fak tisch er reich ba ren Ge ge ben hei ten

aus rich ten, so fern auch mit ih nen ein zwar

nicht op ti ma ler, aber noch aus rei chen der

me di zi ni scher Stan dard er reicht wer den

kann“.16

E Der BGH un ter schei det also sehr wohl zwi schen „nor ma len“, z. B. für das Kran-ken haus der un te ren Ver sor gungs stu-fe gel ten den, und „uni ver si tär en“ An-for de run gen der Ma xi mal ver sor gungs-stu fe bei der Fra ge, ob ein Ein griff als „kunst ge recht“ oder „feh ler haft“ zu qua li fi zie ren ist.

Fol gen ei nes un rich ti gen Gut ach tens

Zu be ach ten ist die – vie len Sach ver stän-

di gen noch nicht be kann te – seit dem

01.08.2002 in das Bür ger li che Ge setz buch

(BGB) ein ge füg te Haf tungs be stim mung

des § 839a. Da nach ist ein vom Ge richt er-

nann ter Sach ver stän di ger im Fall vor sätz-

li cher oder grob fahr läs si ger Er stat tung ei-

nes un rich ti gen Gut ach tens zum Er satz

des Scha dens ver pflich tet, der ei nem Ver-

fah rens be tei lig ten durch eine ge richt li che

Ent schei dung ent steht, die auf die sem Gut-

ach ten be ruht (§ 839a Abs. 1). Die se Er satz-

pflicht tritt al ler dings nicht ein, wenn es

der Ver letz te vor sätz lich oder fahr läs sig

un ter las sen hat, den Scha den durch Ge-

brauch ei nes Rechts mit tels ab zu wen den

(§ 839a Abs. 2 i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB).

E Un rich tig ist das ob jek tiv falsche Gut-ach ten, z. B. auf grund un voll stän dig be rück sich tig ter Un ter la gen, un ter las-se ner Un ter su chun gen oder feh ler haf-ter me di zi ni scher Schluss fol ge run gen.

Gro be Fahr läs sig keit be deu tet, dass der

Sach ver stän di ge sei ne Gut ach ter pflich ten

in be son ders schwe rem, un ge wöhn li chem

Maße au ßer Acht ge las sen, z. B. be ste hen-

de Zwei fel nicht be rück sich tigt, am bi va len-

te Be fun de ver schwie gen und un ter schied-

li che Aus le gungs mög lich kei ten nicht auf-

ge deckt hat.17 Das ob jek tiv un rich ti ge Gut-

ach ten muss ur säch lich für eine rechts-

kräf ti ge ge richt li che Ent schei dung ge wor-

den sein und ent we der ab so lut ge schütz-

te Rechts gü ter ei nes Ver fah rens be tei lig-

ten ver letzt oder ihm Ver mö gens nach tei-

le ge bracht ha ben. Da die se im Arzt haf-

tungs pro zess au ßer or dent lich hoch sein

kön nen – man den ke an eine Fehl in tu ba-

ti on mit nach fol gen dem Ze re bral scha den

–, soll te je der als Gut ach ter tä ti ge An äs the-

13 BGH NJW 1988, 763, 764.

14 Dress ler, FS Geiß, 2000, S. 387.

15 Ul sen hei mer, Arzt straf recht in der Pra xis, 3. Aufl. 2003, Rdnr. 20d.

16 BGH NJW 1994, 1597, 1598. 17 Ki li an, VersR 2003, 687.

te, von ei nem durch schnitt lich be fä hig-

ten Fach arzt ver lang te Maß an Kennt nis

und Kön nen um schrie ben. Mit den Wor-

ten des Me di zi ners ist die ser Stan dard die

gute, von Ver ant wor tung ge tra ge ne ärzt li-

che Übung. So wohl im Zi vil- als auch im

Straf recht ist die ser ob jek tiv-ty pi sie ren de

Sorg falts maß stab Grund la ge der me di zi ni-

schen und recht li chen Be ur tei lung. Leit-

und Richt li ni en sind we der Gut ach terer-

satz noch im Ein zel fall ver bind li che Hand-

lungs an lei tung,11 es sei denn, sie ge ben den

ak tu el len Fach arzt stan dard wie der und da-

mit den im Zi vil- und Straf recht gel ten den

Maß stab zur Be stim mung der ob jek tiv ge-

bo te nen Sorg falt.

Stan dard zum Zeit punkt des Vor falls

Gut ach ten zur Fra ge des Be hand-lungs feh lers aus der Sicht ex-anteDa der Fach arzt stan dard kei ne rein sta ti-

sche Grö ße ist, son dern eine dy na mi sche

Kom po nen te ent hält, die von der Ent wick-

lung und dem je wei li gen Fort schritt des

Fach ge biets ab hängt, also neue Er kennt nis-

se und Er fah run gen, neue tech ni sche Mög-

lich kei ten in sich auf nimmt, muss der Sach-

ver stän di ge sein Gut ach ten in so weit stets

aus der Sicht ex-ante er stat ten. Er muss also

auf den Zeit punkt der Vor nah me oder Un-

ter las sung der ge bo te nen ärzt li chen Maß-

nah me ab stel len, kon kret auf die Fra ge,

wie sich ein ge wis sen haf ter und er fah re ner

Arzt der sel ben Fach rich tung in glei cher Si-

tu a ti on, also zur zeit der Be hand lung ver hal-

ten hät te.12 Die Fest stel lung der Kau sa li tät

er folgt da ge gen aus der Sicht ex-post, also

in Kennt nis al ler, auch nach dem Scha den-

sein tritt ver wirk lich ter Um stän de.

Si tua ti ons ori en tier te Be ur tei lungIm Be reich der ob jek ti ven Sorg falts pflicht-

ver let zung, also des me di zi ni schen Stan-

dards, ist hin sicht lich der je wei li gen spe zi-

fi schen Stel lung und Si tu a ti on des Arz tes

zu dif fe ren zie ren. Die ge bo te ne Sorg falt

ori en tiert sich an dem en ge ren so zia len Be-

reich, in dem der Ein zel ne tä tig ist, und va-

ri iert des halb je nach dem, wel che kon kre te

Po si ti on er aus füllt, ob es sich z. B. um ei-

nen Arzt für All ge mein me di zin oder einen

11 OLG Na um burg, Der An äs the sist 2003, 361.

12 Ul sen hei mer, Arzt straf recht in der Pra xis, 3. Aufl. 2003, Rdnr. 19.

1087Der Anaesthesist 11 · 2005 |

sist sei nen Ver si che rungs schutz für gut-

ach ter li che Tä tig keit dem Grun de und der

Höhe nach über prü fen!18

Auch straf recht lich kann ein falsches

Gut ach ten Kon se quen zen nach sich zie-

hen, so z. B., wenn der Gut ach ter in der

münd li chen Ver hand lung sei ne Wahr heits-

pflicht vor sätz lich bzw. un ter Eid auch

fahr läs sig ver letzt (§§ 153, 154, 163 Straf-

ge setz buch, StGB), eine falsche Ver si che-

rung an Ei des statt vor sätz lich oder fahr-

läs sig ab gibt (§§ 156, 163 StGB), die Straf-

ver fol gung ver hin dert oder zu ver hin dern

ver sucht (§ 258 Abs. 1, Abs. 4 StGB), mit ei-

nem falschen Gut ach ten ei ner Pro zess par-

tei hilft oder zu hel fen ver sucht (Bei hil fe

zum Be trug, §§ 27, 263 Abs. 1 und 2 StGB),

mit ei nem un rich ti ges Gut ach ten den Frei-

heits ent zug be wirkt oder ein un rich ti ges

Ge sund heits zeug nis aus stellt.

Alle die se zu letzt ge nann ten Fäl le set-

zen al ler dings zu min dest Vor satz vo raus,

der im Re gel fall nicht ge ge ben ist, so dass

der Sach ver stän di ge vor al lem das neue

zi vil recht li che Haf tungs ri si ko er ken nen

und ver si che rungs mä ßig Vor sor ge tref fen

soll te.

Kor re spon die ren der Au torProf. Dr. Dr. K. Ul sen hei mer

Ma xi mi lians platz 12, 80333 Mün chenE-Mail: Ul sen hei [email protected]

In ter es sen kon flikt: Der kor re spon die ren de Au tor ver si chert, dass kei ne Ver bin dun gen mit ei ner Fir ma, de ren Pro dukt in dem Ar ti kel ge-nannt ist, oder ei ner Fir ma, die ein Kon kur renz-pro dukt ver treibt, be ste hen.

18 Sie he dazu BDA ak tu ell, Jahrg. 4, 2004, Aus ga be 2, E. Weis, Haf tung des ge richt li chen Sach ver stän di gen.

E. Nagel, D. Löhlein (Hrsg.)Pichelmayrs Chirurgische TherapieAllgemein-, Viszeral- und Transplanta-tionschirurgie

Berlin Heidelberg New York: Springer Ver-lag 2006, 3., völlig neu bearbeitete Auflage, 920 S., 46 Abb., 64 Tab., (ISBN 3-540-65980-3), 99.00 EUR

Das deutschspra-chige Lehrbuch der Chirurgie von Pichlmayr hatte einen ganz konkre-ten Praxisbezug. Das gilt auch für die 3. Auflage, die vollständig überar-beitet wurde, aber

im Grundsatz unverändert bestehen blieb. Das Buch ist somit für den praktischen

Gebrauch aller im chirurgischen Bereich Arbeitenden gedacht. Es ist sehr übersicht-lich und formal weitgehend standardisiert, so dass die einzelnen Themengebiete mit Definitionen, Diagnostik, Differentialdi-agnostik, Operationsindikationen und operativer Therapie sowie Vor- und Nach-behandlung eindeutig geschildert und erklärt werden.

Die Ausführungen sind didaktisch gut aufgebaut. Das schnelle Auffinden der gewünschten Kapitel wird durch ein Dau-menregister erleichtert. Dadurch ist das Buch eine wertvolle Hilfe in der täglichen Arbeit. Das Buch deckt die Anforderungen zur Facharztweiterbildung der Chirurgie ab, wobei der gesamte chirurgische Be-handlungsablauf und seine Möglichkeiten vermittelt werden.

Durch eine Begleit-DVD wird die Lern-möglichkeit für den Leser weiter erhöht.

Dem Verlag ist zu danken, dass sie diese Neuauflage in einer vorbildlichen Aufma-chung und Form herausgebracht hat.

Um dem Leser den visionären Charak-ter von Rudolf Pichlmayr nahe zu bringen, wurden seine jeweiligen Vorbemerkungen zu den einzelnen Kapiteln im wesent-lichen beibehalten und lediglich durch neue Anmerkungen ergänzt. Auch neuere operative Techniken, wie das laparoskopi-sche Vorgehen, wurden in den jeweiligen

Anwendungsgebieten berücksichtigt und eine Wertung im Vergleich zum konventio-nellen Vorgehen vorgenommen.

Insgesamt findet sich eine spannende Synopse bewährter und aktueller didak-tischer Strategien zur Vermittlung des gesamten Wissensspektrums im Bereich der Allgemein-, Viszeral- und Transplantati-onschirurgie.

Eine in 30 Jahren gewachsene chirur-gische Schule, die wesentliche Inhalte der chirurgische Versorgung weiter entwickelt hat, bietet somit dem Leser ein gut nach-vollziehbares System, das den gesamten chirurgischen Behandlungsablauf und seine Möglichkeiten vermittelt.

Dies ist einzigartig in der Literatur.

J. Sökeland (Dortmund)

Buchbesprechungen

1088 | Der Anaesthesist 11 · 2005