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Computerspiel und ldentität Katharina Stephenson Der Weg zum überwältigenden Sieg ie Adoleszenz ist jene Ent- wicklungsphase im mensch- lichen Leben, die am stärks- ten von der Suche nach Identität geprägt ist. Es gilt sich aus der Po- sition des Kindes seiner Eltern hin zu einem eigenständigen Indivi- duum mit besonderen Fähigkeiten, Zielen und Möglichkeiten zu ent- wickeln. Der Weg ist ein mitunter harter und auch schmerzlicher. ,,Die psychische Arbeit, die dabei jeweils geleistet werden muss, besteht zu- nächst in Abschied und Trauer, des Weiteren in der Fähigkeit, Be- stehendes in Frage zu stellen und die damit verbundenen Angste und Schuldgefühle auszuhalten und schließlich darin, aus den vorhan- denen Ressourcen Vergangenes und Gegenwärtiges zu einem neuen Le- bensentwurf zu verknüpfen" (King 2009, S. 135). Um diesen schwie- rigen Job zu meistern, ist es not- wendig sich Rahmenbedingungen zu schaffen, die iene Prozesse be- günstigen. Und genau das tun Ju- gendliche. Sie sind unglaublich,,[...J erflnderisch, eine Umwelt zu schaf- fen oder zu suchen, die andersar- tige Lösungen als die der infantilen Entwicklungsphase glich macht" (Bohleber 1996, S. 16). Sie erschaf- fen sich Lebenswelten, die eine Ab- grenzung von der Herkunftsfamilie ermöglichen, sie suchen sich Inter- aktionsparterlnnen, mit denen sie - oft in einer Art geschütztem Raum oder wie Gee in Anlehnung an Erik- son sagt: ,,in einem psychosozialen Moratorium" (Gee 2008) - reife In- teraktion erproben können. Com puterspi el e - wa ru m? Die oft ablehnende und teilweise wenig differenzierte Haltung vieler Erwachsener gegenüber Computer- spielen macht Spielwelten zu geeig- neten Orten die Erwachsenenwelt in Frage zu stellen und sich deutlich von ihr abztgrenzen. Aber warum gerade Computerspiele? Auch ei- nige Orte der sogenannten Realität, wie z. B. Schule, sind den Jugendli- chen vorbehalten und schließen die Eltern weitgehend aus. Warum in andere Realitäten entfliehen, wenn es doch scheinbar um so vieles ver- nünftiger wäre, sich intensiv in die schulische Realität zu vertiefen? Weil Schule oder auch Arbeitswelt - leider - nicht das bieten, wozu Computerspiele imstande sind. Drei Milliarden (!) Stunden pro Woche verbringen Spielende weltweit in verschiedenen digitalen Spielwelten - Tendenz steigend. Den Grund da- für sieht die amerikanische Compu- terspielforscherin Jane McGonigal darin, dass das Eintauchen in ein solches Spiel intrinsische Motiva- tion in höchstem Ausmaß aktiviert. Der Weg zum überwältigenden Sieg - dem epic win - erfordert harte Ar- beit, Durchhaltevermögen, Diszip- lin und höchste Konzentration - ,,it's the risk of crashing, burning, or ha- ving our brains sucked out that ma- kes us feel more alive" (McGonigal 2011, S. 30). Und diese Anstren- gung wird freiwillig aufgesucht. Sie ist genau auf das gegenwärtige Leis- tungsvermö gen der/des Spielenden abgestimmt. Erbrachte Leistung bringt unmittelbares Feedback und gleichzeitig bewirkt sie auch, dass sich die künftigen Anforderungen jeweils an das gezeigte Leistungs- vermögen anpassen. Diese Arbeit wird gemeinsam im Team von com- I $ t_^

Der Weg zum überwältigenden Sieg

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Können Computerspiele für junge Menschen in der Adoleszenz identitätsstiftend sein? Katharina Stephenson 2011 in: Sozialpädagogische Impulse 2/2011

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Page 1: Der Weg zum überwältigenden Sieg

Computerspiel und ldentität

Katharina Stephenson

Der Weg zumüberwältigenden Sieg

ie Adoleszenz ist jene Ent-wicklungsphase im mensch-lichen Leben, die am stärks-

ten von der Suche nach Identitätgeprägt ist. Es gilt sich aus der Po-

sition des Kindes seiner Eltern hinzu einem eigenständigen Indivi-duum mit besonderen Fähigkeiten,Zielen und Möglichkeiten zu ent-wickeln. Der Weg ist ein mitunterharter und auch schmerzlicher. ,,Diepsychische Arbeit, die dabei jeweilsgeleistet werden muss, besteht zu-nächst in Abschied und Trauer,des Weiteren in der Fähigkeit, Be-

stehendes in Frage zu stellen unddie damit verbundenen Angste und

Schuldgefühle auszuhalten undschließlich darin, aus den vorhan-denen Ressourcen Vergangenes undGegenwärtiges zu einem neuen Le-bensentwurf zu verknüpfen" (King2009, S. 135). Um diesen schwie-rigen Job zu meistern, ist es not-wendig sich Rahmenbedingungenzu schaffen, die iene Prozesse be-günstigen. Und genau das tun Ju-gendliche. Sie sind unglaublich,,[...Jerflnderisch, eine Umwelt zu schaf-fen oder zu suchen, die andersar-tige Lösungen als die der infantilen

Entwicklungsphase mö glich macht"(Bohleber 1996, S. 16). Sie erschaf-fen sich Lebenswelten, die eine Ab-grenzung von der Herkunftsfamilieermöglichen, sie suchen sich Inter-aktionsparterlnnen, mit denen sie -oft in einer Art geschütztem Raumoder wie Gee in Anlehnung an Erik-son sagt: ,,in einem psychosozialenMoratorium" (Gee 2008) - reife In-teraktion erproben können.

Com puterspi el e - wa ru m?

Die oft ablehnende und teilweisewenig differenzierte Haltung vielerErwachsener gegenüber Computer-spielen macht Spielwelten zu geeig-neten Orten die Erwachsenenwelt inFrage zu stellen und sich deutlichvon ihr abztgrenzen. Aber warumgerade Computerspiele? Auch ei-nige Orte der sogenannten Realität,wie z. B. Schule, sind den Jugendli-chen vorbehalten und schließen die

Eltern weitgehend aus. Warum inandere Realitäten entfliehen, wennes doch scheinbar um so vieles ver-nünftiger wäre, sich intensiv in dieschulische Realität zu vertiefen?Weil Schule oder auch Arbeitswelt- leider - nicht das bieten, wozuComputerspiele imstande sind. DreiMilliarden (!) Stunden pro Wocheverbringen Spielende weltweit inverschiedenen digitalen Spielwelten

- Tendenz steigend. Den Grund da-für sieht die amerikanische Compu-terspielforscherin Jane McGonigaldarin, dass das Eintauchen in einsolches Spiel intrinsische Motiva-tion in höchstem Ausmaß aktiviert.Der Weg zum überwältigenden Sieg

- dem epic win - erfordert harte Ar-beit, Durchhaltevermögen, Diszip-lin und höchste Konzentration - ,,it'sthe risk of crashing, burning, or ha-ving our brains sucked out that ma-kes us feel more alive" (McGonigal2011, S. 30). Und diese Anstren-gung wird freiwillig aufgesucht. Sieist genau auf das gegenwärtige Leis-tungsvermö gen der/des Spielendenabgestimmt. Erbrachte Leistungbringt unmittelbares Feedback undgleichzeitig bewirkt sie auch, dasssich die künftigen Anforderungenjeweils an das gezeigte Leistungs-vermögen anpassen. Diese Arbeitwird gemeinsam im Team von com-

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Computerspiel und ldentität

Mag. Katharina StephensonJg. 1965, verheiratet, 2 Kinder; Kauf-mä n n ische Lehre, Ki nderg a rte n- u ndH o rtpäd agog i n, Stud i u m der pädago -

gik und Sonder- und Heilpädagogik;tätig als u. a. Lehrerin für pädagogik,

D id a kti k, Praxis a n Bi Id u ngsa nsta lte nf ü r Ki nde rg a rten päda g og i k, Le ktori nan der Universität Wien und derPädagog ischen H ochsch u le Wien.

putergenerierten Figuren, wie auchanderen Menschen geleistet. Inter-aktion, Kooperation, Kommunika-tion oder wie es im Zusammenhangmit digitalen Umgebungen genanntwird, Kollaboration sind notwen-dig, um angestrebte Ziele nt ercei-chen. Besonders faszinierend ist derUmgang mit Fehlern. Etwa g0 %der Spielhandlungen sind nichtunmittelbar erfolgreich. Das Ver-fehlen von Spielzielen macht para-doxerweise glücklich, nämlich auf-geregt, interessiert und optimistisch(vgl. Ravaja u. a. 2005, S. 64). An-gemessenes Fehler-Feedback wirdalso als Belohnung wahrgenommen.Es steigert Engagement und denOptimismus Erfolg zu haben. DieseFehler-Kultur unterscheidet das re-ale Leben sehr klar vom Computer-spiel. Stellen wir uns einmal vor, ein,,Nicht Genügend" auf eine Schular-beit wtirde Lernende aufgeregt, in-teressiert und optimistisch machen,es nochmal probieren, weiter dranzu bleiben, Neues lernen zu dürfen.McGonigal meint, Spielende seiensuper-empowered hopeful indivi-duals, die fest daran glauben - undauch bereits die Erfahrung gemachthaben - die Welt ändern zu kön-nen. Das einzige Problem ist: Dies

gilt nur für virtuelle Welten. Denndie Erfahrung in ihrer realen Weltetwas Großes, etwas Gemeinsames,etwas Sinnstiftendes, efwas Heraus-forderndes, etwas Beglückendes be-wirken zu können, fehlt ihnen oft.

Flucht ins Computerspiel

Ja, viele Jugendliche - und nichtnur sie - flüchten in virtuelle digi-tale Welten. Es ist Flucht, doch wieMcGonigal es ausdrückt: zielge-richtete, wohl überlegte und aktiveFlucht (vgl. 2011, S. 6). Wir habenes also mit weltweit 500 MillionenMenschen zu tun, die freiwilig ün-glaublich herausfordernde und viel-ftiltige Arbeit leisten und: Wir kön-nen davon ausgehen, dass sie dasausnehmend gut machen. Ja, aberwerden sie jetzt vielleicht sagen.Ich denke das einzige berechtigte,,Ja, aber" an dieser Stelle ist das,,Ja, aber, was ist nun für uns (So-zial-)Pädagoglnnen zt fiin?" Es istunser Job, hart daran zu arbeiten,dass sich Schule, Berufund sozialesZusammenleben so gestalten, dassdiese Millionen Menschen mit ihrenganz besonderen Fähigkeiten auchaußerhalb des Spiels Anreize undMöglichkeiten haben, sinnvolle, in

TITERATUR-

i. Auffihrliche Literaturlistet- urte, www.sp-impulse.at

ein größeres Gemeinsames einge-bundene und auf ihre jeweils ak-tuellen Möglichkeiten abgestimmteArbeit leisten zu können und dafürjeweils angemessenes Feedback zuerhalten.

Es gilt dabei aber auch nicht zu ver-gessen, dass Abschied und die Fä-higkeit, Bestehendes in Frage zustellen identitätsstiftend und somiteine notwendige Entwicklungsher-ausforderung ist (vgl. King 2009,S. 135). Nehmen wir den Jugendli-chen ihre von unseren unterscheid-baren Realitäten, berauben wir sieder notwendigen Reibungsflächen.Eine gute Ausgewogenheit zwischenHeraushalten aus ihren Welten undder Möglichkeit auch im realen, mituns gemeinsam gelebten Leben ei-nen epic win zu erleben, sollte un-ser pädagogischer Auftrag sein.

Und das Know-how für eine derar-tige Lebenswelt-Gestaltung, woherkommt das? Naheliegend wäre es,dafür auf die 500 Millionen Exper-tlnnen auf dem Gebiet aktiver, ziel-gerichteter, erfolgreicher Co-Kons-truktion von Welt zuzugehen.

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