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jpb-Variszisch Tektonik–WS03-04 211 Der variszische Gebirgsgürtel Der variszische Gürtel ist das nächst ältere Orogen (Gebirge) vor der alpinen Gebirgsbildung. Es wurde von Suess nach einem legendären teutonischen Stamm im Nordosten Bayerns benannt. Das Orogen hat die kontinentale Kruste Europas während des späten Paläozoikums umgestaltet und zum Teil neu gebildet. Als Teil der paläozoischen Orogene, die den russischen Ural, die Kaledoniden in Skandinavien und Schottland, die Appalachen in Amerika, die Mauretaniden in Afrika, das Tien Shan in Asien und den Lachlan Faltengürtel in Australien mit einschliessen, ist das variszische Orogen ein Segment eines Gebirgssystems, welches während des Paläozoikums in der ganzen Welt existierte, ähnlich wie sich heute die alpinen Gebirge über den Globus verteilen. Es ist durch grosse Volumen von granitischen Material und einer sehr grossen Breite gekennzeichnet (manchmal bis zu 2000 Kilometer). Die Plattentektonischen Rekonstruktionen, basierend auf paleomagnetische Daten, zeigen, dass der variszische Gürtel aus einer im Devon stattgefundener Kollision zwischen zwei kontinentalen Hauptmassen resultiert: Laurentia-Baltica, vorher während dem kaledonischen Orogen zusammen geschweisst und jetzt im Nordwesten und Gondwana zum Südosten. Dazwischen befanden sich verschiedene Mikrokontinente wie Armorica. Die Konvergenz resultierte in der Schliessung von einigen ozeanischen Becken, die zu dem Rheic Ozean gehörten. Wir werden erfahren, wie wir ein altes Orogen vom strukturellen und geodynamischen Gesichtspunkt aus dokumentieren können. Zu diesem Zweck werden wir unsere Beschreibung auf das westliche Europa konzentrieren.

Der variszische Gebirgsgürtel - terminus.skterminus.sk/~dedo/img/haluze/geo/varis03.pdf · -Die spät orogene Geschichte zeigt grossräumige ... stratigraphisch gut erfasst durch

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Der variszische GebirgsgürtelDer variszische Gürtel ist das nächst ältere Orogen (Gebirge) vor der alpinen Gebirgsbildung. Eswurde von Suess nach einem legendären teutonischen Stamm im Nordosten Bayerns benannt. DasOrogen hat die kontinentale Kruste Europas während des späten Paläozoikums umgestaltet undzum Teil neu gebildet. Als Teil der paläozoischen Orogene, die den russischen Ural, dieKaledoniden in Skandinavien und Schottland, die Appalachen in Amerika, die Mauretaniden inAfrika, das Tien Shan in Asien und den Lachlan Faltengürtel in Australien mit einschliessen, ist dasvariszische Orogen ein Segment eines Gebirgssystems, welches während des Paläozoikums in derganzen Welt existierte, ähnlich wie sich heute die alpinen Gebirge über den Globus verteilen. Es istdurch grosse Volumen von granitischen Material und einer sehr grossen Breite gekennzeichnet(manchmal bis zu 2000 Kilometer).

Die Plattentektonischen Rekonstruktionen, basierend auf paleomagnetische Daten, zeigen, dass dervariszische Gürtel aus einer im Devon stattgefundener Kollision zwischen zwei kontinentalenHauptmassen resultiert: Laurentia-Baltica, vorher während dem kaledonischen Orogen zusammengeschweisst und jetzt im Nordwesten und Gondwana zum Südosten. Dazwischen befanden sichverschiedene Mikrokontinente wie Armorica. Die Konvergenz resultierte in der Schliessung voneinigen ozeanischen Becken, die zu dem Rheic Ozean gehörten.Wir werden erfahren, wie wir ein altes Orogen vom strukturellen und geodynamischenGesichtspunkt aus dokumentieren können. Zu diesem Zweck werden wir unsere Beschreibung aufdas westliche Europa konzentrieren.

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Hauptaufschlüsse des westeuropäischen variszischen GürtelsDie Gesteine, die durch das variszisches Orogen beeinflusst wurden, sind in einer Anzahl vonisolierten Aufschlüssen über Europa verteilt. Vom Osten zum Westen sind die Hauptaufschlüsse:Das böhmische Massiv, das Rheinischeschiefergebirge, Schwarzwald, Vogesen, NorddeutscheKohlebecken, Belgien und Nordost Frankreich (Ardennes), Zentrale Massiv (Frankreich),Brittannien, die britischen Inseln, Nordspanien und der Südwesten der iberischen Halbinsel, Atlas-Berge (Marokko) und weiter im Süden Teile der Mauretanien. Die Geologie des variszischenGürtels ist ohnehin kompliziert wird aber noch komplizierter, weil die Aufschlüsse in vielenunterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen und wissenschaftlichen Ansätzenauftreten.

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Die Form des GürtelsTrotz der meso- bis känozoischen Ozeanbildung (Öffnung der Bucht von Biskaya), Sedimentationder Deckschichten in grossen Becken (Paris, Aquitaine, Ebro) und Deformationen (Pyrenäen,Alpen, Karpaten), ist es möglich, den prä-permischen, westlichen Teil des variszischenGebirgsgürtels in Europa zu rekonstruieren. Die Rekonstruktion basiert auf den gut bekanntenRelativbewegungen zwischen der iberischen Halbinsel und dem stabilen Europa, sowie auf demZusammenhang der variszischen Strukturen auf beiden Seiten der Bucht von Biskaya. Sieberücksichtigt auch die Strukturausrichtung unter der mesozoischen Deckschicht, die aus Schwere-und magnetischen Messungen bekannt sind.Der Variszische Gürtel ist ein “modernes” Orogen: ein langer Streifen deformierter Kruste, dersogennante Ibero-Armorikanische Bogen, beschreibt einen Bogen von fast 180° Drehung, der inGrösse und Form mit den Alpen verglichen werden kann. Der Bogen ist nicht der einzige moderneAspekt des Orogens. Moderne strukturelle, petrologische, geochemische, geophysikalische undgeochronologische Untersuchungen in den internen Kristallinzonen zeugen von grossräumigerDecken- und Überschiebungstektonik sowie dem Vorhandensein ozeanischer Suturen. Deshalb warbei der Bildung des Bogens sicherlich Plattentektonik beteiligt.

Falten und Überschiebungen sind fächerartig nach aussen gegen die externen Becken gerichtet, miteinem langen, schmalen Mikrokontinent quasi als Rückgrat, welcher zwischen zweiophiolithaltigen Suturen liegt. Der nördliche Kontinent ist bekannt als Laurussia, ein Gebiet, das

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sich über Nord- und Nordosteuropa erstreckt, und der südliche wird Gondwana genannt. Diedazwischen liegenden kontinentalen Fragmente sind Spanien, Bretagne und Nordfrankreich, undTeile Deutschlands bis hin in die Gegend von Prag. Der Mikrokontinent besteht ausspätpräkambrischen Schiefern, dem sogenannten Barrandium, überlagert von einer typischenAbfolge von Quarziten aus dem frühen Ordovizium. Das nördliche Meer, mit dessen Schliessungsich der nördliche Zweig der Varisziden entwickelte, ist als Rheischer Ozean bekannt. Der südlicheZweig besitzt mehrere Namen und wartet noch auf eine ordentliche Taufe. Nennen wir ihn einmalProto-Tethys. Suturen, Überschiebungen und Decken sind besser ausgeprägt auf der konkaven(nördlichen) Seite des Gürtels.

HauptmerkmaleDie geologische Geschichte der verschiedenen Teile des variszischen Gürtels passen nicht gutzusammen. Es gibt zwei Hauptteile: Der westliche variszische Bogen (Bretagne, Zentral Massiv,Iberia) und das zentrale variszische Orogen (böhmischer Massiv, Rhenisches Massiv, Ardennes).Jedoch haben alle einige Gemeinsamkeiten:- Alle Abschnitte weisen grosse liegende Falten und duktile Überschiebungen auf, diehochgradige metamorphe Gesteine bis zu 200 km weit überschoben haben.- Polyphase syntektonische Metamorphose mit früher Hochdruckphase, zwischen 400 und380 Ma (Subduktions bezogen?), und späterer Niederdruckphase mit lokaler Inversion derIsograden (350-330 Ma). Im Allgemeinen ist die metamorphe Geschichte durch abnehmendeDrucke und ansteigende Temperaturen im Lauf der Zeit charakterisiert.- Einige potentielle Suturzonen sind durch Hochdruckmetamorphose (Eclogite, Granulite undBlauschiefer), ophiolitische Fragmente, Mélangen und Mantelgesteine gekennzeichnet- Migration der tektono-metamorphen Ereignisse ausgehend von den internen kristallinenTeilen (400-380 Ma) bis zu den externen Becken (330-300 Ma), sowie durch eine Veränderung desDeformationsstils von den tieferen Einheiten mit duktilen Überschiebungen und liegenden Faltenbis zu den höheren, mit oberflächennahem Decollement, thin-skinned Decken und Falten-und-Überschiebungsgürtel.- Die spät orogene Geschichte zeigt grossräumige Blattverschiebungen über dem ganzenOrogen und post-Krustenverdickung Extension. Weitverbreitete, Aluminium reiche, anatektischeGranite sind meist späteres Stadium.

Eines der klassischen Konzepte, die bei der Untersuchung der Orogene verwendet werden, ist jenes,dass das Auftreten einer Winkeldiskordanz zwischen einer gefalteten tieferen Abfolge und einerverhältnismässig undeformierten darüberliegenden Abfolge auf eine orogene Phase hindeutet, diein diesem Zeitabstand stattgefunden haben muss. Solch ein "Fall" wurde dann durch diebiostratigraphischen Daten dieser Abfolgen eingeklammert. Auf diese Art wurden vor derisotopischen Datierung einige orogene Phasen quer über den europäischen variszischen Gürteldefiniert. Weitere Erkenntnisse über die orogene Geschichte beinhaltete die europaweiteKorrelierung dieser Phasen. Die drei Hauptphasen waren die bretonische Phase, die asturischePhase und die sudetische Phase.- Die bretonische Phase wurde in der Bretagne (Unterkarbon, ca. 345Ma) definiert und ist

verantwortlich für die weitverbreitete Devon-Karbon Diskordanz nach einerbedeutenden Verkürzung in ganz Europa.

- Die sudetische Phase wurde in Polen (Oberkarbon, ca. 325 Ma) definiert. Sie kennzeichnetdie Haupthebungsphase des orogenen Hinterlands.

- Die asturische Phase wurde in (oberstes Karbon, 290-295Ma) Spanien definiert, sie wurdedurch die randlichen Falten- und Überschiebungsgürtel sowie durch weitereDeformation im Inneren verursacht.

Aber bedeutet das Auftreten einer Winkeldiskordanz, dass es orogene Hauptphasen gab, und wasbedeutet das Konzept einer orogenen Phase überhaupt?

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Es gibt mehrere Arten, wie sich Winkeldiskordanzen entwickeln können. Der klassische Modusbeinhaltet eine Deformationsphase, die von Hebung, Erosion und erneuerter Sedimentation gefolgtist. Andererseits können erhebliche Hebung durch Verkippung und Erosion auch währendExtension zu Stande kommen. Es ist wichtig, zwischen diesen zwei Modellen zu unterscheiden, dajedes in einer sehr unterschiedlichen tektonische Schlussfolgerung resultiert. Es ist schwierig, dieNatur einiger Diskordanzen zu definieren und folglich bestehen unterschiedliche Auffassungenüber ihre orogene Deutung. Ein Beispiel ist die sardische Diskordanz in SW-Sardinien. Diesewurde von Stille in den zwanziger Jahren gefunden und benützt, um eine sardische orogenischePhase im Ordovizium zu definieren. Jedoch könnte sie auch eine Phase der Block-Verkippungwährend einer langfristigen Extensionsphase darstellen (Bildung eines Kontinentalrandes).

Zuerst werden wir unterschiedliche Regionen beschreiben. Dann werden die Plattentektonik-Modelle diskutiert, um zu sehen, wie sie im grössten Massstab zusammenpassen können.

Regionale Beschreibungen

Iberische HalbinselDer bogenförmige Umriss des Variszischen Gürtels tritt in Spanien dort auf, wo der Bogen nachOsten enger wird, und das variszische Streichen um 180o umbiegt im Kantabrischen Gebirge.

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Ein Vorlandgebiet ist durch Deckschicht-Tektonik in einem Falten-und-Überschiebungsgürtel ausdem späten Karbon, ohne Metamorphose gekennzeichnet. Die prä-karbonische Abfolge weistcharakteristische Flachwasser-Karbonate und terrigene Plattform Fazies auf. Der wichtigsteAbscherhorizont befindet sich in mittel-Kambrischen Mergelschichten.Das Vorland wird überschoben von einer dicken Abfolge spät-präkambrischer bis silurischerSchiefer. Diese liegen schuppenartig übereinander und sind verformt von grossformatigen, zumVorland hin überkippten Falten. Die Deformation fand statt während niedrig-gradigerMetamorphose im externen Teil, und sie erreichte Disthen Sillimanit Zonen des mittlerenDruckbereichs im internen Teil des Gürtels.Granulit Fazies und eklogithaltige Gesteine sind ganz oben auf dem Stapel als weit transportierteKlippen. Der untere Kontakt der Klippen ist durch Meta-Ophiolite gekennzeichnet. Der Versatzerreicht mehrere Zehner km. Hochdruck Bedingungen sind auf ungefähr 400 Ma datiert.Alle Einheiten sind durchschnitten von späten Granitoid Intrusionen aus dem Karbon. Diejenigenvon ca. 330 Ma stehen im Zusammenhang mit den Niederdruck-Aufwölbungen und denAbscherungs-Systemen. Leukogranite krustaler Herkunft sind um ca. 300 Ma intrudiert. DasStefan liegt diskordant auf dem Orogen.

Bretagne - Ile de GroixDie Insel ist wegen ihrer Blauschiefer-Gesteine bekannt. Sie treten innerhalb des Bogens auf undhaben einige laterale Äquivalente in Spanien und im Süden der Bretagne, der Vendée. Dieglaukophanreichen Schiefer sind im Silur, vor 400 bis 420 Ma rekristallisiert. Sie bildet eine derweit transportierten Klippen im Bogen.

ZentralmassivDie variszischen Strukturen des Zentralmassivs können durch ein Nord-Süd Profil veranschaulichtwerden, das sich vom Mouthoumet Massiv und der südlichen Montagne Noire bis zu dennördlichsten prä-Mesozoischen Aufschlüssen erstreckt. Der Schnitt ist senkrecht zu denhauptsächlich Ost-West verlaufenden Strukturen und zeigt zunehmend tiefere strukturelle Einheitenvon Süden nach Norden. Diese Einheiten werden durch bedeutende, nach Süden verlaufendeÜberschiebungen getrennt; einige davon entsprechen möglichen ozeanischen Suturen.

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VorlandIm südlichen Teil (Mouthoumet, Montagne Noire) ist die tektono-metamorphe Geschichte sowohlstratigraphisch gut erfasst durch eine vollständige fossilhaltige Abfolge vom frühen Kambrium biszum Mittleren Karbon, als auch durch Radiochronologie. Die wichtigsten tektono-metamorphenEreignisse fanden zwischen Mittlerem und Spätem Karbon statt. Die Montagne Noire bildet densüdlichsten Rand des Zentralmassivs und kann in drei Unterzonen gegliedert werden:

a) die südliche Deckenregion, die aus niedrig-gradigen, nicht metamorphen PaläozoischenEinheiten zusammengesetzt ist.

b) die zentrale achsiale Gneiszone (“zone axiale gneissique”), die vorwiegend aus mittel-bis hochgradigen spätpräkambrischen und frühpaläozischen Einheiten besteht.

c) die nördliche Zone mit niedrig-gradigen, spät-präkambrischen bis silurischen Gesteinen.Das Mouthoumet Massiv, welches einen isolierten Paläozoischen Aufschluss zwischen demZentralmassiv und den Pyrenäen bildet, gehört zur südlichen Zone.

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Lithostratigraphische AbfolgeDie ältesten Gesteine kommen in der axialen Gneiszone vor, in einer grossen, gewölbten Antiform,die die folgende Einheiten enthält:1.- Glimmerschiefer und pelitischer Gneis mit einigen Linsen aus Kalk-Silikat Gneisen undAmphiboliten bilden die tiefste strukturelle Einheit, welche heute sichtbar ist; lokal könnenkinzigitische Gneise und Eklogit-Linsen vorkommen. Die Abfolge sollte spät-präkambrisch sein.2.- Die zweite Einheit besteht aus prä-variszischem Feldspat-Augengneis, mit drei Haupttypen:

a) Orthogneis mit alkalischer Zusammensetzung aus dem frühen Paläozoikum (530 Ma),intrudiert in spätpräkambrische Serien mit einigen lokal auftretenden Kontaktaureolen.

b) undatierter kalk-alkalischer Orthogneisc) Augengneise mit grossen Kali-Feldspaten, die in einer dunkeln biotitischen Matrix

schwimmen. Diese Gesteine könnten metasomatischen Ursprungs sein und sich am Rand desvorherigen Orthogneis entwickelt haben.3 - Die Paläozoische autochthone Abfolge ist tektonisch auf weniger als 1000 m ausgedünnt. Sie ist

im mittleren Teil und am Südhang der axialen Zone aufgeschlossen, unter derHauptüberschiebung der südlichen Decken.

Die Paläozoische Abfolge ist fossilhaltig und in den Liegendschenkeln von grossen, nach Südenüberkippten Falten erhalten.Zusammenfassend ist die stratigraphische Geschichte des Vorlands die eines passivenKontinentalrandes, dessen Entwicklung kurz durch epirogene und extensive Bewegungen im spätenKambrium und Silur gestört wurde und im Tournais ganz unterbrochen wurde. Zwischen Visé undStefan fand keine Sedimentation statt, was auf die variszischen Verformungen hinweist. Da dieSedimentgesteine nach Norden zunehmend distale Fazies zeigen (mehr pelitisch, wenigerKarbonate), kann mann davon ausgehen, dass der Ablagerungshang im Paläozoikum gegen Nordentiefer wurde, und dass der offene Ozean, falls es ihn gab, im Norden dieses Gebiets war.

TektonikDie südliche Montagne Noire ist eins der schönsten Beispiele von Faltendecken. Sie sindvergleichbar mit den Helvetischen Decken im Variszikum Europas. Die drei Hauptdecken sind vonOst nach West und von unten nach oben: die Mont de Faugères Decke, die Montpeyroux Decke,die Pardailhan Decke. Je höher eine Decke, desto interner ist sie und desto älter sind die darinvorkommenden Gesteine. Die Decken sind durch grosse inverse Faltenschenkel gekennzeichnet,

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die bis zu 10 km lang sind, und wiederverfaltet sind in breiten von Ost nach West verlaufendenAntiformen und Synformen.

Die nördliche Montagne Noire ist durch eine wichtige mylonitische Abschiebung von der achsialenZone getrennt. Das Gebiet ist geprägt von mehreren von Ost nach West und Nordost nach Südwestverlaufenden Überschiebungen, welche nach Norden oder Nordwesten fallen. KilometergrosseFalten, parallel zu den Überschiebungen, sind nach Süden oder Südwesten überkippt und zeigenBrüche und Schieferung.Es gab zwei Hauptphasen der Deformation und Deckenplatznahme in der achsialen Zone sowie inder südlichen Montagne Noire* Die erste Phase kann auf die Platznahme der Decken bezogen werden. Die Falten hattenursprünglich horizontale Achsenebenen. Sie verlaufen grob von Osten nach Westen mitSüdvergenz.* Die zweite Phase produzierte Falten mit steilen Achsenebenen, die 50 bis 80 Grad von Nordstreichen und die F1 Struktur verfalten. Sie brachte auch den Gneisdom der achsialen Zone hervor,die breiten Anti- und Synformen, welche den Deckenstapel im Süden verfalten, und grosseaufrechte Falten in der nördlichen Montagne Noire.Die zweite Verformungsphase fand vor der Ablagerung von spätem Karbon in dem kleinen,intramontanen Becken von Graissesac statt.

Metamorphose:Im Deckenstapel ist der Metamorphosegrad epizonal und gleich alt wie die hauptsächlicheSchieferung. Verformungsbedingungen, Temperaturen von 250-350 Grad, Druck von 1200 bar bis2000 bar. Der Metamorphosegrad nimmt nach unten zu mit Biotit und Granat in den autochthonenDevon und Karbon Schichten. Die Isograden gruppieren sich um die achsiale Zone, welcheAmphibolit- bis Hornblende-Granulit fazielle Gesteine enthält. Die Biotit, Granat, Staurolith,Sillimanit Isograden werden inerhalb einer Strecke von nur 2 km gekreuzt. Die Metamorphose istunterschiedlich mit einem anfänglichen Stadium von Mittel- bis Hochdruck Eklogiten und einemspäteren Stadium von Niederdruckgesteinen mit Cordierit, Andalusit, Sillimanit.

Mittlere Überschiebungs- und Faltengebiete : Albigeois - Lévezou - CévennesDas Gebiet mit flachliegenden monotonen Schiefern, Glimmerschiefern und Gneis ist wenigerbekannt als die Montagne Noire, wegen der seltener vorhandenen Fossilien. Es zeigt eine komplexestrukturelle und metamorphe Entwicklung.

Lithologische Abfolge :Drei hauptsächliche lithologische Einheiten sind durch markante Überschiebungen getrennt. Dieobere Einheit besteht aus einer monotonen quarzopelitischen Serie mehr als 4000 m mächtig, inwelcher früh-ordovizische Mikrofossilien gefunden wurden. Im Albigeois Gebiet setzt sich deruntere Teil aus grünem Sandstein, Grauwacken und Peliten mit sauren Vulkaniten zusammen.Darüber liegen dunkelbläuliche Schiefer mit Zwischenlagen von Basalten und Rhyodaziten,durchschlagen von Gabbro und Dolerit-Gängen. Die Schiefer sind tektonisch bedeckt von stärkermetamorphen, wahrscheinlich spät-präkambrischen Glimmerschiefern, weil sie durchzogen sindvon 540 Ma alten Quarz-Metadioriten. Die Gesamt-Geschichte ist eine schistose Abfolge,

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abgelagert im Paläozoikum in einer tief-marinen Umgebung. Die alten Intrusionen deuten aufDehnung während der Entwicklung des Kontinentalrandes hin.

TektonikDie Mittlere Zone wird von zwei Hauptüberschiebungen begrenzt:a) die nördliche Dach-Überschiebung entspricht der Basis der leptyno-amphibolitischenGruppe, mit einem Versatz von 100 bis 150 km.b) die südliche Basis-Überschiebung ist der Kontakt der quarz-pelitischen Serie des Albigeoismit dem darunterliegenden frühen Paläozoikum der nördlichen Montagne Noire.Wie in der Montagne Noire gibt es zwei Hauptdeformationsphasen. Die erste Phase verursachte dieallgemeine schicht-parallele Schieferung. Bevorzugte Orientierungen von Quarz Achsen zeigen,dass die Streckungslineation mit einer intensiven Abscherung nach Süden zusammenhängt. Diezweite Phase produzierte aufrechte mesosokopische Knickfalten mit lokaler Runzel-Schieferungund grossen Syn- und Antiformen (Dom und Becken Strukturen).Die Gesamtinterpretation ist eine polyphase, schuppenartig übereinanderliegende Zone, derenDeformationsstil, obschon metamorph, vergleichbar ist mit dem des Vorlands.

Metamorphose:Der Metamorphosegrad ist unterschiedlich von Grünschiefer- bis zu Amphibolit Fazies. DieMetamorphose ist intermediär, und die Isograden, parallel zur Foliation, scheinen umgekehrtworden zu sein von niedriggradigen, fossilhaltigen Schiefern im Süden bis hinauf zu den Disthen-Glimmerschiefern unterhalb der Dachüberschiebung. Feinkörnige Biotit-Sillimanit- Paragneise intektonischen Fenstern entsprechen den am tiefsten begrabenen Teilen der Abfolge.Die metamorphe Inversion ist wahrscheinlich original und gleichzeitig mit der Hauptüberschiebungder leptino-Amphibolite. Diese intermediäre Metamorphose ist auf ca. 350 Ma datiert.

Allochthone, Meta-Ophiolithaltige EinheitenDer nördliche Teil des Französischen Zentralmassivs stellt die tiefsten strukturellen Ebenen diesesvariszischen Abschnitts dar. Seine untere Grenze ist die Hauptüberschiebung mit Granulit-faziellenGesteinen; Blauschiefer und Eklogite sind über die intermediären Schiefer geschoben.

Lithostratigraphische AbfolgeDie lithostratigraphische Abfolge ist unterteilt in den unteren, stark metamorphen Teil, und die

obere, niedriggradige oder nicht metamorphe Devon-Karbon Deckschicht.Die hochgradigen Gesteine bilden eine Leptinit-Amphibolit Einheit. Die meisten Amphibolite

weisen komplexe Korona-Reaktionen auf, die von der retrograden Metamorphose von Eklogitenund granulitischen Pyrigarniten herrühren. Saure und mafische Granulite sowie Skarne werden inder Matrix von feinkörnigen pelitischen und von Feldspat-Gneisen gefunden. Es gibt auch Marmor-Linsen. Die basischen Gesteine sind MORB-Basalte, die wahrscheinlich den Krustenteil derozeanischen Lithosphäre repräsentieren, deren Mantelteil sichtbar ist in den Meta-Harzburgiten, diein der Leptinit-Amphibolit-Einheit vorkommen.

Die wenigen Isotopen-Daten der Leptinit-Amphibolite ergeben paläozoisches Alter. Eineklogitischer Gabbro und ein Ortholeptinit zeigen Uran-Blei (U-Pb) Alter von 480 Ma. Eingranulitischer Orthogneis gibt eine Gesamt Rb-Sr Isochrone von 467 Ma. Diese Alter würden mitder Platznahme dieser magmatischen Gesteine übereinstimmen.

Dicke Anatexite, mehr als 2000 m mächtig, werden in grossen Synformen gefunden, oberhalbder Leptinit-Amphibolit-Einheit. Sie bestehen aus teilweise geschmolzenen massiven Paragneisenmit grossen Cordieriten. Linsen aus hochgradigen Granuliten Eklogite und Granat-Peridotite sinderhalten, mit Übergängen zwischen sauren Granuliten und den anatektischen Gneisen. DieseBeobachtungen und reliktische hochdruckmetamorphe Mineralien lassen darauf schliessen, dass dieanatektischen Gneise Produkte von Granulit-Schmelze sind.

Eine epizonale bis unmetamorphe Devon-Karbon Deckschicht ist eine dicke vulkanoklastischeAbfolge reich an Keratophyren und Spiliten (manchmal Kissenlaven) und örtlich Gabbros, Noriten,

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und Serpentiniten. Fossilien des Spätdevon bis Frühvisé wurden im unteren Teil gefunden, derdiskordant über den Anatexiten liegt, welche 502 Ma alte Orthogneise enthalten. Die Abfolge erlitteinige Verformung (Schieferung) und Metamorphose (bis Amphibolit Fazies) vor der Ablagerungder diskordanten, nicht metamorphen und wenig verformten oberen Einheit, die aus Tonschiefer,Sandsteinen, Konglomeraten mit dünnen Anthraziten und spätviséischer Flora besteht.

TektonikDie Gesamt-Deformation ist mehrphasig. Sie steht im Zusammenhang mit der Überschiebung

dieser Einheiten auf die anderen. Die Unterschiebung der niedriggradigen Schiefer unter dieGranulit-Fazies Gesteine erzeugte sehr wahrscheinlich genügend Wasser, um Eklogite undGranulite retrograd in Amphibolit-Fazies umzuwandeln. Die Gesamtkinematik, ermittelt anhandvon Lineationen in den Myloniten, ist südwärts gerichtet.

Das älteste Deformationsereignis ist in granulitischen Boudins erhalten, in Form vongespenstischen isoklinalen Falten, die älter sind als eine statische Rekristallisation unter denGranulit-faziellen Bedingungen. Diese Falten könnten gleichzeitig mit der Granulit Migmatisierungentstanden sein. Die Hauptphase führt zu der weitverbreiteten metamorphen Foliation, die Gesteinebis zum späten Devon prägt. Isoklinale Falten entwickelten sich in allen Grössen und habenmeistens Südvergenz.

Südwest-vergente Chevron Falten und aufrechte Falten unterschiedlicher Orientierung imKilometer Massstab führten zu Dom- und Beckenstrukturen.

MetamorphoseDie Hauptdeformation erfolgte gleichzeitig mit der weitverbreiteten Amphibolitisierung(Hydratation und retrograde Metamorphose) von Graniten und Eklogiten, während der regionalenBarrow Metamorphose. Weil wir alte Granulit Fazies in den überschobenen Gesteinen haben,könnte die inverse Zonierung in den unteren Einheiten die Folge eines “Bügeleisen-Effekts” sein,so wie im Himalaja, wo die Hitze der bereits metamorphosierten Gesteine zu dendaruntergeschobenen Sedimenten transferiert wird.

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Uran-Blei Messungen an hochgradigen Gesteinen ergaben obere Werte von 415 Ma und 410 Ma.Diese Alter stehen für die Hochdruckmetamorphose. Barrow-Typ Metamorphose fand vor derAblagerung spätdevonischer bis frühviséischer Sedimente statt, das heisst vor 340 Ma. Rb-SrGesamtgesteins-Isochronen für den Orthogneis ergeben Alter von ca. 360 Ma, die als Höhepunktder Anatexis angesehen werden.

GranitoideGranitoide wurden lange Zeit als charakteristisches Merkmal der Varisziden angesehen. Ein Blickauf jede geologische Karte zeigt, wie verbreitet sie zum Beispiel im Vergleich mit den Alpen sind.Drei Hauptarten von Granitoiden werden anhand chemischer Zusammensetzung und Alterunterschieden:a) erstens Gebänderte Augengneise, meistens monzogranitischer Zusammensetzung. Siewerden entweder als prä-variszische Granitoide betrachtet, als Reste der Bildung des passivenKontinentalrandes, oder als syntektonische Intrusionen. Schwierige Geochronologie führt zu keinerbefriedigenden Antwort.b) zweitens späte Granitoide durchschneiden die Hauptüberschiebung und damitzusammenhängende Strukturen. Sie haben ein Alter von circa 330 Ma und hängen mit derMetamorphose und der Anatexis zusammen. Es sind meistens kalkalkalische Plutone, die mitignimbritischem Vulkanismus im Visé in Zusammenhang stehen.c) drittens gibt es Jüngere Granitoide, die um 300 Ma intrudierten.

AbscherungssystemeIm südlichen Teil des Querschnitts zeigten sedimentologische und strukturelle Untersuchungen desSaint-Affrique Beckens, dass die Asymmetrie der Beckenfüllung und das Südfallen der Schichtendurch eine antithetische Flexur verursacht wurden. Das Becken ist im Süden durch einen steilen,nach Nord fallenden Abscherhorizont begrenzt, der vermutlich nach unten flacher wird im spröd-duktilen Übergangsbereich. Daraus resultiert eine listrische Geometrie im Krusten-Massstab. Heuteflach liegende Abschiebungen, die mit dem Extensionssystem in Zusammenhang stehen, sind diereaktivierten alten Überschiebungen mit Schersinn nach Norden.

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Gneise und Migmatite in der Kristallin-Achse wurden durch roll-under Faltung des Liegendenangehoben, was im Einklang steht mit frühkarbonischer Metamorphose und Verformung. Dasstefanische Graissesac Becken wurde in der Scherungszone, nördlich der aufsteigenden Gneise undMigmatite abgelagert. Die durchschnittliche Breite abgetragener duktiler Kruste, parallel zurDehnungsrichtung, beträgt circa 20 km. Dieses Ereignis nach der Verdickung streckte die Krustealso um fast 100%.

Die VogesenDie Vogesen bestehen aus drei wichtigen lithologisch-tektonischen Einheiten:- (1) Eine nördliche Einheit, die aus kambrisch-ordovizischen Schiefern und oberdevonischenbis unterkarbonischen, schwachmetamorphen Gesteinsserien eines aktiven Kontinentalrandesbesteht. Sie wurde etwa zwischen 335 und 330 Ma von kalkalkalischen Magmen (Dioriten bisGraniten) intrudiert.- (2) Eine zentrale Zone aus Granuliten und Migmatiten, die ebenfalls von grossenGranitkörpern intrudiert wurde.- (3) Einen südlichen Bereich, der von einem oberdevonischen bis unterkarbonischen Beckenmit vulkanischer Aktivität zwischen 345 und 340 Ma eingenommen wird. Grosse Massen vongranitoiden Gesteinen intrudierten vor 342 bis 339 Ma in diese Beckensedimente. Die Zonen 2 und3 rechnet man zum Moldanubikum s.l., währenddessen Zone 1, die von den übrigen durch einemächtige strike-slip Scherzone abgetrennt ist, dem Saxothuringikum zugerechnet wird.

Die südlichen VogesenIn den südlichen Vogesen liegt ein gut erhaltenes, unterkarbonisches Sedimentbecken, das alsExtensionsbecken interpretiert wird, welches sich in einer Spätphase der Orogenese, beiandauernder Konvergenz, gebildet hat. Es grenzt an die Intrusionen der Ballons- und Crêtes-Granite einerseits, an die post-karbonische sedimentäre Überdeckung und an den mit tertiärenSedimenten gefüllten Rheingraben andererseits. Das Becken wird in einen südlichen (proximalen)und einen nördlichen (distalen) Bereich unterteilt. Letzterer wird Markstein-Formation genannt.Beide Beckenteile sind leicht deformiert (schwach ausgeprägte, offene Falten und lokaleÜberschiebungen), entweder wegen regionaler Tektonik vor den Granitintrusionen oder durch dieIntrusionstektonik der Granite.Detailierte Kartierung und paläontologische Studien führten zu einer lithostratigraphischenUnterteilung der Beckensedimente in ältere (prä- Obervisé) und jüngere (Obervisé) Serien. Eswurde aber ebenfalls behauptet, dass die meisten gefundenen Faunen-Assoziationen

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wiederaufbereitet und von Tournais- bis Obervisé-Alter sind. Schneider (1990) schlug einegrundlegend neue stratigraphische Unterteilung vor, die auf der Ablagerungsfazies derepiklastischen Sedimente und auf der zeitlichen Entwicklung des Vulkanismus beruhte.

Südlicher BeckenteilDrei verschiedene Sedimenteinheiten können in diesem südlichen Beckenteil unterschiedenwerden:

- (1) Eine untere Einheit (biostratigraphisches Alter Oberdevon - Basis Obervisé): Sie bestehtaus Turbiditen, die mit einem bimodalen Vulkanismus assoziiert sind (Basalte und hoch-KRhyolithe). Die Basalte wurden verschiedentlich als Ozeanbogen- oder kontinentale Tholeiiteinterpretiert.

- (2) Eine mittlere Einheit (Basis des Obervisé) ist durch marine und meist turbiditischeSedimente und einem andesitischen Vulkanismus charakterisiert. Die geochemischeZusammensetzung des Vulkanismus hat also deutlich geändert.

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- (3) Eine obere Einheit (oberes Obervisé) wird durch eine vulkanische Assoziation aufgebaut,die sich von Trachyandesiten zu saureren Gliedern (latitische Rhyolithe, Rhyodacite und Rhyolithe)entwickelte. Alle vulkanischen Gesteine zeichnen sich durch auffallend hohe Kalium-Gehalte aus.Die Sedimentationsbedingungen entwickelten sich von marin zu kontinental und es wurden vorallem vulkanische Gesteine erodiert und resedimentiert.Mittlere und obere Einheit sollen sich gemäss der biostratigraphischen Evidenzen im Obervisé(340-325 Ma) gebildet haben. Die drei Einheiten wurden zuletzt von Trachyten intrudiert.

Nördlicher Beckenteil (Markstein-Formation)Diese bis zu 4 km mächtige marine Formation bildet den nördlichen Teil des Südvogesenbeckensund besteht aus einer turbiditischen Abfolge von Grauwacken und Tonen/Siltstones. Diegeschütteten groben Komponenten sind sowohl magmatischer, metamorpher, wie auchunmetamorph-sedimentärer Natur.Der Vulkanismus des südlichen Teils des Beckens widerspiegelt Tuffe und wiederaufgearbeitetevulkanische Komponenten in klastischen Sedimenten des nördlichen Bereichs. Die Verteilung dersedimentären Fazies der Turbidite und sedimentäre Strukturen lassen darauf schliessen, dass dieSedimente von Süden her geschüttet wurden. Das Herkunftsgebiet lag im Süden oder Südwestendes Markstein-Gebietes; die Transportdistanzen waren kurz. Die Markstein-Formation repräsentiertdas nördliche Äquivalent der im Süden aufgeschlossenen Sedimentschichten. Es kann angenommenwerden, dass sie im distalen Bereich eines Deltas abgelagert worden ist. Die Sedimentation erfolgtezwischen dem Famenne (spätes Devon, ca. 365 Ma) und dem Obervisé (340-325 Ma).Die beiden Beckenteile werden durch eine Grenzschicht an der Basis der Markstein-Formationgetrennt, welche Linsen von hochmetamorphen Gneisen, Serpentiniten und mafischen Gesteinenenthält, die sogenannte “Ligne des Klippes”. Sie wird heute als Olistostrom gedeutet, das sich vordem späten Devon gebildet haben soll, weil es von Tonschiefern mit Famenne-Altern (rote undgrüne Treh-Schiefer) überlagert wird. Gegen das Hangende zu entwickeln sich die Gesteine zuturbiditischen Serien mit alternierenden Konglomeraten, Sandsteinen und Tonen. Die gleicheGrenzschicht wurde auch als Abfolge von tektonischen Linsen (den “Klippen”) interpretiert,welche eine südvergente Überschiebung markieren sollen. Es besteht unter Fachleuten keinKonsens, ob jetzt die “Ligne des Klippes” einen tektonischen oder einen stratigraphischen Kontaktzwischen den beiden Beckenteilen darstellt.

Die zentralen VogesenDer zentrale Teil der Vogesen enthält hochgradige Gneise, Granulite und Migmatite, die vonzahlreichen Granitkörpern intrudiert worden sind (Granodiorite, anatektische Granite und späteLeukogranite). Die zentrale Zone ist vom Nordvogesen-Becken durch eine mächtige Scherzonegetrennt (Lalaye-Lubine-Scherzone, LLSZ), die als alte Kollisionszone interpretiert wird, welchewährend der spätorogenen Tektonik reaktiviert worden ist. Die LLSZ brachte sehr niedriggradigeSedimente des nördlichen Beckens in Kontakt zu hochgradigen Gesteinen der zentralen Zone. Diesüdliche Grenze der zentralen Zone wurde von Graniten intrudiert und ist nicht mehr erkennbar.Zwei verschiedene Einheiten werden innerhalb der zentralen Zone unterschieden:

Zone von Sainte-Marie-aux-Mines (SMM):Diese Einheit besteht vor allem aus mafischen bis sauren Granuliten, die sich bei relativ niedrigenDrucken (ca. 10kbar) aus einer Vielfalt von Ausgangsgesteinen gebildet haben (saure Plutonite,Metapelite, Kalksilkatgesteine). Sie erlebten eine retrograde Überprägung in derAmphibolitfazies.Die retrograde Entwicklung der Granulite zeigt eine Abnahme von Druck und Temperatur. Zuerstbildet sich eine Sillimanit-führende Paragenese, die von Cordierit abgelöst wird. Das Alter dergranulitfaziellen Metamorphose wurde mit der U-Pb-Methode und Zirkon auf 335 ± 2 Mabestimmt. Sie ist damit jünger als die Intrusion der Granite im südlichen Teil der Vogesen. DieZone von SMM wird als Anteil der orogenen Wurzel interpretiert, die während einer Phase von

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Transpression - nach Beckenbildung und Magmatismus im Süden - vor 335 Ma sehr rasch in dieobere Kruste exhumiert worden ist.

Kaysersberg- und Trois-Epis-EinheitenVerschiedene Typen von Cordierit-führenden und amphibolitfaziellen Gesteinseinheiten treten imsüdlichen Teil der Zone von SMM auf, in der Nähe der Dörfer Kaysersberg und Trois-Epis. DieKaysersberg-Einheit ist ein relativ homogener anatektischer Granit bis Granodiorit mit vielenSchollen. Schollen-freie oder -arme Bereiche mit Cordierit und bis zu 5 cm langen Kalifeldspat-Einsprenglingen sind nur sehr schwer von anderen Graniten der Umgebung zu unterscheiden. DerKaysersberg-Granit wird als partielle Schmelze eines fertilen, metasedimentären undgranulitfaziellen Protoliths vom Typ eines Kinzigits interpretiert. Die Schmelze entstand beiBedingungen von 3-5 kbar und 630-720°C und intrudierte in darüberliegende Gesteinseinheiten.Die Trois-Epis-Einheit liegt über dem Kaysersberg-Granit und wurde als granulitfazielle Einheitinterpretiert, welche auf niedriggradige oder nichtmetamorphe Einheiten überschoben worden ist.Feldbeobachtungen weisen darauf hin, dass keine scharfe Grenze zwischen diesen beiden Einheitenbesteht, sondern dass Lagen oder Mega-Boudins von Trois-Epis Material in einer Matrix vonKaysersberg-Granit schwimmen. Man interpretiert daher heute die Trois-Epis-Einheit als Lagenfrüherer Leptynite, die vollständig rekristallisierten, jedoch nicht aufgeschmolzen werden konnten,weil zu wenig wasserhaltige Mineralphasen vorhanden waren. Die Lagen von Trois-Epis Materialwurden dann von Kaysersberg-Magmen intrudiert.Beide Einheiten, Kaysersberg und Trois-Epis, wurden bis anhin als Niedrigdruck-Migmatiteinterpretiert, die einerseits aus metasedimentären (Devon-Karbon; Kaysersberg), andererseits ausmetamorphen Protolithen (Kinzigite; Trois-Epis) aufgeschmolzen wurden. Die Aufschmelzung,resp. Rekristallisation, wurde mit U-Pb Ionensonden-Altern auf 328 ± 3 Ma datiert. Während dieserEreignisse wurden die Zirkone komplett verjüngt, währenddessen das U-Pb-System der Monaziteunbehelligt blieb und uns heute immer noch einen Alterswert von 335 Ma liefert.

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Der variszische Magmatismus in den VogesenDie Vogesen sind ein charakteristischer und repräsentativer Abschnitt des variszischen Gebirges,denn sie zeigen eindrücklich die Aufheizung des Orogens in seiner Schlussphase. Im Moment, dasich die Konvergenz der kollidierenden Platten langsam in Scherbewegungen und lokale Extensionaufzulösen begann, wurde unter dem variszischen Orogen eine Art “Fussbodenheizung” angeknipstund es bildeten sich riesige Volumina von granitischen Schmelzen, heute als Migmatite und Graniteerkennbar.In den Vogesen sind grosse Anteile der Kruste ersetzt (Granite) oder rezykliert (Migmatite)worden. Unter den Südvogesen-Graniten gibt es Diorite und Monzonite, die mit U-PbAltersbestimmungen an Zirkon und Titanit in einem Zeitraum zwischen 342 ± 1 und 339.5 ± 2.5Mio. Jahren datiert sind. Sie sind gleich alt wie Vulkanite, die sich am Schluss der Absenkung desSüdvogesen-Beckens als Ignimbritdecken über das ganze Becken ergossen haben.

Entstehung der Magmen:Die K-Mg-betonten Granite des Variszikums sind typisch für die Aufschmelzung von geochemischangereichertem lithosphärischen Mantel und alter Unterkruste. Diese Aufschmelzung geschah ineinem Moment, als sich die variszische Gebirgswurzel von der Unterkruste zu lösen begann, weilsie durch den Verlust von partiellen Schmelzen immer schwerer geworden war. Die restlicheLithosphäre wurde dadurch leichter, begann sich zu heben und es bildeten sichDekompressionsschmelzen in Mantel und Kruste, die sich untereinander mischten.

Die Nord -/ Zentraleuropäischen Varisziden.Die drei Hauptzonen in Deutschland sind von Süden nach Norden: Die moldanubische Zone, diesaxothuringische Zone und die rhenoherzynische Zone.

Die rhenoherzynische ZoneDie rhenoherzynische Zone ist die externe Zone des variszischen Gürtels Europas und erstreckt sichvon Polen durch Deutschland (rheinisches Schiefergebirge und Harz), Belgien, NE-Frankreich biszu den britischen Inseln. Sie wird (vorsichtig) mit der externen Zone der iberischen Halbinselgleichgestellt. Das Grundgebirge besteht aus kadomischem Präkambrium, aufgeschlossen imLondon-Brabanter Massiv und im kontinentalen Europa (Ostavalonia?) aber nicht in Irland.Jungpaläozoische sedimentäre Abfolgen wurden grünschieferfaziell gefaltet, geschiefert undüberschoben. Die Transportrichtung ist im Allgemeinen nach Norden, und die Deformationwanderte mit Zeit nordwärts. Ihr Nordrand ändert seinen Charakter im Streichen: In NE-Frankreichist er eine frontale Hauptüberschiebung, die „Faille du Midi“ genannt wird. Diese Überschiebungwird offenbar auf tiefenseismischen Profilen gesehen. In Norddeutschland geht sie in einVorlandbecken über, wie man auf tiefen seismischen Profilen erkennen kann. Ähnliche Situationentreten auf den britischen Inseln auf. Es gibt ein Vorlandbecken mit Kohle im Norden vonDeutschland, in Belgien, in Frankreich und in Wales, nicht aber in Irland, stattdessen wieder in denAppalachen.Die devonische Sedimentation reflektiert einen klastischen Zufluss vom Norden (ORS Kontinent,für Old Red Sandstone) in einem marinen Schelf, der in hemipelagische Sedimentation vonTurbiditen, Tonen und Karbonaten überging. Seit dem Frasnian schüttete eine südliche QuelleFlysch-Turbidite in das Becken (Mitteldeutesche Kristallinschwelle). Die Flysch-Front rückte mitder Zeit nordwärts, was den Fortschritt der variszischen tektonischen Front reflektiert.Das Rheinoherzynikum wurde im Namur-Westphal zu einem Vorlandbecken mit einem Zuflussvon Sedimenten, der die Subsidenz bei weitem überstieg, sodass Kohlelagerstätten gebildetwurdem (Ruhr-Kohlenreviere).

Die westliche Fortsetzung von Moldanubikum und Saxothuringikum beruht auf geophysikalischenInformationen. Im Südosten bilden sie die böhmische Masse.

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Böhmische MasseIn der böhmischen Masse wurden Granulit-fazielle und eklogitische Einheiten über ein riesigesGebiet von Anatexiten und Graniten geschoben, das sogenannte Moldanubikum.

Der untere Teil setzt sich zusammen aus Para- und Orthogneisen, welche im frühen Devonmetamorph wurden. Charakteristisch ist hier die inverse tektonische Überlagerung metamorpherZonen. Das Überschiebungsereignis in Richtung Vorland ging einer weitverbreiteten Niedrigdruck-Metamorphose voraus, die das Moldanubikum sensu stricto prägte.Die mittlere Einheit beinhaltet anatektische Gneise mit Granuliten, Serpentiniten und anderenmafischen Gesteinen. Eine südgerichtete Transportrichtung lässt sich anhand der Vergenz vonStrukturen und dem Streichen von Lineationen ableiten.Die obere Einheit, die Basis des Barrandium, enthält spätproterozoische Schiefer, überlagert vonkambrischen bis mitteldevonischen marinen Sedimenten. Sie wurden miteinbezogen in mehr oderweniger offene, süd-gerichtete Falten während niedriggradiger Metamorphose. Das heisst, dass dieRegion nur wenig erodiert wurde, weil sie kaum verdickt worden war. Wie dem auch sei, scheintdiese Einheit nach Süden über das Moldanubikum geschoben worden zu sein.Granitoide erscheinen meistens in der 340-330 Ma alten Abfolge. Spätkarbonische Becken zeigen,dass auch hier späte Extension stattgefunden hat.

Plattentektonik ModelleViele plattentektonische Modelle sind vorgeschlagen worden, seit sich durch das Aufkommen derPlattentektonik ein Bewusstsein für das Orogen entwickelt hat.Es gibt zwei ausgedehnte Regionen des europäischen variszischen Gürtels, die separat beschriebenwerden müssen. Diese sind der zentrale und der nördliche Gürtel, der das zentrale Europa zu den

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britischen Inseln verlängert mit einbezieht, und der westliche Gürtel, der die Hauptinliers vonFrankreich (Bretagne und Zentrale Massiv) und die iberischen Halbinsel miteinschliesst.

Der Variszische Bogen Westeuropas hat folgende Eigenschaften:- Fächerartige Konfiguration des Orogens mit Falten und Überschiebungen in Richtung derexternen Devono-Karbonischen Becken.- Überschiebungen und Deckentektonik sind besser entwickelt auf der konkaven Seite des Orogens,mit grossen Überschiebungen, mit einem Versatz bis zu 200 km, sowie Fliess-Falten wie imHelvetikum.- Polyphase variszische Metamorphose im zentralen Kristallin-Teil des Orogens, nahe dervermutlichen Hauptsuturzone, mit einem frühen Hochdruck Stadium um 400 Ma, gefolgt vonMittel- bis Niedrigdruck Stadien zwischen 370 und 330 Ma.- Abnehmende Alter, beziehungsweise Migration, der tektono-metamorphen Ereignisse von deninternen Kristallin Teilen (380-400 Ma) gegen die externen Becken (330-300 Ma) mitgleichzeitiger Änderung des Deformationsstils von den tieferen Einheiten mit duktilen

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Überschiebungen und überkippten Falten zu den höheren mit oberflächennahem decollement undthin-skinned Tektonik.- Bildung zweier Haupttypen von granitischen Magmen, während und nach dem tektono-metamorphen Höhepunkt :

• Aluminiumreiche Intrusionen, meistens Leukogranite und untergeordnet Monzogranite undDiorite, hängen mehr oder weniger mit der Metamorphose zusammen. Sie entstanden durchwasserreiche Anatexis paläozoischer und präkambrischer Sedimente in der Mittleren Kruste.Diese Granitoide weisen ein hohes anfängliches Sr-Isotopen Verhältnis auf (0,710 bis 0,720).Ihre Platznahme war von 360 bis 310 Ma.

• Kalkalkalische Granodiorite mit niedrigem anfänglichem Sr Verhältnis entstanden durchSchmelzen der Unteren Kruste. Einige dieser Granitoide nahmen schon früh Platz (330-340Ma) aber die meisten sind später (300-280 Ma) in bezug auf das haupttektono-metamorpheEreignis. Der wahrscheinlichste Mechanismus dieses post-kollisions Magmatismus ist dieKrusten-verdickung, die zum Schmelzen der unteren kontinentalen Kruste führte.

ZusammenfassungAlle diese Eigenschaften sind typisch für Kollisionsgebirge.Es gibt zwei Hauptplatten: Laurentia im Norden (mit eben angeschweissten kaledonischenTerranen entlang seines südlichen Randes) und Gondwana im Süden (hauptsächlich Afrika)konvergieren, mit einigen Mikroplatten dazwischen.Die Hauptüberschiebungen mit mafischen bis ultramafischen Gesteinen und Hochdruck-Metamorphose sind auf eine Suturzone geschoben. Die Sutur erstreckt sich bis westlich vonGalizien und vielleicht bis in die Badajoz-Cordoba Scherzone als die Wurzelzone derwestgalizischen Ophiolitdecken. Sie entspricht wahrscheinlich einem früh-paläozoischen Meer odereinem Randbecken, da die meisten mafischen Gesteine, die seltene Erden-element-Verteilung vonozeanischen Tholeiiten oder kalkalkalischen Gesteinen aufweisen, mit Altern von 550 bis 480 Ma.Die variszischen Ereignisse können erklärt werden durch eine logische Abfolge, einschliesslichdem Verschwinden des Ozeans, durch :* Schliessung eines früh-Paleozoischen Ozean während dem späten Ordovizikum und Silur durchintraozeanischen Subduktion nach Nordwesten (synthetisch mit dem grossenÜberschiebungssystem), die zu Obduktion im Silur und frühen Devon führte.* Kollision während dem mittleren bis späten Devon und progressive Unterschiebung einessüdlichen Vorsprungs von Gondwana unter einen nördlichen Kontinent während des frühen bismittleren Karbons. Der Nachweis von Resten ozeanischer Lithosphäre wurde mit geochemischenUntersuchungen erbracht.* Der kontinentalen Verdickung folgte Extension, als Übergang zur Öffnung der Tethys.

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