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 DRUCK-VERSION 05.04.08 Der „Sonnenkönig“ der Musik VON SUSANNE STÄHR, 04.04.08, 19:38h, AKTUALISIERT 04.04.08, 19:44h Jubiläen entfalten ihre eigene Dynamik. Der 100. Geburtstag Her- bert von Karajans, den die Musikwelt an diesem Samstag feiert, hat jedoch ein Medienecho ausgelöst, das noch vor kurzem niemand erwartet hätte. Denn nach seinem Tod im Juli 1989 war es zunächst still geworden um den „Meister“, wie seine Musiker in Berlin und anderswo ihn nannten. Seine musikalische Ästhetik schien sich überlebt zu haben - gesagt war ohnehin alles. Warum also jetzt, seit Wochen schon, diese Flut an Berichterstattung, Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt, vielteiligen Radioserien und Dokumentationen selbst in den Hauptprogrammen der weithin kulturabstinenten öffentlich-rechtlic hen Fernsehsender? Die Antwort dürfte lauten: Gerade weil Karajan so lange nicht mehr im Brennpunkt stand, kann er wieder neu entdeckt werden. Eine Jahrhundertfigur war er allemal, und das Musikleben, wie wir es heute kennen, trägt seinen Prägestempel. Dabei musste sich Karajan seine Stellung - und seine Kunst - mühevoll erkämpfen. Galeerenjahre in der Provinz standen am Anfang seines Werdegangs, den er als Kapellmeister am Theater Ulm verbrachte. „Es wurde unsagbar schlecht gespielt“, lautete sein Resümee, als er 1929 erstmals das Ulmer Orchester leitete. Gleichwohl blieb Karajan dem Haus bis 1934 verbunden, und es waren diese Erfahrungen, die ihm nicht nur das Repertoire, sondern auch das handwerkliche und pädagogische Rüstzeug vermittelten. „Meine Herren, ich wünschen Ihnen allen ein schlechtes Orchester“ - mit diesen Worten beendete Karajan noch in den 70er Jahren einen Dirigierkurs - eine späte Reverenz an seine Ulmer Zeit. Als sein Ulmer Vertrag nicht verlängert wurde, suchte Karajan zunächst verzweifelt und vergeblich nach einem neuen Job. Um seinen Aufstieg zu befördern, zeigte er sich geschmeidig bis zur Gewissenlosigkeit: Gleich zweimal trat er der NSDAP bei, zunächst in Österreich und dann in Deutschland. Ob er 1935 nur deshalb zum Generalmusikdirektor in Aachen ernannt wurde, weil er Parteigenosse war? Steile Karriere Fest steht, dass es mit Karajans Karriere nach der Aachener Verpflichtung steil bergauf ging. Im April 1938 debütierte er bei den Berliner Philharmonikern, im Herbst desselben Jahres triumphierte er an der Berliner Staatsoper mit dem  „Tristan“. Die „B.Z. am Mittag“ rief daraufhin „Das Wunder Karajan“ aus - und stellte ihn unverblümt über Wilhelm Furtwängler. Der intervenierte persönlich bei Goebbels und erwirkte eine Rüge des vorlauten Kritikers. Doch auch für Karajan blieb das „Wunder“ nicht ohne Folgen, denn Furtwängler unternahm alles, um den missliebigen Rivalen vom Pult seines Paradeorchesters fernzuhalten. Doch kann er nicht verhindern, dass Karajan 1954 seine Nachfolge in Berlin antritt und 34 Jahre lang als Chef bei den Philharmonikern amtieren wird. „Karajan und die Berliner“ avancieren zu einem Markenzeichen und Gütesiegel für musikalische Qualität, sie zelebrieren eine grandiose Selbstfeier des Schönklangs und der Perfektion. In den besten Tagen ist die Feinabstimmung des Zusammenspiels atemberaubend, kein Ballast, keine Schärfen belasten die Interpretationen, die mit flüssigen Tempi und einem auf die melodische Linie gerichteten Duktus aufwarten. Alles atmet einen Geist, eins ergibt sich organisch aus dem andern. Page 1 of 3 KSTA.DE 05-04-2008 http://www.ksta.de/servlet/OriginalContentServer?pagename=ksta/ksArtikel/Druckfa ...

Der 'Sonnenkönig' der Musik

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Der „Sonnenkönig“ der Musik VON SUSANNE STÄHR, 04.04.08, 19:38h, AKTUALISIERT 04.04.08, 19:44h

Jubiläen entfalten ihre eigene Dynamik. Der 100. Geburtstag Her- bert vonKarajans, den die Musikwelt an diesem Samstag feiert, hat jedoch ein Medienechoausgelöst, das noch vor kurzem niemand erwartet hätte. Denn nach seinem Todim Juli 1989 war es zunächst still geworden um den „Meister“, wie seine Musikerin Berlin und anderswo ihn nannten. Seine musikalische Ästhetik schien sichüberlebt zu haben - gesagt war ohnehin alles.

Warum also jetzt, seit Wochen schon, diese Flut an Berichterstattung,Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt, vielteiligen Radioserien und

Dokumentationen selbst in den Hauptprogrammen der weithin kulturabstinentenöffentlich-rechtlichen Fernsehsender? Die Antwort dürfte lauten: Gerade weilKarajan so lange nicht mehr im Brennpunkt stand, kann er wieder neu entdecktwerden. Eine Jahrhundertfigur war er allemal, und das Musikleben, wie wir esheute kennen, trägt seinen Prägestempel.

Dabei musste sich Karajan seine Stellung - und seine Kunst - mühevollerkämpfen. Galeerenjahre in der Provinz standen am Anfang seines Werdegangs,den er als Kapellmeister am Theater Ulm verbrachte. „Es wurde unsagbar schlechtgespielt“, lautete sein Resümee, als er 1929 erstmals das Ulmer Orchester leitete.Gleichwohl blieb Karajan dem Haus bis 1934 verbunden, und es waren dieseErfahrungen, die ihm nicht nur das Repertoire, sondern auch das handwerklicheund pädagogische Rüstzeug vermittelten. „Meine Herren, ich wünschen Ihnen

allen ein schlechtes Orchester“ - mit diesen Worten beendete Karajan noch in den70er Jahren einen Dirigierkurs - eine späte Reverenz an seine Ulmer Zeit.

Als sein Ulmer Vertrag nicht verlängert wurde, suchte Karajan zunächstverzweifelt und vergeblich nach einem neuen Job. Um seinen Aufstieg zubefördern, zeigte er sich geschmeidig bis zur Gewissenlosigkeit: Gleich zweimaltrat er der NSDAP bei, zunächst in Österreich und dann in Deutschland. Ob er1935 nur deshalb zum Generalmusikdirektor in Aachen ernannt wurde, weil erParteigenosse war?

Steile Karriere 

Fest steht, dass es mit Karajans Karriere nach der Aachener Verpflichtung steil

bergauf ging. Im April 1938 debütierte er bei den Berliner Philharmonikern, imHerbst desselben Jahres triumphierte er an der Berliner Staatsoper mit dem

 „Tristan“. Die „B.Z. am Mittag“ rief daraufhin „Das Wunder Karajan“ aus - undstellte ihn unverblümt über Wilhelm Furtwängler. Der intervenierte persönlich beiGoebbels und erwirkte eine Rüge des vorlauten Kritikers. Doch auch für Karajanblieb das „Wunder“ nicht ohne Folgen, denn Furtwängler unternahm alles, um denmissliebigen Rivalen vom Pult seines Paradeorchesters fernzuhalten.

Doch kann er nicht verhindern, dass Karajan 1954 seine Nachfolge in Berlin antrittund 34 Jahre lang als Chef bei den Philharmonikern amtieren wird. „Karajan unddie Berliner“ avancieren zu einem Markenzeichen und Gütesiegel für musikalischeQualität, sie zelebrieren eine grandiose Selbstfeier des Schönklangs und derPerfektion. In den besten Tagen ist die Feinabstimmung des Zusammenspielsatemberaubend, kein Ballast, keine Schärfen belasten die Interpretationen, diemit flüssigen Tempi und einem auf die melodische Linie gerichteten Duktusaufwarten. Alles atmet einen Geist, eins ergibt sich organisch aus dem andern.

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Intensive Probenarbeit 

Was manchem als schiere Hexerei des Klangmagiers Karajan vorkam, war inWirklichkeit das Ergebnis intensiver Probenarbeit. Immer wieder wurde selbst anden bekanntesten Partituren gefeilt, jede Nuance ausgelotet, die Phrasierungzwischen den verschiedenen Instrumenten subtil abgestimmt, bis jeder absolutauf sich selbst vertrauen konnte, auch wenn Karajan im Konzert die Augen schlossund sich in Trance versenkte.

Freilich war es Karajans Dilemma, dass er seine windschnittige Ästhetik derMakellosigkeit und des „Superlegato“ verabsolutierte und auch Werkenangedeihen ließ, die einen anderen Zugriff benötigten: dem barocken Repertoirezum Beispiel. Schönheit ging ihm stets vor Wahrheit.

Am Puls der Zeit zu leben und die Zukunft zu antizipieren: das hatte Karajanimmer für sich reklamiert. Hellwach war er vor allem, wenn es um dieEntwicklungen der Technik und des Marktes ging. Mit geradezu enzyklopädischemEifer spielte er das Repertoire für die Schallplatte ein: 800 Aufnahmen insgesamt -Karajans Sichtweise auf die Meisterwerke der Musik im Wandel der Zeiten.

Früh schon erkannte er die Chancen des Bildtonträgers: 1965 entstanden seineersten Musikfilme, 1966 gründete er mit Leo Kirch eine Filmfirma, die mehrereOperninszenierungen auf Zelluloid bannte, und von 1982 an war es seinUnternehmen Telemondial, das Karajans Wirken auf Laserdisc verewigte. Als seineigener Produzent, Regisseur und Cutter setzte er sich dabei selbst ein Denkmal.Die Musiker erschienen allenfalls fragmentarisch im Bild: als Finger an einerTrompete, als gewölbte Lippen über der Flöte, als Handgelenk beim Auf- undAbstrich. Sie dienten Karajan, dem „Sonnenkönig“, nur noch als Material undhatten allein seine Kunst ins rechte Licht zu rücken.

Ein Man von Welt 

Dynamisch, attraktiv und erfolgreich, ein stets elegant gewandeter Mann vonWelt, Hobbypilot und rasanter Autofahrer, verheiratet in dritter Ehe, Besitzer einesLandhauses in Anif, eines Chalets in St. Moritz, einer Yacht in St. Tropez: Alserster Künstler der Klassikbranche eroberte sich Karajan einen Stammplatz in denbunten Gazetten und avancierte zur Ikone des Jetsets. Seiner Gemeinde war erlieb und teuer, für ihn gab man gerne sein Geld.

Und der Maestro wusste es gut anzulegen. Nicht nur, dass er die Oster- und diePfingstfestspiele in Salzburg auf diese Weise finanzierte - auch dieOrchesterakademie der Berliner Philharmoniker und die Karajan-Stiftungverdanken sich seinen Kontakten zur Wirtschaft und dem Geldadel. Dabei warKarajan alles andere als ein Partygänger, sondern eher ein zurückgezogener undscheuer Mensch. Was er wohl gedacht hat über seine Fans, die um sein Anwesenpilgerten, in der Hoffnung, einen Blick in den Garten zu erhaschen? Die ihm Altärebauten oder unter den Rädern seines Rolls-Royce zu sterben wünschten?

Es war seine Tragik, dass Karajan am Ende an seinen eigenen Mythos zu glaubenbegann. Distanz zu sich selbst und den Hymnen, die auf ihn angestimmt wurden,blieb ihm verwehrt. Als er alterte und sein Körper seinem Selbstverständnis nichtmehr entsprechen wollte, wurde er zunehmend schwieriger.

Großer Argwohn 

Sein Argwohn galt vor allem den jungen Musikern, die neu zu den BerlinerPhilharmonikern gekommen waren: Mit ihnen verband ihn nicht mehr die goldeneZeit der großen Triumphe. Auch deshalb kam es im Zuge des Streits um die

Klarinettistin Sabine Meyer und die Selbstbestimmungsrechte des Orchesters zumgroßen Zerwürfnis. Karajan, der Macher und Machtmensch, konnte Widerspruchnicht dulden. Die Philharmoniker aber haben, nach Karajans Tod, dieserErfahrungen wegen ihre Orchesterordnung neu gestaltet, so dass ihnen heute

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Mitsprache in allen künstlerischen Fragen zusteht.

Karajan, der charismatische Magier des Taktstocks und absolute Herrscher überdie Heerscharen der Musiker, wurde damit paradoxerweise zum Geburtshelfereiner tatsächlich demokratisch verfassten Orchesterrepublik. Auch das ist seinVermächtnis.

Sendungen am Wochenende:

Geburtstagsfest für Herbert von Karajan. Arte, 5. April, 21 Uhr.

Maestro, Maestro. Arte, 5. April, 23 Uhr.

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