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Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139) 87 Der Satz des Pythagoras Eine fachübergreifende Unterrichtsreihe mit mathematikhistorischen Bezügen in einer 9. Klasse Martin Mattheis Inhalt 1. Einführung in das Thema 1.1 Einführung in das Thema von Seiten der Mathematik 1.2 Einführung in das Thema von Seiten der Geschichte 1.2.1 Pythagoras und die Pythagoreer 1.2.2 Humanismus gegen Technisierung 1.3 Einführung in das Thema von Seiten der Geschichte der Mathematik 2. Gliederung der Unterrichtsreihe 3. Planung der Einzelstunden 3.1 Mathematikdoppelstunde I und II Thema: Formulierung und Beweis des Satzes des Pythagoras für rechtwinklige Dreiecke. 3.2 Mathematikstunde III Thema: Aufgaben zum Satz des Pythagoras 3.3 Geschichtsstunde IV Thema: Pythagoras von Samos und die Pythagoreer 3.4 Mathematikstunde V Thema: Pythagoreische Zahlentripel 3.5 Mathematikstunde VI Thema: Algorithmus zur Bestimmung Pythagoreischer Zahlentripel 3.6 Mathematikstunde VII Thema: Pythgagoreische Zahlentripel in Babylonien und Ägypten 3.7 Mathematikstunde VIII Thema: Die Umkehrung des Satzes des Pythagoras 3.8 Geschichtsstunde IX Thema: Die Berliner Schulkonferenz vom 6. bis zum 8. Juni 1900 4. Fazit 5. Literaturverzeichnis 6. Anhang Hinweise zu den Arbeitsmaterialien Kopiervorlagen für Arbeitsblätter und Folien

Der Satz des Pythagoras - didaktik.mathematik.uni … · Götter die Welt nach Zahlenverhältnissen erschaffen hatten, war - neben der asketischen ... Griechische Welt. Martin Mattheis:

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Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

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Der Satz des Pythagoras

Eine fachübergreifende Unterrichtsreihe mit mathematikhistorischen Bezügen in einer 9. Klasse

Martin Mattheis

Inhalt

1. Einführung in das Thema

1.1 Einführung in das Thema von Seiten der Mathematik

1.2 Einführung in das Thema von Seiten der Geschichte

1.2.1 Pythagoras und die Pythagoreer

1.2.2 Humanismus gegen Technisierung

1.3 Einführung in das Thema von Seiten der Geschichte der Mathematik

2. Gliederung der Unterrichtsreihe

3. Planung der Einzelstunden

3.1 Mathematikdoppelstunde I und II Thema: Formulierung und Beweis des Satzes des Pythagoras für rechtwinklige Dreiecke.

3.2 Mathematikstunde III Thema: Aufgaben zum Satz des Pythagoras

3.3 Geschichtsstunde IV Thema: Pythagoras von Samos und die Pythagoreer

3.4 Mathematikstunde V Thema: Pythagoreische Zahlentripel

3.5 Mathematikstunde VI Thema: Algorithmus zur Bestimmung Pythagoreischer Zahlentripel

3.6 Mathematikstunde VII Thema: Pythgagoreische Zahlentripel in Babylonien und Ägypten

3.7 Mathematikstunde VIII Thema: Die Umkehrung des Satzes des Pythagoras

3.8 Geschichtsstunde IX Thema: Die Berliner Schulkonferenz vom 6. bis zum 8. Juni 1900

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

6. Anhang Hinweise zu den Arbeitsmaterialien Kopiervorlagen für Arbeitsblätter und Folien

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1. Einführung in das Thema

Fragt man Nichtmathematiker danach, was sie von ihrem Mathematikunterricht in der Schule behalten haben, so wird von den meisten die Formel a² + b² = c² zum Satz des Pythagoras genannt. Will man genauer wissen, worum es beim Satz des Pythagoras geht, wozu er zu gebrauchen ist, oder wer denn Pythagoras - nach dem dieser Satz benannt ist - war, so stößt man fast immer ins Leere.

Deshalb versucht die vorliegende Unterrichtsreihe, dem Satz des Pythagoras Relevanz im Leben der Schüler zu verleihen. Vornehmliches Mittel, um dieses zu erreichen, ist der fachübergreifende Griff in die Geschichte (der Mathematik). Indem die Schüler Pythagoras und die Pythagoreer als in der Geschichte handelnde Menschen kennen lernen, gewinnen diese Aktualität. Der mit der Entdeckung irrationaler Zahlen einhergehende Zusammenbruch der pythagoreischen Religion kann auch heute noch betroffen machen. Die mit der Umkehrung des Satzes des Pythagoras einhergehende Methode Rechte Winkel zu konstruieren, die auch heute noch täglich von Handwerkern angewendet wird, zeigt zusätzlich einen direkten Nutzen. Mit der hier vorliegenden Unterrichtsreihe ist deshalb die Hoffnung verbunden, den Schülern mehr zu vermitteln als nur die Formel a² + b² = c².

Der problemorientierten Geschichtsdidaktik entsprechend, stehen die beiden Geschichtsstunden unter einem leitenden Problemziel.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden die Begriffe Schüler und Lehrer geschlechtsneutral benutzt. Hier und im Folgenden sind mit Schüler also immer Schülerinnen und Schüler, mit Lehrer immer Lehrerinnen und Lehrer gemeint.

1.1 Einführung in das Thema von Seiten der Mathematik

„Die Geometrie besitzt zwei große Schätze: einer ist der Satz von Pythagoras, der andere die Teilung einer Strecke nach dem äußeren und mittleren Verhältnis. Den ersten dürfen wir mit einem Scheffel Gold vergleichen; den zweiten nennen wir ein kostbares Juwel.“

Johannes Kepler (1571-1630) [zitiert nach Wittmann 1987 S. 147]

Nicht nur zur Zeit Keplers wurde der Satz des Pythagoras zu den wichtigsten Sätzen der Geometrie gezählt; auch heute beurteilt man dies noch so. Seine Bedeutung ergibt sich aus den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, bei denen man mit zwei gegebenen Seitenlängen und dem Satz des Pythagoras die dritte Seite eines rechtwinkligen Dreiecks berechnen kann.

Vor allem in der elementaren Geometrie findet man häufig rechtwinklige Dreiecke oder kann gegebene Figuren so ergänzen, dass rechtwinklige Dreiecke entstehen; aber auch in der Vektorrechnung der Oberstufe benutzt man den Satz des Pythagoras zur Längenberechnung.

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Benannt ist dieser geometrische Lehrsatz nach dem griechischen Mathematiker und Naturphilosophen Pythagoras von Samos (ca. 570-500 v.Chr.). Die Frage, ob der Beweis des Satzes, der seinen Namen trägt, tatsächlich von Pythagoras selbst stammt, ist in der Mathematikgeschichte umstritten. Es erscheint wahrscheinlicher, dass der Beweis erst von späteren Pythagoreern, also Schülern des Pythagoras, stammt [Kaiser S. 122]. Deshalb wäre es korrekter, den Satz des Pythagoras als pythagoreischen Lehrsatz, im Sinne eines von den Pythagoreern stammenden Satzes, zu bezeichnen. Da er jedoch üblicherweise als Satz des Pythagoras bezeichnet wird, soll in dieser Unterrichtsreihe im Sinne einer didaktischen Reduktion Pythagoras als der Urheber des Beweises aufgefasst werden.

Zum Satz des Pythagoras sind etwa 400 Beweise bekannt. Diese große Zahl unterstreicht seine herausragende Bedeutung sowohl für die Mathematik als auch für viele Anwendungen [siehe dazu Fraedrich S. 19-67]. Aus der großen Anzahl von Beweisen, die sich ganz grob in eher geometrisch und eher algebraisch geführte unterteilen lassen, ergibt sich zur Behandlung des Satzes von Pythagoras im Mathematikunterricht eine Vielzahl von Einstiegsmöglichkeiten und Behandlungsschwerpunkten.

Als klassischer, rein geometrisch geführter Beweis gilt der bei Euklid erwähnte, der implizit den Kathetensatz benutzt und diesen ebenfalls beweist [Euklid Satz I 47]. Dieser Weg findet sich in vereinfachter Form auch in den meisten modernen Schulbüchern wieder. Dabei wird der Beweis des Kathetensatzes vorangestellt und dann daraus der Satz des Pythagoras gefolgert.

Es bietet sich jedoch auch die Chance, den Schülern den Satz des Pythagoras als ein Verbindungsglied von Geometrie und Algebra vorzuführen und so die Erkenntnis zu vermitteln, dass es sich bei diesen beiden mathematischen Teilbereichen nicht um zwei unabhängige Disziplinen handelt. Diese Chance soll mit der hier durchgeführten Unterrichtsreihe zum Satz des Pythagoras genutzt werden, die damit auch als innermathematisch fächerverbindend bezeichnet werden könnte.

Der in der vorliegenden Unterrichtsreihe verwendete Beweis führt aufgrund der vorwiegend algebraischen Argumentationen fast automatisch zu den pythagoreischen Zahlentripeln und der Fermatschen Vermutung. Der Weg von den pythagoreischen Zahlentripeln zur Umkehrung des Satzes des Pythagoras wird direkt aus der Mathematikgeschichte gefolgert und beinhaltet die Verwendung der Umkehrung im alten Ägypten.

Auch der Beweis der Umkehrung des Satzes des Pythagoras benutzt wieder sowohl algebraische als auch geometrische Argumentationen und zeigt erneut eine Verbindung zwischen diesen beiden mathematischen Teildisziplinen.

Die im Lehrplan Mathematik nicht verbindlich vorgesehene Behandlung der Pythagoreischen Zahlentripel wurde aus zwei Gründen ins Auge gefasst:

1) Die Einführung des Begriffes der Pythagoreischen Zahlentripel drängt sich bei der Behandlung der Umkehrung des Satzes des Pythagoras geradezu auf.

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2) Ein noch entscheidenderer Grund war jedoch das Ziel, den Schülern bei der vorliegenden Unterrichtsreihe nicht nur den mathematischen Inhalt des Satzes des Pythagoras zu vermitteln, sondern sie gleichzeitig mit den Denkweisen der Glaubensgemeinschaft der Pythagoreer vertraut zu machen. Zu diesem Zweck erscheinen die mit den Pythagoreischen Zahlentripeln in Zusammenhang stehenden zahlentheoretischen Überlegungen besonders gut geeignet.

Ein weiterer Vorteil der isolierten Betrachtung des Satzes des Pythagoras besteht darin, dass dadurch die Schüler seine überragende Bedeutung wesentlich besser verinnerlichen. Behandelt man zunächst den Satz des Pythagoras nur zusammen mit seiner Umkehrung und den Pythagoreischen Zahlentripeln und erst im Anschluss an diese Unterrichtsreihe die Kathetensätze und den Höhensatz, so erscheint der Satz des Pythagoras wesentlich bedeutsamer, als wenn er zusammen mit Kathetensätzen und Höhensatz nur als ein Satz unter vielen erscheint.

Der klassische Weg zur Einführung des Satzes des Pythagoras über den Kathetensatz scheint stark an fachwissenschaftlicher Systematik orientiert zu sein:

Die Reihenfolge Definition Hilfssatz Hauptsatz (wobei der Hilfssatz im Beweis des Hauptsatzes benutzt wird) wird erfüllt. Als Definition gilt hierbei die Definition von Katheten und Hypotenuse, dem Hilfssatz entsprechen die Kathetensätze und als Hauptsatz und Höhepunkt folgt dann der Satz des Pythagoras.

Der in der hier vorliegenden Unterrichtsreihe gewählte Weg orientiert sich dagegen primär am Schüler. Mit dem Pythagoras-Puzzle erfolgt ein anschaulich-intuitiv erfassbarer Einstieg, der dann im Beweis zur Verallgemeinerung führt. Mit Hilfe der Mathematikgeschichte sollen im weiteren Verlauf der Reihe dem Erkenntnisbereich der Schüler zugängliche und motivierende Fragestellungen eingebracht werden, an die dann mathematisch angeknüpft wird. Dem Prinzip des entdeckenden Lernens folgend, soll den Schülern Mathematik als lebendige Wissenschaft und nicht als fertiges Gedankengebäude erlebbar gemacht werden.

Die Anwendungen des Satzes von Pythagoras bei der Berechnung von Streckenlängen an Körpern im Raum, wie die Bestimmung der Raumdiagonale eines Quaders oder der Seitenlänge von Pyramiden, sowie Entfernungsmessungen im Koordinatensystem sollten, ebenso wie die Behandlung von Kathetensatz und Höhensatz, im Anschluss an diese Unterrichtsreihe durchgeführt werden.

1.2 Einführung in das Thema von Seiten der Geschichte

1.2.1 Pythagoras und die Pythagoreer

Hört man heute den Namen des Pythagoras von Samos, so stellt man sich einen im modernen Sinne mathematische Forschung betreibenden Wissenschaftler, wie David Hilbert, Leonhard Euler oder Carl Friedrich Gauß vor. Dieses Bild muss jedoch korrigiert werden. Von seinen Zeitgenossen wurde Pythagoras als einer von vielen religiösen Propheten angesehen. Aufgrund der Struktur der von ihm gegründeten, hierarchisch gegliederten und nach außen abgeschotteten Glaubensgemeinschaft

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würden wir die Pythagoreer, wenn sie heute noch bestehen würden, nicht als wissenschaftliche Schule, sondern wohl eher als Sekte bezeichnen [Kaiser S. 14].

Das Leben in der Gemeinschaft war durch asketisches Klosterleben, Gütergemeinschaft, eine ausschließlich vegetarische Ernährungsweise und den Verzicht auf Alkohol bestimmt. Inhaltliche Grundlage war der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele und damit an die Seelenwanderung, d.h. die Wiedergeburt der Seele in Mensch oder Tier.

Es gab zu dieser Zeit im griechischen Kulturraum einige Mysteriendienste, die ihren Anhängern das ewige Leben in Aussicht stellten. Das Besondere an den Pythagoreern war die Art und Weise, auf die ihrer Meinung nach die Seele so gereinigt werden könne, dass sie sich zum Göttlichen erhebe und damit dem Kreislauf der Wiedergeburt entgehe. Da nach der Meinung der Pythagoreer, die Götter die Welt nach Zahlenverhältnissen erschaffen hatten, war - neben der asketischen Lebensweise - alleine das Ergründen dieser in der Natur vorkommenden Zahlenverhältnisse, also die Beschäftigung mit Mathematik, der Weg die Seele zu läutern und zum Göttlichen zu erheben. Die Beschäftigung mit Mathematik hatte also, im Gegensatz zu heute, religiösen Charakter.

Anders als bei den Babyloniern und Ägyptern bedeutete für die Pythagoreer Beschäftigung mit Mathematik vor allem exaktes Beweisen mathematischer Sachverhalte. Nach der Entdeckung, dass bei Saiteninstrumenten harmonische Tonintervalle erzeugt werden, wenn die Saitenlängen im Verhältnis ganzer Zahlen stehen, fügten sich Musik, Harmonie und Zahlenlehre zu den drei Grundelementen des pythagoreischen Glaubens zusammen [Van der Waerden 1956 S. 151-168].

Die Angaben über das Geburtsjahr des Pythagoras von Samos schwanken zwischen 600 und 570 v.Chr. [Van der Waerden 1979 S. 13-20]. Gesichert ist, dass er seine Heimatinsel Samos verließ. Er reiste zunächst zu Thales nach Milet und von dort weiter nach Phönizien, Ägypten und Mesopotamien, wo er die verschiedenen religiösen Kulte, aber auch die hochentwickelte babylonische und altägyptische Mathematik und Astronomie kennenlernte.

Um 529 v.Chr. gründete Pythagoras in der süditalienischen Stadt Kroton die Glaubensgemeinschaft der Pythagoreer. Durch den engen Zusammenhalt der Glaubensgemeinschaft gelangte diese in Kroton zu erheblichem politischen Einfluss, weswegen sie im Jahre 510 v.Chr. von dort vertrieben wurde. Danach ließ sich Pythagoras mit seinen Anhängern in der süditalienischen Stadt Metapont nieder, wo er um 500 v.Chr. verstarb [Wussing/Arnold, S. 19-20].

Wie für viele religiöse Geheimbünde war auch für die Gemeinschaft der Pythagoreer die strikte Geheimhaltung ihrer Erkenntnisse, die nicht nach außen getragen werden durften, kennzeichnend. Das geheime Erkennungszeichen der Pythagoreer war das Pentagramm. Mit dem Namen Drudenfuß wurden ihm bis in die Neuzeit magische Kräfte bei der Abwehr böser Geister zugeschrieben. Es besteht die Möglichkeit, dass

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Schülern das Pentagramm durch Jugendbücher wie Krabat von Otfried Preußler oder Fantasy-Rollenspiele als magisches Zeichen bekannt ist.

Auf die Unzahl von Legenden, die über Pythagoras überliefert sind, auf deren Glaubwürdigkeit, sowie auf die nach dem Tode des Meisters stattgefundene Spaltung der Pythagoreer in Akusmatiker und Mathematiker soll hier nicht näher eingegangen werden [Van der Waerden 1979, S. 44-63 bzw. S. 64-99].

Nach dem Tode des Pythagoras geriet die Grundlage des pythagoreischen Glaubens - der davon ausging, dass die ganze Natur nach (rationalen) Zahlenverhältnissen aufgebaut ist - durch die wahrscheinlich von Hippasos von Metapont gemachten Entdeckung irrationaler Zahlen ins Wanken [Mainzer, S. 30].

Obwohl eine Geschichtsstunde über Pythagoras von Samos von der zeitlichen Einordnung im Lehrplan Geschichte eigentlich im Stoffbereich 3: Griechische Welt der 7. Klasse liegen müsste, spricht neben der fachübergreifenden Bedeutung für die Mathematik auch manches dafür, anhand der Lebensgeschichte des Pythagoras in der 9. Klasse Grundlagen der griechischen Geschichte zu wiederholen. Ein Verständnis der im Neuhumanismus vorherrschenden Rückbesinnung auf die Werte der Antike und die dortige Verlagerung des Interesses von den Römern zu den Griechen setzt Kenntnisse über die griechische Antike voraus.

1.2.2 Humanismus gegen Technisierung

Der Streit der neuhumanistischen Bildungsrichtung gegen Anhänger der zunehmenden Technisierung passt im Lehrplan Geschichte in die Stoffbereiche 14: Die wirtschaftliche und staatliche Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhundert oder 15: Die Industrielle Revolution der 9. Klasse. Die neuhumanistische Rückwendung zur Antike wurde in Deutschland vor allem vom gebildeten Bürgertum getragen; humanistische Bildung wurde zu dem Bildungsideal schlechthin.

Zur Vereinfachung, und um vom Thema ablenkende Rückfragen auf den ursprünglichen Humanismus zu vermeiden, wurde der Neuhumanismus in der vorliegenden Unterrichtsreihe als Humanismus des 19. Jahrhunderts bezeichnet. Da die Ziele des Neuhumanismus mit denen des Humanismus im ausgehenden Mittelalter weitgehend identisch sind, ist eine solche Reduktion inhaltlich zu rechtfertigen.

Im Zuge der zunehmenden Industrialisierung und Technisierung der modernen Welt entstand im 19. Jahrhundert ein immenser Bedarf an Ingenieuren, Technikern und Kaufleuten, zu deren adäquater Ausbildung die humanistische Bildung nicht geeignet war. So entstanden neben den humanistischen Gymnasien neue Realgymnasien und Oberrealschulen, deren Abschluss zunächst nur zum Studium an einer Technischen Hochschule, nicht aber an einer Universität berechtigte.

Der zunehmende Streit zwischen Anhängern einer humanistischen und einer technischen Bildung mündete so in einem Streit der Gleichwertigkeit von Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen. Diese Gleichwertigkeit setzte der preußische

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König (und deutsche Kaiser) Wilhelm II. nach der preußischen Schulkonferenz des Jahres 1900 per Dekret fest [Mattheis 2000].

Im Mathematikunterricht der höheren Schulen manifestierte sich der Gegensatz von humanistischer und technischer Bildung an der Streitfrage, ob Euklidische Geometrie oder der moderne Funktionsbegriff die Grundlage des Mathematikunterrichts bilden solle. Dabei erscheint es eher unwahrscheinlich, dass innerhalb der Deutschen Mathematikervereinigung starke Tendenzen vorhanden waren, die sich für die Beibehaltung der Euklidischen Geometrie als Grundlage des Mathematikunterrichts stark gemacht hatten.

In der 2. Geschichtsstunde der vorliegenden Unterrichtsreihe über Die Berliner Schulkonferenz vom 6. bis zum 8. Juni 1900 wurde dieser Gegensatz trotzdem konstruiert, um die Schüler durch den Widerstreit zweier Gruppen anzuspornen, sich mit den Inhalten des Streites auseinanderzusetzen. Außerdem können sich die Schüler sowohl unter Euklidischer Geometrie, als auch unter dem Begriff einer Funktion - der zu Beginn der 9. Klasse explizit eingeführt wurde - etwas vorstellen, so dass der Streit zwischen humanistischer und technischer Bildungsrichtung nicht abstrakt bleibt, sondern für sie konkret zu fassen ist.

1.3 Einführung in das Thema von Seiten der Geschichte der Mathematik

Neben den bereits vorgestellten - bezüglich des mathematischen Inhaltes verschiedenen Herangehensweisen an den Satz des Pythagoras - bieten sich auch unterschiedliche grundlegende methodisch-didaktische Aspekte an.

Die hier vorliegende Unterrichtsreihe zum Satz des Pythagoras wechselt fachübergreifend in das Fach Geschichte über und arbeitet dort mit historischen Arbeitstechniken und Methoden, anstatt sich auf im Fach Mathematik gehaltene Referate über historische Sachverhalte zu beschränken. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden, soweit dies möglich ist, wieder für die Mathematik nutzbar gemacht. Dadurch entsteht wirklich fachübergreifender oder sogar fächerverbindender Unterricht.

Aus Schülersicht bestehen große Unterschiede zwischen dem logisch-formalen Denken im Mathematikunterricht und dem aufgrund mangelndem Faktenwissen oftmals hypotetischen Argumentieren einer Geisteswissenschaft wie Geschichte. In der Mathematik lassen sich Fehler für die meisten Schüler offensichtlich falsifizieren, wohingegen es im Geschichtsunterricht nahezu unmöglich ist, Behauptungen und Thesen unmittelbar zu überprüfen, wenn man nicht auf ein Machtwort des allwissenden Lehrers vertrauen will [Windmann S. 24].

In einem streng fachwissenschaftlich ausgerichteten Mathematikunterricht scheint die Geschichte der Mathematik überflüssig zu sein: Ein mathematischer Lehrsatz gilt, wenn er bewiesen ist; die Geschichte seiner Entdeckung ist dazu unerheblich.

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Der Sinn einer geschichtlichen Einbettung mathematischer Erkenntnisse besteht jedoch darin, den Schülern zu verdeutlichen, dass Mathematik kein fertiges, in sich glattes System einer abgeschlossenen Theorie, sondern eine lebendige, von Menschen gemachte Wissenschaft ist. Die Geschichte einer solchermaßen entstehenden Mathematik steht im Wechselbezug zu Geistes-, Kultur- und Sozialgeschichte und ist gleichzeitig auch die Geschichte der Mathematik betreibenden Menschen.

Mit der Kenntnis der Lebensgeschichte von bedeutenden Mathematikern wird die Mathematik weniger abstrakt und dadurch, dass sie die mathematischen Erkenntnisse an ihnen bekannten historischen Persönlichkeiten festmachen können, für die Schüler lebendiger und greifbarer [Mäder S. 57]. Mit Hilfe der Geschichte der Mathematik soll im Mathematikunterricht nicht nur die Wissenschaft Mathematik vermittelt werden, sondern zusätzlich aufgezeigt werden, dass jede Wissenschaft auf der Begegnung und Kommunikation zwischen denkenden Menschen aufgebaut ist [Windmann, S. 25].

Vielen Lehrern erscheint es problematisch, historische Inhalte organisch in den Mathematikunterricht zu integrieren. Dabei sollen historische Inhalte kein zusätzlicher Stoff, sondern ein Hilfsmittel sein, um mathematischen Inhalten einen Sinn zu geben. Weil die meisten mathematischen Begriffe und Techniken irgendwann einmal als Antwort auf konkrete Probleme und Fragen von Menschen entwickelt wurden, kann man diese Probleme und Fragen wiederum für den Unterricht nutzbar machen - so zum Beispiel die Umkehrung des Satzes des Pythagoras zur Konstruktion Rechter Winkel. Geschichte der Mathematik soll also dazu dienen, dem Lernenden die eigentliche Bedeutung von mathematischen Begriffen und Techniken näher zu bringen [Jahnke1991 S. 6 und 11].

Ein großes Problem bei der Einbringung historischer Sachverhalte in den Mathematikunterricht besteht darin, dass dies allzu häufig in der Form eines reinen Lehrervortrages geschieht. Dies alleine kann jedoch auf keinen Fall ausreichen, wenn man den Mathematikunterricht geschichtlich durchdringen will. Die historische Einbettung sollte auch nicht dazu führen, nun auch noch im Mathematikunterricht historische Daten, Namen und Fakten auswendigzulernen (und diese danach ebenso schnell wieder zu vergessen). Es sollten vielmehr historische Strukturen und Kontexte prinzipieller Art erkannt und verinnerlicht werden.

Dazu sollen bewusst historische Arbeitsweisen, z.B. zur Analyse eines Quellentextes, angewandt und für die Mathematik nutzbar gemacht werden [Windmann S. 26-30].

Eine andere Möglichkeit, die Geschichte der Mathematik gewinnbringend im Mathematikunterricht zu verwenden, besteht darin, historische Probleme, Aufgaben und Fragestellungen zur Motivation einzusetzen. Dazu müssen historische Aufgaben nicht unbedingt originalgetreu übernommen werden [G. Schmidt S. 31-36]. Bei der Anpassung an die gegebene Unterrichtssituation sollte der Lehrer jedoch soviel Fingerspitzengefühl besitzen, die Aufgabenstellungen nur so zu verändern, dass sie

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realistisch und historisch wahr sein könnten (Ein 100-Meter-Läufer, der für 100 Meter nur 4 Sekunden benötigt, wirkt unglaubwürdig.). Dabei wäre es jedoch bedauerlich, wenn der historische Anteil der Stunde ausschließlich als Aufhänger diente und danach komplett zurückträte [Windmann S. 30].

Aus den dargelegten Gründen wird aus meiner Sicht in Zukunft die Verbindung von Mathematik und (ihrer) Geschichte neben der als klassisch zu bezeichnenden Verbindung von Mathematik und Physik an Bedeutung zunehmen.

Pythagoras Vor und nach der Erfindung seines Lehrsatzes

Münchner Fliegende Blätter 1886

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2. Gliederung der Unterrichtsreihe

Mathematikdoppelstunde I und II Thema: Formulierung und Beweis des Satzes des Pythagoras

für rechtwinklige Dreiecke Material: Pythagoras-Puzzle, Arbeitsblatt 1 und Folien 1 – 4 Sozialformen: EA, LV, OH, TA, UG

Mathematikstunde III

Thema: Aufgaben zum Satz des Pythagoras Material: Arbeitsblatt 1 und Folie 5 Sozialformen: EA, F-A, OH, TA, UG

Geschichtsstunde IV

Thema: Pythagoras von Samos und die Pythagoreer Material: Arbeitsblatt 2 und Folie 6 Sozialformen: GA, OH, (TA), UG

Mathematikstunde V

Thema: Pythagoreische Zahlentripel Material: Arbeitsblatt 1 und Folie 5 Sozialformen: F-A, EA, LV, OH, UG

Mathematikstunde VI

Thema: Algorithmus zur Bestimmung Pythagoreischer Zahlentripel Material: Arbeitsblatt 3 Sozialformen: LV, OH, StA, UG

Mathematikstunde VII

Thema: Pythagoreische Zahlentripel in Babylonien und Ägypten Material: Arbeitsblatt 4 und Folien 7 + 8 und Karte des Zweistromlandes Sozialformen: F-A, LV, OH, UG

Mathematikstunde VIII

Thema: Die Umkehrung des Satzes von Pythagoras Material: Arbeitsblatt 4 und Folie 7 Sozialformen: F-A, LV, TA, UG

Geschichtsstunde IX

Thema: Die Berliner Schulkonferenz vom 6. bis zum 8. Juni 1900 Material: Arbeitsblatt 5 und Karte des Deutschen Kaiserreiches Sozialformen: LV, OH, StA, TA, UG

Folgende Abkürzungen werden verwendet: D = Diskussion, EA = Einzelarbeit, F-A = Frage-Antwort, GA = Gruppenarbeit, LV = Lehrervortrag, OH = Overheadprojektor, PA = Partnerarbeit, StA = Stillarbeit, TA = Tafelarbeit, UG = Unterrichtsgespräch Fettdruck verweist auf Kopiervorlagen im Anhang.

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3. Planung der Einzelstunden

3.1 Mathematikdoppelstunde I und II Thema: Formulierung und Beweis des Satzes des Pythagoras für rechtwinklige Dreiecke.

3.1.1 Motivationsphase und Problemstellung (LV, EA, OH)

„Papa-Schlumpf hat Streit mit seinen Schlümpfen: Die Schlümpfe behaupten, ihre blauen Puzzle-Teile seien zusammengenommen viel größer als die roten von Papa-Schlumpf. Papa-Schlumpf hält dagegen, dass er mit seinen roten Puzzle-Teilen eine geometrische Figur legen könne, die genauso aussieht und genauso groß ist wie eine, die die Schlümpfe mit ihren blauen Teilen legen können. Wer hat recht?“

Lösung des an jeden Schüler ausgeteilten Pythagoras-Puzzles in Einzel- oder Partnerarbeit.

Auflösung des Pythagoras-Puzzles am Overheadprojektor.

Die Einstiegsgeschichte soll die durch die Aufteilung der Puzzleteile in rote und blaue herbeigeführte Unterscheidung der zwei Quadrate verstärken. Durch die Einbindung der Klasse in den Streit der Schlümpfe mit Papa-Schlumpf müssen die Schüler das (mathematische) Problem lösen, um zu entscheiden, wer recht hat.

Die Dreiecksseiten wurden bei der Erstellung des Pythagoras-Puzzles so gewählt, dass mit (3;4;5) ein Pythagoreisches Zahlentripel entsteht. Dies soll die spätere Behandlung der Pythagoreischen Zahlentripel vorbereiten und es ermöglichen, dass die Seitenlängen in Lernschritt 3.1.6 zusammen mit den Seitenlängen der anderen Dreiecke auf Folie 2 abgemessen werden können.

3.1.2 Problemstellung (UG, OH)

Benennung der Dreieckseiten mit a, b und c (Folie 1). Auf den ersten Blick scheinen das rote und das blaue Quadrat gleich groß zu sein. „Wie können wir überprüfen, ob das stimmt, ob Papa-Schlumpf also wirklich recht hat?“

Sofern die Schüler dies nicht von sich aus bemerken, gibt der Lehrer mit der Benennung der Dreiecksseiten an, dass alle acht Dreiecke des Puzzles kongruent sind. Falls den Schülern der Begriff kongruent nicht mehr geläufig ist, kann hierbei zunächst auch gleich gesagt werden.

Dass es sich dabei um rechtwinklige Dreiecke handelt, wird absichtlich nicht vertieft, und falls es von den Schülern nicht erwähnt wird auch gar nicht angesprochen.

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Der Augenschein, dass die zusammengelegten Quadrate gleichgroß sind, wird als Lösung nicht akzeptiert. Der Lehrer kann hierbei entweder fragen, wie denn Papa-Schlumpf seine Schlümpfe davon überzeugen kann, dass er recht hat, oder einfach verneinen, dass die Quadrate gleich groß sind. Dadurch müssen die Schüler eine Erklärung suchen, die die Schlümpfe bzw. den Lehrer überzeugt.

3.1.3 Erarbeitungsphase (UG, TA) A

rot = ? A

blau = ?

Arot

= (a+b)² = Ablau

„Ist es möglich, die Fläche der beiden Gesamtquadrate auch aus den Einzelteilen zu bestimmen?“ A

rot = 4 · (½ · a · b) + c² und A

blau = 4 · (½ · a · b) + a² + b²

A

rot = A

blau

4 · (½ · a · b) + c² = 4 · (½ · a · b) + a² + b²

c² = a² + b² „Woher kommen a, b und c?“ „Was hat c² mit c zu tun?“ Einzeichnen der Quadrate über den Seiten auf Folie 1. Bei der Durchführung des Beweises ist festzuhalten, dass an Variablen nur die Seiten des Dreieckes a, b und c benutzt werden. Weiterhin ist der geometrische Zusammenhang zwischen der Strecke c und der Fläche c² (bzw. zwischen a und a² sowie zwischen b und b²) zu klären.

3.1.4 Ergebnissicherung (UG, OH) Das „Ergebnis“ Bei einem Dreieck mit den Seitenlängen a, b und c gilt a² + b² = c². wird auf Folie 1 festgehalten. Die Schüler sollen zunächst der Meinung sein, mit dem auf Folie 1 festgehaltenen „Ergebnis“ einen allgemeingültigen Satz für alle Dreiecke erkannt zu haben. Die in der zweiten Stunde zum kognitiven Konflikt aufgebaute Suche, was an dem formulierten Satz noch nicht stimmen kann, dient einerseits der Motivation, andererseits soll den Schülern deutlich gemacht werden, dass man sich bei mathematischen Beweisen über alle (explizit und implizit) verwendeten Voraussetzungen klar sein muss. Unter der Begründung, dass der rote Kasten noch nicht ganz vollständig ist, übernehmen die Schüler zunächst nur den Beweis, nicht jedoch die falsche Behauptung, in ihr Heft. Danach folgt die 5-Minuten-Pause, die auf diese Weise eventuell auch später als vorgesehen stattfinden kann.

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Falls zum Einstieg in die Thematik keine Doppelstunde zur Verfügung steht, wäre dies auch eine gute Stelle für das Ende einer Einzelstunde. Auf Hausaufgaben sollte dann jedoch verzichtet werden, um den noch unvollständigen „Satz des Pythagoras“ nicht zu sehr verinnerlichen zu lassen.

3.1.5 Weitere Beispiele (OH, UG)

Der Lehrer führt mit Folie 2 am Overheadprojektor weitere Beispiele von Dreiecken vor, bei denen der erarbeitete Satz a² + b² = c² ebenfalls gilt: Dreieck 1, Dreieck 2 und Dreieck 3.

Bei den auf Folie 2 vorgeführten Beispielen Dreieck 1 und Dreieck 2 wird die Zustimmung der Schüler erwartet. Erst beim Beispiel Dreieck 3 mit einem gleichseitigen Dreieck ist so offensichtlich etwas falsch, dass sich breiter Protest ergeben wird.

Trotzdem zeigt der Lehrer bei allen drei Beispielen gleichmäßig jeweils auf die entsprechenden Quadrate über den Dreiecksseiten und wiederholt dabei stereotyp die erarbeitete Formel a² + b² = c².

Nachdem die Schüler festgestellt haben, dass bei Dreieck 3 etwas nicht stimmt, erhebt sich die Frage, ob dies nur bei dem ewigen Looser Dreieck 3 der Fall ist, oder ob bei den anderen Dreiecken auch „etwas faul ist“.

3.1.6 Fehlersuche (UG, LV)

„Wo liegt der Fehler bei unserem erarbeiteten Satz?“ „Was ist bei Dreieck 2 und Dreieck 3 anders als bei Dreieck 1 und den Schlümpfen?“

Vor allem die folgenden zwei Vemutungen können von Schülern erkannt und geäußert werden:

a) Es darf kein gleichschenkliges Dreieck vorliegen

(Damit wäre nur Dreieck 3 falsch).

b) Es muss ein rechtwinkliges Dreieck vorliegen

(Damit wären Dreieck 3 und Dreieck 2 falsch).

Um festzustellen, welcher von beiden Vorschlägen richtig ist, werden die Seitenlängen der Dreiecke abgemessen und die gefundenen Vermutungen durch Nachrechnen überprüft. Da sich dabei herausstellt, dass der Satz weder bei Dreieck 3 noch bei Dreieck 2 gilt, kann festgehalten werden, dass ein rechtwinkliges Dreieck vorliegen muss.

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Abmessen und nachrechnen führt zu folgender Tabelle: Schlümpfe 3² + 4² = 5² wahr

Dreieck 1 1,5² + 2² = 2,5² wahr

Dreieck 2 2² + 3² = 4² falsch

Dreieck 3 4² + 4² = 4² falsch Die Entdeckung der Tatsache, dass man ein rechtwinkliges Dreieck braucht, damit der Satz stimmt, führt zu der Frage, wo denn der rechte Winkel benötigt wird. Der untere Teil von Folie 2 zeigt, dass der vorher für die Schlümpfe durchgeführte Beweis bei Dreieck 2 nicht greift, weil kein rechtwinkliges Dreieck vorliegt. Nachdem die Schüler die Erkenntnis gewonnen haben, dass man über die Flächengleichheit der beiden Figuren auf Folie 2 unten nichts sagen kann, sollte dies nicht weiter vertieft werden.

3.1.7 Formulierung des Satzes von Pythagoras (UG, OH) Einführung der Begriffe Kathete und Hypotenuse. Der auf Folie 3 vorformulierte Satz wird von den Schülern ergänzt und dann als doppelt eingerahmter roter Kasten (d.h. als Merkregel) ins Heft übernommen:

Der Satz des Pythagoras

Im rechtwinkligen Dreieck gilt:

Die Summe der Kathetenquadrate ist gleich dem Hypothenusenquadrat.

Als Formel: a² + b² = c².

Normalerweise lasse ich mathematische Merksätze in einem einfach eingerahmten roten Kasten ins Heft übernehmen. Das doppelte Einrahmen verweist darauf, dass es sich um einen besonders wichtigen mathematischen Satz handelt. Im Sinne des historischen Arbeitens mit Originalquellen sollten die Schüler an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass es sich bei dem erarbeiteten Beweis um den pythagoreischen Originalbeweis handelt [Mainzer S. 29].

3.1.8 Festigungs- und Übungsphase (UG) Lösung der Aufgaben von Folie 4 und Aufgabe 1a) von Arbeitsblatt 1. Umsetzung der mit dem Satz des Pythagoras gewonnenen Erkenntnisse auf konkrete Aufgaben. Folie 4 soll dabei von der reinen Formel a² + b² = c² weg - und zum mathematischen Inhalt des Satzes von Pythagoras hinführen. Die Lösungen

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sollten von den Schülern genannt und dann von diesen auf der Folie eingetragen werden. Aufgabe 1 von Arbeitsblatt 1 führt zum konkreten Berechnen von Strecken in rechtwinkligen Dreiecken und liegt damit am ehesten in dem Bereich, den die Schüler vom Fach Mathematik erwarten.

3.1.9 Hausaufgaben Bearbeitung der Aufgaben 1 und 2 von Arbeitsblatt 1. Auswendiglernen des roten Kastens.

3.2 Mathematikstunde III Thema: Aufgaben zum Satz des Pythagoras

3.2.1 Einstiegsphase (F-A) Wiederholung des Satzes des Pythagoras im Wortlaut und als Formel. Zum Einstieg werden nacheinander so viele Schüler aufgefordert, den Satz des Pythagoras im Wortlaut und als Formel zu wiederholen, bis sicher ist, dass spätestens danach alle Schüler den Satz auswendig können.

3.2.2 Besprechung der Hausaufgaben (OH, TA)

3.2.3 Erarbeitungsphase (UG, OH, TA) Gemeinsame Bearbeitung der Aufgabe 3 von Arbeitsblatt 1. Falls nötig, sollte die abstrakte Aufgabenstellung mit Hilfe einer mitgebrachten Getränkedose anschaulich gemacht werden, bevor eine Skizze angefertigt wird.

3.2.4 Festigungs- und Übungsphase (EA) Bearbeitung der Aufgaben 4 und 5 von Arbeitsblatt 1 in Einzelarbeit. Zunächst sollte jeweils das rechtwinklige Dreieck von einem Schüler auf Folie 5 eingezeichnet werden.

3.2.5 Hausaufgaben Bearbeitung der Aufgabe 6 von Arbeitsblatt 1. Überlegen einer Lösungsstrategie zu den Aufgaben 7 und 8 von Arbeitsblatt 1. Die Aufgabe 6 von Arbeitsblatt 1 soll berechnet werden. Zu den Aufgaben 7 und 8 sollen die Schüler sich die Lösungsidee überlegen, aber das Ergebnis noch nicht explizit ausrechnen, da dieses in der nächsten Mathematikstunde zur Problemstellung dienen soll. Außerdem könnten die Schüler durch die krummen Ergebnisse, die diese Aufgabe als Lösungen hat, irrtümlicherweise denken, sie hätten bei der Berechnung etwas falsch gemacht.

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3.3 Geschichtsstunde IV Thema: Pythagoras von Samos und die Pythagoreer Problemziel: Pythagoras von Samos - Sektenführer oder Wissenschaftler?

3.3.1 Motivationsphase (UG) Wiederholung des Satzes des Pythagoras im Wortlaut und als Formel. „Was wissen wir über den Menschen Pythagoras, nach dem dieser bedeutende Lehrsatz benannt wurde?“

3.3.2 Erarbeitungsphase (GA) Arbeitsblatt 2 als Gruppenarbeit. Der Arbeitsauftrag lautet für alle fünf Gruppen gleich: „Fasst die wichtigsten Informationen in euerm Text per Bild oder in Stichworten so kurz auf dem Folienabschnitt zusammen, dass dem Rest der Klasse bei der Präsentation klar wird, worum es geht.“ Die Klasse wird in 5 Gruppen eingeteilt, von denen jede Gruppe einen der Einzeltexte von Arbeitsblatt 2 erhält. Dazu bekommt jede Gruppe einen Folienabschnitt, der genauso groß ist wie ihr Textabschnitt, so dass am Ende aus Folie 6 eine dem Arbeitsblatt 2 entsprechende Folie entsteht. Diese Form der Gruppenarbeit bietet sich bei historischen Themen, die - wie das hier vorliegende - aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden können, geradezu an. Die Schüler lernen hierbei, sich eine Sache selbstständig zu erarbeiten, und die dabei gewonnenen Erkenntnisse so zu präsentieren, dass die anderen, die ein unterschiedliches Thema bearbeitet hatten, die wichtigsten Informationen erhalten. Bei Stellung des Arbeitsauftrages erhält Gruppe 1 als zusätzliches Material einen historischen Weltatlas (z.B. [Putzger]), um damit den Lebensweg des Pythagoras nachzeichnen zu können.

Da den Schülern die Irrationalität von 2 bekannt ist, erscheint ihnen die Berechnung

von 2 am rechtwinkligen Dreieck mit den Kathetenlängen 1 als überzeugend für die Entdeckung der Irrationalzahlen, obwohl streng mathematisch mit der Konstruktion

von 2 noch nicht deren Irrationalität klar zum Vorschein kommt. Als zusätzlichen Lehrerimpuls kann diese Gruppe den Tipp bekommen, dass die Präsentation auch in der Form eines Rollenspiels erfolgen kann.

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3.3.3 Präsentation der Gruppenergebnisse (OH) Die einzelnen Gruppen präsentieren die Ergebnisse ihrer Arbeit am Overheadprojektor. 3.3.4 Eventuell zusätzlich mögliche Alternativschritte

Nochmalige Ergebnissicherung im Tafelbild (TA) Kontakt zu Die Welt ist orientalischer aus Zahlen Mathematik zu erklären Glaube an Pythagoras von Samos enthaltsames Seelenwanderung 570 - 500 v. Chr. Leben Gründer einer Geheimlehre exaktes Beweisen Glaubensgemeinschaft in der Mathematik Es erscheint insgesamt sehr unwahrscheinlich, dass genügend Zeit bleibt, das Tafelbild zu erarbeiten.

Begriffswiederholung (UG)

Zusammenhang des Fachbegriffes Pentagramm mit dem Fachbegriff Pentarchie. Anhand des Begriffes Pentagramm kann der im Geschichtsunterricht eingeführte Begriff der Pentarchie der fünf Großmächte Preußen, Österreich, Rußland, England und Frankreich wiederholt werden.

3.3.5 Hausaufgaben

Zur Wiederholung und Vertiefung der im Unterricht erlebten Präsentation sollen alle Texte des jetzt komplett ausgeteilten Arbeitsblattes 2 gelesen werden.

3.4 Mathematikstunde V

Thema: Pythagoreische Zahlentripel 3.4.1 Besprechung der Hausaufgaben (F-A, OH)

Eintragen der Lösungen der Aufgabe 6 von Arbeitsblatt 1 auf Folie 5.

Aufgabe 6 von Arbeitsblatt 1 ist so angelegt, dass Aufgabe 6h) als nicht lösbar erscheint, da nur eine Kathete angegeben ist. In der Auswahl der Pythagoreischen Zahlentripel der Aufgabenteile a) bis h) steckt allerdings bereits ein Lösungsansatz:

Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Aufgabenteilen a) und b): 2 · (3,4,5) = (6,8,10)

sowie e), f), g) und h): e) und f): 2 · (5,12,13) = (10,24,26)

e) und g): 3 · (5,12,13) = (15,36,39)

e) und h): 5 · (5,12,13) = (25,60,65).

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Dieser Zusammenhang soll einerseits propädeutisch zum Begriff des Pythagoreischen Zahlentripels hinführen und offenbaren, dass man aus einem gegebenen solchen Zahlentripel sehr einfach beliebig viele weitere Zahlentripel erzeugen kann. Dieses sollte dann mit Pfeilen auf Folie 5 eingetragen und von den Schülern auf Arbeitsblatt 1 übernommen werden. Andererseits soll die fehlende Angabe einer zweiten Dreiecksseite den starken Schülern im Sinne einer Inneren Differenzierung die Möglichkeit geben, diesen Zusammenhang selbst zu entdecken.

3.4.2 Problemstellung (EA, UG) Bearbeitung der Aufgaben 7 und 8 von Arbeitsblatt 1. „Was ist bei diesen Aufgaben anders als bei den bisher gelösten?“ Der eigentliche Inhalt der Stunde sind Pythagoreische Zahlentripel als ganzzahlige Lösungen des Satzes von Pythagoras. Um zu diesen hinzuführen, werden die Aufgaben 7 und 8 von Arbeitsblatt 1 gelöst. Bei den Ergebnissen fällt auf, dass diese im Gegensatz zu den bisher behandelten Aufgaben „nicht so schön aufgehen“, d.h. keine ganzzahligen Lösungen haben. Bei Zeitmangel kann auch nur eine der beiden Aufgaben gelöst, die andere als Hausaufgabe gestellt werden.

3.4.3 Erarbeitungsphase (LV) Benennung „aufgehender“ Lösungen Folgender roter Kasten wird von den Schülern in ihr Heft übernommen:

Drei ganze Zahlen a, b, c, die die Gleichung a² + b² = c² erfüllen, heißen pythagoreisches Zahlentripel (a;b;c).

Nachdem die Ergebnisse der Aufgaben 7 und 8 als Gegenbeispiele klären, wodurch pythagoreische Zahlentripel gekennzeichnet sind, wird vom Lehrer an der Tafel die explizite Definition angegeben. Daraufhin werden im Unterrichtsgespräch einfache pythagoreische Zahlentripel genannt (z.B. (3,4,5)).

Am Beispiel von {3;4;5} = {3;5;4} und (3;4;5) (3;5;4) sollte geklärt werden, dass es - im Gegensatz zur Menge - beim Zahlentripel auf die Reihenfolge ankommt.

3.4.4 Hausaufgaben Versucht drei weitere pythagoreische Zahlentripel herauszufinden.

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3.5 Mathematikstunde VI Thema: Algorithmus zur Bestimmung Pythagoreischer Zahlentripel

3.5.1 Besprechung der Hausaufgaben (UG) Nennung verschiedener Pythagoreischer Zahlentripel. Aus der Hausaufgabe ergibt sich fast zwangsläufig die Fragestellung, ob es reiner Zufall ist, Pythagoreische Zahlentripel zu finden, oder ob es ein Verfahren zur Bestimmung gibt.

3.5.2 Algorithmus zur Bestimmung Pythagoreischer Zahlentripel (StA, OH) „In einem Archiv habe ich die Abschrift einer alten griechischen Schrift entdeckt, die aber leider total von Mäusen zerfressen ist. Versucht die Lücken zu rekonstruieren.“ Bearbeitung von Arbeitsblatt 3 in Stillarbeit. Nach der Bearbeitung in Stillarbeit wird Arbeitsblatt 3 als Folie auf den Overheadprojektor gelegt und von verschiedenen Schülern schrittweise ausgefüllt. Die Vermittlung des Algorithmus zur Bestimmung pythagoreischer Zahlentripel erfolgt aus verschiedenen Gründen in der Form eines Lückentextes. Als erstes erscheint es zu schwierig, diesen komplexen Algorithmus, bei dem einige Tricks anzuwenden sind, mit den Schülern im Unterricht selbständig zu erarbeiten. Des Weiteren ergibt sich damit die Möglichkeit eines Methodenwechsels weg von ausschließlich lehrerzentrierten Erarbeitungsstunden. Außerdem zeigt die alte Urkunde im Sinne des fachübergreifenden Ansatzes der Unterrichtsreihe, dass historische Quellen oft nur bruchstückhaft vorhanden sind und fehlende Stellen ergänzt werden müssen. Arbeitsblatt 3 ist so gestaltet, dass nicht nur der Algorithmus erarbeitet wird, sondern am Ende der neu gelernte Algorithmus an konkreten Zahlenbeispielen gefestigt wird.

3.5.3 Eventuell zusätzlich möglicher Alternativschritt (LV) Vorstellung der Fermatschen Vermutung als eines der großen erst vor kurzer Zeit gelösten mathematischen Probleme der letzten 300 Jahre: Es gibt keine ganzen Zahlen a, b und c,

welche die Gleichungen a³ + b³ = c³ bzw. a4 + b

4 = c

4, etc., erfüllen.

Diese Vermutung stammt von dem französischen Mathematiker Pierre de Fermat, der von 1601 bis 1665 lebte, und wurde erst 1995 bewiesen.

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Die Problemstellung der Fermatschen Vermutung ist für die Schüler - nachdem sie den Satz des Pythagoras und pythagoreische Zahlentripel kennen - leicht durchschaubar. Sie kann vorgestellt werden, um den Schülern zu zeigen, dass die Mathematik kein totes, fertig dastehendes Gebäude von Lehrsätzen und Formeln, sondern eine lebendige Wissenschaft ist, bei der auch in unserer Zeit noch einige simpel erscheinende Probleme offen sind und gelöst werden können. Die Fermatsche Vermutung bietet sich hierbei aus zwei Gründen an: Erstens ist die Problemstellung leicht zu erfassen und zweitens ging 1995 die Meldung, dass die Fermatsche Vermutung gelöst sei, wie ein Lauffeuer auch durch die nichtmathematische Presse (siehe z.B. [Singh]).

3.5.4 Hausaufgaben Entwickelt mit dem erarbeiteten Algorithmus 5 Pythagoreische Zahlentripel, die nicht auf Arbeitsblatt 1 enthalten sind.

3.6 Mathematikstunde VII Thema: Pythgagoreische Zahlentripel in Babylonien und Ägypten

3.6.1 Besprechung der Hausaufgaben (F-A) Nennung von pythagoreischen Zahlentripeln durch Schüler. Bei der Nennung der Pythagoreischen Zahlentripel muss ein Ausgleich gefunden werden zwischen dem Abbrechen von Schülern, die ihre Tripel nennen möchten, und allgemeiner Langeweile bei Nennung von zu vielen Tripeln.

3.6.2 Historische Einstiegsphase (F-A, LV) Wiederholung der Lebensdaten des Pythagoras. „In der letzten Stunde habt ihr bemängelt, dass die Handschrift auf der alten Schriftrolle sehr modern aussieht. Deshalb habe ich euch heute die Kopie einer echten Originalquelle aus Babylonien mitgebracht, die fast 4000 Jahre alt ist.“ Die Schüler sollen hierbei an das historische Arbeitsprinzip, nach Möglichkeit immer mit Originalquellen zu arbeiten, herangeführt werden. Die Wiederholungsfrage nach den Lebensdaten des Pythagoras soll diese bei den Schülern direkt abrufbar machen. Dadurch erhalten sie die Möglichkeit, zu erkennen, dass der Satz des Pythagoras bereits ca. 1500 Jahre vor Pythagoras bekannt war.

3.6.3 Historische Erarbeitungsphase In diesem Lernschritt wird vor allem fachübergreifend das historische Arbeiten mit Bildquellen geübt. Die aus den konkreten Bildern gewonnenen Erkenntnisse sollen für die Mathematik nutzbar gemacht werden.

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Der Babylonische Staat (OH)

Klärung der geographischen Lage Babyloniens.

Mit Hilfe einer historischen Karte des Zweistromlandes wird zunächst geklärt, wo sich Babylonien geographisch befand und welcher heutige Staat in diesem Gebiet liegt (Irak).

Dazu kann ein in jeder Schulbibliothek im Klassensatz vorhandener Geschichts-atlas (z.B. [Putzger]) verwendet werden, oder der Lehrer kann eine entspre-chende Folie vorbereiten.

Babylonische Tabelle (OH, UG)

Folie 7 zeigt eine Originalquelle aus Babylonien aus der Zeit um 2000 v.Chr.. „Was sieht man?“

Man erkennt eine Tabelle mit den Einträgen: a²/b², b, c, Zeilennummer. „Was könnte man aus der Übersetzung der Spalten mit b und c vermuten?“

Die Vermutung, dass es sich um Pythagoreische Zahlentripel handelt, wird an einzelnen Beispielen der Tabelle nachgeprüft.

Nach dem Aufdecken des unteren Teils von Folie 7, der die Übersetzung der Spalten mit b und c enthält, liegt die Vermutung nahe, dass Pythagoreische Zahlentripel vorliegen. Diese Vermutung stützt sich dabei von Schülerseite sicher zunächst auf die in der Formel zum Satz des Pythagoras vorkommenden, die Dreiecksseiten benennenden Buchstaben a, b und c, die in der Tabelle ebenfalls vorkommen. Nachrechnen mit dem Taschenrechner bestätigt die Vermutung, dass es sich um Pythagoreische Zahlentripel handelt.

Ägyptische Seilspanner (OH, UG)

Beschreibung der Originalquelle mit Landvermessern aus Ägypten auf Folie 8. „Was haben ägyptische Landvermesser mit dem Satz des Pythagoras zu tun?“ Vervollständigung des Textes unten rechts auf Arbeitsblatt 4.

Die Feststellung, dass verschiedene Personen auf der ägyptischen Originalquelle verschieden groß abgebildet sind, führt zur Wiederholung der Bilddarstellung in Ägypten, bei der die Abbildungsgröße eines Menschen dessen gesellschaftliche Stellung widerspiegelt.

Nach der Beschreibung der Originalquelle, mit Landvermessern aus Ägypten auf Folie 8, wird die untere moderne Zeichnung aufgedeckt.

Aus ihr ergibt sich durch das Pythagoreische Zahlentripel (3,4,5), dass der Satz des Pythagoras in Ägypten bei der Landvermessung zur Konstruktion rechter Winkel benutzt wurde. Um diese Erkenntnis festzuhalten, sollen die Schüler auf Arbeitsblatt 4 den Text unten rechts vervollständigen.

Falls die Schüler es nicht bemerken, wird hier vom Lehrer bewusst nicht darauf hingewiesen, dass es sich nicht um den Satz des Pythagoras, sondern um die Umkehrung des Satzes des Pythagoras handelt. Auf der Meinung der Schüler,

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dass der Satz des Pythagoras zur Konstruktion rechter Winkel benutzt wurde, soll in der nächsten Stunde ein kognitiver Konflikt aufgebaut werden.

Satz des Pythagoras? (UG)

„Wenn sowohl Babylonier, als auch Ägypter den Satz des Pythagoras schon lange vor dessen Geburt kannten, warum wurde dann dieser Lehrsatz nach Pythagoras benannt?" Obwohl sowohl Babylonier als auch Ägypter den Satz des Pythagoras schon lange vor dessen Geburt kannten, wurde dieser Lehrsatz trotzdem nach Pythagoras benannt, da die Pythagoreer die ersten waren, die diesen Lehrsatz exakt bewiesen haben.

3.6.4 Eventuell zusätzlich möglicher Alternativschritt: Ägyptische Götter (UG) Identifikation der ägyptischen Götter Osiris, Isis und Horus mit den Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks (Arbeitsblatt 4 links unten). Die Identifikation der ägyptischen Götter mit mathematischen Objekten zeigt, dass die Mathematik im alten Ägypten einen ganz anderen Stellenwert hatte als heute. Sie stellte kein ausschließlich logisches Denkgebäude dar, sondern hatte gleichzeitig eine mystische Bedeutung.

3.6.5 Hausaufgaben In der Tabelle zu der Babylonischen Tafel Plimpton 322 auf Arbeitsblatt 4 sind die Pythagoreischen Zahlentripel zu vervollständigen. Mit der Hausaufgabe wird nicht nur der Umgang mit der Formel zum Satz des Pythagoras, sondern gleichzeitig ein sinnvoller Umgang mit dem Taschenrechner eingeübt.

3.7 Mathematikstunde VIII Thema: Die Umkehrung des Satzes des Pythagoras

3.7.1 Besprechung der Hausaufgabe (F-A) Vergleich der Pythagoreischen Zahlentripel der babylonischen Tontafel Plimpton 322

3.7.2 Zuspitzung des Problems (UG) Wiederholung des Ergebnisses der letzten Stunde: „Wir können den Satz des Pythagoras nutzen, um rechte Winkel zu konstruieren.“ „Diese Aussage ist falsch!“ Der Satz des Pythagoras lautet: Im rechtwinkligen Dreieck gilt: a² + b² = c².

Wir benutzen: a² + b² = c² es liegt ein rechtwinkliges Dreieck vor. Also suchen wir die Umkehrung des Satzes des Pythagoras.

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Nachdem die Schüler sich sicher sind, als Ergebnis der letzten Stunde gelernt zu haben, dass man mit Hilfe des Satzes des Pythagoras einen rechten Winkel konstruieren kann, verneint der Lehrer dies auf das Entschiedenste. Die Schüler müssen sich mit diesem Widerspruch auseinandersetzen, um entweder den Lehrer umzustimmen, oder zu erkennen, was an der erarbeiteten Aussage falsch ist. Nachdem die Erkenntnis gewonnen ist, dass die Umkehrung des Satzes des Pythagoras - und nicht der Satz selbst - benutzt werden soll, muss noch geklärt werden, dass mit der Gültigkeit eines Satzes noch lange nicht dessen Umkehrung gilt, was die Schüler bereits am Beispiel des 2. Strahlensatzes erfahren haben. 3.7.3 Die Umkehrung des Satzes des Pythagoras (TA, UG) Voraussetzung: Gegeben ist ein Dreieck ABC mit a² + b² = c²

Gesucht: Ein rechtwinkliges Dreieck A'B'C' mit den Seitenlängen a, b und c'

Nach Voraussetzung gilt im Dreieck ABC: a² + b² = c²

Nach dem Satz des Pythagoras gilt im Dreieck A'B'C': a² + b² = c'²

c'² = a² + b² = c²

c'² = c²

c' = c

Dreieck ABC kongruent Dreieck A'B'C' (nach dem SSS-Kongruenzsatz)

ABC rechtwinklig q.e.d. Also gilt die Umkehrung des Satzes des Pythagoras:

Umkehrung des Satzes des Pythagoras Wenn die Gleichung a² + b² = c² erfüllt ist, dann hat das dazugehörige Dreieck ABC einen Rechten Winkel.

Zur besseren Verdeutlichung des gemeinsam zu erarbeitenden Beweises werden die Dreiecke ABC (mit den Seiten a, b, c) und A'B'C' (mit den Seiten a, b, c') als Skizze an die Tafel gezeichnet und die Umkehrung des Satzes des Pythagoras gemeinsam bewiesen. Der Beweis und die Umkehrung des Satzes von Pythagoras werden von den Schülern ins Heft übernommen; die Formulierung als roter Kasten. 3.7.4 Eventuell zusätzlich möglicher Alternativschritt: Die Fermatsche Vermutung Siehe oben bei 3.5.3 3.7.5 Hausaufgaben Wähle drei beliebige pythagoreische Zahlentripel und konstruiere dazu je ein rechtwinkliges Dreieck.

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3.8 Geschichtsstunde IX Thema: Die Berliner Schulkonferenz vom 6. bis zum 8. Juni 1900 Problemziel: Der Bildungsbegriff um 1900 zwischen Neuhumanismus und

Technisierung.

3.8.1 Motivationsphase (OH, UG) Vorlage einer Karte des Deutschen Reiches von 1900.

Dazu kann eine Wandkarte, ein in jeder Schulbibliothek im Klassensatz vorhandener Geschichtsatlas (z.B. [Putzger]) oder eine vom Lehrer vorbereitete Folie verwendet werden.

„Worum handelt es sich?“

Wiederholung der Staatsform des Deutschen Kaiserreiches. (Bundesstaat)

Vergleich der bundesstaatlichen Struktur der heutigen Bundesrepublik Deutschland mit dem Deutschen Kaiserreich.

Bildungspolitik ist einer der bedeutendsten Bereiche, in dem die Länder Entscheidungsbefugnisse haben (heute und damals).

Aufgrund des Einschubes der Geschichtsstunde über Pythagoras von Samos empfiehlt sich die Wiederholung der grundsätzlichen Struktur des Deutschen Reiches als Bundesstaat.

Es wird wiederholt, dass das 1871 gegründete Deutsche Reich ein aus Einzelstaaten zusammengesetzter Bundesstaat ist. In diesem Bundesstaat hat Preußen eine dominierende Stellung.

Da unsere heutige Bundesstaatlichkeit geschichtlich gewachsen ist und bereits im Deutschen Reich ähnlich ausgeprägt war wie heute, drängt sich der diesbezügliche Vergleich zwischen dem Deutschen Reich und der Bundesrepublik Deutschland geradezu auf. Außerdem sind die Schüler durch die sie betreffende Länderzuständigkeit in Bildungsfragen auf entsprechende Fragestellungen sensibilisiert.

3.8.2 Erarbeitungs- und Auswertungsphase Die Deutsche Mathematiker Vereinigung (LV, OH)

„Vom 6. bis zum 8. Juni 1900 fand in Berlin eine preußische Schulkonferenz über Fragen des höheren Schulunterrichtes statt. Dazu wurden 34 Männer als Vertreter der verschiedensten Interessengruppen eingeladen.

Auch die Deutsche Mathematikervereinigung (DMV) schickte einen Vertreter zu dieser Versammlung, der die Interessen der deutschen Mathematiker vertreten sollte.“

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Das Mittelbild von Arbeitsblatt 5 wird als Folie an die Wand projiziert.

„Beschreibt, was ihr seht.“

Das Hauptmerkmal der Versammlung ist, dass sie nur aus Männern besteht. Dadurch wird den Schülern einmal mehr deutlich, dass noch vor 100 Jahren wichtige Entscheidungen ausschließlich von Männern getroffen wurden. Streng genommen stammt das Bild nicht von 1900, sondern bereits von der Gründungsversammlung der DMV von 1890, dies kann jedoch vernachlässigt werden. Bildungsauffassungen (StA)

„Wir stellen uns jetzt vor, dass wir die DMV sind und unserem Vertreter für die Schulkonferenz einen Auftrag mitgeben wollen. Aber wie in so vielen Vereinigungen ist auch die DMV in ihrer Meinung gespalten. Sortiert die Äußerungen von Arbeitsblatt 5 und untersucht, wo der grundlegende Unterschied in der Bildungsauffassung liegt.“ Am Beispiel der Mathematik wird die um die Jahrhundertwende im Deutschen Reich vorhandene, scharf geführte Diskussion um die richtige Bildungsauffassung erarbeitet. Neuhumanisten und die Vertreter einer modernen technisch-naturwissenschaftlichen Bildung standen sich unversöhnlich gegenüber. Die Identifikation der Schüler mit Vertretern der DMV und der Auftrag, dem DMV-Vertreter Handlungsanweisungen mitgeben zu müssen, motiviert dazu, die einzelnen Äußerungen genauer zu untersuchen. Außerdem führt dies den Schülern vor Augen, dass sich einzelne gesellschaftliche Gruppen zur Vertretung ihrer Interessen auf einen gemeinsamen Nenner einigen müssen, um etwas zu erreichen. Diese Erkenntnis ist im gesellschaftlichen und politischen Miteinander von Menschen heute noch genauso aktuell wie vor 100 Jahren.

Ergebnissicherung (OH, TA)

Sortieren der verschiedenen Äußerungen am Overheadprojektor und Erstellung einer Tabelle an der Tafel:

Funktionsbegriff euklidische Geometrie

Die verschiedenen Äußerungen werden von Schülern auf dem Overheadprojektor nach ihrer Zugehörigkeit zu den beiden verschiedenen Bildungsauffassungen sortiert, indem jeweils ein Schüler nach vorne kommt und eine der ausgeschnittenen, auf Folie kopierten Sprechblasen der entsprechenden Seite zuordnet. Er trägt dann an der Tafel die Kernaussage der Sprechblase in die Tabelle ein, die von den Mitschülern am Ende der Stunde in ihr Heft übernommen wird.

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4. Fazit

Betrachtet man rückblickend die mit der hier vorliegenden Unterrichtsreihe zum Satz des Pythagoras gemachten Erfahrungen und Ergebnisse, so kann man durchaus zufrieden sein. In ihrer Grundkonzeption kann die vorgestellte Reihe jederzeit wiederholt werden. Es wäre sinnvoll, vor Beginn der Unterrichtsreihe die Formeln zur Flächenberechnung von Dreieck, Rechteck und Quadrat zu wiederholen.

Insgesamt war die durchgeführte Unterrichtsreihe zum Satz des Pythagoras ein voller Erfolg. Die Hoffnung, dem Satz des Pythagoras mit dem durchgeführten fachübergreifenden Ansatz im Leben der Schüler Aktualität verleihen zu können, hat sich erfüllt.

Am Beispiel des Pythagoras wurde den Schülern exemplarisch klar, dass Mathe-matik keine tote Theorie, sondern eine lebendige, von Menschen gemachte Wissen-schaft ist. Nachdem die Schüler den Menschen Pythagoras von Samos und die Lebensphilosophie der Pythagoreer kennengelernt haben, wurde ein ganz anderer emotionaler und tiefgreifenderer Zugang zum Satz des Pythagoras gefunden, als dies im normalen Mathematikunterricht möglich gewesen wäre.

Ein Indiz dafür ist die Begeisterung, mit der die halbe Klasse bei der am Ende des Schuljahres stattfindenden Projektwoche am Projekt Pythagoras und die Irrational-zahlen mitwirkte. Mit dem Titel Traumreise nach Griechenland wurde dabei unter meiner Leitung ein Theaterstück geschrieben, einstudiert und aufgeführt. Zusätzlich wurden Kostüme und Kulissen selbständig entworfen und hergestellt. Inhaltlich umfasst das ca. 25 Minuten dauernde Theaterstück Zahlenlehre, Musik und Lebens-weise der Pythagoreer, sowie den im Unterricht behandelten Beweis des Satzes des Pythagoras und die Entdeckung der Irrationalzahlen (siehe [Mattheis 1998]).

Die gelungene Durchführung dieses Projektes, das Zuschauer und Mitwirkende gleichermaßen begeisterte, beweist erneut, dass es möglich und nötig ist, bei Schülern (und Lehrern) vorhandenes Schubladendenken zu durchbrechen, und die Schüler durch fachübergreifendes und fächerverbindendes Arbeiten zu vernetztem Denken anzuregen.

Der Geschichte der Mathematik kommt bei dem fächerverbindenden Ansatz zwischen den Fächern Mathematik und Geschichte erwartungsgemäß eine große Bedeutung zu. Fachübergreifender Unterricht sollte sich jedoch nicht nur auf diese beiden Fächer beschränken. So sollte z.B. bei der vorliegenden Unterrichtsreihe immer versucht werden, den Musiklehrer zur Erarbeitung der harmonischen Ton-intervalle am Monochord zu ermutigen, falls dies nicht bereits geschehen ist.

Auch wenn es im Lehrplan der 9. Klasse nicht direkt vorgesehen ist, so könnte man es in den Themenbereich Alte Musik einbauen.

Fachübergreifendes Unterrichten kann sich allerdings auch nicht nur darauf reduzieren lassen, ein Thema gleichzeitig mit Hilfe eines anderen Faches von zwei Seiten zu beleuchten. Jeder Lehrer eines Faches sollte flexibel genug sein, im

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laufenden Unterricht Bezüge zu in anderen Fächern behandelten Inhalten aufzugreifen, wenn ihm das von den Schülern angeboten wird.

In der hier vorgestellten Unterrichtsreihe zum Satz des Pythagoras war dies dadurch der Fall, dass den Schülern die Elemente des Euklid aus der lehrplangemäßen Lek-türe von Theodor Storms Schimmelreiter im Deutschunterricht bereits als Mathe-matiklehrbuch bekannt waren. Die Flexibilität des Lehrers, auf solche Anregungen einzugehen, hat hierbei für die Schüler Vorbildfunktion im Sinne einer Förderung von vernetztem Denken.

Geht der Lehrer in einem solchen Falle nicht darauf ein, weil er zusehr an seiner Planung hängt oder gar einen Autoritätsverlust befürchtet, da die Schüler eventuell mehr wissen als er, so wäre dies äußerst kontraproduktiv und würde den Schülern Schubladendenken plastisch vor Augen führen.

Ein wirklich fachübergreifender Unterricht fordert vom Lehrer somit neben einem großen Maß an Offenheit den Schülern gegenüber die Fähigkeit Schülerbeiträge wirklich ernst zu nehmen, also Eigenschaften, die für einen Lehrer eigentlich selbstverständlich sein sollten.

Da es jedoch in der Schule weniger um didaktische Theorien, als vielmehr primär um die Schüler geht, soll nun auch deren Meinung zu der vorliegenden Unterrichtsreihe und zum fachübergreifenden und fächerverbindenden Unterricht dokumentiert werden. Nach Beendigung der Unterrichtsreihe zum Satz des Pythagoras wurden die Schüler gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Die Ergebnisse des dabei von 28 Schülern abgegebenen Materials werden hier im folgenden, durch einige typisch erscheinende wörtliche Zitate ergänzt, kurz zusammengefasst.

Die Unterrichtsreihe mit geschichtlichen Bezügen über den Satz des Pythagoras kam bei der überwiegenden Mehrheit der Schüler sehr gut an. Die Verbindung von Mathematik und Geschichte wurde positiv bewertet, „denn sie hat die Mathematik durch die Hintergründe der Geschichte transparenter und so leichter zu verstehen gemacht.“ Nur drei Schüler lehnten den fachübergreifenden Unterricht ab, da „man nicht immer genau wusste, wo man sich befindet.“ Alle anderen fanden die Ver-bindung von Mathematik und Geschichte „spannender“, „interessanter“ und „abwechslungsreicher“ als normalen Unterricht.

Die verwendeten vom Lehrer selbst erstellten Unterrichtsmaterialien stießen bei der überwiegenden Mehrheit der Klasse auf Begeisterung, „da es nicht so langweilig ist, wie wenn man alles aus dem Buch macht.“ Besonders gut gefielen den Schülern das Pythagoras-Puzzle und die zu bearbeitenden Folien. Als sehr ansprechende Arbeitsform wurde die Gruppenarbeit in Geschichte bewertet.

Die Frage, mit welchen Fächern sich die Schüler besonders gut fächerverbindenden Unterricht vorstellen könnten, brachte neben klassischen Verbindungen wie Mathematik und Physik bzw. Deutsch und Geschichte sowie der gerade erlebten Verbindung von Mathematik und Geschichte, die verschiedensten Vorschläge zu

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Tage, darunter z.B. Kunst und Geometrie sowie Englisch und Informations-technische Grundbildung, da „alles in Englisch programmiert wird.“ Insgesamt kann man festhalten, dass die Schüler fachübergreifendem und fächer-verbindendem Unterricht mehrheitlich offen gegenüberstehen und gerne dazu bereit sind, vorhandenes Schubladendenken über Bord zu werfen, wenn die Lehrer das Engagement aufbringen, gemeinsam mit den Schülern über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Zur didaktischen Grundfrage nach der zunehmenden Bedeutung von fachüber-greifendem und fächerverbindendem Unterricht möchte ich zum Schluss einen Schüler zu Wort kommen lassen und seine Antwort auf eine Frage des Fragebogens gleichzeitig als Schlusswort dieses Artikels und Ausblick in die Zukunft gewertet wissen:

„Eigentlich kann man, wenn man es geschickt anstellt zwischen allen Fächern Verbindungen erstellen.“

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5. Literaturverzeichnis

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Mainzer, Klaus: Geschichte der Geometrie. Mannheim/Wien/Zürich (B.I.-Wissenschaftsverlag) 1980.

Marks, Reinhard: Arbeitstransparente im Geometrieunterricht. (RPZ-Informationen Mathematik Heft 11), Bad Kreuznach (Regionales Pädagogisches Zentrum) 1983.

Mattheis, Martin: Traumreise nach Griechenland, Ein Theaterstück über Pythagoras und die Irrationalzahlen. In: Praxis Schule 5-10 Heft 5/1998, S. 53-57.

Mattheis, Martin: Die Entwicklung des höheren Schulwesens in Preußen von 1871 bis 1900. In: Der Mathematikunterricht 46 (2000) Heft 3, S. 5-21.

Preußler, Otfried: Krabat. Stuttgart (Thienemann) 1981.

Putzger Historischer Weltatlas, Berlin (Cornelsen-Velhagen & Klasing) 197899

.

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

116

Schimmack, Rudolf: Die Entwicklung der mathematischen Unterrichtsreform in Deutschland, Leipzig/Berlin (Teubner) 1911.

Schmid, August (Hrsg.): Lambacher Schweizer 9. Ausgabe für Rheinland-Pfalz. Stuttgart/Düsseldorf/Berlin/Leipzig (Klett) 1992.

Schmidt, Günter (Hrsg.): Methoden des Mathematikunterrichts in Stichwörtern und Beispielen 9/10. Braunschweig (Westermann) 1982.

Singh, Simon: Fermats letzter Satz. Die abenteuerliche Geschichte eines mathematischen Rätsels. München (Hanser) 1998

Stuloff, Nikolai: Die Entwicklung der Mathematik Teil I. Von den Anfängen bis Cardano. Mainz (Fachbereich Mathematik der Johannes Gutenberg-Universität) 1988.

Uher, Bernhard: Mathe-Welt Satz des Pythagoras. In: mathematik lehren Heft 67 (1994), S. 23-46.

Van der Waerden, B.L.: Erwachende Wissenschaft. Ägyptische, Babylonische und Griechische Mathematik. Basel/Stuttgart (Birkhäuser) 1956.

Van der Waerden, B.L.: Die Pythagoreer. Religiöse Bruderschaft und Schule der Wissenschaft. Zürich/München (Artemis) 1979

Windmann, Bernd: Methoden des Geschichtsunterrichts im Mathematikunterricht. Plädoyer für ein Unterrichtskonzept. In: mathematik lehren Heft 19 (1986), S. 24-31.

Winter, Heinrich: Satzgruppe des Pythagoras. Üben durch Anwenden. In: mathematik lehren Heft 2 (1984), S. 42-48.

Wittmann, Erich: Elementargeometrie und Wirklichkeit: Einführung in geometrisches Denken. Braunschweig (Vieweg) 1987.

Wussing, Hans/Arnold, Wolfgang: Biographien bedeutender Mathematiker. Köln

(Aulis) 19893.

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

117

6. Anhang

Hinweise zu den Arbeitsmaterialien

Zur Erstellung der Arbeitsmaterialien wurde die folgende Literatur benutzt:

Kopiervorlagen Pythagoras-Puzzle 1 & 2

Arbeitsblatt 1: Aufgaben zum Satz des Pythagoras Quellen: [Schmid S. 125] und [Winter S. 44-47], Illustrationen: Lisa Jacobi

Arbeitsblatt 2: Pythagoras und die Pythagoreer Quellen: [Wussing/Arnold S. 19-25], [Kaiser/Nöbauer S. 14f], [Kroll S. 42], [Gottwald/... S. 382-384], [Stuloff S. 72-99], [Waerden1956 S. 151-168]

Arbeitsblatt 3: Algorithmus zur Bestimmung Pythagoreischer Zahlentripel Algorithmus aus: [Uher S. 40]

Arbeitsblatt 4: Der Satz des Pythagoras in Babylonien und Ägypten Quellen: Deutsches Museum, [Barthel S. 31-35] und [Schmid S. 124]

Arbeitsblatt 5: Die Berliner Schulkonferenz von 1900 Quellen: [Blankertz S. 89-95], [Schmid S. 189-191] und [Schimmack S. 2-30]

Folienvorlagen für Pythagoras-Puzzles

Folie 1: „Satz des Pythagoras" (im allgemeinen Dreieck)

Folie 2 : Beispiele nichtrechtwinkliger Dreiecke

Folie 3: Formulierung des Satzes von Pythagoras

Folie 4: Rechtwinklige Dreiecke entnommen aus: [Marks S. 93]

Folie 5: vergrößerte Abbildungen von Arbeitsblatt 1

Folie 6: Leerfolie zum Arbeitsblatt 2

Folie 7: Babylonische Tontafel Plimpton 322 Quelle: [Barthel S. 34-35]

Folie 8: Ägyptische Seilspanner Quelle: Deutsches Museum München und [Schmid S. 124]

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

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Traumreise nach Griechenland

Ein Theaterstück über Pythagoras und die Irrationalzahlen entnommen aus: [Mattheis 1998]

Bei Schülern einer neunten Klasse ist es oft fraglich, ob sie Comicfiguren auf Arbeitsblättern und die dazugehörigen Geschichten niedlich oder kindisch finden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass normalerweise die überwiegende Mehrheit der Klasse solche Motivationshilfen zwar süß findet, sich aber einige bereits zu erwachsen fühlen, um dies zuzugeben. Die hierbei von mir gezeigte Haltung, dass ich - als Erwachsener - Comicfiguren witzig finde, löst den inneren Konflikt der Schüler: Es darf ihnen gefallen, aber sie brauchen es nach außen nicht zu zeigen, da der Lehrer die Comicbilder ja benutzt, weil er selbst sie süß findet.

Wir danken allen Verlagen für die erteilten Abdruckgenehmigungen.

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

119

Kopiervorlage 1 für Pythagoras-Puzzle

--- Auf roten Karteikartenkarton kopieren und Puzzleteile ausschneiden. Jeder Schüler erhält ein ausgeschnittenes rotes Quadrat und vier ausgeschnittene rote Dreiecke.

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

120

Kopiervorlage 2 für Pythagoras-Puzzle

--- Auf blauen Karteikartenkarton kopieren und Puzzleteile ausschneiden. Jeder Schüler erhält zwei verschieden große ausgeschnittene blaue Quadrate und vier ausgeschnittene blaue Dreiecke.

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

121

Arbeitsblatt 1: Aufgaben zum Satz des Pythagoras

1. Berechne die Hypotenusenlänge in einem rechtwinkligen Dreieck mit den

Kathetenlängen a und b: a) a = 6 dm, b = 8 dm b) a = 11 m, b = 60 m c) a = 32 mm, b = 126 mm d) a = 2,86 m, b = 48 cm

2. Wende auf jedes der drei rechtwinkligen Dreiecke den Satz des Pythagoras an!

3. Ein 22 cm langer Strohhalm steckt in einer 17,5 cm hohen Getränkedose. Die Dose hat einen Durchmesser von 6 cm. Wie weit ragt der Strohhalm mindestens aus der Dose?

4. Ein mit Helium gefüllter Werbeballon hängt an einem 25 m langen Seil senkrecht nach oben. Durch eine starke Windböe wird er 7 m zur Seite getrieben. Wie weit ist er jetzt noch vom Erdboden entfernt?

5.

Berechne die Längen a, b, c, ... © Friedrich Verlag

6. Berechne die Länge der dritten Seite bei folgenden rechtwinkligen Dreiecken:

a) b) c) d) e) f) g) h)

Kathete a 3 39 65 5 15 25

Kathete b 8 80 12 24 36

Hypotenuse_c 5 10 97 26

7. Ein PKW ist 4,60 m lang und 1,70 m breit. Er steht in einer parkenden Autoschlange und hat zum Vorgänger und Nachfolger nur je 30 cm Abstand. Kann der Wagen aus der Parklücke heraus gefahren werden, ohne die anderen Autos zu berühren? Zeichne die Situation vereinfacht von oben (Grundriss)! © Friedrich Verlag

8. Herr Fritz will seine Eisenbahnplatte auf den Speicher bringen, da er den Raum in dem sie steht als Kinderzimmer braucht. Er hat alle Aufbauten abmontiert. Die Zimmertür ist 0,90 m breit und 1,90 m hoch. Die Eisenbahnplatte misst 2 m x 3 m. Schafft es Herr Fritz, die Eisenbahnplatte heil aus dem Kinderzimmer auf den Speicher zu bringen?

ab

c

h

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Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

122

Arbeitsblatt 2: Pythagoras und die Pythagoreer

Der Mensch Pythagoras Pythagoras wurde um das Jahr 570 v. Chr. auf der griechischen Insel Samos geboren. Er verließ seine Heimat aus Protest gegen die Herrschaft des Tyrannen Polykrates. Danach bereiste er Phönizien, Ägypten und Mesopotamien, wo er die mathematischen und religiösen Lehren des Orients kennenlernte. Um 529 v. Chr. ließ er sich mit seinen Anhängern in der süditalienischen Stadt Kroton nieder. Durch ihren engen Zusammenhalt gelangten die Pythagoreer in Kroton zu erheblichem politischen Einfluß. Da dieser Einfluß von den Bewohnern Krotons nicht gerne gesehen wurde, vertrieben sie im Jahre 510 v. Chr. Pythagoras und dessen Anhänger. Die Pythagoreer ließen sich daraufhin in Metapont nieder, wo Pythagoras um 500 v. Chr. verstarb.

Der Prophet Pythagoras Pythagoras von Samos gründete eine Glaubensgemeinschaft. Die Pythagoreer glaubten an die Unsterblichkeit der Seele und an die Wiedergeburt der Seele in Mensch oder Tier. Die streng hierarchisch aufgebaute Lebensgemeinschaft achtete auf ein enthaltsames Leben ihrer Mitglieder, die weder Fleisch noch Wein zu sich nehmen durften. Die Reinheit der Lebensführung sollte die Seele so läutern, dass sie dem Kreislauf der Wiedergeburt entgehen und sich zum Göttlichen erheben könnte. Ein Bestandteil dieses Weges zur Reinheit bestand in der Enthaltsamkeit, ein weiterer in der Beschäftigung mit Mathematik.

Die Pythagoreer „Alles ist Zahl“ als Mathematiker Für die Pythagoreer waren Pythagoras gründete in Kroton die Zahlen Ursprung, Wesen eine mathematische Gelehrten- und Maß aller Dinge. Als schule. Seine Schüler, die Zahlen galten hierbei nur die Pythagoreer, beschäftigten natürlichen Zahlen ohne die sich neben der Geometrie Null. Grundlage der Lehre vor allem mit der Arithmetik war der Glaube, dass die

und führten das exakte Götter die Welt nach

Beweisen in der Die Zahlen und Zahlen- Mathematik ein. Für die Pythagoreer verhältnissen (also Pythagoreer waren die als Geheimbund rationalen Zahlen) er- Zahlen der Schlüssel, Bei den Pythagoreern, schaffen hätten. um zu verstehen, wie den Anhängern des Pythagoras, Deshalb stürzte die Welt aufgebaut ist. galt die Geheimhaltung als oberstes die Entdeckung So entdeckten sie Gebot. Nichts von den gewonnenen der Irrational- z.B.,dass bei Saiten- Erkenntnissen durfte außerhalb der zahlen die instrumenten Gemeinschaft weiter verbreitet werden. Pythagoreer harmonische Ton- Der Pythagoras-Schüler Hippasos von Metapont in eine tiefe intervalle erzeugt machte die Lehren zum Teil bei Nicht-Pythagoreern religiöse werden, wenn die bekannt und wurde deshalb aus der Gemeinschaft Glaubens- Saitenlängen ausgestoßen. Als er später bei einem Schiffsunglück krise.

im Verhältnis starb, wurde dies als eine Strafe der Götter angesehen. ganzer Zahlen Das Geheimzeichen der Pythagoreer war das Pentagramm, stehen. dem auch später noch (mit dem Namen Drudenfuß) magische

Kräfte bei der Abwehr böser Geister zugeschrieben wurden.

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

123

Arbeitsblatt 3: Algorithmus zur Bestimmung pythagoreischer Zahlentripel

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

124

Arbeitsblatt 4: Der Satz des Pythagoras in Babylonien und Ägypten

Babylonien

Die Entdeckung der Keilschrifttafel Plimpton 322 ließ die Nachricht, dass die Babylonier bereits vor 4000 Jahren die Aussage des Satzes des Pythagoras kannten, wie ein Lauffeuer um die ganze Welt gehen.

2

2

b

a b c Nr.

© Friedrich Verlag

___________________________________________________________________

Ägypten

Durch die alljährlichen Über-schwemmungen (Nilschwelle) gelangte in Ägypten fruchtbarer Schlamm auf die Felder. Danach mussten jeweils die Äcker neu vermessen werden. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot (484-425 v.Chr.) berichtete, dass die Ägypter bereits vor mehr als 3000 Jahren ______Winkel konstruierten, indem sie an einem geschlossenen Seil in gleichen Abständen 12 Knoten anbrachten und das Seil so wie im Bild gezeigt aufspannten.

© Ernst Klett Schulbuchverlag

Warum wurden die ägyptischen Feldvermesser wohl auch Harpedonapten (Seilspanner) genannt?

Der griechische Historiker Plutarch (46-120 n.Chr.) nannte das Dreieck mit den Seitenlängen 3, 4 und 5 ägyptisches Dreieck und wies jeder Dreiecksseite eine ägyptische Gottheit zu:

Die senkrechte

Kathete stand für Osiris, den obersten Gott, und symbolisierte die Natur. Die waagerechte Kathete personifizierte Isis, die Frau und Schwester des Osiris,

und verkörperte die Materie. Die Hypotenuse bedeutete das Erzeugte, Gewordene, den Sohn Horus.

© Friedrich Verlag

a b c

119 169

3367 4825

4601 6649

12709 18541

65 97

319 481

2291 3541

799 1249

481 769

4961 8161

45 75

1679 2929

161 289

1771 3229

28 53

Vervollständige die pythagoreischen Zahlentripel der Keilschrifttafel. Bestimme die Werte für die Kathete a.

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

125

Arbeitsblatt 5: Die Berliner Schulkonferenz von 1900

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Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

126

Folienvorlagen für Pythagoras-Puzzle

Papa-Schlumpf

Die Schlümpfe

Dreieck 1

Dreieck 3

Dreieck 2

Die Puzzlevorlagen auf verschieden buntes Papier zeichnen und dieses dann (in einem Copy-Shop) als Farbkopie auf eine Folie kopieren lassen und ausschneiden.

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

127

Folie 1: „Satz des Pythagoras“

___________________________________________________________________

Erwartete Schülerlösung:

In einem Dreieck

mit den Seiten a, b und c

gilt: a2 + b

2 = c

2

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

128

Folie 2: Weitere Dreiecke

___________________________________________________________________

Beweisversuch für Dreieck 2:

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

129

Folie 3: Der Satz des Pythagoras

Der Satz des Pythagoras

Im _____________________

Dreieck gilt:

Die Summe der

_________________quadrate

ist gleich dem

__________________quadrat.

Formel:

_____ + _____ = _____

Die am rechten Winkel anliegenden Seiten a und b heißen: __________

Die dem rechten Winkel gegenüberliegende Seite c heißt: ___________ ___________________________________________________________________

Erwartete Schülerlösung:

Der Satz des Pythagoras

Im rechtwinkligen

Dreieck gilt:

Die Summe der

Kathetenquadrate

ist gleich dem

Hypotenusenquadrat.

Formel:

a2 + b2 = c2

Die am rechten Winkel anliegenden Seiten a und b heißen: Katheten

Die dem rechten Winkel gegenüberliegende Seite c heißt: Hypotenuse

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

130

Folie 4: Rechtwinklige Dreiecke

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

131

Folie 5: Abbildungen zu Arbeitsblatt 1

Aufgabe 4 Aufgabe 5

© Friedrich Verlag

Aufgabe 6 a) b) c) d) e) f) g) h)

Kathete a 3 39 65 5 15 25

Kathete b 8 80 12 24 36

Hypotenuse_c 5 10 97 26 Aufgabe 7

© Friedrich Verlag

Aufgabe 8

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

132

Folie 6: Leerfolie zu Arbeitsblatt 2

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

133

Folie 7: Babylonische Tontafel Plimpton 322

a

b c

119

169 3367 4825 4601 6649 12709 18541 65 97 319 481 2291 3541 799 1249 481 769 4961 8161 45 75 1679 2929 161 289 1771 3229 28 53

© Friedrich Verlag

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

134

Folie 8: Ägyptische Seilspanner

© Deutsches Museum München

© Ernst Klett Schulbuchverlag

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

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PRAXIS SCHULE 5-10, Heft 5/1998

Traumreise nach Griechenland

Martin Mattheis Ein Theaterstück über Pythagoras und die Irrationalzahlen

Der „Satz des Pythagoras“ gehört

zweifellos zu den wichtigsten

geometrischen Lehrsätzen der

(Schul-)Mathematik. Trotzdem

verbinden viele Schülerinnen und

Schüler damit lediglich die

Formel a2 + b

2 = c

2.

Der vorliegende Artikel beschreibt

ein Projekt, in dessen Verlauf sich

die Schülerinnen und Schüler einen

ganz anderen, einen emotionalen

und tiefer greifenden Zugang zum

„Satz des Pythagoras" erarbeite-

ten: Pythagoras und die

Irrationalzahlen als

Theaterstück!

Wie kommt man auf die Idee, mit

Schülerinnen und Schülern ein

Theaterstück zum „Satz des Pythagoras“

zu schreiben und aufzuführen? Der

Gedanke dazu entwickelte sich während

des normalen Unterrichtsablaufs in

einer 9. Klasse am Frauenlob-

Gymnasium in Mainz. Da hier sowohl

der Fachunterricht in Mathematik als

auch der in Geschichte in meiner Hand

lagen, drängte es sich geradezu auf,

dort, wo dies sinnvoll und möglich

erschien, fachübergreifende

mathematikhistorische Bezüge

herzustellen. So wurden während der

Unterrichtseinheit zum „Satz des

Pythagoras“ in einer Geschichtsstunde

in Gruppenarbeit auch die Themen

„Pythagoras als Mensch und als Prophet“,

„Die Pythagoreer als Mathematiker“

bzw. als „religiöser Geheimbund“ sowie

„Die Krise der Pythagoreer nach

Entdeckung der Irrationalzahlen“

behandelt.

Die Gruppe, welche die Auswirkungen

der Entdeckung der Irrationalzahlen

erarbeitete, wählte als Präsentationsform

ein Rollenspiel. Präsentierende Gruppe,

Klasse und Lehrer waren von der

überaus gelungenen Art der Vorführung

so begeistert, dass daraus spontan die

Idee erwuchs, dieses Rollenspiel in der

am Schuljahresende anstehenden

Projekt-woche zu einem Theaterstück

auszubauen und öffentlich aufzuführen.

Der Ablauf des Projektes Dies in die Tat umzusetzen, meldeten

sich bei der Projektwahl 16 Schülerinnen

und Schüler für das thematische

Angebot „Pythagoras und die

Irrationalzahlen – Vorbereitung und

Aufführung eines Theaterstückes“.

Abbildung 1: Während eine Gruppe die Dialoge entwirft, arbeitet eine andere am Bühnenbild.

Abbildung 2: In der vierten Szene des Theaterstückes hält Pythagoras Mathematikunterricht.

Fotos: Martin Mattheis

Erster Tag Am ersten Tag des Projektes sollten die

Schüler zunächst ihr Hintergrundwissen

über Pythagoras und die Pythagoreer

vertiefen sowie den grundsätzlichen

Aufbau und Inhalt des zu schreibenden

Theaterstückes festlegen. Zu diesem

Zweck hatte ich – auch im Sinne eines

propädeutischen wissenschaftlichen

Arbeitens – etwa zehn verschiedene

Fachbücher über Pythagoras und die

Pythagoreer, aber auch ganz allgemeine

Literatur zur Geschichte der Mathematik

mitgebracht und verteilt.*

Nachdem sich die Schüler in Einzel- bzw.

Partnerarbeit mit der Fachliteratur

beschäftigt hatten, trugen sie die dabei

gewonnenen neuen Erkenntnisse

zusammen. In der abschließenden

Diskussion über den grundsätzlichen

Aufbau des Theaterstückes wurde

entschieden, sich an Erich Kästners „Das

fliegende Klassenzimmer“ zu orientieren

und einen modernen Schüler aus der heuti-

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

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Mathematik/Geschichte/Theater/Projekt · Klassen 9/10

gen Zeit in das antike Griechenland zur

Schule der Pythagoreer reisen zu lassen.

Zweiter und dritter Tag Der zweite Tag begann mit der

Aufteilung der notwendigen Arbeiten an

verschiedene Gruppen, die den jeweils

zugewiesenen Aufgabenbereich am

zweiten und dritten Tag ei-

genverantwortlich zu bewältigen hatten.

Folgende drei Gruppen wurden

gebildet: Text, Kostüme und

Bühnenbild.

• Die vier Schüler, die sich der Aufgabe

stellten, den Text des Theaterstückes zu

erarbeiten, zogen sich in eine Ecke

des Raumes zurück und arbeiteten

mithilfe der wissenschaftlichen

Fachliteratur die Dialoge aus. Der als

Endprodukt entstandene Text wurde -

mit nur minimalen Hilfen meinerseits -

allein von den Schülern erarbeitet und

nachmittags von einem Schüler

mithilfe eines Computers abgetippt.

• Die zweite Gruppe verschaffte sich

anhand von verschiedenen mit

Abbildungen versehenen

Jugendbüchern einen Eindruck von der

Kleidung im antiken Griechenland.

Nachdem die Schüler selbstständig die

entsprechenden Jugendbücher in der

Schulbibliothek ausfindig gemacht

hatten, versuchten sie, den darin

enthaltenen Abbildungen mit

Betttüchern und Sicherheitsnadeln

möglichst nahe zu kommen.

• Die dritte Gruppe beschäftigte sich

mit dem Aufbau und der Ausstattung

einer Bühne sowie mit dem Bühnenbild

(siehe Abbildung 1). Zusätzlich wurden

von dieser Gruppe die für den Beweis

des „Satzes des Pythagoras“

notwendigen Quadrate gebastelt (siehe

Abbildung 2) sowie auch alle anderen

Requisiten besorgt.

Meine Rolle bestand in dieser Phase der

Vorbereitungen lediglich darin, den

Schülern für Fragen zur Verfügung zu

stehen, sie in ihren Ideen zu bekräftigen

und sie ansonsten selbstständig

arbeiten zu lassen.

Vierter und fünfter Tag

Am vierten Tag wurde mit den Proben

begonnen, die sich über den vierten

und fünften Tag erstreckten und bei

denen ich die Regie übernahm.

Während dieser Zeit machte sich ein

technisch versierter Schüler mit der

Videoausrüstung der Schule vertraut,

um eine Aufnahme der Aufführung

anfertigen zu können, die den

Mitwirkenden dann später

ausgehändigt werden sollte. Ein

anderer Schüler gestaltete nachmittags

am eigenen Computer die Vorlage für

ein Plakat (siehe Abbildung 3), welches

auf DIN A3 vergrößert im Schulhaus

ausgehängt wurde und außerdem die

Handzettel zierte, die auf der Rückseite

Informationen zum Stück trugen und

als zusätzliche Einladungen verteilt

wurden.

Sechster Tag

Der sechste Tag war der mit einem

Schulfest verbundene Präsentationstag

der Projektwoche, an dem das Stück vor

Mitschülern, Eltern und Lehrern aufge-

führt wurde. So wohl bei den Zuschauern

als auch bei den Ausführenden kam die

Aufführung so gut an, dass die

„Traumreise nach Griechenland“ beim

Weihnachtsbasar der Schule erneut gespielt

wurde.

Und die Konsequenz?

Zusammenfassend kann man festhalten,

dass das hier beschriebene Theaterprojekt

in zweifacher Hinsicht einen vollen Erfolg

darstellte:

• Zum einen haben die Schüler in selbst-

ständiger, eigenverantwortlicher Arbeit ein

szenisches Spiel „auf die Beine gestellt“,

wofür sie vom Publikum mit kräftigem App-

laus belohnt wurden. Der Bericht eines

Schülers für die Schulzeitung spricht zu

Recht von einem „gelungenen Projekt“, wel-

ches „allen sehr viel Spaß gemacht“ hat. Die-

ser Beurteilung der Schüler kann ich mich

als betreuender Lehrer nur anschließen.

• Ein zweites Resultat des Theaterprojektes

ist, dass den Schülern am Beispiel des

Pythagoras exemplarisch klar wurde, dass

Mathematik keine tote, in sich

abgeschlossene Theorie, sondern eine

lebendige, von Menschen gemachte

Wissenschaft ist. Nachdem die Schüler den

Menschen Pythagoras und die

Lebensphilosophie der Pythagoreer kennen

gelernt hatten, wurde ihnen ein ganz an-

derer, nämlich ein emotionaler und tiefer

greifender Zugang zum „Satz des Pythago-

ras“ ermöglicht, als dies im normalen Ma-

thematikunterricht möglich gewesen wäre.

Die gelungene Durchführung dieses

Theaterprojektes beweist, dass es möglich

und nötig ist, bei Schülern (und Lehrern!)

Abbildung 3:

Ein Schüler der

Projektgruppe

„Pythagoras und

die Irrationalzah-

len – Vorbe-

reitung und

Aufführung eines

Theaterstückes“

erstellte am

Computer ein

Plakat, das zur

Ankündigung

des Theate-

rstückes in der

Schule ausge-

hängt wurde und

das außerdem

als Handzettel

Verwendung

fand.

vorhandenes Schubladendenken zu

durchbrechen und die Schüler durch

fachübergreifendes Arbeiten zu vernetztem

Denken anzuregen, ohne dabei den

Fachunterricht als solchen aufgeben oder

vernachlässigen zu müssen. Dieser Artikel ist

daher vor allem als Anregung gedacht, das

vorliegende Theaterstück (vgl. dazu die

Kopiervorlagen auf den Seiten 55 bis 57) so

oder in veränderter Form mit den eigenen

Schülern nachzuspielen oder aber selbst

ein entsprechendes Theaterstück - zum

gleichen oder zu einem anderen Thema - zu

erarbeiten.

Darüber hinaus sollte jedoch auch jede an-

dere Gelegenheit wahrgenommen werden,

die fachübergreifendes Lernen ermöglicht:

Wie eingangs erwähnt, drängt sich solch ein

Arbeiten bei bestimmten

Fächerkombinationen geradezu auf. Ein

entsprechendes Zusammenspiel lässt sich

aber natürlich ebenso mithilfe von

kooperationswilligen Kollegen initiieren und

organisieren, so dass die Projektwoche

nicht der „letzte Ausweg“ sein muss. ...........................................................................................................

Vgl. zum Beispiel Wussing H./Arnold, W.: Biografien be-

deutender Mathematiker. Köln 1989; Baltzer, E.: Pythagoras

der Weise von Samos: Ein Lebensbild. [Nordhausen

1868] Vaduz 1983; Kaiser, H./Nöbauer, W: Geschichte der

Mathematik für den Schulunterricht. Wien 1984; v. d. Waerden,

B. L.: Die Pythagoreer. Religiöse Bruderschaft und Schule der

Wissenschaft. Zürich/München 1979.

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

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Ein Theaterstück:

Traumreise nach Griechenland

Oder: Pythagoras und die Irrationalzahlen

Zum Inhalt des Stückes: Nachdem die Schülerin Sabine ihre Hausaufgaben zum wiederholten Male vergessen hat, muss sie nachsitzen. Während dieser Zeit schläft sie ein und fühlt sich ins Jahr 520 v. Chr. zurückversetzt. Dort wird, als Sabine eintritt, bei den Pythagoreern der „Satz des Pythagoras“ besprochen. Da sie eine sehr begabte Schülerin ist und sich mit dem „Satz des Pythagoras“ gut auskennt, kann sie dem Unterricht der pythagoreischen Schüler sehr gut folgen und mitreden ...

1. Szene: Schule heute

Der Vorhang öffnet sich.

Lärmende Schülerin Klassenraum. Gegenstände fliegen durch die Luft. Die Lehrerin tritt ein und versucht für Ruhe zu sorgen.

Lehrerin: Guten Morgen! 4 Schüler: (gelangweilt) Morgen. Lehrerin: Also, etwas mehr Schwung, wenn ich bitten darf. Hat heute zufälligerweise

jemand die Hausaufgaben gemacht?

Alle melden sich bis auf Sabine.

Lehrerin: (verärgert) Was? Das ist jetzt schon das (schlägt im Notenbuch nach)

sechste Mal. Ich glaube, da wirst du heute nach der Stunde mal hierbleiben müssen. So geht's ja nicht weiter.

Sabine: (genervt) Das gibt's doch nicht! Lehrerin: Ich will jetzt keinen Ton mehr über dieses Thema hören. So, um auf unseren

Unterricht zurückzukommen, wir haben gestern angefangen, über wen zu sprechen (schaut sich um), Christina!?

Christina überlegt kurz und zieht die Schultern hoch.

Lehrerin: Ich frage mich, wie das weitergehen soll mit euch. (nach einer kurzen Pause)

Also, über den griechischen Mathematiker Pythagoras und den „Satz von Pythagoras“, der lautet (mit einer kurzen Verzögerung), Simone!?

Simone: Ähm...?

Christian flüstert Simone die Lösung ins Ohr.

Simone: Im rechtwinkligen Dreieck ist die Summe der Kathetenquadrate gleich dem

Hypotenusenquadrat. (Die Lehrerin schreibt dies gleich an die Tafel.) Christina: Ey Christian, gib mir mal dein Tipp-Ex.

Christian nimmt sein Tipp-Ex und wirft es Christina zu.

Lehrerin: Wie oft soll ich das noch sagen: Es werden keine Gegenstände durch den

Raum geworfen! Also, um auf Pythagoras zurückzukommen ...

Alles lärmt und die Lehrerin schlägt mit dem Klassenbuch auf den Tisch.

Lehrerin: Ruhe, verdammt noch mal!!!

In diesem Moment klingelt es, die Schüler verlassen den Raum fluchtartig – außer Sabine. Sie beginnt zu rechnen und schläft kurze Zeit später ein.

Der Vorhang schließt sich.

Rollen- und Aufgabenverteilung:

moderne Lehrerin:

Sabine, moderne Schülerin:

Christina, moderne Schülerin:

Simone, moderne Schülerin:

Christian, moderner Schüler: Pythagoras:

Hippasos von Metapont:

Archytas von Tarent:

Eudemos von Rhodos:

Philolaos (Koch):

Erzählerin/ Erzähler:

Souffleuse/ Souffleur:

Kamera:

Maske:

Kostüme:

Bühnenbild:

Regie:

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

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2. Szene: Musik Erzählerin: Während Sabine noch im Klassenraum sitzt

und vor sich hin schlummert, wandern ihre Gedanken zurück zum Alten Griechenland. Plötzlich nimmt ihr Traum Gestalt an und sie befindet sich mitten im Geschehen. Sie fühlt sich zurückversetzt ins Jahr 520 v. Chr., in die Schule der Pythagoreer, wo gerade Hippasos, Archytas und Eudemos mit ihren Monochorden beschäftigt sind.

Der Vorhang öffnet sich.

Drei Pythagoreer sitzen zusammen und musizieren mit ihren Monochorden. Sabine tritt zu ihnen.

Pythagoreer: Sei gegrüßt, Fremde!

Sabine: Morgään! (Sie packt die Hand des einen Pythagoreers und schüttelt sie

kräftig. Der Pythagoreer ist irritiert) Wer seid Ihr, Fremde?

Die drei Pythagoreer stehen nacheinander auf und stellen sich vor.

Hippasos: Mein Name ist Hippasos von Metapont. Archytas: Ich heiße Archytas von Tarent. Eudemos: Und ich bin Eudemos von Rhodos. Hippasos: Und wer seid Ihr? Sabine: Sabine. Hippasos: Von? Sabine: (verwundert) Wie, von? (nach einer Verzögerung) Ach so, von Mainz.

(nach einer kurzen Pause) Sag mal, spielst du Gitarre oder was ist das für ein komisches Instrument? (fragend zu Archytas gewandt)

Archytas: Das sind Monochorde. Die Besonderheit hierbei besteht darin, dass sich

die Intervalle durch kleine rationale Zahlenverhältnisse auszeichnen. Daran wird unser Grundgedanke, die Entstehung von Ton und Zahl, deutlich.

Sabine: (verständnislos nickend) Äh, ja ...

Eine Glocke ertönt.

Eudemos: Oh, unser Meister ruft uns zum Mahle! Sabine: (zum Publikum gewandt) Meister?!? Na, die sind mir aber lustig. Noch nicht

mal was Gescheites zum Anziehen haben, aber sich aufspielen wollen. Na ja, schau'n wir mal, was da abgeht.

Die drei Pythagoreer verlassen die Szene, gefolgt von Sabine.

Der Vorhang schließt sich.

3. Szene: Die Pythagoreer beim Mahle Der Vorhang öffnet sich.

Mehrere Pythagoreer und Sabine sitzen beisammen. Pythagoras sitzt auf seinem Thron und blickt würdevoll in die Menge.

Sabine: (zu Pythagoras gewandt) Könnt ihr mir eigentlich mal verraten, was dieses

seltsame Zeichen auf Eurer Brust bedeutet? Es fällt mir schon die ganze Zeit auf.

Pythagoras: (stolz) Oh, das ist das Pentagramm. Es ist das Erkennungszeichen unserer

Gemeinschaft. Archytas: Aber sprich, Fremde. Was soll Euer Zeichen symbolisieren? Es besitzt

nicht unseren Glauben. Sabine: (verwundert) Was für'n Glauben? Das ist ein Mercedesstern - (mit einer

Pause) vom Auto. Eudemos: (überrascht) Auto? Ist das eine neue Glaubensrichtung? Sabine: (verwundert) Bitte?! Ein Auto ist ein Fahrzeug mit einem Motor und vier

Rädern, noch nie was von gehört?

Die Pythagoreer und Pythagoras schauen sich nur nachdenklich an.

Pythagoras: (den Becher hebend zu seinen Freunden) Es möge Euch wohl munden,

meine Brüder. Bedenket, nur die Mathematik führt zum Wohl und nicht menschlicher Genuss. So esset sparsam und enthaltet Euch.

Der Koch betritt den Raum und stellt einen Topf auf die Erde. Die Pythagoreer nehmen kleine Portionen mit den Händen. Sabine schöpft sich eine große Portion und packt Messer und Gabel aus. Unter den Pythagoreern bricht Panik aus. Sie rennen schützend hinter ihren Meister, die Hände über dem Kopfzusammengeschlagen. Sabine schaut verdutzt.

Pythagoras: Was willst du mit dem Dolche, sprich!? Sabine: (nachdenklich) Ähh..., essen? Hippasos: (aufgebracht) Oh! Sieh Meister, erkennt Ihr auch den Geist des Herakleitos

in ihr? Pythagoras: Ja, die Fremde bedient sich ungewöhnlicher Mittel. Die Seele des Herakleitos

ist in ihr wiedergeboren. (beruhigend) Lasset uns wieder Platz nehmen.

Die drei Pythagoreer setzen sich wieder auf Ihre Plätze, immer noch etwas schockiert schauend. Sabine kostet und verzieht das Gesicht. Danach legt sie das Besteck beiseite.

Pythagoras: So ist es recht, Fremde. Lebe stets enthaltsam und zehre nur von der

Mathematik. Nur mit ihrer Hilfe kann man die Seele reinigen.

Der Vorhang schließt sich.

Martin Mattheis: Der Satz des Pythagoras (in: PZ-Information 29/2000, S. 87-139)

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4. Szene: Unterricht bei Pythagoras Erzählerin: Nachdem die Pythagoreer und Sabine ihr Mahl

beendet haben, treffen sich alle zum gemein- samen Mathematikunterricht.

Der Vorhang öffnet sich.

Die drei Schüler sitzen auf dem Boden, Pythagoras erhöht über ihnen.

Pythagoras: Was wisst ihr über die Seiten im rechtwinkligen Dreieck, meine Schüler? Archytas: Seht die beiden Quadrate, Meister (jeder der beiden anderen hält ein

Plakat hoch). Ihr Flächeninhalt ist derselbe, auch wenn Ihr es nicht glauben werdet.

Hippasos: (zeigt auf die Plakate und deutet sie) Addiere die Kathetenlängen des

Dreiecks, so bekommt Ihr die Seitenlänge der beiden Quadrate.

Pythagoras und Sabine schauen nachdenklich und hören aufmerksam zu.

Eudemos: Du schaust so verwundert, Fremde. Sabine: Nee, nee. Kenn' ich doch von unserer Schule. Archytas: Nimmt man nun von beiden Quadraten die vier Dreiecke weg, so erhält man

...? Sabine: (in den Raum sprechend) Die Summe der Kathetenquadrate ist gleich

dem Hypotenusenquadrat (zeigt dies auf den Plakaten).

Der Vorhang schließt sich.

5. Szene: Die Entdeckung der irrationalen Zahlen Der Vorhang öffnet sich. Sabine und Hippasos sind im Gespräch vertieft.

Sabine: Was glaubt ihr denn sonst noch so? Hippasos: Wir glauben, dass die ganze Welt nach rationalen Zahlenverhältnissen,

also Verhältnissen der Zahlen 1, 2, 3, 4, 5 usw. aufgebaut ist. Sabine: Was!?! Das ist doch nicht dein Ernst! Es gibt doch noch viel mehr Zahlen,

die irrationalen Zahlen zum Beispiel. Hippasos: Irrational? Kannst du mir das beweisen? Sabine: Ja, klar. Äh, Moment, da muss ich erst mal nachdenken. (geht auf und ab)

Ja, jetzt hab ich's. Bestimme mir die Hypotenusenlänge, wenn die Katheten jeweils 1 cm lang sind.

Hippasos: Kein Problem! (beginnt zu rechnen, stockt plötzlich) Oh! x2 = 2.

Sabine: Ja, dann ist x = 2. Hippasos: Wurzel? Das ist aber keine Zahl! Sabine: (überzeugend) Doch, das ist eine irrationale Zahl! Hippasos: (erstaunt) Ja, ich sehe es. (aufgeregt) Meister, Meister!! Kommt schnell!

Unser Glaube, die Fremde hat unseren Glauben widerlegt!

Die Pythagoreer stürmen aufgeregt auf die Bühne.

Pythagoreer: (verzweifelt) Was?! Oh Gott! Welche Katastrophe! Unser Glaube! Pythagoras: Was höre ich da? Irrationale Zahlen? Oh Gott! Unser Glaube ist zerstört!

Pythagoras fällt in Ohnmacht und der Koch Philolaos fängt ihn auf.

Der Vorhang schließt sich. Erzählerin: Aufgrund der Entdeckung der irrationalen Zahlen geriet die Schule

der Pythagoreer in enorme Geldschwierigkeiten, so dass wir Sie, wenn Sie den Raum verlassen, um eine Spende bitten.