Der Unermüdliche ist müde - Pascal · PDF fileter vorsätzlicher Tötung und acht Jahre ... einzige Welle angetrieben und machen ... rik auf dem Areal neben dem Winterthu

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  • 16 Tages-Anzeiger Mittwoch, 13. Mai 2015

    Zrich

    Eine 23-Jhrige wurde gestern zu einer Kleinen Verwahrung verurteilt, weil sie einen massiven Brand gelegt hatte.

    Liliane Minor

    Zrich Der 14. Juni 2014 begann fr die Bewohner eines Apartmenthauses an der Nordstrasse in Zrich-Wipkingen traumatisch: Gegen fnf Uhr morgens quoll dichter, beissender Rauch aus dem Keller und riss sie aus dem Schlaf. Etli-che flohen in Panik. Zwei Mnner zogen sich schwere Verbrennungen an den Hnden zu, weil sie auf der Flucht gl-hend heiss gewordene Treppengelnder und Trfallen angefasst hatten. Beide er-litten zudem lebensgefhrliche Rauch-vergiftungen. Ein dritter Mann verletzte sich am Rcken, als er im zweiten Stock aus dem Fenster sprang. Weitere 15 Be-wohner musste die Feuerwehr mit der Drehleiter retten. Verursacht hatte den Brand eine 23-jhrige Schweizerin. Sie

    hatte im Keller eine Babydecke angezn-det. Die Flammen griffen rasch auf wei-tere Gegenstnde ber, es brauchte ein Grossaufgebot der Feuerwehr, um den Brand zu lschen.

    Gestern stand die Frau vor Gericht.Was trieb sie zu ihrer Tat? Das blieb in der Verhandlung unklar. Eines der Op-fer hatte gegenber TeleZri gesagt, die 23-Jhrige habe die Nacht bei ihm ver-bracht und mit ihm geschlafen. Sie habe aber immer noch mehr und noch mehr Sex gewollt, bis er nicht mehr gekonnt habe. Da sei sie wutentbrannt aus der Wohnung gelaufen.

    Rache war nicht das MotivDie Beschuldigte selbst hatte in der ers-ten Einvernahme noch gesagt, sie habe gewollt, dass sie sterben. Wer genau, sagte sie nicht. Von dieser Aussage dis-tanzierte sie sich nachher. Auch Rache-gefhle gegenber ihrem Liebhaber schloss sie aus. Wahrscheinlich sei sie schon wtend auf ihn gewesen aber sie knne sich nicht erinnern, die Decke deswegen angesteckt zu haben, sagte sie

    dem Richter. Das Motiv sei ein ganz an-deres gewesen: Ich wollte ins Gefng-nis. Deshalb habe ich auch gesagt, ich htte gewollt, dass sie sterben. Damit sie mich nicht mehr rauslassen.

    Das Gefngnis erschien der Frau of-fenbar wie ein sicherer Hafen. Sie, die schon mit 15 in ein Heim kam und Jahre in der Psychiatrie und im betreuten Wohnen verbracht hatte, sehnte sich nach einer klaren Tagesstruktur und vor allem einer Zelle fr sich allein. Ein Wunsch, den sie sich mit dem Brand er-fllt hat. Das Bezirksgericht Zrich ver-urteilte sie wegen qualifizierter Brand-stiftung zu sechseinhalb Jahren Haft aufgeschoben zugunsten einer statio-nren Therapie, einer sogenannten Klei-nen Verwahrung. Die Staatsanwltin hatte eine Verurteilung wegen versuch-ter vorstzlicher Ttung und acht Jahre Haft gefordert. Das Gericht aber sah es als nicht erwiesen an, dass die Frau den Tod ihrer Opfer gewollt habe. Die Vertei-digerin hatte auf viereinhalb Jahre pl-diert. Mit einer Kleinen Verwahrung wa-ren alle einverstanden.

    Brand gelegt weil sie ins Gefngnis wollte

    Zrich Der Streit zwischen dem Waren-hauskonzern Manor und seiner Vermie-terin Swiss Life an der Bahnhofstrasse nimmt eine berraschende Wende. Laut der Handelszeitung hat die Manor-Muttergesellschaft Maus Frres dem Le-bensversicherer ein Kaufangebot fr die zwei von Manor gemieteten Liegenschaf-ten vorgelegt. Die Holding der schwerrei-chen Genfer Familien Maus und Nord-mann bietet bis zu einer halben Milliarde Franken. Die Offerte aus Genf hat eine Bandbreite von 400 bis 500 Millionen Franken, so ein Gewhrsmann. Weder Manor noch Swiss Life wollen sich zur Kaufofferte ussern. Die beiden Unter-nehmen streiten vor Gericht um die Hhe der Miete, die Manor Swiss Life zahlen soll. Der Versicherer mchte sie um den Faktor drei erhhen, Manor wehrt sich. Letzte Woche wurden die Parteien vom Obergericht wieder zurck auf Feld 1 geschickt. Damit beginnt der Streit von neuem, allerdings wird nicht vor dem Mietgericht, sondern vor dem Handelsgericht verhandelt. (SDA)

    Manor: Kaufangebot fr 500 Millionen

    Helene Arnet

    Winterthur Ruhestand und Hans-Peter Brtschi das passt nicht zusammen. Unvorstellbar, dass der Umtriebige, Be-harrliche, manche mgen ihn auch stur nennen, in Pension geht. Unzhlige Zeu-gen Schweizer Industriekultur hat er vor der Verschrottung bewahrt. Oft gar nicht zur Freude ihrer Besitzer oder der Standortgemeinden. Der Historiker und Architekt ist massgeblich an rund 30 B-chern beteiligt, hat an die 50 Museen und Ausstellungen initiiert und eben sei-nen 43. Verein gegrndet. Er war es auch, der das Weltvergleichs-Gutachten geschrieben hat, das die Rhtische Bahn zum Unesco-Weltkulturerbe machte.

    Dieser Getriebene will sich wirklich zurckziehen? Es scheint ihm ernst. Ich bin 65, die erste Pension ist gekom-men, und es ist Zeit, aufzuhren. Er spricht auch vom Loslassen seiner Kin-der. Bei einem seiner Lieblingskinder haben wir uns getroffen: in der Nagli Winterthur. Im blauen bergwndli erwartet er uns und sieht weniger weh-mtig als mde aus.

    Schrott als KulturgutMde ist er des stndigen Geldauftrei-bens, des ewigen Bettelns, wie er es bezeichnet. Das wurde in den letzten Jahren immer schwieriger, besttigt Pas-cal Troller, der ebenfalls aus Leiden-schaft zu alten Maschinen vom Buch-drucker zum Geldmittelbeschaffer mu-tierte und mit Brtschi seit zehn Jahren zusammenarbeitet. Erstmals treffe die Finanzkrise auch die Stiftungen emp-findlich. Bei Nullzinsen knnen diese nicht mehr sehr freigiebig sein.

    Umso mehr freuen sich die beiden darber, dass der Lotteriefonds vor ein paar Tagen 120 000 Franken fr die Nagli zugesichert hat. Jetzt fehlen uns noch rund 89 000 Franken, sagt Trol-ler. Dann ist der Betrieb bis 2030 gesi-chert. So lange dauert das Servitut, das Brtschi fr das denkmalgeschtzte Nagli-Fabrikgebude mit seinen histo-rischen Nagelmaschinen aus dem Jahr 1895 ausgehandelt hat.

    Vor 40 Jahren pochte der damals an der ETH ttige Hans-Peter Brtschi als einer der Ersten im Lande darauf, dass alte Industrieanlagen nicht achtlos aus-geweidet und zerstrt werden drfen. Dass ausgediente Maschinen nicht ein-fach Schrott, sondern mglicherweise Kulturzeugen sind. Anfnglich lsten seine Einsprachen weit herum Kopf-schtteln aus. Riegelhuser und Herren-villen mgen schtzenswert sein. Aber verrusste Fabrikanlagen? Die heutige Schweiz hat ihre Wurzeln in der Maschi-nenfabrik, nicht im Bauerndorf, ent-gegnet Brtschi.

    Es kommt ihm gar nicht in den Sinn, seinem Gast Platz anzubieten, denn ei-gentlich will er nichts anderes als ihm sein Kind vorstellen. Nun weicht alle

    Mdigkeit von ihm. Nicht dass er eupho-risch wrde. Das passte nicht zu ihm. Doch sprt man das innere Feuer, die Leidenschaft. Mag sein, dass ihm deswe-gen die Zeit fr eine Familie fehlte.

    Selbst der Russ ist originalDie fast 120 Jahre alte Maschinengruppe in der Nagelfabrik beim Bahnhof Winter-thur-Grze ist in der Schweiz einzigar-tig. Im eingeschossigen Grnderge-bude mit Stichbogenfenstern stehen noch fnf Maschinen, wo sie seit 1895 immer standen. Sie werden ber eine einzige Welle angetrieben und machen noch heute Ngel mit Kpfen. Wenn Brtschi eine der Maschinen anwirft, be-ginnt ein Klopfen und Hmmern, ein Sausen und Brummen. Hier sind selbst der Staub und der Russ noch original, sagt er. Er zeigt die schmalen Schienen,

    auf denen einst die Kohlenwgeli einge-fahren sind, den vorsintflutlichen Tum-bler, in dem die Ngel gereinigt werden. Die Nagli ist ein Glcksfall, weil sie nicht nur ein Museum ist, sondern gleichzeitig noch produziert, sagt er. Nebenan rattern nmlich die moderne-ren Maschinen der Schweizer Nagelfa-brik AG. Die Firma beschftigt sechs Mit-arbeitende und produziert als einzige Fabrik im Land noch Stifte verschiede-ner Lnge, Agraffen und etwa 200 wei-tere Spezialprodukte rund um Ngel frs In- und Ausland.

    Brtschi hat sich mit seinem Kampf fr die Industriekultur nicht nur Freunde gemacht. Er hatte auch den Mut, den Leuten auf die Nerven zu ge-hen. Mitstreiter Troller nennt das: nachhaltig. Nachhaltig war Brtschi etwa 1990, als Sulzer die Maschi nen fab-

    rik auf dem Areal neben dem Winterthu-rer Bahnhof schloss und geplant war, das Areal vollstndig zu rumen. Da ging der gebrtige Winterthurer Brtschi in Opposition und setzte Himmel und Hlle in Bewegung. Heute wirbt dieses Stadtquartier mit dem Slogan: Hier ist die Geschichte noch sprbar.

    Manchmal muss es Brtschi vorge-kommen sein, als ob er gegen Windmh-len kmpfe. Nur schon wegen der Zeit, die ihm davonlief. Weil das Geld an allen Ecken und Enden fehlte und der admi-nistrative Aufwand immer grsser wurde. Als er 2002 den von ihm 1989 aufgebauten Winterthurer Industriekul-turweg neu ausschilderte, bentigte er fr die 20 Tafeln 163 Bewilligungen. Nach einem Fazit gefragt, sagt er zuerst: Die Wespi-Mhle in Wlflingen konn-ten wir nicht retten. Dann: Wir haben aber schon einiges erreicht.

    Ganz den Letzten hat Brtschi noch nicht. Er will zum Abschluss eine Lok entfhren. Eine Ge 2/4 der Rhtischen Bahn, eine spezielle Grossmotor-Loko-motive, die in Arth-Goldau schlecht ge-wartet vor sich hin rostet. Es wird eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Mit Lastwagen und Grosskran. Ich habe zwar alle Be-willigungen im Sack, aber es gibt erbit-terten Widerstand gegen meine Plne. Ein typischer Fall Brtschi also.

    Die Zukunft seiner KinderEin Generationenwechsel steht an: Es gilt, Menschen fr Industriekultur zu ge-winnen, die keinen persnlichen Bezug mehr zu Sulzer, Escher Wyss oder der Nagli haben. Es fehlen bald die Rent-ner, welche die alten Maschinen noch bedienen knnen. Und es schwindet die Nostalgie, die manchen veranlasste, sich die Erinnerung an die gute alte Zeit et-was kosten zu lassen. Einfacher wirds nicht, sagt Hans-Peter Brtschi.

    Seine Kinder aber entlsst er gut gerstet. Die grsste Sorge bereitete ihm sein Fotoarchiv mit 380000 Bildern. Seit kurzem weiss er: Es wird von der ETH bernommen. In einigen Monaten erscheint der Band Zentralschweiz der Inventarisierung der Industriekul-turgter der Schweiz (Isis). Dann kann er auch dieses Mammutprojekt aus den Hnden geben. E