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Deutsch-deutsche Schadstoff-Forschung Leitartikel Leitartikel ~F Deutsch-deutsche Schadstoff-Forschung" Bewegte Wochen und Monate liegen hinter tins, ein Berg von nahezu unfiberschaubaren Probtemen und Aufgaben vor uns. Dazu geh6ren nicht zuletzt die komplexen Fragen des Umweltschutzes und der Um- weltforschung. Viele Jahre iitten die wissenschaftlichen Tagungen der Arbeitsgruppen der Chemischen Gesellschaft der DDR, der Kammer der Technik, der Gesellschaft fiir Allgemeine und Kommunalhygiene und anderer Gre- mien sowie die Fachpublikationen unter dem Verbot der Bekanntgabe von Umweltdaten. Dies ist nun nicht mehr der Fall; t/iglich werden von der DDR-Presse bzw. den Bezirkshygiene-[nstituten die 24-h-Mittel- werte und maximalen Halbstunden-Mittelwerte for die bislang vor- handenen SO 2- und Staub-Megstellen bekanntgegeben. Dabei 16sen weder die gemessenen Werte, noch das vorhandene Met~stationen- Netz und dessen technische/Vl6gtichkeiten Zuffiedenheit aus, doch sie sind for uns ein erster Schritt. Analoges gilt f~r die Publikation von - Mel~ergebnissen zur Schadstoff-Kontamination der B6den, - Daten zur Wassergfite der OberfliichengewSsser sowie ffir den Zustand der Deponien. Leipziger Deponien wurden bereits auf berechtigten Druck der 0ffent- lichkeit geschlossen - doch was nnn? Leipzig hat schon mit dem rein technischen Abtransport des Kommunahniills die Grenzen seiner ge- genw;.irtigen Leistungsf/ihigkeit erreicht. Fahrer aus der Parmerstadt Hannover griffen mit ihren Mfillfahrzeugen dankcnswerterwmse hel- fend ein. Doch dfirfen uns dicse akuten technischen Fragen nicht die Augen verschlieigen vor den langfristigen wissenschaftlichcn Anfordc- rungen zur Erhalmng unserer gemeinsamcn Umwelt. Wenn auch nicht mit dem Potential der Kollegen in der Bundcsrepublik ausger~stet, waren die experimentell auf dkochemischem und 6kote~xi- koMgischem Gebiet arbeitenden DDR-Wissenschaftler unterschiedli- cher Disziplinen nicht untiitig; dies gih: vor atlem ffir Chemiker und Biowissenschaftler, wenn auch ihre materiell-technischen Mfglichkei- ten keinesfalls den Notwendigkeiten entsprachen. WShrend die Lei- stungssportler m der DDR fiber alle Vorbedingungen verftigten, gegen internationale Konkurrenz Hfchstleismngen zu erzielen, wollte man nicht verstehen, daf~ dies ebenso notwendig gewesen w~ire fiir eine ef- fektive Naturwissenschaft, insbesondere for die Umweltforschung; ja, notwendiger noch als f/_ir die - in Anbetracht unserer Situation fiber- zogene - Mikroelektronik. Jetzt ist yon kompetenten Vertretern des Wissenschaftlichen Rates fiir Grundlagen der Umweltgestaltung und des Umweltschutzes beina Pr~i- sidium der AdW (Akademie der Wissenschaften) der DDR 6ffentlich best/itigt worden, dafg in den letzten Jahren ,,jegliche nennenswerte In- stitutionalisierung bzw. Verstiirkung der Okologie- und Umweltfor- schung in der DDR abgewfirgt wurde". - In diesem Zusammenhang mufs' auch daran erinnert werden, datg seinerzeit die Deutsche Aka- demie der Wissenschaften zu Berlin fiber eine problemorientierte Klas- se ,,Umweltschutz und Umweltgestaltung ~ verfogte, die sich am 8.4. 1971 konstituiert hatte und fiber zehn Jahre erfolgreich arbeitete, dann jedoch unter staatlichem Druck durch den Pr~isidenten der Aka- demie aufget6st wurde. Die Publikationen der Mitglieder und GS.ste dieser Klasse sowie die vortiegenden Sitzungsberichte waren und sind bis heute yon hoher Aktualit/it, sie wurden aut~erhalb der Akademie je- doch regetrecht totgeschwiegen! Es erforderte grof~es pers6nliches Engagement auf dem Gebiet der Um- weltforschung zu arbeiten, denn vietes, was ffir die L6sung experimen- teller Fragestellungen n6tig war, mul?te fiberwiegend im ,,Eigenbau ~ ersteltt werden. So z.B. die an unserer Einrichtung seit einigen Jahren bestehenden terrestrischen und aquatischen Modell-Labormikro6ko- systeme, die nunmehr auch in enger Zusammenarbeit mit Biologen der Biologischen Station Serrahn/Mecklenburg betrieben werden. Das zu dieser Station geh6rende Naturschutzgebiet ist hervorragend fOr die gesamte Umweltforschung geeignet und bietet sich auf Grund seiner naturrfiumlichen Ausstattung for die interdisziplin/ire experimentelle Okosystemforschung speziell des gesamten norddeutschen Raumes an. -Aber auch Fragen wie die deutsch-deutsche Altlastproblematik er- fordern eine enge Zusammenarbeit. Wir atle wissen, dai~ weder die Umwelt der DDR noch die der BRD an der - nunmehr offenen - Grenze aufh6rt, und daf~ unter Nutzung der jetzigen neuen IVl6glichkeiten vielseitige Aufgaben gemeinsam in Angriff genommen werden miissen. Dies reicht yon grundlegenden Notwendigkeiten wie der Schaffung vereinheitliehter Grenzwerte fiber die $tandardisierung yon Mef~methoden bis bin zu den Problemen der Risikobewertung und Umwehvertr/iglichkeitsprfifungen. Dabei gilt es, in Eigeninitiative rasch parmerschaftliche Beziehungen aufzubauen, vor allem zwischen experimentell tiitigen Wissenschaft* lern, um das Niveau der wissenschaftlichen Arbeit in der DDR an den Stellen zu erhohen, wo der h6chste Nurzen zu erwarten ist. Nachdem wit pers6nlich uns in den Ictzten Jahren mit Arbeiten zum Umwchverhahen yon Chemikalien besch3ftigt haben, tragen wir uns perspektivisch beispielsweise mk der Fragestellung einer experimentell begrfindeten 6kochemischen Risikobewertung w)n Havarien und Un- fSllen beim Transport yon Chemikalicn im Verkehrsraum und k6nn- ten uns dabei eine gesamtdeutsche Bearbeitung eines gemeinsamen Projektes gut vorstellen. Wit diirFen in der gegenwSrrigen Situation nicht warren, bis die noch existierenden altc-n wissenscha[tsleitenden Strukturen dutch neue ersetzt werden, die aktiv nnd ideenreich vine solche Znsammenarbeit f6rdern! Die gemeinschaftliche Vertretung dieser Zeitschrift dutch die Arbeits- gemeinschaft Umweltchemie und Okotoxikologie der GDCh, den Ver- band Deutscher Geo6kologen und - hoffenflich kfinftig auch - die Chcmische Gesellschaft der DDR, sollte ffir das Zusammenfinden und Zusammenwachsen der 6kochemischen und 6kotoxikologischen For* schungskapazit/iten die geeignete Plattform sein; denn ein Besuch der entsprechenden Tagungen in der Bundesrepublik wird ffir die Kollegen aus der DDR auch in absehbarer Zeit leider weiterhin am Devisenpro- blem scheitern oder zumindest stark erschwert bleiben. Das heifer u.a., daf~ die Rubrik der Originatmitteilungen yon Autoren aus beiden deutschen Staaten verstfirkt genutzt, und in Kurzzusam- menfassungen 6kochemische und 6kotoxikologische Forschungspro- jekte yon Instituten und anderen Einrichtungen vorgestetk werden sollten. Dr. rer. nat Dieter Martinetz Dr. rer. nat. Klaus-Dieter Wenzel Dr. rer. nat. Ludwig Weififlog Forschungsstelle fiir chemische Toxikologie der Akademie der Wissen- schaften der DDR, Leipzig * Vgl. auch S. 59 2 UWSF-Z. Umweltchem. Okotox. 2 (1) 2 (1990) ecomed verlagsgesetlschaft mbh, Landsberg Z/irich

Deutsch-deutsche Schadstoff-Forschung

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Deutsch-deutsche Schadstoff-Forschung Leitartikel

Leitartikel

~F Deutsch-deutsche Schadstoff-Forschung"

Bewegte Wochen und Monate liegen hinter tins, ein Berg von nahezu unfiberschaubaren Probtemen und Aufgaben vor uns. Dazu geh6ren nicht zuletzt die komplexen Fragen des Umweltschutzes und der Um- weltforschung.

Viele Jahre iitten die wissenschaftlichen Tagungen der Arbeitsgruppen der Chemischen Gesellschaft der DDR, der Kammer der Technik, der Gesellschaft fiir Allgemeine und Kommunalhygiene und anderer Gre- mien sowie die Fachpublikationen unter dem Verbot der Bekanntgabe von Umweltdaten. Dies ist nun nicht mehr der Fall; t/iglich werden von der DDR-Presse bzw. den Bezirkshygiene-[nstituten die 24-h-Mittel- werte und maximalen Halbstunden-Mittelwerte for die bislang vor- handenen SO 2- und Staub-Megstellen bekanntgegeben. Dabei 16sen weder die gemessenen Werte, noch das vorhandene Met~stationen- Netz und dessen technische/Vl6gtichkeiten Zuffiedenheit aus, doch sie sind for uns ein erster Schritt.

Analoges gilt f~r die Publikation von

- Mel~ergebnissen zur Schadstoff-Kontamination der B6den, - Daten zur Wassergfite der OberfliichengewSsser

sowie ffir den Zustand der Deponien.

Leipziger Deponien wurden bereits auf berechtigten Druck der 0ffent- lichkeit geschlossen - doch was nnn? Leipzig hat schon mit dem rein technischen Abtransport des Kommunahniills die Grenzen seiner ge- genw;.irtigen Leistungsf/ihigkeit erreicht. Fahrer aus der Parmerstadt Hannover griffen mit ihren Mfillfahrzeugen dankcnswerterwmse hel- fend ein. Doch dfirfen uns dicse akuten technischen Fragen nicht die Augen verschlieigen vor den langfristigen wissenschaftlichcn Anfordc- rungen zur Erhalmng unserer gemeinsamcn Umwelt.

Wenn auch nicht mit dem Potential der Kollegen in der Bundcsrepublik ausger~stet, waren die experimentell auf dkochemischem und 6kote~xi- koMgischem Gebiet arbeitenden DDR-Wissenschaftler unterschiedli- cher Disziplinen nicht untiitig; dies gih: vor atlem ffir Chemiker und Biowissenschaftler, wenn auch ihre materiell-technischen Mfglichkei- ten keinesfalls den Notwendigkeiten entsprachen. WShrend die Lei- stungssportler m der DDR fiber alle Vorbedingungen verftigten, gegen internationale Konkurrenz Hfchstleismngen zu erzielen, wollte man nicht verstehen, daf~ dies ebenso notwendig gewesen w~ire fiir eine ef- fektive Naturwissenschaft, insbesondere for die Umweltforschung; ja, notwendiger noch als f/_ir die - in Anbetracht unserer Situation fiber- zogene - Mikroelektronik.

Jetzt ist yon kompetenten Vertretern des Wissenschaftlichen Rates fiir Grundlagen der Umweltgestaltung und des Umweltschutzes beina Pr~i- sidium der AdW (Akademie der Wissenschaften) der DDR 6ffentlich best/itigt worden, dafg in den letzten Jahren ,,jegliche nennenswerte In- stitutionalisierung bzw. Verstiirkung der Okologie- und Umweltfor- schung in der DDR abgewfirgt wurde". - In diesem Zusammenhang mufs' auch daran erinnert werden, datg seinerzeit die Deutsche Aka- demie der Wissenschaften zu Berlin fiber eine problemorientierte Klas- se ,,Umweltschutz und Umweltgestaltung ~ verfogte, die sich am 8 .4 . 1971 konstituiert hatte und fiber zehn Jahre erfolgreich arbeitete, dann jedoch unter staatlichem Druck durch den Pr~isidenten der Aka- demie aufget6st wurde. Die Publikationen der Mitglieder und GS.ste dieser Klasse sowie die vortiegenden Sitzungsberichte waren und sind bis heute yon hoher Aktualit/it, sie wurden aut~erhalb der Akademie je- doch regetrecht totgeschwiegen!

Es erforderte grof~es pers6nliches Engagement auf dem Gebiet der Um- weltforschung zu arbeiten, denn vietes, was ffir die L6sung experimen- teller Fragestellungen n6tig war, mul?te fiberwiegend im ,,Eigenbau ~ ersteltt werden. So z.B. die an unserer Einrichtung seit einigen Jahren bestehenden terrestrischen und aquatischen Modell-Labormikro6ko- systeme, die nunmehr auch in enger Zusammenarbeit mit Biologen der Biologischen Station Serrahn/Mecklenburg betrieben werden. Das zu dieser Station geh6rende Naturschutzgebiet ist hervorragend fOr die gesamte Umweltforschung geeignet und bietet sich auf Grund seiner naturrfiumlichen Ausstattung for die interdisziplin/ire experimentelle Okosystemforschung speziell des gesamten norddeutschen Raumes an. - A b e r auch Fragen wie die deutsch-deutsche Altlastproblematik er- fordern eine enge Zusammenarbeit .

Wir atle wissen, dai~ weder die Umwelt der DDR noch die der BRD an der - nunmehr offenen - Grenze aufh6rt, und daf~ unter Nutzung der jetzigen neuen IVl6glichkeiten vielseitige Aufgaben gemeinsam in Angriff genommen werden miissen. Dies reicht yon grundlegenden Notwendigkeiten wie der Schaffung vereinheitliehter Grenzwerte fiber die $tandardisierung yon Mef~methoden bis bin zu den Problemen der Risikobewertung und Umwehvertr/iglichkeitsprfifungen.

Dabei gilt es, in Eigeninitiative rasch parmerschaftliche Beziehungen aufzubauen, vor allem zwischen experimentell tiitigen Wissenschaft* lern, um das Niveau der wissenschaftlichen Arbeit in der DDR an den Stellen zu erhohen, wo der h6chste Nurzen zu erwarten ist.

Nachdem wit pers6nlich uns in den Ictzten Jahren mit Arbeiten zum Umwchverhahen yon Chemikalien besch3ftigt haben, tragen wir uns perspektivisch beispielsweise mk der Fragestellung einer experimentell begrfindeten 6kochemischen Risikobewertung w)n Havarien und Un- fSllen beim Transport yon Chemikalicn im Verkehrsraum und k6nn- ten uns dabei eine gesamtdeutsche Bearbeitung eines gemeinsamen Projektes gut vorstellen. Wit diirFen in der gegenwSrrigen Situation nicht warren, bis die noch existierenden altc-n wissenscha[tsleitenden Strukturen dutch neue ersetzt werden, die aktiv nnd ideenreich vine solche Znsammenarbeit f6rdern!

Die gemeinschaftliche Vertretung dieser Zeitschrift dutch die Arbeits- gemeinschaft Umweltchemie und Okotoxikologie der GDCh, den Ver- band Deutscher Geo6kologen und - hoffenflich kfinftig auch - die Chcmische Gesellschaft der DDR, sollte ffir das Zusammenfinden und Zusammenwachsen der 6kochemischen und 6kotoxikologischen For* schungskapazit/iten die geeignete Plattform sein; denn ein Besuch der entsprechenden Tagungen in der Bundesrepublik wird ffir die Kollegen aus der DDR auch in absehbarer Zeit leider weiterhin am Devisenpro- blem scheitern oder zumindest stark erschwert bleiben.

Das heifer u.a., daf~ die Rubrik der Originatmitteilungen yon Autoren aus beiden deutschen Staaten verstfirkt genutzt, und in Kurzzusam- menfassungen 6kochemische und 6kotoxikologische Forschungspro- jekte yon Instituten und anderen Einrichtungen vorgestetk werden sollten.

Dr. rer. nat Dieter Martinetz

Dr. rer. nat. Klaus-Dieter Wenzel Dr. rer. nat. Ludwig Weififlog

Forschungsstelle fiir chemische Toxikologie der Akademie der Wissen- schaften der DDR, Leipzig

* Vgl. auch S. 59

2 UWSF-Z. Umweltchem. Okotox. 2 (1) 2 (1990) �9 ecomed verlagsgesetlschaft mbh, Landsberg �9 Z/irich