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Der Tod auf Terra

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Nr. 1995

Der Tod auf Terra

Eine Kosmische Fabrik imSolsystem - die Erde im Würgegriff

des Unheimlichen

von Hubert Haensel

In der Milchstraße konnte ein großer Sieg errungen werden - wenngleich unter ho-hen Opfern: Die Kosmische Fabrik MATERIA wurde am Schwarzen Loch im Zentrumder Menschheitsgalaxis vernichtet. Damit ist im Frühjahr 1291 Neuer GalaktischerZeitrechnung eine große Gefahr für die Menschheit und für die gesamte KoalitionThoregon beseitigt.Thoregon selbst ist immer noch in einem Prozeß der Entstehung.Die Koalition aus sechs Superintelligenzen und sechs Völkern aus sechs Galaxienwill sich für den Frieden im Kosmos einsetzen. Mächte von gewaltigem Einfluß schei-nen etwas gegen diese Pläne zu haben, die auch von Perry Rhodan noch nicht voll-ständig durchschaut werden können.

Die Kämpfe in der Milchstraße sind nur eine Ebene des Konflikts, der sich seit lan-gem anbahnte. In der Galaxis Chearth steht beispielsweise die letzte Entscheidungzwischen den Algiotischen Wanderern und den Verbündeten aus den Galaxien Che-arth, Andromeda und der Milchstraße an.

Für die Menschen auf der Erde ist Chearth jedoch nicht von Bedeutung; die mei-sten wissen weder etwas von den Guan a Var noch etwas vom Sonnentresor oderden Gomrabianischen Hyperraumhügeln. Die Menschen im Solsystem und auf denzahlreichen Planeten der Liga Freier Terraner werden Zeuge einer neuen Konfronta-tion.

Eine weitere Kosmische Fabrik erscheint und greift den Heimatplaneten derMenschheit an.

Die Kosmische Fabrik WAVE kann nicht gestoppt werden. In einer großen Raum-schlacht wird die Wachflotte der Erde vernichtet; den Kämpfen fällt auch die Regie-rung der Liga Freier Terraner zum Opfer. Die Erde scheint hilftlos zu sein - und dannweilt DER TOD AUF TERRA …

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Die Hautpersonen des Romans:Perry Rhodan - Der Sechste Bote von Thoregon will der Menschheit beistehen.Startac Schroeder - Ein 17 Jahre alter Terraner in den Trümmern des HQ-Hanse.Ramihyn - Der Diener der Materie hat das ganze Solsystem in seiner Gewalt.Margret Thamant - Die Terranerin nimmt den aussichtslosen Kampf gegen den Zyklopen auf.

1.

»Ist es des Lebens wahrer Sinn, Vergäng-lichkeit zu erfahren weil nur dann ein neuesDasein in der Universen Schatten wachsenkann?«

Noman-Hucoc-Saad in 14. Teilung nachErreichen des Tiefenlandes.

Aussehen und Herkunft: Unbekannt.Die letzten Gedanken eines Sterbenden,

anvertraut einer Priorwelle.

*

»…in ein paar Minuten wachen wir aufund werden feststellen, daß alles nur ein bö-ser Alptraum war. Es kann gar nicht anderssein!«

Cistolo Khan hat-te seine Fäuste in denunergründlichen Taschen seiner derbenKleidung vergraben. Er war aufs äußersteangespannt; die Bartschatten, seine kantighervortretenden Wangenknochen und vor al-lem der fahl-rötliche Widerschein der Holo-gramme versteinerten sein Gesicht.

Zynische Stimmen behaupteten, Khanklebe wie ein ertrusischer Saugwurm an sei-nem Sessel, und wenn überhaupt, dann sei ernur noch mit Gewalt zu entfernen.

Er hat abgehalftert, in der Dscherro-Kriseversagt.

Perry Rhodan beobachtete den fülligenZwei-Meter-Mann genau.

Deutlich glaubte er zu erkennen, was hin-ter Cistolos Stirn vorging: Der LFT-Kommissar fühlte sich in der Tat verant-wortlich; er hatte Fehler begangen, aber dashatten andere auch, und er stand weiß Gottnicht allein im Regen. Niemand hatte vor-hersehen können, daß ein Feind wie dieDscherro völlig unerwartet im Herzen der

LFT angreifen würde, zwar nicht in einerZeit des Friedens, aber eben mitten in Terra-nia City. Sogar NATHAN war davon über-rascht worden.

Einige Jahre seines Lebens hätte Khan da-für gegeben, den tausendfachen Tod und dasVerschwinden zweier Stadtteile aus Terraniaungeschehen zu machen. Die Mehrzahl derauf der Erde lebenden Menschen und Galak-tiker wußte das und akzeptierte es; nur weni-ge machten ihrem Unmut immer noch Luftund schrien nach Gerechtigkeit. Was sie in-des wirklich wollten, war Rache. Für die Pa-nik, die sie empfunden hatten, ebenso wiefür ihre durchlittenen Ängste - sie brauchteneinen Sündenbock.

Deine Tragik ist, Cistolo, daß du es nie al-len wirst recht machen können, dachte Rho-dan bitter.

Und je hartnäckiger du genau das ver-suchst, desto einsamer fühlst du dich. Ichkenne das.

»Nach wie vor kein Funkkontakt!« halltedie Meldung durch die Zentrale. »Das ge-samte Solsystem ist hyperenergetisch taub.«

Nur noch eineinhalb Lichtjahre … Solstand als winziger gelber Stern auf denSchirmen, doch das von den Optiken derPAPERMOON erfaßte Licht war achtzehnMonate alt, ausgesandt zur Zeit des letztenWahlkampfes auf Terra.

Mit einem unwilligen Kopfschüttelnscheuchte Perry Rhodan alle ablenkendenGedanken beiseite und konzentrierte sichwieder auf das Hauptholo.

Das Wrack eines 200-Meter-Raumers derPROTOS-Klasse hing scheinbar zum Grei-fen nahe.

Ausgedehnte Rumpfsegmente glühten imirrlichternden Atombrand. In spätestenszwanzig Minuten würde sich das Schiff ineine kurzlebige neue Sonne verwandelt ha-

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ben - ein letztes, endgültiges Aufflackern,das die dann noch an Bord befindlichenFrauen und Männer einen schrecklichen Todsterben ließ.

»Die Funkverbindung zu den Überleben-den ist endgültig abgebrochen!«

Eine unheimliche Bedrohung lastete aufdem Solsystem, eine Gefahr, die sich nochnicht in Worte kleiden ließ, die Perry Rho-dan jedoch liebend gerne ans andere Endedes Universums gewünscht hätte.

Vielleicht … Er ballte die Fäuste, bis dieFingernägel schmerzhaft in die Handballeneinschnitten.

Ich habe Fehler gemacht und die Kosmo-kraten unterschätzt. Aber trotzdem. Hätteich noch einmal die Wahl, ich würde michwieder von ihnen lossagen. Vielleicht wol-len sie nur mich und lassen die Menschheitungeschoren … Ein wahnwitziger Gedanke.Vor allem, weil Wunsch und Realität eineUnendlichkeit weit auseinanderklafften.Rhodan wußte genau, daß er sich in der Si-tuation einer Ameise befand, über der dro-hend der kantige Stiefel eines Wanderersschwebte. Jeden Augenblick würde dieseZentnerlast alles unter sich zermalmen.

Unnütze, beinahe schon gefährliche Über-legungen waren das. Er hörte den LFT-Kommissar knappe Kommandos geben undsah ein Funkenmeer davonwirbeln. Die Ma-növer der ausgeschleusten Korvetten undSpace-Jets waren präzise. Mit Desintegrato-ren und Thermostrahlen schnitten sie denglühenden Rumpf des 200-Meter-Wracksauf, hatten Hangars und Laderäume schonskelettiert und versuchten Schneisen zuschaffen, die der Atombrand nicht sofortüberspringen konnte. Berstende Druckwas-sertanks verspritzten ihren Inhalt, der ver-dampfte und zu bizarren Eisspeeren gefror.

Das Bild spiegelte die Situation derMenschheit wider. Licht und Schatten lagenin scharfer Trennung nebeneinander, ver-mengt mit dem Glühen des um sich greifen-den Atombrandes. All die schaurige Schön-heit konnte aber nicht darüber hinwegtäu-schen, daß dort drüben Menschen für andere

Menschen ihr Leben einsetzten. Die erstenRettungsmannschaften in SERUNS drangenin das Wrack vor; sie wußten wohl, daß ih-nen die tödliche Glut jederzeit den Rückwegabschneiden konnte.

Für einen flüchtigen Moment schloß Per-ry Rhodan die Augen und atmete tief ein.Der Tod, so schien es, war zu einem seinertreuesten Begleiter geworden, zu einem Ge-fährten, auf dessen Nähe er liebend gerneverzichtet hätte. Die Scherben einer fehlge-leiteten Friedenspolitik häuften sich, derTraum einer geeinten Milchstraße war heuteso fern wie schon lange nicht mehr, undThoregon …? Noch blieb die Hoffnung, dieKoalition möge sich nicht nur als Papiertigererweisen.

War das nicht sogar die einzige Hoff-nung?

MATERIA, die gigantische Fabrik derKosmokraten, war am Zentrums-Black-Holeder Milchstraße vernichtet worden. Rhodanempfand deshalb keinen Triumph, schon garnicht Zufriedenheit. Inzwischen erschien esihm, als hätte die Flotte unter viel zu großenOpfern doch nur einen Pyrrhussieg errun-gen, als hätte sich von allen unbemerkt einenicht geringere Bedrohung manifestiert.

Verhaltener Jubel brandete auf. Die erstenMitglieder eines Rettungstrupps erschienenmit mehreren verletzten Besatzungsmitglie-dern in einem der aufgebrochenen Haupt-korridore des Wracks. Nur wenige Metervon ihnen entfernt fraß sich die Glut schondurch die Zwischendecks.

Nach wie vor keine Spur von Hektik. DieMänner und Frauen der PAPERMOON ver-standen ihr Handwerk, und Cistolo Khansgelassene Überlegenheit hatte längst auf sieabgefärbt.

Erste medizinische Daten der Verletztenwurden übermittelt. Teils stammten sie vonden Pikosyns ihrer SERUNS, teils war es er-forderlich geworden, Medocheck-Einheitenin die beschädigten Anzüge einzuschleusen.Quetschungen und Risse innerer Organe,ebenso das Bild diffiziler Brüche ließen aufeinen Ausfall der Andruckabsorber schlie-

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ßen. Die SERUNS waren außerdem hoch-gradig strahlenverseucht.

»…eine Dekompression, Herzstillstandvor knapp sieben Minuten eingetreten. Ach-tung:

Transmitterabstrahlung des PatientenMervin erfolgt nach Medosektion B …«

»Neurologische Betreuung ist bereit!«Die Piloten der Beiboote riskierten Kopf

und Kragen, um die nacheinander zurück-kehrenden Rettungsmannschaften rasch anBord nehmen zu können. Nahezu auf Tuch-fühlung senkten sich einige Space-Jets aufdas glühende Wrack herab.

Etwas mehr als fünf Minuten seit Beginnder Rettungsaktion.

Die Ortungen hatten außerhalb des Solsy-stems weitere Schiffe erfaßt, die im freienFall durch den Raum trieben. Die Vermu-tung lag nahe, daß auch sie nur mehrWracks waren.

Acht Minuten seit dem Rücksturz der PA-PERMOON aus dem Metagravflug. DieZweite Pilotin Serah Jennin war eine derwenigen, die sich von Anfang an nicht umdie Rettungsaktion gekümmert hatten.

»Sieh dir das an!«Rhodan schreckte zusammen, als die Plo-

phoserin ihm eine Holofolie so dicht vor dieAugen hielt, daß er gezwungen war, denKopf zurückzulegen. Von hinten war sie anihn herangetreten, und als er den Blickwandte, starrte ihr schmales Gesicht ihn her-ausfordernd an. Ein hageres Raubvogelge-sicht, ausgezehrter als früher, mit zusam-mengekniffenen Brauen und loderndemBlick. Kein Wunder, daß sie bei der Besat-zung wenig beliebt war.

»Um die Sache sollten wir uns vordring-lich kümmern!« Ihre Betonung war eine har-sche Kritik und zugleich Aufforderung, ohneweitere Verzögerung ins Solsystem einzu-fliegen.

»Ich bin noch nicht kurzsichtig.« Rhodanschaffte es nicht, ihr die Folie abzunehmenoder den Arm ein Stück weit wegzuschie-ben. Ihre Finger verkrampften sich um denRand der Folie, deren Wiedergabe jetzt

wechselte.»Acht Ortungen, die mit großer Wahr-

scheinlichkeit auf Wracks schließen lassen«,stellte die Plophoserin fest. »Ich habe ihreKursvektoren zurückverfolgt - jedes derSchiffe muß zwischen Erdumlaufbahn undAsteroidengürtel in den Hyperraum gegan-gen sein, und zwar in dem Raumvektor, indem Terra derzeit steht. Plus/minus einein-halb Lichtminuten.«

Er hatte es geahnt. In Erdnähe schien einevernichtende Raumschlacht stattgefunden zuhaben.

Über ihren Ausgang brauchte er nicht zuspekulieren. Auch den Gegner glaubte er zukennen. Das Störfeld unbekannter Natur, dasüberlichtschnelle Ortungen ebenso unter-band wie jeden Hyperfunk, entstammtehochwertigster Technik.

Die Vernichtung von MATERIA ent-puppte sich damit als Pyrrhussieg, für denein verdammt hoher Preis zu zahlen war.

»Hast du nichts dazu zu sagen, Perry Rho-dan?« stieß die Zweite Pilotin hervor. »Duschwebst längst in höheren Gefilden. Wasinteressieren dich noch ein paar Galaktiker,solange du irgendwo weit draußen …«

»Halt die Luft an, Serah!« Rhodans Linkeschoß vor und umklammerte das Handge-lenk der Plophoserin. »Terra ist meine Hei-mat und wird das immer bleiben, und ob dues glauben willst oder nicht, ich fühle michim Moment, als wäre ich zwischen zweiMühlsteine geraten.«

Verständnislos starrte sie ihn an.»Zwischen was?« fragte sie verwirrt.

Natürlich hatte sie keine Ahnung. Woherauch. Bestenfalls kannte sie hochfrequenz-gereinigtes und aufgespaltenes Getreide,aber heute noch zu wissen, was Mühlsteinewaren …

»Was ist das hier?« Rhodans Zeigefingerschien den Folienrand durchbohren zu wol-len.

Verwaschene Signaturen, undeutlich undeinander überlagernd, lagen außerhalb desStörfeldes.

Die Pilotin zuckte mit den Achseln. »Eine

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Überlappungsfront möglicherweise, hochge-spannte Energiefelder …«

»Paratronschirme«, sagte Rhodan. »Miteiniger Phantasie lassen sich die Verzerrun-gen in der Wiedergabe als Wechselwirkunginterpretieren, ausgelöst durch die unbe-kannten Energien, die das Solsystem ab-schirmen. Ich gehe jede Wette ein, dort ste-hen einige größere Schiffe in Warteposition.Vermutlich Einheiten der LFT-Hei-matflotte.«

Der aufheulende Distanzalarm übertönteSerah Jennins halbherzige Zustimmung.Gleißende Helligkeit sprang von den Bild-schirmen herab, als das Wrack des200-Meter-Raumers in einer unerwartetenGlutwoge explodierte. Der einsetzendeTrümmerhagel, viele Wrackteile waren grö-ßer als mehrstöckige Wohngebäude, ließ dieSchirmfeldstaffel der PAPERMOON sekun-denlang aufflammen.

»Schadensmeldungen?«»Negativ, Sir!«Für einen Augenblick war es wie früher,

als die Schiffe noch größer und ein Teil derMannschaften noch Individualisten gewesenwaren, Menschen mit Ecken und Kanten,deren Sehnsucht dem Abenteuer gegoltenhatte.

Sir! Wie lange hatte Rhodan diesen Rufnicht mehr gehört? Eine kleine Ewigkeit,schien es ihm.

Zwei oder drei Männer kamen als Urhe-ber in Frage - wahrscheinlich der mit dembürstenkurzen Silberhaarschnitt vor dem In-terkom. Er schien Rhodans Blick zu spüren,denn er wandte kurz den Kopf, grinste verle-gen und salutierte halbwegs mißglückt.

Die Menschen haben sich nicht verändert,schoß es dem Terraner durch den Sinn, es istdie Zeit, die heute vieles in einem anderenLicht erscheinen läßt.

Stets hatten Menschen für eine bessereZukunft gekämpft. Und daran änderte sichnichts, egal wie gewaltig jede neue Bedro-hung auch sein mochte.

»Notruf von der SJ-13!« übertönte eineMeldung die anschwellende Geräuschkulis-

se. »Sirras meldet den Ausfall aller Defen-sivsysteme. Muß ein gewaltiger Brocken ge-wesen sein, der ihm den halben Rumpf weg-gerissen hat.«

In der Optik erschien die abdriftendeSpace-Jet als Glutball unter vielen. In der er-sten Phase des Einschleusmanövers begrif-fen, hatte sie der Kollision nicht mehr aus-weichen können - aber weitaus schlimmerhätte sich eine Explosion im Hangarbereichder PAPERMOON ausgewirkt.

Alle anderen an der Rettungsaktion betei-ligten Beiboote waren inzwischen ohne wei-teren Zwischenfall eingeflogen. Nur mit hal-bem Ohr hörte Rhodan noch dem Funkver-kehr mit der Space-Jet zu - es genügte ihmzu wissen, daß keine Menschenleben in un-mittelbarer Gefahr waren.

Material ließ sich ersetzen, aber Lebenhatten die letzten Jahre genug gekostet.

Es reicht! dachte er bitter. Doch tief inseinen Gedanken brannte die Ahnung, daßdie Zeit des Leidens für die Milchstraßenoch lange nicht zu Ende war.

»Leben bedeutet Kampf - ohne Kampfkein Leben.« So pathetisch dieser Satz auchklang, den er seit seiner Kindheit mit sichherumschleppte, es war die Wahrheit.

*

Fünfzehn Schiffe standen nur wenigeLichtminuten außerhalb des ortungstech-nisch nicht mehr erfaßbaren Bereichs …

Trotz eines kurzen Hyperfunkkontakts mitder PAPERMOON reagierten die Komman-danten überreizt, als das 800 Meter durch-messende Flaggschiff der LFT den Hyper-raum verließ. Der verwehende Glutball einerTransformexplosion nicht einmal zweiein-halb Kilometer querab verriet, wie es um dieNerven der Waffenleitoffiziere bestellt war.Sie hatten sogar die Syntrons der Freund-Feind-Erkennung desaktiviert.

Eine hektisch hervorgestoßene Entschul-digung folgte auf dem Fuß.

»Hier spricht Kommandant Rocci von derKNIGHT. Mir ist schleierhaft, wie das ge-

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schehen konnte, Cistolo. Für den Vorfallübernehme ich selbstverständlich die volleVerantwortung …«

»…und der zuständige Schütze wirdstreng bestraft?« unterbrach der LFT-Kommissar.

Sein Gesprächspartner mißverstand ihngründlich. Falls es noch eines Puzzleteils be-durft hätte, das Bild eines Sonnensystems zuzeichnen, in dem nichts mehr so war wie bisvor kurzem, dann hätte dieses nun vorgele-gen.

»Paragraph achtzehn der Dienstvorschrif-ten besagt …«

»Halt die Luft an, Rocci!« Mit einer hefti-gen Handbewegung schnitt Khan dem Kom-mandanten das Wort ab. »Mich interessiert,was geschehen ist - alles andere erscheintdenkbar unwichtig.«

Roccis Adamsapfel hüpfte; sekundenlangwurde sein Blick glasig und verlor sich ir-gendwo in weiter Ferne, erst dann gab ersich einen Ruck.

Den besten Eindruck machte er ohnehinnicht. Seine Wangen waren eingefallen, dieLippen bleich und rissig, und unter den Au-gen hingen aufgequollene, blutgeränderteTränensäcke. Mit einer unkonzentrierten Be-wegung massierte er sich die Nasenwurzel.Sein hastiges Blinzeln verriet, daß er Mühehatte, Khan zu fixieren.

Er hat mit seinen Kräften Raubbau betrie-ben, seit mindestens 48 Stunden keinenSchlaf mehr abbekommen und steht unterstarken Aufputschmitteln, stellte Rhodanfest. Zweifellos geht es den Mannschaftennicht besser.

»Wir sind am Ende!« stieß Rocci gepreßthervor. »Diesmal gibt es keinen Ausweg,und an Wunder glaube ich nicht.«

»Jammern oder Selbstmitleid bringen unsnicht weiter«, wehrte Cistolo Khan ab. »Wasist geschehen?«

Eindringlicher hätte seine Frage kaumsein können. Einige der Geretteten hatten in-zwischen wirre Aussagen von sich gegeben,aber schon die Vorstellung dessen war unge-heuerlich:

Eine Kosmische Fabrik im Solsystem?Jeder, der die Raumschlacht gegen MA-

TERIA miterlebt hatte, wußte, welche Be-drohung sich manifestierte. Ein einzigerFeuerschlag genügte, um Sol und alle Plane-ten auszulöschen.

Roccis Antwort ließ auf sich warten.»Was ist los mit den Ortungen?« prote-

stierte Serah Jennin. »Scheut ihr euch vorder Wahrheit?

Irgendein Planet muß doch zu erfassensein: Uranus, Neptun vielleicht …? Beeilteuch, die Konstellationen auf den Schirm!«Sie starrte Khan herausfordernd an, streiftedann Rhodan mit wütendem Gesichtsaus-druck. »Ist das ein Schiff der LFT oder einlausiger Ausbildungskreuzer?«

»Wir haben verloren«, sagte Rocci tonlos.»Etwas Vergleichbares hat keiner von uns jegesehen und, beim Teufel persönlich, wirwollen es auch nie wieder erleben. Das …das Ding hat unsere Schiffe abgeschütteltwie lästige Mücken, die Transformsalvensind verpufft, ohne jede Wirkung.«

Alles, was sich angestaut hatte, sprudelteendlich aus ihm hervor. Ohne Punkt undKomma. Und niemand unterbrach ihn.

»…unsere Transformforts - puff, weg, al-le aus dem Raum gepustet.« Rocci schnipptemit den Fingern. »Die Paratronschirme wa-ren wirkungslos. Achtzehntausend vollauto-matische Forts achtzehntausend!« Er schüt-telte sich. »Vielleicht existieren noch einpaar einzelne, aber der Rest …

Und dann die Flotte - wir haben unsereSchiffe reihenweise verglühen sehen. Wieviele davongekommen sind, keine Ahnung.Jynthasso ist garantiert auch tot, mehr weißich nicht.«

Zorn Jynthasso, der ehemalige Komman-deur der terranischen Wachflotte, galt alsMilitärstratege par excellence; er war erstvor wenigen Wochen zu Cistolo Khans er-stem Stellvertreter aufgestiegen. Seine Fä-higkeit der Taktik und Flottenführung warunbestritten.

Khans Miene verhärtete sich vollends.Zögernd hob er die linke Hand mit dem

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scheinbar simplen Ring aus Titan am klei-nen Finger. »Senden!« sagte er leise, abermit Nachdruck. »Verbindung zu NA-THAN!«

Der integrierte Mikro-Hypersender hatteeine Reichweite von ungefähr sechs Licht-monaten, genug, um das lunare Rechenge-hirn von der augenblicklichen Position auszu kontaktieren. Doch keine Antwort kam,der Spezialempfänger blieb so tot wie jedesandere Funkgerät.

Der Kommandant der KNIGHT fuhr sichmit dem Handrücken über den Mund. »Wirhaben in den letzten Stunden registriert, daßsich mehr Schiffe zu sammeln beginnen.Aber noch einmal angreifen? - Nicht bevordie restliche Flotte eingetroffen ist. Der Ein-satzbefehl ging an alle Welten …«

Schweigen. Nur im Hintergrund leisesStimmengemurmel: Hyperfunksprüche, ge-rafft, kodiert, die von übereifrigen Funkernim Klartext abgespielt wurden. Doch kaumjemand achtete darauf.

»Du hast etwas vergessen«, stellte SerahJennin beißend fest. »Wer ist der Angrei-fer?«

»Ramihyn.« Wie einen Fluch stieß Rocciden Namen hervor. »Vor nicht einmal zweiTagen oder ist es jetzt gerade zwei Tageher? - erschien die Kosmische Fabrik WA-VE im Sonnensystem.

Sechzig Kilometer - das Raumschiff istschon fast ein kleiner Mond, unangreifbar,sage ich. Dieser Ramihyn verlangte die so-fortige Kapitulation; Terra und die Terranerseien seine Geiseln. Nichts sonst, keine Er-klärung.«

Wie ein Messerstich zuckte es durchRhodans Herz. Sekundenlang spürte er dieregulierenden Impulse des Aktivatorchips.

Ohne es zu ahnen, hatte Rocci seineschlimmsten Befürchtungen bestätigt. TorrSamaho an Bord der Kosmischen FabrikMATERIA war also nicht allein in dieMilchstraße gekommen.

Mindestens eine weitere Fabrik namensWAVE existierte, und sie war gezielt überTerra in Stellung gegangen.

Wußte Ramihyn von MATERIAS Ver-nichtung? Dann war er gewarnt. Ein lächer-licher Gedanke.

Was einmal gelungen war, würde keinzweites Mal möglich sein. Die Mittel, dienötig waren, auch diese zweite Fabrik zuzerstören, gab es nicht, zumindest befandensie sich nicht in Zugriffsnähe der Galaktiker.Und selbst wenn. Das Solsystem würde nacheiner solch gewaltigen Explosion wie amDengejaa Uveso nicht mehr existieren.

Der Endkampf um die Entstehung Thore-gons konnte ungeahnte Opfer kosten. DieFäden der Handlung waren ihm längst ent-glitten. Zum werweißwievielten Mal fragtesich Rhodan, ob das Ziel das alles wirklichwert war.

Welches Ziel überhaupt? Kein Galaktikerhatte an der Definition mitgearbeitet. Friedein einem lächerlich kleinen Abschnitt desUniversums, in einer Handvoll Galaxien?Sechs Milchstraßensysteme von schätzungs-weise einhundert Milliarden …

Aber gab es überhaupt noch ein Zurück?Perry Rhodan wußte, daß er den eingeschla-genen Weg zu Ende gehen mußte, notfallsbis zum bitteren Ende. Tat er es nicht, würdedie Menschheit zwischen den Mühlsteinenkosmischer Mächte zerrieben werden. Nurdie im Entstehen begriffene Koalition Tho-regon bot den nötigen Rückhalt - er spürte eseinfach, so, wie er einst als Risikopilot derUS Space Force extrem schnell die richtigenEntscheidungen hatte treffen können.

»Geiseln …«, hallte Roccis Aussage unterseiner Schädeldecke nach. Was wollte Ra-mihyn mit Terra und dem Solsystem alsFaustpfand erreichen?

2.

Wenn Universen im Schatten des Nichtsvergehen und Materie zu Energie gerinnt,dann ist das Neue abzusehen, die Ewigkeit… der Tod gewinnt.

Aus: »Das Hohe Lied der Bestimmung«;Abschnitt 23 (Visionen der Erlösung), Vers99.

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Archivierung: Texte ausgestorbener Le-bensformen - Bild/Daten-Zugriff 4899-bu/ji;Gesamtversion nur fragmentarisch erhalten;keine umfassende Rekonstruktion möglich.

*

Cistolo Khan hatte zum Reden angesetzt,es dann aber doch vorgezogen, seine Be-fürchtungen für sich zu behalten. Allein seinknappes Kopfnicken verdeutlichte seinequälende Besorgnis - intensiver, als Wortees je vermocht hätten - und seinen Ent-schluß, mit der PAPERMOON ins Solsy-stem einzufliegen.

»Wir brauchen alle erreichbaren Daten«,forderte er sein Gegenüber auf.

»Wie viele Schiffe haben den Widerstandgegen die Kosmische Fabrik in flugfähigemZustand überstanden? Wie steht es um dieBesatzungen und …?«

»Bescheiden«, unterbrach ihn Rocci.»Viele bangen um ihre Familien oder Freun-de auf Terra; das ist eine Situation, auf diesie bestenfalls theoretisch vorbereitet wur-den. Während die einen darauf brennen, denKampf fortzusetzen, fürchten die anderen,daß jede unüberlegte Handlung das endgülti-ge Ende bedeuten könnte.«

»Mit Waffengewalt richten wir ohnehinnichts aus«, mahnte Rhodan. »Wenn wirdiese Bedrohung überstehen wollen, dannnur auf diplomatischem Weg …«

»…oder indem wir Ramihyns Forderun-gen erfüllen!« rief die Zweite Pilotin dazwi-schen. »Perry, ich beschwöre dich, es gehtum einige Milliarden Menschen allein imSonnensystem.«

Auf dem Absatz fuhr Rhodan herum. Umseine Mundwinkel zuckte es, und die Feuch-tigkeit in seinen Augenwinkeln war schwer-lich zu übersehen.

»Glaubst du, ich wüßte das nicht?« Ein-dringlich betonte er jedes Wort. Er sprachlangsam, beinahe bedächtig. »Ich gäbe vieldafür, das alles ungeschehen machen zukönnen.«

»Auch deine Unsterblichkeit?«

»Serah!« fuhr der LFT-Kommissar dazwi-schen. »Du schießt über das Ziel hinaus.«

»Ach? Wirklich? Muß ich dich erst daranerinnern, Cistolo, daß Rhodan keine Befug-nis hat, für die Menschen zu sprechen? Ichpfeife auf seinen Status als Sechster Bote,das bedeutet für uns bisher nichts. Anderemögen auf das Geschwätz des Helioten her-eingefallen sein, ich bin es jedenfalls nicht.Früher, da war Perry vielleicht noch auf un-ser aller Wohl bedacht, aber das hat er dochlängst aus den Augen verloren. Ist es nichtso, Rhodan?« Sie hatte den Finger in dieWunde gelegt und schickte sich an, genüß-lich darin herumzustochern. »Muß ich alleerst daran erinnern, daß wir die Unsterbli-chen lange genug am liebsten weit weg vonuns gesehen hätten? Genau das bestätigt sichwieder. Wo Rhodan auftaucht, folgt ihm dasUnheil auf dem Fuß.«

»Serah!« Cistolo Khan reagierte hörbarverärgert. »Das ist nicht mehr offizielle Les-art. Wenn du kein Disziplinarverfahren …«

»Ist das alles, was du noch kannst? MitParagraphen drohen? Bevor das geschieht,Cistolo, reiche ich meinen Abschied ein.«

»Und das wäre für dich die Lösung?«fragte Rhodan.

Die Plophoserin starrte ihn aus weit auf-gerissenen Augen an.

»Was würdest du tun?« bohrte der Terra-ner weiter. »Angreifen?«

Ihre Haltung veränderte sich nicht. SerahJennin lauerte auf etwas, aber sie wußtenicht, was kommen würde.

»Einige tausend Kampfschiffe stehen in-zwischen außerhalb des Solsystems«, mur-melte jemand an den Ortungen. »Sie gehö-ren nicht zu den Einheiten, die gegen dieKosmische Fabrik kämpften, sie kommenvon Plophos und Olymp und Ferrol und an-deren Welten. Alles in allem werden es baldüber 13.000 Einheiten sein.«

»…oder gibst du einem geordneten Rück-zug den Vorrang?« wollte Rhodan wissen,ohne den Einwand zu beachten. »Läßt du al-les im Stich, wofür du dich bisher eingesetzthast?«

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»Ich …«»Genug damit!« wehrte Rhodan ab. »Ich

stehe zu meiner Verantwortung und werdenotfalls mit einem Ein-Mann-Jäger ins Son-nensystem einfliegen …«

»Was ich nicht zulassen kann.« CistoloKhan machte zwei schnelle Schritte auf denUnsterblichen zu, den er als Zwei-Me-ter-Mann immerhin um elf Zentimeter über-ragte, und umfaßte Perrys Schultern.»Gemeinsam haben wir am Dengejaa Uvesogegen MATERIA gekämpft, sollen wir unsjetzt verkriechen, weil eine zweite Kosmi-sche Fabrik existiert? - Wer von Bord gehenwill, bevor die PAPERMOON ins Solsystemeinfliegt, der kann es innerhalb der nächstenzehn Minuten tun. Danach gibt es kein Zu-rück mehr, aber auch keine Flotte, die unsbegleitet. Ich hoffe, das war verständlich.«

Ausgerechnet Serah Jennin war es, diewissen wollte: »Warum noch zehn Minuten?Bringen wir es endlich hinter uns.«

»Dein Dienst ist ab sofort beendet«, ord-nete Khan an. »Du hast Freiwache.«

»Aber … ich …«»Kannst du nicht oder willst du nicht ein-

sehen, daß ich Piloten brauche, auf die ichmich ohne Diskussionen verlassen kann?Melde dich zum Dienst zurück, Serah, so-bald du dich ausgeruht fühlst, keinesfallseher.«

*

Das von der KNIGHT übermittelte Daten-material war schlichtweg erdrückend. Fünf-zig Stunden Angst, sagte der Kommandant,waren ein erschütterndes Dokument terrani-scher Verletzlichkeit, angefangen vomplötzlichen Zusammenbruch aller Hyper-funksendungen im Solsystem und dem Aus-fall jeder überlichtschnellen Ortung über diekurz darauf mit irrealer Sendeleistung zuempfangende Kapitulationsaufforderung Ra-mihyns.

Er nannte sich »Diener der Materie«, wasimmer das bedeutete, und er bediente sichder Sprache der Mächtigen.

Diener der Materie. Selbst im Zusammen-hang mit Torr Samaho und MATERIA wardieser Begriff nicht gefallen. Die Assoziati-on Materiequelle lag nahe, die als im Uni-versum niveauhöchste Zustandsform einerIntelligenz galt und gleichsam die Vorstufein der kosmologischen Entwicklung hin zuden Kosmokraten war. Diener der Materiewar wohl gleichzusetzen mit Diener derKosmokraten und für Perry Rhodan keines-wegs eine neue Erkenntnis.

Breite Bevölkerungsschichten mochtenerst jetzt verstanden haben, mit welchenMächten die entstehende Koalition Thore-gon konfrontiert war. Trotzdem blieb dieganze Wahrheit für viele hinter den Schran-ken menschlichen Vorstellungsvermögensverborgen. Auch anno 1291 NGZ war esnicht jedermanns Sache, sich eine unendli-che Anzahl von Universen als Ansammlungvon Schaumblasen vorzustellen, jede dieser»Blasen« mit zig Milliarden Galaxien erfülltund durch die Tiefe von den anderen ge-trennt. Welch lächerlich geringen Ausschnittdes eigenen Universums hatten Menschenbis heute erst zu Gesicht bekommen.

Rhodan hatte die Daten der KNIGHT zueinem Schulungsprogramm zusammenfas-sen lassen.

Nicht nur er selbst und Cistolo Khan, son-dern auch der Kommandant und Erste Pilotder PAPERMOON, Prett Boemer, und wei-tere Offiziere wurden dadurch umfassend in-formiert.

In hoffnungsloser Selbstüberschätzunghatte Zorn Jynthasso Ramihyns Forderungenzurückgewiesen und seinerseits verlangt,WAVE solle das Solsystem verlassen. Ins-gesamt elftausend schwerbewaffneteKampfraumer wurden im Kurs der Kosmi-schen Fabrik zusammengezogen - angesichtsder Schlagkraft seiner transformbestücktenSchiffe hatte er die Warnung der Ersten Ter-ranerin vor einer solchen Provokation nichternst genommen.

Mitzuerleben, wie bereits beim ersten Ge-fecht achttausend Transformstationen undmehr als die Hälfte der Kampfraumer ver-

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nichtet wurden, während WAVE sich wei-terhin Terra näherte, war erschreckend.

Später fraßen sich Strahlenfinger durchdie Erdatmosphäre … Abwehrstellungen aufder Planetenoberfläche verglühten.

Dann die schockierende Nachricht, dieselbst Rhodan nicht erwartet hatte: Das HQ-Hanse, der Regierungssitz und damit dasHerz der LFT, existierte nicht mehr. Ein ein-ziger Strahlschuß der Kosmischen Fabrikhatte die starken Paratronschirme zerfetztund ein lebloses Trümmerfeld hinterlassen.

Die LFT war ihrer Regierung beraubt.Paola Daschmagan, die Erste Terranerin, tot,im gegnerischen Feuer gestorben, wahr-scheinlich ohne überhaupt zu begreifen, wasgeschah. Und mit ihr die gewählten Vertre-ter des Volkes, Hunderte hochrangiger Di-plomaten und Galaktiker.

Eine Notregierung …?Vorerst schien Terra in Agonie erstarrt.

Nie zuvor in der terranischen Geschichtewar eine vergleichbare Katastrophe in sokurzer Zeit über die Erde hereingebrochen,obwohl die vergangenen Jahrtausende genü-gend Narben hinterlassen hatten. Unter die-sen Umständen verwunderte es nicht, daßgeflüchtete Flotteneinheiten wie verloreneSchafe außerhalb des Sonnensystems kreuz-ten und manche Besatzungen sich sogar taubstellten.

Mit zehn Prozent der Lichtgeschwindig-keit flog die PAPERMOON in den Bereichdes Sperrgürtels ein.

Die Ortungsdaten verschlechterten sichrapide. Innerhalb von knapp zwei Minutenverwischten die Reflexe der KNIGHT undder anderen Schiffe des kleinen Pulks, we-der Masse noch Energieemissionen wurdenmehr erfaßt.

»Der Weltraum hat sich verändert«, arg-wöhnte Prett Boemer. »Auf eine von denSensoren nicht zu erfassende Art und Wei-se.«

»Wie hoch ist die Geschwindigkeit?«»Keine Definition möglich.«»Beschleunigung mit Höchstwerten!« ent-

schied Khan. »Je eher wir durch sind, desto

besser.«Für den 800-Meter-Kugelraumer schien

die Zeit stehenzubleiben. Auch die optischeWahrnehmung zeigte keine Veränderungenmehr, obwohl die bald schon relativistischeGeschwindigkeit deutliche Farbverschiebun-gen hätte ergeben müssen. Es war, als kämp-fe das Flaggschiff gegen ein Medium an, indem alle Gesetzmäßigkeiten ihre Gültigkeitverloren hatten.

»Was ist mit Passivmessungen?«»Nichts, Cistolo. Wir würden es nicht ein-

mal bemerken, wenn wir mitten in der Hölleherauskämen.«

»Mal den Teufel nicht an die Wand,Prett!«

»Durch, wir sind durch! Wir haben wie-der Funkempfang - und die Ortungen zeich-nen!«

»Alle Schiffsbewegungen ins Hauptholo!Wo steht WAVE? Was ist mit Trokan? -Sonderfrequenz zu NATHAN schalten!«

Ungehindert drang die PAPERMOON insSonnensystem ein. Im Bereich zwischen derErdbahn und Trokan erfaßten die Hyperor-tungen ausgedehnte Trümmerfelder. FürTerra bestand derzeit keine Gefahr durchsie, aber Venus und Merkur würden einmassereiches Bombardement über sich erge-hen lassen müssen. Ihre Schwerkraftfelderbeeinflußten einen Teil der Wracks auf demSturz in die Sonne.

Einige Syntronanalysen wichen detaillier-ten Ortungsbildern: WAVE, die KosmischeFabrik, kreiste im Orbit über Terra, einMonstrum an Masse und Energie. Die Ähn-lichkeit mit MATERIA war frappierend.Auf einer zehn Kilometer dicken Plattform,ein Fünfeck mit jeweils dreiunddreißig Kilo-metern Seitenlänge, erhoben sich wie dieZinnen einer Burg gewaltige Aufbauten biszu sechzig Kilometer hoch.

»Wir erfassen einige hundert Raumschiffezwischen den äußeren Planeten, die meistenim freien Fall und ohne Triebwerksemissio-nen.«

»Funkkontakt herstellen. Richtfunk, mini-male Energie.«

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Page 13: Der Tod auf Terra

Zwischen den Umlaufbahnen von Uranusund Neptun drang die PAPERMOON in dieEkliptik ein. Dreihundert Millionen Kilome-ter stand der äußere Planet entfernt.

»Masseortung! Mehrere500-Meter-Raumer sind im Bereich des po-laren Stützpunkts gelandet.«

»Anzeichen ungewöhnlicher Aktivitä-ten?«

»Keine, Sir, Perry.«»Empfangen Antwort über Richtstrahl«,

kam es von der Funkzentrale. »Lege um aufInterkom!«

Die fremde Stimme war leise und schwerverständlich, eigentlich nur ein gequältesFlüstern.

»Haltet euch da raus! Wir sind froh, daßdas Monstrum uns in Ruhe läßt. Ein paarTage noch, dann sind wir in Planetennäheund können unbehelligt landen …«

Cistolo Khans Miene hatte sich verdü-stert. Unwillig schob er das Kinn vor, alswolle er gleich darauf lospoltern.

»Überleben um jeden Preis?« murmelte erbetroffen.

Unablässig wurden weitere Raumschiffegeortet, die meisten Einheiten der Heimat-flotte, aber auch Frachter und sogar einwrackes Blues-Beiboot. Kein Hinweis dar-auf, wie der Diskus in die Schlacht um Terrahineingeraten war.

Mehr als siebenhundert Schiffe inzwi-schen. Sofern sie nicht ebenfalls antriebslosim Raum hingen, wirkten ihre Manöversinnlos und dokumentierten ein Abwartenzwischen Bangen und Hoffen.

Eine neue Meldung kam von den Ortun-gen: »Unbekannte Flugkörper im Schwer-kraftbereich von Trokan. Sie sind zigarren-förmig, jeweils siebenhundert Meter lang.Der Planet wird von ihnen lückenlos abge-riegelt.«

Rhodan nickte knapp. »Stehen über ande-ren Welten ähnliche Schiffe?« wollte er wis-sen.

»Bislang gibt es keine Anzeichen dafür.«»Das sind Beiboote der Fabrik.« Für

Khan gab es daran keinen Zweifel. »Ich ver-

mute«, wandte er sich an Perry, »daß sieTrokan des Pilzdomes wegen blockieren.«

»Nur deshalb. Die Herreach dürften Ra-mihyn kaum interessieren. Er will verhin-dern, daß uns ein Volk der Koalition überdie Brücke zu Hilfe kommt.«

Mit wieder reduzierter Geschwindigkeitnäherte sich die PAPERMOON dem Jupiter.Immer noch kamen neue Daten herein, ihreAuswertung erbrachte aber keine grundle-gend neuen Erkenntnisse, vielmehr erschienes, als herrsche innerhalb des Solsystems einlabiles Gleichgewicht. Wehe allerdingsdemjenigen, der es wagte, sei es absichtlichoder aus einer falschen Reaktion heraus,Funken an die Lunte zu legen.

»Wenigstens können wir davon ausgehen,daß die Menschen auf der Erde sicher sind,solange sie nicht aufbegehren.«

»Eben das ist das Problem, Perry. Sobaldsie ihr Entsetzen überwunden haben, legeich dafür nicht mehr die Hand ins Feuer.Menschen neigen zu Extremreaktionen.«

Ein Aufschrei erklang aus der Funkzen-trale. »Es … es geht los. Dieser verfluchteRamihyn tötet seine Geiseln. - Wir müssensofort angreifen, oder es gibt bald nichtsmehr, für das es sich zu kämpfen lohnt. Ci-stolo, unsere Familien leben auf Terra!«

*

Die Funkzentrale hatte sich kurzerhandauf den Panoramaschirm aufgeschaltet undmehr als die halbe Wiedergabefläche belegt.Störungen unterbrachen die Nachrichtensen-dung von der Erde, vor allem die Tonquali-tät war schlichtweg miserabel. Nur lag daskeinesfalls daran, daß der Sprecher Mühehatte, einen einzigen vollständigen Satz her-auszubringen, und sich mit seinem Kom-mentar zurückhielt.

FTN - First Terrestrien Networks verkün-deten dreidimensionale Lettern am Bild-schirmrand.

Datum und Uhrzeit waren aktuell, dieAufnahmen wurden live in den Äther ge-schickt.

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Page 14: Der Tod auf Terra

Schwere Wolkenbänke türmten sich über-einander, von Sonnenstrahlen blutrot ge-färbt, ansonsten von dräuender Schwärze.Flackerndes Wetterleuchten überzog denHimmel.

Das Bild wechselte erneut und sprang zu-rück in eine Straßenschlucht mit gewagtenGlasfassaden, kühn geschwungenen Trans-portbändern und weitläufigen Grünanlagen.Gleiterkabinen huschten, ihrem syntroni-schen Pfad folgend, durchs Bild.

Der bunte Widerschein der Leuchtrekla-men wirkte kälter als für gewöhnlich. Zy-nisch sogar.

Aus den Augenwinkeln heraus registriertePerry Rhodan, wie Khan sich verkrampfte,als die Optik ein Gesicht der Anonymitätentriß. Farbige Reflexe huschten in stetemWechsel über die verkrampften Züge, aberauch sie zauberten kein Leben mehr in diegebrochenen Augen.

Der Mann war tot. Die Hände um denBrustkorb verkrampft, war er auf dem trans-parenten Übergang zusammengebrochen.

Keine vier Schritte entfernt lag ein Kind,den Mund zu einem gequälten Schrei aufge-rissen.

Entsetzen stand in seiner Miene zu lesen,die Gewißheit, sterben zu müssen und keineHilfe zu erfahren.

In schneller Fahrt glitt die Kamera denStraßenzug entlang. Hunderte von Totenzeigte sie - aber keiner wies Anzeichen äu-ßerer Gewalteinwirkung auf. Einige saßennur da, den Kopf vornübergesunken, als sch-liefen sie. Andere schienen das Ende gespürtzu haben, doch ihre Versuche davonzulaufenhatten ihnen nicht geholfen.

Abermals Szenenwechsel.Ein Marktzentrum, einer der gewaltigen

Paläste aus Stahl, Glas und Formenergie, dieals Tempel galaktischer Wirtschaftskraftgalten. Hier gab es zu kaufen, was das Herzbegehrte, angefangen von irischem Whis-key, nach präatomarer Rezeptur gebraut,über Vurguzz bis hin zu blueschen Speziali-täten wie lebendem Muuhrt-Wurm, demletzten Schrei terranischer Gastronomie.

Und das waren nur lukullische Leckerbissen.Wem der Sinn danach stand, einem Archipelauf einer neu erschlossenen Welt seinen Na-men zu geben, der konnte das gegen einenkleinen Obolus von 10.000 Galax tun. Odereine Reise ins eigene Ich buchen - virtuellaufgepfropfter Abenteuerurlaub, der dieGrenzen individueller Leistungsfähigkeithinter sich ließ.

Ein solches Zentrum war eine Stadt fürsich, doch wo lebhaftes und quirliges Trei-ben herrschen sollte, lastete beklemmendeStille.

Von einem Augenblick zum anderen hatteder Tod reiche Ernte gehalten. Menschenwaren im Verkaufsgespräch zusammenge-brochen, andere noch mit einem Lächeln imGesicht in der Gewißheit, ein besonders gu-tes Geschäft abgeschlossen zu haben. Meh-rere Tote hingen in den Antigravfontänenund würden schwerelos weiterhin durch dieHallen schweben, bis endlich jemand dieAutomatik abschaltete.

»Der Besuch unserer VerkaufsausstellungSchmuck der Perlians im dritten Jahrtausendstellt ein unbeschreibliches Erlebnis der«,wisperte eine verführerisch modulierte Stim-me. »Exotischer und aufregender kann nichteinmal eine Reise ins Jenseits sein …«

»Die städtischen Sicherheitsbehörden ste-hen vor einem Mysterium«, kommentierteder Moderator von FTN hörbar betroffen.»Nach einer ersten vorsichtigen Schätzunggab es allein in Hannover zweieinhalbtau-send Tote, und soeben erreicht uns die Mel-dung, daß sich in anderen Großstädten ähnli-ches ereignet hat. Menschen fallen um wieFliegen, sie sterben in Sekundenschnelle.«

Ein Stadtplan wurde eingeblendet, zweiBereiche waren deutlich hervorgehoben: deranfangs gezeigte Straßenzug ebenso wie dasMarktzentrum. Beide Brennpunkte lagen inLuftlinie fünfzehn Kilometer voneinanderentfernt.

»Tausende von Toten sind auch in Kairo,Adelaide und Feuerland-Ost zu beklagen.

Über Terra, so heißt es bereits, wandeltder Tod. Nur die Kosmische Fabrik kann da-

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Page 15: Der Tod auf Terra

für verantwortlich sein. Dagegen spricht je-doch, daß dieses monströse Gebilde sehrwohl über Nordeuropa stand, nicht abergleichzeitig auch an den anderen Orten.Über Hannover kam der Tod um 19.12 UhrStandardzeit, in Kairo um 19.16 Uhr, in Au-stralien um 19.19 und Feuerland um 19.25Uhr.«

Cistolo Khan starrte noch auf den Bild-schirm, als die Wiedergabe schon in einemChaos von Störungen untergegangen war. Erwirkte unbeschreiblich müde, gezeichnetnicht nur von den zurückliegenden Strapa-zen, sondern vor allem von der Sorge umdas Sonnensystem. Die Verantwortung la-stete schwer auf seinen Schultern.

»Gott stehe uns bei!« brachte er tonloshervor.

»Es besteht kein Anlaß, den Wahrheitsge-halt der Sendung zu bezweifeln«, kam es ausder Funkzentrale. »Die Kodierung von FTNwurde überprüft, eine Manipulation ist aus-geschlossen.«

»Wir müssen eine Eskalation verhin-dern.« Khan biß sich die Unterlippe blutig.»Ich will, daß ein Funkspruch ausgestrahltwird. Höchste Sendeleistung. Syntron, denWortlaut aufzeichnen:

Ich, Cistolo Khan, wende mich in dieserStunde größter Not an alle Bewohner desSolsystems.

Eindringlich warne ich vor Unbesonnen-heiten und davor, Provokationen gegenüberder Kosmischen Fabrik anzuzetteln. Wir ha-ben es mit einem Gegner zu tun, dessenTechnik unserer weit überlegen ist.

An die Flottenkommandanten, derenSchiffe noch einsatzfähig sind, richte ichden Befehl, unverzüglich das System zu ver-lassen. Ich erwarte, daß alle Einheiten sichaußerhalb der Funkund Ortungssperre bereithalten.

Cistolo Khan, Ende.«Rund dreitausend Kampf- und Wachschif-

fe waren inzwischen verzeichnet, die klägli-chen Überreste der ehemals stolzen Heimat-flotte; andere waren wahrscheinlich bereitsaus dem System geflüchtet. Der LFT-

Kommissar gab sich keinen Illusionen hin,daß er mit dieser Streitmacht, selbst ver-stärkt um die 13.000 Einheiten der übrigenLFT-Welten, der Kosmischen Fabrik nurNadelstiche würde zufügen können. Sogarfür den Fall einer erforderlich werdendenEvakuierung hatte er schlechte Karten. Nichteinmal für einen Bruchteil der Erdbevölke-rung würde die zur Verfügung stehende Ka-pazität ausreichen. Und die Transmitter nach»außerhalb« wurden, wie die Messungen er-geben hatten, nach wie vor durch die Kosmi-sche Fabrik massiv gestört.

Weit über 200 Einheiten der Wachflottehatten zur modernisierten500-Meter-ODIN-Klasse gehört, wenigmehr als siebenhundert zur200-Meter-PROTOS-Klasse, alle übrigenentstammten als 100-Meter-Raumer den ver-schiedensten Baureihen. Wie viele von dengrößeren Schiffen überhaupt noch zur Ver-fügung standen - er wußte es nicht …

*

Der gewaltige Gasball des Jupiter wuchsvor der PAPERMOON auf. Das Flaggschiffwar auf eine Restfahrt von zehn ProzentLicht abgebremst worden. Nie hatte CistoloKhan es ähnlich intensiv wahrgenommen,doch diesmal erschien ihm der gewaltige ro-te Fleck in der südlichen Tropischen Zonewie ein böse glotzendes Auge.

Perry Rhodan, der die Zentrale erst vorwenigen Minuten verlassen hatte, kehrtewieder zurück.

Er trug jetzt nicht mehr die neutrale Bord-kombi, sondern den enganliegenden blauenRaumanzug, ein Geschenk der GalorninKaif Chiriatha.

Rhodan ignorierte Khans fragend hochge-zogene Augenbraue. »Noch keine Verbin-dung zu NATHAN?« wollte er wissen.

Ein verbissenes Kopfschütteln. »Ramihynweiß, wo unsere Schwachstellen zu findensind. Es sieht so aus, als hätte er Luna eben-falls mit einer Funksperre belegt. «

»Deswegen bricht die Grundversorgung

Der Tod auf Terra 15

Page 16: Der Tod auf Terra

noch nicht zusammen. Sollten aber die kon-tinentalen Umsetzer ebenso in ihren Funk-tionen beeinträchtigt werden …« Zielstrebigging Rhodan auf die Konsole der Transmit-terkontrolle zu. »Ich brauche eine Darstel-lung der planetaren Empfangsstationen. Be-vorzugt Terrania City.«

»Was hast du vor?«»Ich springe zur Erde. Ich kann jetzt nicht

einfach auf Distanz bleiben.«»Wir wissen nicht, wie sich die Sperr-

Energien auf interplanetare Transmitterver-bindungen auswirken. Das Risiko ist zugroß.« Der LFT-Kommissar las die Ent-schlossenheit in Rhodans Blick und fügtesofort hinzu: »Wenn überhaupt einer denSprung wagt, dann ich. Du bekleidest keinöffentliches Amt, Perry, was könntest duausrichten?«

Rhodan stieß ein gequältes Lachen ausund blickte von den Monitoren auf. »Mußich erst gewählter Vertreter sein, um meinVerantwortungsgefühl für die Menschheit zuentdecken? Nein, Cistolo, ich werde niemalstatenlos zusehen, wie mein Volk als Geiselmißbraucht wird - egal für was und vonwem.«

»Folglich gehen wir beide.«»Nein!«Schroff klang Rhodans Ablehnung, eisig

fast. Ein Dutzend Augenpaare richteten sichauf Khan und ihn.

»Laß es nicht auf eine Machtprobe zwi-schen uns ankommen, Perry! An Bord desFlaggschiffs der LFT unterstehst du meinemKommando, daran ändert auch dein Statusals Sechster Bote von Thoregon wenig. Ichbin derzeit die Regierung!«

»Eben deswegen mußt du jedes Risikovermeiden, Cistolo. Ohnehin bin ich in mei-nem blauen Raumanzug am besten ge-schützt.«

Khan schürzte die Lippen. Ihm behagtediese Lösung nicht. Andererseits war er viel-leicht wirklich der letzte Überlebende derLFT-Regierung.

»Mir obliegt also die zweifelhafte Ehre,im Falle eines Falles Feuerwehr spielen zu

dürfen. Das gefällt mir nicht, Perry. Das ge-fällt mir ganz und gar nicht.«

3.

»Ich bin Gestern, Heute und Morgen,denn ich werde wieder und wieder geboren;mein ist die unsichtbare Kraft, die Götter er-schafft und sie am westlichen Himmelspeist. Ich bin das östliche Ruder, der HerrZweier Gesichter, der in seinem eigenenLicht steht; der Herr der Auferstehung, deraus der Dämmerung hervortritt und aus demHause des Todes zu neuem Leben geborenwird …«

»Ich bin der, der hervortritt als einer, derdurch die Tür bricht; und immerfort währetdas Tageslicht, das sein Wille erschaffenhat.«

Die Bitte eines namenlosen Verstorbenenin einer Anrufung um die Hilfe der großenGötter.

Planet Terra, aus dem Papyrus des Ani,entstanden um eine Zeit, genannt 1420 v.Chr. - Nichtenergetisches Trägermedium,aufbewahrt mit anderen unwichtigen Arte-fakten.

*

Eine seltsame kleine Welt war es, die erbetreten hatte. Bislang unbedeutend, so un-wichtig wie die Galaxis, zu der sie gehörte.

Und doch war der Kosmokrat Hismooman dieser Welt interessiert.

Seine Befehle würden beizeiten ergehen.Ramihyn fragte nicht. Es war seine Auf-

gabe, die Bewohner, die ihre Welt Terranannten, bereitzuhalten und den Planetenseinem Regiment zu unterwerfen.

Er, der Diener der Materie, regelte dieDinge auf seine Weise: Natürlich hatte dieterranische Wachflotte versucht, gegen WA-VE anzurennen - vergeblich, wie dies stetsder Fall war -, und nun zeigte er seineMacht.

Sie waren schwach, die Eingeborenen die-ser Welt, ihre Körper zerbrechlich, und ei-

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Page 17: Der Tod auf Terra

gentlich waren sie nicht mehr wert, als raschausgelöscht zu werden …

…hätten sie nicht ein eigenwilliges, viel-schichtiges und zugleich überaus zwiespälti-ges Verhältnis zum Leben und ihrer eigenenVergänglichkeit entwickelt. Sie haßten denTod und liebten ihn, sie flohen vor ihm undsehnten ihn herbei. Für sie hatte der Tod vie-le Gestalten.

Interessiert nahm Ramihyn die Darstel-lungen in sich auf, die das weitläufige Ge-bäude in sich barg. Niemand behinderte ihn;die wenigen Menschen, die er hier vorgefun-den hatte, lagen tot in den niedrigen Räumenoder den Treppenfluren. Auch draußen, aufdem sonnenüberfluteten Verkehrsweg, exi-stierte kein Leben mehr. Die Stille der Ewig-keit hatte Einzug gehalten - das Ziel und dieErfüllung aller Universen.

Ägyptische Totenbücher hieß die Abtei-lung, in der Ramihyn auf Papyrus des Anigestoßen war.

Er übermittelte die Daten an WAVE,zwar kein Gedicht über das Ende der Welt,aber sinnig formuliert, ein Stück Erinnerungmehr in seiner Sammlung als Zeugnis einesVolkes, das in Kürze aufhören würde zu exi-stieren.

Mauern barsten, als er die Halle mit denFragmenten verließ. Den Diener der Materieinteressierte nicht, ob er Zerstörungen hin-terließ; bedauerlich war nur, daß er die Ent-scheidung des Kosmokraten abwarten muß-te. Wie begierig war er darauf, unter Leben-den zu wandeln und an ihrem Tod die Ver-gänglichkeit des Seins abzulesen, die auchihn eines Tages hoffentlich zu Staub ver-wandeln würde. Nach nichts sehnte er sichmehr, als jenen Augenblick in ferner Zu-kunft mit jeder Faser seines Geistes zu er-spüren. Doch bis dahin mußte ihm die Poe-sie des Todes genügen, seine wachsendeSammlung von Gedichten und Metaphernüber das Ende der Welt.

Wie lange hielt er sich schon an diesemOrt auf, den die Menschen Museum nann-ten? Ramihyns Blick streifte die leblosenHüllen, die ihn an bunte Puppen erinnerten.

Ihre Vitalenergie war erloschen, und baldwürden die Zellstrukturen zu dem Staub zer-fallen, aus dem sie hervorgegangen waren.Auch das Universum würde eines Tages nurnoch Staub sein - ein verlockender Gedanke,jenes Nichts zwischen Werden und Verge-hen bewußt wahrzunehmen.

Die anderen Diener der Materie nanntenihn den »Totengräber«, weil er den Anzugdes Todes trug. Der Name sollte abschätzigklingen; sie wußten gar nicht, wie sehr siedamit den Sinn seiner Existenz offenbarten.

Indes hatte Ramihyn, mit der Ausnahme,als er Torr Samahos RUF gefolgt war, schonseit langer Zeit keinen Kontakt mehr mit ei-nem der anderen Diener gepflegt. Weil erimmer dann gezwungen war, seinen Anzugabzulegen, und das erschien ihm längst wieein Sakrileg. Wer in seine Nähe kam, mußtesterben; der Anzug und er, das war inzwi-schen eine untrennbare Gemeinschaft.

Ob Parr Fiorano, der Anzugmacher, ge-wußt hatte, welches Meisterstück er schuf?Nie wäre Ramihyn bereit gewesen, mit ei-nem der anderen Diener der Materie zu tau-schen. Und hatte Parr nicht davon gespro-chen, daß jeder Anzug nicht nur ein niemalsreproduzierbares Unikat darstellte, sondernvor allem die Fähigkeiten und Neigungenseines Trägers verstärkte?

Nach wie vor spürte Ramihyn kein neuesLeben in seiner Nähe. Hoch über ihm zogenzwei kleine, scheibenförmige Raumschiffeüber den blauen Himmel mit den weißenWattebäuschen.

Ramihyn glaubte zu spüren, daß hochsen-sible Erfassungsgeräte in die Tiefe gerichtetwaren.

Es wäre ihm leichtgefallen, beide Diskus-schiffe in glühende Schlackebrocken zu ver-wandeln, aber das war nicht die Art vonVergänglichkeit, nach der er sich sehnte.

Laß sie noch rätseln, was geschieht.Ramihyn, der Totengräber, setzte seinen

Weg fort.

*

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Page 18: Der Tod auf Terra

Bericht Perry Rhodan.Der Schmerz traf mich ohne Vorwarnung,

jenes Ziehen im Schulter- und Nackenbe-reich, das für gewöhnlich nur bei Transmit-tersprüngen über viele tausend Lichtjahrehinweg auftritt. Dagegen ist die EntfernungJupiter - Terra geradezu ein Katzensprung.

Völlig unerwartet wurde mir schwarz vorAugen, meine neue Umgebung ver-schwamm in einem Konglomerat ineinan-derfließender Farben und Formen. Ich tau-melte, stolperte haltlos vorwärts und stießgegen ein nachgebendes Hindernis.

Du hast es geschafft, Perry, konstatierteich. Ein wenig zerknittert vielleicht, doch dubist auf der Erde.

Die Belastung war groß gewesen, über ei-ne wesentlich weitere Distanz hätte derSprung nicht führen dürfen. Ob WAVE Ter-ra gezielt blockierte oder ob die Erschwe-rung des Transmitterverkehrs allein schonaus der Anwesenheit der Kosmischen Fabrikresultierte, blieb dahingestellt. Auf jedenFall bestätigte sich im nachhinein, daß eswohl mindestens ebenso gefährlich gewesenwäre, die Erde mit einem Beiboot der PA-PERMOON anzufliegen.

Feuchtigkeit in den Augenwinkeln ver-schleierte meinen Blick. Blinzelnd erkannteich das vermeintliche Hindernis als Multi-kom-Tafel, ein antigravgesteuerter, fastmannsgroßer Projektorrahmen, dessen viel-seitige Verwendungsmöglichkeiten ihn inden letzten Jahren zum absoluten Verkaufs-hit gemacht hatten.

Der Zusammenprall hatte die Wiederga-befunktion aktiviert: Überrascht registrierteich den Aufbau des Transmitterfeldes, vondeutlichen Überladungen geprägt, und Se-kunden später zeichneten sich schemenhaftdie Umrisse eines menschlichen Körpers ab.Das war wie ein Pulsieren, ein Schwingenzwischen den Dimensionen, bis ich regel-recht ausgespien wurde.

»Zwei weitere Aufzeichnungen sind vor-handen«, erläuterte die Syntronstimme desProjektorrahmens.

Ich befand mich im Wohnbezirk für Han-

se-Mitarbeiter, nördlich des Regierungsvier-tels, nahe der Antares Road. Das Camelot-Rekrutierungsbüro lag in der Nähe, jedochhatte der dortige Transmitter keine Auf-schaltung zugelassen.

Die kleine Sende- und Empfangsstation,über die ich nach Terrania City gelangt war,stand üblicherweise nur Diplomaten zurVerfügung. Die luxuriös ausgestattete Hallelag verlassen vor mir. Gebäudeschäden gabes nicht, obwohl der Beschuß von WAVEschon die benachbarten Straßenzüge ausge-löscht haben mußte.

»Aufzeichnungen wiedergeben«, sagteich. Immerhin war ich hier, um Informatio-nen zu sammeln.

Das Portrait einer ausnehmend hübschenFrau stabilisierte sich. Ihr Alter war schwerzu schätzen, sie mochte mindestens sechzigsein, also in den besten Jahren. Das Haartrug sie zu zwei seitlichen Schnecken aufge-rollt, die Leuchtfarben verliehen ihr denHauch eines Heiligenscheins.

»Ich weiß, Tremond, daß ich dir fehlenwerde. Die vier Wochen, die du auf Terraarbeiten wirst, erscheinen mir noch immerviel zu lang, und es wird mir schwerfallen,die Zeit ohne dich zu überbrücken. Wahr-scheinlich muß ich mir eine Arbeit suchen,irgend etwas Soziales, Gemeinnütziges.Vierhundert Lichtjahre sind keine Entfer-nung. Ich bin bei dir, Tremond, und ich binstolz auf dich, daß du zumWirtschaftsattaché berufen wurdest. Bisbald, mein Lieber. Ich hänge dir noch einigeAufnahmen von uns beiden an, du weißtschon, unser letzter Urlaub auf Eden IV …«

»Die Wiedergabe beenden«, seufzte ich,denn das letzte, was mich jetzt interessierte,war ein Familienalbum. »Die zweite Auf-zeichnung projizieren.«

Die Kennung eines Interkomanschlussesflammte auf.

»Hallo, Tremond. Wenn alles geklappthat, bist du vor fünf Minuten im Herzen vonTerrania angekommen.« Die unverkennbarweibliche Stimme sprach Akzent, vor allemhaftete ihr ein verführerisches Vibrieren an.

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»Ich weiß zwar nicht, was das mit der Kos-mischen Fabrik im Orbit zu bedeuten hat,aber ich warte auf dich, Tremond. Nimmden Transmitter, dann haben wir fast dieganze Nacht für uns.«

Das Bild stabilisierte sich. Ich hatte es,der Stimmlage nach zu schließen, schon er-wartet: Es zeigte eine Kartanin in katzenhaftgeschmeidiger Pose.

Ich vergeudete meine kostbare Zeit mitden Affären eines Diplomaten, der es ver-säumt hatte, seine pikante Korrespondenzgegen unbefugten Zugriff zu sichern, dabeigab es wahrhaft Wichtigeres zu tun. Ärger-lich auf mich selbst, wandte ich mich ab -hinter mir, in der Aufzeichnung, heulte derRaumalarm.

»Das HQ-Hanse wurde soeben aus demOrbit angegriffen und vermutlich vollständigzerstört«, meldete eine Syntronstimme.»Alle Personen im Wohnbezirk werden auf-gefordert, umgehend die nächstgelegeneTransmitterstation oder die öffentlichen Ver-kehrsmittel für eine Evakuierung aufzusu-chen! Ich wiederhole: Alle Personen …«

Ob es Tremond vergönnt gewesen war,die Nacht mit der Kartanin zu verbringen,würde ich wohl nie erfahren. Immerhin schi-en er es geschafft zu haben, den gefährdetenBereich des Regierungsviertels über denTransmitter zu verlassen. Er und vermutlichDutzende andere, die sich zum Zeitpunktdes Angriffs in der Lobby aufgehalten hat-ten. Sie waren Hals über Kopf geflohen undnicht zurückgekehrt. Ein Reinigungsrobotwuselte noch durch die Halle und polierteden Boden aus venusischem Marmor. Umdie umgeworfenen Gläser auf den Tischenkümmerte er sich nicht.

Der Wohnbezirk war zur Geisterstadt ge-worden. Als ich das Gebäude verließ, wehtemir ein warmer Wind entgegen. Ich rochModer. Und Ozon. Eine seltsame Mischung.

Überhaupt herrschte ein eigentümlich fah-les Dämmerlicht, zu dunkel für den frühenNachmittag.

Ganz Terrania schien unter dicken Wol-kenbänken zu liegen, die jeglicher Wetter-

kontrolle hohnsprachen. Der Dunst entpupp-te sich als feiner Staub. Die Atmosphäre wargesättigt damit. Ich spürte ihn zwischen denZähnen und im Gesicht, ein klebriger, amor-pher Staub.

Der graue Schleier dämpfte die Blüten-pracht des angrenzenden Gartengeländes.Kurzzeitig aktivierte ich das Flugaggregatmeines Raumanzugs. Auch die zwischen ho-hen Bäumen idyllisch gelegenen Gästehäu-ser wirkten verlassen. Irgendwo bellte einHund; Vögel stoben kreischend auf und ver-schwanden in den höchsten Wipfeln.

Ich befand mich am Randbereich der Zer-störung. Fensterlose, geschwärzte Ruinen;kein Gebäude ragte noch höher als bis zuzehn Etagen auf. Eine räumlich begrenzteDruckwelle hatte Bäume entwurzelt, Mau-ern aus ihren Verankerungen gerissen undeinen gut ein Dutzend Kilometer durchmes-senden Ringwall geschaffen.

Mit geballten Händen stand ich da undließ meinen Blick von Horizont zu Horizontschweifen.

Vernichtung, so weit das Auge reichte -nur in der Ferne, im wehenden Dunst kaumnoch auszumachen, schraubten sich wiederintakte Bauwerke in den Himmel. Der Kra-ter selbst war ein Meer von Trümmern, grau,trist und bedrückend, in Stein erstarrte Wo-gen der Vernichtung. Tief hatte sich derWaffenstrahl von WAVE ins Erdreich hin-eingefressen, aber dort unten glühte keinMagmasee, dessen Höllentemperaturen wo-chenlang unerträglich gewesen wären, dorthatte Schutt die Narben nivelliert.

In ihrer Wirkungsweise schien die fremdeWaffe eine Mischung aus Desintegrator undIntervallkanone zu sein, wie wir sie vor lan-ger Zeit als Hauptwaffe der Perlians und derZweitkonditionierten kennengelernt hatten.Enggebündelte Hyperfelder erzeugten beimAuftreffen eine rein mechanische Wirkung,deren enorme Vernichtungskraft sogar Ther-mostrahlen übertraf.

Intervallkanonen arbeiteten unsichtbar,überlichtschnell und zerstörten nahezu jedesbekannte Material.

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Das Zentrum des Einschlags, wenn ich eshalbwegs richtig einschätzte, hatte über demHQ-Hanse gelegen, aber ob die gewaltige,weit in den Boden reichende Anlage wirk-lich völlig zerstört worden war …?

Starke Scheinwerferbatterien geistertendurch den Dunst. Roboter und HunderteHelfer wühlten sich auf der Suche nachÜberlebenden durch die Randbereiche desKraters.

Ich sah sie menschliche Körper aus demSchutt ziehen - Tote.

Was wollte ich noch hier? Meine Betrof-fenheit wuchs mit jeder Minute, die ich län-ger das Bild absoluter Zerstörung in michaufnahm. Ich war nicht nach Terrania ge-kommen, um mit bloßen Fäusten in Bergenvon Schutt zu graben, das konnte ich späternoch tun. Ich mußte mehr über den Dienerder Materie, diesen Ramihyn, in Erfahrungbringen. Nicht die Toten brauchten mich,sondern die Lebenden.

Trotzdem fühlte ich mich schäbig, undmeine Handlungsweise erschien mir wie ei-ne Flucht vor mir selbst, als ich mich ab-wandte.

»Sieh nicht zurück!« sagte ich mir. »DieVergangenheit kannst du nicht ändern, dumußt die Zukunft gestalten.«

Eine tiefe Wunde hatte sich in meine See-le eingefressen. Sie tat verdammt weh.

*

Neu-London.Ein feiner Nieselregen hing in der Luft. Er

entsprach den Wettervorstellungen der Inselfür Anfang April.

Obwohl im Zentrum der Metropole regeGeschäftigkeit herrschte, wirkten die Men-schen gehetzt.

Mit Scheuklappen hasteten sie durch dasLabyrinth der Passagen, vorbei an Sehens-würdigkeiten, die nach präatomaren Plänenwieder aufgebaut worden waren. Kaum je-mand hielt inne, um mit Freunden oderNachbarn zu plauschen oder einfach um zubedauern, daß man ausgerechnet die hausie-

renden Aktien der Whistler Company viel zufrüh abgestoßen und damit ein kleines Ver-mögen verschenkt hatte.

Niemand beachtete die einsame Gestaltauf der Tower Bridge, die der klammen Näs-se zum Trotz gelangweilt ins Themsewasserblickte. Nur wer genauer hinschaute, konnteerkennen, daß der Mann - er mochte AnfangVierzig sein und hatte an den Schläfen deut-liche Geheimratsecken, die er aus unerfindli-chen Gründen nicht durch eine einfache ge-netische Behandlung verschwinden ließ -einen winzigen Netzhautprojektor vor demlinken Auge trug. Sein Flüstern steuertemehrere flugfähige Minikameras.

Der Mann war ruhiger geworden als nochvor wenigen Jahren. Die Zeit damals, als dasZeitrafferfeld um Trokan, den Neo-Mars,zusammengebrochen war, als die Herreachauf der Bühne des Sonnensystems erschie-nen und Perry Rhodan mit dem2500-Meter-Raumer GILGAMESCH einge-flogen war, bezeichnete er heute als seineSturm-und-Drang-Periode, die Aufbauphaseder Terrania News Report als inzwischenetablierter Nachrichtensender. Vom Teilha-ber war er zum alleinigen Inhaber avanciert,aber das Fieber, bedeutenden Geschehnissennachzujagen, spürte er noch immer. Vor al-lem hatte er seinen Riecher nicht verloren,der ihn mit untrüglichem Gespür zu denwirklichen Sensationen führte.

In Neu-London hielt er sich auf, weil erstvor fünf Tagen in der City eine Filiale derTNR eröffnet worden war, ein Glaspalast,dessen Architektur Baustile von mindestensvier galaktischen Völkern vereinte, zwei da-von nichthumanoid. TNR heftete es sich andie Fahnen, mit diesem Bau richtungweisen-de Akzente zu setzen.

Trotzdem lehnte er im Nieselregen amGeländer der Tower Bridge und steuerte Mi-nikameras über die Köpfe der Passanten hin-weg. Die Aufzeichnung würde in knapp ei-ner Stunde gesendet werden.

»Hier meldet sich Gloom Bechner mit denNeun-Uhr-Nachrichten. Was vor wenigenTagen namhafte Wirtschaftsstrategen noch

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für völlig undenkbar gehalten hätten, ist ein-getreten.

Millionen Menschen haben ihr Konsum-verhalten über Nacht verändert. Nach einemvöllig ungewöhnlichen Ansturm auf die Le-bensmittellager in den frühen Morgenstun-den kam es bereits zu tumultartigen Szenen.Nicht nur hier in Neu-London, in vielen Me-tropolen Europas deckten sich die Einwoh-ner persönlich mit Waren des täglichen Le-bens ein. Vergessen sind Heimsyntrons undLieferservice, viele befürchten Liefereng-pässe, denen sie mit Hamsterkäufen begeg-nen.

Ursache ist die Kosmische Fabrik WAVE.Die ungeklärten Todesfälle in mehrerengroßen Städten, die in die Zehntausende ge-hen, gelten als Auslöser des Runs. Nur inden eigenen vier Wänden fühlt man sichnoch sicher, das behaupten zumindest 58Prozent der repräsentativ ausgewählten Be-fragten. Ein übriges dazu beigetragen hat dieAufforderung des LFT-Kommissars, Ruheund Besonnenheit zu bewahren und den Die-ner der Materie, Ramihyn, nicht zu provo-zieren.«

Der Text war archiviert, nur an den Auf-zeichnungen feilte Bechner noch. Schwit-zende Gesichter in Großaufnahme, Männerund Frauen, die sich um dehydrierte Konser-ven ebenso drängelten wie um die letztenFlaschen Vurguzz. In Extremsituationenzeigte sich, wie dünn die Tünche der Zivili-sation tatsächlich war.

Aber keineswegs alle jagten nur ihremleiblichen Wohl nach. Gloom Bechner ver-ließ die Tower Bridge und ließ sich von derMenge mitreißen. Wo einst die Kirche St.Mary-at-Hill gestanden hatte, war 1220NGZ das erste Multi-Konfess-Zentrum er-richtet worden, eine Begegnungsstätte vorallem für die terranisch-stämmigen Religio-nen, aber genauso ausgerichtet auf die Be-dürfnisse vieler Galaktiker.

Der siebeneckige Platz vor dem nüchternwirkenden Bauwerk trug die Symbole allervertretenen Religionen als Platinskulpturen.In Form einer Acht waren sie angeordnet,

des Zeichens für Unendlichkeit, einer Figurohne Anfang oder Ende.

Unter dem Kreuz der Christenheit ver-harrte Gloom Bechner für einen Augenblickund schaute in die Höhe.

»Du bist gekommen, Bruder, um für dieErlösung zu beten. Aber nur wenn alle Men-schen gemeinsam handeln, werden unsereGedanken das Böse hinwegfegen. Wir Mor-phogenetiker sind die wahre Religion, sindeins mit dem Kosmos und der Schöpfung…« Die ihn angesprochen hatte, bemerkteden Netzhautprojektor und eine der Minika-meras. »Dies ist die richtige Zeit, es allenGalaktikern zu verkünden: Jeder von uns istein Teil des Kosmos, auch Ramihyn. Wennwir uns zusammentun, können wir dieMacht ausüben, die …«

Gloom Bechner ließ die Frau einfach ste-hen.

Wie lange hatte er keine Religionsstättevon innen gesehen? Wenn er es recht be-dachte, war ein Tempel der Herreach dasletzte Objekt dieser Art gewesen. Vor zwei-einhalb Jahren, anläßlich einer Dokumenta-tion.

Es war ihm, als betrete er eine andereWelt. Tief atmete er ein, sog die Atmosphä-re aus würzigen Düften und dem Aromabrennender Kerzen in sich auf und fühlte,daß Streß und Druck von ihm abzufallen be-gannen. Die Zeit schien hier stehengebliebenzu sein. Kindheitserinnerungen stiegen inihm auf. Er war gerade neun Jahre alt gewe-sen, als die Nachricht kam, der Forschungs-raumer, auf dem sein Vater Dienst getan hat-te, sei in einer fremden Galaxis verschollen.Seine Mutter hatte damals nahezu wöchent-lich eine Kirche aufgesucht und gebetet,doch irgendwann war dieses Ritual wiedereingeschlafen, und Jahre später hatte sieeinen neuen befristeten Ehekontrakt ge-schlossen. Das Schicksal seines Vaters warbis heute ungeklärt.

Der Energievorhang des Eingangsbe-reichs schloß sich hinter ihm. Nach der lär-menden Hektik des Hauptverkehrsbereichswar die Stille eine Wohltat. Gloom Bechner

Der Tod auf Terra 21

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spürte die alte Faszination wieder.In Großaufnahme hielten seine Kameras

die entspannten Gesichter der Betenden fest.Räucherstäbchen brannten vor dem

großen goldenen Buddha. Daneben dasHolzkreuz mit der stilisierten Figur des ge-kreuzigten Christus. Anhänger des Islamknieten und verneigten sich gen Mekka. NurNATHAN wußte, ob ihr Heiligtum, die Kaa-ba, noch das Original war oder längst eineRekonstruktion - aber das Mondgehirnschwieg dazu.

Unvermittelt hielt Gloom Bechner inne.Da war etwas - er vermochte nicht zu sagen,was, doch das Gefühl nahen Unheils zog sei-nen Brustkorb zusammen. Ein kläglichesÄchzen drang über seine Lippen.

Einige Meter weiter, vor der nachgebau-ten Klagemauer, brach ein Kind zusammen.Und die beiden Blues, die unter dem Holo-gramm zweier Maahtran-Priester verharrten,fielen in konvulsivische Zuckungen.

Etwas Unheimliches sprang ihn an. Wiedurch ein Meer von Watte hindurch hörteGloom Schreie, sah Menschen zeitlupenhaftlangsam zusammenbrechen und begannselbst zu taumeln.

Stechende, glühende Schmerzen tobten inseinem Brustkorb.

Sein Herz raste, in den Schläfen dröhntedas Blut. Jeder Pulsschlag wurde zur Qual.

Nach Atem ringend, brach er in die Knie.Was immer geschah, es kam nicht aus demKonfess-Zentrum, sondern von draußen. Mitletzter Kraft jagte Bechner seine Kamerasdurch den Energievorhang.

Sein Schädel drohte zu zerspringen. Einetödliche Kraft schnürte seinen Brustkorb zu-sammen.

Gloom Bechner ahnte, daß er sterbenwürde. Das letzte, was er noch wahrzuneh-men glaubte, war das schaurige Lachen desSensenmannes - dann schwanden ihm dieSinne.

4.

»Ich werde siegreich gegen die Feinde

sein.Ich teile den Himmel, öffne den Horizont

und bereise zu Fuß die Erde.Die Ruhmreichen und Großen werden zu

mir kommen, denn ich bin im Besitz zahllo-ser Dinge der Macht.«

Planet Terra, aus dem Papyrus des Ani.

*

Eine kleine, zeitlich und räumlich be-grenzte Kultur, aber doch für Überraschun-gen gut. Fast war es bedauerlich, daß dasVolk der Terraner am Ende seines Wegesstand.

Der Diener der Materie sinnierte den Ver-sen nach, die in der Vergangenheit geprägtworden waren. Sie schienen wie auf ihn zu-geschnitten zu sein, und genau das faszinier-te ihn wie schon lange nichts mehr. Hattenjene zerbrechlichen Kreaturen auf ihrem Da-sein vom Staub zum Staub die Fähigkeit ent-wickelt, die Wege der Zeit vorherzusehen?Eigentlich unvorstellbar, denn Zeitquantengalten als die flüchtigste Erscheinung desUniversums, aber auch als dessen nachhal-tigste.

Ein winziges Raumfahrzeug näherte sichWAVE. Ramihyn reagierte verständnislos.Glaubten die Terraner, die Kosmische Fa-brik mit einer dreieinhalb Meter langen,schlanken Kapsel gefährden zu können?

»Einfangen!« befahl er seinen Helfern.Die Kapsel, mit einem einfachen Antigrav

und einer Düse versehen, in der verbrennen-de Gase den Antrieb besorgten, würde WA-VE um mehrere hundert Kilometer verfeh-len. Sie war aus unmittelbarer Nähe eineszerklüfteten Kontinents auf der Nordhalbku-gel gestartet worden. Dabei waren seit guteinem Tag keine Starts oder Landungenmehr erfolgt, seit WAVE drei große Kugel-schiffe hatte verglühen lassen.

»An Bord der Kapsel wurde ein Terranerregistriert. Außerdem ein schwacher thermo-nuklearer Sprengsatz. Der Terraner weistkeine Vitalfunktionen auf.«

Ein überraschtes Grollen drang aus Ra-

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mihyns Rachen. Was beabsichtigten die Pri-mitiven?

Handelte es sich um den Versuch einerVerständigung, oder schickten sie eine Op-fergabe?

Für einen Augenblick glaubte er, es könn-te für ihn interessant sein, die Psyche derTerraner zu erkunden. Aber es war wohl dieMühe nicht wert, die Feinheiten einer Kulturzu ergründen, die er nur vorübergehend be-wahren mußte. Lediglich ein paar Äußer-lichkeiten galt es zu klären, die hilfreich seinwürden, ihre Todesgedanken sinnvoll zu ar-chivieren.

Ramihyn ließ die Kapsel in einen unbe-deutenden Außenhangar einholen und öff-nen. Schon als er die Halle betrat, spürte er,daß wirklich alle Lebensfunktionen des Ter-raners erloschen waren.

Man hatte ihm einen Toten geschickt.Um ihn zu verhöhnen?Er, Ramihyn, genoß jedes einzelne Opfer,

dessen verlöschende Existenz er aus derStruktur seines Anzugs heraus erspürenkonnte. Das war es, was seinem Dasein alsDiener der Materie den wirklichen Sinn gab.Der Tod eines Lebewesens bedeutete für ihneinen winzigen Vorgeschmack auf das Endedes Universums. Alle Philosophie würde ei-nes fernen Tages in dieser Singularität auf-gehen.

Die Terraner verhöhnten ihn nicht nur, siezeigten ihm mit dem Toten eine Verachtung,wie sie deutlicher kaum sein konnte. Ra-mihyn ballte die siebenfingrigen Pranken.

Ein winziger Stromkreislauf in der Hülleder Kapsel schloß sich. Die thermonukleareSprengladung wurde gezündet.

Den tausendstel Bruchteil eines Augen-blicks benötigten die Atome, um in einersonnenhellen Explosion zu reagieren. Ra-mihyn glaubte noch, die Gluthitze zu spüren,die ihn verschlingen wollte, doch da hattesich schon das Schirmfeld aufgebaut, dasihn vor den Auswirkungen schützte.

Die optische Dämpfung erlaubte denBlick in den wabernden Glutkern, der dentoten Terraner samt der Kapsel verschlang.

Zurück blieb ……atomarer Staub. Eine winzige Menge,

die sich innerhalb der energetischen Sperreausbreitete.

Schäden waren nicht entstanden. DerHangarboden wies lediglich erhöhte Tempe-raturwerte auf.

Ramihyn öffnete das Außentor und ließdie Atmosphäre samt dem Staub in denWeltraum entweichen.

Sein Zorn war ebenso abrupt abgeflaut,wie er ihn überkommen hatte. Nie hätte ergeglaubt, daß niedere Wesen so rätselhaftsein konnten wie die Terraner. Sie kanntenden einzig wahren Weg, ihre Toten zu eh-ren, sie in den Kreislauf des Kosmos einzu-fügen.

Bald würde ein unüberschaubares Heerdieser Kapseln die planetare Atmosphäreverlassen und in einem Feuerwerk explodie-ren …

Er, Ramihyn, wollte den Menschen hel-fen, ihre Bestimmung zu finden. Zum zwei-tenmal würde er über ihre Welt wandeln undihre verlöschenden Existenzen genießen.

Sein erster Schritt führte ihn zu jenem In-selpaar, von wo aus die Kapsel gestartetwar.

*

Übelkeit wühlte in seinen Eingeweidenund stieg quälend in ihm auf, dann brach esgallebitter aus ihm hervor. Immer noch mehrtot als lebendig, versuchte er sich herumzu-wälzen, doch der Boden unter seinen tasten-den Händen, überhaupt alles ringsum, bäum-te sich in wilden, ruckartigen Bewegungenauf, denen er nichts entgegenzusetzen hatte.Irgendwie schaffte er es dennoch, sich aufden Rücken zu wälzen und die verklebtenAugenlider zu öffnen.

Aus dem diffusen Wogen über ihm be-gannen sich Konturen herauszuschälen: grobzugehauene Balken, davor ein Gesicht, aus-gemergelt und starr. Die Augen in diesemGesicht schienen ihn zu durchdringen, undGloom Bechner war es, als ließen sie neue

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Kraft in ihm wachsen.»Mein Gott …« Auf den Ellenbogen

stemmte er sich hoch und blickte in die Run-de. Überall waren Menschen und andere Ga-laktiker zusammengebrochen. Einige kamenwimmernd auf die Beine und torkelten inRichtung Ausgang, andere schlugen nur umsich, als müßten sie sich unsichtbarer Geg-ner erwehren.

Die Kameras! schoß es Bechner durchden Sinn.

Sie schwebten draußen, im Nieselregendes Spätnachmittags. Vereinzelte Sonnen-strahlen huschten über das Themseufer undschufen eine seltsam irreale Atmosphäre.Gloom Bechner benötigte etliche Sekunden,bis er wirklich verstand, was die unbestech-lichen Optiken übermittelten.

Schon im Vorhof des Multi-Kon-fess-Zentrums lagen die ersten Toten. Siewaren tot, das wußte er in dem Moment, indem er die Ungeheuerlichkeit der Bilder zuakzeptieren begann.

Überall waren die Menschen zusammen-gebrochen; ein apokalyptisches, surrealesBild. Viele erweckten den Eindruck, als sch-liefen sie nur, andere hatten sich noch gegendas Schicksal aufzubäumen versucht, hattendie Arme zum Himmel gereckt oder dieMünder zum Schrei aufgerissen. Verstreutlagen Nahrungsmittel, zerbrochene Fla-schen, in der Nässe langsam aufquellendedehydrierte Konserven. Hier und da hingenvollbepackte Antigravtragen noch in derLuft.

Innerlich bebend und aufgewühlter, jemehr von diesem Grauen er sah, jagteGloom Bechner die Kameras den Boulevardentlang.

Das Bild war nirgendwo anders. Kilome-terweit nur Leichen.

*

Endlich kamen Medogleiter und Einsatz-truppen der städtischen Sicherheitsbehörden.Mit halbtransparenten Energieschirmen rie-gelten sie den Straßenzug ab, während den

Medorobotern nichts anderes zu tun blieb,als die Toten zuzudecken.

Unvermittelt blickte Gloom Bechner zudem Gekreuzigten über sich auf.

»Danke«, murmelte er halblaut. »Ich weißzwar nicht, wieso, aber mir ist klar, daß wiralle nur durch ein Wunder überlebt habenkönnen.«

Früher hätte es ihn nicht im mindesten be-rührt, doch an diesem Tag empfand er es alspietätlos, aus dem Inneren des Multi-Kon-fess-Zentrums auf Sendung zu gehen, undmochten die Aufnahmen noch so brisantsein. Was bedeuteten schon Zuschauerzah-len und Werbeeinnahmen angesichts dersich abzeichnenden Katastrophe? GloomBechner hatte sich längst eingestanden, daßdie Dscherro-Invasion der Auslöser für seinUmdenken gewesen war.

In was, um alles in der Welt, war Terranun hineingezogen worden?

Die Stille vor dem Gebäude war geradezuunheimlich. Nicht einmal ein Vogel sang.Der Regen wurde dichter.

»Der Himmel über Neu-London weintdicke Tränen«, begann er seinen aktuellenBericht. »Hier meldet sich Gloom Bechnervon TNR zu einer Sondersendung. Vor we-nigen Minuten wandelte der Tod durch diehiesigen Hallen …«

Seine Stimme kippte und brach ab.Gleichberechtigt nebeneinander sendete erdie Aufzeichnungen zweier Kameras, ohnesie vorher gesichtet zu haben.

Was er in einer Sequenz zum erstenmalzu sehen bekam und mit ihm wohl mehrerehundert Millionen Zuschauer vor ihren Tri-vidwänden, war der leibhaftige Grund, inPanik zu verfallen.

*

Bericht Perry Rhodan.Ich kannte Karakoto aus früheren Jahr-

zehnten. Meist hatte ich den Stadtteil zwarnur überflogen, auf dem Weg von Imperi-um-Alpha oder aus dem HQ-Hanse zu ErnstEllerts Mausoleum, aber hier waren wenig

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Page 25: Der Tod auf Terra

Veränderungen zu sehen.Karakoto machte einen gediegenen Ein-

druck, die Zeit schien in diesem Bereichweitgehend stehengeblieben zu sein, und nurdie Pflanzen in den schmalen Parks und denHängegärten der Wohnsiedlungen wucher-ten unaufhörlich. Niemand störte sich daran,daß Karakoto, obwohl ursprünglich nicht sogeplant, längst zu einer der grünen Lungenvon Terrania City geworden war.

Eigentlich nur drei oder vier Kahlschlägebeeinträchtigten den Eindruck von Harmo-nie und Natürlichkeit. Die Dscherro hatteneinige Hochhäuser zusammengeschossen.Zwei davon waren abgerissen worden undglänzten mittlerweile als architektonisch ge-lungene Neubauten, die sich mustergültig inihre Umgebung einfügten, ein halb zerstörterStraßenzug wurde noch zur Begegnungsstät-te ausgebaut. Hundert Meter hoch ragte eineverschlungene, neomoderne Skulptur aufzum Gedenken der Opfer und als Ansporneiner umfassenden Völkerverständigung.

Ich hatte das Leben in Karakoto anders inErinnerung, quirliger, wenngleich nichtwirklich großstadtmäßig. Die unsichtbareBedrohung durch die Kosmische Fabrikdämpfte die Geschäftigkeit. Es gab keineendlosen Schlangen von Prallfeldgleitern,die sich auf Dutzenden Fahrbahnen neben-und übereinander dahinquälten, kein buntesGewimmel von Antigravgleitern, die Haus-dächer und - absätze als Ladeplätze auserko-ren.

Zwei Space-Jets brachen aus den tief hän-genden schweren Wolkenbänken hervor undglitten nach Süden, eine Frachtkorvette folg-te ihnen mit viel zu hoher Geschwindigkeit.Zweifellos war ihr Ziel der Flottenraumha-fen, und das erinnerte mich daran, daß ichnoch nicht ein Raumschiff hatte starten oderlanden sehen. Dabei hatte gerade auf denRaumhäfen von Terrania ein unaufhörlichesKommen und Gehen geherrscht, anders ließsich eine solche Stadt auch nicht als funkti-onsfähiges Gebilde erhalten.

Wie lange würde Terrania die Blockadeertragen? Zwei Wochen, drei vielleicht, aber

dann mußten unweigerlich die ersten Eng-pässe auftreten.

Mein blauer Raumanzug erregte Auf-merksamkeit. Obwohl Passanten mich inter-essiert musterten, schien mich niemand zuerkennen. Eine offene Antigravrampe hobmich in die nächsthöhere Etage. Ungewollttangierte ich die Induktionsschleife einesvirtuellen Erlebnisgeschäfts. Ich wurde erstaufmerksam, als ein Hologramm mich jähder Umgebung entriß und eine Sphärenstim-me die himmlischsten Genüsse versprach.

Sonnenwindsegeln zwischen den Asteroi-den - ungefährlich, da rein virtuell, doch mitdem Kick der regelmäßig stattfindendenechten Großsportveranstaltung. »Genieße es,für einen Bruchteil der Kosten dabeizusein…«

»Kein Interesse!« wehrte ich unwillig ab.Das Hologramm gab mich augenblicklichfrei, es zerplatzte in einem Regen von Sei-fenblasen, die nach neuen potentiellen Kun-den Ausschau hielten wie ein Schwarm gie-riger Energiewesen.

Zu meiner Überraschung sah ich viele,vor allem jüngere Personen um die Fünfzig,das Geschäft betreten. Versuchten sie ange-sichts der Bedrohung aus dem Orbit derRealität wenigstens vorübergehend zu ent-fliehen, oder wollten sie das Leben einfachnoch einmal so genießen, wie sie es für be-gehrenswert hielten, ehe alles zu Ende ging?

Ich war im Begriff, mich in Details zuverbeißen, während mir die Zeit davonzu-laufen drohte.

Warum um alles in der Welt war ich nichtehrlich zu mir selbst? Vielleicht zum ersten-mal seit meiner Mondlandung im Jahr 1971wußte ich nicht, was mich antrieb. Ich, derSofortumschalter, war innerlich blockiert.

Nicht, daß ich vor WAVE kapituliert hät-te, ganz sicher nicht. Aber was konnte ichallein schon ausrichten?

Laufe ich vor mir selbst davon? Ramihynwill mich, davon bin ich überzeugt. Nur,wird er sich wirklich mit der KosmischenFabrik zurückziehen, sobald ich mich ihmstelle? Wenn ich darauf eine Antwort wüßte

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Page 26: Der Tod auf Terra

…Eines ist sicher: Die Erde darf nicht ohne

kompetente Führung sein. Deshalb habe ichCistolo auf der PAPERMOON zurückgehal-ten. Er wird verstehen, welche Verantwor-tung ich ihm damit aufgebürdet habe.

Ich liebe meine Menschheit. Und ich binbereit, das größte Opfer zu bringen, das einUnsterblicher bringen kann.

Reginald Bull würde jetzt sagen:»Vergewissere dich vorher, daß dein Bau-ernopfer nicht doch ein Schachmatt bedeu-tet.«

Das tue ich, Bully, mein impulsiver,dicker Freund. Ich weiß, du hast das»Dicker« immer geflissentlich überhört,dein Gewicht setzt sich nicht aus Speck zu-sammen, sondern aus Muskeln.

Im Grunde unseres Herzens sind wir im-mer die Kumpel geblieben, die wir bei derSpace Force waren.

Wo kommen plötzlich die vielen Men-schen her? Sie strömen in eine Richtung,und ich lasse mich von der Menge mitzie-hen.

An der Abzweigung zu den nächsten Eta-gen ist eine öffentliche Media-Wand instal-liert.

Üblicherweise werden rund um die UhrWerbung oder lokale Nachrichten gezeigt.Daß das Logo des Trividsenders TNR-weltweit auf dem Schirm steht, ist zumin-dest ungewöhnlich.

Aus mehr als hundert Metern Distanz las-se ich das Großholo auf mich wirken. DerAufriß eines Stadtkerns ist eingeblendet. Pe-king. Grafisch werden zwei nebeneinander-liegende Straßenzüge und die dazugehören-den Gebäude hervorgehoben. Sie münden ineinen gewaltigen Platz, in den der einstigePlatz des himmlischen Friedens mehrfachhineinpassen würde. Aber die unterlegte Flä-che geht in schnurgerader Linie darüber hin-aus, insgesamt zehn, zwölf Kilometer langund eineinhalb Kilometer breit.

Abrupt wechselt das Bild. Es zeigt Tote.In endloser Reihe. Menschen, andere Galak-tiker, sogar ein Maahk. Nein, sein Schutzan-

zug wurde nicht beschädigt. Ganz nahe gehtdie Optik heran und zeigt den schuppenhäu-tigen Sichelkopf bildfüllend.

Eine hörbar angegriffene Stimme beginnt,die Bilder zu kommentieren.

»Mittlerweile können wir von einer To-desschneise sprechen, die in einer Breite von1,5

Kilometern absolut willkürlich durch einestetig wachsende Zahl von Städten gezogenwird. Die einzige Gemeinsamkeit ist dervöllig geradlinige Verlauf. Aber kein Syn-tron kann errechnen, wo der Tod als näch-stes zuschlagen wird. An den Rändern derSchneisen konnten Menschen lebend gebor-gen werden; viele von ihnen leiden jedochunter unerklärlichen Bewußtseinsstörungenbis hin zu völligem Orientierungsverlustebenso wie unter akuter Kreislaufschwä-che.«

Zwei Augenzeugen kamen zu Wort.Vor Aufregung verfiel eine junge Frau in

einen unverständlichen Dialekt, den die we-nigsten Passanten vor der Media-Wand ver-standen. Ich hatte indes keine Mühe, zu ver-stehen, wovon sie redete, nämlich von einerStimme im Kopf, die wie ein unwiderstehli-cher Zwang gewesen sei. Die Menschen,hatte die Stimme behauptet, wüßten nicht,was sie tun, doch das bewahre sie nicht vorden Folgen ihres Handelns.

Der Mann aus Kairo, den zwei Reporterder TNR interviewten, wirkte schon wesent-lich gefaßter.

Als örtlicher Sicherheitschef war er es ge-wohnt, vor Kameras zu stehen und Stellung-nahmen abzugeben.

»Die Übelkeit überfiel mich mitten in derArbeit«, erzählte er. »Mir wurde schwarzvor Augen, und dann waren da diese Stim-men. Eindringlich warnten sie vor dem Tho-regon und seinen verderblichen Konsequen-zen für das Universum.«

Panikmache? Dafür war das alles nichtreißerisch genug aufgemacht. Im Gegenteil:TNR bemühte sich um äußerste Sachlich-keit.

Ein bekanntes Gesicht erschien auf der

26 Hubert Haensel

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Wand. Wo hatte ich den Mann schon gese-hen? Richtig:

Trokan. Gloom Bechner hieß er.»Obwohl in den Todesschneisen nichts

und niemand am Leben blieb«, sagte er ein-dringlich, »wurden technische Geräte nichtbeschädigt. Vor knapp zwanzig Minuten warich selbst Zeuge einer entstehenden Todes-schneise. Welchem Umstand ich gemeinsammit einigen hundert anderen Personen meinLeben zu verdanken habe, wage ich nicht zubeurteilen. Es kann Zufall gewesen sein, diemeisten sagen jedoch, ihr Gott hätte schüt-zend die Hand über sie gehalten. Ich mußdazu erklären, daß wir uns in einem Multi-Konfess-Zentrum befanden, als nur wenigeMeter neben uns Menschen von einer Minu-te auf die andere starben. Was meine Kame-ras aufzeichneten, zeigen wir an dieser Stel-le - um allen Terranern die Möglichkeit zugeben, sich eine eigene Meinung zu bilden.«

Neu-London, das Themseufer, ich erkann-te die Örtlichkeit sofort. Aber nicht wasdiesseits geschah, war interessant, sonderndie massige Gestalt, die wie aus dem Nichtsheraus auf der anderen Flußseite erschienenwar.

Ein Teleporter? Ich zog es in Erwägung,doch vielleicht hatte sich die auf den erstenBlick humanoide Gestalt eines Deflektorfel-des bedient.

Nur für Sekundenbruchteile war das We-sen zu sehen, ausreichend, seine Fremdartig-keit erkennen zu lassen, aber keine Einzel-heiten. Erst als die Darstellung wiederholtund eingefroren wurde, zeigten sich deutli-chere, wenngleich verschwommene Umris-se. Offenbar hatte das Wesen sich mit be-trächtlicher Geschwindigkeit bewegt.

Seine Größe schätzte ich auf sechs Meter.Es wirkte massig und ungeschlacht - einRiese mit gut drei Meter langen, dicken Ar-men, die in mächtigen Pranken endeten.

Die spitz zulaufende Schädelform rahmtenur ein einziges, ovales, gut dreißig Zenti-meter breites Auge ein. Zwei darunterliegen-de faustgroße Höcker erfüllten wohl dieFunktion eines Riechorgans, und der breite

Mund erinnerte an einen Raubtierrachen.Gekleidet war die Erscheinung in einen

schwer zu definierenden, nahezu den gesam-ten Körper umhüllenden grünen Anzug.

»Diese Kreatur«, behauptete GloomBechner ohne jede Spur eines Zweifels, »istverantwortlich für den Tod vieler Terraner.Ich sehe es als meine journalistische Pflichtan, darüber hinausgehende Schlüsse zu zie-hen, und genau das tue ich mit der Behaup-tung, daß der Zyklop mit der KosmischenFabrik WAVE zu tun hat.

Leider gibt es bislang keine konkreten Be-weise dafür, doch kann ich keinen Zufall indiesem zeitlichen Zusammentreffen sehen.

An dieser Stelle schließe ich mich deneindringlichen Worten des LFT-Kommissarsan und rufe zur Besonnenheit auf. Niemandkann sagen, wann und ob überhaupt WAVEwieder abziehen wird.

Panik ist nicht angebracht, aber machenwir es dem Tod schwer, zu uns zu kommen,indem wir uns in unsere Wohnungen zu-rückziehen und große Ansammlungen mei-den. Selbstverständlich werde ich mein Be-stes geben, um weiterhin aktuell zu berich-ten. Das war es, was ich an dieser Stelle sa-gen mußte. Terra hat schon viele Bedrohun-gen überstanden, wir werden es auch dies-mal schaffen.«

Danke, Gloom, dachte ich. Immerhin hastdu getan, was du tun konntest, um zu beruhi-gen. Mehr kann ich nicht erwarten.

5.

Wer den Tod fürchtet, der verliert seinLeben.

Es ist ein schöner Tod, der zum Lebenführt.

*

»Sie sind seltsam«, murmelte Ramihyn imSelbstgespräch. Die Zeit hatte ihn gelehrt,viel mit sich selbst und den Robotern der Fa-brik zu reden. Die Roboter waren ein not-wendiges Übel; er konnte sie zerstören, aber

Der Tod auf Terra 27

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er spürte nichts dabei.Im Gegensatz dazu war es erquickend ge-

wesen, über den Planeten zu wandeln unddie Vitalenergie zu spüren, die sich ver-flüchtigte, sobald er den Menschen nahekam.

Trotzdem hatte er seinen Weg erneut un-terbrochen, weil er zwar nicht Gedichte überder Welt Ende, gleichwohl aber philosophi-sche Betrachtungen über den Tod und dasEnde an sich in einer Menge gefunden hattewie sonst selten zuvor.

Jeden dieser fremden Gedanken ließ erauf sich wirken und spürte den Schwingun-gen nach, die sie in ihm erzeugten, ehe er siein seine Sammlung einordnete. Fast schonbedauerte er, eine Zivilisation auslöschen zumüssen, die solche Poesie hervorgebrachthatte.

Sie redeten über den Tod wie greise Enti-täten. In Wirklichkeit währte ihr Leben nichteinmal einen Lidschlag lang. Was warenschon 150 oder 200

Jahre, gemessen am wahren Dasein?

*

Bericht Perry Rhodan.Ein großer, hell strahlender Stern war am

Mittagshimmel erschienen und rasch imWesten verschwunden. Auch ohne die Or-tungen meines Galornenanzugs einzusetzen,nur mit den optischen Möglichkeiten hatteich WAVE als monströses Gebilde erkannt,bestenfalls in Details von der vernichtetenMATERIA zu unterscheiden.

Es wurde Zeit, daß ich Verbindung mitnoch existierenden amtlichen Stellen auf-nahm.

Die Erste Terranerin war tot. So, wieWAVE das Regierungsviertel in Schutt undAsche gelegt hatte, gab es nur wenig Hoff-nung auf Überlebende.

Die meisten Rufkodes der wichtigen Mit-glieder des Vereinigten Parlaments warenmir bekannt.

Immerhin verfügte Camelot über einendurchaus schlagkräftigen Geheimdienst, und

den Rest hatte Cistolo mir mit auf den Weggegeben. Wie schon befürchtet, bekam ichjedoch nicht eine Verbindung geschaltet,wenngleich unter vielen Kodes eine Syn-tronstimme reagierte und mir erklären woll-te, der Angerufene sei aus unaufschiebbarendiplomatischen Gründen leider nicht erreich-bar.

Nach dem zwanzigsten gleichlautendenBescheid strich ich die restlichen Verbin-dungen von meiner gedanklichen Liste.

Der TLD-Tower, das Hauptquartier desTerranischen Liga-Dienstes, unterirdisch amsüdlichen Stadtrand gelegen, war zusammenmit dem Stadtteil Alashan in die GalaxisDaGlausch versetzt worden. Die auf Terraverbliebenen TLD-Agenten hatten eine neueprovisorische Basis im HQ-Hanse bezogen.Mit der schrecklichen Konsequenz, daß dasÜberleben einiger Spezialisten ausschließ-lich vom Faktor Zufall abhängig gewesensein durfte.

Einzig und allein eine Polizeistation inTerrania erreichte ich nach mehreren ver-geblichen Versuchen.

»Rhodan«, meldete ich mich.»Wer?«»Perry Rhodan.«»Und ich bin die Königin der Ploohns.

Verschwinde aus der Leitung, Mann, oderglaubst du, wir hätten hier nichts anderes zutun, als auf Spinner zu warten? Seit der ver-rückten Sendung von TNR wird alle paarMinuten ein Suizidfall gemel …«

Ich bekam nicht einmal die Chance für ei-ne Erklärung, bevor mein Anruf abgeschal-tet wurde.

Immerhin, ein gutes Geschichtswissenhatte der Polizist bewiesen; die Ploohns wa-ren die beherrschende raumfahrende Intelli-genz im Mahlstrom der Sterne.

Ist es wirklich wahr, daß ein zum TodeVerurteilter noch einmal sein ganzes Lebenvor sich vorüberziehen sieht? In mir sindselten so viele verschiedene Erinnerungenwachgerufen worden wie während der letz-ten vierundzwanzig Stunden.

Mein nächster Anruf landete in einer syn-

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tronischen Warteschleife. Mehrmals diegleiche nichtssagende Auskunft, aber dann,irgendwie, geriet ich in die Richtfunkverbin-dung zwischen zwei Polizeigleitern.

Das gesamte Sicherheitssystem schien all-mählich heißzulaufen und aus den Fugen zugeraten.

Zweifellos waren die Appelle an die Ver-nunft bei einem Großteil aller Bürger auffruchtbaren Boden gefallen, aber andereschienen das geradezu als Aufforderung an-zusehen, ihr eigenes Süppchen zu kochen.Einige Bezirke der Hauptstadt drohten überkurz oder lang zum Hexenkessel zu verkom-men.

Irgendwie schaffte ich es dann doch, einehalbwegs plausible Auskunft zu erhalten.

»TLD-Leute? Die haben sich einige Dut-zendschaften Roboter und schwerstes Räum-gerät zusammengerafft und suchen im Re-gierungsviertel nach Überlebenden. Aberwarum …?«

Diesmal war ich es, der die Funkverbin-dung kappte.

*

Lange Jahrhunderte hindurch hatte Impe-rium-Alpha als das Nervenzentrum des So-laren Imperiums gegolten, ein gewaltiges,völlig autarkes Konglomerat. Über den Na-men, der anfangs nichts anderes gewesenwar als eine Kodebezeichnung militärischerFührungskräfte, hatte ich immer gelächelt,andere jedoch hielten solche Dinge für wich-tig. Große Industriebetriebe hatten von denTiefbunkern aus kontrolliert werden können,sogar die Wetterregulierung - bis NATHANderartige Details übernommen und damit füreine spürbare Entlastung der Bürokratie ge-sorgt hatte.

Ich mußte an die ausfahrbaren Panzerfortsdenken, die die Feuerkraft von zweihundertGroßkampfschiffen der GALAXIS-Klassebesessen hatten, während ich den Kraterwallwie ein grau-schwarzes Gebirge gut dreißigKilometer entfernt aufragen sah.

Später war Imperium-Alpha umstruktu-

riert und den Erfordernissen der KosmischenHanse angepaßt worden. HQ-Hanse warfortan die gültige Bezeichnung des in seinenAusmaßen zwar reduzierten, aber immernoch gewaltigen Komplexes, in dem alle Fä-den zusammengelaufen waren.

Ich fühlte mich miserabel. Zumal ich mirinzwischen eingestanden hatte, daß ich vorwenigen Stunden geflohen war. Vor der Er-innerung, vor der Gegenwart … vor dem,was gerade dieser Stadtteil von Terrania im-mer für mich bedeutet hatte. Ich, Perry Rho-dan, bin auch nur ein Mensch.

Der Aktivatorchip verleiht mir die poten-tielle Unsterblichkeit, aber lebe ich wirk-lich? Oft genug überkommt mich die Versu-chung, meinen Gefühlen freien Lauf zu las-sen - ich kann es nicht, darf keine Schwächezeigen. Selbst wenn es mir schwerfällt, ichmuß funktionieren.

In gewisser Weise stehe ich vor denTrümmern meiner Zuversicht. Imperium-Al-pha und später das HQ-Hanse waren nichtnur für mich stets ein Symbol gewesen. DasVertrauen in die eigene Kraft, der Phönix,der sich immer wieder aus der Asche erho-ben hatte.

Von hier aus war die Invasion der takeri-schen Pedotransferer abgewehrt worden.

In Imperium-Alpha hatten die ImmunenZuflucht gefunden, die von der Verdum-mungsstrahlung des Schwarms nicht beein-flußt worden waren. Sechshundertvierund-neunzig von acht Milliarden Menschen.

Auf zwölf Hauptetagen hatten sich diewichtigsten Einrichtungen befunden, ange-fangen von der Großsendeanlage über Fern-transmitter und die gewaltigen Kraftwerkebis hin zu den Nachschublagern, die für lan-ge Zeit eine Unabhängigkeit von jeder Ver-sorgung gewährleistet hatten. Imperium-Al-pha und HQ-Hanse waren vor allem eine un-terirdische Großstadt gewesen, durchzogenvon energetischen Gleiterstraßen undschnellen Rohrbahnen, aber auch mit inter-nen Kurzstrecken-Transmittern ausgerüstet.Von den Schirmfeldprojektoren ganz zuschweigen, die stets nachgerüstet und der

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technischen Weiterentwicklung angepaßtworden waren.

All das hatte nicht gegen den Feuerschlagder Kosmischen Fabrik schützen können.

Ich überflog den Kraterwall und folgte ei-nige Kilometer weit dem inneren Rund.Fels, Erde und Stahlplastik bildeten ein wir-res Konglomerat. An vielen Stellen loderteGlut, zeigten die Meßgeräte noch Tempera-turen von mehreren hundert Grad. Anderswoquoll kristallklares Wasser aus geborstenenDrucktanks und sammelte sich zu kleinenSeen.

Dazwischen bewegten sich sechsbeinigeSchwerstlastkräne wie urzeitliche Spinnen-monster; die größten dieser Antigravkränewären in der Lage gewesen, eine Korvetteumzusetzen. Rings um die Spinnenbeine undunter den gewaltigen Hebebäuchen wimmel-ten Roboter, die jeden Quadratmeter Schuttausloteten. Mit größter Vorsicht wurdenHohlräume freigelegt, eine geöffnete Rohr-bahntrasse tangierte fast das Kraterzentrum.

Trotz aller Anstrengungen würden Wo-chen, wenn nicht gar Monate vergehen, bisjede geborstene Deckenkonstruktion abge-hoben, jeder Schuttberg vorsichtig abgetra-gen war. Und die Gefahr war allgegenwär-tig, solange noch ungezähmte Energien un-ter dem Schutt schlummerten.

Keine fünfhundert Meter entfernt wirbelteeine heftige Explosion aufglühendes Materi-al mehr als dreißig Meter hoch, begleitetvom ohrenbetäubenden Prasseln eines ent-stehenden Lichtbogens.

Glutflüssige Schmelze versickerte im Un-tergrund. Nur Sekunden später brach derBoden ein. Ein Areal von mehr als dreihun-dert Metern Seitenlänge verschwand zusam-men mit zwei Robotkränen in der Tiefe.Tonnenweise eruptierte feinster Staub, dersich erstickend auf die Atemwege legte.

Der Formenergiehelm meines Rauman-zugs entstand selbsttätig. Die aktivierten Or-tungen zeichneten ein klares Bild auf dieHelmscheibe.

Weiter südlich stiegen Medogleiter in denWolkenhimmel und entfernten sich mit ho-

her Beschleunigung. Andere Maschinenschwebten über den Kraterwall ein. KeinZweifel, die Rettungsmannschaften warenauf Überlebende gestoßen. Wie viele Men-schen mochten noch unter den Trümmernbegraben liegen und auf Rettung hoffen?

Ich näherte mich dem eigentlichen Kern-bereich der Anlage. Zwei Space-Jets hingenüber der Region, in der die Rettungsmann-schaften deutlich tiefer vorgedrungen warenals anderswo. Die Männer und Frauen tru-gen schwere SERUNS.

Hochempfindliche Orter und Seismo-Sensoren steuerten ein Dutzend Desintegra-torfräsen, die sich zentimeterweise in dieTiefe bohrten. Ein längsseits geborstener La-stenantigrav war teilweise freigelegt, dochdie Roboter schienen auch im Inneren derRöhre nicht weiterzukommen.

Vermutlich hatten Schwerkräfte denSchacht zusammengequetscht.

»He«, wurde ich angefunkt, »die Medienhaben sich bis jetzt ferngehalten. Wir wol-len, daß das so bleibt.«

»Ich habe nichts dagegen«, sagte ich.»Moment mal«, mischte sich eine Frauen-

stimme ein. »Wenn ich richtig vermute, ge-hörst du nicht zu diesen Pressehyänen …«

Die Art wie sie das sagte, entlockte mirein leises Lachen.

»Rhodan?« fragte sie verblüfft.»Natürlich. Den Raumanzug kenne ichdoch, gehört zwar noch nicht zur Grundaus-bildung, aber … Leute«, rief sie, »unsere Sa-che scheint doch nicht verloren zu sein!Wenn Perry Rhodan auf Terra weilt, gibt eseine reelle Chance. Die Völker Thoregonswerden den Sechsten Boten nicht im Stichlassen.«

Eine Einblendung auf der Helmscheibezeigte mir, wer von den gut achtzig Perso-nen im Umkreis des Antigravschachts dieSprecherin war.

»Spezialagentin des TLD, Margret Zha-mant«, stellte sie sich vor. »Ich leite die Ar-beiten, weil kein anderer Führungsoffizierzur Verfügung stand. Mit Verlaub gesagt,wir sitzen in der Scheiße.«

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Sie akzeptierte meine Anwesenheit, abersie fragte nicht. Weil ihr die Arbeit wichti-ger war. Ich sah die Entschlossenheit in ih-rem Gesicht, diesen fast schon an Fanatis-mus grenzenden Willen zu schaffen, was siesich vorgenommen hatte.

Im Head-up-Display ihres SERUN-Helmswechselte die Wiedergabe in rascher Folge.Von außen konnte ich nichts erkennen, aberich sah die Lichtreflexe in ihrem Gesicht.

»Optik auf ihre Augen konzentrieren!«befahl ich meinem Pikosyn. »Optimale Ver-größerung und Bildbearbeitung!«

Ihr Augapfel erschien bildfüllend auf mei-ner Helm-Innenseite. Jede Menge geplatzterÄderchen, eine graugrüne Iris, die Pupillehalb zusammengezogen. Auf der Pupille,leicht verwischt und seitenverkehrt, die Wie-dergabe einer Bildübertragung aus der Tiefedes Antigravschachts. Zwei Roboter hantier-ten mit schweren Desintegratoren, wie sievor allem im Bergbau Verwendung fanden.

»Zweieinhalb Meter noch, dann sind wirdurch«, erklärte die Agentin. Unvermittelthob sie den Blick, schaute mich direkt anund lächelte. Sie war gut, hatte tatsächlichbemerkt, daß ich die Technik meines An-zugs ausreizte.

»Unter besseren Umständen würde ichdich fragen, ob dir meine Augen gefallen.«Ihr Tonfall klang leicht amüsiert. »Einemanderen als dem Sechsten Boten von Thore-gon hätte ich das allerdings nicht erlaubt.«Ohne Umschweife fuhr sie fort: »Unter unsbefinden sich größere Hohlräume, die zu ei-nem Verkehrsknotenpunkt gehörten. Bisherkonnten wir nur zwei Minisonden durch-schicken, aber es sieht so aus, als hätten wirendlich zusammenhängende Räumlichkeitenentdeckt. - Auf Überlebende sind wir in die-sem Bereich noch nicht gestoßen.

Unter uns dürfte es ohnehin nur jemandgeschafft haben, der zufällig einen Schutz-anzug trug; die Temperaturen liegen bei 250Grad Celsius.«

Die Roboter meldeten den Durchbruch.Margret Zhamant schwang sich als erste indie Tiefe. Ich folgte ihr, und nach mir kamen

weitere TLD-Leute.Der ehemalige Antigravschacht führte

über fünfzig Meter in die Tiefe, fast auf diegesamte Länge war er eingedrückt worden.Berge von Schutt erwarteten uns und auchhier der feine Staub zerfallener Materialien.Stahlträger, Verkleidungsplatten, geborsteneVersorgungsleitungen.

Dazwischen immer noch rotglühendeAdern, die den Verlauf von Energiesträngennachzeichneten.

An die Toten unter den Trümmern heran-zukommen würde sehr große Anstrengungenkosten.

Eine halb geschmolzene Hinweistafel ließerkennen, daß der Schacht noch weitere dreiStockwerke in die Tiefe reichte, nur war erhier endgültig blockiert. Lediglich zwei halbverschüttete Tunnelröhren erwiesen sich alsgangbar.

Die TLD-Agentin überließ mir die Rich-tungsentscheidung. Sie hatte erwartet, daßich den Weg zu den Sitzungssälen der Re-gierung wählen würde.

Wir schafften knapp einen Kilometer inweniger als fünfzehn Minuten, dannblockierten ausgebrannte Schwebegondelndie Röhre. Sie hatten sich ineinander ver-keilt und waren durch die Hitze förmlich zu-sammengeschweißt worden. Einigen Passa-gieren war zwar die Flucht aus den Gondelngelungen, aber nicht vor den Flammen.

Jeder von uns hing seinen eigenen Gedan-ken nach, während wir uns mühsam einenWeg bahnten und immer wieder versuchten,Funkkontakt zu möglicherweise Einge-schlossenen zu bekommen.

Es war sinnlos. Ebenso wie darauf zu hof-fen, daß irgendwo ein Transmitter funktions-fähig geblieben sein könnte.

Wir erreichten die nächste Station undstießen auf eine Frau, die noch schwacheLebenszeichen von sich gab. Sie hatte sehrviel Blut verloren und ihr Puls war kaumnachweisbar, aber sie reagierte auf die Injek-tion eines stabilisierenden Medikaments.

Die uns folgenden Roboter begannen, dieToten abzutransportieren.

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Eineinhalb bis zwei Kilometer hatten wirbereits überwunden, als Margret Zhamantzurückbeordert wurde. Männer ihres Truppshatten weiter südlich Lebenszeichen ausgrößerer Tiefe aufgespürt.

Ich entschied mich, die eingeschlageneRichtung beizubehalten. Ich wollte letzteKlarheit über das Schicksal der Regierungs-mitglieder.

*

Die Tunnelröhre war endgültig verschüt-tet; um hier weiterzukommen, hätte ichschweres Räumgerät benötigt, das zwar überkurz oder lang zur Verfügung stehen würde,aber ich konnte nicht warten. Ramihyns Ka-pitulationsforderung war überall im Sonnen-system empfangen und aufgezeichnet wor-den - mich interessierten jedoch Details, dienur einer so gewaltigen und umfassendenMaschinerie wie der höchsten LFT-Spitzezur Verfügung standen. Zigtausende Hin-weise mußten schon in der ersten Stunde imHQ-Hanse zusammengelaufen und ausge-wertet worden sein.

Ein Versorgungsschacht war der einzigenoch leidlich passierbare Weg, obwohl Was-ser aus Decke und Wänden sickerte und sichkniehoch staute. Inzwischen hatte ich denFunkkontakt zu Margret Zhamant verloren.Störfelder geisterten durch den Schutt, ichkonnte sie anmessen, aber in keinem Fall ih-ren Ursprung lokalisieren.

Die Zeit lief mir davon. Wieso bildete ichmir ein, irgend etwas gegen WAVE zu un-ternehmen, solange ich durch den Unter-grund des HQ-Hanse kroch? Selbst in großerTiefe war nichts heil geblieben. Die beimAngriff freigesetzten Energien hatten Trans-mitter und Funkstationen ebenso wie anderetechnische Einrichtungen durch Überladungzerstört. Das Nervenzentrum der Liga FreierTerraner war zu einem gewaltigen Grabmalgeworden.

Zum erstenmal entdeckte ich die Überre-ste zerstörter Roboter. Auch wenn die stäh-lernen Leiber der TARA-V-UH nur unwe-

sentliche Schäden aufwiesen, ihre Syntroni-ken waren Schrott.

Ein dumpfes, anschwellendes Grollen be-wies, daß die Ruinen noch nicht zur Ruhegekommen war. Der Boden bebte, Gerölllöste sich aus der Decke.

Dann kam ich endgültig nicht mehr wei-ter. Ausglühende Konverter hatten denSchutt zu einer undurchdringbaren Massezusammengebacken und eine Region anhal-tend hoher Temperaturen geschaffen.

Ich aktivierte Moo, die kleine silberneBuddha-Figur meines Raumanzugs, die sichschon oft als hilfreich erwiesen hatte. Durchseine Augen überzeugte ich mich, daß eswirklich kein Weiterkommen gab. Ausge-glühter Stahl, zu Schlacke verbrannte Ein-richtungen und Aggregate und über allemimmer noch zähflüssig abtropfende Kunst-stoffe bestimmten das Bild. Erst allmählicherstarrende Glutseen markierten den Stand-ort der Konverter.

Dazwischen Roboter. Viele zerstört, eini-ge wenige noch funktionsfähig, aber fehlge-schaltet.

Jedenfalls eröffneten sie das Feuer aufMoo.

In mir verdichtete sich das Bild einerWaffe, die HQ-Hanse in den oberen Etagenzermalmt und teilweise pulverisiert, aber diegesamte und tief in die Erde reichende Anla-ge nicht sofort zerstört hatte. Vielmehr schi-en eine Art Streustrahlung oder was auchimmer von Etage zur Etage weitergesprun-gen zu sein und hatte alle Technik in denVernichtungsprozeß einbezogen. Deshalbgab es keinen Funkkontakt, keine arbeiten-den Transmitter, einfach nichts, was Ret-tungstrupps und eventuellen Überlebendenhätte helfen können.

Ein Knistern im Helmempfang. Ich glaub-te, endlich wieder Margret Zhamants Stim-me zu hören, die hastig Anweisungen erteil-te, aber ich war mir keineswegs sicher.

»Margret!« rief ich.Nichts. Nach wie vor gestörter Funkemp-

fang.Dafür stieß ich auf einen engen Durch-

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bruch, hinter dem eine der Botanikhallenlag, die als Freizeiteinrichtungen auf jederEtage vorhanden gewesen waren. Herabge-stürzte, ineinander verkeilte Deckensegmen-te hatten die gepflegten Grünanlagen zer-malmt, aber zugleich die nachrutschendenLasten abgefangen. Einen sonderlich ver-trauenswürdigen Eindruck machte dieses bi-zarre Konglomerat dennoch nicht.

War da nicht eine flüchtige Bewegungweit im Hintergrund? Ich hatte den Ein-druck, eine menschliche Gestalt zu sehen.

»Bleib stehen!« rief ich. »Ich bin hier, umdir zu helfen.«

Nichts. Keine Antwort, kein erneuterSchatten. Lediglich ein Leuchtband begannflackernd zu arbeiten, als wolle es mich in-mitten dieses Chaos festhalten.

Augenblicke später sah ich sie wieder: ei-ne menschliche Gestalt, hager, flink undfurchtsam.

»Wenn du hier raus willst, solltest dunicht davonlaufen.«

Die Gestalt verharrte hinter zwei bizarrverdrehten Stahlträgern. Ich konnte ihr Zö-gern förmlich spüren.

»Du gehörst nicht zu den Angreifern?«»Ich bin Perry Rhodan.« Langsam kletter-

te ich weiter. Messerscharfe Kanten drohtenmeinen Anzug aufzuschlitzen, aber ich fandtrotzdem immer noch Halt.

»Warum bist du hier?«»Stimmanalyse!« befahl ich dem Pikosyn.

Das Ergebnis wurde in Sekundenschnelleeingespiegelt: männlich, nicht älter als 20,unsicher und erregt.

»Um zu helfen«, antwortete ich.»Eigentlich, um herauszufinden, was ge-schehen ist. Aber auch das stimmt nichtganz. Ehrlich gesagt, ich liege mit mir selbstim Clinch, was richtig ist und was nicht.«

»Du … bist wirklich Rhodan? Der Botevon Thoregon?« Überraschung und ungläu-biges Staunen schwangen in den Wortenmit.

»Was ist daran so eigenartig?« fragte ichzurück. Er stand immer noch in völligerDunkelheit außerhalb meines Scheinwerfer-

kegels, doch in der Restlichtaufhellungkonnte ich ihn auf der Sichtscheibe meinesRaumhelmes gut erkennen. Er war schlak-sig, gut 1,90 Meter groß und sehr schmal.Sein Haar wirkte wirr zerzaust. Er trug dieaktuelle Kleidung Jugendlicher: locker undluftig fallend, die Ärmel seines Pullovershochgeschoben und die formlose Hose vielzu lang, sie schleifte auf dem Boden auf.

»Alles ist eigenartig«, antwortete er zö-gernd. »Rhodan ist irgendwo auf der Brückein die Unendlichkeit oder so unterwegs. Soheißt es doch.«

Er hatte die Augen zusammengekniffenund versuchte, mehr zu erkennen. DerScheinwerfer blendete ihn. Trotzdem kam erjetzt zaghaft näher. Ein Lächeln huschteüber sein Gesicht, als ich den Lichtkegel zuBoden richtete und meinen Helm öffnete. Indem Moment kam ich mir skurril vor. Dawar der Junge, schutzlos, nur in Straßenklei-dung, und ich trug ein High-Tech-Erzeugnisbester Güte, das mich selbst im absolutenVakuum tagelang am Leben erhalten würde.

Seine dunklen Augen musterten mich undblieben, wie konnte es anders sein, schließ-lich auf Moo hängen.

»Und?« wollte ich wissen.Der Junge biß sich auf die Unterlippe und

wirkte dabei verlegen, wie es wohl viele inseinem Alter gewesen wären. Die hohe Stirnund der schmallippige Mund verstärkten denEindruck noch.

Endlich nickte er und streckte mir seineHand entgegen.

»Ich bin Startac«, sagte er. »Schroeder istmein Familienname.« Er hatte einen laschenHändedruck.

»Wie alt bist du?«»Siebzehn«, sagte er.»Du warst hier unten, als … als es pas-

sierte?« So recht daran glauben wollte ichnicht. Startac machte auf mich nicht denEindruck, als würde er seit Tagen in denRuinen von HQ-Hanse herumirren.

Mit beiden Händen fuhr er sich durchsHaar und schüttelte den Kopf. Immer wiederwar er im Begriff, mich anzustarren wie ei-

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nes der Idole, die jede Generation auf die ei-ne oder andere Weise hat. Von solchem Per-sonenkult hatte ich allerdings nie viel gehal-ten.

»Ich war oben«, sagte er schwach, »inHappytown. Aber meine Eltern …« Er frö-stelte, wischte sich mit dem Handrückenüber die Augen. Mehrmals schluckte erschwer, dann platzte er heraus:

»Meine Mutter ist - nein, sie war - Mit-glied der Regierung. Sie haben sie bereits totgeborgen.« Er war den Tränen nahe, kämpf-te jedoch mit aller Kraft dagegen an. Wahr-scheinlich wollte er sich in meiner Gegen-wart keine Schwäche anmerken lassen.

»Dein Vater …«Er schüttelte den Kopf. »Ich suche ihn

noch, aber ich habe die Hoffnung aufgege-ben. Vater war Regierungsangestellter, ermuß hier irgendwo in diesem Bereich gear-beitet haben. Wenn er auch … gestorben ist,dann bin ich eine Waise - dabei gibt es nochso vieles, was ich … was ich meinen Elternsagen müßte.« Tief holte er Luft. »Endlichwird alles besser. Du … du wirst uns be-schützen.«

»Ich kann keine Wunder vollbringen.«»O doch, doch, bestimmt.« Seine Stimme

klang wieder fester. »Ich war fünfzehn, alsder Heliote im Sonnensystem erschien. DieWorte damals, in meinem Kopf, werde ichnie vergessen. Und ich kenne viele in mei-nem Alter, die genauso fühlen - die Bot-schaft des Helioten war der Beginn einesneuen Zeitalters. Eines besseren, hoffe ich«,fügte er hinzu. »Man hat euch Unsterblichenunrecht getan, ihr seid immer auf seiten derMenschheit gestanden.«

Seltsam, das ausgerechnet aus dem Mundeines Siebzehnjährigen zu hören, noch dazuin einer Umgebung, in der der Tod regierte.

Startac hatte keine solchen Vorbehalte.»Jedes Wort der Thoregon-Agenda kenneich auswendig«, platzte er heraus.»Thoregon schützt Leben und Kultur seinerMitglieder. Der einzelne ist soviel wert wiedas Kollektiv. Thoregon streitet für denFrieden. - Ich glaube …«, er schaute mich

eindringlich an, »…es lohnt sich, nach die-sen Regeln zu leben. Ich werde nie verges-sen, daß ich heute den Sechsten Boten vonThoregon getroffen habe.«

»Und genau dieser Sechste Bote wird dichjetzt nach oben begleiten«, sagte ich. »Ichverstehe ohnehin nicht, wer so verantwor-tungslos sein konnte, dich allein und schutz-los in die Ruinen zu lassen.«

»Es waren die Leute, die meine Muttergeborgen haben«, sagte Startac schwer.»Knapp zwei Kilometer entfernt haben sieeinen Zugang freigelegt.«

Ich glaubte ihm nicht. Wahrscheinlichhatte er sich an den Rettungstrupps vorbei-geschmuggelt.

Auf jeden Fall fühlte ich mich verantwort-lich für ihn.

»Wo ist der Zugang?« fragte ich.Startac setzte zu einer Erwiderung an und

erstarrte. Seine Miene verhärtete sich.Gleichzeitig spürte ich ein unerklärliches

Herzrasen. Mein Blutdruck schien von ei-nem Augenblick zum anderen auf einenWahnsinnswert anzuschwellen. Trotz Akti-vator.

Das Gefühl, in einer anlaufenden Zentri-fuge gefangen zu sein, ließ Übelkeit in miraufsteigen.

Alles um mich herum begann sich zu dre-hen.

Startac schrie auf. Aus den Augenwinkelnheraus sah ich, daß er sich herumwarf und inheller Panik wegrannte. Er verschwand ineiner angrenzenden Halle.

Dann wirbelte endgültig alles vor meinenAugen; rechts und links, oben und untenverloren jede Bedeutung.

Kein Zweifel, ich spürte den Tod, derdurch Terras Städte wandelte. Ramihyn? Erhatte mich gefunden, nicht umgekehrt.

Stürzte ich? In ein endlos tiefes Loch?Feuerräder wirbelten in der Dunkelheit.

Galaxien. Ich sah sie zusammenstoßen, sichdurchdringen und ausglühen. Zurück bliebenfahle Sonnen, umkreist von zerborstenenund öden Welten, auf denen das alte Lebennahezu erloschen war.

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Furchtbare Monstren schwärmten aus undvernichteten, was die kosmische Katastro-phe überstanden hatte. Zurück blieb eineSternenwüste, ein Kosmos ohne Leben, dendas Wirken Thoregons geschaffen hatte …

Gepreßte Atemzüge schreckten mich auf.Es war mein eigenes Atmen, das mich in dieRealität zurückholte. Der Formenergiehelmhatte sich geschlossen, und der Sauerstoffan-teil schien ein wenig höher zu sein als nor-mal.

Immer noch schwang die Warnung vorThoregons verderblichem Tun in meinenGedanken nach.

Nur wenige Sekunden hatte der qualvolleEinfluß angehalten, aber wie schlimm moch-ten alle betroffen sein, die nicht wie ich dasGlück hatten, einen Aktivator zu tragen. Siebezahlten mit ihrem Leben - wie überall inden Städten.

Startac hatte den Tod gespürt und seinHeil in der Flucht gesucht. Ich fragte mich,wie weit er wirklich gekommen war. Wahr-scheinlich lag sein Leichnam nur ein paarMeter entfernt.

Die weitaus kleinere und relativ über-sichtliche Nebenhalle, in der ich den Jungenhatte verschwinden sehen, war leer. Es gabeinen zweiten Ausgang, vielmehr hatte esihn gegeben, doch er war verschüttet und ab-solut unpassierbar. Hier war kein Durch-kommen.

Andererseits war Startac nicht zurückge-laufen, in dem Fall hätte ich ihn sehen müs-sen. Und in Luft konnte er sich nicht aufge-löst haben.

Nachdem ich noch einmal wirklich jedeNische nach dem Jungen abgesucht hatte,blieb der Verdacht, daß Startac einen De-flektor unter seiner weiten Kleidung getra-gen hatte. Aber wozu benötigte ein Sieb-zehnjähriger, der nach seinem verschüttetenVater suchte, ein solches Gerät?

Wie es aussah, würde das eine der ungelö-sten Fragen bleiben, die sich im Laufe derJahrtausende in großer Zahl angehäuft hat-ten. Auch wenn es mir nicht behagte, ichhatte gelernt, damit zu leben.

Eine kaum verständliche Stimme erklangim Helmempfang. Margret Zhamant ließmich wissen, daß es wieder sehr viele Totegegeben hatte, vor allem unter den Rettungs-mannschaften. Sie schwor Stein und Bein,daß sie den Verantwortlichen zur Streckebringen würde.

6.

Feuerfunken in der Schwärze, geborenaus vergangener Größe verzehren sich selbstim Augenblick, verschlingen ihre Galaxien,töten und gebären.

Lied der Sterne. Die letzten Empfindun-gen einer unbekannten Zivilisation, konser-viert im Gammagewitter einer Hypernova,die ihre Galaxis entvölkerte.

*

Ziellos ließ Ramihyn sich über die Ober-fläche des Planeten treiben.

Nur an einigen Orten verweilte er länger,es waren willkürlich gewählte Plätze, dasHerz einer Großstadt ebenso wie die schein-bare Abgeschiedenheit nahezu unberührterNatur.

Manchmal nahm er Informationen in sichauf.

Es erschien ihm zunehmend unverständli-cher, wie die Terraner sich in eine Positionhatten bringen können, daß eine KosmischeFabrik gegen sie aufgeboten werden mußte.

Ihr Planet war ein Sammelsurium kleiner,dezentraler Energieerzeuger.

Zur Versorgung ihrer Städte hätten sieden Hyperraum anzapfen können, immerhinverfügten ihre Raumschiffe über in gerin-gem Maß effektive Zapfanlagen. Aber siemachten dies nur in sehr geringem Umfang.Sie hatten nicht einmal versucht, ihrer SonneMaterie zu entreißen und, von Kraftfelderngehalten, im Bereich der äußeren Atmosphä-re zur Wirkung zu bringen. Statt dessenspielten sie mit Wind und Wasser und nutz-ten die Gezeiten ihrer Ozeane, ein unver-gleichlich höherer Aufwand. Außerdem

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bohrten sie Löcher tief in die Kruste ihrerWelt, um mit Wasser Dampf zu erzeugen,der leistungsschwache Turbinen antrieb.Wieder und wieder nutzten sie die Wärme,ebenso wie das Licht ihrer Sonne.

Umweltschutz nannten sie dieses Verhal-ten. Sie wollten ihre Welt schonen. Wozu?Es gab Milliarden ähnlicher Planeten in die-ser und den benachbarten Galaxien.

Vielleicht lag ihr Verhalten im Aufbau ih-rer ebenso schwachen Körper begründet. Ih-re Neugeborenen waren auf Hilfe und Pflegeangewiesen und konnten sich nur durch pri-mitive Schreilaute verständlich machen. So-gar Tiere waren vom ersten Augenblicknach ihrer Geburt an in der Lage, sich auseigener Kraft fortzubewegen.

Ramihyn überquerte einen der großenKontinente und streifte eine der auf demMeeresgrund verankerten Tasei-Städte. SeinAnzug des Todes ermöglichte ihm eine hoheGeschwindigkeit.

Er studierte die Vergänglichkeit dieserWesen.

Unvermittelt hielt der Diener der Materieinne. Da war ein Hauch von Abnormität ge-wesen. Für einen flüchtigen Augenblick,entsann er sich, hatte er Widerstand gespürt.

*

Bericht Perry Rhodan.Eineinhalb Stunden brauchte ich, um den

Schacht zu erreichen, von dem der Junge er-zählt hatte.

Ich stieß auf die ersten Toten, Männer undFrauen des TLD in leistungsfähigen Schutz-anzügen. Ihr Vertrauen in die aktivierten In-dividualschirme war vergebens gewesen.Ohne Anzeichen äußerer Verletzungen lagensie am Boden, einige zusammengekrümmtwie Embryos. In ihren Augen stand noch dasEntsetzen zu lesen, das sie im Sterben emp-funden hatten.

Ausgeglühte Sterne … insektoide Mon-stren, die Jagd auf die letzten Menschenmachten … welchen Sinn hatte es, vor Tho-regon zu warnen und zugleich zu morden? O

ja, ich konnte Margret Zhamant verstehen,wenn sie nach Vergeltung schrie.

In den oberen Etagen transportierten Me-doroboter Tote aus den freigelegten Seiten-gängen ab. Ein Ara-Mediziner starrte mirverständnislos nach, als er mich bemerkte;er glaubte wohl, so etwas wie ein Gespenstzu sehen.

Die Nacht lastete über Terrania City. Ob-wohl eine frische Brise aufgekommen war,verdeckten immer noch dichte Wolkenbänkedas Licht der Sterne.

»Die Wolken sind wie ein Leichentuch,das jemand über der Stadt ausgebreitet hat.«

Margret Zhamant kam auf mich zu. Siehatte mitgeholfen, Leichensäcke auf eineLastenplattform zu stapeln.

»Wir hatten einfach nur Glück.« Verbis-sen schlug Margret ihre Fäuste gegeneinan-der. »Alle anderen sind tot, dahingerafft wiedie Fliegen. Ich weiß, das klingt unwürdig,aber es ist so.

Verdammt, ich habe den Tod ebenfallsunglaublich nahe gespürt. Er wird es nochbereuen, daß er mich verschont hat.«

»Wie viele?«»Mehr als fünfhundert. Allein hier, zwi-

schen den Ruinen.« Ihre Mundwinkel zuck-ten. »Der Tod hat eine Schneise durch Ter-rania gezogen, Richtung Nordost. Kaum län-ger als sechzig Sekunden, so scheint es, den-noch haben wir eine vierstellige Opferzahlzu beklagen.«

»Margret!« Einige ihrer Leute winkten siezu sich heran. »Wir haben Noviel im Emp-fang.«

»Das wurde höchste Zeit. - Komm mit!«forderte sie mich auf und fügte weniger harthinzu:

»Noviel Residor ist TLD-Chef auf Terra,zumindest leitet er die kläglichen Überrestedes Liga-Dienstes. Er war auf dem Mond,deshalb hat er die Vernichtung des HQ-Hanse überlebt. Seit das hier passiert ist …«,ihre umfassende Geste verdeutlichte, daß sieden Angriff auf das Regierungszentrummeinte, »…wechselt er aus Sicherheitsgrün-den stetig den Aufenthaltsort. Nur so können

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wir handlungsfähig bleiben.«Ein Hologramm war entstanden. Die Ab-

bildung ließ nicht erkennen, wo der Spre-cher sich gerade aufhielt. Zweifellos lief dieVerbindung über mehrere Zwischenstatio-nen, zudem kodiert, zerhackt und gerafft.

»…hat sich erwiesen, wie wichtig es war,unterzutauchen«, hörte ich noch. »Alle er-forderlichen Daten wurden übermittelt; ichwerde von mir aus wieder Kontakt aufneh-men.«

»Warte!« rief die Agentin. »Ich …« Sieredete ins Leere.

»Soll ich die Speicherdaten abspielen?«fragte jemand.

Margret schnaubte nur noch. »Woraufwillst du warten, Hank? Auf bessere Zei-ten?«

Das erneut entstehende Hologramm zeigteeine vorbereitete Sendung der TNR. NovielResidors Stimme verkündete, daß er es mit»sanftem Nachdruck« geschafft hatte, dieAusstrahlung um einen halben Tag hinaus-zuschieben. »…bis dahin erwarte ich greif-bare Ergebnisse. Andernfalls wird das Chaosnicht mehr aufzuhalten sein.«

Die folgende, von einer schwebendenÜberwachungsoptik aufgenommene Se-quenz zeigte den in mehreren Etagen flie-ßenden innerstädtischen Verkehr einer dergroßen Metropolen.

Prallfeldgleiter folgten den Windungender transparenten Fahrbahnen, die sich bis ingroße Höhe schraubten; dazwischen pendel-ten die schillernden Energieblasen, die Pas-sagiere auf individuellen Routen zu ihremgewählten Ziel brachten. Auch die Laufbän-der, deren gewagte Routenführung von Anti-gravsäulen in stabilem Zustand gehaltenwurde, waren stark frequentiert.

Übergangslos erschien auf einer der Glei-terbahnen der ungeschlacht wirkende Zy-klop. Die Fahrzeugsensoren registrierten,daß ein Ausweichen nicht möglich war, undstoppten.

Augenblicklich zoomte die Optik auf diePassanten außerhalb getönter Kabinen. Eini-ge suchten ihr Heil in der Flucht zum näch-

sten Turboschacht. Sie brachen schon nachwenigen Metern, nach Atem ringend oderdie Hände vor dem Brustkorb verkrampft,zusammen.

Die Aufnahme erfaßte wieder den Zyklo-pen, der sich langsam um sich selbst drehte,als genieße er es, die Menschen sterben zusehen. Gegen die Schärfe dieser Bilder, ausmehreren hundert Metern Höhe aufgenom-men, waren die Sequenzen aus Neu-Londonnur verschwommene Machwerke gewesen.

»Wer ist er?« stieß Margret Zhamantatemlos hervor. Eine rein rhetorische Frage,auf die sie keine Antwort erwartete. Allestarrten die Wiedergabe an und versuchten,ihre Emotionen unter Kontrolle zu bringen.

»Tote Sterne, leblos weit - es endet derAnfang, das Ende der Zeit …«

Stockend brachte einer der Agenten dieWorte hervor. Seine Augen waren schreck-lich verdreht, ich konnte nur das Weiße derAugäpfel erkennen.

»Was …?« herrschte Margret ihn an.»Was sagst du da?«

Erst als sie den Mann ziemlich unsanftanfaßte, fiel die Trance von ihm ab.

»Was du gesagt hast, will ich wissen!«»Nichts. Ich … ich entsinne mich nicht

mehr …«»Der Zyklop beeinflußt uns«, stieß die

Agentin hervor. »Er suggeriert unsSchreckensbilder vom Ende der Welt.« Siewandte sich mir zu. »Die Warnung vor Tho-regon ist deutlich. Wie viele Menschen sol-len noch sterben, Perry? Und was kommtdann, was …?«

Sie machte mich nicht verantwortlich,aber ich empfand es so. Jedes Wortschmerzte mich auf der Seele. Und, bei al-lem, was mir heilig war, ich sehnte mich ge-radezu nach diesen Schmerzen, als Sühnefür den Tod, den ich über Terra gebrachthatte. Nie zuvor hatte ich mich ähnlich hilf-los gefühlt wie ausgerechnet in diesem Mo-ment. Ich war mir selbst fremd und erschraküber meine zerstörerischen Gedankengänge.

Wie leicht wäre es gewesen, den Kampfaufzugeben. Die Koalition Thoregon war

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fern, mir lag die Menschheit am Herzen undnicht Galaxien, die, Millionen Lichtjahreentfernt, nicht einmal der Lokalen Gruppeangehörten.

Aufhören! schrie alles in mir. Ich will,daß die Milchstraße endlich Frieden findet!Ich …

Die Wiedergabe hatte gewechselt undzeigte tiefblauen Ozean. Der wolkenüberzo-gene Küstenstrich in der Ferne war mehr zuahnen als wirklich zu erkennen. Die Stadtankerte im Schelf, sie reichte gut zweihun-dert Meter bis auf den Meeresgrund hinab.Den größten Anteil der benötigten Energielieferten die großflächigen Solarkraftwerkeebenso wie die den gewaltigen Rumpfdurchfließenden Gezeitenströme. Jeweilsmehrere hunderttausend Menschen lebten injeder dieser ozeanischen Städte.

Auch hier war der Zyklop erschienen.Mehrere Optiken hatten sein Auftauchen ausdem Nichts heraus festgehalten, und es schi-en, als hätte er mehr Interesse an einem derSolarkraftwerke als an den Bewohnern derStadt.

Die haarlose Haut des Wesens erinnertean braunes, sehr grobes Leder. Was mireben schon aufgefallen war, wurde diesmalnoch weitaus deutlicher: Ein dunkelgrüner,seidig schimmernder Anzug schmiegte sicheng um den massigen Leib.

Auf den ersten Blick schien das überauselastische Kleidungsstück aus quadratischenSegmenten zu bestehen, eine Montur, diegleichermaßen altertümlich wie hypermo-dern wirkte. Zwei mehrere Handspannenmessende stachelförmige Fortsätze auf denSchultern kontrastierten mit den beiden an-nähernd halbkugeligen Auswüchsen an denHüften. Geschlossen und zusammengehaltenwurde der Anzug durch eine Reihe von Ha-ken und Ösen auf der Vorderseite. Magnet-säume, die einen fast unsichtbaren Ver-schluß bildeten, schien es nicht zu geben.

Ich mußte wohl unwillkürlich zusammen-gezuckt sein, denn Margret Zhamant schautemich fragend an.

»Du kennst den Zyklopen?« fragte sie.

Nein, nicht den Zyklopen, aber die Artseines Anzugs. Es hatte eine Waffe aus demFundus der sieben Mächtigen gegeben, den»Anzug der Vernichtung«. Namen wieGanerc und Bardioc waren mit ihm verbun-den, beide ehedem Mächtige, und der Spra-che der Mächtigen hatte sich auch Ramihynbedient. Auf einem Schwarmplaneten warder Cyno Schmitt in den Besitz der Monturgelangt und hatte sie an Alaska Saedelaereweitergegeben, der es leider nicht geschaffthatte, ihr Geheimnis zu enträtseln.

Von Alaska war der Anzug der Vernich-tung schließlich an seinen eigentlichen Ei-gentümer, den Mächtigen Ganerc-Callibso,übergegangen, der diesen im Jahr 3587 alterZeitrechnung vernichtet hatte.

Die Ähnlichkeit, stellte ich fest, war ver-blüffend. Oder auch wieder nicht.

Das Zyklopenauge schien mich aus demHologramm heraus in dunkelgrünem Feueranzustarren.

Zu den Rändern hin verlief es übergangs-los in ein helles Lindgrün. Ein Blick, der of-fenbar die Optik vernichtete, denn die Auf-zeichnung endete abrupt.

Noviel Residor begann wieder zu spre-chen: »Die Reporter der TNR und nicht nursie verlangen dringend Aufklärung. Sie wol-len wissen, wer nach dem Tod der Regie-rung Terras Geschicke lenkt. Daß CistoloKhan mit seiner PAPERMOON trotz derBlockade noch keinen Landeversuch unter-nommen hat, kreiden sie ihm an. Wenn die-se und andere Fragen publik werden, dürftees schwierig sein, die zu erwartenden Tu-multe in den Griff zu bekommen. NamhafteStimmen behaupten bereits, wir hätten esmit mehreren Zyklopen zu tun. Zwar wur-den niemals zwei dieser Kreaturen zur glei-chen Zeit gefilmt, doch ihre Präsenz an denverschiedensten Orten liegt oft nur wenigeSekunden auseinander. Margret, dein Truppund du, ihr werdet den Zyklopen angreifen.

Das ist ein höchst offizieller Auftrag. -Bringt ihn zur Strecke!«

Die Hochspannung war mit Händen greif-bar. Residor hatte es sich einfach gemacht:

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eine Aufzeichnung, ein wahnwitziger Auf-trag, und das war's.

»Ihr habt es gehört«, sagte die TLD-Agentin ohne erkennbare Regung. »Wirwerden den Kerl zur Strecke bringen. Wirkriegen ihn.« Ihr Blick blieb an mir hängen.»Wir können auf dich zählen, Perry?«

»Wie willst du dem Zyklopen überhauptnahe kommen?« antwortete ich mit einerGegenfrage.

»Wir finden Mittel und Wege. Es gibt et-was, Perry, was sich anmessen läßt. DieStreustrahlung seiner Technik. Vielleicht ister ja auch Teleporter, dann könnten ihn diePsi-Impulse verraten. Es hat nur noch nie-mand versucht, das herauszufinden; wir wa-ren viel zu sehr damit beschäftigt, unsereWunden zu lecken. Hier werden wir jeden-falls nicht mehr gebraucht.«

»Das Vorhaben ist Wahnsinn«, warnteich.

Margret Zhamant und einige andereschauten mich überrascht an. Als wollten sienicht verstehen, was ich eben gesagt hatte.

»Für mich gibt es keinen Zweifel daran,daß der Zyklop von WAVE geschickt wur-de«, fuhr ich fort. »Wahrscheinlich handeltes sich sogar um Ramihyn persönlich, derTerra zur Kapitulation aufgefordert hat.«

»Das klingt, als würdest du die Kapitulati-on vorschlagen.«

Ich schluckte schwer. »Wenn es hilft, einweiteres sinnloses Sterben abzuwenden …«Es fiel mir nicht leicht, das zu sagen; alles,wofür ich jemals gekämpft hatte, strafte ichmit diesem einen Satz Lügen. Ich kam mirvor wie ein Verräter und begann mich schul-diger zu fühlen als vorher.

Aber wir brauchten einfach Zeit, die unseine Kapitulation verschaffen konnte.

»Du bist der Sechste Bote von Thore-gon«, drängte Margret Zhamant. »Solltestdu das Interesse an deiner Heimatwelt verlo-ren haben? - Nein, entschuldige«, fügte siesofort hinzu, »so habe ich das nicht ge-meint.«

Sinnend blickte ich zu den endlosen Wol-kenbänken hinauf, die das Licht der Stadt

nur spärlich reflektierten. Terrania schien inLethargie versunken zu sein.

»Ein Wesen wie Ramihyn«, warnte ichnoch einmal und hoffte gleichzeitig, ichwürde mich irren, »kann man nicht einfachangreifen.«

»Das ist deine Sicht der Dinge, und siemag richtig sein«, sagte die Agentin. »Aberich habe einen Befehl erhalten, den ich aus-führen werde. Persönlich würde ich es be-grüßen, wenn du dich uns trotz deiner Be-denken anschließt.«

*

Alles war so einfach, keine Herausforde-rung für eine Wesenheit, die vor fast dreiMillionen Terra-Jahren Kriege und Ausein-andersetzungen als beinhart-blutiges Ver-gnügen empfunden hatte.

Niemand widerstand dem auf volle Kapa-zität geregelten Anzug des Todes.

Im Umkreis von eineinhalb Kilometernerlosch innerhalb von sechzig Sekunden jeg-liches Leben.

Terraner, die der Wirkung nur kürzesteZeit ausgesetzt waren, starben nicht sofortan Herz- und Atmungsversagen, sie würdendennoch nur wenige Tage überleben undwährenddessen dahinsiechen.

Dunkel entsann sich Ramihyn jener Epo-che, als er der führende Feldherr seiner Ras-se gewesen war und in seiner Galaxis alleSchlachten gewonnen hatte. Sein Körperwar größer und stärker und imposanter ge-wesen als der, den er heute besaß. Die Terra-ner würden ihn als schwarzfelliges, bärenar-tiges Wesen bezeichnet haben.

Sie sind schwach …Auf Dauer wirkt ihr Sterben wenig befrie-

digend …Die Meeresstadt hatte er längst hinter sich

gelassen. Terra war ein kleiner Planet, dener schnell umrunden konnte.

Ein mentaler Befehl ließ den Dimensions-tunnel erlöschen, der große Entfernungenauf die Distanz eines Schrittes reduzierte.Ramihyn spürte wenig Leben ringsum: ein

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paar Tiere und einige hundert Menschen, de-ren verströmender Vitalenergie er fast schongleichgültig lauschte.

Diese Welt hielt kaum mehr Neues für ihnbereit.

Eisige Kälte hüllte ihn ein, Ramihyn regi-strierte sie nicht einmal. Er fragte sich, wiediese schwachen Kreaturen die KosmischeFabrik MATERIA hatten vernichten kön-nen. Trotz Torr Samahos ausführlichem Be-richt waren so viele Fragen geblieben.

Sie waren so zwiespältig in ihrem Verhal-ten …

Wieder entsann er sich des Hauchs vonAbnormität und des schwachen Wider-stands, den er zu spüren geglaubt hatte. Eini-ge Schritte weit entfernt war das gewesen,auf der nördlichen Hemisphäre, in der An-siedlung Terrania.

Ramihyn konzentrierte sich auf seineWahrnehmungen zu dem Zeitpunkt. Er er-kannte, daß er einen starken und besonderenGeist gespürt hatte, ohne jedoch im erstenAugenblick darauf zu reagieren. Zu überra-schend und vor allem flüchtig war die Be-gegnung gewesen.

Wie jeder Diener der Materie besaß auchRamihyn ausgeprägte mentale Gaben, dochdie Fähigkeit der Telepathie gehörte nichtdazu. Traten außergewöhnliche Umständeauf, was selten genug geschah, war er aufseinen Spürsinn angewiesen, im Grunde ge-nommen hörte er dann auf den Instinkt, dener aus seiner früheren Existenz mitgebrachthatte.

Was immer er im Vorbeigehen gespürthatte, es begann ihn intensiver zu beschäfti-gen. Vielleicht war alles gar kein Zufall.

Solange Ramihyn über den Planeten spa-ziert war, hatte er die Poesie vom Ende allerTage rezitiert und der verwehenden Mental-energie nachgespürt. Im Sterben hatten dieMenschen seine Bilder eines ausgebranntenUniversums und die leeren Sternenräumewahrgenommen - doch von einem warendiese Visionen reflektiert worden.

Ramihyns Gedanken sprangen zurücknach Erranternohre, auf das Plateau aus

schwarzem Stein, unter dünnem Nebel ver-borgen, wohin Torr Samaho, der Mörder sei-nes Volkes, die Diener der Materie gerufenhatte. Um ihnen zu gestehen, daß er mögli-cherweise die Verantwortung für das Entste-hen eines Thoregon zu tragen hatte, und umalles zu unternehmen, um diese Katastropheim letzten Augenblick doch noch zu verhin-dern.

Torr Samaho hatte Terra als einen Zen-tralplaneten der Superintelligenz ES be-zeichnet, gleichzeitig als die Ursprungsweltdes designierten sechsten Thoregon-Volkes.

War es denkbar, daß er, Ramihyn, der To-tengräber, durch einen Zufall die Nähe desSechsten Boten von Thoregon wahrgenom-men hatte? Er war nicht informiert, daß derSechste Bote sich auf seiner Welt aufhielt.

Ramihyn beschloß, seine ziellose Wande-rung vorübergehend zu beenden und nachTerrania zurückzukehren. Er würde dort ver-weilen und sich auf die Suche nach demSechsten Boten machen, bis er ihn entwederaufgespürt hatte oder kein Leben mehr inden Mauern der Metropole zu finden war.

Wie und vor allem wann war dieser PerryRhodan nach Terra gelangt?

Über dem vierten Planeten standen längstBeiboote in ausreichender Zahl. Der offeneBrückenpfeiler machte ihre Präsenz unerläß-lich. Ramihyn wies die Roboter von WAVEan, weitere tausend Wachschiffe auszu-schleusen und Terra endgültig abzuriegeln.Wie ein gewaltiger Sternenschwarm würdendie Schiffe in der oberen Atmosphäre einengeostationären Orbit einnehmen und neueFurcht und neues, großes Entsetzen auslö-sen.

Dabei war dem Diener der Materie klar,daß er einen Planeten wie Terra niemalswirklich lückenlos abriegeln konnte. EineKosmische Fabrik konservierte den Ultima-ten Stoff, bevor das erste Zeitquant griff, mitihr wurden die gewaltigen Schwärme erbaut,deren Aufgabe es war, Intelligenz zu fördernund zu verbreiten - aber zur Verrichtung vonPolizeiaufgaben eignete sich WAVE nur be-dingt.

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Insbesondere war es nicht möglich, alleTransmitterlinien stetig zu überwachen undkonsequent zu stören, ebensowenig konnteer die hunderttausend Raumfahrzeuge kon-trollieren, angefangen von der kleinenRaumjacht, die gerade mal für den Sprungzu den nächsten Planeten konzipiert war,über altersschwache Frachter bis hin zu denbewaffneten Kugelschiffen, deren Besatzun-gen die Wirkungslosigkeit ihrer Waffensy-steme schnell erkannt hatten.

WAVE war ein Instrument zur vollständi-gen Vernichtung des Planeten wie auch desgesamten Sonnensystems - die aber nichtakut wurde, solange Terra als Geisel galt.Mit der Ausschleusung der Wachschiffe ge-dachte Ramihyn vor allem eine Atmosphärenoch größerer Bedrohung zu schaffen, in derer sich am besten dem anstehenden Problemwidmen konnte.

Er machte sich darauf gefaßt, daß seineSuche nach dem Sechsten Boten vielleichtlängere Zeit dauern würde. Die Aufgabe warfür einen Nichttelepathen schwer zu lösen.Bislang hatte er sich um wirklich kosmischeVorgänge kümmern müssen, nicht um unbe-deutende einzelne Wesen, denen lediglichein Zufall zu solcher Aufmerksamkeit ver-helfen konnte. Für gewöhnlich waren siedoch nur ein Nichts, kaum mehr als wirkli-cher Staub auf der Oberfläche ihrer Plane-ten.

Perry Rhodans Geist konnte er nur inner-halb der Todeszone des Anzugs wahrneh-men.

Lächerliche eineinhalb Kilometer warendas. Er würde unvergleichlich langsamdurch Terrania wandeln müssen.

Ramihyn machte den nächsten weitenSchritt.

7.

Wenn Sterne erlöschen und Galaxien be-ben, die Zeit ihre Kinder verschlingt, ist sei-ne Stunde gekommen:

Todesernte, neue Saat.Aus den Klagesängen von Naapthor; Er-

innerung des ehemaligen Feldherrn der Pa-triden, seit Jahrmillionen ein Diener der Ma-terie.

*

Bericht Perry Rhodan.Ein schwerer Kampfgleiter senkte sich

auf das Ruinenfeld herab. Zwei weitere die-ser mit Energiekanonen und Lenkprojektilenausgestatteten Maschinen hingen wie dickeHornissen in Höhe des Kraterwalls.

Keine fünf Minuten waren vergangen, seitMargret Zhamant mit einer Reihe von Funk-anrufen alle Hebel in Bewegung gesetzt hat-te.

»Die Gleiter sind mit dem Modernstenausgerüstet, was wir aufzubieten haben.« Sielachte leise, auch wenn es ein bedrücktesLachen war.

»Irgendwann wird er wieder nach Terra-nia kommen, und dann sind wir am Zug!«

»Drei Gleiter …« Ich spürte Staub zwi-schen den Lippen und spuckte aus.

»Hast du vergessen, daß einige tausendKampfraumschiffe …«

»Das war WAVE«, unterbrach sie michschroff. »Wir haben nur vor, den Zyklopenzur Strecke zu bringen, die Kosmische Fa-brik lassen wir ungeschoren.«

»Wenn das ein Witz sein sollte, dann wares ein schlechter«, bemerkte ich.

Sie zuckte mit den Achseln. »Ich mußmich mit dem begnügen, was mir zur Verfü-gung steht.

Und ich habe noch nicht einmal denSchimmer einer Ahnung, wie wir den Zy-klopen bekämpfen sollen, ganz abgesehendavon, daß wir ihn nicht lokalisieren kön-nen.«

»Ich werde Verbindung zu Ramihyn auf-nehmen«, sagte ich.

Margret Zhamant starrte mich entgeistertan. Nicht weniger verblüfft schienen dieTLD-Agenten, die meinen Entschluß mit an-gehört hatten.

»Es erscheint mir als die einzige Möglich-keit, die Erde vor Schlimmerem zu bewah-

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ren«, fügte ich hinzu.»Das kannst du nicht tun«, platzte die

Frau heraus.»Wer will es mir verbieten?«»Du bist der …« Sie unterbrach sich ab-

rupt und drückte mit dem kleinen Finger aufden winzigen Funkempfänger in ihrem Ohr.Als könne sie nicht glauben, was ihr ebenübermittelt worden war.

»Der Zyklop ist wieder da!« brüllte je-mand aus der offenen Schleuse des gelande-ten Kampfgleiters.

Margret hielt immer noch die Hand überihr Ohr. Sie starrte mich an und blickte dochdurch mich hindurch; ihr Blick verlor sich inundefinierbarer Ferne.

»Der Zyklop ist in der Thora Road er-schienen«, stieß sie hervor. »Wir müssen er-neut mit einigen tausend Toten rechnen. - Erist weg, verdammt, nein, weiter östlich.Aber ich kriege ihn, verlaß dich drauf.«

Sie war wie besessen, nur noch beseeltvon dem Gedanken, den Eindringling zurStrecke zu bringen. Wem wollte sie bewei-sen, wozu sie fähig war?

»Er ist immer noch da!« Wie einen Fluchstieß sie den Satz hervor, warf sich herumund hetzte auf den wartenden Gleiter zu.

Ich hätte ihr folgen können, aber ich tat esnicht. Welche Chance hatte sie schon, näherals bis auf einen dreiviertel Kilometer anRamihyn heranzukommen? Inzwischen warich überzeugt davon, daß die einschlägigenHologramme den Diener der Materie zeig-ten.

Wenn es jemand schaffen konnte, dannich.

Warum war Ramihyn so rasch nach Ter-rania zurückgekehrt? Und warum bewegteer sich diesmal nicht mit hoher Geschwin-digkeit weiter, sondern verharrte anschei-nend an Ort und Stelle?

Hatte auch er meine Anwesenheit gespürtwie ich seine Nähe? Dann war er zurückge-kehrt, weil er mich suchte.

Du weißt nicht, wo du mich findenkannst, schoß es mir durch den Sinn. Aberdu hoffst, daß ich zu dir komme. Du glaubst,

der Tod Unbeteiligter zeigt mir deine Positi-on. - Ich komme, Ramihyn.

Und nur einer von uns kann überleben.Wenn es überhaupt möglich war, den Die-

ner der Materie anzugreifen, gewiß nicht mitden vergleichsweise konventionellen Mit-teln, über die Terra verfügte. Schon garnicht mit den lächerlichen Kampfgleitern,die die TLD-Agentin organisiert hatte.

Jemand wie Ramihyn spazierte nichtschutzlos über einen feindlichen Planeten.Natürlich barg sein eigenartiger Anzugstärkste Schutzschirmaggregate und Waffen-systeme. Beides lahmzulegen bedurfte esebenso besonderer Mittel.

»Also dann, Moo«, murmelte ich. »Fallswir versagen, werden wir keine zweiteChance erhalten.«

Mein letzter Blick galt dem wieder inDunkelheit versinkenden Ruinenfeld, dasvom HQ-Hanse geblieben war. Jeder Steinhier bedeutete für mich ein Stück terranischeGeschichte …

»…sie wird nicht enden«, sagte ich imSelbstgespräch. »Wenn ich es nicht schaffe,werden andere nach mir kommen.«

Ich dachte an Mondra und unser ungebo-renes Kind. Allem besseren Wissen zumTrotz hatte ich mich entschieden, wieder ei-ne Familie zu gründen. Doch inzwischenfragte ich mich, ob ich unverantwortlich ge-handelt hatte. Mondra war klar gewesen,worauf sie sich einließ und daß ein Leben anmeiner Seite alles andere als leicht sein wür-de.

Ein Sohn - ich war mir plötzlich sicher,daß sie einen Sohn zur Welt bringen würde.Und diesmal würde ich bei seiner Erziehungnicht die alten Fehler wiederholen.

*

Margret Zhamants Gleiter waren in denStraßenschluchten Terranias verschwunden.Ich versuchte gar nicht erst, die Möglichkei-ten meines Galornenanzugs auszuspielen,um sie zu orten.

Falls der Zyklop und der Diener der Ma-

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terie wirklich identisch waren, sollte Ra-mihyn nicht vorzeitig auf mich aufmerksamwerden.

Ich hatte den Hauch des Todes gespürt,den der Zyklop innerhalb der Eineinhalbki-lometergrenze verbreitete. Der mentaleDruck hatte mich fast gelähmt, aber nichtgetötet, weil mein Zellaktivator mich schütz-te. Deshalb war ich überzeugt davon, daßRamihyn einem Aktivatorträger zwarSchmerzen zufügen, ihn aber nicht auf seineWeise umbringen konnte.

Damit befähigte mich der Chip, näher anden Zyklopen heranzugehen als jeder andere- ein Umstand, mit dem Ramihyn wahr-scheinlich nicht rechnete und den ich fürmich ausnutzen mußte.

Margret Zhamant und egal welche Agen-ten sie auch mobilisierte, würden sich nichteinmal bis auf Sichtweite nähern können.Aber wollte sie das wirklich? In dem Mo-ment verwünschte ich die Tatsache, daß ichnicht an ihrer Seite geblieben war. Für denPlan, der urplötzlich in meinen GedankenGestalt gewonnen hatte, war ich besser al-lein.

Vielleicht - eine Überlegung, die mir garnicht behagen wollte, sagte mir, daß Ra-mihyn das Leid anderer einkalkulierte - wares sogar gut, wenn die Agenten den Zyklo-pen vorübergehend ablenkten. Margret wür-de keinesfalls blindwütig zuschlagen, son-dern sich besinnen und schwere Kampfrobo-ter mobilisieren. TARA-V-UH waren min-destens soviel wert wie ihre Kampfgleiter.

Vor allem galt für sie die Todeszonenicht.

Mit hoher Beschleunigung flog ich nachSüden. Der Sternenboulevard lag nahezuausgestorben vor mir. Nur wenige Fahrzeu-ge waren unterwegs, und Menschen, ob al-lein oder in Gruppen, sah ich kaum. DieNachricht vom erneuten Erscheinen des Zy-klopen schien sich wie ein Lauffeuer ver-breitet und die für gewöhnlich auch zunachtschlafender Zeit belebten Straßen leergefegt zu haben. Ramihyn würde dennochseine Opfer finden; Stahlplastwände schütz-

ten nicht vor seiner mentalen Todeskraft.Der Ganaru-Ring und dahinter der Zoo

von Terrania zu meiner Rechten. DieSchwärze in dem Bereich war erdrückend.Linker Hand der Gobi-Park mit dem Star-dust-Denkmal. Auch hier wesentlich weni-ger Lichter als zu anderen Zeiten. Lediglicheine gewaltige Holoreklame zeichnete ihrebunten Bilder unter die Wolken. Das Aben-teuer des ersten Mondfluges nachvollziehenempfohlen für Kinder von drei bis acht …Trotz meiner wachsenden Anspannung rea-gierte ich amüsiert. Wen sonst sollte einesensitive Simulation dieses Kalibers dennheute noch hinter dem Ofen hervorlocken?

Rund vierzig Kilometer bis zur ThoraRoad, die sich in schnurgerader West-Ost-Richtung vom Flottenraumhafen bis At-lan Village hinzog. Wenn Ramihyn wirklichmeinetwegen zurückgekommen war, würdeer warten. Andernfalls war er längst wiederverschwunden.

Der Pikosyn meines Raumanzugs hatteinzwischen den Auftrag, alle Medienfre-quenzen zu überwachen und mich augen-blicklich zu informieren, sollten Neuigkeitenim Zusammenhang mit dem Zyklopen ge-meldet werden. Doch momentan schwiegenalle Sender.

»Moo!« gab ich den Gedankenbefehl.»Aktiv-Modus!«

Das kleine silberne Buddha-Relief aufmeiner Brust erwachte zu eigenständigemLeben und schwebte zur Schulter hoch.

»Ich stehe zur Verfügung«, wisperte derZwerg auf interkosmo.

Über die Halskrause meines Anzugskonnte ich ihn fernsteuern, er war aber eben-so autark handlungsfähig. Nach eigenem Be-kunden war Moo ein Zwitterwesen, halb le-bendig, halb Roboter.

Das war der zweite Punkt, auf dem meinspontaner Plan fußte. Ich mußte die Beson-derheiten des blauen Raumanzugs gegen Ra-mihyn einsetzen. Mir war aber auch bewußt,daß der Anzug der Galornen aggressive undtodbringende Handlungen verweigern wür-de, weil er als Instrument des Friedens und

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nicht für Aggressionen konstruiert wordenwar, egal welche Rechtfertigungen es dafürgab.

Andererseits hoffte ich, wenigstens Moozu einem Angriff überreden zu können. Ob-wohl der kleine Roboter strenggenommenTeil des Anzugs war, handelte und reagierteer eigenständig. Moo sollte sich mit seinenfortgeschrittenen Mitteln an Ramihyn heran-schleichen und den Zyklopen aus nächsterNähe mit seiner eigenen Explosion in denTod reißen.

Daß der Plan an einigen Ecken hakte, warmir bewußt. Leider sah ich keine effektivereMöglichkeit, den Gegner anzugreifen, der zuZehntausenden Männer, Frauen und Kinderermordete. Ich war es mir schuldig, eher ei-ne winzig kleine Chance zu nutzen, als demMassenmord tatenlos zuzuschauen.

Falls mein Vorhaben fehlschlug, gab eseine zweite Möglichkeit: Dann mußte ichmich Ramihyn stellen und darauf hoffen,daß Terra damit für ihn uninteressant wurde.

Ich sagte das Moo.»Der Zyklop wird weiter töten«, behaup-

tete er. »Die Terraner in ihrer Gesamtheitsind das sechste Volk der Koalition Thore-gon. Eine Einzelperson, auch wenn es sichum den Sechsten Boten handelt, ist in demZusammenhang minderwichtig. Wenn dustirbst, wird es einen neuen Sechsten Botengeben.«

Moo hatte recht. Ich biß die Zähne zusam-men und schwieg, konzentrierte mich aufden Flug, der durch Terrania-Süd führte. DerStadtteil Alashan hatte hier gestanden, eben-so der TLD-Tower. Mit Mann und Mauswaren beide in die Galaxis DaGlausch ver-setzt worden, im Austausch gegen ödes, ver-brannt wirkendes Land. Von hier waren diemarodierenden Horden der Dscherro in Ter-rania eingefallen.

Die dunkel schimmernden Fluten des Siri-us River blieben hinter mir zurück. OhneZwischenfall erreichte ich die Thora Road.Die Stadt lag im Dornröschenschlaf. Keineneuen Meldungen über den Zyklopen, keineEnergieortungen, die auf Kampfhandlungen

schließen ließen. War es möglich, vielleichtsogar wahrscheinlich, daß Margret Zhamantund ihre Leute schon nicht mehr lebten?Oder hatten sie den vorprogrammiertenMißerfolg eines Angriffs eingesehen?

Ich orientierte mich nach Osten. EinHauch des neuen Morgens kletterte bereitsüber den Horizont herauf. Die Wolkenfrontwar endgültig aufgerissen; etliche Sternefunkelten verheißungsvoll.

Vor mir fraß sich das endlos anmutendeBand der Thora Road durch die Stadt, einge-kerbt zwischen Wohnblocks, Grünflächenund in einigen Kilometern Entfernung der inweiten Regionen der Milchstraße berühmtenUniversität.

Banalitäten schossen mir durch den Sinn.Ich erschrak über mich selbst, aber vermut-lich mußte es so sein, daß ich in diesem Mo-ment weniger an Geschehnisse von kosmi-scher Tragweite dachte als vielmehr in dieVergangenheit abschweifte. High Noon. Ichwollte es nicht, doch meine Mundwinkelverzogen sich zu einem bitteren Lächeln.

»Was ist mit dir?« fragte Moo. Ich hatteAntigrav und Flugaggregat abgeschaltet undlandete.

»Du kennst die Filme des beginnendenterranischen Raumfahrtzeitalters nicht«,wehrte ich ab.

»Daran mußte ich eben denken. Wenn derHeld eine unbelebte Straße entlanggeht, dieSonne ihm ins Gesicht blendet und am ande-ren Ende der Bösewicht auftaucht. Hinterden Fenstern kleben neugierige Gesichter,aber niemand greift ein; alle warten nur dar-auf, daß der Held den Gegner besiegt. Oderdaß die Bösewichte den Helden töten.«

Moo verstand mich nicht. Wie sollte erauch. Indessen kramte ich in meinem Ge-dächtnis, wie der Film endete. Ich glaube,Gary Cooper hat den Bösen erschossen,nachdem Grace Kelly ihm zu Hilfe gekom-men und als Geisel genommen worden war.

Aber das wirkliche Leben ist eben keinEdelwestern. Abgesehen davon kannte heuteniemand mehr solche Filme. Bully natürlich.Und Gucky. Nicht einmal mehr Mike.

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Mike! Ich spürte den Stich in meinem In-nern. Mein Sohn Michael Reginald warselbst Opfer der Mächte, zu denen Ramihyngehörte.

»Dein Zögern hat tiefergehende Ursa-chen«, mutmaßte Moo.

Ein Seelenanalytiker hatte mir geradenoch gefehlt. »Vergiß es!« forderte ich ihnauf, regelte den Antigrav eine Nuance höherund schwebte wieder nach Osten. »Du wirsttun, was ich von dir erwarte, Moo?«

»Es ist dein Befehl, Perry Rhodan.«Die Sonne ging auf. Als mächtiger Feuer-

ball kletterte sie über den Horizont. Gleich-zeitig wurde mir bewußt, was ich übersehenhatte, und diese eine Kleinigkeit konnte alleszunichte machen.

»Du hast gesagt, du bist zur Hälfte leben-dig.«

»Natürlich«, antwortete Moo. »Aber wasdu als Todeshauch bezeichnest, kann mirdennoch nicht gefährlich werden.«

»Vielleicht nur, weil du beim ersten Malnicht aktiviert warst«, hielt ich Moo vor.

Er schwieg. Hatte er keine Antwort?Kurz vor der Universität war alles abge-

riegelt. TARA-Kampfroboter und einigeGladiator-Typen hatten schwere Schirmfeld-projektoren aufgebaut. Nicht eine Sekundelang zweifelte ich daran, daß dies MargretZhamants Werk war. Glaubte sie wirklich,Ramihyn auf die Weise isolieren zu können?

Ein TARA-V-UH schwebte mir entgegen.Die aktivierten Mündungen seiner Projektor-arme waren unmißverständlich. Allerdingswürde er wohl nicht auf mich schießen.

»Dieser Stadtteil ist derzeit Sperrgebiet«,erklärte er. »Ich muß dich auffordern, sofortumzukehren.«

»Du kannst mich identifizieren?«»Perry Rhodan, Zellaktivatorträger und

Sechster Bote von Thoregon. Deine Indivi-dualschwingungen sind gespeichert.«

»Du wirst eine Strukturlücke für michschalten.«

»Du hast keine Befehlsgewalt, Perry Rho-dan. Das soll ich dir wörtlich ausrichten.Außerdem ist dein Eingreifen nicht mehr er-

forderlich.«»Das heißt, Margret Zhamant hat den Zy-

klopen zur Strecke gebracht?«»So gut wie, Perry«, erklang die Stimme

der TLD-Agentin. Sie benutzte den TARA-V-UH als Relais. »Wir haben den Standortdes Monstrums lokalisiert und mit Paratron-feldern hermetisch abgeriegelt. Jetzt geht esnur noch darum, ihn auszuschalten. Im Au-genblick ziehen wir die Umschließung en-ger.«

»Das ist doch Wahnsinn!« fuhr ich auf.»Hier sind Wohngebiete. Wie viele Un-schuldige müssen denn noch sterben?«

»Es gibt kein Entweder-Oder, Perry. Inder Nähe des Zyklopen lebt ohnehin nie-mand mehr.

Wenn du eine unheilbare Krankheit hast,die an den Fingern beginnt und unweigerlichzum Tod führt - würdest du dir die Hand ab-hacken oder abwarten, bis der ganze Körpervergiftet ist?«

»Du sprichst von einigen zehntausendMenschen, denen du nicht einmal denHauch einer Chance gibst, das gefährdeteGebiet zu verlassen.«

»Ich mußte eine Entscheidung treffen.Unsere Kampfroboter rücken jetzt vor, Per-ry. In spätestens zwanzig Minuten haben wirein Problem weniger.«

»Margret«, rief ich, »verdammt, das ist ja…!«

Ein leichtes Flimmern umfloß den kegel-förmigen Rumpf des Kampfroboters, als erden Paratronschirm der Geländesperredurchdrang. Sekunden später war er meinenBlicken entschwunden.

Egal was ich unternahm, ich hatte keineMöglichkeit, das Desaster zu verhindern.Ramihyn würde sich nicht von Kampfrobo-tern beeindrucken lassen, es sei denn, siesetzten ihre Transformwaffen ein. Aber soverrückt konnte die Agentin nicht sein, nichtin Terrania City.

Aus zusammengekniffenen Augen in dieSonne blinzelnd, aktivierte ich den Helm ausFormenergie. Die Blendung verschwand.Mit eingespiegelten Ortungen suchte ich die

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Silhouette der Stadt nach Energiefahnen ab,die nicht von den 5-D-Emissionen der Parat-ronschirme überlagert wurden.

Kein Echo.Wie ein Fluch erklang es aus dem Helm-

empfänger: »Er ist weg, spurlos verschwun-den. Perry, wohin kann er gegangen sein?Vor allem: Keines unserer Geräte hat irgendetwas registriert, nicht einmal die Paratronswiesen Strukturschwankungen auf.«

Wartete die Agentin wirklich auf eineAntwort? Sie wußte doch, daß ich ihr Ver-halten nicht billigte.

*

Die Paratronsperren erloschen. Ich sahRoboter hinter der Universität aufsteigenund einem der Kampfgleiter nach Osten fol-gen. Die anderen Maschinen drehten abwar-tend größer werdende Runden über demAreal.

Von Nordosten, aus Richtung des Han-delsraumhafens Point Surfat, näherte sichein Konvoi offener Lastenplattformen. An-sonsten blieb alles ruhig. Ich vermißte dasferne Dröhnen startender und landenderRaumschiffe, das allen Prallfeldern und An-tigravtriebwerken zum Trotz immer unter-schwellig in der Luft hing. Auch fehlte dasunaufhörliche ferne Aufblitzen, das an ab-regnende Sternschnuppen erinnerte und ent-stand, wenn Sonnenstrahlen von den stähler-nen Schiffsrümpfen reflektiert wurden.

Die Lastenplattformen waren noch weitentfernt, und nur die Optik des Galornenan-zugs holte sie näher heran. Sie schienen inKanchenjunga landen zu wollen, denn siegingen tiefer und streiften aus meiner Per-spektive fast schon die höchsten Gebäude.

Ein Stöhnen drang aus meinem Funkemp-fang, ein qualvolles Gurgeln. Notruffre-quenz, stellte ich fest.

Die Peilung zeigte auf den Lastenkonvoi.Nur sekundenlang hatte das Stöhnen ange-halten, nun herrschte wieder Stille. Dennochwar ich wie elektrisiert. Jemand hatte ver-sucht, um Hilfe zu rufen, aber nur sein

krampfhaftes Nach-Atem-Ringen war vonden Akustikfeldern erfaßt worden.

Die Plattformen hielten Kurs. Kein Aus-scheren war zu bemerken, nichts, was eineVeränderung angedeutet hätte.

»Wir haben ihn«, raunte ich Moo zu,überzeugt davon, daß soeben wieder Men-schen im Einflußbereich des Zyklopen ge-storben waren. »In der Nähe des Kyberneti-schen Turms.«

Diesmal würde ich schneller sein als dieAgenten des Liga-Dienstes. Ich verlangtedem Galornenanzug das Letzte an Beschleu-nigungsvermögen ab.

Ein Funkspruch. Ich ignorierte ihn. Daswar Margret Zhamant. Bis sie ihre Roboterwieder in Stellung gebracht hatte, würdekostbare Zeit verstreichen, die ich zu nutzengedachte.

Spionsonden folgten mir, die Galornen-technik registrierte ihre verschwindend ge-ringen Antriebsimpulse. Auch das wohlMargrets Initiative.

Der Kybernetische Turm wuchs vor mirauf.

Nichts. Vergebens lauschte ich in michhinein, um schon die Anzeichen eines begin-nenden mentalen Drucks wahrzunehmen.

Wenn Ramihyn nur Sekunden benötigte,um den halben Erdball zu umrunden, töteteer jetzt, in diesem Augenblick, vielleichtschon in Washington oder Montreal. Dannhatte ich mich geirrt.

Nördlich des Turms erstreckte sich einehügelige Parklandschaft, zugleich ein Reliktaus frühen Jahrhunderten, um die Wohnsied-lungen von den Emissionen des Handels-raumhafens abzuschirmen.

Der Kopfschmerz überfiel mich wie ausheiterem Himmel, ein Zusammenziehen derBlutbahnen unter der Schädeldecke …

…und war ebenso schnell vorbei.Ramihyn! Ich hatte seine Todeszone tan-

giert. Zurück, angestrengter noch als vorherauf jede Veränderung lauernd. Obwohl Moobehauptete, er habe nichts registriert.

Da war es wieder, dieses beklemmendeGefühl, kaum noch atmen zu können.

46 Hubert Haensel

Page 47: Der Tod auf Terra

Trotz der Streufeldabschirmung desakti-vierte ich fast alle Aggregate und hastete zuFuß weiter über den gepflegten Rasen.

Der Schmerz kam so plötzlich, daß ichtaumelte und mich gerade noch abfangenkonnte. Ein Schmiedehammer schien mei-nen Schädel zu bearbeiten.

»Noch nicht, Moo!« stieß ich hervor.»Erst wenn wir nahe genug dran sind.«

Ein Feuersturm tobte durch meine Gedan-ken. Der Hügel, auf den ich zulief, schienplötzlich zu brennen. Die Flammen verdich-teten sich, formten wirbelnde Spiralen undstrebten in einer gewaltigen Explosion aus-einander.

Rasend hämmerte mein Herz, in meinenSchläfen dröhnte ein Wasserfall, und derAktivatorchip schien sich glühend durchmeine Schulter fressen zu wollen. Ein rasen-der Wirbel vermischte Himmel und Hügel.

Erst als sich meine Finger in feuchtes Er-dreich krallten, kam ich wieder zur Besin-nung.

Weiter! Nicht aufgeben, nicht so nahe amZiel.

Auf allen vieren krieche ich weiter. Ichglaube, ich schreie und keuche stoßweisemeine Lebensgeister hinaus. Speichel rinntüber mein Kinn. Oder ist es Blut, warm undklebrig? Der Todeshauch Ramihyns hältmich in eisernen Klauen, es ist ein furchtba-res Gefühl.

Sterbende Galaxien …Insektenmonstren hüllen Planeten ein. Ih-

re Leiber verdunkeln die flammenden Son-nen, die sich aufzublähen beginnen …

Sie sind über mir, jagen mir ihre Stachelnins Fleisch, und ihre Brut wird mich inner-lich auffressen …

Die Hitze, der Schmerz schwinden. Übrigbleibt das wilde Pochen des Aktivators. UndMoos Flüstern: »Zur Unterstützung hast dueine kreislaufstabilisierende Injektion erhal-ten; sie wird aber nicht sehr lange wirken.«

Eineinhalb Kilometer breit waren die To-desschneisen, die der Zyklop hinterließ. Dasbedeutete 750 Meter Radius. Wenn ich rich-tig schätzte, befand er sich hinter dem Hü-

gel, den ich schon zur Hälfte überwundenhatte.

Weiter! Jeder andere an meiner Stelle hät-te es nicht bis hier geschafft. Aller Ortungs-gefahr zum Trotz regelte ich den Antigravauf minimalste Leistung, gerade so, daß ichnicht über die Hügelkuppe hinausschoß.

Sekunden später sah ich den Zyklopen. Erstand höchstens zweihundert Meter entfernt.Sein Blick schien mich zu durchbohren.

Thoregon ist das Verderben, dröhnte es inmir.

»Jetzt, Moo!« wollte ich rufen.»Vernichte ihn!« Es war zu spät.

Den Einschlag der ersten aus sicherer Di-stanz abgeschossenen Lenkrakete registrier-te ich noch.

Dann tobten Höllengluten. Margret Zha-mant hatte ihr Ziel erreicht. Raketen und Im-pulswaffen verwandelten diesen Abschnittdes Parks in einen Feuersee.

Der Galornenanzug hatte Moo und michin einen superstarken Schutzschirm gehüllt,der die tödlichen Energien absorbierte. Ohnedie nach innen wirkende Dämpfung wäre icherblindet, aber auch so konnte ich nicht er-kennen, ob ich haltlos herumgewirbelt wur-de oder in der Glut versank.

In einer solchen Situation werden Sekun-denbruchteile zu nervenzermürbendenEwigkeiten.

Selbst jahrtausendelange Erfahrung ändertnichts daran, sie macht es nur leichter, denenormen psychischen Druck zu ertragen,dieses Gefühl des Hilflos-eingesperrt-Seins.

8.

Er war nach Terrania zurückgekehrt, aberdas Warten gefiel ihm nicht.

Obwohl er nur auf diese Weise den be-sonderen Geist wiederfinden konnte, in demer den Sechsten Boten von Thoregon zu er-kennen glaubte.

Jedes schnelle Hinwegschreiten über dieMetropole machte eine Begegnung zu flüch-tig.

Ein neuer Schritt über eine lächerlich ge-

Der Tod auf Terra 47

Page 48: Der Tod auf Terra

ringe Distanz … Er spürte kaum Leben inseiner Nähe.

Lastengleiter schwebten vorbei; er be-schränkte sich darauf, der verwehendenMentalenergie der Piloten zu lauschen.

Unvermittelt spürte er die Veränderung.Die gesuchte Person befand sich in seinerunmittelbaren Nähe - ganz so, als hätte sieihrerseits nach ihm gesucht. Sie hielt sichsogar schon mitten im Todeskreis auf, ohnezu sterben. Eindeutiger konnte das Zeichengar nicht sein. Der Fremde besaß einen Vita-lenergiespender, gehörte also selbst zu denherausgehobenen Akteuren dieses Univer-sums. In ihm nur den Sechsten Boten zu se-hen wäre falsch gewesen.

Ein Ritter der Tiefe? Doch den Orden gabes nicht mehr. Umwehte ihn nicht trotzdemder Hauch einer Aura?

Ramihyn registrierte die anfliegendenLenkwaffen, die Roboter und Kampfgleiter,deren Streustrahlung die aktivierten Impuls-geschütze verriet - eine Tatsache, die er un-ter anderen Umständen mit der sofortigenZerstörung des Planeten beantwortet hätte.Diesmal hatte er Wichtigeres zu erledigenund überließ die Abwehr des Angriffs demAnzug des Todes und dessen Mechanismen.Auf Parr Fiorano, den Anzugmacher, hatteer sich immer verlassen können. Nur beiläu-fig registrierte er, daß bis auf zwei Flugkör-per alle schon in den Außenbereichen desParks zum Absturz gebracht und die Impuls-bahnen reflektiert wurden.

Einige Gleiter verwandelten sich in ex-pandierende Glutbälle. Von den Roboternblieb trotz ihrer hochgespannten Schutz-schirme nicht mehr als ein Regen flüssigenMetalls.

Der Bote Thoregons war von den entfes-selten Gewalten davongewirbelt worden. Eskostete Ramihyn nur einen Gedanken, ihneinzuholen und aufzufangen.

Der durchaus beachtenswerte Geist steck-te in einem sehr zerbrechlichen Körper, seinhalbes Gesicht war blutverschmiert - dasstellte Ramihyn fest, als er das Schutzfelddes blauen Anzugs zusammenbrechen ließ.

Ein kleiner silberner Roboter schnelltesich ihm entgegen. Er war schnell und pul-sierte vor Energie, doch Ramihyn bannte ihnmit einer unwilligen Bewegung. Daß derMetallzwerg zum Sechsten Boten zurück-kroch, interessierte ihn nicht.

Den Sechsten Boten selbst umgab er miteinem Fesselfeld. Er mußte nachdenken, obder Tod dieses Terraners ihm nützte odernicht. Es war ein leichtes, mit einer Handzuzupacken und ihm das Leben zu entrei-ßen. Dazu brauchte er den Anzug des Todesnicht.

*

Bericht Perry Rhodan.Ich sah den Zyklopen über mir und weit

hinter ihm verglühende Gleiter. Immer nochfauchten Strahlbahnen heran, aber sie er-reichten uns nicht, wurden vielmehr von ei-ner unsichtbaren Grenze reflektiert und hol-ten die TARA-V-UH, Terras modernsteKampfroboter, reihenweise vom Himmel.

Wie ein Film rollte das Geschehen vormir ab; es war so unwirklich, daß ich michkaum betroffen fühlte, nicht einmal, als dereinäugige Riese meinen Schutzschirm weg-wischte und ich mich plötzlich nicht mehrbewegen konnte.

Dieses große grüne Auge brannte sich anmir fest. Unmöglich, dem stechenden Blickauszuweichen.

Plötzlich begann der Zyklop zu reden. Inder Sprache der Mächtigen. Er war Ra-mihyn.

»Der Beherrscher des Augenblicks istHerr des Lebens. Du weißt, daß ich überdein Leben entscheiden kann, wie du dichentschieden hast, einen Weg zu gehen, derdie Ordnung zerstören würde.«

Nicht ein Muskel gehorchte mir. »Ich hat-te meine Gründe«, wollte ich ihm entgegen-schleudern, brachte aber keinen Ton überdie Lippen.

Wie konnte ich annehmen, daß ein Wesenwie der Diener der Materie mich anhörenwürde?

48 Hubert Haensel

Page 49: Der Tod auf Terra

Immerhin war er Herr einer KosmischenFabrik.

»Dein Tod wird Thoregon verhindern.«Eine kaum wahrnehmbare Handbewe-

gung - zumindest aus meinem Gesicht wichdie Lähmung.

»Wenn du das annimmst, Ramihyn, mußtdu mich rasch umbringen. Ich weiß, daß dirdas nicht schwerfällt. Aber nach mir werdenandere kommen, und einer von ihnen wirddich besiegen …«

Er legte den Kopf schräg, als lausche erdem Nachhall meiner Worte. Zugleich ver-zog er den Raubtierrachen zum Äquivalenteines Grinsens.

»Wer will das sein?« fragte er. »Du fürch-test um dein Leben, weil der Vitalenergies-pender es dir erhält; ich hingegen lebe bisans Ende der Welt, und erst wenn diesesUniversum zu Staub zerfällt und sich in ei-nem Staubkorn wieder vereint, werde ichebenfalls gehen.«

»Wie einsam bist du wirklich, Ramihyn?Oder wie einsam wirst du dich fühlen, amEnde des Universums und allein? Auf Terragibt es eine Weisheit, Ramihyn: Wer denWind sät, wird durch den Sturm umkom-men. Ich glaube nicht, daß du das Ende desUniversums je erleben wirst.«

»Du wagst viel, Bote eines Thoregon, dasnie entstehen wird. Sterben, Terraner, ist derschönste Teil des Lebens, ich werde den Todbegrüßen wie einen alten Freund. Kannst dudas wirklich auch, oder bist du so furchtsamwie die anderen?«

Ramihyns Faust zuckte in die Höhe. Ichwar immer noch gelähmt, konnte mich nichteinmal herumwälzen, um vielleicht diesemtödlichen Schlag zu entgehen.

Es tut mir leid, Mondra. Unser Kind wirdohne seinen Vater aufwachsen müssen.

Die Faust des Zyklopen hängt über mir,und ich sträube mich dagegen, die Augen zuschließen.

Ich kann es nicht, ich … Neben mir er-scheint ein Schatten, eine schlaksige Gestalt.

Startac Schroeder?Ich phantasiere, denn das kann nicht sein.

Der Todeshauch des Zyklopen würde denJungen umbringen.

Die Faust fällt herab.In dem Moment ergreift Startac mich am

Arm ……und dann ist alles anders.

*

Ein sanfter Wind umschmeichelt mich,die Sonne blinzelt zwischen den Ästen einesblühenden Strauches hindurch, und in derFerne recken sich gläserne Bauten in denvollends aufreißenden Himmel.

Immer noch quälen mich Schmerzen, aberdie Lähmung ist fort, sie war offenbar nur inder Nähe des Zyklopen wirksam.

Neben mir krümmt sich Startac, der kurzeAufenthalt im Todesfeld hat ihm geschadet.Trotzdem ist er bei Bewußtsein. Die braunenHaare hängen ihm wirr und klatschnaß insGesicht, sein Blick flattert gehetzt von einerSeite zur anderen. Aber er lächelt, das kanti-ge Kinn trotzig nach vorne gereckt.

»Danke«, sage ich. »Du hast mir das Le-ben gerettet, Startac.«

Keine Frage, wieso und woher. Ich suchenach einem Medikament, um ihn wieder aufdie Beine zu bringen, aber er wehrt entschie-den ab.

Schweiß perlt auf seiner Stirn, doch seinAtem beruhigt sich allmählich wieder.Schwankend stemmt er sich hoch.

Wir befinden uns irgendwo am Rand vonTerrania, nahe Atlan Village. Für einen Au-genblick lausche ich dem Summen der In-sekten und dem Gesang einiger Vögel. InRamihyns Nähe war es totenstill.

Inzwischen ist mir klargeworden, wiesoStartac in den Ruinen des HQ-Hanse sospurlos verschwinden konnte.

»Du bist ein Mutant«, stelle ich fest.Der Junge schweigt. Ich habe den Ein-

druck, daß er seine Empfindungen unter-drückt.

»Teleporter. Oder hast du auch andere Fä-higkeiten?«

Er schweigt immer noch.

Der Tod auf Terra 49

Page 50: Der Tod auf Terra

»Wir sind hier nicht sicher«, dränge ich.»Ramihyn wird uns finden.«

Endlich nickt er und blickt mich aus unru-higen Augen an.

»Ich schaffe es leidlich zu teleportieren«,murmelt er. »Dreißig Kilometer, seltenmehr. Ich glaube nicht, daß das schon gutist. - Meinst du, Perry, er kommt?«

»Sicher«, antworte ich. Startac beginnt ei-ne unruhige Wanderung; er trampelt dasGras nieder, anders kann ich dazu nicht sa-gen. »Deshalb muß ich alles über dich wis-sen. Wie hast du mich gefunden?«

Er bleibt stehen, wischt sich fahrig dasHaar aus der Stirn. Aber schon beim näch-sten Kopfschütteln hängen ihm die Strähnenwieder in die Augen.

»Ich glaube, ich spüre geistige Ausstrah-lungen. Nein, Telepathie ist das nicht«,kommt er mir zuvor, »aber ich kann dasnicht erklären.«

»Du hast den Zyklopen gespürt …«Jedes Wort mußte ich aus ihm herauskit-

zeln. Er behauptete, daß er bei unserer erstenBegegnung meine Ausstrahlung aufgenom-men und im Kopf behalten hatte. Und als ichdem Zyklopen gegenüberstand, hat er meineunmittelbare Todesgefahr gespürt. Ihm seigar keine andere Wahl geblieben, als zu mirzu springen und mich zu retten.

In dem Moment sah ich ihn bleich wer-den. Der gehetzte Ausdruck seiner Augengriff auf sein Gesicht über.

»Ein mächtiger Geist sucht nach uns«,stieß er hervor. »Ramihyn.«

»Dann ist der Zyklop Telepath?«»Nein, obwohl … er scheint über ähnliche

mentale Wahrnehmungsfähigkeiten zu ver-fügen. Ich fürchte, Perry, ihm geht es wiemir - er wird dich nun überall auf Terra wie-derfinden.«

Startac griff nach meiner Hand. Zitterndumklammerten mich seine Finger.

»Zum Zivilraumhafen!« konnte ich gera-de noch rufen, bevor wir entmaterialisierten.

*

Sechzehn Kilometer durchmaß das Lan-defeld des Handels- und Zivilraumhafens.Es wäre vermessen gewesen, die Flucht vonder Erde an Bord eines Raumschiffs zu wa-gen. WAVE hatte Beiboote ausgeschleust,mit bloßem Auge konnte ich sie als fast amHimmel stehende Punkte erkennen, und dieOrtungen meines Raumanzugs verrieten ihrewahre Größe.

Falls Ramihyn von nun an wirklich wieeine Klette an mir hing, mußte ich jedes be-wohnte Gebiet meiden. Der Raumhafen warideal dafür. Jedoch durfte ich nicht den glei-chen Fehler wie die TLD-Agenten begehenund den Diener der Materie unterschätzen.Lange würde ich mich auch auf dem Raum-hafengelände nicht halten können.

Die meisten Landefelder waren verlassen,es gab nur einige Dutzend Frachter und Pri-vatjachten, die den Start nicht mehr ge-schafft hatten, bevor WAVE in den Erdorbiteingeschwenkt war. Die unterirdischen Han-gars interessierten mich nicht, dort hätte ichmich wie eine Maus in der Falle gefühlt.

»Sag es mir sofort, sobald du Ramihynwieder spürst!« bat ich den Jungen.

Er nickte fahrig und beobachtete schwei-gend, wie ich versuchte, eine Funkverbin-dung herzustellen. Augenblicke später tele-portierte er mit mir. Fünf, sechs Kilometerweit, ohne allerdings den Raumhafen zu ver-lassen.

»Der Zyklop spürt dich auf, Perry. Erwird hierherkommen, ganz sicher.«

Auch beim zweiten Versuch erhielt ichkeine Antwort unter Margret Zhamants Ruf-kode.

Wahrscheinlich hoffte ich vergebens, undRamihyn hatte ihren ganzen Trupp aufgerie-ben.

»Sobald der Zyklop erscheint, teleportiereuns ans andere Ende der Landefelder!« for-derte ich Startac auf. »Das braune Raum-schiff steht günstig, von dort dürfte ich einenguten Überblick haben.«

Der Junge kniff die Brauen zusammen. Ir-gend etwas schien er nicht verstanden zu ha-ben.

50 Hubert Haensel

Page 51: Der Tod auf Terra

»Der braun angestrichene Frachter«, wie-derholte ich. »Teleportiere uns bitte dorthin.Oder schaffst du es nicht mehr?«

»Klar doch.« Er nickte eifrig. Dann pen-delte sein Blick wieder unruhig zwischenmir und dem jenseitigen Ende des Raumha-fens.

»Braun«, murmelte er so leise, daß ich esnicht verstehen konnte. Ich las ihm das Wortlediglich von den Lippen ab.

»Du bist farbenblind, Startac, ist es das?«Er preßte die Lippen zusammen und nick-

te, beinahe ein wenig trotzig.»Du siehst die Gruppe von fünf Kugelrau-

mern?« half ich ihm. »Der zweite von links,der einige Felder weiter hinten steht.«

Keine zehn Minuten später teleportiertenwir. Von unserer neuen Position aus sah ichkurz darauf Ramihyn aus dem Nichts er-scheinen. Die Hochleistungsoptiken holtenden Zyklopen so nahe heran, daß ich dasSpiel seiner Muskeln erkennen konnte.

Er verschwand ……und tauchte vier Kilometer näher wie-

der auf.Erneut dieser Vorgang, eine einzige flie-

ßende Bewegung. Ramihyn kam genau aufuns zu.

Startac griff nach meiner Hand und tele-portierte.

»Weg von hier!« Meine Aufforderungkam zu spät, doch der Junge hatte instinktivdas Richtige getan. Er war nach Norden ge-sprungen, hinüber nach Point Surfat. Die Di-stanz war groß genug, um uns Ramihynnoch einmal für kurze Zeit vom Hals zu hal-ten.

Mittlerweile fragte ich mich, wie langeunsere Flucht so weitergehen sollte. Startacwar alles andere als ein geübter Teleporter,seine Kraft ging rasch zu Ende. Ich brauchteihn nur anzuschauen, sein hastiges Atmen,die vornübergebeugte, verkrampfte Haltung;unter diesen Umständen blieb uns maximaleine halbe Stunde.

Auf Point Surfat herrschte ebenfalls gäh-nende Leere. Eine Springerwalze, einigeHanse-Schiffe, außerdem zwei

100-Meter-Frachter der LFT und auf der Pi-ste verlassene Versorgungsfahrzeuge.

Endlich bekam ich Funkkontakt. Ich weißnicht, bei wem das Aufatmen größer war,bei Margret Zhamant oder mir.

»Du hattest recht, Perry. Die Hälfte mei-ner Männer ist tot …«

»Jetzt nicht«, wehrte ich ab. »Ich brauchedeine Hilfe. Sofort. Ramihyn ist mir auf denFersen. Ich brauche einen Lastengleiter miteinem mobilen Transmittersystem. Du mußtihn am Rand eines Raumhafens in Stellungbringen, weit genug von Wohnungen ent-fernt.«

»Zwanzig Minuten.«»Zehn.«»Unmöglich, Perry, das schaffen wir

nicht. Ich werde den Transmitter auf einenEmpfänger an Bord der PAPERMOON pro-grammieren.«

Das bedeutete für mich, vom Regen in dieTraufe zu kommen. Auf konventionelleWeise war der Diener der Materie nicht zubekämpfen, mir blieb nur noch der Weg,schlagkräftige Hilfe von außerhalb des Sol-systems zu holen.

»Programmierung auf eine Gegenstelleauf Trokan«, sagte ich und hörte die Agentindurchatmen.

»So nahe wie möglich am Pilzdom.«»Am schnellsten können wir den La-

stengleiter zum Zivilraumhafen fliegen.«Ich bedachte Startac mit einem forschen-

den Blick. Er nickte schwach.»In Ordnung, Margret. Aber zieht euch

sofort zurück.«»Schon klar, Perry. Viel Glück!«Ich hatte mehrere Versuche unternom-

men, über die Brücke in die UnendlichkeitKontakt zu den Helioten zu erhalten, jedes-mal erfolglos. Diesmal mußte es einfachklappen. Wenn ich Terra retten wollte, warThoregon der einzige Strohhalm, an den ichmich noch klammern konnte.

Wortlos griff Startac nach meiner Hand.Wieder zehn Kilometer. Ich sah die Mü-

digkeit in den Augen des Jungen, dieses un-stete Flackern, in das sich erstmals auch ein

Der Tod auf Terra 51

Page 52: Der Tod auf Terra

Hauch von Furcht mischte. Trotzdem sträub-te er sich beharrlich gegen ein Medikamentaus der Medoeinheit meines Raumanzugs.

»Ich schaffe es«, behauptete er, obwohl erMühe hatte, sein Zittern zu verbergen.

Nach der nächsten Teleportation, die unsin den Schatten eines Frachters führte, bracher seufzend zusammen. Ich konnte ihn gera-de noch auffangen, ehe er hart auf der Pisteaufschlug.

Diesmal konnte ich nicht anders, ob er esguthieß oder nicht, ich verabreichte ihm einAufputschmittel. Unser beider Leben hingdavon ab.

Ein trainierter Teleporter hätte keine Pro-bleme gehabt, uns auf die andere Seite desErdballs zu bringen, weit genug weg vomDiener der Materie. Was Startac zeigte, warim Grunde nur ein Herumhopsen - aber ohnedieses »Hopsen« wäre ich bereits tot gewe-sen. Kein angenehmer Gedanke.

Jedenfalls durfte ich Startacs untrainierteFähigkeit nicht bis zum letzten Sprung stra-pazieren. Die letzte Kraft brauchte der Jun-ge, um sich selbst vor Ramihyns Todesfeldin Sicherheit zu bringen.

Ich hätte es mir nicht verziehen, ihn seinerZukunft zu berauben.

Endlos scheinende Sekunden reihten sichaneinander. Mein junger Freund hatte dasBewußtsein zurückerlangt, trotzdem schwie-gen wir uns an. Er ohnehin wortkarg - ichmit dem unguten Gefühl, ihn auszunutzen.Beide warteten wir darauf, daß der Zyklopin unserer Nähe erschien. Das war wie inden Western, in denen der Held die Patronengedankenverloren durch seine Finger gleitenließ, bevor er sie einzeln in die Kammersteckte.

Endlich kam das ersehnte Signal derTLD-Agentin. Achtzehn Minuten warenvergangen.

Fast gleichzeitig schreckte Startac auf.»Ramihyn!« keuchte er.

Der Zyklop hatte uns wiedergefunden.Höchstens vier Kilometer entfernt stand erplötzlich auf der Piste - und verschwandebenso schnell.

Der Junge krallte sich an mir fest … Wirmaterialisierten im Süden von Point Surfat,stürzten übereinander und teleportierten zumzweitenmal.

Als das braun angestrichene Raumschiffüber mir aufwuchs, empfing ich die Peilim-pulse des Lastengleiters. Zehn Kilometer Di-stanz.

Startac war erneut zusammengebrochen.Trotz des Aufputschmittels. Allerdings warer nicht bewußtlos, sondern hatte nur einenSchwächeanfall erlitten. Als ich ihn hoch-hob, begann er tonlos vor sich hin zu mur-meln.

Zehn Kilometer hätte ich in kürzester Zeitmit Hilfe meines Raumanzugs überwindenkönnen.

Aber ich konnte Startac nicht nach Trokanund auf die Brücke mitnehmen. Und ihn hierzwischen den Landestützen zurückzulassenhätte seinen sicheren Tod bedeutet.

Die Peilimpulse des Gleiters bekamen et-was Drängendes.

»Komm schon, Startac, wir müssen wei-ter.«

Mit der flachen Hand schlug ich ihn insGesicht. Er stöhnte und begann zu wim-mern, aber zumindest das konnte ich ihmnicht ersparen.

»Beeilung, Junge! Ich will, daß du dichnoch in Sicherheit bringst. Verstehst du, wasich sage?«

Sein Kopf pendelte haltlos. Plötzlich ver-steifte er sich und starrte an mir vorbei.Auch ohne mich umzuwenden, wußte ich,daß Ramihyn erschienen war. Dieses gräßli-che Ziehen im Nacken begann von neuem.

Wir materialisierten zwanzig Meter vordem Lastengleiter. Startac ließ mich los undtorkelte weiter wie ein Betrunkener, dernicht mehr in der Lage war, seine Umge-bung richtig wahrzunehmen.

»Startac!« brüllte ich ihn an.»Verschwinde!«

Halb drehte er sich um die eigene Achse,grinste mich an …

…und brach zeitlupenhaft langsam in dieKnie.

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Page 53: Der Tod auf Terra

»Hau ab, Junge!«Ramihyn kam. Ich sah ihn keine drei Ki-

lometer entfernt wie eine Fata Morgana ent-stehen und sich sofort wieder auflösen.

Endlich entmaterialisierte Startac. Daskaum wahrnehmbare Geräusch, das die insentstandene Vakuum stürzende Luft erzeug-te, klang wie Musik in meinen Ohren.

Zugleich warf ich mich herum und hetztedem aktivierten Transmitter entgegen.

Ramihyn mußte dicht hinter mir erschie-nen sein, denn der Schmerz drohte meinenSchädel zu sprengen.

Ich schrie, als ich mich in vollem Lauf insEntstofflichungsfeld stürzte …

…und im gleichen SekundenbruchteilMillionen Kilometer entfernt mit ungebrem-ster kinetischer Energie aus dem Emp-fangstransmitter geschleudert wurde.

*

Ramihyn empfand rasenden Ärger. Immerdeutlicher hatte er die Spur des Sechsten Bo-ten wahrnehmen können, dessen unerwartetaufgetauchter Helfer offenbar über eine Te-leporterfähigkeit verfügte. Im letzten Mo-ment, als er ihn schon sicher wieder in sei-ner Gewalt gewähnt hatte, war der Terranerüber den bereitgestellten Transmitter ent-kommen.

Natürlich hatte er den Planeten verlassen,alles andere wäre unlogisch gewesen. DasEntstofflichungsfeld war sofort nach demDurchgang erloschen, die Justierung konntenicht mehr nachvollzogen werden.

Außer sich vor Wut, vernichtete der Zy-klop mit bloßen Händen Gleiter und Trans-mitter. Was übrigblieb, war ein Haufenformloser, undefinierbarer Materie.

Einer der Untoten an Bord von WAVEmeldete sich.

Die Wachschiffe über dem vierten Plane-ten hatten am Pilzdom eine Bewegung geor-tet. Offenbar handelte es sich um einen Ter-raner in einem blauen Raumanzug, dessenZiel der Pilzdom war.

»Tötet ihn!« befahl Ramihyn. Keinesfalls

war er gewillt, den Sechsten Boten über dieBrücke entkommen zu lassen. »Feuerbefehlfür alle Wachschiffe in seiner Nähe!«

*

Das Transmitterfeld war unmittelbar hin-ter Perry Rhodan erloschen. Mühsam wälzteer sich herum; es gab wohl keine Stelle anseinem Körper, die nicht schmerzte. Nie zu-vor hatte er einen Transmitterdurchgangüber eine derart geringe Entfernung annä-hernd belastend empfunden.

Er hatte eine Spur der Verwüstung hinter-lassen; die Scherben, zwischen denen er lag,gehörten zu kulturhistorischen Artefaktender Herreach. Die terranische Crew mochtesie zusammengetragen haben.

Aber wohin waren die Menschen ver-schwunden? Niemand begegnete ihm aufdem Weg ins Freie. Erleichtert aktivierteRhodan das Flugaggregat und beschleunigtein Richtung Pilzdom.

Hoch über ihm hingen die zigarrenförmi-gen Wachschiffe der Kosmischen Fabrik imOrbit. Auf einen einzelnen Menschen wür-den sie wohl nicht reagieren.

Ungehindert passierte Rhodan die im Um-kreis des Domes errichteten Wachstationen.Auch sie wirkten verlassen. Er vermutete,daß die Besatzungen vor der Bedrohungdurch die Schiffe der Kosmischen Fabrik ge-flohen waren. Nur wohin? Es gab keinenPlatz im Sonnensystem, der wirklich Schutzgeboten hätte, mit Ausnahme des Pilzdomes.

Jäh verdunkelte sich der Himmel. Zigar-renraumer sanken herab.

Nur noch fünfzig Meter …Rhodan hatte sein Ziel fast erreicht, als

die Schiffe von WAVE das Feuer eröffne-ten.

Eine alles verschlingende Glutwogeschlug über ihm zusammen, türmte sich aufund brandete weit in die Gassen der Stadthinein.

Epilog Estel Marobar, die junge Funkerinauf der PAPERMOON, legte Cistolo Khanden Ausdruck des soeben empfangenen Hy-

Der Tod auf Terra 53

Page 54: Der Tod auf Terra

perfunkspruchs vor.Khan schaute nicht einmal auf. Er hatte

die Ellenbogen auf seiner Konsole aufge-stützt und das Gesicht halb in den Handflä-chen vergraben.

So saß er schon geraume Zeit, ohne auf ir-gend etwas zu reagieren. Die ersten mißbilli-genden Blicke der Besatzung trafen ihn be-reits.

»Ein Funkspruch, Cistolo«, sagte Estelzurückhaltend.

Keine Reaktion.»Von Noviel Residor«, begann die Funke-

rin Augenblicke später von neuem.Khan bewegte sich nicht. »Lies vor!« ver-

langte er.Estel Marobar hüstelte gequält. »Perry

Rhodan hat vor wenigen Minuten versucht,den Pilzdom auf Trokan zu erreichen. Auto-matische Orterstationen haben ermittelt, daßauf Rhodan aus geringer Distanz das Feueraus Raumschiffsgeschützen eröffnet wurde.Der Sechste Bote von Thoregon war nurdurch seinen Raumanzug geschützt.«

»Weiter!« drängte der LFT-Kommissarund lehnte sich zurück. Mit den Fingerspit-zen massierte er seine Stirn.

»Die Stärke der Salven hat ausgereicht,alle Wachstationen rings um den Pilzdomeinzuäschern. Nur der Dom selbst blieb völ-

lig unversehrt stehen.«Endlich ließ Khan die Hände sinken. Sein

Gesicht wirkte fleckig und zeigte die Spurendeutlicher Erschöpfung.

»Rhodans Tod kann nicht zweifelsfreinachgewiesen werden«, sagte er leise. »HatResidor das auch mitgeteilt? Es ist nahezuunmöglich, im Energiesturm von Schiffsge-schützen die Explosion eines einzelnenRaumanzugs zu orten. - Bei allen Dämonender Galaxis, das hätte nicht geschehen dür-fen.«

Wütend begann er, mit der zur Faust ge-ballten Rechten in die geöffnete linke Hand-fläche zu hämmern.

»Ich habe geahnt, daß der Ausflug nachTerra so oder ähnlich enden würde. Aberwie hätte ich ihn zurückhalten sollen? Nie-mand kann Rhodan daran hindern, das zutun, was er sich in den Kopf gesetzt hat. -Prett«, wandte er sich an den Kommandan-ten des Flaggschiffs, »Logbucheintragung:

Wir können als sicher annehmen, daß derSechste Bote von Thoregon am frühen 10.April 1291

NGZ im konzentrierten Feuer gegneri-scher Schiffsgeschütze gestorben ist.«

E N D E

Das ganze Sonnensystem steckt im Würgegriff der Kosmischen Fabrik und des Dieners derMaterie. Ramihyn hat Pläne mit der Erde und ihren Bewohnern, die bislang noch keinerdurchschauen mag. Militärisch ist dem unheimlichen Wesen in seiner Zyklopengestalt offen-sichtlich nicht beizukommen. Und jetzt scheint auch noch Perry Rhodan getötet worden zusein …

Der PERRY RHODAN-Roman der nächsten Woche wechselt den Schauplatz. SusanSchwartz, die Autorin dieses Romans, beleuchtet das Geschehen in der Galaxis Chearth. Dortsteuern die Ereignisse ebenfalls auf den finalen Höhepunkt hin. Susan Schwartz' Roman er-scheint unter dem Titel:

WENN TAZOLEN MEUTERN

54 Hubert Haensel

Page 55: Der Tod auf Terra

Kommentar: Exzentriker #

Es überkommt einen das Grausen, und der Ver-stand weigert sich mitzumachen: Eine Lebensspanne,die in Jahrmillionen rechnet, ist für uns»Normalsterbliche« nicht nachvollziehbar - es bleibtdas Jonglieren mit Zahlen, nicht mehr.

Schon das Leben der Zellaktivatorträger entferntsich sehr weit von der Alltagserfahrung. Im Schnittliegt die Lebenserwartung der Terraner des 13. Jahr-hunderts NGZ bei 200 Jahren; einige mögen um etli-che Jahrzehnte älter werden, andere sterben früher -aber sogar dieser Mittelwert übertrifft jenen, der fürdas ausgehende 20. Jahrhundert galt, um mehr alsdas doppelte.

Wie gestaltet sich ein solches Leben? Welche Er-fahrungen lassen sich, auch und nicht zuletzt mit Blickauf die Reisemöglichkeiten in der Milchstraße, in die-ser Zeitspanne machen? Wie sieht es mit Partnern,Kindern, Enkeln, Urenkeln aus? Fortgeschrittene Me-dizin und ihre Möglichkeiten kommen hinzu; zwar sindnicht alle Krankheiten überwunden, neue kommen si-cher hinzu, aber unter dem Strich leben die Zeitge-nossen des 13. Jahrhunderts die meiste Zeit in»blühender Gesundheit«, weitgehend kraftvoll und ju-gendlich. Und die mit aufstockender Hypnoschulungverbundenen Aspekte sind ebenfalls nicht zu vernach-lässigen - die Forderung nach lebenslangem Lernenund Fortbilden, schon im endenden 20. Jahrhunderteine maßgebliche gesellschaftliche Änderung, giltnoch verstärkt.

Herausforderungen gibt es ohne Zweifel im ausrei-chenden Maß, seien sie nun im Äußeren oder im In-neren angesiedelt, sei es Forschung und Entdeckungzwischen den Sternen oder in den Tiefen des eigenenBewußtseins und seiner Kreativität, seiner künstleri-schen Begabung und was auch immer. Viele Normal-sterbliche der galaktischen Gesellschaft mögen wieihre fernen Vorfahren die Gedanken und eine Be-schäftigung mit dem »Lebensende«, dem unweiger-lich herannahenden Tod, verdrängen, ignorieren, ihmausweichen. Andere gehen damit vielleicht ganz be-wußt und gezielt um - der Möglichkeiten gibt es viele.

Und doch … Bei rund zwei Jahrhunderten ist dieGrenze erreicht. Der Sensenmann klopft an undgrinst. Wir mögen dann bereit sein oder nicht, ernimmt uns mit.

Aber was sind 200 Jahre gegen 1000, gegen10.000, gegen 100.000, gegen eine Million - undmehr?

10.000 Jahre zurück lebten auf der Erde steinzeitli-che Jäger und Sammler - Atlan kann uns davon be-richten, er war dabei, hat es erlebt. Ein noch»überschaubarer« Rahmen. Individuell zwar kaumnachzuvollziehen, dennoch »einigermaßen handhab-bar«.

100.000 Jahre: Das ist eine Zeitspanne, die uns zusehr fernen Vorfahren zurückführt und fremd bleibt.Wirklich fremd! Tausende Generationen, ungezähltesSchlafengehen und Erwachen, Essen, Waschen, Lie-ben …

Eine Million Jahre: das erste Erscheinen des

Schwarms in der Milchstraße. Eine Zeitspanne, in derHunderte oder Tausende Sternenreiche auf der galak-tischen Bühne erschienen, zur höchsten Blüte heran-reifen, wieder verschwanden, die meisten spurlos. DieSchicksale ungezählter Individuen, mit all ihremGlück, ihrem Leid, ihren Träumen, ihren Wünschen,ihrem Streben und Versagen - und dazu eine Lebens-spanne, die die gesamte Zeit erfaßt, ein Leben, dasdabei war, ebenso zuschauend wie teilnehmend?

Die Steigerung: ein Diener der Materie, von seinerNatur her dank seiner Kräfte und Möglichkeiten dem»Normalen« entrückt, irgendwo zwischen einem Su-permutanten und dem Bewußtseinskollektiv einer Su-perintelligenz; mit einer Macht ausgestattet, die durchdie Kosmische Fabrik verkörpert wird, in der Lage,ganze Sonnensysteme mit einem Pffft aus dem All zufegen …

Teufel noch mal - was macht so jemand die ganzeZeit, in Jahrmillionen?

Sicher, es gibt mit den Direktiven verbundene Auf-gaben, er muß gegen die »Kräfte des Chaos« kämp-fen, ist zwischendurch für Jahrhunderte oder Jahrtau-sende eingebunden, merkt vielleicht manches Malnicht, wie schnell die Zeit vergeht, wie die Jahrzehntedahinrasen.

Doch dann, plötzlich, für Jahrhunderte »Leerlauf«.Beschäftigungstherapie mag manches überbrücken,aber irgendwann wird das schönste und liebste Hobbyfad. Langeweile macht sich breit, die Frage nach demSinn rumort und bohrt. Phasen von Depression kom-men und mögen wieder vergehen; daß sie allerdingswiederkehren werden, ist ebenso sicher, dann ver-mutlich noch intensiver, noch schmerzhafter, nochtraumatischer.

Droht Wahnsinn? Geistige Umnachtung? Jahrmillio-nen bieten genug Zeit, sämtliche wie auch immer ge-arteten Ängste, Phobien und sonstigen Extreme aus-zuleben und wieder zu überwinden. Ein maßgeblicherAspekt wird der gesteigerte Wunsch nach dem nochbesseren Kick sein, die noch größere Herausforde-rung - dicht benachbart von Lethargie, wenn nicht garAgonie, weil schon das Aufraffen zu neuer Aktivität,zu neuen Ideen so qualvoll und schwierig ist, denn dieLast der Jahre drückt und quetscht und martert. Ganzzu schweigen von der Einsamkeit!

Ein Menschenleben, Leben überhaupt, ist dagegennichts. Eintagsfliegen - schon wieder verschwunden,ehe es überhaupt richtig bemerkt werden kann: Huch,war da was …?

Entfremdung kann nur ein befehlsmäßiger Begriffsein. Schon durch ihre Art an sich sind die Diener derMaterie normalem Leben entfremdet. Gesteigert wirddas durch die Lebensspanne, die eigene»Unsterblichkeit«, die eigene »Überhöhung«. Es wür-de verwundern, wenn wir es bei diesen Geschöpfennicht mit Exzentrikern zu tun hätten - aber genau dasmacht sie absolut unberechenbar und gefährlich …

Apropos 1995: Ein Erdbeben der Stärke 7,2 er-schüttert die Region um Kobe und Osaka; in Europawird an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 50

Der Tod auf Terra 55

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Jahren erinnert; in Bosnien eskaliert die Situation,UN-Soldaten werden als Geiseln genommen; dasReichstagsgebäude in Berlin wird verhüllt; YitzhakRabin wird ermordet; Christiane Nüsslein-Volhard er-hält mit zwei amerikanischen Kollegen den Medizin-Nobelpreis.

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