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Der Umgang mit
Heterogenität in der Schule -
Eine Herausforderung für die
„Schule der Zukunft“
Workshop, Goethe-Institut im Rahmen der Fortbildung „Schule der Zukunft“
Gauting, 09. Juli 2012
Dr. Wolf-Thorsten Saalfrank
Lehrstuhl für Schulpädagogik, LMU München
Es ist entwürdigend, wenn der
Mensch seine Individualität verliert
und zu einem bloßen Rädchen im
Getriebe wird.
Mahatma Gandhi (1869-1948)
Kritik am deutschen Bildungssystem
Auf Grundlage der Ergebnisse verschiedener
Leistungsvergleichsstudien (PISA, TIMSS) sowie
in den Bildungsberichten von OECD (Education at
a Glance) oder der UNO (Munoz-Bericht) wurden
als zentrale Kritikpunkte am deutschen
Schulsystem die frühe Selektion, die hohe
Abhängigkeit des Bildungsgangs bzw. -
abschlusses von sozialer Herkunft sowie die
mangelhafte Förderung benachteiligter Gruppen
angeführt.
Folgen ?
Diese Kritikpunkte, die besonders seit dem
Jahr 2000 vermehrt geäußert wurden, führten
in der deutschen Bildungspolitik zunächst zu
massiven Protesten und
Abwehrreaktionen gegen die von außen
herangetragenen Vorwürfe, jedoch seit etwa
sechs Jahren zu einem zum Teil massiven
Umbau des Schulwesens.
INDIVIDUALISIERUNG INKLUSION
HETEROGENITÄT
Heterogenität
=
Ungleichartigkeit
Verschiedenartigkeit
Uneinheitlichkeit
Ausgleich durch
Versuche
Homogenität
zu erreichen
Homogenität kann nicht
erreicht werden,
es wird immer nur versucht
Ungleichheit zu reduzieren
Problem
Homogenität
bleibt
Fiktion!
Diversity Management
Möglicher Lösungsansatz: Diversity
Management
Diversität
=
Vielfalt
Vielfältigkeit
Produktives Nutzen
der Vielfalt
durch Maßnahmen
zur Individualisierung
HETEROGENITÄT UND SCHULE
Kriterien von Elsbeth Stern
Der Einzelne
Kognitive
Lernvoraussetzungen
Sprache
Herkunftssprache
Soziale Kompetenz
Psychische
Entwicklung
Interessen,
Motivation,
Erwartungen,
Neigungen
Physis,
Gesundheit
Alter
Traditionen,
Wertmuster,
Normen
Geschlechtsspezifische
Sozialisation
Verschiedenheit hat viele
Facetten von denen wir nur
einige wahrnehmen.
Bedingungsfaktoren für Differenzierung
Heterogenität
Individualisierung
Schulische Realität
„Die Person in der modernen Gesellschaft begreift
sich als Individuum. Individualität ist eine tragende
Säule der Identitätskonstruktion des modernen
Menschen. Die zwei Komponenten von
Individualität sind Einzigartigkeit und
Selbstbestimmung.“ (Schimank, 2000, S. 107)
„Je heterogener die Lerngruppen geworden sind, desto
wichtiger wird in den meisten Fällen die innere Differenzierung
des Unterrichts. Die Lernvoraussetzungen der Schüler werden
immer unterschiedlicher. Die immer größere ‚Streuung’ der
Begabungen und Lernvoraussetzungen hat seit Jahren auch
die Gymnasien und Realschulen erreicht. Es gibt viele Schüler
mit Spezialbegabungen und mit professionell gepflegten
Hobbys (…). Es gibt aber auch immer häufiger Schüler mit
chronischen, oft psychosomatischen Erkrankungen, auf die im
Unterricht Rücksicht genommen werden muss.“
(Paradies/Linser, 2001, S. 10) „Die prinzipielle verfassungsrechtliche
Gleichheit der Menschen und ihre
faktische Ungleichheit in physischer,
intellektueller, bildungsmäßiger und
sozialer Hinsicht ist ein ebenso
zentrales wie unlösbares Problem
jeder Demokratie und jeder
Pädagogik.“ (Weinert, 1975, S. 35)
DIFFERENZIERUNG ALS
MÖGLICHKEIT DES
UMGANGS MIT
HETEROGENITÄT
Heterogenität und Unterricht
Differenzierung bezeichnet alle Maßnahmen
schul- und unterrichtsorganisatorischer Art,
die zur Förderung von Schülern oder von
Lerngruppen aufgrund unterschiedlicher
Neigungen, Begabungen, Interessen,
Schwächen und Stärken
unter Berücksichtigung des jeweiligen
Entwicklungsstandes ergriffen werden, was zu
einer Individualisierung des Unterrichts
beiträgt. Saalfrank, 2012
Formen der Differenzierung
Äußere Differenzierung schulorganisatorischer Bereich
Innere Differenzierung unterrichtsorganisatorischer Bereich
Innere
Differen-
zierung
Unterrichtsorganisatorische
Dimension
Didaktische Dimension
Unterrichtsgestaltungs-
dimension
Kompetenzdimension
Ziele Inhalte Methoden und Medien Sozialformen Lernvoraussetzungen Organisation und Zufall
Lerninteresse Lernbereitschaft Lerntempo Lernstile
Individualisierter Unterricht (z.B. Freiarbeit, Wochenplanarbeit)
Kooperativer Unterricht (z.B. Projektarbeit, Gruppenunterricht)
Gemeinsamer Unterricht (z.B. Klassenunterricht)
Entscheidungskompetenzen Fachkompetenzen Sozialkompetenzen Selbstkompetenzen Handlungskompetenzen
Gestaltung von Lehr-
Lernarrangements Gemäßigter Konstruktivismus
Fazit: Individuelle Differenzen gehören zum Lernen und sind von besonderem Interesse
Ziel konstruktivistischer Didaktik ist:
- heterogene Merkmale von Lernenden zu adressieren
- multiple Perspektiven Wert zu schätzen,
- durch Bearbeiten möglichst authentischer Aufgaben ihre Wirklichkeitskonstruktionen zu kommunizieren
Unterricht des
Entwickelns/Entdeckens
• Lehrer eher als Organisator,
Moderator, Experte oder Berater.
• Lerner übernimmt mehr
Verantwortung für den Lernprozess.
• Nicht kognitive Aspekte haben eine
größere Bedeutung
• Die Bedeutung des Lerninhalts (der
Wissensmenge) sinkt, die
Bedeutung der Denkschulung im
Sinne von Kompetenzentwicklung
steigt.
• Lernaufgaben und
Lernaufgabenstrukturierung
gewinnen eine überragende
Bedeutung.
Das Problem der Inklusion
Integrations- und Inklusionspädagogik
Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009
Sonderschulen werden in Frage gestellt (10 verschiedene Formen bilden eine Schulform)
Kritik am 3-gliedriges Schulsystem, durch Aussonderung nach Behinderung und sozialer Herkunft.
Ziel einer Inklusionspädagogik ist die Aufhebung von Kindersegregation, d.h. die gesellschaftliche Nichtaussonderung behinderter Menschen durch gemeinsames Leben verbunden mit der Aufgabe des Prinzips der homogenen Jahrgangsklasse.
Integrationsklassen seit Ende der 70er Jahre.
Wichtig: Elterninitiative „gemeinsam leben – gemeinsam lernen sowie die erste Integrationsklasse in Berlin 1976 (Fläming Schule)
Länderdifferenzen (gesetzliche Regelung über Versuch bis zu nicht vorgesehen)
Zentraler Konfliktpunkt sind oftmals geistigbehinderte Kinder
Integrations- und Inklusionspädagogik
Sonderschulen werden in Frage gestellt: • 10 Formen als eine Schulform
• Aussonderung von behinderten Kindern und solchen Kindern, die nichts ins System passen (Schulen für verhaltensauffällige bzw. erziehungsschwierige Kinder)
• Aufhebung von Kindersegregation
• 3-gliedriges Schulsystem oder 3000-gliedriges Schulsystem?
Integrations- und Inklusionspädagogik
Lehrerbelastung?
Begabungsunterschiede als Berufserschwernis
empfinden…
(TIMSS 1997 / Altrichter 2009)
Grundverständnis
Eine integrative / inklusive Bildung hat das
Ziel auf Grundlage einer Orientierung am
Menschen eine Schule für alle
aufzubauen, die ein Ort der Begegnung
wird, in der segregative Elemente
überwunden werden und die ein
gemeinsames Lernen aller Kinder jenseits
typisierender Zuschreibungen an einem
gemeinsamen Lerngegenstand ermöglicht.
Integrative Bildung – Index für
Inklusion
Dimension C Inklusive PRAKTIKEN entwickeln Indikator C. 1 | Lernarrangements organisieren C. 1.1 | Der Unterricht wird auf die Vielfalt der SchülerInnen hin geplant.
C. 1.2 | Der Unterricht stärkt die Teilhabe aller SchülerInnen.
C. 1.3 | Der Unterricht entwickelt ein positives Verständnis von Unterschieden.
C. 1.4 | Die SchülerInnen sind Subjekte ihres eigenen Lernens.
C. 1.5 | Die SchülerInnen lernen miteinander.
C. 1.7 | Die Disziplin in der Klasse basiert auf gegenseitigem Respekt.
(Boban & Hinz 2004)
=> Folge: Inklusive / integrative Bildung erfordert mehr denn je eine Abkehr von einer technokratischen Sicht auf Unterricht und eine grundlegende anthropologische bzw. pädagogische Orientierung.
Anthropologische
Grundorientierung
„Egal, wie ein Kind beschaffen ist, es hat das Recht, alles Wichtige
über die Welt zu erfahren, weil es in dieser Welt lebt.“ (Feuser, 1999)
„Allein die lebendige Existenz jeweils individuell gewordener Realität
beweist deren Bildung, d.h. Menschen sind, solange sie leben,
grundsätzlich bildungsfähig; die durch Bildung beschriebene
Anthropologie ist inklusiv!“ (Rödler, 2010)
„Die wechselseitige Anpassung an und Einflussnahme auf den
jeweiligen Partner stellen die allgemeinste Form des Dialogs dar,
wobei die Anpassung die allgemeinste Form des Hörens, die
Einflussnahme die allgemeinste Form des Sprechens ist.“ (Rödler,
1985)
Ziel ist ein didaktisches Handeln auf Grundlage eines unveräußerlichen didaktischen Fundamentums im Rahmen einer entwicklungsbezogenen Individualisierung sowie durch eine kooperative Tätigkeit, d.h. des Lernens aller Subjekte an einem gemeinsamen Gegenstand. (Feuser, 62002)
Integrations- und
Inklusionspädagogik Gute Schulleistungen (Intellekt);
gleichaltrige Miterzieher
Positive psychosoziale Entwicklungen (Emotional)
Veränderte Didaktik (Projekte, Wochenarbeit, Freiarbeit,Gesprächskreise)
Individualisierung ohne äußere Differenzierung
Individuelle Leistungsfortschritte
Integration nicht als Anpassung sondern Annäherung
Vielen Dank!
Das Geheimnis, mit allen Menschen in
Frieden zu leben, besteht in der Kunst,
jeden seiner Individualität nach zu
verstehen.
Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852)
DAS KÖNNEN WIR DOCH AUCH
WIE SCHULEN IN DEUTSCHLAND MIT
HETEROGENITÄT UMGEHEN
FILM
Zusammenfassung Eine Aussonderung von Kindern auf Grund bestimmter Merkmale (Leistung,
soziale Herkunft, Behinderungen, Geschlecht etc.) ist sowohl für das Lernen miteinander als auch für das Lernen voneinander nicht produktiv und Zeichen einer Diskriminierung bestimmter Gruppen.
Ein gerechtes Schulsystem bevorzugt heterogene Gruppen und richtet sich so aus, dass den einzelnen Begabungen durch entsprechende Fördermaßnahmen Rechnung getragen wird.
Managing Diversity meint eine Grundhaltung des Lehrers zur Achtung der Vielfalt in der jeweiligen Klasse, dem Erkennen von Vielfalt und der Förderung von Vielfalt.
Um den vielfältigen Förderbedarf zu erkennen benötigen die Lehrer eine Diagnosekompetenz einerseits aber auch das Wissen darüber mit wem eine Kooperation notwendig ist, um den Förderbedarf zu bestimmen.
Alle Menschen sind Subjekte, d.h. alle Menschen gleich welcher sozialen oder ethischen Herkunft, gleich welcher Stärken und Schwächen können der Bildung teilhaftig werden. Alle Menschen sind aber auch Individuen, d.h. alle Menschen haben unverwechselbare Eigenschaften, die entsprechend gefördert werden müssen.
Gemeinschaft entsteht, wenn Individuen miteinander zu tun bekommen, sich auf andere einlassen und miteinander lernen.
Homogenität ist nur eine bildungspolitische Fiktion, da selbst scheinbar homogene Gruppen bzw. auf Homogenität ausgerichtete Schulformen immer heterogen bleiben, somit kann diese fiktionale Homogenität zu bewusst heterogenen Lernverbänden aufgelöst werden.