5
arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_32|2010 IV arbeitsmarkt G eorg Pelzer kommt aus einem katholischen Elternhaus und hat neben der Schule und seiner Ausbildung zum Elektriker ehrenamtlich in seiner Heimatpfarrei gearbeitet. Dann beschloss er, sein Ehrenamt zum Beruf zu machen, holte das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach und studierte Theologie in Bonn. Als er nach dem Stu- dium aufgrund eines Einstellungsstopps nicht direkt eine Stelle bei der Kirche bekam, suchte er nach alternativen Arbeitgebern. Inzwischen arbeitet er freiberuflich an verschiedenen Berufs- fachschulen als Religionslehrer und do- ziert als Referent eines Erwachsenenbil- dungswerks über theologische Themen wie „das ökumenische Abendmahl“, „das Bußsakrament“, „Sterbehilfe“ oder eben auch „Berufschancen für Theologinnen und Theologen“. Zu letzterem Thema hat er gemeinsam mit einem Kollegen auch ein Buch herausgebracht, das in Kürze in zweiter Auflage erscheinen wird. Au- ßerdem leitet er nebenberuflich ein Car- sharing-Unternehmen in Bamberg – und kann selbst diese Tätigkeit mit einem Au- genzwinkern auf seine seelsorgerischen Kompetenzen zurückführen: „Auch da ist manchmal Seelsorge gefragt: Wenn es darum geht, einen Nutzer bei Schäden an den Fahrzeugen zu beruhigen oder Streit zu schlichten, wenn mal wieder jemand die Buchungszeit nicht einhält.“ Georg Pelzer weiß nicht nur aufgrund seiner eigenen Biografie: Direkt nach der Schule oder auf Umwegen, aus Faszination für verschiedene Weltanschauungen oder aufgrund der Gewissheit, zur Verbreitung des eigenen Glaubens berufen zu sein, als Theologe, Religionssoziologe, Islam- wissenschaftler oder Indologe, als Leiter eines Fachverlags für buddhistische Rat- geber, katholischer Pastoralreferent oder PR-Verantwortlicher in einem großen Unternehmen... Es gibt zahlreiche Be- weggründe und ebenso viele Wege, sich beruflich mit dem Themenfeld Religion zu beschäftigen. „Theologen-Berufe“ Die klassische Karriere des Experten für Religion führt über das Theologie-Studi- um zu einer hauptamtlichen Tätigkeit in- nerhalb der religiösen Gemeinschaft. Theologische oder orthodoxe Priester, evangelische oder freikirchliche Pastoren, Rabbiner und Imame gelten als spirituelle Leiter und Lehrer innerhalb einer religiö- sen Gruppe und stehen den Gläubigen als Seelsorger und Berater gerade auch bei entscheidenden Lebenssituationen wie der Geburt eines Kindes, der Heirat, dem Tod eines nahen Angehörigen oder in Lebenskrisen zur Seite. Daneben gibt es in vielen Glaubensgemeinschaften weiteres theologisch geschultes Personal – in der katholischen Kirche etwa Diako- ne, Pastoral- oder Gemeindereferenten. Wie Pelzers Beispiel gezeigt hat, ist das Theologie-Studium allerdings bei Weitem kein Garant für eine Stelle in diesem Be- reich – denn auch die Kirchen kämpfen in Deutschland immer wieder mit finanzi- ellen Engpässen. Ein weiteres großes Beschäftigungs- feld für Theologen stellt der schulische Religionsunterricht dar: Neben dem evangelischen und katholischen Religi- onsunterricht gibt es mancherorts einen eigenen Religionsunterricht für Schüler jü- dischen oder islamischen Glaubens. Wer Ob sie an Gott glauben oder nicht, ob sie theologisch oder geisteswissenschaftlich ausgebildet sind – Fachkräf- ten für Religion steht ein vielfältiges Tätigkeitsspektrum offen. | Janna Lena Degener Beruf(ung) Religion BERUFSFELDER

Der WILA Arbeitsmarkt: Unterstützung für die Jobsuche ...Created Date: 8/4/2010 6:40:31 PM

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Der WILA Arbeitsmarkt: Unterstützung für die Jobsuche ...Created Date: 8/4/2010 6:40:31 PM

arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_32|2010IV

arbeitsmarkt

Georg Pelzer kommt aus einem katholischen Elternhaus und hat neben der Schule und seiner

Ausbildung zum Elektriker ehrenamtlich in seiner Heimatpfarrei gearbeitet. Dann beschloss er, sein Ehrenamt zum Beruf zu machen, holte das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach und studierte Theologie in Bonn. Als er nach dem Stu-dium aufgrund eines Einstellungsstopps nicht direkt eine Stelle bei der Kirche bekam, suchte er nach alternativen Arbeitgebern. Inzwischen arbeitet er freiberuflich an verschiedenen Berufs-fachschulen als Religionslehrer und do-ziert als Referent eines Erwachsenenbil-

dungswerks über theologische Themen wie „das ökumenische Abendmahl“, „das Bußsakrament“, „Sterbehilfe“ oder eben auch „Berufschancen für Theologinnen und Theologen“. Zu letzterem Thema hat er gemeinsam mit einem Kollegen auch ein Buch herausgebracht, das in Kürze in zweiter Auflage erscheinen wird. Au-ßerdem leitet er nebenberuflich ein Car-sharing-Unternehmen in Bamberg – und kann selbst diese Tätigkeit mit einem Au-genzwinkern auf seine seelsorgerischen Kompetenzen zurückführen: „Auch da ist manchmal Seelsorge gefragt: Wenn es darum geht, einen Nutzer bei Schäden an den Fahrzeugen zu beruhigen oder Streit

zu schlichten, wenn mal wieder jemand die Buchungszeit nicht einhält.“ Georg Pelzer weiß nicht nur aufgrund seiner eigenen Biografie: Direkt nach der Schule oder auf Umwegen, aus Faszination für verschiedene Weltanschauungen oder aufgrund der Gewissheit, zur Verbreitung des eigenen Glaubens berufen zu sein, als Theologe, Religionssoziologe, Islam-wissenschaftler oder Indologe, als Leiter eines Fachverlags für buddhistische Rat-geber, katholischer Pastoralreferent oder PR-Verantwortlicher in einem großen Unternehmen... Es gibt zahlreiche Be-weggründe und ebenso viele Wege, sich beruflich mit dem Themenfeld Religion zu beschäftigen.

„Theologen-Berufe“

Die klassische Karriere des Experten für Religion führt über das Theologie-Studi-um zu einer hauptamtlichen Tätigkeit in-nerhalb der religiösen Gemeinschaft. Theologische oder orthodoxe Priester, evangelische oder freikirchliche Pastoren, Rabbiner und Imame gelten als spirituelle Leiter und Lehrer innerhalb einer religiö-sen Gruppe und stehen den Gläubigen als Seelsorger und Berater gerade auch bei entscheidenden Lebenssituationen wie der Geburt eines Kindes, der Heirat, dem Tod eines nahen Angehörigen oder in Lebenskrisen zur Seite. Daneben gibt es in vielen Glaubensgemeinschaften weiteres theologisch geschultes Personal – in der katholischen Kirche etwa Diako-ne, Pastoral- oder Gemeindereferenten. Wie Pelzers Beispiel gezeigt hat, ist das Theologie-Studium allerdings bei Weitem kein Garant für eine Stelle in diesem Be-reich – denn auch die Kirchen kämpfen in Deutschland immer wieder mit finanzi-ellen Engpässen.

Ein weiteres großes Beschäftigungs-feld für Theologen stellt der schulische Religionsunterricht dar: Neben dem evangelischen und katholischen Religi-onsunterricht gibt es mancherorts einen eigenen Religionsunterricht für Schüler jü-dischen oder islamischen Glaubens. Wer

Ob sie an Gott glauben oder nicht, ob sie theologisch oder geisteswissenschaftlich ausgebildet sind – Fachkräf-ten für Religion steht ein vielfältiges Tätigkeitsspektrum offen. | Janna Lena Degener

Beruf(ung) Religion BERUFSFELDER

Page 2: Der WILA Arbeitsmarkt: Unterstützung für die Jobsuche ...Created Date: 8/4/2010 6:40:31 PM

Varbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_32|2010

arbeitsmarkt

Religionslehrer werden möchte, studiert in der Regel Theologie sowie Pädagogik und ein zweites oder drittes Schulfach und absolviert anschließend das Re-ferendariat. (www.religion-studieren.de, www.deutsche-islamkonferenz.de).

Neben diesen klassischen Berufen gibt es zahlreiche Tätigkeitsfelder, in de-nen Experten für Religion ihr Fachwissen einbringen können – als Angestellte oder aber auch wie Pelzer als Selbständige.

Soziale Arbeit, Bildung, Museumsarbeit

So bietet etwa der Bereich der sozia-len Arbeit ein riesiges Tätigkeitsspektrum – gerade wenn Menschen in schwierigen Lebenssituationen sind, bauen sie nicht selten auf die Hilfe von Experten. In christlichen oder muslimischen Bera-tungsstellen, Kinderbetreuungseinrich-tungen, aber auch in Krankenhäusern und Kliniken, öffentlichen Verwaltungen, Justizvollzugsanstalten oder beim Militär sind sie als Berater, Seelsorger und Mo-deratoren tätig.

In der außerschulischen Bildungs-arbeit bieten Experten für Religion wie Georg Pelzer Seminare und Vorträge zu kirchlichen, religiösen, politischen oder sozialen Themen an, zum Beispiel Tage religiöser Orientierung, Gruppenleiter-schulungen oder Vorträge zum interreli-giösen Dialog. Oder sie sind in Jugend- oder Erwachsenenbildungswerken als Leiter etwa für die Programmplanung und -betreuung, für die Weiterbildung von Mitarbeitern, die Qualitätssiche-rung, Personalführung oder Verwaltung zuständig. Auch in ethnologischen, reli-gionswissenschaftlichen oder kunsthis-torischen Museen mit entsprechendem thematischen Fokus können Fachkräfte für Religion unterkommen.

Journalismus, PR und Verlagswesen

Die Kopftuchdebatte und die Integration muslimischer Migranten in Deutschland,

die Wahl eines deutschen Papstes, der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche, der internationale Kampf gegen den fundamentalistisch motivierten Ter-rorismus – wenige Stichworte reichen, um die Präsenz von Religion und religiö-sen Konflikten in der täglichen Medien-landschaft zu veranschaulichen. Journa-listen, die sich im Themenfeld Religion auskennen, können hier mit Hintergrund-informationen zu einer differenzierten Diskussion beitragen. Außerdem können Fachjournalisten und PR-Leute mit theo-logischem Know-how in kirchlichen Me-dien oder in Fachredaktionen mit religiö-

sem oder kirchlichem Schwerpunkt tätig werden oder kirchliche Einrichtungen in der Öffentlichkeit präsentieren – auch wenn es Glück braucht, in diesem klei-nen Feld eine Anstellung zu finden. Christliche Theologen beispielsweise können zudem in Verlagen, und zwar nicht nur in auf religiöse Themen spezia-lisierten Fachverlagen, durchaus gefragt sein. Denn im Theologiestudium ist die Arbeit mit Texten wichtig. Laut Verleger Manuel Herder sogar wichtiger als in den klassischen Geisteswissenschaften: „Theologen beherrschen den Umgang mit Texten, getreu der Maxime: Am An-

EIGENE RELIGIOSITÄT

Eine wichtige Unterscheidung der zahl-reichen und vielfältigen Studiengänge im Themenfeld Religion ist die zwischen den eher „bekenntnisorientierten“ theo-logischen und den eher „religionskund-lichen“ nicht-theologischen Studiengän-gen. Während das Theologiestudium sich aus einer Innenperspektive vor al-lem mit den religiösen Schriften und der religiösen Praxis einer Konfession be-schäftigt, betrachten nicht-theologische Studiengänge Religion und Religiosität aus einer Außenperspektive heraus als ein Kulturphänomen. Letztere beschrei-ben die Entstehung und Veränderung von religiösen Konstellationen und fra-gen nach der Rolle, die religiöse Men-schen für die Kultur und Geschichte ih-rer Zeit gespielt haben. Während die Fä-cher Islamische Religionspädagogik und Rabbinische Studien als theologische Studiengänge beispielsweise den religi-onskundlichen Studiengängen Islam-wissenschaften und Judaistik gegenü-berstehen, gibt es in Deutschland kein religionskundliches Fach, das der christ-lichen Theologie entspricht, sondern stattdessen die religionsübergreifenden Religionswissenschaften. Untersucht werden in den Religionswissenschaften

nicht nur die großen Religionen, son-dern beispielsweise auch regionale historische Entwicklungen in der Antike oder im Alten Orient oder aktuelle zeit-genössische Religionsformen wie New Age oder Esoterik (www.religionswissenschaft.uni-heidelberg.de). Die religiöse Einstellung der Studienbewerber stellt zwar in der Regel keine formale Zulas-sungsvoraussetzung für einen Studien-gang dar und je nach persönlichen und beruflichen Wünschen kann es durch-aus sinnvoll sein, wenn ein Katholik Is-lamwissenschaften oder eine Atheistin Theologie studiert. Anders als bei ande-ren Studienfächern wird sich aber jeder Student eines religionsbezogenen Fachs mit der Frage auseinandersetzen, wel-che Rolle die eigene Religiosität im Stu-dium spielen soll. Für die berufliche Orientierung kann der eigene Glaube dann durchaus ausschlaggebend sein: Während die Zugehörigkeit zu einer reli-giösen Gruppe und die Befolgung der religiösen Praxis eine Voraussetzung für bestimmte Berufsfelder darstellt, verlan-gen andere Arbeitgeber von ihren Mitar-beitern gerade im Zusammenhang mit religiösen Themen eine „neutrale“ und distanzierte Perspektive.

Muss ich Glauben? – Die Rolle der eigenen Religiosität

Page 3: Der WILA Arbeitsmarkt: Unterstützung für die Jobsuche ...Created Date: 8/4/2010 6:40:31 PM

arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_32|2010VI

arbeitsmarkt

Experten für Religion predigen, beraten und bieten Schulungen zu religiösen Themen an

fang war das Wort. Es dürfte wohl kein geisteswissenschaftliches Studium ge-ben, das die Absolventen derart gut im Bearbeiten und Produzieren von Texten ausbildet wie die Theologie.“

Wirtschaft und Politik

Aus Herders Sicht sind Theologen damit nicht nur für die Arbeit in Verlagen beson-ders qualifiziert, sondern auch in allen Bereichen, in denen mit Texten gearbei-tet wird: „Es gibt kein einziges Großunter-nehmen in unserem Land, das nicht eine eigene Kommunikationsabteilung hat. Texte sind die Grundlage jeder Bespre-chung, jeder Planungssitzung und jeder internen und externen Verlautbarung ei-nes Unternehmens, jedes Quartalsbe-richts, jeder Aktionärsversammlung usw.“ Auch ein anderer Grund spricht laut Her-der dafür, dass gerade christliche Theolo-gen für die Arbeit in der freien Wirtschaft qualifiziert sind: „Theologen können in großen Zusammenhängen denken, sie müssen schließlich die gesamte Heilsge-schichte vor Augen haben, die Protologie wie Eschatologie, und sind mit der langen Kirchengeschichte vertraut. Das heißt, Theologen sind selten augenblicksver-narrt in dem Sinne, dass sie das Gestern und das Morgen aus dem Blick verlieren.

Diese Kompetenz ist für das Überleben jedes Unternehmens unverzichtbar.“ Be-sonders interessante Arbeitgeber stellen sicherlich Unternehmen mit religiösem

Bezug dar – bezogen auf das Christen-tum nennt der Theologe Patrick Becker etwa Betriebe, die in der Produktion und dem Handel für liturgische Gerätschaften tätig sind. Becker sieht zudem gute Chan-cen in psychologisch orientierten Unter-nehmensberatungen, etwa für kirchliche und soziale Einrichtungen. Gerade nicht-theologische Experten für Religion wie etwa Religionswissenschaftler können ihr Fachwissen auch in Behörden oder in der Politikberatung (z.B. von Ausländerrefera-ten und -beiräten auf kommunaler Ebene sowie von Regierungs- und Nichtregie-rungsorganisationen) einsetzen. (www.zegk.uni-heidelberg.de/religions-wissenschaft).

Beruf(ung) Religion

Außerhalb der klassischen theologischen Berufe müssen Theologen sich natürlich gegenüber zahlreichen nicht-theologi-

Während einige Arbeitgeber christliche Theologen per se als naive, weltfremde Gutmenschen oder als konservative Dogmatiker für unbrauchbar halten, schätzen andere sie als besonders loya-le Mitarbeiter mit einem hohen Berufs-ethos. Unabhängig davon, wie sie sich gegenüber diesen Vorurteilen positio-nieren, können sie in Bewerbungen mit handfesten Qualitäten punkten:* Theologen sind Experten, wenn es

um Themen rund um Kirche und Glauben geht und sind mit den Fachtermini des kirchlichen Jargons vertraut.

* Theologen können als „Allrounder“ bezeichnet werden. Sie sind mit ei-nem breiten ethischen, juristischen, historischen, philosophischen und soziologischem Methodenspektrum vertraut und denken in großen Zu-sammenhängen.

* Theologen haben eine hohe Wort- und Textkompetenz.

* Theologen haben oft durch intensives ehrenamtliches Engagement Erfah-rungen in der Durchführung von Trai-nings und Beratungen gesammelt.

* Wie die klassischen Geisteswissen-schaftler haben Theologen im Studi-um strukturiertes Arbeiten, logisches, komplexes Denken, projektbezoge-nes und interdisziplinäres Arbeiten sowie Präsentationstechniken und Didaktik gelernt. In der Homileti-kausbildung (Predigtlehre) werden sie zudem gezielt auf das Reden vor großen Gruppen vorbereitet. In der ständigen Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Religiosität sowie in der Diskussion über aktuelle moralische und politische Fragen schulen sie während des Studiums Empathie und Ambiguitätstoleranz.

QUALITÄTEN VON THEOLOGEN

Was christliche Theologen (auch außerhalb der Kirche) leisten können

Page 4: Der WILA Arbeitsmarkt: Unterstützung für die Jobsuche ...Created Date: 8/4/2010 6:40:31 PM

VIIarbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_32|2010

arbeitsmarkt

schen Konkurrenten wie ausgebildeten Pädagogen, Sozialwissenschaftlern oder Journalisten durchsetzen. Wie auch Ab-solventen anderer religionsbezogener Studiengänge, die sich nicht auf die prak-tische Arbeit in so vielen verschiedenen Tätigkeitsfeldern vorbereiten können, brauchen sie neben den Fachkenntnis-sen Zusatzqualifikationen, die durch eh-renamtliche Tätigkeiten, Praktika und Weiterbildungen erworben werden kön-nen. Dazu gehören Rhetorik-, Moderati-ons- und Recherchetechniken, betriebs-wissenschaftliche und administrative Kenntnisse und insbesondere moderne Fremdsprachen. Denn, wie Mark Achilles in seinen „Zehn Geboten für die Bewer-bung“ für Theologiestudierende auf dem freien Arbeitsmarkt formuliert: „Latein, Griechisch, Hebräisch sind zwar wunder-bare Sprachen, die Ihnen auch als Schlüs-sel für hervorragendes Kultur-, Ge-schichts- und Allgemeinwissen dienen, sie werden nur leider nicht mehr gespro-chen. Ihre Abschlüsse in diesen antiken Sprachen bezeugen durchaus, dass Sie großen Fleiß und starkes Durchhaltever-mögen besitzen, leider aber nicht, dass Sie auch polyglott sind. Das soll heißen, dass Sie sich auf dem freien Arbeitsmarkt kaum Ihrer Ausbildung angemessene Einstiegschancen erwarten dürfen, wenn Sie nicht zumindest perfekte Englisch-kenntnisse nachweisen können“.

Wichtig sind Zusatzqualifikationen insbesondere für alle, die ihr religiöses Expertenwissen nicht bei einem kirch-lichen oder kirchennahen Arbeitgeber anwenden wollen – etwa Absolventen nicht-theologischer religionsbezogener

Studiengänge, muslimische oder jüdi-sche Theologen oder Absolventen der christlichen Theologie, die nicht gläubig sind oder der von vielen kirchlichen Arbeitgebern geforderten christlichen Lebensweise nicht nachgehen wollen. Mit den entsprechenden Fach- und Zu-satzqualifikationen bieten sich unabhän-gig vom eigenen Glauben auch neben der wissenschaftlichen Karriere und den klassischen theologischen Berufsfeldern zahlreiche Möglichkeiten für alle, die Reli-gion zu ihrem Beruf machen wollen.

INTER-VIEW

Interview mit Bülent Ucar, Professor für Is-lamische Religi-onspädagogik an der Universi-tät Osnabrück Um die Integration von Muslimen zu för-dern, unterstützt die Bundesregierung die Einführung von islamischem Religi-onsunterricht in deutscher Sprache und die Ausbildung von Imamen in Deutsch-land. Niedersachsen gehört zu den ers-ten Bundesländern, die bekenntnisorien-tierten Islamischen Religionsunterricht in Form von Schulversuchen und mit dem Studiengang „Islamische Religions-pädagogik“ eine universitäre Ausbildung für Islamische Religionslehrer und Imame anbietet. Prof. Dr. Bülent Ucar unterrich-tet das Fach an der Universität Osna-brück.

Wie lässt sich der Studiengang „Islami-sche Religionspädagogik“ von den schon lange existierenden islamwis-senschaftlichen Studiengängen ab-grenzen?

Die islamwissenschaftlichen Studien-gänge sind philologisch, historisch und religionswissenschaftlich orientiert und beschäftigen sich mit der Kultur, Wirt-schaft, Geschichte, Politik und Religion der islamisch geprägten Länder. Unser

Masterstudiengang ist dagegen als The-ologie bekenntnisorientiert ausgerichtet. Damit sind wir das äquivalente Gegen-stück zur katholischen, evangelischen oder jüdischen Theologie.

Was unterscheidet den Studiengang von entsprechenden Studiengängen in islamischen Ländern?Im Großen und Ganzen sind die fachli-chen Inhalte der Studiengänge ähnlich, egal ob sie das Fach in Libyen, Marokko oder Deutschland studieren. Man be-schäftigt sich mit den Glaubensgrundla-gen der islamischen Religion, mit dem Koran, dem Propheten Muhammad und der islamischen Glaubenspraxis. Aller-dings gibt es immer einen Teil, der eher kulturspezifisch geprägt ist und auf die örtlichen Besonderheiten Rücksicht nimmt. So ist in Deutschland von beson-derer Relevanz, dass die Muslime hier in einem aufgeklärten europäischen Kon-

LITERATUR

Patrick Becker, Georg Pelzer: Berufs-chancen für Theologinnen und Theologen. 2006. Mit einer um-fangreichen Auflistung von Inter-netstellenbörsen und „Zehn Gebo-ten für die Bewerbung“ von Theo-logiestudierenden auf dem freien Arbeitsmarkt. Für die zweite Aufla-ge, die 2011 erscheinen soll, wer-den noch weitere Stimmen ge-sucht, die erfolgreich als Theologen außerhalb der Kirche arbeiten. Wei-tere Informationen dazu gibt es un-ter www.agt-foerderverein.de/html/berufschancen.html.

René Possel (Hg): Berufe für Theolo-gen, 2004. Zwölf Theologie-Absol-venten schildern ihren Berufsweg – darunter ein Journalist, eine Verlags-lektorin, ein Pastoralreferent, der Geschäftsführer eines biblischen Reiseunternehmens, ein Coach und Physiotherapeut.

Namen, Texte und Zusammenhänge – Religion im Unterricht

Page 5: Der WILA Arbeitsmarkt: Unterstützung für die Jobsuche ...Created Date: 8/4/2010 6:40:31 PM

arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_32|2010VIII

arbeitsmarkt

text in einer säkular und christlich gepräg-ten Gesellschaft leben und wirken, wo sie eine Minderheit und eine zugewanderte Gruppe darstellen. Das heißt konkret, dass man beispielsweise Inhalte des Grundgesetzes und historische Entwick-lungen wie die Verfolgung der Juden in Nazideutschland aufgreift.

Welche beruflichen Perspektiven ha-ben Ihre Absolventen in Deutschland? Wir bilden in erster Linie Imame weiter und islamische Religionslehrer aus. Die Imame werden dann in Moscheen aktiv, die Religionslehrer an öffentlichen Schu-len. Es gibt 900.000 muslimische Schü-lerinnen und Schüler in Deutschland.

ZUR AUTORIN

Janna Lena Degener arbeitet als freie Journalistin in Köln. Themen rund um Bildung, Berufsorientie-rung, Studium, Wissenschaft und Karriere gehören zu ihren themati-schen Schwerpunktinteressen.

LINKLISTE

Studienmöglichkeiten im Bereich „Religion“

Abraham Geiger Kolleg – Rabbinerse-minar in Potsdam, www.abraham-geiger-kolleg.de

Akademie für Weltmission, www.awm-korntal.de

Deutsche Vereinigung für Religionswis-senschaft, www.dvrw.de

Informationen der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Theologiestudi-um, www.ekd.de/theologiestudium

Informationen zum Studium der katho-lischen Theologie, www.katholische-theologie.info

Institut für Gemeindebau und Weltmis-sion – nebenberufliche Aus- und Weiterbildung von Leiterinnen und Leitern im christlichen Dienst, http://de.igw.edu/studium/uebersicht.html

Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp) – Journalisten-schule in Trägerschaft der Katholi-schen Kirche, www.ifp-kma.de

Interdisziplinäres Zentrum für Islami-sche Religionslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürn-berg, www.izir.uni-erlangen.de

Islamische Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigs-burg, www.ph-ludwigsburg.de/6029.html

Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen, www.sankt-georgen.de

Informationen zum Studium der katho-lischen Theologie, www.studienfuehrer-theologie.de

Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst, www.remid.de

Studiengang „Christliche Publizistik“ an der Friedrich-Alexander-Universität Er-langen-Nürnberg, www.theologie.uni-erlangen.de

Studiengang Islamische Religionspäda-gogik an der Universität Münster, www.uni-muenster.de/CRS/IRU/

Studiengang Islamische Religionspäda-gogik an der Universität Osnabrück ,www.irp.uni-osnabrueck.de

Theologisches Seminar Elstal – bildet Pastoren für Gemeinden des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemein-den aus, www.theologisches-semi-nar-elstal.de

Eine ausführliche Auflistung weiterfüh-render Studiengänge findet sich im Band „Berufschancen für Theologin-nen und Theologen“ von Patrick Be-cker und Georg Pelzer.

Man bräuchte mindestens 3000-4000 Religionslehrer und -lehrerinnen. Zurzeit arbeiten deutschlandweit aber nur einige Hundert in dem Bereich und die Studen-ten reichen bei Weitem nicht aus, um den Bedarf in näherer Zukunft zu decken. Zudem ist in der Wissenschaft zur Etablie-rung der islamischen Theologie Nach-wuchs gefragt und auch muslimische Verbände und Organisationen brauchen geschulte und sprachlich fitte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Und schließlich stehen unseren Absolventen weitere Tä-tigkeitsfelder etwa in den Bereichen der Seelsorge, der Politikberatung oder des Journalismus offen. Anders als etwa für christliche Theologen stehen die Berufs-

felder dabei immer im Zusammenhang mit Migration und Integration.

Ist ein islamischer Glaubenshinter-grund eine Voraussetzung zur Teilnah-me an dem Studiengang und die Ar-beit im Berufsfeld „Islam“?Nein. So wie man als Nicht-Katholik oder Nicht-Protestant die entsprechenden Theologien studieren kann, kann man an unserer Fakultät auch als Nicht-Muslim studieren. Die Kultusministerien haben in Zusammenarbeit mit muslimischen Ver-bänden die islamische Religionszugehö-rigkeit jedoch als verpflichtend für dieje-nigen erklärt, die als Imam oder Religi-onslehrer arbeiten möchten. Das Interview führte Janna Degener. Fotos: © Universitität Osnabrück

Interesse und Verständnis fördern – Religionen im Vergleich