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Plenarprotokoll 16/225 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 225. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009 Inhalt: Begrüßung der amerikanischen Stipendiaten des Parlamentarischen Patenschafts-Programms Tagesordnungspunkt 36: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Arti- kel 91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115, 143 d) (Drucksachen 16/12410, 16/13221) . . . . . b) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Be- gleitgesetzes zur zweiten Föderalis- musreform (Drucksachen 16/12400, 16/13222) . . Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/13223) . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Struck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Bodo Ramelow (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Kröning (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: a) Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grundrecht auf Datenschutz im öffent- lichen und privaten Bereich stärken (Drucksache 16/13170) . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Silke Stokar von Neuforn, Jerzy Montag, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 2 a, 5 a, 13 a, 19) (Drucksachen 16/9607, 16/13218) . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes (Drucksachen 16/10529, 16/10581, 16/13219) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines 24855 A 24855 C 24855 D 24855 D 24856 A 24858 A 24859 B 24861 B 24863 D 24866 A 24868 B 24869 C 24871 B 24872 D 24875 A 24875 C 24878 A 24878 A 24878 B

Deutscher Bundestagdip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16225.pdfDeutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009 III rechtlichen Vorschriften

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Plenarprotokoll 16/225

Deutscher BundestagStenografischer Bericht

225. Sitzung

Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009

I n h a l t :

Begrüßung der amerikanischen Stipendiatendes Parlamentarischen Patenschafts-Programms

Tagesordnungspunkt 36:

a) Zweite und dritte Beratung des von denFraktionen der CDU/CSU und der SPDeingebrachten Entwurfs eines … Gesetzeszur Änderung des Grundgesetzes (Arti-kel 91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115,143 d)(Drucksachen 16/12410, 16/13221) . . . . .

b) – Zweite und dritte Beratung des vonden Fraktionen der CDU/CSU und derSPD eingebrachten Entwurfs eines Be-gleitgesetzes zur zweiten Föderalis-musreform(Drucksachen 16/12400, 16/13222) . .

– Bericht des Haushaltsausschusses ge-mäß § 96 der Geschäftsordnung(Drucksache 16/13223) . . . . . . . . . . . .

Dr. Peter Struck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .

Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Bodo Ramelow (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Volker Kröning (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24855 A

24855 C

24855 D

24855 D

24856 A

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24861 B

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24866 A

24868 B

24869 C

24871 B

Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . .

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 37:

a) Antrag der Abgeordneten Silke Stokar vonNeuforn, Volker Beck (Köln), MonikaLazar, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Grundrecht auf Datenschutz im öffent-lichen und privaten Bereich stärken(Drucksache 16/13170) . . . . . . . . . . . . . .

b) Zweite und dritte Beratung des von denAbgeordneten Renate Künast, Silke Stokarvon Neuforn, Jerzy Montag, weiteren Ab-geordneten und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines … Gesetzes zur Änderungdes Grundgesetzes (Artikel 2 a, 5 a,13 a, 19)(Drucksachen 16/9607, 16/13218) . . . . . .

in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 7:

a) – Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Änderungdes Bundesdatenschutzgesetzes(Drucksachen 16/10529, 16/10581,16/13219) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

– Zweite und dritte Beratung des vomBundesrat eingebrachten Entwurfs eines

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II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009

Gesetzes zur Änderung des Bundes-datenschutzgesetzes(Drucksachen 16/31, 16/13219) . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht des In-nenausschusses zu dem Antrag der Abge-ordneten Silke Stokar von Neuforn,Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Daten-schutz beim so genannten Scoring(Drucksachen 16/683, 16/13219) . . . . . . .

Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Michael Bürsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .

Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beatrix Philipp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 38:

a) – Zweite und dritte Beratung des vonden Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen,Bernd Schmidbauer, Dr. Hans-PeterUhl, weiteren Abgeordneten und derFraktion der CDU/CSU, der Abgeord-neten Thomas Oppermann, JoachimStünker, Fritz Rudolf Körper, Dr. PeterStruck und der Fraktion der SPD sowieder Abgeordneten Dr. Max Stadler,Dr. Guido Westerwelle und der Frak-tion der FDP eingebrachten Entwurfseines … Gesetzes zur Änderung desGrundgesetzes (Artikel 45 d)(Drucksachen 16/12412, 16/13220)

– Zweite und dritte Beratung des vonden Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen,Bernd Schmidbauer, Dr. Hans-PeterUhl, weiteren Abgeordneten und derFraktion der CDU/CSU, der Abgeord-neten Thomas Oppermann, JoachimStünker, Fritz Rudolf Körper, Dr. PeterStruck und der Fraktion der SPD sowieder Abgeordneten Dr. Max Stadler,Dr. Guido Westerwelle und der Frak-tion der FDP eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Fortentwicklungder parlamentarischen Kontrolleder Nachrichtendienste des Bundes(Drucksachen 16/12411, 16/13220)

– Zweite und dritte Beratung des vonden Abgeordneten Dr. Max Stadler,Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiteren Abgeordne-

24878 B

24878 C

24878 D

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24895 C

24895 D

ten und der Fraktion der FDP einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Kontrollgremiumge-setzes (Drucksachen 16/1163, 16/13220) . . .

– Zweite und dritte Beratung des vonden Abgeordneten Hans-ChristianStröbele, Volker Beck (Köln), MonikaLazar, weiteren Abgeordneten und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Verbesserung der par-lamentarischen Kontrolle der Ge-heimdienste sowie eines Informa-tionszugangsrechts(Drucksachen 16/12189, 16/13220) . .

– Zweite und dritte Beratung des vonden Abgeordneten Wolfgang Nešković,Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. NormanPaech, weiteren Abgeordneten und derFraktion DIE LINKE eingebrachtenEntwurfs eines … Gesetzes zur Ände-rung des Kontrollgremiumgesetzes(Drucksachen 16/12374, 16/13220) . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht des In-nenausschusses zu dem Antrag der Abge-ordneten Bodo Ramelow, Ulla Jelpke,Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion DIE LINKE: Über-wachung von Abgeordneten durch denVerfassungsschutz beenden(Drucksachen 16/5455, 16/13220) . . . . . .

Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . .

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bodo Ramelow (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . .

Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . .

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 39:

a) – Zweite und dritte Beratung des vonden Fraktionen der CDU/CSU und derSPD eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Neuregelung der zivil-

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009 III

rechtlichen Vorschriften des Heim-gesetzes nach der Föderalismusre-form(Drucksachen 16/12409, 16/13209) . .

– Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Neurege-lung der zivilrechtlichen Vorschrif-ten des Heimgesetzes nach derFöderalismusreform(Drucksachen 16/12882, 16/13209) . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Familie, Senioren, Frauenund Jugend zu dem Antrag der Abgeord-neten Elisabeth Scharfenberg, BrittaHaßelmann, Nicole Maisch, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Betreutes Woh-nen für ältere Menschen – Qualitätskri-terium Nutzerorientierung(Drucksachen 16/12309, 16/13209) . . . . .

Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . .

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wolfgang Spanier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 40:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Kultur und Medien zu dem An-trag der Abgeordneten Christoph Waitz,Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Dr. KarlAddicks, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDP: Inoffizielle Stasi-Mitarbeiterin Bundesministerien, Bundesbehördenund Bundestag enttarnen – Aufarbeitungdes Stasi-Unrechts stärken (Drucksachen 16/9803, 16/12982) . . . . . . . . .

Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . .

Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . .

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24908 B

24908 C

24908 C

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24913 C

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24915 C

24917 A

24917 A

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24919 B

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24923 A

24923 D

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 8:

Antrag der Bundesregierung: Anpassung desEinsatzgebietes für die Beteiligung bewaff-neter deutscher Streitkräfte an der EU-ge-führten Operation Atalanta zur Bekämp-fung der Piraterie vor der Küste Somalias(Drucksache 16/13187) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 42:

Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem vonden Abgeordneten Jan Korte, Petra Pau, UllaJelpke, weiteren Abgeordneten und der Frak-tion DIE LINKE eingebrachten Entwurf einesZweiten Gesetzes zur Änderung des Geset-zes zur Aufhebung nationalsozialistischerUnrechtsurteile in der Strafrechtspflege(2. NS-AufhGÄndG)(Drucksachen 16/3139, 16/13032) . . . . . . . . .

Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) . . . . . . . . . .

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 41:

a) Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing,Ulrich Adam, Peter Albach, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der CDU/CSUsowie der Abgeordneten Kurt Bodewig,Franz Thönnes, Dr. h. c. Gerd Andres,weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD: Ostseestrategie voranbringenund unterstützen(Drucksache 16/13171) . . . . . . . . . . . . . .

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24925 D

24926 A

24927 A

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24929 C

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24930 A

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IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009

b) Unterrichtung durch die Delegation derBundesrepublik Deutschland in der Ost-seeparlamentarierkonferenz: 17. Jahres-tagung der Ostseeparlamentarierkonfe-renz vom 31. August bis 2. September2008 in Visby, Schweden(Drucksache 16/12399) . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 43:

Vereinbarte Debatte: 25 Jahre Parlamentari-sches Patenschafts-Programm . . . . . . . . . . .

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .

Anlage 2

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenDr. Karl Lauterbach und Dr. Hermann Scheer(beide SPD) zu der namentlichen Abstim-mung über den Entwurf eines … Gesetzes zurÄnderung des Grundgesetzes (Artikel 91 c,91 d, 104 b, 109, 109 a, 115, 143 d) (Tages-ordnungspunkt 36 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 3

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenElke Ferner und Astrid Klug (beide SPD) zuder namentlichen Abstimmung über den Ent-wurf eines … Gesetzes zur Änderung desGrundgesetzes (Artikel 91 c, 91 d, 104 b, 109,109 a, 115, 143 d) (Tagesordnungspunkt 36 a)

Anlage 4

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenDr. Stephan Eisel und Siegfried Kauder (Vil-lingen-Schwenningen) (beide CDU/CSU) zuder namentlichen Abstimmung über den Ent-wurf eines … Gesetzes zur Änderung desGrundgesetzes (Artikel 91 c, 91 d, 104 b, 109,109 a, 115, 143 d) (Tagesordnungspunkt 36 a)

Anlage 5

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenIris Hoffmann (Wismar) und Dirk Manzewski(beide SPD) zu der namentlichen Abstim-mung über den Entwurf eines … Gesetzes zurÄnderung des Grundgesetzes (Artikel 91 c,91 d, 104 b, 109, 109 a, 115, 143 d) (Tages-ordnungspunkt 36 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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24936 D

24937 A

24937 D

24938 A

24938 D

24939 C

Anlage 6

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenOrtwin Runde und Dr. Wolfgang Wodarg(beide SPD) zu der namentlichen Abstim-mung über den Entwurf eines … Gesetzes zurÄnderung des Grundgesetzes (Artikel 91 c,91 d, 104 b, 109, 109 a, 115, 143 d) (Tages-ordnungspunkt 36 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 7

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenKlaus Barthel, Renate Gradistanac, WolfgangGunkel, Helga Lopez, Hilde Mattheis,Mechthild Rawert, René Röspel, AndreasSteppuhn, Rüdiger Veit und Waltraud Wolff(Wolmirstedt) (alle SPD) zu der namentlichenAbstimmung über den Entwurf eines … Ge-setzes zur Änderung des Grundgesetzes (Arti-kel 91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115, 143 d)(Tagesordnungspunkt 36 a) . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 8

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenDr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-PeterBartels, Dr. Michael Bürsch, BettinaHagedorn, Gabriele Hiller-Ohm, Sönke Rix,Jörn Thießen und Franz Thönnes (alle SPD)zu der namentlichen Abstimmung über denEntwurf eines … Gesetzes zur Änderung desGrundgesetzes (Artikel 91 c, 91 d, 104 b, 109,109 a, 115, 143 d) (Tagesordnungspunkt 36 a)

Anlage 9

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenFlorian Pronold, Klaus Uwe Benneter,Dr. Axel Berg, Dr. h. c. Gernot Erler, PeterFriedrich, Angelika Graf (Rosenheim), FrankHofmann (Volkach), Christel Humme,Brunhilde Irber, Christian Kleiminger,Dr. Bärbel Kofler, Anette Kramme, HelgaKühn-Mengel, Andrea Nahles, EwaldSchurer, Christoph Strässer und Dr. MarliesVolkmer (alle SPD) zu der namentlichen Ab-stimmung über den Entwurf eines … Geset-zes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115, 143 d) (Ta-gesordnungspunkt 36 a) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 10

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenRenate Schmidt (Nürnberg), Dr. h. c. GerdAndres, Ute Kumpf, Jella Teuchner, LotharMark, Dr. Lale Akgün, Wolfgang Spanier,Gert Weisskirchen (Wiesloch), Dr. h. c.Wolfgang Thierse, Gabriele Groneberg,Elvira Drobinski-Weiß, Klaus Hagemann,

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009 V

Petra Heß, Caren Marks, Dr. BarbaraHendricks, Katja Mast, Rita Schwarzelühr-Sutter, Ute Berg, Dr. Margrit Spielmann,Lothar Binding (Heidelberg), Petra Hinz(Essen), Klaus Brandner und Heinz Schmitt(Landau) (alle SPD) zu der namentlichen Ab-stimmung über den Entwurf eines … Geset-zes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115, 143 d) (Ta-gesordnungspunkt 36 a) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 11

Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli-chen Abstimmung über den Entwurf eines …Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes(Artikel 91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115, 143 d)(Tagesordnungspunkt 36 a) . . . . . . . . . . . . . .

Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Ulla Burchardt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rolf Kramer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jürgen Kucharczyk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . .

Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

Steffen Reiche (Cottbus) (SPD) . . . . . . . . . . .

Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . .

Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . .

Anlage 12

Erklärung nach § 31 GO des AbgeordnetenDr. Stephan Eisel (CDU/CSU) zu der Abstim-mung über die Beschlußempfehlung zu demAntrag: Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Bun-desministerien, Bundesbehörden und Bundes-tag enttarnen – Aufarbeitung des Stasi-Un-rechts stärken (Tagesordnungspunkt 40) . . . .

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24951 A

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24952 A

24952 B

24952 D

24953 A

Anlage 13

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenRainer Fornahl, Gunter Weißgerber undDr. h. c. Gerd Andres (alle SPD) und ManfredKolbe (CDU/CSU) zu der Abstimmung überdie Beschlussempfehlung zu dem Antrag: In-offizielle Stasi-Mitarbeiter in Bundesministe-rien, Bundesbehörden und Bundestag enttar-nen – Aufarbeitung des Stasi-Unrechtsstärken (Tagesordnungspunkt 40) . . . . . . . . .

Anlage 14

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenGünter Baumann, Dr. Peter Jahr undKatharina Landgraf (alle CDU/CSU) zu derAbstimmung über die Beschlussempfehlungzu dem Antrag: Inoffizielle Stasi-Mitarbeiterin Bundesministerien, Bundesbehörden undBundestag enttarnen – Aufarbeitung des Stasi-Unrechts stärken (Tagesordnungspunkt 40) . . .

Anlage 15

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenAntje Blumenthal, Veronika Bellmann,Dr. Christoph Bergner, Klaus Brähmig,Monika Grütters, Manfred Grund, JensKoeppen, Michael Kretschmer, Andreas G.Lämmel, Dr. Michael Luther, Ulrich Petzold,Eckhardt Rehberg, Katherina Reiche (Pots-dam), Ingo Schmitt (Berlin), MichaelStübgen, Arnold Vaatz, Volkmar Uwe Vogelund Kai Wegner (alle CDU/CSU) zu der Ab-stimmung über die Beschlussempfehlung zudem Antrag: Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter inBundesministerien, Bundesbehörden und Bun-destag enttarnen – Aufarbeitung des Stasi-Un-rechts stärken (Tagesordnungspunkt 40) . . . .

Anlage 16

Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung desBerichts: Entwurf eines Zweiten Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes zur Aufhebung natio-nalsozialistischer Unrechtsurteile in der Straf-rechtspflege (2. NS-AufhGÄndG) (Tagesord-nungspunkt 42)

Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 17

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:

– Antrag: Ostseestrategie voranbringen undunterstützen

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VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009

– Unterrichtung: 17. Jahrestagung der Ost-seeparlamentarierkonferenz vom 31. Au-gust bis 2. September 2008 in Visby,Schweden

(Tagesordnungspunkt 41 a und b)

Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Kurt Bodewig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 18

Zu Protokoll gegebene Reden zur vereinbar-ten Debatte: 25 Jahre Parlamentarisches Pa-tenschafts-Programm (Tagesordnungspunkt 43)

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

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Volker Schneider (Saarbrücken) DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 19

Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung:

– Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelungder zivilrechtlichen Vorschriften desHeimgesetzes nach der Föderalismusre-form (Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD)

– Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelungder zivilrechtlichen Vorschriften desHeimgesetzes nach der Föderalismusre-form (Entwurf der Bundesregierung)

– Beschlussempfehlung und Bericht: Be-treutes Wohnen für ältere Menschen –Qualitätskriterium Nutzerorientierung

(Tagesordnungspunkt 39 a und b)

Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 20

Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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225. Sitzung

Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. – Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in unsereTagesordnung eintreten, möchte ich die anwesenden350 amerikanischen Stipendiaten des Parlamentari-schen Patenschafts-Programms auf den Tribünen imPlenarsaal herzlich begrüßen.

(Beifall)

Diese jungen Amerikanerinnen und Amerikaner bildenbereits den 25. Jahrgang des Parlamentarischen Paten-schafts-Programms und besuchen anlässlich dieses Jubi-läums heute den Deutschen Bundestag.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, das Parlamentarische Patenschafts-Programmwurde 1983 vom Bundestag und dem amerikanischenKongress vereinbart, und seit nunmehr 25 Jahren reisendie jungen Stipendiaten jeweils für ein Jahr in das Part-nerland. Dieser Austausch fördert das gegenseitige Ver-ständnis und trägt wirkungsvoll dazu bei, neben derKenntnis des Landes auch die persönlichen, die mensch-lichen Beziehungen zwischen Deutschland und Amerikadauerhaft zu stärken.

Sie, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten, vertretenheute gewissermaßen die 18 500 Amerikaner und Deut-schen, die an diesem Programm inzwischen erfolgreichteilgenommen haben und so etwas wie junge Botschafterihres Landes auf der jeweils anderen Seite des Atlantiksgewesen sind.

Ich möchte Ihnen weiterhin einen interessanten Auf-enthalt in Deutschland wünschen. Ich nutze die Gelegen-heit gerne, um nicht nur den zahlreichen Kolleginnenund Kollegen für ihren Einsatz als Pate in den Wahlkrei-sen zu danken, sondern ausdrücklich auch den ehrenamt-lichen Gastfamilien, den engagierten Austauschorgani-sationen sowie der Bundestagsverwaltung.

(Beifall)

Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 36 a und36 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten

Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung desGrundgesetzes (Artikel 91 c, 91 d, 104 b, 109,109 a, 115, 143 d)

– Drucksache 16/12410 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/13221 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Günter Krings Volker Kröning Dr. Volker Wissing Wolfgang NeškovićJerzy Montag

b) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachtenEntwurfs eines Begleitgesetzes zur zweitenFöderalismusreform

– Drucksache 16/12400 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/13222 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Günter Krings Volker Kröning Dr. Volker Wissing Wolfgang NeškovićJerzy Montag

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/13223 –

Berichterstattung:Abgeordnete Steffen Kampeter Volker Kröning Otto Fricke Roland Claus Alexander Bonde

Redetext

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Präsident Dr. Norbert Lammert

Über den Gesetzentwurf zur Änderung des Grundge-setzes werden wir später, also nach Abschluss dieser Be-ratungen, namentlich abstimmen. Ich mache darauf auf-merksam, dass zur Annahme dieses Gesetzentwurfs dieZustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Deut-schen Bundestages erforderlich ist. Zu diesem Gesetz-entwurf liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionender FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächstder Kollege Dr. Peter Struck für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Peter Struck (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Ich glaube, das Thema, über das wirheute sprechen, ist für die amerikanischen Freunde aufder Tribüne nicht ganz so prickelnd.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Trotzdem ist es für unsere Verfassung und für Deutsch-land wichtig.

Ich will nicht auf die Einzelheiten der Föderalismus-reform eingehen, sondern einige Kritikpunkte aufgrei-fen, über die in den vergangenen Tagen nicht nur in mei-ner Fraktion, sondern auch in anderen Fraktionendiskutiert worden ist.

Der erste Kritikpunkt war: Die Regelungen, die wirbeschließen wollen, gehörten, weil sie zu sehr ins Detailgehen, nicht ins Grundgesetz. Ich empfehle einen Blickauf Art. 106 im aktuellen Grundgesetz. Dieser eine Arti-kel umfasst ungefähr drei Seiten.

Meine Damen und Herren, die Aufgabe, die Finanz-verfassung zwischen Bund und Ländern zu regeln, istnatürlich etwas komplizierter als die Formulierung einesGrundrechts. Ein Konzern, der ein ähnliches Problemder Zusammenarbeit zu lösen hätte, müsste Verträge auf-setzen, die zig Seiten umfassen würden. Ein Grund, wa-rum es zu dieser Regelung kam, besteht darin, dass dieLänder bestimmte Regelungen verfassungsfest festlegenwollten. Das kann ich nachvollziehen. Denn eine verfas-sungsfeste Regelung ist die Garantie, dass der Bund be-reit ist, bestimmte Leistungen für die Länder zu erbrin-gen.

Ein zweites Argument, das gegen die Entscheidung,die die Föderalismuskommission getroffen hat, vorge-bracht wird, lautet, die Schuldenbegrenzung für denBund sei zu eng gefasst. Es wird die Befürchtung geäu-ßert, der Bundestag bzw. der Bundesgesetzgeber sei auf-grund der Schuldenbegrenzung irgendwann gezwungen,Sozialleistungen zu kürzen, weil die Schuldengrenzedies erfordere. Diese Befürchtung ist wirklich unbegrün-det, meine Damen und Herren; FinanzministerSteinbrück wird sich dazu noch äußern.

Es geht um einen Schuldenpfad, der im Jahre 2011beginnt und im Jahre 2016 bei den berühmten 0,35 Pro-

zent des Bruttoinlandsprodukts endet. Wie jeder weiß,können auch Sondersituationen berücksichtigt werden.Es gibt insgesamt drei Ausnahmen, in denen die Auf-nahme zusätzlicher Schulden erlaubt ist: die konjunktu-relle Verschuldung, die strukturelle Verschuldung unddie Verschuldung in Ausnahmesituationen. Es ist absurd,anzunehmen, die Schuldengrenze würde den Staat kne-beln.

Beim dritten Kritikpunkt an den getroffenen Regelun-gen geht es um die Frage: Erlegen wir den Ländernnicht zu viele Pflichten auf? Natürlich weiß jeder, der anden Sitzungen der Föderalismuskommission teilgenom-men hat, dass der Vorschlag, den Herr Oettinger und ich– wir waren die Vorsitzenden der Kommission – ge-macht haben, zum Inhalt hatte, den Ländern die Mög-lichkeit einzuräumen, ihre Schulden auf 0,15 Prozentdes Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen, und zwar auchim Jahre 2020; nach aktuellen Zahlen wären das unge-fähr 4 Milliarden Euro. Diese Vereinbarung ist übrigensauch im Koalitionsausschuss getroffen worden. Die Län-der haben in der Föderalismuskommission allerdings ge-sagt: Wir wollen im Jahre 2020 die Nullgrenze errei-chen.

Natürlich akzeptiere ich diese Meinung der Länder,stelle für meine Fraktion aber ausdrücklich fest: Wennder Bundesrat, der an dieser Stelle zuständig ist, zu demErgebnis kommt, dass diese Schuldengrenze nicht einzu-halten ist, und mit Zweidrittelmehrheit eine andere Ent-scheidung trifft, dann werden wir diese Entscheidungmittragen. Das ist gar keine Frage.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß, dass über dieses Thema in der Koalitionnoch eine Debatte zu führen ist. Daher stelle ich zu-nächst einmal nur für mich und meine Fraktion fest: Wirwürden einer solchen Entscheidung nicht im Wege ste-hen. Warten wir erst einmal ab, ob die Länder überhaupteine Zweidrittelmehrheit erreichen. Um es deutlich zusagen: Nach den Gesprächen, die bisher geführt wordensind, sehe ich das nicht.

(Ute Berg [SPD]: Die Länder interessiert das auch nicht!)

Der vierte Kritikpunkt betrifft das sogenannte Koope-rationsverbot, also die Regelung zu Art. 104 b Grund-gesetz. Diese Regelung hat nur mittelbar mit den Finanz-beziehungen zu tun. Ich stelle fest, auch als Vorsitzenderder SPD-Fraktion: Die Regelungen, die wir zu Beginndieser Wahlperiode, als es um die Föderalismusreform Iging, getroffen haben, übrigens auch auf Wunsch derLänder, sind unpraktikabel. Die Entscheidung, fast keineMöglichkeit der Zusammenarbeit im Bildungsbereichvorzusehen, war falsch. Das ist eindeutig.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich stelle aber auch fest: Im Bundesrat gibt es keine ver-fassungsändernde Mehrheit für eine Änderung.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wer hat damals eigentlich zugestimmt?)

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Dr. Peter Struck

– Ganz langsam. Man sollte keine Zwischenrufe ma-chen, wenn man keine Ahnung hat, Frau Enkelmann.Das empfehle ich Ihnen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU – Dr. DagmarEnkelmann [DIE LINKE]: Ja, ja! Ihr habt derFöderalismusreform doch zugestimmt! Das isteure Verantwortung!)

Die jetzige Regelung zur Zusammenarbeit zwischenBund und Ländern ist eine Regelung, die die Länderwollten. Die Länder wollten nicht, dass ihnen der BundGeld für solche Bereiche zur Verfügung stellen kann, indenen er keine Gesetzgebungsbefugnisse hat. Das wareine Forderung der Länder. Diesen Beschluss haben wirim Rahmen der ersten Föderalismusreform gefasst.Schließlich mussten wir eine Einigung erzielen.

Jetzt haben wir folgende Situation: Fast unmittelbarnach der Verabschiedung der ersten Föderalismusreformhat der Bund erstens entschieden, den Ausbau der Krip-penplätze für Kinder bis zu einem Jahr in einer Größen-ordnung von 4 Milliarden Euro bis zum Jahre 2013 zufördern. Das ist eine Aufgabe, deren Erledigung eigent-lich den Ländern bzw. den Kommunen obliegt.

Zweitens hat der Bund im Anschluss an dieFöderalismusreform I beschlossen, die Hochschulpoli-tik zu fördern, Stichwort: Hochschulpakt. Auch hierfürstellt er vernünftigerweise viel Geld zur Verfügung.

(Beifall bei der SPD)

Das Dritte und Gravierendste in der letzten Zeit wardas Konjunkturprogramm II. Wir haben eine MengeGeld dafür bereitgestellt – 13 Milliarden Euro –, dass dieKommunen Infrastrukturmaßnahmen finanzieren kön-nen. Wegen der jetzigen Verfassungslage mussten wireine Menge Verrenkungen vornehmen, durch die es unsermöglicht wird, den Kommunen Geld für die energeti-sche Sanierung ihrer Schulgebäude zu geben. Das ist ei-gentlich absurd, weil mir manche Kommunen gesagt ha-ben: Eine energetische Sanierung müssen wir nichtdurchführen, wir bauen eine neue Turnhalle nach denentsprechenden Gesichtspunkten. – Das durften sie abernicht. Hier haben wir auch eingegriffen – Sie wissendas – und das einigermaßen korrigiert.

Durch diese drei Beispiele zeigt sich, dass die jetzigeVerfassungslage falsch ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben in der Föderalismuskommission II versucht,das zu korrigieren. Wir haben das leicht korrigiert, abernicht so, wie ich mir das vorgestellt habe und wie meineFraktion das in der Föderalismuskommission II leiderohne Erfolg beantragt hat. Ich sage ausdrücklich „ohneErfolg“ auch deshalb, weil die Länder nicht mitgemachthaben. Man muss hier feststellen – das will ich noch ein-mal sagen –, dass die Zusammenarbeit zwischen demBund und den Ländern im Bildungsbereich absolut un-befriedigend ist. Hier muss korrigiert werden. Vielleichtgeschieht das ja im Laufe der nächsten Wahlperiode.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das letzte Argument, das auch häufig vorgebrachtworden ist, lautet, dass die Bestimmung, die wir einge-führt haben, wonach die Länder ab dem Jahre 2020keine Schulden mehr machen dürfen, verfassungswid-rig ist. Wenn es um ein Gesetz ging, habe ich in den fast30 Jahren, in denen ich hier im Bundestag bin, oft genugdas Argument gehört, das Gesetz sei verfassungswidrig.Für mich ist ein Gesetz erst dann verfassungswidrig,wenn das vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhefestgestellt worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist eine logische Überlegung. Das sage ich auch alsJurist.

Wenn jemand meint, es sei verfassungswidrig, dannsoll er klagen. Ich habe gehört, dass vier Fraktionen desLandtages Schleswig-Holstein gegen diese Regelung, diewir festgelegt haben, klagen wollen. Sollen sie klagen!

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Wenn das Ergebnis lautet, die Regelung ist verfassungs-widrig, dann werden wir das natürlich korrigieren. Ichhalte eine Klage für aussichtslos, aber ich weiß, dass vorGericht und auf hoher See alles in Gottes Hand ist.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.Ich weiß, dass sich die Kolleginnen und Kollegen derFDP in dieser Debatte nicht nur aus taktischen, sondernauch aus politischen Gründen enthalten – ich würde dasganz genauso machen –, um zu klären, ob es mit derCDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion eine Zwei-drittelmehrheit im Deutschen Bundestag gibt. Ich hoffe,Herr Kollege Westerwelle, dass sich diese Haltung beider Bundesratsentscheidung nicht auch niederschlägt,sondern dass Sie dafür sorgen werden, dass auch imBundesrat die nötige Zweidrittelmehrheit für diese Ver-fassungsänderung gewährleistet ist, wenn ihr denn hierim Deutschen Bundestag zugestimmt wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darum appelliere ich an Sie. Ich bin mir aber ganz si-cher, dass ich mich darauf verlassen kann.

Die Föderalismusreform ist ein ganz schwierigesThema. Ich bin mir auch sicher, dass sie noch nicht be-endet ist. Der nächste Bundestag wird sicher wieder eineKommission zum Thema Bildung und zur Neugliede-rung unserer Bundesrepublik bzw. zur Länderneugliede-rung einzusetzen haben. Das ist gar keine Frage.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Trotzdem appelliere ich an Sie alle – auch an diejeni-gen, die noch überlegen, ob sie dem zustimmen können –:Stimmen Sie bitte zu. Das ist ein Fortschritt für unserLand. Es lohnt sich, für diese Föderalismusreform mit Jazu stimmen und für sie einzutreten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

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Präsident Dr. Norbert Lammert: Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion ist der

nächste Redner.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Volker Wissing (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

haben in dieser Föderalismuskommission II erlebt, wieschwer sich einige – insbesondere der SPD – damit getanhaben, die Frage, ob wir die Verschuldung begrenzenwollen, eindeutig mit Ja zu beantworten. Deswegen willich hier einmal damit anfangen, über Zinsen zu reden,die der Staat in Milliardenhöhe Jahr für Jahr zahlt, unddie Frage stellen, wie sozial diese Zinszahlungen ei-gentlich sind.

Es gibt hier ja einige, die meinen, es sei besser, dasGeld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler an Bankenstatt zur Bewältigung sozialer Aufgaben auszugeben.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist doch nicht Ihr Niveau! Ist das schlecht!)

Nichts anderes als das ist die Konsequenz Ihres Wider-standes gegen eine effektive Verschuldungsbegrenzung,den Sie in den Kommissionen geleistet haben und denSie auch nach der Kompromissfindung wieder habenaufleben lassen.

Wenn Sie einen Blick in den Bundeshaushalt werfen,werden Sie feststellen, dass die Zinslasten bedrohlichsind. Das bleibt nicht ohne Folgen. Es schränkt die poli-tische Gestaltungsfähigkeit ein. Jeder Euro, den wir fürZinsen ausgeben, fehlt an anderer Stelle für Investitio-nen in Forschung und Entwicklung, für soziale Aufga-ben ebenso wie für Investitionen in Bildung und Kultur.

Deshalb ist es unverantwortlich, immer wieder zu be-haupten, die Schuldenpolitik des Staates hätte irgendet-was mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Das Gegenteil istder Fall.

(Beifall bei der FDP)

Wer wie Teile der Sozialdemokraten oder wie dieLinke geschlossen gegen die effektive Schuldenbremseeintritt, der sollte den Menschen in unserem Land auchsagen, warum er das Geld der Bürgerinnen und Bürgerlieber an Banken überweist, statt in Bildung, Forschungund Entwicklung oder in moderne Infrastruktur zu inves-tieren.

Die FDP hat sich aus diesem Grund entschlossen, füreine effektive Verschuldungsbegrenzung zu kämpfen.Wir haben konkrete Vorschläge gemacht, wie der Bund-Länder-Finanzausgleich neu geregelt, die Verschul-dung begrenzt und – was zwingend erforderlich ist –gleichzeitig eine größere Finanzautonomie der Ländergeschaffen werden kann. Denn es ist nicht sinnvoll, aufder einen Seite den Gestaltungsspielraum einzuschrän-ken, ohne auf der anderen Seite neue Gestaltungsmög-lichkeiten zu eröffnen. Dass das letzten Endes nichtmöglich war, geht auf eine Entscheidung der GroßenKoalition zurück. Sie haben sich entschlossen, bei derReform die Themen Bund-Länder-Finanzausgleich und

Finanzautonomie auszuklammern, und sich nur noch mitder Verschuldungsfrage beschäftigt.

Ohne eine Neuregelung des Finanzausgleichs undohne ein Mehr an Finanzautonomie wird aber nie eingroßer Wurf in dieser Frage zu erreichen sein.

(Beifall bei der FDP)

Insofern war der Kompromiss, der in der Föderalismus-kommission gefunden wurde, ein kleiner gemeinsamerNenner. Es war zwar weit weniger als das, was die FDPvorgeschlagen hat – wir hatten konkrete Gesetzentwürfefür alle Bereiche vorgelegt, mit denen wir alles abge-arbeitet haben, was zum Auftrag der Kommission ge-hörte –, aber der Kompromiss, den wir gefunden haben,war trotz allem mehr als nichts. Es war ein Schritt in dierichtige Richtung, und es war eine Chance. Deswegenhaben wir das in der Kommission auch mitgetragen.

Herr Kollege Struck, wenn es bei diesem Kompro-miss bleiben sollte, dann wird die FDP weiterhin denWeg aus dem Schuldenstaat mitgehen. Ich glaube, dasdürfte völlig außer Frage stehen. Dazu haben wir eineglasklare Position.

(Beifall bei der FDP)

Es ist aber unverständlich, dass das SPD-Präsidiummit der jüngsten Erklärung den Kompromiss quasi zumZwischenschritt degradiert hat und die heutige Bundes-tagsentscheidung als eine Art Diskussionsgrundlage fürweitere Beratungen im Bundesrat sieht. Das hatten wirin der Föderalismuskommission nicht miteinander ver-einbart.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Struck, dass ausgerechnet Sie sich fürdiesen Weg offen zeigen, ist mir ehrlich gesagt unver-ständlich. Es ist für mich nicht vorstellbar, dass der Bundden Ländern Konsolidierungshilfen zahlt, der nivellie-rende Finanzausgleich erhalten bleibt und die Länderweiterhin frei Schulden machen können. Wer soll einesolche Lösung dann noch als Erfolg bezeichnen?

(Beifall bei der FDP)

Wir waren und sind uns sicherlich einig, dass derKompromiss in der Föderalismuskommission niemalszustande gekommen wäre, wenn die Länder vorgeschla-gen hätten, die Frage der eigenen strukturellen Neuver-schuldung offen zu lassen, um sie später in einem Bun-desratsverfahren zu klären.

Wir hätten uns gewünscht, dass es in der parlamenta-rischen Beratung gelingen würde, die nicht sehr gelun-gene Formulierung des Gesetzestextes zu verbessern.Auch in der Sachverständigenanhörung wurde einiges anKritik vorgetragen. Aber das wurde mit Hinweis auf denKompromiss abgelehnt: An den Texten, die verbesse-rungswürdig wären, durfte nichts geändert werden. Da-gegen sind Sie für eine Änderung in einer fundamentalenFrage, die für uns quasi die Bedingung war, das Vorha-ben mitzutragen. An dieser zentralen Schraube wollenSie jetzt drehen. Diesen Weg gehen wir heute nicht mit.

(Beifall bei der FDP)

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Dr. Volker Wissing

Weil Teile Ihrer Fraktion den Ausstieg aus demSchuldenstaat nicht mitgehen, wollen Sie den Gesetzent-wurf über den Bundesrat entschärfen. Für uns ist dieserKompromiss – ich betone es noch einmal – kein Zwi-schenschritt. Wir sind nicht bereit, Ihnen heute einen wa-ckeligen Weg in den Bundesrat zu ebnen, weil Sie inWahrheit in den eigenen Reihen keine einheitliche Posi-tion gegen die Staatsverschuldung zustande bringenkonnten.

Die FDP steht weiterhin zu ihrer Forderung nach ei-nem Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik. Wirwollen endlich hin zu einer Politik der Generationen-gerechtigkeit. Aber dann müssen Fehlanreize im Sys-tem effizient beseitigt werden. Eine dauerhafte struktu-relle Neuverschuldung der Länder kommt für uns – dassage ich in aller Deutlichkeit – nicht in Betracht.

(Beifall bei der FDP)

In der Finanz- und Haushaltspolitik sind mittlerweilealle Dämme gebrochen. Der Bundeshaushalt ist ein ein-ziges „Wünsch dir was“. Wenn Sie das Geld wenigstensfür Strukturreformen ausgäben und mehr Nachhaltigkeitund neue Chancen für unsere Gesellschaft erreichten,wäre etwas geschaffen. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Es gibt einen weiteren Grund, daran zu zweifeln, dassdie Verfassungsänderung, über die wir heute abschlie-ßend beraten, von den Ländern überhaupt ernst genom-men wird. Es genügt ein Blick auf die Bundesratsbank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LIN-KEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Dann wird allen, glaube ich, deutlich, dass das, über washeute entschieden werden soll, nicht die eigentliche Ent-scheidung sein soll, sondern dass alle darauf setzen, dasKompromisspaket wieder zu öffnen, und zwar hin zuneuer Staatsverschuldung. Das lehnen wir ganz klar ab.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Antje Tillmann für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Antje Tillmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Feierlichkeiten zum 60-jährigen Geburtstag unserer Re-publik sind noch nicht lange her. Viele Menschen habendie Gelegenheit genutzt, sich noch einmal mit den Tex-ten unserer Verfassung zu befassen. Auch wir Abgeord-nete haben in zahlreichen Veranstaltungen die Verfas-sungstexte noch einmal auf uns wirken lassen und dabeierneut festgestellt, dass die Grundrechtsartikel auch inihrer Formulierung eingängig und überzeugend sind.„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Mit dieseneinfach anmutenden Worten in Art. 1 Abs. 1 des Grund-gesetzes stellt es klar: Nicht der Staat, nicht politischesGezänk und nicht bestimmte gesellschaftliche Gruppensind das Maß der Dinge. Es ist der Mensch, der im Mit-telpunkt unserer Verfassung steht. In den folgenden

Artikeln geht es ebenfalls um den Menschen, Gerechtig-keit, Solidarität und Chancengleichheit.

Ja, ich teile die Auffassung, dass auch die Klarheit derWorte und die Ästhetik in der Formulierung einen Wertunserer Verfassung ausmachen. Ja, es ist ebenfalls rich-tig, dass es uns nicht mit jedem Satz in der Finanzverfas-sung gelungen ist, diese Ästhetik in den Teil des Grund-gesetzes hinüberzuretten, der die Finanzbeziehungendarstellt. Das ist übrigens den Vätern und Müttern unse-res Grundgesetzes in dem damaligen Teil der Finanzver-fassung ebenfalls nicht gelungen. Aber der Geist der ers-ten Artikel unserer Verfassung ist ganz eindeutig auchGrundlage der Finanzverfassung.

Gerechtigkeit, Solidarität und Chancengleichheit, da-rum geht es, wenn wir heute eine Schuldenbegrenzungeinführen und die entsprechenden Artikel ändern. Esgeht um Gerechtigkeit, weil Schuldenbegrenzung Gene-rationengerechtigkeit bedeutet. Das derzeitige Ausmaßder Verschuldung – auch ohne die Schulden aus der ak-tuellen Wirtschaftskrise – stellt eine schwere Last für zu-künftige Generationen dar. Der geltende Art. 115 desGrundgesetzes, der eine Kreditaufnahme für Investitio-nen und zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaft-lichen Gleichgewichts vorsieht, hat nicht die erforderli-chen Grenzen gesetzt. Es wurden eben nicht nurSchulden aufgenommen, die einen gleichen Gegenwertin Investitionen hatten, wie es die Verfassung eigentlichvorsieht. Dadurch sind die Zinslasten der öffentlichenHaushalte – Bund, Länder und Gemeinden – auf circa70 Milliarden Euro pro Jahr angestiegen. Ständig stei-gende Zinslasten sind aber eine schwere Hypothek fürunsere Kinder, insbesondere deshalb, weil wir aufgrunddes demografischen Wandels und der damit zusammen-hängenden zusätzlichen Kosten für Renten, Pensionenund Gesundheitsleistungen eigentlich sogar Rückstellun-gen bilden müssten. Zinszahlungen statt Zukunftsinves-titionen sind die Folge. Die Zinszahlungen belasten unszurzeit noch mehr als die Schuldenstandsquote.

Auch diejenigen, die sich zurzeit Sorgen um Bildungund Kultur machen, werden wohl zugeben, dass es hun-dert Prozent sinnvoller wäre, diese Zinsmilliarden inKöpfe und Kulturgüter zu investieren, als sie ohne Ge-genleistung hinauszuwerfen. Lieber Kollege Wissing,ich habe Ihrer Rede zugehört und kann viele Punkte un-terschreiben. Ich finde es aber schwierig, Ihre Reaktionnachzuvollziehen, der geplanten Änderung der Verfas-sung zur Begrenzung der Verschuldung nicht zuzustim-men. Es war von Anfang an nicht geplant, den Länder-finanzausgleich zu öffnen, sondern die Schuldensituationzu verbessern. Das tun wir mit dem heutigen Gesetz.Deshalb wundere ich mich, dass Sie heute, obwohl Siedas in der Föderalismusreform noch mitgetragen haben,dem nicht zustimmen wollen.

Schuldenbegrenzung ist kein Selbstzweck. Wir wol-len dadurch Spielräume für wichtige Zukunftsinvesti-tionen zum Beispiel in Bildung, Familie und Kultur undvielleicht auch für künftige Wirtschaftskrisen schaffen.Das sind wir unseren Bürgerinnen und Bürgern schuldig,insbesondere in einer Zeit, in der die Neuverschuldungein unvorstellbares Ausmaß hat. Wir müssen den Men-

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Antje Tillmann

schen heute sagen, wie wir diese Schulden in Zukunfttilgen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Volker Kröning [SPD])

In den letzten Tagen wurden viele Briefe verschickt.Viele haben uns aufgerufen, der Schuldenbegrenzungnicht zuzustimmen. Diesen Skeptikern stehen aber Sach-verständige gegenüber, die seit Jahren mit uns an derSchuldenbremse gearbeitet haben. Der Bundesrech-nungshof wie auch der Sachverständigenrat halten es fürgeboten, dass sich Bund und Länder auf stringente Re-geln einigen, um die Staatsverschuldung nachhaltig zubegrenzen und stabilitätskonforme Haushalte aufzustel-len. Auch die überwiegende Mehrzahl der Sachverstän-digen in der Anhörung teilte im Grundsatz die Meinung,eine Schuldenbegrenzung sei zwingend erforderlich. Eshandelt sich dabei aber um eine Begrenzung, die unseben nicht handlungsunfähig macht. Auch der derzeiti-gen wirtschaftlichen Situation hätten wir mit der nun zubeschließenden Schuldenbremse begegnen können. Wirwerden auch künftig in konjunkturell schlechten ZeitenSpielräume behalten, allerdings müssen wir in wirt-schaftlich besseren Zeiten mehr als bisher gegensteuernund zusätzliche Steuereinnahmen zur Tilgung der in derKrise aufgenommenen Schulden aufwenden.

Neben der Gerechtigkeit spielt auch Solidarität einenoch größere Rolle in unserer Finanzverfassung als bis-her. Hilfen in einer Gesamtsumme von 800 MillionenEuro jährlich im Zeitraum 2011 bis 2019 zusätzlich zumLänderfinanzausgleich zur Verfügung zu stellen, istBund und Geberländern nicht leichtgefallen. Diese Mit-tel sind aber notwendig, um alle Länder mit ins Boot zuholen. Es war uns wichtig, niemanden mit seinen Schul-denproblemen alleine zu lassen. Die Bereitschaft zurZahlung war aber ganz eng an eine strenge Schuldenbe-grenzung gebunden, weil die Geberländer ihren Bürge-rinnen und Bürgern natürlich erklären müssen, warumsie sich freiwillig bereit erklären, über den Länder-finanzausgleich hinaus zusätzliche Mittel aus eigenenSteuergeldern anderen zur Verfügung zu stellen. Machenwir es diesen Ländern nicht noch schwerer. Wer jetzt be-strebt ist, diese Begrenzung aufzuweichen, muss wissen,dass damit auch andere Vereinbarungen hinfällig wür-den.

Der dritte Bereich umfasst die Chancengleichheit.Die Regeln werden zu unterschiedlichen Zeiten in Krafttreten. Wir wissen natürlich, dass nicht alle in diesemLand zur gleichen Zeit den neuen Regeln Rechnung tra-gen können. Einige halten die Schuldenbegrenzung fürzu ambitioniert, andere wiederum behaupten, das In-krafttreten der Schuldenbegrenzung wäre zu spät. Beidesstimmt nicht. Die neuen Schuldenbegrenzungsregelnsind grundsätzlich erstmals für das Jahr 2011 anzuwen-den, und zwar für den Bundeshaushalt mit der Maßgabe,dass das strukturelle Defizit – nur darum geht es bei die-sem Punkt – ab dem Jahr 2011 in gleichmäßigen Schrit-ten zurückgeführt werden soll, und ab dem Jahr 2016 nurnoch Schulden in Höhe von 0,35 Prozent des BIP ge-macht werden dürfen. Es ist einfach falsch, zu behaup-ten, dass Generationen von Politikern Schulden gemacht

hätten und wir nun eine Generation zwingen würden,diese Situation auszubaden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so-wie des Abg. Volker Kröning [SPD])

Es geht – leider – noch gar nicht um Schuldenrückfüh-rung, es geht ganz im Gegenteil nur darum, dass wirkünftig nicht weiter den Weg der Neuverschuldung ge-hen und dass wir die künftigen Generationen nicht zu-sätzlich mit neuen Schulden belasten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Volker Kröning [SPD])

Die Länder, die Unterstützung erhalten, müssen eben-falls 2011 anfangen zu konsolidieren. Die Gewährung derHilfen setzt einen vollständigen Abbau des Defizits vo-raus. Die Abbauschritte, die Hilfen, die Finanzierungsde-fizite und die Überwachung durch den Stabilitätsrat habenwir im Begleitgesetz geregelt. Mit der letzten Gruppe, denGeberländern, haben wir das Ziel der gemeinsamenSchuldenbegrenzung festgeschrieben, aber wir habennicht zu stark in die Haushaltskompetenzen eingegriffen.Wir haben nämlich zugelassen, dass die Geberländer bis2019 von der Schuldenbegrenzung abweichen, aber imHaushalt 2020 sicherstellen müssen, dass kein struktu-relles Defizit mehr vorhanden ist. Wir alle wissen, dasseinige Länder das schneller schaffen werden. Sie habenin ihre Landesverfassungen schon ambitioniertere Rege-lungen aufgenommen. Wir wissen aber auch, dass an-dere Länder diese Zeit brauchen werden. Das ist aus un-serer Sicht nicht schlimm, weil wir wichtig finden, dasswir den Weg weg von immer weiterer Verschuldung ein-schlagen. Das werden wir, so hoffe ich, heute tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Was die Solidarität betrifft, so haben wir die Kom-munen nicht vergessen. Mit den neuen Schuldenregelnlassen wir es bei einem grundsätzlichen Neuverschul-dungsverbot zu, dass in Notlagen mit Krediten gegenge-steuert werden darf.

Diese Möglichkeit wird es künftig über denArt. 104 b Grundgesetz auch in den Bereichen geben, indenen der Bund keine Gesetzgebungskompetenz hat.Der Bund darf also in der Krise Ländern und Kommunenmit Finanzhilfen zur Seite stehen. So gibt es jetzt zusätz-liche Sicherheit für die 10 Milliarden Euro aus demkommunalen Investitionsprogramm. Diskussionen überdie Frage: „Dürfen Schultoiletten oder müssen Schul-dächer saniert werden?“ gehören damit der Vergangen-heit an.

Auch bei den Verwaltungsthemen spielen Menschen-würde und Gerechtigkeit eine große Rolle. Hätten dieMütter und Väter unseres Grundgesetzes die Möglich-keiten der IT gekannt, sie hätten es als ein Grundrecht inunsere Verfassung geschrieben, dass IT-Sicherheit fürdie Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten ist. Wirholen das jetzt nach, indem wir den Bund für die Sicher-heit in diesen Systemen verantwortlich machen. Wirwerden das in der Verfassung verankern.

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Antje Tillmann

Auch die Steigerung der Effizienz und der Effektivitätdes Steuervollzugs dient der Gerechtigkeit. Denn nurwenn die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben,dass alle gerecht zur Finanzierung des Staates herange-zogen werden, stehen sie dem System wohlwollend ge-genüber. Ich gebe zu, an dem Punkt werden wir auchnach FöKo II noch etwas zu tun haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen inunserem Land sind wegen der zusätzlichen Kredite, diewir in dieser Krise aufnehmen, unsicher. Erstmals ist dieVerschuldung für die Bürgerinnen und Bürger einThema. Laut einer Forsa-Umfrage sind 68 Prozent derBundesbürger dagegen, dass der Staat weitere Schuldenmacht. Deshalb sind wir es den Menschen nicht nurschuldig, die aktuelle Krise zu meistern, sondern auch,langfristige Lösungen anzubieten. Wir haben heute dieChance, Verantwortung für die Folgen unseres Tuns inder Krise auch über den aktuellen Tag hinaus zu über-nehmen und die Schuldenbegrenzung in unserer Verfas-sung zu verankern.

Ich bitte Sie, das mit uns gemeinsam zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Bodo Ramelow ist der nächste Redner für die Frak-

tion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Bodo Ramelow (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Abgeord-

nete! Das wird unter normalen Umständen meine letzteRede als Bundestagsabgeordneter hier im Hohen Haussein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD –Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist einegute und eine schlechte Nachricht zugleich! –Volker Kröning [SPD]: Haben Sie denn keineRückfahrkarte?)

– Klatschen Sie nicht zu früh, ich beabsichtige, von die-ser Seite auf die Bundesratsseite zu wechseln.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN –Volker Kröning [SPD]: Haben Sie keine Rück-fahrkarte?)

Ich befürchte, dass ich dann das auslöffeln muss, was Sieheute anrichten.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Davor wer-den Sie die Wähler bewahren!)

Ich teile die Auffassung, dass es eigentlich schon einSkandal ist, dass die Ministerpräsidenten der Länder hierheute nicht anwesend sind

(Beifall bei der LINKEN)

und nicht mit uns debattieren.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Diese großmäu-lige Überlegenheit wird sich noch rächen!)

Lieber Peter Struck,

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

in der FöKo I hatten wir zum Beispiel Beschlüsse zumStrafvollzug gefasst, und dann war es der Kollege OttoSchily, der aus der Mitte des Saals mehrfach interve-nierte, und ich erinnere mich an Sitzungen des Rechts-ausschusses, dass sogar Kollegen von der CDU/CSU in-terveniert und gesagt haben: Es ist falsch, dass wir dieAusführung des Strafvollzugs auf die Länder übertragen.

Ich erinnere mich, dass SPD-Bundestagsabgeordneteaus den neuen Bundesländern einen Brief an ihre Parteigeschrieben und darin gesagt haben: Das, was ihr mit derBildung vorhabt, ist ein großer Fehler. Lasst es uns nichttun.

Damit will ich in Erinnerung rufen, dass schon dieFöKo I gescheitert war, dass diese Themen erst mit derGroßen Koalition hier im Schweinsgalopp wieder durch-gejagt wurden und dass hinterher die SPD das Gegenteilvon dem gemacht hat, was sie vorher als politisch richtigfestgestellt hat.

In Bezug auf die FöKo II entwickelt sich etwas Ähnli-ches. Sie wissen genau, dass Sie heute Weichen stellen,die in einigen Jahren bewirken werden, dass einige Bun-desländer finanziell nicht mehr handlungsfähig sind.

In der rot-grünen Bundesregierung haben Sie ja dieAgenda 2010 auf den Weg gebracht; das war ein großerFehler, den man den Menschen angetan hat. Nun habenSie die Agenda 2020. Das bedeutet, dass der ausglei-chende Föderalstaat zerstört wird und der Wettbewerbs-föderalismus, wie ihn sich die FDP wünscht, endlichdurch die Hintertür eingeführt wird. Die wirtschaftlichstärkeren Länder werden in diesem Land das Kom-mando übernehmen, und sie werden die wirtschaftlichschwächeren Länder an die Wand spielen. Ich halte dasfür eine Katastrophe für unser Land.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollege Struck, Sie haben die Frage der Verfassungs-widrigkeit angesprochen und gesagt: Lasst das Karlsruheentscheiden! – Ja, natürlich, Karlsruhe wird am Schlusseine Entscheidung treffen. Aber was ist das für ein Zu-stand, wenn frei gewählte Bundestagsabgeordnete widerbesseres Wissen Entscheidungen treffen, die falsch sind,und anschließend sagen, das Gericht solle es korrigie-ren?

(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch beider SPD – Volker Kröning [SPD]: Das istfalsch!)

Die politische Korrektur geschieht dann nicht mehr aufdem Parteitag, nicht mehr über das Wahlversprechen,nicht mehr über das, was man mit den Wählerinnen undWählern erörtert, sondern die Korrektur soll Karlsruheübernehmen.

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Bodo Ramelow

(Volker Kröning [SPD]: Gehen Sie doch zumGericht! – Dr. Peter Struck [SPD]: Das istdoch Blödsinn!)

Ich halte das für ein politisches Armutszeugnis und füreinen Irrweg.

(Beifall bei der LINKEN)

Richtig ist allerdings, dass das Verhalten der Bundes-länder seltsam ist. Es waren in der Tat Bill Bo und seineBande, also Koch und die Südstaaten – Kollege Struck,da gebe ich Ihnen recht –, die in der Föderalismuskom-mission I das Kooperationsverbot in Sachen Bildung ge-gen die SPD durchgesetzt haben. Die SPD hat es dannmitgemacht. Das halte ich für den eigentlichen Fehler.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Bundestag beschließt heute grundgesetzmäßigeine Schuldenbremse von 0,35 Prozent vom BIP fürden Bund – das ist etwas, was Bürger ohnehin nicht ver-stehen –,

(Zuruf von der CDU/CSU: Interessantes Bürgerverständnis!)

nach Art eines Katalogs wird das über mehrere Seitenins Grundgesetz hineingeschrieben. Das bedeutet, dassder Bund sich anders verschulden darf, als man es denLändern sozusagen als nachgeordnete Dienststellen zu-gesteht. Das halte ich für einen groben Fehler. So geht esnicht. Wir können doch nicht den Ländern in die Taschegreifen!

(Beifall bei der LINKEN)

Dann kann man sich überlegen, ob die Rechtsauffas-sung von Professor Schneider richtig ist, dass man damitdas Haushaltsrecht der Länderparlamente zerstört,oder ob man den Fachleuten folgt, die für die Schulden-bremse waren, dann aber gesagt haben: Wenn die Länderam Schluss, 2019, nicht mehr finanziell handlungsfähigsind, muss der Bund ohnehin nachfinanzieren. Es ist klargesagt worden, dass am Schluss der Bund bezahlenmuss. Wenn man also sehenden Auges ein Verfassungs-recht schafft, das die Länder zu Bittstellern des Bundesmacht, dann gibt es den ausgleichenden Föderalstaatnicht mehr, sondern dann degradiert man die Länder zunachgeordneten Dienststellen, und das ist einfach unver-schämt.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Präsident, ich will mit Ihrer Erlaubnis etwas zi-tieren, was ich gelesen habe:

Ich finde es fragwürdig, wenn die jetzige Politiker-generation Regeln ins Grundgesetz aufnehmen will,die ab 2011 Handlungsspielräume zukünftiger Ge-nerationen in einer Weise einschränken, die die Ge-neration Struck und Oettinger für sich nie akzeptierthätte.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]:Aber mit Schulden darf man das machen?)

Sie können ja einmal überlegen, wer diesen Satz ge-sagt hat, ob es die Linken waren, ob es die Grünen warenoder ob das jemand Prominentes aus der SPD-Fraktionwar. Wir können ja einen Wettbewerb veranstalten. – Eswar Andrea Nahles, die damit angekündigt hat, dass dieSPD das so nicht mit sich machen lässt.

Heute, nachdem sie das gesagt hat, werden wir nachder Abstimmung feststellen: Sie machen das Gegenteilvon dem, was Andrea Nahles angekündigt hat. – Ichkönnte weitere Zitate bringen; Kollege Böhning hat sichähnlich geäußert.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wo ist Frau Nahles?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir überSchulden reden, dann bestehe ich auf der Feststellung,dass Geldausgeben kein Selbstzweck ist,

(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

auch für die öffentliche Hand nicht. Das erkennt manaber nicht, wenn man die Bundesregierung erlebt. Da hatman das Gefühl, dass gar nicht genug Geld ausgegebenwerden kann; die Frage ist nur, wofür.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Werden Sie mal konkret!)

– Das kann ich Ihnen sagen, ganz konkret.

Die Frage ist, ob man den Wettbewerbsföderalismuswill, wie ihn die FDP sich vorgenommen hat. Das hielteich für eine Katastrophe für dieses Land, weil die Länderdann je nach finanzieller Ausstattung mit ihren Mitarbei-tern und ihren Angeboten der Daseinsfürsorge für dieMenschen sehr unterschiedlich umgehen müssten. Wennman dem Weg von Herrn Wissing folgt und den Länderndie Möglichkeit gibt, die Steuererhebung frei zu gestal-ten, um Schulden abzubauen, bedeutet das für die wirt-schaftlich schwächeren Länder die Notwendigkeit, einenEinkommensteuerzuschlag von bis zu 40 Prozent zu er-heben.

(Otto Fricke [FDP]: Das hängt von der Art derSteuer ab! – Ernst Burgbacher [FDP]: Das habtihr noch nie begriffen!)

Das heißt, derjenige, der in einem wirtschaftlich schwä-cheren Bundesland wohnt, in dem ein solcher Einkom-mensteuerzuschlag erhoben wird, hat dann eben Pechgehabt. Das Ergebnis ist, dass wir überhaupt keinen Aus-gleich mehr haben. Deswegen halte ich es für einen völ-lig falschen Weg, den Ländern Steuergestaltungsmög-lichkeiten zu geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie die Frage aufwerfen wollten, wie die Schul-den zu bezahlen sind, Kollege Wissing: Allein eine Ver-mögensteuer, wie sie in England erhoben wird – Englandwird nun wahrlich nicht von der Linken regiert –, bedeu-tete eine Einnahmeverbesserung um 90 Milliarden Euro.

Eine Börsenumsatzsteuer in Höhe von nur 1 Prozentwürde zusätzliche Einnahmen von 70 Milliarden Eurofür den Bundeshaushalt bedeuten.

(Frank Schäffler [FDP]: So ein Quatsch!)

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Bodo Ramelow

Eine Optimierung der Verfahren bei der Steuererhe-bung

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

zum Beispiel durch mehr Steueraußenprüfungen, Kolle-gin Tillmann, brächte ein Plus von 10 Milliarden Euro;das jedenfalls geht aus der Kienbaum-Studie hervor, undzwar nur bezogen auf das mittlere Segment.

Das heißt, zusammen genommen hätten wir Mehrein-nahmen von 170 Milliarden Euro. Ich weiß, Sie wollenSteuern senken, um den Staat immer handlungsunfähigerzu machen. Wir haben ein völlig anderes Staatsverständ-nis: Wir wollen Steuern erheben,

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP)

und zwar Steuern, die in den Nachbarstaaten normal undgang und gäbe sind.

Ich wiederhole: Allein durch eine gerechte Steuer-erhebung ergäbe sich ein Plus von 10 Milliarden Euro;das jedenfalls geht aus der Kienbaum-Studie hervor, undzwar bezogen nur auf das mittlere Segment. Diese10 Milliarden Euro hätten wir auch dringend nötig.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man diese Einnahmerechnung weiterführt, er-gibt sich ein finanzieller Spielraum für Zinszahlungen inHöhe von 70 Milliarden Euro. Damit wäre zumindest dieSchuldenbewirtschaftung aus den Mehreinnahmen zubewerkstelligen. Wir hätten 57 Milliarden Euro, um dieVerschuldung jährlich herunterzufahren. Schließlich hät-ten wir noch 43 Milliarden Euro für die notwendigenBildungsinvestitionen übrig. Damit würden die Bil-dungsausgaben insgesamt 7 Prozent des Bruttoinlands-produktes ausmachen, ein Ziel, das ja auch Frau Merkelöffentlich verkündet hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man das will, muss man aber auch dafür sorgen,dass das entsprechende Geld eingenommen bzw. so um-gerubelt wird, dass es auch bei der Bildung ankommt.

Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kol-legen von der SPD, verstehe ich nicht, warum man heutedie Länder zu einer 0,0-Prozent-Verschuldung verpflich-ten will, ihnen also vorschreiben will, dass sie gar nichtmehr investieren dürfen. Ab 2011 wird es so sein, dasskeine Investments mehr auf den Weg gebracht werdenkönnen.

(Thomas Oppermann [SPD]: Das stimmt dochgar nicht! – Volker Kröning [SPD]: Sie habendoch die Beratungen miterlebt!)

– Entschuldigung, Sie wissen offenkundig nicht, was Sietun. – 2019 wird es endgültig dazu kommen; 2019 wirdneu über den Länderfinanzausgleich verhandelt. Dasheißt, Sie beschließen heute etwas, das Sie nie wiederzurücknehmen können. Sie beteiligen sich sehenden Au-ges an einer Grundgesetzänderung und hoffen, dass Siedas anschließend über Karlsruhe oder den Heiligen Geistkorrigiert bekommen. Das ist ein Irrweg. Hören Sie auf

damit! Zeigen Sie Mut, und stoppen Sie diese Fehlent-wicklung!

(Beifall bei der LINKEN)

Es lohnt sich tatsächlich, einmal nachzulesen, wasBofinger und weitere 70 Wissenschaftler geschriebenhaben. Sie sagen eindeutig, dass das Thema Schuldenauch etwas mit Investitionen zu tun hat, dass Schulden-politik nicht einfach nur mit Zinsbewirtschaftung gleich-zusetzen ist und dass die Beschränkung für die Haus-halte, auf die man sich verständigt bzw., besserausgedrückt, die man sich jetzt auferlegt, dazu führt,dass Politik handlungsunfähig wird.

Es gibt drei Bundesländer – ich ärgere mich ganz be-sonders, dass Vertreter dieser Länder heute nicht in denBundestag gekommen sind –, nämlich Bremen, dasSaarland und Schleswig-Holstein, für die die Zinshilfennicht ausreichend sind. Es ist aktive Sterbehilfe für diesedrei Bundesländer, die heute hier praktiziert wird, unddie Herren kommen nicht einmal her und stellen sich derDebatte. Ich halte das einfach für einen Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich halte fest: Jeder, der eine sogenannte Schulden-bremse einführt, ohne gleichzeitig für eine wirklichestrukturelle Entschuldung der Landeshaushalte zu sor-gen, der öffnet den Weg zu einem Wettbewerbsföderalis-mus, wie ihn die FDP will. Diesen Weg halte ich für völ-lig falsch.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Kuhn,

Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Feiern zum Jubiläum „60 Jahre Grundgesetz“ sind jetztverklungen. Ganz am Rande möchte ich festhalten: Ichhabe zwar sehr viele allgemeine Reden gehört, aber diebeste Debatte darüber gab es hier im Bundestag. Auchich fand es richtig, dass die Fraktionen hier diese De-batte geführt haben.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Nun stellt sich die spannende Frage, ob dies, jenseitsall der Jubiläumsreden, ein guter Tag für unser Landwerden wird, also für unsere Gemeinden, unsere Länderund den Bund und auch für unser Grundgesetz. Wir vonBündnis 90/Die Grünen sind der Überzeugung, dass diesheute kein guter Tag wird. Unter der Überschrift „Schul-denbremse“ wird heute ein komplexer Satz von Instru-mentarien und Regeln verabschiedet. Nach unsererÜberzeugung wird damit das Ziel, die Verschuldung deröffentlichen Hand zu begrenzen, jedoch nicht erreicht.Deswegen, lieber Herr Kollege Wissing, waren wir inder Kommission dagegen und werden auch heute dage-gen stimmen, obwohl wir Grünen für eine vernünftigeSchuldenbremse natürlich zu haben sind; wir haben jaVorschläge gemacht, wie so etwas aussehen könnte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Fritz Kuhn

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum sage ich,dass mit diesen Instrumentarien das Ziel nicht erreichtwird? Der Hauptgrund liegt darin, dass die Regeln zurBeschränkung der Schuldenaufnahme durch die Länder,aber auch die Art, wie der Bund langsam eine Begren-zung der Neuverschuldung vornehmen will, nicht reali-tätstauglich sind.

Bei den Ländern – dies sage ich voraus – wird sich al-les auf das Jahr 2019 kaprizieren. Länder, die keine Kon-solidierungshilfen bekommen, sind bis 2019 sehr frei inder Gestaltung ihrer Haushalte. Bis 2019 schließlich– losgehen wird es schon 2017 – werden alle sagen, dasssie die Ziele wegen des Länderfinanzausgleichs nicht er-reichen können. Die Geberländer werden sagen: Wirmüssen zu viel in den Länderfinanzausgleich einzahlen;die Nehmerländer werden sagen: Wir bekommen zu we-nig, und deswegen können wir das Konsolidierungszielnicht erreichen.

Wer sich mit dem Föderalismus und insbesondere mitden Verhandlungen über den Länderfinanzausgleich aus-kennt – es sitzen ja einige da, die dies tun –, wird verste-hen, dass das kein Schwarzseherszenario ist, sondernRealität sein wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer wie Frau Tillmann sagt: „Wir müssen angesichtsder großen Neuverschuldung den Leuten sagen, wie wirtilgen wollen“, macht sich etwas vor. Interesse an derSchuldenbremse hat auch die Kanzlerin erst gezeigt, alsdie Bankenkrise kam und man ein Gegengewicht – je-denfalls ein symbolisches – brauchte. Funktionierenwird dies nach unserer Überzeugung nicht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Da hilft auch der Vorschlag von Herrn Platzeck nicht.Ich will einmal sagen: Herrn Platzeck haben wir in derFöderalismuskommission überhaupt nicht gesehen, erhat nicht agiert für das Land Brandenburg. Sich dannzum Sprecher zu machen für Veränderungen im Nach-hinein, das ist eine ganz billige Nummer, die wir ihm sonicht durchgehen lassen können.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich will die größeren Strukturfehler der Reform, dieSie heute beschließen lassen wollen, aufführen. Verliererdieser Reform werden eindeutig die Gemeinden sein.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Der Mechanismus ist ganz einfach. Im Prinzip habenLänder, die Konsolidierungshilfen bekommen und schonjetzt auf einen Konsolidierungspfad gehen müssen, nurzwei Möglichkeiten: Sie können entweder bei der Bil-dung sparen – da wünschen wir gute Verrichtung; dassteht keine Landesregierung durch –, oder sie müssenzulasten ihrer Gemeinden sparen und die Sätze des kom-munalen Finanzausgleichs noch restriktiver handhabenals ohnehin.

Nur wenn durch Grundgesetzänderung auch an dieGemeinden Konsolidierungshilfen gegangen wären, nurwenn man das Konnexitätsprinzip im Grundgesetz neudefiniert hätte, nur wenn man sich über eine minimaleFinanzausstattung der Gemeinden, die grundgesetzlichgarantiert sein müsste, Gedanken gemacht hätte, hätteman dieses Problem lösen können.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich frage Sie als Föderalisten, als Leute, die aus derKommunalpolitik kommen: Was ist das für eine Schul-denbremse, die systematisch zulasten der Gemeindengehen muss? Gemeinden sind doch der Ort, wo die Be-völkerung, wie Erhard Eppler immer gesagt hat, diePolitik am direktesten, am unmittelbarsten und die De-mokratie am eigentlichsten erfährt. Eine Entschuldungs-politik zulasten der Gemeinden muss aus diesem Grundder falsche Weg sein.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN –Joachim Poß [SPD]: Das ist doch widerlegt!Lesen Sie doch mal bei Deubel nach! Das istdemagogischer Quatsch! Das hat Herr Deubelwiderlegt!)

– Herr Poß, jetzt hören Sie doch einmal zu! Das kann Ih-nen nur guttun.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das nächste Argument ist die Bildung. Sie wollensich mit den falschen Ergebnissen der Föderalismus-kommission I nicht wieder befassen. Es gibt hier keineReform in dem Sinne, dass mit den heutigen Vorlagendie Fehler der Föderalismusreform I korrigiert werdenkönnten, obwohl sich alle auf den Bildungsgipfeln wiein einem ewig gleichklingenden Singsang einschwören,dass man mehr für Bildung tun müsse und dass dies einegesamtstaatliche Aufgabe sei. Das, was hier gemachtwird, ist absurd. Sie haben überhaupt nicht den Mut, dasentscheidende Zukunftsthema Bildung anzugehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das Problem des Kooperationsverbots in Bezug aufdie Kommunen – aber auch im Bereich der Bildung – istunzulänglich gelöst. Ich will es zuspitzen: Wer etwas fürdie Gemeinden tun will – das ist die absurde Logik des-sen, was Sie heute beschließen –, der muss schon aufeine Flut oder eine Finanzkrise hoffen, um helfen zu dür-fen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Was ist denn das für ein Staat, der nur über eine solcheDefinition Hilfe ermöglicht? Ich halte es für völligfalsch, dass Sie da nicht mehr Mut bewiesen haben.

Jetzt komme ich zu einem Punkt, den wir in Bezugauf die Entschuldungs- und Verschuldungsdiskussion fürelementar halten. Viele Finanzpolitiker – der Finanz-minister gehört dazu – sagen einfach: Schulden sind

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Fritz Kuhn

Schulden. – Sie können nicht zwischen guten undschlechten Schulden differenzieren. Angesichts des Zah-lenwerks im Haushalt muss ich sagen: So ist es ja auch;Schulden sind Schulden. Aber es macht nach unsererÜberzeugung einen elementaren Unterschied, warumund zu welchem Zweck sich die öffentliche Hand in ei-ner bestimmten Situation verschuldet.

Ich will es an einem Beispiel verdeutlichen: Wir ge-ben die Kosten zur Finanzierung der Abwrackprämievon 5 Milliarden Euro als Verschuldung an künftige Ge-nerationen weiter, es wird aber für künftige Generatio-nen nichts, aber auch gar nichts an Zukunftsrendite übrigbleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir diese 5 Milliarden Euro in den Klimaschutzoder in das Bildungssystem investieren, dann gibt es fürdie künftigen Generationen logischerweise eine Zu-kunftsrendite,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

weil trotz Abschreibung nicht alles von dem vervespertsein kann.

Unter diesem Gesichtspunkt ist es schon eine wesent-liche Frage, für was sich die öffentliche Hand verschul-det. Im privaten Bereich ist es genauso: Wenn ich in derSpielbank 1 Million Euro verzocke, dann ist das Geldweg. Wenn ich dafür Schulden mache, dann bringt mirdas überhaupt nichts.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann ist es auch weg!)

Wenn ich mit dem Geld etwas Vernünftiges baue oderein Haus saniere, dann bleibt ein Wert zurück. DiesenUnterschied haben Sie finanztechnisch nicht berücksich-tigt, weil Sie sich nicht auf ein Verschuldungskriteriumauf der Grundlage des Nettoinvestitionsbegriffs einlas-sen wollten. Das bedeutet, dass Nettoinvestitionen, dasheißt Investitionen minus Abschreibungen, ein Krite-rium für die Frage sein können, wie hoch man sich zu-sätzlich verschulden kann.

Deswegen haben wir zu der Verschuldungsgrenze von0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für den Bundund 0,15 Prozent für die Länder gesagt: Nur bei Netto-investitionen, also bei solchen Investitionen, durch diesich der Kapitalstock des Landes vergrößert, sind Ab-weichungen von dieser Grenze zulässig, sonst nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die pauschale 0,35-Prozent-Regelung schützt uns nichtvor so einem Unsinn, wie Sie ihn mit der Abwrackprä-mie gemacht haben.

Der Sachverständigenrat hat im März 2007 den Be-griff der Nettoinvestition als mögliche Grundlage vorge-schlagen. Jetzt weiß ich – Herr Finanzminister, daswerden Sie gleich sagen –, dass es hier Abgrenzungspro-bleme gibt. Das ist logisch. Aber man kann auch Pro-bleme angehen und lösen. Sie haben sich verweigert,weil Sie sich in der Debatte „Was erhöht den Vermö-

gensstock eines Landes oder das Produktionspotenzial?“– das sind die entscheidenden Fragen – drücken wollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich sage noch einmal: An dieser Stelle gibt es bei dem,was Sie heute vorschlagen, einen Konstruktionsfehler.

Herr Ramelow, vieles von dem, was Sie gesagt haben,war richtig. Aber aus dem, was Sie gesagt haben, folgtnicht – das ist der wichtige Unterschied zu uns –, dassman keine Schuldenbremse einführen sollte. Vielmehrfolgt daraus, dass man eine richtige, vernünftige undökonomisch begründete Schuldenbremse einführen soll.Ihre Verweigerungshaltung in Bezug auf das Verschul-dungsproblem ist nicht zukunftsweisend.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN – Bodo Ramelow [DIELINKE]: Ich habe schon den Schuldenabbauthematisiert!)

Noch eine Bemerkung. Das Ausspielen von solidari-schem Föderalismus gegen Wettbewerbsföderalismus,das Sie gerade vorgeführt haben, gehört für mich derVergangenheit an. Die Kunst besteht doch darin, dasswir die richtigen Elemente der Solidarität zwischen denLändern, zwischen dem Bund und den Ländern und denGemeinden praktizieren und neu festschreiben,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN – Bodo Ramelow [DIELINKE]: Aber nicht über Steuerhebesätze!)

andererseits aber einen produktiven Wettbewerb zwi-schen den Ländern zulassen. Es ist doch nicht schlecht,wenn zwei Bundesländer die Frage stellen: Wer kanneine bestimmte Aufgabenstellung am besten erfüllen? –Nur das eine oder das andere anzustreben, funktioniertnicht. Beides muss ein kluger Gesetzgeber machen.

Ich sage Ihnen voraus: Wir werden ab 2015 inDeutschland neue Verhandlungen über den Föderalismusführen; denn die jetzige Grundgesetzänderung leisteteinfach nicht das, was Sie vorgegeben haben. Wir wer-den dann auch über den Länderfinanzausgleich und dieNeugliederung der Bundesländer reden müssen. Wir ha-ben heute keine große Lösung erreicht, Herr Röttgen.Große Koalition ist gleich große Lösung, das hat nichtfunktioniert. Das Gegenteil ist eingetreten. Sie haben ei-nen etwas kleinkarierten Kompromiss gefunden. Aberden Föderalismus haben Sie weder durch die Stärkungder Gemeinden noch durch die Stärkung der Länder oderdie Stärkung der Beziehungen zwischen dem Bund undden Ländern vorangebracht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen werden wir dagegenstimmen, obwohl wir füreine Begrenzung der Schuldenaufnahme durch die öf-fentliche Hand sind.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ablehnungist aber auch keine große Lösung!)

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Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung erhält nun das Wort der

Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.

(Beifall bei der SPD)

Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Herr Kuhn, Sie haben vorhin richtig gesagt, dass esin Ihrer Rede einen Punkt geben könnte, auf den ich ein-gehen könnte. Aber Sie haben sich den falschen Punktausgesucht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten bei der SPD)

Ich habe schon in der Föderalismuskommission ver-sucht, Ihnen eine, wie ich hoffe, einigermaßen verständ-liche Erklärung dafür zu geben, dass das Nettoinvesti-tionskonzept die entscheidende Fehlkonstruktion nichtauflöst.

(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Genau!)

Das jetzige Grundgesetz enthält einen falschen Investi-tionsbegriff. Wir haben im Augenblick die Situation,dass jeder Euro in Beton als Investition und jeder Euroin die Köpfe der Menschen als konsumtiv definiert ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ihr Nettoinvestitionskonzept löst dieses Problem nicht,da die jetzige Schuldenregelung dieses Problem umgeht.Deshalb ist Ihre diesbezügliche Argumentation leiderGottes nicht erkenntnisfördernd.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will auf die Einzelheiten der Ergebnisse der Föde-ralismuskommission gar nicht eingehen, insbesonderenicht auf die Ausgestaltung der Schuldenregelung. FrauTillmann hat diesen Punkt sehr zutreffend dargestellt.

Ich möchte zwei grundsätzliche Bemerkungen ma-chen und vier zentrale Missverständnisse aufgreifen:

Erstens. Mit der Verankerung einer neuen Schulden-bremse im Grundgesetz hat es diese zweite Große Koali-tion exakt 40 Jahre nach der ersten Großen Koalition inder Tat in der Hand, eine finanzverfassungsrechtlicheund finanzpolitische Entscheidung von historischerTragweite zu treffen, eine Entscheidung – das ist der Un-terschied zu Ihnen, Herr Ramelow –, die die finanzielleHandlungsfähigkeit des Staates insbesondere unter demGesichtspunkt der Generationengerechtigkeit sichernund nicht einschränken soll.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die absurde Quintessenz Ihrer Rede, Herr Ramelow,ist, dass zusätzliche Schulden die Handlungsfähigkeitdes Staates erweitern.

(Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Sie haben offenkundig nicht zugehört!)

Das ist eine absurde Zusammenfassung.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Wenn Sie nur die Ausgaben sehen, dann haben Sie recht!)

Jetzt hören Sie mal einen Moment zu; auch ich habe Ih-nen sehr aufmerksam zugehört. Wenn Sie sich an-schauen, wie sich die Schuldenstandquote in Deutsch-land, das heißt das Verhältnis der Schulden zu unsererWirtschaftsleistung – und damit automatisch die Zins-lastquote; will sagen: der Anteil der Zinsausgaben amBundeshaushalt –, entwickelt hat, dann werden Sie fest-stellen, dass wir der gefährlichen Tendenz unterworfensind, dass der Bundeshaushalt immer weiter verkarstetund versteinert und Ihre politischen Handlungsspiel-räume, vor allen Dingen die der nachfolgenden Genera-tionen von Bundestagsabgeordneten, immer geringerwerden. Das ist das Problem.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Ich will auf Ihre nicht minder aberwitzigen Vorstel-lungen zu einer prohibitiven Besteuerung in Deutschlandgar nicht weiter eingehen. Aber Ihre Rede ist ein Plä-doyer dafür gewesen, in Deutschland eine Substanzbe-steuerung von 80 bis 90 Milliarden Euro einzuführen.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ein Un-sinn! Sie reden wider besseres Wissen! Aberdas machen Sie ja öfter! – Zurufe von derFDP: Genau das wurde gesagt!)

– Das war doch der Kern dessen, was gesagt wurde. Vordiesem Hintergrund habe ich eine gewisse Hoffnung,dass Sie im Deutschen Bundestag weiter auf den jetzigenStühlen sitzen und niemals auf der Bundesratsbank. Daswäre schlecht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vor 40 Jahren hat die erste Große Koalition eineFinanzverfassung verabschiedet, die auf der Höhe derZeit war. Aber wir werden kritisch eingestehen müssen,dass die Finanzverfassung, die vor 40 Jahren auf derHöhe der Zeit gewesen ist, heute nicht mehr auf derHöhe der Zeit ist. Insbesondere der jetzige Art. 115 desGrundgesetzes hat uns nicht vor einer Fehlentwicklungbewahrt.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Genau so ist es!)

Er hat Konstruktionsfehler; einen habe ich erwähnt: denfalschen Investitionsbegriff. Zweitens werden wir zuge-ben müssen, dass die Ausnahmemöglichkeiten diesesArt. 115 uns alle, die wir in den letzten 40 Jahren Regie-rungsverantwortung hatten, sehr leichtfüßig in eine Ver-schuldung hineingetrieben haben. Wir haben uns dieserAusnahmemöglichkeiten sehr häufig bedient. Drittens.Wir haben das, was damals jedenfalls konzeptionell an-gelegt war, letztlich nie erfüllt: Wir haben in schlechtenZeiten Schulden gemacht, diese aber in guten Zeitennicht zurückgezahlt.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb ist es richtig, diesen Art. 115 abzuschaffenund eine bessere, zeitgemäße Finanzverfassung einzu-führen.

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Bundesminister Peer Steinbrück

Ich gebe Ihnen noch einmal wenige Zahlen an dieHand, die das eben Ausgeführte belegen. 1969 beliefensich die Zinszahlungen des Bundes auf 3,2 Prozent desBundeshaushalts; im Jahre 2008 haben sich die Zinsaus-gaben auf 15 Prozent belaufen, Tendenz steigend. Natür-lich tragen wir dazu auch aktuell bei, weil wir in dieserWirtschaftskrise mit enormen kreditfinanzierten Pro-grammen, die der sehr schwierigen, krisenhaften Situa-tion geschuldet sind, in den nächsten Jahren wahrschein-lich in eine weitere Erhöhung dieses Prozentsatzeshineinkommen werden. Deshalb sind wir es nach meinerAuffassung den Bürgerinnen und Bürgern schuldig, ih-nen zu signalisieren, dass wir es mit der Konsolidierungwieder ernst meinen, sobald wir aus der Wirtschaftskriseheraus sein werden.

Wir müssen auch den Finanzmärkten ein Signal ge-ben, dass in Deutschland eine solide Haushaltspolitik be-trieben wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen als Deutsche dazu beitragen, dass die Stabi-lität des Euro durch unser Haushaltsgebaren nicht in-frage gestellt wird. Außerdem haben wir ein massivesInteresse daran, dass die Glaubwürdigkeit des europäi-schen Stabilitäts- und Wachstumspaktes auch durch un-seren Beitrag gewährleistet wird.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dies bringt mich zu einerzweiten Grundsatzbemerkung: Ein Resultat der von mirerwähnten weltweiten Finanzkrise ist es, dass plötzlichdie Kreditwürdigkeit ganzer Staaten infrage gestellt ist.Diese Entwicklung erleben wir gegenwärtig; sie betrifftselbst die Kreditwürdigkeit von Staaten, die bisher quasials unantastbar angesehen wurden. Wenn sich inzwi-schen selbst die Vereinigten Staaten von Amerika unddas Vereinigte Königreich vergegenwärtigen müssen,dass sie heruntergerated werden können, was fatale Fol-gen für ihre Finanzmarktkonditionen hätte, dann liefertdies eine Vorstellung davon, wie wichtig es gerade indieser Situation ist, dass Deutschland seine Bonität aufden Finanzmärkten nicht verliert.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Dabei ist unsere Nettokreditaufnahme gar nicht ent-scheidend. Sie ist, wie ich zugebe, schlimm genug, wasder Situation geschuldet ist. Aber ich möchte Ihnen eineandere Zahl vortragen, damit Sie eine Vorstellung davonbekommen, was dies heißt: Die jährliche Bruttokredit-aufnahme ist entscheidend. Sie beträgt inzwischen alleinfür den Bund wahrscheinlich 330 Milliarden Euro. Dasheißt, wenn wir auf den Finanzmärkten Bonität, Anse-hen und Ratings verlören und allein um einen Prozent-punkt – die Fachleute sprechen von 100 Basispunkten –heruntergestuft würden, hätten wir es mit zusätzlichenZinsausgaben in Höhe von 7 bis 8 Milliarden Euro zutun. Dies bitte ich bei Ihren Entscheidungen mit zu be-denken, wenn es um eine neue Schuldenregelung geht.Hier kommt es auf die Signalwirkung auf die Finanz-märkte an, die unmittelbar – kurzfristig, schon im nächs-ten Jahr – die Kapitalmarktkonditionen beeinflussen, die

wir als großer Schuldner auf den Märkten zugestandenbekommen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Es gibt ein erstes Missverständnis: Die Schulden-bremse behindert angeblich Investitionen in die Zukunftunseres Landes. Dies ist falsch. Ich habe versucht, da-rauf hinzuweisen, dass allein die strukturelle Verschul-dung, die wir in Zukunft noch eingehen können, uns desfalschen Investitionsbegriffes enthebt. Ich will Sie jetztnicht länger damit konfrontieren, dass neben dieserStrukturkomponente auch eine Konjunkturkomponentein dieser Schuldenregelung enthalten ist, die uns wieauch in der jetzigen Zeit auf der Basis der alten Schul-denregelung reagieren lässt und es uns erlaubt, anti-zyklisch das zu tun, was notwendig ist, um eine schwie-rige Wirtschaftslage einigermaßen zu stabilisieren.

Das zweite Missverständnis: Die Schuldenbremsenimmt der Politik Gestaltungsspielräume. Ich bin be-reits darauf eingegangen – ich will dies jetzt nicht imEinzelnen wiederholen –, dass es um das Gegenteil geht.Wir stecken in einem Schraubstock der Verschuldung.Der steigende Schuldenstand und die steigende Zinslast-quote verkarsten den Bundeshaushalt zusammen mit an-deren Komponenten immer mehr. Anders ausgedrückt:Wir haben nicht nur ein Niveauproblem in unserer Aus-gabenpolitik, sondern wir haben ein Strukturproblem inunserem Bundeshaushalt. Vier Komponenten legen80 bis 85 Prozent des Bundeshaushaltes fest:

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zur Einnahmeseite!)

die Schulden, die Zahlungen an die Rentenversicherung,die gesetzlichen Leistungen und die Betriebsausgabendes Bundes. In Wirklichkeit entscheiden Sie als Souve-rän des Landes frei nur noch über 15 Prozent des Bun-deshaushaltes, mehr nicht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Warum krie-gen Sie dann immer Beifall von den Finanz-haien?)

– Bin ich so unverständlich, dass Sie mich ständig unter-brechen müssen? Oder warum machen Sie ständig Zwi-schenrufe?

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zur Einnahmeseite!)

Das dritte Missverständnis: Gäbe es die Schulden-bremse in dieser Krise schon, hätte die Politik keineKonjunkturprogramme auflegen können. Ich habeversucht, Ihnen im Telegrammstil zu belegen, dass dieseProgramme auf Basis der alten Schuldenregelung mög-lich sind – mit den Risiken, die ich beschrieben habe –,aber auch auf Basis der neuen Schuldenregelung. Es istein Irrtum, der ständig weitergegeben wird, dass wir2010/2011 nicht antizyklisch reagieren können. Wir kön-nen das auf Basis dieser Schuldenregelung.

Ich will aus Zeitgründen ein letztes Missverständnisaufgreifen: Die Schuldenbremse entmachte angeblich

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Bundesminister Peer Steinbrück

die Länder und höhle den Föderalismus aus. Fakt ist:Die Schuldenbremse schafft weder das Budgetrecht derLandesparlamente ab, noch widerspricht sie dem födera-len Staatsaufbau. Wenn andere anderer Auffassung sind,sollen sie den dafür vorgesehenen Weg zum Bundesver-fassungsgericht gehen.

Im Übrigen war es der Vorschlag des Bundes, undzwar sowohl der Vertreter der Exekutive als auch derParlamentarier, auf Basis des Maastricht-Kriteriums von0,5 Prozent den Ländern 0,15 Prozent anzubieten.

(Beifall bei der SPD)

Die Länderfürsten haben sich eine Denkpause genom-men. Als Sie wieder hereingekommen sind, haben siezum Erstaunen der Bundesvertreter, zumindest vieler,die hier sitzen, die Strukturkomponente von 0,15 Prozentnicht angenommen.

(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Zur Freude der Bundesvertreter!)

Ich sage etwas flapsig: Das ist doch deren Problem undnicht mein Problem. Dann sollen sie es regeln.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe nichts dagegen, wenn sie diese Position imBundesrat verändern.

Wer zukünftig einen handlungsfähigen Staat will, werdie Gestaltungsfähigkeit der Politik und nachfolgenderParlamentariergenerationen erhöhen will, der muss dafürsorgen, dass Schuldenstand und Zinslast reduziert wer-den. Ein handlungsfähiger Staat braucht langfristig trag-fähige öffentliche Finanzen. Langfristig tragfähigeFinanzen sind nur dann gewährleistet, wenn die Ver-schuldung dauerhaft langsamer wächst als das Brutto-inlandsprodukt. Genau das ist Kern dieser Schuldenrege-lung. Das ist die Basis der neuen Regelung. In meinenAugen ist das auch die Basis einer verantwortungsvol-len, generationsgerechten Politik. Deshalb müssen wirmit unserer heutigen Entscheidung endlich die Konse-quenz ziehen aus den vielen Reden, in denen wir auf dieBelastung nachfolgender Generationen, unserer Kinderund Enkelkinder, hinweisen. Sie entscheiden heute, be-zogen auf diese Schuldenregelung, ob das wichtige Zielder Generationengerechtigkeit verfassungsrechtlich aus-gefüllt, belegt und unterstützt wird oder nicht.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher für

die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Ernst Burgbacher (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Bundesfinanzminister, wir stimmen Ihnen zu,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

aber nur in einem Punkt. Auslöser der ganzen Problema-tik war sicherlich die Reform der ersten Großen Koali-tion von 1969, als Art. 115 ins Grundgesetz aufgenom-men wurde. Art. 115 bildete das Einfallstor für immerneue Schulden. Bis 1969 war der Staat weitgehendschuldenfrei; heute erdrückt uns die Schuldenlast. Kol-lege Wissing hat das hier deutlich gemacht.

(Beifall bei der FDP)

Hier wird immer wieder die Mär geschürt, dass dieFinanz- und Wirtschaftskrise die bisherige Konsolidie-rungspolitik unmöglich macht und dazu führt, dass manmehr Schulden auftürmen muss. Das stimmt nicht. HerrFinanzminister, ich erinnere daran, dass Sie in Ihrer Re-gierungszeit 19 Steuer- und Abgabenerhöhungen durch-geführt haben. Sie haben viel mehr Steuereinnahmen.Trotzdem haben Sie alle Haushalte – auch vor der Krise –mit einer Neuverschuldung vorgelegt.

(Beifall bei der FDP)

Man muss dies noch einmal deutlich machen: 2007 wa-ren es 14 Milliarden Euro, 2008 12 Milliarden Euro und2009 10,5 Milliarden Euro. Das hat mit Konsolidierungnichts, aber auch gar nichts zu tun.

(Beifall bei der FDP)

Dass heute ein historischer Tag ist, würde ich nichtsagen. Wir haben zusammen versucht – Herr KollegeStruck, ich bin wirklich dankbar für Ihre sachlichen Äu-ßerungen hier –, etwas hinzubekommen.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja! – Volker Kröning[SPD]: Sie machen sich heute ein Geburtstags-geschenk!)

Wir haben versucht, ein gemeinsames Konzept zu fin-den. Wir sind allerdings – das war immer unser Vorwurf –weit hinter der Zielsetzung des Einsetzungsbeschlusseszurückgeblieben.

Im Einsetzungsbeschluss haben wir zum Beispiel dieLänderneugliederung angesprochen. Dieses Themawurde in der Kommission überhaupt nicht mehr disku-tiert, obwohl es vonseiten der FDP konkrete Vorschlägefür eine Änderung von Art. 29 gab, um zumindest einegewünschte Länderneugliederung zu erleichtern. Fehl-anzeige!

Im Einsetzungsbeschluss war auch das Thema Steu-erautonomie enthalten. Wir haben es auch einige Wo-chen diskutiert, aber am Schluss: Fehlanzeige! Jetzt ha-ben wir ein Problem bei den Ländern. Wir verpflichtensie, keine Schulden mehr zu machen, andererseits gebenwir ihnen bei den Einnahmen so gut wie keine Gestal-tungsspielräume. Das kann eigentlich nicht sein.

Die Zahlen, die Herr Ramelow – er ist nicht mehr da –vorgetragen hat,

(Otto Fricke [FDP]: Er muss noch nachrech-nen! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Erkommt sofort wieder!)

waren schon abenteuerlich. Vielleicht kann man HerrnRamelow einmal sagen, dass das gesamte Erbschaftsteu-

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Ernst Burgbacher

eraufkommen in Thüringen 7 Millionen Euro im Jahrbeträgt. Nur damit man weiß, worüber man redet.

Einer unserer großen Vorwürfe ist, dass Sie dasThema Länderfinanzausgleich völlig ausgeklammerthaben. Auch hier einige Zahlen, damit man weiß, wo-rüber man redet. Aus der Antwort der Bundesregierungauf eine Kleine Anfrage der FDP ergibt sich, dass demSaarland von 1 Million Euro zusätzlicher Erbschaft-steuer unter dem Strich gerade einmal 18 000 Euro blie-ben. Der Rest wird im Rahmen des Länderfinanzaus-gleichs abgezogen. Der Länderfinanzausgleich ist eindermaßen anreizfeindliches System, dass eine Reformder Bund-Länder-Finanzbeziehungen ohne Reform desLänderfinanzausgleichs überhaupt nicht möglich ist. Daswar der Fehler im Ansatz.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man sollte heutenoch über einige andere Dinge reden. Es wird so man-ches in das Begleitgesetz geschrieben, was völlig unbe-achtet bleibt. Es wundert mich zum Beispiel, dass inArt. 4 des Begleitgesetzes das Gesetz über die Verbin-dung der informationstechnischen Netze des Bundesund der Länder eingeführt wird. Das bedeutet, dass dieNetze dann voll in Regierungshand, in der Hand irgend-welcher Kommissionen sind und die Parlamente über-haupt keine Eingriffsmöglichkeit mehr haben. Hier gehtes aber um Grundlagen des Datenschutzes. Dies ist des-halb äußerst kritisch und stößt bei der FDP-Fraktion aufallergrößte Skepsis.

(Beifall bei der FDP – Volker Kröning [SPD]:Der Staatsvertrag ist von den Landtagen zu ra-tifizieren!)

Wir haben in der Kommission versucht, eine großeReform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen hinzu-bekommen. Ich erinnere noch einmal daran, dass dieseKommission auf Druck der FDP zustande gekommenist. Ich finde es schade, dass die Große Koalition so we-nig Mut hatte. Man muss noch einmal deutlich sagen,dass sich wieder zeigt: Eine Große Koalition steht fürkleine Lösungen; denn kleiner könnte die Lösung fastnicht sein.

(Beifall bei der FDP)

Wir hatten trotzdem erwogen, dem Gesetzentwurf zu-zustimmen; aber dann hat sich die SPD vier Tage vor derEntscheidung von diesem Kompromiss, der gemeinsamgetroffen wurde, wieder verabschiedet

(Thomas Oppermann [SPD]: Das tun wir doch gar nicht!)

und plötzlich eine andere Lösung für die Länder be-schlossen. Es war ein Kompromiss der gesamten Kom-mission. Sie werden verstehen, dass wir daher nichtzustimmen können. Ich sage aber ganz klar – ich wieder-hole, was mein Kollege Wissing gesagt hat –: Sollte die-ser Entwurf unverändert durch den Bundesrat gehen,dann wird er an der FDP nicht scheitern; dann werdenwir ihm zustimmen. Aber wir werden Ihnen heute kei-nen Blankoscheck dafür ausstellen, dass Sie nachherwieder das tun können, was Sie am liebsten tun, nämlich

Schulden machen. Das wird mit der FDP nicht möglichsein.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich ist der nächste

Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Wir stehen heute vor einer histori-schen Entscheidung. Wir haben die Chance – der Bun-desfinanzminister hat darauf hingewiesen –, 40 Jahrenachdem die erste Große Koalition die Schleusen für denSchuldenstaat geöffnet hat, diese Schleusen wieder zuschließen. Dies ist ein bedeutender Kraftakt. Erforder-lich sind eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bun-destag und eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat.Wenn in einer Situation, in der die Interessen vielgestal-tig und die Interessenkonflikte häufig sind, ein solcherKraftakt gemeistert, eine solche gemeinsame Leistungauf den Weg gebracht werden kann, verdient das Aner-kennung und Respekt. Ich halte es für eine politischeSensation, dass wir dazu heute in der Lage sind.

Noch vor einigen Jahren galt die allgemeine Mei-nung, es gebe keine ausgeglichenen Haushalte; in denöffentlichen Haushalten müsse es immer Schulden ge-ben. Als Abgeordneter der CSU sage ich mit einigemStolz, dass es Edmund Stoiber, langjähriger Ministerprä-sident und CSU-Vorsitzender in Bayern, war, der vorüber zehn Jahren gesagt hat: Ich will einen ausgegliche-nen Haushalt erreichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das warwegweisend!)

Er wurde belächelt; aber er hat bewiesen, dass es geht.Er hat die Stabilitätspolitik hoffähig gemacht. Es warTheo Waigel – lassen Sie mich auch das mit Stolz an-merken –, der über die Maastricht-Kriterien die Stabilitätzum Maßstab in Europa gemacht hat. Ich denke, das istaller Ehren wert.

Mein Kompliment gilt auch den Ministerpräsidenten,die leider heute nicht hier sind. Sie sind über ihrenSchatten gesprungen. Professor Fuest, Sachverständigerin der Anhörung und Mitglied des WissenschaftlichenBeirats des Finanzministeriums, hat festgestellt: Politikhat sich parteiübergreifend zu einem beeindruckendenSchritt entschlossen.

(Beifall des Abg. Volker Kröning [SPD])

Ich habe – das gebe ich zu – eine Schuldenbremse fürdie Länder nicht für möglich gehalten, weil mir die Viel-gestaltigkeit der Interessen zu groß erschien. Ich habeimmer vorgeschlagen, Kollege Kröning: Lasst uns zu-mindest eine Schuldenbremse für den Bund einziehen;dann haben wir wenigstens etwas erreicht. – Dass dieMinisterpräsidenten sich zusammengesetzt haben undalle über ihren Schatten gesprungen sind, in Verantwor-

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Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)

tung für eine nachhaltige Finanzpolitik und für den ge-samten Bundesstaat, ist aller Ehren wert. Dafür hat auchGünther Oettinger ein Kompliment verdient, der dievielgestaltigen Interessen vereint hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Mein Kompliment gilt aber auch den Ministerpräsi-denten, deren Länder zu den Geberländern gehören unddie weiteren Konsolidierungshilfen, also neuen Leis-tungen an die strukturschwachen Länder, zustimmenmüssen. Auch das ist nicht einfach. Sie haben das zumeinen in Verantwortung für den Gesamtstaat getan, zumanderen aber auch, weil Sie wissen, dass solide Staats-finanzen langfristig in den Ländern dazu führen, dassGeld nicht mehr für Zinsen ausgegeben werden muss,sondern für politische Gestaltung zur Verfügung steht.Das kommt dann allen zugute und wirkt sich letzten En-des auch beim Länderfinanzausgleich positiv aus.

Es ist Kritik geäußert worden an der Tatsache, dasswir Jahreszahlen und konkrete Beträge in die Verfassungschreiben. Aber ich weise darauf hin, dass für einige derMinisterpräsidenten die Schuldenbremse nur dann einThema war, wenn sie Konsolidierungshilfen bekommen,und für andere die Zustimmung zu Konsolidierungshil-fen nur dann ein Thema war, wenn eine Schuldenbremseeingezogen wird.

(Volker Kröning [SPD]: Vollkommen richtig!)

Beide Seiten haben gleichermaßen auf Rechtssicherheitin Bezug auf die Befriedigung ihres Anspruches ge-drängt. Deswegen ist es richtig, dass wir das beiden Sei-ten verfassungsfest garantieren. Das bringen wir jetzt aufden Weg.

Detailregelungen hat Peter Huber, Professor an derLudwig-Maximilians-Universität in München, in derAnhörung angesprochen. Er hat gesagt, als Verfassungs-jurist habe er sehr viel Sympathie für die napoleonischeIdee der Verfassung; eine Verfassung müsse kurz undunklar sein. Aber er hat darauf hingewiesen, dass wir seit1990 schon einige sehr ausführliche Artikel in die Ver-fassung geschrieben haben: Art. 13, Art. 16 a, Art. 23,Art. 143 a und b. Der Sündenfall liegt also schon20 Jahre zurück.

(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Sündenfälle!)

Man muss aber eines wissen: Die Schuldenbremsefunktioniert nur, wenn wir minutiös festschreiben, dassdas Geld zurückzuzahlen ist. Sie wissen, wie es mit all-gemeinen und wertungsoffenen Begriffen ist. Wenn inder Verfassung steht, dass Schulden erst dann gemachtwerden dürfen, wenn das gesamtwirtschaftliche Gleich-gewicht gestört ist, fragt sich jeder, was das bedeutet.Die Antwort ist ganz einfach: wenn der Bundestag es be-schließt. So können wir keine Schuldenbremse machen.Wir müssen eine Regelung in die Verfassung schreiben,die nicht manipulierbar bzw., wie Professor Huber sagt,die justiziabel ist. Wir haben eine Schuldenbremse ge-schaffen, die justiziabel ist und dazu führen wird, dassdie Schulden in angemessener Form zurückgeführt wer-den.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Die Staatlichkeit der Länder wird durch die Schul-denbremse nicht berührt. Auch das war Thema vieler Er-örterungen in den letzten Wochen. Professor Lange hatin der Anhörung zu Recht darauf hingewiesen, dass esSolidarität des Gesamtstaates nicht nur beim Ausgebenvon Geld geben darf, sondern auch beim Sparen undbeim Erbringen von Opfern für die finanzielle Stabilitätdes Landes geben muss. Ich denke, das ist ein wichtigerPunkt.

Lieber Herr Kuhn, Sie haben gesagt, die Länder seienin den nächsten Jahren völlig frei in der Entscheidung,ob sie Schulden machen oder nicht. Das ist nicht richtig.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt!)

Wir schreiben im neuen Art. 143 d des Grundgesetzes –ich bitte, das nachzulesen – vor, dass sich diejenigen, dieKonsolidierungshilfen haben möchten, bestimmten Auf-lagen unterwerfen müssen.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie besser zu!)

Sie müssen sich der Nullverschuldung in Schritten nä-hern. Das beginnt im übernächsten Jahr und wird schritt-weise bis zum Jahr 2019/2020 vollendet sein. Darumgeht es.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einmal richtig zuhören! Das ist schwierig!)

Professor Fuest, ebenfalls Sachverständiger in derAnhörung, hat darauf hingewiesen, dass es in den meis-ten OECD-Ländern in den letzten drei Jahrzehnten Ver-suche gab, Schuldenbremsen einzuführen. Es gibt eineausführliche Forschung zu diesem Thema. Das Ergebnisdieser Forschung ist: Dort, wo Schuldengrenzen einge-führt wurden, werden tatsächlich weniger Schulden ge-macht.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber man muss esrichtig machen!)

Ich denke, das sollte uns optimistisch stimmen.

Wir haben im Verwaltungsteil die Möglichkeit einesLeistungsvergleichs zwischen den Ländern eingeführt.Wie soll dieser Leistungsvergleich aussehen? Wir wol-len, dass in diesem föderalistischen Staat auf allen Ebe-nen ständig um die besten und effizientesten Lösungengerungen wird. Das ist eine Aufgabe, die sich jedem vonuns jeden Tag stellt. Der Föderalismus ist ein Gestal-tungswettbewerb, in dem um die besten Lösungen ge-rungen wird.

Dies wird offensichtlich auf der linken Seite des Hau-ses nicht verstanden. Lieber Herr Ramelow, zu dem, wasSie hier offensichtlich im Namen aller Sozialisten allerFraktionen zum Thema Steuern erklärt haben, fällt mirFolgendes ein: Das Einzige, so sagte Winston Churchill,was Sozialisten von Geld verstehen, ist, dass sie es vonanderen haben wollen.

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Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)

(Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Stimmt ja auch!)

Das habe ich inzwischen begriffen. Aber es ist unmora-lisch,

(Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Nein!)

das Geld von künftigen Generationen zu nehmen,

(Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Wir wollen eine Vermögensteuer einführen!)

die sich heute nicht wehren können, und sie somit ihrerChancen, Möglichkeiten und Spielräume zu berauben,die sie brauchen, um ihren Herausforderungen gerechtzu werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Die Börsenum-satzsteuer bringt jetzt Geld!)

Wir stoppen heute den Weg in den Verschuldungs-staat. Das ist verantwortungsvoll gegenüber der Zukunft,gegenüber der jungen Generation. Ich bitte Sie deswe-gen um Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Volker Kröning ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.

Volker Kröning (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! In der ersten Lesung dieses Geset-zespakets sind die Ergebnisse der Föderalismuskom-mission II gewürdigt worden. Heute sind wir in derzweiten und dritten Lesung. Die Anhörung zu dem Ge-setzespaket hat ergeben, dass unter den Ökonomen, Ju-risten und Politikwissenschaftlern, die wir gehört haben,überwiegend Zustimmung besteht. Der Rechtsausschussund die mitberatenden Ausschüsse sind diesem Ergebnisgefolgt. Sie empfehlen allesamt die Annahme des Paketsmit Zweidrittelmehrheit. Es tut mir leid, dass die FDPnicht dabei ist; aber das muss sie mit sich selbst ausma-chen.

Die Abwägungen, die uns zu der heutigen Empfeh-lung geführt haben, hat der Fraktionsvorsitzende derSPD und vom Bund gestellte Kommissionsvorsitzendevorgetragen. Das lässt keine Zweifel, verehrter HerrKauder, dass wir – auch bezüglich der Vereinbarungen,die den Entscheidungen zugrunde gelegen haben – koali-tionstreu geblieben sind. Es freut mich, dass das auchnicht angezweifelt wird. Dies unterstützt die Einmütig-keit der Koalition.

Den Kernpunkt des Gesetzespakets haben die Kolle-gin Tillmann und der Bundesfinanzminister hinreichendund eindrucksvoll zusammengefasst, nämlich dieNeufassung der verfassungsrechtlichen Kreditgrenzen.Ich brauche das nicht zu wiederholen. Ich kann mich

dem voll anschließen, sowohl unter rechtspolitischer alsauch unter ökonomischer Betrachtung.

Es wird deutlich, dass der Finanzpakt zwischen Bundund Ländern, der Ihnen vorliegt, ein für die Finanzver-fassung typischer Interessen- und Machtkompromiss ist.Es kommt allerdings vor allem auf die Innovationen hin-ter dieser Technik an. Als Haushälter möchte ich namensder SPD-Fraktion drei Punkte ansprechen.

Erstens. Leitprinzip der gesamtstaatlichen Haushalts-wirtschaft soll werden, was für die Bürgerinnen undBürger selbstverständlich ist, nämlich nicht mehr auszu-geben, als man einnimmt. In konjunkturell schlechtenZeiten dürfen Kredite aufgenommen werden, in kon-junkturell guten Zeiten sind sie zurückzuzahlen. In einerExtremsituation können die Obergrenzen, die für Bundund Länder gelten, überschritten werden. Dieser Be-schluss, der nur mit Kanzlermehrheit gefasst werdenkann, ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Dasheißt, die neue Richtschnur lautet: Kredite sind zulässig,aber zurückzuzahlen. Kredit und Tilgung gehören zu-sammen. Das ist eine Lehre, die gerade aus der aktuellenFinanzkrise zu ziehen ist.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Die Bewältigung der Krise, in der wir unsbefinden und über deren Ursachen und Folgen wir nochnicht genug wissen – das enthebt uns übrigens nicht un-serer politischen Entscheidung, sondern fordert die Poli-tik in einem ungewöhnlichen und neuartigen Sinne –,folgt in den Jahren 2009 und 2010 noch dem alten Recht,ab dem Jahre 2011 dann dem neuen Recht. Für den Bundgilt eine Anpassungsstrecke bis 2015, für die Länder bis2019.

Leise, aber deutlich füge ich hinzu: Die Beseitigungder Folgen der Aufnahme außerordentlicher Kreditewird in den nächsten Jahren eine Höchstanforderung andie Politik sein, nicht nur mit Blick auf den Bundeshaus-halt, sondern auch mit Blick auf die Nebenhaushalte.Dies gilt nicht nur für die Ausgabenseite, sondern auchfür die Einnahmeseite der Haushalte, kurz: für den Steuer-zahler, der für jede Leistung eine Gegenleistung er-wartet, so für die Leistung der Krisenbewältigung dieGegenleistung der Rücksichtnahme auf seine Steuerzah-lung. Das schulden wir den Bürgerinnen und Bürgern;das muss heute deutlich gesagt werden. Deshalb ent-scheiden wir heute über dieses Regelwerk. Die Bürge-rinnen und Bürger wissen viel besser, als wir manchmalglauben, worum es geht, nämlich darum, die Krisenbe-wältigung nicht zum Vorwand für eine neue Schuldenes-kalation werden zu lassen.

Drittens. Im Kern geht es nicht um die Haushaltsum-fänge, sondern um die Haushaltsstrukturen. Dabei sindneben der Ausgaben- und der Einnahmeseite besondersdie Investitionen in Sach- und Humanwerte ins Augezu fassen. Dieser Bereich wird in den nächsten Jahrendie größte Bewährungsprobe für die gesamtstaatlicheBildungspolitik sein. Das ist ein Kernanspruch der Bür-gerinnen und Bürger, aber auch ein Kerninteresse unse-res Landes im internationalen Umfeld. Es ist bereitsdeutlich gemacht worden: Nur so lässt sich eine sowohl

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Volker Kröning

konjunkturgerechte als auch zukunftsorientierte Finanz-politik betreiben.

Ein weiterer Schwerpunkt der Reform ist die Weiter-entwicklung der kooperativen Umgangsformen der Ge-bietskörperschaften: beim Steuervollzug auf der Basisdes geltenden Art. 108 Grundgesetz, bei den öffentlichenInformations- und Kommunikationssystemen, bei ei-nem kontinuierlichen Leistungsvergleich zwischen denVerwaltungen von Bund und Ländern und insbesonderemit der Errichtung des Stabilitätsrates zur Überwachungder gesamtstaatlichen Haushaltswirtschaft. Wer den Um-gang von Bund und Ländern, zum Beispiel im Rahmender Finanzministerkonferenz, viele Jahre miterlebt hat,der weiß, welch wichtige Innovation das ist. Ich freuemich, dass Sie, Herr Kollege Dr. Friedrich, gerade denkooperativen Gedanken betont haben, und zwar nicht ineinem versteinerten, sondern in einem dynamischenSinne.

Ich wiederhole, was ich schon angedeutet habe: Einebesondere Bewährungsprobe steht der Bildungs- undWissenschaftsverfassung der Bundesrepublik bevor. Eswird von großer Bedeutung sein, wie sie sich nach denzwei Schritten der Bundesstaatsreform, die in diesemJahrzehnt durchgeführt worden sind, entwickelt. Wir ha-ben nicht nur eine striktere Trennung und somit eine bes-sere Zurechenbarkeit der Verantwortung, sondern auchmehr Zusammenwirken erreicht, sowohl bei der For-schung – das darf man nicht verkennen – als auch bei derBildungsberichterstattung. Sie ist allemal besser als diefrühere, völlig funktionslos gewesene Bildungsplanung.

Jetzt geht es um die Frage: Werden die Vereinbarun-gen des Bildungsgipfels 2008, die die Bundeskanzlerinund 16 Ministerpräsidenten getroffen haben, umgesetzt?Werden sie, wie das die Bürgerinnen und Bürger erwar-ten, nicht nur parlamentarisch vom Bundestag, sondernauch föderal, nicht nur vom Bund und den Ländern, um-gesetzt? Werden sie so umgesetzt, dass in unserer Ge-sellschaft mehr Integration und Chancengleichheit er-reicht werden? Werden sie so umgesetzt, dass sie auchökonomisch wirksam werden? Dies geht, so sage ichganz klar, mit der Verfassung

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und setzt keine weitere Änderung der Verfassung voraus.

Bundesstaat für die Menschen – um einmal ein Leit-bild deutlich zu machen – heißt, dass Familien in allenLändern und Gemeinden die bestmögliche Bildung un-abhängig von Grenzen in Anspruch nehmen können. Ichdrücke es mit dem Preußischen Ministerpräsidenten OttoBraun und dem Bremer Bürgermeister Martin Donandtso aus: zusammenarbeiten, als ob es Grenzen nichtgäbe. – Das sage ich als überzeugter Föderalist.

Die Fragen, um die es nach diesem Jahrzehnt imnächsten Jahrzehnt gehen wird, sind angedeutet worden:die Tauglichkeit der Steuerverteilung, ihrer Maßstäbe,aber auch ihrer Berechnung, und eine aufgabenadäquateFinanzausstattung – auch dieses Thema wird über deneinen Bund und die 16 Länder hinaus auch für die über12 000 Gemeinden von Bedeutung bleiben. Kurz gesagt– so, wie wir es im Koalitionsvertrag gesagt haben; wir

brauchten nicht die FDP, um uns auf diesen Weg zu ma-chen –: Eigenverantwortung der Gebietskörperschaf-ten, die den Namen verdient.

Dabei darf keine Politik, die sich dem Gesamtstaatverpflichtet fühlt, sei es nun die Bundespolitik oder diePolitik der Ländergesamtheit, aus den Augen verlieren,dass noch immer 60 Prozent der Schulden – in Kürze so-gar deutlich mehr – auf den Schultern des Bundes lasten,der Bund aber nur 40 Prozent der Einnahmen – ohneKredit – erhält. Ich möchte hier heute noch einmal deut-lich sagen: Das kann mit Blick auf die nächste Dekadeso nicht bleiben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und des Abg. Otto Fricke[FDP])

Zum Schluss will ich danken: den langjährigen Weg-gefährten in meiner Fraktion und Partei, die sehr mitge-holfen haben, die Ergebnisse der Föderalismusrefor-men I und II zu erreichen, den Partnern in der Union, aufdie Verlass ist, den Mitarbeitern der Verwaltungen undauch der Arbeitsgruppen, auf deren Gewissenhaftigkeit– das darf man Beamten konzedieren – wir bauen konn-ten, und stellvertretend für alle Kolleginnen und Kolle-gen, mit denen ich als Obmann zusammengearbeitethabe – auch auf den anderen Politikfeldern –, Dr. PeterStruck. Vielen Dank.

Ich bitte um Annahme des Pakets.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Dr. Günter Krings für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Ich darf zunächst einmal im Anschlussan die Worte von Herrn Kollegen Kröning dieses Lobzurückgeben. Es hat Spaß gemacht, in den beiden Föde-ralismuskommissionen mit Ihnen zusammenzuarbeiten.Das war eine gute Zeit hier im Parlament und war einegute Arbeit für den Deutschen Bundestag und das Landinsgesamt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wenn man in diesen Tage einerseits auf der Zielgera-den zur Schuldenbremse im Rahmen der Föderalismus-reform steht und andererseits sieht, dass wir durch dieFinanzmarktkrise gezwungen sind, eine Rekordneuver-schuldung zu akzeptieren, dann kann einem schon ein-mal ein Satz von Mark Twain nachdenklich machen:

Als sie das Ziel aus den Augen verloren, verdoppel-ten sie ihre Anstrengungen.

Im Unterschied zu Twains Romanhelden HuckleberryFinn, der aussichtslos einem Mississippi-Dampfer hin-terherpaddelte, haben aber wir ein klares Ziel vor Augen,und wir werden mit der Föderalismusreform gleich hof-

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Dr. Günter Krings

fentlich auch einen klaren Kurs abstecken, auf dem wirdieses Ziel – runter mit der Neuverschuldung, Neuver-schuldung möglichst bei null – erreichen können.

Dies ist deshalb wichtig, weil sich die Politik auch inder Demokratie immer einem Dilemma ausgesetzt sieht.Schulden sind heute immer ein relativ bequemer Aus-weg, um möglichst vielen Interessen Rechnung tragenzu können. Diejenigen, die durch Schulden belastet wer-den können – eben künftige Generationen –, haben heuteim politischen Prozess noch gar keine Stimme, egal wietief man das Wahlalter ansetzt. Diejenigen, die Opferdieser Schuldenpolitik sein werden, sind heute noch garnicht geboren.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Aus dem Grunde ist im Verfassungsstaat die einzigeMöglichkeit, dieses Dilemma wenigstens ein Stück weitaufzulösen, eine verfassungsrechtliche Selbstbeschrän-kung. Genau das versuchen wir mit dieser Föderalis-muskommission: eine Selbstbindung von Regierung undParlament, eine Selbstbindung von Bund und Ländern.

Die Schuldenbremse – darauf haben die Redner derFDP gerade hingewiesen – mag nicht perfekt sein. Sie istaber ein realistischer und konsequenter Ansatz, der deut-lich über das hinausgeht und besser ist als das, was vorknapp 40 Jahren im Deutschen Bundestag beschlossenworden ist. Wir gehen ab von dem Prinzip, so vieleSchulden machen zu dürfen, wie wir investieren, weil esnicht funktioniert hat. Die bestehende Schuldenregelungim Grundgesetz hat fast 40 Jahre Zeit gehabt, eindrucks-voll ihre Untauglichkeit zu beweisen. Wir haben jetzt dieWahl, das einfach weiter hinzunehmen oder zumindesteinen wichtigen Schritt in Richtung weniger Neuver-schuldung zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist deutlich besser als gar nichts. Mir ist ein halbesBrot allemal lieber, als gar kein Brot zu bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jetzt ist also die Zeit für einen neuen Anfang. Ichfinde es gut, Herr Kuhn, dass wir uns im Grundsatz auchmit den Grünen einig sind. Aber in den sieben JahrenRot-Grün habe ich Ihr Engagement für weniger Schul-den vermissen müssen. Wer sieben Jahre Zeit hatte, et-was zu tun, aber nichts getan hat, sodass in jedem Haus-halt eine deutliche Neuverschuldung notwendig wurde– ohne eine Finanzmarktkrise –, der sollte zumindest dieChance ergreifen, dass diese Selbstbeschränkung eineBesserung herbeiführt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will noch auf einige Kritikpunkte eingehen. Einwesentlicher Kritikpunkt, der auch von einigen Ländernvorgetragen wurde, war, wir würden ungebührlich in dieHaushaltsautonomie der Länder eingreifen. DieserKritikpunkt relativiert sich schon ein ganzes Stück,wenn man einen Blick in den jetzigen Text der Finanz-verfassung wirft. Dieser Text beinhaltet ebenfalls eineReihe von Einschränkungen für die Länder. Darauf geheich gleich ein.

Insgesamt gebietet es der solidarische Verbund zwi-schen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländernuntereinander auch, dass das Grundgesetz Regelungenvorsieht, die auch die Länder binden. Das Grundgesetzist voll mit solchen Bindungen für die Länder, angefan-gen bei den Grundrechten bis zu dem Homogenitäts-gebot nach Art. 28 Abs. 1 und speziell dem Sozialstaats-prinzip, das übrigens immense Kostenfolgen für dieLänder hat. Es ist für die Länder eben nicht zum Null-tarif zu haben. Wir geben klare Vorgaben, die die Ländereinhalten müssen. Das ist auch nicht erstmalig in derneuen Finanzverfassung der Fall. In der geltenden Fi-nanzverfassung gibt es bereits sehr starke Eingriffsmög-lichkeiten. Im Falle der Störung des gesamtwirtschaftli-chen Gleichgewichts kann der Bundesgesetzgeber heuteschon sogar Kreditobergrenzen für die Länder vorschrei-ben, ja er kann die Länder sogar verpflichten, Rücklagenbei der Bundesbank zu bilden. Das ist geltendes Verfas-sungsrecht, das bislang von niemandem in Karlsruhe an-gegriffen wurde.

Auf einen Punkt muss ich in diesem Zusammenhangnoch hinweisen. Ich habe mich etwas geärgert, dass dieLandtagsvertreter, die in die Föderalismuskommissionmiteingebunden waren, jetzt – zum großen Teil jeden-falls – kritisieren, dass sie in ihrer Autonomie zumSchuldenmachen eingedämmt werden, aber den Län-dern, die eine Steuerautonomie für sich gefordert haben,nicht beigesprungen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Haushaltsautonomie kann nicht erst dann beginnen,wenn man Schulden machen will; sie muss – wenn ichsie richtig verstehe – umfassend gemeint sein. Das giltdann für Einnahmen und Ausgaben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ein zweiter Kreditpunkt, der von vielen Stellen in die-sem Hause vorgetragen worden ist, betrifft den Text derVerfassungsänderung: Er sei zu lang und zu detailreich.Nach 60 Jahren Grundgesetz mag ein wenig Nostalgiemitschwingen, dass man schaut: Wie war es damals, wieist es heute? Die Verfassungsänderung heute findet aberunter völlig anderen Gesetzmäßigkeiten und Bedingun-gen statt als die Verfassungsgebung vor 60 Jahren. 1949war Deutschland zwar ökonomisch eine Trümmerwüste,aber juristisch war es eine echte Stunde null. Um mitJohn Rawls zu sprechen: Es lag ein Schleier des Nicht-wissens über dieser Verfassungsgebung. Es war ebennicht klar, welches Land besonders stark und welchesbesonders schwach herauskommen würde und wie dieeinzelnen Rollen – auch in ökonomischer Hinsicht – imBundesstaat verteilt werden würden. Es gab eine ge-wisse Bereitschaft, ein Wagnis einzugehen. Das ermög-lichte damals, nach der Maxime Napoleons zu handeln,der einmal gesagt haben soll: Verfassungen müssen kurzund unklar sein.

2009, 60 Jahre später, sind die Bedingungen vollkom-men anders. Nach 60 Jahren Bundesstaatspraxis ist diesekonsensfördernde Unkenntnis verschwunden. Jeder weiß

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Dr. Günter Krings

genau, wo er steht. Bildlich gesprochen: Bei einer Föde-ralismusreform sitzt jeder Verhandlungspartner schonmit dem Taschenrechner auf den Knien am Tisch undrechnet auf Punkt und Komma aus, was das für ihn inEuro und Cent bedeutet, was er verliert und was ergewinnen kann. Das macht es schwer bzw. unmöglich,wolkige und allgemeine Formulierungen hineinzuschrei-ben. Das verlangt nach sehr konkreten und präzisenRegelungen. Das kann man kritisieren, aber das ist dieRealität. Wer das nicht erträgt, muss bereit sein, auf Ver-fassungsänderungen, die notwendig sind und die Lückenschließen, generell zu verzichten. Er würde den Verfas-sungsstaat zu Untätigkeit und Unveränderbarkeit verur-teilen. Genau das wäre sicherlich nicht im Sinne derMütter und Väter unseres Grundgesetzes.

Es gab auch manchen gut gemeinten Vorschlag imRahmen der Beratungen im Deutschen Bundestag. Ichgebe gern zu, dass das Ziel vieler Vorschläge eine Ver-schlankung und vielleicht eine bessere Lesbarkeit derTexte war. Aber diejenigen, die solche Vorschläge unter-breitet haben, haben verkannt, dass selbst scheinbar we-nig bedeutende Nebensätze eine klare normative Wir-kung bei dieser Reform haben. Ich nenne als Beispiel,das in starkem Maße auch die Kommunen betrifft,Art. 104 b des Grundgesetzes. Hier gab es den Vor-schlag, der Bund solle Finanzhilfen für alle außerge-wöhnlichen Notsituationen auch außerhalb seiner Ge-setzgebungskompetenz geben können und nicht nur fürdiejenigen, die dem staatlichen Einfluss entzogen sind.Das hätte die Tore viel weiter geöffnet, als wir von derUnion das wollten. Das, was wir mit der letzten Födera-lismusreform geschafft haben, wäre dann in der Tat weit-gehend zurückgedreht worden.

Wir nehmen nun eine sachgerechte Öffnung vor, ge-hen aber nicht weiter, als es in der Sache geboten ist. Dieaktuelle Wirtschaftskrise zeigt, dass diese Öffnung rich-tig ist. Wer hier die reine Lehre vertritt und sagt, gemäßder Trennung von Bund und Ländern und im Sinne einesechten Gestaltungs- oder Wettbewerbsföderalismusmüssten die Finanzhilfen ganz zurückgefahren werden,der hätte in der aktuellen Wirtschaftskrise konsequenter-weise nur vorschlagen dürfen: Die Länder bekommenbefristet Einnahmen aus zwei oder drei Mehrwertsteuer-punkten, und der Bund legt kein Konjunkturprogrammauf. Er hält sich aus allen Maßnahmen heraus und über-lässt alles den Ländern. – Einen solchen ernst gemeintenVorschlag gab es von keiner Seite dieses Hauses. Das istauch nachvollziehbar. Aus diesem Grund ist die Öff-nung, die wir in Art. 104 b des Grundgesetzes vorneh-men, richtig und notwendig.

Diese Öffnung ist dringend notwendig; denn vieleKommunen in Deutschland sind nach wie vor verunsi-chert, ob ihre Projekte, die mit Mitteln aus dem Kon-junkturpaket II finanziert werden sollen, verfassungs-konform sind. Wenn wir aber Stimulanz durch dieseKonjunkturpakete wollen, dann müssen wir auch dafürsorgen, dass das Geld tatsächlich ausgegeben werdenkann. Viele Kommunen schauen uns heute zu und war-ten ab, ob die geplante Verfassungsänderung Realitätwird. An die Adresse derjenigen, die diese Verfassungs-änderung ablehnen, sich enthalten oder das Ganze im

Bundesrat stoppen wollen, sage ich: Es herrscht Zeit-druck. Wer dieses Projekt auch nur für einige Wochenaufhält, verhindert, dass Städte, Gemeinden und Kreisein Deutschland zeitnah dieses Geld ausgeben können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Ich finde, die nun zu beschließende Föderalismus-reform bietet eine historische Chance für mehr Genera-tionengerechtigkeit. Diese Chance zu verspielen, wäreunklug und leichtfertig, weil wir angesichts der Finanz-marktkrise und der Notwendigkeit neuer Schulden dieVerschuldungsschleusen in diesen Tagen ein Stück weitwieder öffnen müssen. Wenn wir aber nicht gleichzeitigeinen Schließmechanismus in das Grundgesetz ein-bauen, dann wird eine ganze politische Generation inDeutschland – so befürchte ich – daran verzweifeln, dieSchleusentore wieder zu schließen. Wir müssen beides,Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit auf dereinen Seite sowie die Notwendigkeit, in dieser Krise zureagieren, auf der anderen Seite, miteinander verbinden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir als Union und die Große Koalition nehmen dieseHerausforderung – ich hoffe, möglichst einstimmig – an.Wir handeln verantwortlich, weil wir gerade in der Krisediese Schuldenbremse verabschieden wollen. Ich hoffe,dass möglichst viele Mitglieder aller Fraktionen in die-sem Hause dem zustimmen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von denFraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge-setzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes. Der Rechts-ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/13221, den Gesetzentwurf der Fraktio-nen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12410in der Ausschussfassung anzunehmen. Mir liegen per-sönliche Erklärungen zur Abstimmung aus fast allenFraktionen des Hauses zu diesem Gesetzentwurf vor, diewir nach dem üblichen Verfahren dem Protokoll beifü-gen.1)

(Unruhe)

– Darf ich einen Augenblick um Aufmerksamkeitbitten? – Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzent-wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, umdas Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratungangenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zurAnnahme dieses Gesetzentwurfs die Mehrheit von zwei

1) Anlagen 2 bis 11

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Präsident Dr. Norbert Lammert

Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages er-forderlich ist. Das sind mindestens 408 Stimmen. Wirstimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlangen derFraktionen der CDU/CSU und SPD namentlich ab. Ichbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-sehenen Plätze einzunehmen. – Ich eröffne die Abstim-mung.

Gibt es noch einen Kollegen oder eine Kollegin, dieihre Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das istnicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung undbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit derAuszählung zu beginnen.

Da die Begleitgesetze in einem logischen Zusammen-hang mit den gerade zur Abstimmung stehenden Grund-gesetzänderungen stehen, schlage ich im Einvernehmenmit den Geschäftsführern vor, dass ich bis zur Vorlagedes Auszählungsergebnisses dieses Abstimmungsvor-ganges die Sitzung kurz unterbreche. Das wird voraus-sichtlich nur wenige Minuten dauern. Deswegen möchteich Sie bitten, hierzubleiben, weil wir unmittelbar da-

nach über die Begleitgesetze zur Föderalismusreformabstimmen.

Die Sitzung ist für diesen kurzen Augenblick unter-brochen.

(Unterbrechung von 10.51 bis 10.56 Uhr)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und

gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführernermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstim-mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU undder SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Än-derung des Grundgesetzes – Drucksachen 16/12410 und16/13221 – bekannt: abgegebene Stimmen 575. Mit Jahaben gestimmt 418,

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

mit Nein haben gestimmt 109, enthalten haben sich48 Kolleginnen und Kollegen. Der Gesetzentwurf hatdie erforderliche verfassungsändernde Mehrheit erreichtund ist damit beschlossen.

(D)

Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 575;davon

ja: 418nein: 109enthalten: 48

Ja

CDU/CSU

Ulrich AdamIlse AignerPeter AlbachPeter AltmaierDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannErnst-Reinhard Beck

(Reutlingen)Veronika BellmannDr. Christoph BergnerOtto BernhardtClemens BinningerRenate BlankPeter BleserAntje BlumenthalDr. Maria BöhmerJochen BorchertWolfgang Börnsen

(Bönstrup)Wolfgang BosbachKlaus BrähmigMichael BrandHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeMonika Brüning

Georg BrunnhuberCajus CaesarGitta ConnemannLeo DautzenbergHubert DeittertAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornDr. Stephan EiselAnke Eymer (Lübeck)Ilse FalkDr. Hans Georg FaustEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer (Göttingen)Dirk Fischer (Hamburg)Axel E. Fischer (Karlsruhe-

Land)Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbEberhard GiengerMichael GlosJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred Grund

Monika GrüttersDr. Karl-Theodor Freiherr zu

GuttenbergOlav GuttingHolger HaibachGerda HasselfeldtUrsula HeinenUda Carmen Freia HellerMichael HennrichJürgen HerrmannBernd HeynemannErnst HinskenChristian HirteRobert HochbaumKlaus HofbauerFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerHubert HüppeSusanne Jaffke-WittDr. Peter JahrDr. Hans-Heinrich JordanAndreas Jung (Konstanz)Dr. Franz Josef JungBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterAlois KarlBernhard KasterSiegfried Kauder (Villingen-

Schwenningen)Volker KauderEckart von KlaedenJürgen KlimkeJulia KlöcknerJens KoeppenDr. Kristina Köhler

(Wiesbaden)Manfred KolbeNorbert Königshofen

Dr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesDr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)Andreas G. LämmelHelmut LampKatharina LandgrafDr. Max LehmerPaul LehriederIngbert LiebingEduard LintnerDr. Klaus W. LippoldPatricia LipsDr. Michael LutherThomas MahlbergStephan Mayer (Altötting)Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzLaurenz Meyer (Hamm)Maria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachPhilipp MißfelderDr. Eva MöllringMarlene MortlerCarsten Müller

(Braunschweig)Stefan Müller (Erlangen)Dr. Gerd MüllerBernd Neumann (Bremen)Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz Obermeier

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Präsident Dr. Norbert Lammert

Eduard OswaldHenning OtteRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche (Potsdam)Klaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerJohannes RöringKurt J. RossmanithDr. Norbert RöttgenAlbert Rupprecht (Weiden)Peter RzepkaAnita Schäfer (Saalstadt)Hermann-Josef ScharfDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerGeorg SchirmbeckChristian Schmidt (Fürth)Andreas Schmidt (Mülheim)Ingo Schmitt (Berlin)Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe SchummerWilhelm Josef SebastianKurt SegnerMarion SeibBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnErika SteinbachChristian Freiherr von StettenGero StorjohannAndreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl (Heilbronn)Lena StrothmannMichael StübgenHans Peter ThulAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Uwe VogelAndrea Astrid VoßhoffGerhard WächterMarco WanderwitzKai WegnerMarcus WeinbergPeter Weiß (Emmendingen)Gerald Weiß (Groß-Gerau)Ingo WellenreutherKarl-Georg Wellmann

Anette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschWilly Wimmer (Neuss)Elisabeth Winkelmeier-

BeckerWerner WittlichDagmar WöhrlWolfgang ZöllerWilli Zylajew

SPD

Dr. Lale AkgünGregor AmannDr. h. c. Gerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldErnst Bahr (Neuruppin)Doris BarnettDr. Hans-Peter BartelsSören BartolSabine BätzingDirk BeckerUwe BeckmeyerKlaus Uwe BenneterDr. Axel BergUte BergPetra BierwirthLothar Binding (Heidelberg)Volker BlumentrittKurt BodewigClemens BollenGerd BollmannDr. Gerhard BotzKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann

(Hildesheim)Edelgard BulmahnUlla BurchardtMartin BurkertDr. Michael BürschChristian CarstensenMarion Caspers-MerkDr. Peter DanckertKarl DillerMartin DörmannDr. Carl-Christian DresselElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinDetlef DzembritzkiSebastian EdathySiegmund EhrmannHans EichelDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerAnnette FaßeElke FernerGabriele FograscherRainer FornahlGabriele FrechenDagmar FreitagPeter FriedrichSigmar GabrielMartin GersterIris GleickeGünter GloserAngelika Graf (Rosenheim)

Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseGabriele GronebergAchim GroßmannWolfgang GrotthausHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannAlfred HartenbachMichael Hartmann

(Wackernheim)Nina HauerHubertus HeilDr. Reinhold HemkerRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra HeßGabriele Hiller-OhmStephan HilsbergPetra Hinz (Essen)Gerd HöferIris Hoffmann (Wismar)Frank Hofmann (Volkach)Dr. Eva HöglEike HovermannKlaas HübnerChristel HummeLothar IbrüggerBrunhilde IrberJohannes Jung (Karlsruhe)Josip JuratovicJohannes KahrsUlrich KasparickDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberChristian KleimingerHans-Ulrich KloseAstrid KlugDr. Bärbel KoflerWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannRolf KramerAnette KrammeErnst KranzNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerDr. Hans-Ulrich KrügerJürgen KucharczykHelga Kühn-MengelUte KumpfDr. Uwe KüsterChristine LambrechtChristian Lange (Backnang)Dr. Karl LauterbachWaltraud LehnGabriele Lösekrug-MöllerDirk ManzewskiLothar MarkCaren MarksKatja MastMarkus MeckelPetra Merkel (Berlin)Ulrike MertenUrsula Mogg

Marko MühlsteinDetlef Müller (Chemnitz)Michael Müller (Düsseldorf)Gesine MulthauptFranz MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDr. Erika OberThomas OppermannHolger OrtelHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßChristoph PriesDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeSteffen Reiche (Cottbus)Maik ReichelGerold ReichenbachDr. Carola ReimannChristel Riemann-

HanewinckelWalter RiesterDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth (Esslingen)Michael Roth (Heringen)Marlene Rupprecht

(Tuchenbach)Anton SchaafAxel Schäfer (Bochum)Bernd ScheelenDr. Hermann ScheerMarianne SchiederOtto SchilyUlla Schmidt (Aachen)Silvia Schmidt (Eisleben)Renate Schmidt (Nürnberg)Heinz Schmitt (Landau)Carsten Schneider (Erfurt)Olaf ScholzReinhard Schultz

(Everswinkel)Ewald SchurerDr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzRita Schwarzelühr-SutterWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDieter SteineckeLudwig StieglerRolf StöckelChristoph SträsserDr. Peter StruckJoachim StünkerJörg TaussJella TeuchnerDr. h. c. Wolfgang ThierseJörn ThießenFranz ThönnesSimone ViolkaJörg VogelsängerDr. Marlies VolkmerHedi WegenerAndreas WeigelPetra Weis

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Präsident Dr. Norbert Lammert

Gunter WeißgerberGert Weisskirchen

(Wiesloch)Hildegard WesterLydia WestrichDr. Margrit WetzelAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützEngelbert WistubaHeidi WrightUta ZapfManfred ZöllmerBrigitte Zypries

FDP

Florian Toncar

fraktionsloserAbgeordneter

Henry Nitzsche

Nein

CDU/CSU

Dr. Norbert Lammert

SPD

Niels AnnenKlaus BarthelMarco BülowRenate GradistanacWolfgang GunkelHelga LopezHilde MattheisDr. Matthias MierschMechthild RawertSönke RixRené RöspelOrtwin RundeSwen Schulz (Spandau)Frank SchwabeAndreas SteppuhnDr. Rainer TabillionRüdiger VeitDr. Wolfgang WodargWaltraud Wolff

(Wolmirstedt)

FDP

Uwe BarthDr. Werner HoyerDr. h. c. Jürgen Koppelin

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan AydinDr. Dietmar BartschKarin BinderHeidrun BluhmEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstDiana GolzeDr. Gregor GysiHeike HänselLutz HeilmannCornelia HirschInge HögerDr. Barbara HöllDr. Lukrezia JochimsenDr. Hakki KeskinKatja KippingMonika KnocheJan KorteKatrin KunertOskar LafontaineUlla LötzerUlrich MaurerDorothée MenznerWolfgang NeškovićDr. Norman PaechPetra PauBodo RamelowElke ReinkePaul Schäfer (Köln)Volker Schneider

(Saarbrücken)Dr. Herbert SchuiDr. Ilja SeifertDr. Petra SitteFrank SpiethDr. Kirsten TackmannDr. Axel TroostAlexander UlrichJörn WunderlichSabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeEkin DeligözDr. Thea DückertDr. Uschi EidKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannPeter HettlichPriska Hinz (Herborn)Dr. Anton HofreiterThilo HoppeUte KoczySylvia Kotting-UhlFritz KuhnUndine Kurth (Quedlinburg)Markus KurthMonika LazarAnna LührmannNicole MaischJerzy MontagKerstin Müller (Köln)Winfried NachtweiBrigitte PothmerKrista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkDr. Gerhard SchickGrietje StaffeltRainder SteenblockSilke Stokar von NeufornDr. Wolfgang Strengmann-

KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeWolfgang WielandJosef Philip Winkler

Enthalten

FDP

Jens AckermannDr. Karl AddicksDaniel Bahr (Münster)

Angelika BrunkhorstErnst BurgbacherPatrick DöringMechthild DyckmansJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickePaul K. FriedhoffHorst Friedrich (Bayreuth)Dr. Edmund Peter GeisenHans-Michael GoldmannJoachim Günther (Plauen)Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinElke HoffBirgit HomburgerMichael KauchDr. Heinrich L. KolbHellmut KönigshausGudrun KoppHeinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtIna LenkeSabine Leutheusser-

SchnarrenbergerMarkus LöningDr. Erwin LotterPatrick MeinhardtJan MückeBurkhardt Müller-SönksenDirk NiebelHans-Joachim Otto

(Frankfurt)Detlef ParrGisela PiltzFrank SchäfflerDr. Konrad SchilyDr. Max StadlerDr. Rainer StinnerCarl-Ludwig ThieleChristoph WaitzDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff (Rems-Murr)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Marieluise Beck (Bremen)

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantragder Fraktion der FDP auf der Drucksache 16/13232? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-schließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-tion Die Linke auf der Drucksache 16/13231? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch dieser Ent-schließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13230? – Wer

stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch dieser Ent-schließungsantrag ist abgelehnt.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 36 b. Esgeht um die Abstimmung über den von den Fraktionender CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf einesBegleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform. DerRechtsauschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 16/13222, den Gesetzentwurf der Frak-tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12400in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-

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Präsident Dr. Norbert Lammert

stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist inzweiter Beratung angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich darf diejenigen, die diesemGesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich zu erhe-ben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damitist auch dieser Gesetzentwurf mit der notwendigenMehrheit angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a und 37 b so-wie die Zusatzpunkte 7 a und 7 b auf:

37 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten SilkeStokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), MonikaLazar, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Grundrecht auf Datenschutz im öffentlichenund privaten Bereich stärken

– Drucksache 16/13170 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Kultur und Medien

b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Renate Künast, Silke Stokar von Neuforn,Jerzy Montag, weiteren Abgeordneten und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än-derung des Grundgesetzes (Artikel 2 a, 5 a,13 a, 19)

– Drucksache 16/9607 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 16/13218 –

Berichterstattung:Abgeordnete Beatrix Philipp Dr. Michael Bürsch Gisela Piltz Jan Korte Silke Stokar von Neuforn

ZP 7 a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Änderung des Bundesdaten-schutzgesetzes

– Drucksachen 16/10529, 16/10581 –

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundes-rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Bundesdatenschutzge-setzes

– Drucksache 16/31 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-ausschusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 16/13219 –

Berichterstattung:Abgeordnete Beatrix Philipp Dr. Michael Bürsch Gisela Piltz Jan Korte Silke Stokar von Neuforn

b) Beratung der Beschlussempfehlung und desBerichts des Innenausschusses (4. Ausschuss)zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokarvon Neuforn, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken,weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Datenschutz beim so genannten Scoring

– Drucksachen 16/683, 16/13219 –

Berichterstattung:Abgeordnete Beatrix Philipp Dr. Michael Bürsch Gisela Piltz Jan Korte Silke Stokar von Neuforn

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än-derung des Bundesdatenschutzgesetzes liegt ein Ent-schließungsantrag der FDP-Fraktion vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst dem Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Wir sprechen heute über den von den Grüneneingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Grund-gesetzes, aber auch über einen von der Bundesregierungeingebrachten Gesetzentwurf zum sogenannten Scoring.

Datenschutz ist zum zentralen Anliegen unserer Ge-sellschaft geworden, einer Gesellschaft im Informa-tionszeitalter. In einer Zeit, die von einer Automatisie-rung der Datenverarbeitung geprägt ist und in der unsdas Internet mit Daten aller Art zuschüttet, erleben wireine Datenflut. Das muss natürlich zur Folge haben,dass der Schutz der Daten im Rahmen dieser Datenflutneu organisiert wird.

Wir als Koalition haben uns dem Thema Datenschutzgestellt und uns monatelang in Verhandlungen zwischenSPD und Union sowie mit den betroffenen Verbändenund den Datenschützern mit diesem Thema befasst.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem beach-tenswerten Urteil aus dem Jahre 1983, wie Sie wissen,das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmungsozusagen eingeführt. Eine weitere wichtige Entschei-dung im Bereich Datenschutz ist im Februar vergan-genen Jahres zur Onlinedurchsuchung ergangen. Hierwurde das Recht auf Gewährleistung der Vertraulich-keit und Integrität bei Nutzung informationstechni-scher Systeme begründet – ein weiterer Baustein für ei-

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Dr. Hans-Peter Uhl

nen effizienten Datenschutz. Wer diese Rechtsprechungdes Bundesverfassungsgerichtes jetzt in Grundgesetzar-tikeln normieren will, macht etwas, was nicht zwingendnötig ist; denn es handelt sich bereits um materiell gel-tendes Verfassungsrecht, wie Juristen schon im erstenSemester in Staatsrechtsvorlesungen lernen.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Aber es wäre sinnvoll und gut!)

– Sinnvoll kann es dann sein, wenn man sich mit deneinfachgesetzlichen Fragen befasst. Das will ich hierheute tun.

(Zuruf des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist zunächst einmal eine Verlagerung des Problemsfestzustellen. Es geht nicht mehr in erster Linie um dieFestlegung von Abwehrrechten des Bürgers gegen-über dem Staat. In diesem Bereich liegen erkennbarnicht die Hauptprobleme, die zu regeln sind.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Oh doch!)

Es geht nämlich nicht um den öffentlichen Bereich, son-dern um den privaten Sektor, also den Datenschutz indiesem Bereich.

Der Staat – das hat, wie ich meine, die Diskussion zurOnlinedurchsuchung durchaus auch ergeben – muss ver-antwortungsbewusst mit den Daten, die er sammelt, um-gehen, und der Bürger muss vor einer unverhältnismäßi-gen Datensammelwut des Staates geschützt werden. DerStaat – all das haben wir über eine Vielzahl von Sicher-heitselementen in das Gesetz zur Onlinedurchsuchungeingebaut – kann nicht willkürlich im Wege der Online-durchsuchung Daten erheben und auf die Festplatten derBürger zugreifen. Wir haben einen Richtervorbehalt ein-gebaut; all das geht also nur, wenn ein Richter zustimmt.Wir haben entsprechende Befugnisse nur dem Präsiden-ten gegeben und nicht einfachen, kleinen Mitarbeitern.Wir haben die Verwertung geregelt, also wie mit erkenn-bar privaten Daten, auf die man dabei stößt, umzugehenist. All dies haben wir in einem sehr komplizierten Ge-setzeswerk minutiös geregelt. Das Verhältnis zwischenBürger und Staat im Umgang mit entsprechenden Datenund der Schutz dieser Daten sind also sehr sensibel gere-gelt worden.

Die Datenskandale, die uns im vergangenen Jahr undauch schon in diesem Jahr bewegten – es wird wahr-scheinlich in den kommenden Monaten noch weitere ge-ben –, waren völlig anderer Natur. Mit diesen Skandalenverbindet man die Namen Lidl, Telekom, Post und Deut-sche Bahn, um nur einige zu nennen. Die Liste mit denNamen von privaten oder privatisierten Firmen, die imUmgang mit den schützenswerten, intimen Daten ihrerMitarbeiter bzw. von deren Angehörigen jede Sensibili-tät vermissen lassen, wird sich – davon bin ich zutiefstüberzeugt – fortsetzen. Das ist der Punkt, um den esgeht: Wie können wir verhindern, dass im privaten Sek-tor Ausspähung durch den Arbeitgeber erfolgt?

Wir führen in der Koalition seit langem Gesprächedarüber, ob wir das noch in dieser Legislaturperiode leis-

ten können. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen: Wirsollten diesem Thema Aufmerksamkeit schenken undwerden in einem neu geschaffenen § 32 BDSG die fürden Arbeitnehmerdatenschutz geltenden Rechtsgrund-lagen, ohne sie zu verändern, noch einmal aufzeigen,wissend, dass wir in der nächsten Legislaturperiode, werauch immer dann die Mehrheit haben wird, das ThemaArbeitnehmerdatenschutz sehr sorgfältig und grundsätz-lich in einem eigenen Gesetz behandeln müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bitte deswegen, diesen § 32 BDSG, der hoffentlich inder nächsten Sitzungswoche behandelt wird, nicht alsabschließende Behandlung dieses Themas, sondern alsEinstieg in eine grundsätzliche Diskussion zu verstehen.

Was heute schon behandelt werden kann, ist dasScoring. Auf dieses Thema wird meine Kollegin FrauPhilipp nachher ausführlich eingehen. Unsere Vor-schläge bringen deutliche Verbesserungen für die Betrof-fenen. Man soll erfahren können, was Auskunfteien übereinen an Daten sammeln, wie der Score-Wert für einenberechnet wird und was er bewirken kann. Dadurch wirdim Bereich des Scoring Transparenz geschaffen. Deswe-gen sind wir mit dem Gesetzentwurf, den wir Ihnenheute vorlegen können, sehr zufrieden.

Wir, die Unionsfraktion, genauso aber die SPD, ha-ben, auch gemeinsam, in einer Anhörung mit der Wirt-schaft, mit Verbraucherschutzverbänden, mit Daten-schützern, eine Unzahl von Gesprächen geführt, umVerbesserungen beim privatwirtschaftlichen Daten-schutz herbeizuführen. Wir haben es hier mit einem Ziel-konflikt zu tun, der uns allen bewusst sein muss: Einer-seits gibt es das Recht des Bürgers auf informationelleSelbstbestimmung, andererseits gibt es berechtigte Inte-ressen der gewerblichen Wirtschaft an der Nutzung vonbestimmten Daten zu Werbezwekken. Die Wirtschaftmuss wirksam werben können. Dazu gehört auch adres-sierte Werbung, die wir nicht verurteilen, sondern zulas-sen wollen.

Die Frage ist nur: Wie kommt die Wirtschaft an dieseDaten, und wie kann sich der Bürger, der solchermaßenbeworben wird, dagegen wehren? Wir dürfen auf keinenFall zulassen, dass intime Verbraucherdaten gesammeltund zur Bildung eines Profils genutzt werden, um aufdiese Weise den Bürger gezielt zu bewerben. Der Bürgermuss sich gegen solche Werbung wehren können. Ermuss das letzte Wort haben, wenn es darum geht, seinepersönlichen Daten zu nutzen, um ihn gezielt zu bewer-ben; denn er hat das Recht, über die Verwendung seinerDaten zu bestimmen.

Deswegen sind wir dabei, eine Wende einzuleiten:dass künftig der Grundsatz gilt, dass die Weitergabe unddie Nutzung von Daten zu Zwecken des Adresshandelsund zu Werbezwecken nur nach Einwilligung des Be-troffenen – eine solche Regelung wird heutzutage Opt-in-Regelung genannt – erfolgen darf.

Wer meint, all dies könne man durch Artikel imGrundgesetz lösen, der irrt – oder er macht Symbolpoli-tik. Diese Themen sind kompliziert. Wenn Sie unsere

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Dr. Hans-Peter Uhl

Entwürfe in den Händen halten, werden Sie sehen, wiedetailliert und ausgewogen wir diesen Zielkonflikt lösen.

Die Einführung eines neuen Grundgesetzartikels alsLösung darzustellen, macht überhaupt keinen Sinn. Ichhabe bereits gesagt: Materiell-rechtlich, verfassungs-rechtlich sind die Probleme durch das Bundesverfas-sungsgericht mit seinen beiden Grundsatzurteilen bereitsgelöst. Da besteht kein Handlungsbedarf. Jetzt geht esdarum, detailliert und mit einfachgesetzlichen Regelun-gen diesen Zielkonflikt vernünftig auszutragen: einer-seits der Wirtschaft das Werben möglich machen, ande-rerseits dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben,selbst zu entscheiden, wann seine Daten benutzt werden,ob und von wem er beworben werden will.

Das ist die sehr komplizierte Aufgabenstellung, mitder wir uns auch noch in diesen Stunden – das gebe ichgerne zu – beschäftigen. Wir verhandeln auch heutenoch darüber, wie wir zu einem guten Datenschutzgesetzkommen können. Herr Bürsch, der in der nächsten Le-gislaturperiode, wenn ich das richtig sehe, nicht mehrdabei sein wird, ist guter Hoffnung, dass er dieses Kindnoch auf die Welt bringen wird.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Vielleicht über-lege ich mir das noch einmal!)

Ich meine, wir sollten hier alle an einem Strang zie-hen und vernünftige Regelungen erarbeiten: zum Wohleder Betroffenen und des Datenschutzes, aber ohne dieWirtschaft mit ihren legitimen Interessen außer Acht zulassen. Wer die Diskussionen über Opel, Karstadt undandere in größte Not geratene Firmen verfolgt, der kannnicht zur gleichen Zeit sagen: Die Wirtschaft darf nichtmehr wirksam werben. – Das passt nun weiß Gott nichtin die Landschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Michael Bürsch [SPD])

Wer sich mit dem Thema einmal näher befasst, derweiß, was daran für eine Industrie hängt. Damit sindUmsätze in Milliardenhöhe und sehr viele Arbeitsplätzeverbunden. Deswegen hat es gar keinen Sinn, dieseForm der Werbung zu verteufeln. Wir müssen einen ver-nünftigen Mittelweg finden. Das werden wir tun.

Gehen wir es an! Wir müssen uns um einfachgesetzli-che Regelungen bemühen, statt plakativ die Einführungirgendwelcher Grundgesetzartikel zu fordern, die dieWelt nicht verändern werden und können; denn dieseRechtsgedanken sind durch höchstrichterliche Recht-sprechung bereits normiert. Um diesen Punkt geht es unsheute.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch ein Versehen

ist eine falsche Reihenfolge bei der Rednerliste entstan-den.

(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Darf ernoch mal reden? – Michael Grosse-Brömer

[CDU/CSU]: Dann wiederholt er das noch ein-mal!)

– Nein. Dies ist ein Antrag der Fraktion der Grünen, diedamit eigentlich das Recht haben, die Debatte zu eröff-nen. Deswegen erteile ich jetzt als zweiter Rednerin derKollegin Stokar das Wort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Dr. Michael Bürsch [SPD], an den Abg.Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU] gewandt: Siedürfen nachher noch mal reden! – WolfgangWieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: DerKollege Uhl war heute so maßvoll!)

Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kol-lege Uhl hatte hier sichtlich Probleme, seine lange Rede-zeit mit irgendwelchen Inhalten zu füllen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk[CDU/CSU]: So würde ich das nicht sagen!)

Wir haben jetzt erfahren, dass sich die Große Koali-tion beim Thema Datenschutz in einem Zielkonflikt be-findet. Es wäre allerdings Ihre Aufgabe, diesen Zielkon-flikt zu lösen und hier tatsächlich Inhalte, über die Siedann reden könnten, vorzulegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir haben jetzt 60 Jahre Grundgesetz gebührendgefeiert. Es ist an der Zeit, sich wieder verstärkt der Ver-fassungswirklichkeit zu widmen. Diese sieht eher trau-rig aus. Eindrucksvoll hat der Grundrechte-Report 2009dokumentiert, in welcher Gefahr sich die Bürgerrechtein unserem Land befinden. Im Zusammenhang mit demDatenschutz wird im Grundrechte-Report von einem„toten Grundrecht“ gesprochen. Lassen Sie uns diesesGrundrecht gemeinsam wiederbeleben!

Richtig ist: Sowohl der Staat als auch Private haben inder Vergangenheit das Grundrecht auf informationelleSelbstbestimmung gröblich missachtet. Die Daten-schutzverstöße gehen munter weiter. So werden – dasist nur ein Beispiel – hochsensible personenbezogeneDaten des Gemeinsamen Analyse- und Strategiezen-trums illegale Migration, des GASIM, zwischen Polizei-behörden und Nachrichtendiensten munter hin- und her-geschoben, ohne dass es dafür eine hinreichendeRechtsgrundlage gibt. Es ist ganz gleich, ob beim Staatoder in der Privatwirtschaft: Da, wo hingeschaut undkontrolliert wird, finden wir Datenschutzverstöße undDatenschutzskandale. Auch die mangelnde Kontrolleund die fehlenden harten Sanktionen haben dazu geführt,dass das Grundrecht auf Datenschutz unter die Räder ge-kommen ist.

Es ist nun einmal so: Da, wo Regeln außer Kraft ge-setzt werden, herrscht die blanke Anarchie. Wir müssenuns heute damit auseinandersetzen, dass sich die Sicher-heitszentralen der großen Konzerne offensichtlich vomRechtsstaat und von der Bindung an die Verfassung ab-

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Silke Stokar von Neuforn

gekoppelt haben. Ganz gleich, ob Lidl, Telekom, Deut-sche Bahn oder der große Autokonzern Daimler – dieseAufzählung ist keineswegs vollständig –: Die Persön-lichkeitsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer wurden völlig ignoriert. Im vermeintlichenInteresse der Konzernsicherheit wurden ganze Beleg-schaften heimlich gescreent. Die Kommunikation vonAufsichtsräten, Gewerkschaftern und Journalisten wurdeausgeforscht. Es wurden Krankheitsdossiers angelegt.Die Videoüberwachung am Arbeitsplatz ging bis in denintimsten Privatbereich.

Ich begrüße es durchaus, dass diese groben Verstößegegen den Datenschutz in unserer Gesellschaft nichtmehr klaglos hingenommen werden. Es ist richtig, dassdiejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die dieseungeheuren Überwachungs- und Bespitzelungsskan-dale zugelassen haben. Ich finde es richtig, dass sie ihreVorstandsjobs verlieren und sich heute vor Gericht ver-antworten müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Erschüttert und erschreckt hat mich das fehlende Un-rechtsbewusstsein. Dass wir Pressefreiheit, Meinungs-freiheit und Versammlungsfreiheit haben, das wissenheute die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Wirwollen, dass Datenschutz gleichermaßen als unveräußer-liches Grundrecht in die Köpfe der Bevölkerung eingeht.Wir halten es für richtig, den Datenschutz als eigen-ständiges Grundrecht in die Verfassung aufzunehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gisela Piltz [FDP])

Für mich gilt der Grundsatz: Ein einfacher Blick indie Verfassung muss ausreichen, damit Grundrechte fürjedermann klar definiert erkennbar sind. Ich möchte denBürgerinnen und Bürgern nicht zumuten, Urteile desBundesverfassungsgerichts hervorholen und eine Ablei-tung aus den Grundrechtsartikeln 1 und 2, die die Per-sönlichkeitsrechte definieren, herstellen zu müssen. DieArgumentation, in den Art. 1 und 2 sei alles ablesbar,ließe auch den Schluss zu, auf die restlichen Grund-rechte in unserer Verfassung verzichten zu können. Aberniemand kommt auf die Idee, zu sagen, dass eines dieserGrundrechte überflüssig ist oder nicht in die Verfassunggehört. Im 21. Jahrhundert, im Jahrhundert der Informa-tionsgesellschaft, gehört der Datenschutz als eigenstän-diges Grundrecht in unsere Verfassung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Verfassung ist nichts Totes. Unsere Verfas-sung ist etwas Lebendiges. Der ehemalige Verfassungs-richter Winfried Hassemer bezeichnet das Grundgesetzgern als eine Baustelle. Er nannte im Zusammenhangmit der Vorstellung des Grundrechte-Reports 2009 dasGrundgesetz ein Gesetz, das nahe am Leben ist, das aufden sozialen Wandel reagiert, das beweglich und lern-fähig ist. Im Bereich des Datenschutzes müssen wir aufden rasanten Technologiewandel reagieren. Im Bereichdes Datenschutzes haben wir eine Veränderung, die sicheben nicht in unserer Verfassung widerspiegelt. Deswe-gen sagen wir: Datenschutz gehört in die Verfassung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir waren durchaus bereit, über einzelne Formulierun-gen unseres Gesetzentwurfes zu diskutieren. Aber vonIhrer Seite kam nur die Ablehnung.

In einem einzigen Punkt dieser groß angelegten Da-tenschutzdebatte können Sie von der Großen Koalitionsich heute loben: Die Koalitionsvereinbarung haben Sievoll umgesetzt. Darin steht nämlich zum Thema Daten-schutz nichts. Zum Thema Datenschutz haben Sie bisheute nichts Vernünftiges vollbracht. Für mich ist es eintrauriges Kapitel der Parlamentsgeschichte, dass es dieAbgeordneten der CDU, der CSU und der SPD sind, dieseit Monaten jeden Fortschritt beim Thema Datenschutzblockieren. Bundesinnenminister Schäuble hat bereitsim Herbst des letzten Jahres einen Gesetzentwurf vorge-legt, der durchaus bemerkenswerte Verbesserungen ent-hielt. Im Dezember des letzten Jahres ging dieser Ge-setzentwurf einstimmig durch das Kabinett. Dann kamin der ersten Lesung des Bundestages der Totalverrissdurch die Abgeordneten der CDU, begleitet von massi-ven Bedenken aus den Reihen der SPD. Ich habe diesfrüher anders erlebt: Der Innenminister hat blockiert,und das Parlament war bemüht, Datenschutz zu stärken.Bei Ihnen in der Großen Koalition ist es umgekehrt.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)

Das halte ich für einen Skandal und für peinlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bundesinnenminister Schäuble verkündete nach demDatenschutzgipfel im vergangenen Herbst großspurigdas Ende des Listenprivilegs, Horst Seehofer wollte demAdresshandel ein Ende setzen, und BundeskanzlerinMerkel versprach noch auf dem Verbrauchertag am12. Mai, Adressdaten dürften nur noch mit der Einwilli-gung der Betroffenen weitergegeben werden. AllesSchall und Rauch, Ankündigungen, die nicht umgesetztwerden. Ich kann nur sagen: Über allen Gipfeln ist Ruh’.Seit Monaten warten wir auf die Abschaffung des Lis-tenprivilegs und die Einführung einer klaren Opt-in-Re-gelung für die Weitergabe von persönlichen Daten.

Aber SPD und CDU waren schon immer die Daten-schutzmuffel. Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten,als Datenschutz hier als Täterschutz diffamiert wurde.So tragen Sie eine Mitverantwortung für die Daten-schutzskandale, mit denen wir uns in den letzten Mona-ten auseinanderzusetzen hatten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die SPD sich inden Jahren der rot-grünen Regierungszeit schlicht undergreifend weigerte, die Koalitionsvereinbarungen zumDatenschutz umzusetzen. Ganz gleich, ob unter Arbeits-minister Müntefering oder jetzt Arbeitsminister Scholz,das Thema Arbeitnehmerdatenschutz fiel einer sozial-demokratischen Arbeitsverweigerung zum Opfer. Siehaben vom verfassungsrechtlich geschützten Streikrechtan der falschen Stelle Gebrauch gemacht. In den vergan-genen zehn Jahren wurde trotz vielfacher Parlaments-beschlüsse jede Forderung nach einem Arbeitnehmer-

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datenschutzgesetz ignoriert und ausgesessen. EinePresseerklärung von Andrea Nahles vom heutigen Tagist nichts weiter als eine weitere Ankündigung; sieschafft kein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Die realenChancen, hier etwas zu machen, haben Sie vertan. Auchzu diesem Thema haben wir bereits seit über einem Jahrumfangreiche Vorschläge vorgelegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gisela Piltz [FDP])

Das Einzige, was Sie hier heute zur Datenschutzde-batte beitragen können, ist ein Gesetz zum Scoring. Nurbleibt auch in diesem Gesetz der Datenschutz auf derStrecke. In weiten Bereichen hat sich die Lobby derAuskunfteien durchgesetzt. Sie begrenzen das Scoringnicht, sondern dehnen es weiter aus. Scoring macht Sinn,wenn es darum geht, die Bonität im Bereich von Kredit-geschäften zu bewerten. Zu dieser Einschränkungkommt auch der Bundesrat. Sie aber lassen Scoring füralle weiteren Lebensbereiche zu. Ihre Ausweitung desScoring wird in wenigen Jahren dazu führen, dass wireine massive soziale Ausgrenzung über Scorewerte ha-ben werden. Sie lassen die Bewertung der Bonität nachWohnort ausdrücklich zu. Es reicht einfach nicht aus,wenn eine Entscheidung nicht ausschließlich von Geo-daten abhängig gemacht werden darf. Dies wird zu einermassiven Verschärfung der sozialen Diskriminierungvon Menschen führen, die in sozialen Brennpunkten le-ben. Sie werden höhere Zinsen für Kredite zahlen müs-sen, wenn sie überhaupt einen bekommen, sie könnenvom Versandhandel und vom Internetshopping weitge-hend ausgeschlossen werden, und sie bekommenSchwierigkeiten beim Abschluss von Mobilfunkverträ-gen und Internetanschlüssen. Hiermit stärken Sie dieAuskunfteien, die die Bonität von Kunden nicht nachdem tatsächlichen Verhalten, sondern nach der Wohnan-schrift bewerten, und Sie schwächen die Schufa, die zu-mindest bemüht ist, Datenschutzregeln einzuhalten. Bis-lang verzichtet die Schufa auf die Verwendung vonGeodaten. So viel zu Ihrem Argument, es sei nicht pra-xistauglich. Außerdem stärken Sie diejenigen Auskunf-teien, die „Auskunft light“ machen und damit massiv indie soziale Vertragsgestaltung von Menschen eingreifen.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das alles sieht derDatenschutzbeauftragte Schaar ganz anders,Frau Kollegin!)

Wir fordern darüber hinaus die Einrichtung eines In-ternet-Bürgerportals. Auch das haben Sie im Innenaus-schuss abgelehnt.

Wir haben im Innenausschuss drei konkrete Ände-rungsanträge vorgelegt. Diese hätten die gröbsten Män-gel dieses Gesetzes bereinigt. Dazu gab es aus Ihren Rei-hen keine Zustimmung. Wir können heute Ihrem Gesetzzum Scoring nicht zustimmen. Für Datenschutzplacebo-politik gibt es von uns keine Unterstützung.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Gisela Piltz für die FDP-

Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Gisela Piltz (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es hat niemand die Absicht, im Privatleben harmlo-ser Bürger herumzuschnüffeln.

Der eine oder andere wird mir nicht glauben, wenn ichIhnen jetzt sage, von wem das Zitat ist. Es ist von Bun-desinnenminister Schäuble und stammt aus dem Ta-gungsband Terrorismusbekämpfung in Europa – Heraus-forderungen für die Nachrichtendienste. Es geht weiter:

Und jeder, der das behauptet und dem Staat einenÜberwachungswahn unterstellt, untergräbt das Ver-trauen in unsere rechtsstaatliche Ordnung.

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht das Geredevom Überwachungsstaat, sondern die Sorge vor demÜberwachungsstaat untergräbt das Vertrauen in denRechtsstaat.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derLINKEN)

Wer sich nicht mehr sicher sein kann, ob er sich unbe-obachtet im Rahmen seiner Freiheitsrechte frei entfaltenkann, ist nicht mehr frei, kann nicht mehr auf seine Frei-heit vertrauen. Genau das ist es, was das Bundesverfas-sungsgericht unter mittelbarer Beeinträchtigung derGrundrechte versteht.

(Beifall bei der FDP)

Die Verletzung des Grundrechtes auf informatio-nelle Selbstbestimmung hat in der laufenden Legis-laturperiode ein solches Ausmaß angenommen, dassman sich fragen muss, ob von diesem Grundrecht seitensder Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionenüberhaupt noch Kenntnis genommen wird.

Herr Uhl, interessanterweise haben Sie fünf Minutenlang nur über das BKA-Gesetz gesprochen. Nur für die-jenigen, die zugeschaut haben: Das ist schon längst ver-abschiedet; das ist nicht aktuell; das ist nicht das Themadieses Tages.

(Zuruf von der FDP: So ist es! – Silke Stokarvon Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Der lernt ja auch nichts!)

Das BKA-Gesetz, das immer noch kritisch zu sehendeBSI-Gesetz – man kann nur hoffen, dass die Notbremsenoch gezogen wird – und die Vorratsdatenspeicherung,gegen die die größte Klage läuft, die dieses Land je gese-hen hat – von über 30 000 Menschen –, sind nur dreiBeispiele von vielen für die schleichende Entwertungder Bürgerrechte, für das, was Sie in diesem Parlamentbeschlossen haben.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

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Soweit es allerdings um die Verbesserung der daten-schutzrechtlichen Belange des einzelnen Bürgers geht,agieren Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen vonder sogenannten Großen Koalition, nicht einmal imSchneckentempo. Etablierung eines Einwilligungsvor-behalts bei der Weitergabe von personenbezogenen Da-ten? Bisher Fehlanzeige. Ich bin einmal gespannt, ob SieIhr Spitzenpersonal, Ihren Innenminister und Ihre Kanz-lerin, im Regen stehen lassen. Wir werden das sehr inte-ressiert verfolgen. Die Kollegin Stokar hat ja schon vieldazu gesagt.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Warten wir es ab!)

Novellierung des Arbeitnehmerdatenschutzes? Auch daFehlanzeige.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Siestellen seit elf Jahren einen Minister, der sich – bei unter-schiedlichen Titeln – Minister für Arbeit nennt. Dass esin elf Jahren kein Arbeitsminister in Deutschland ge-schafft hat, die Datenschutzinteressen von Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmern wahrzunehmen und denSchutz durchzusetzen, ist wirklich ein Armutszeugnisfür eine Partei, die sich Arbeiterpartei nennt. Das mussich Ihnen wirklich einmal sagen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN – Dr. Michael Bürsch [SPD]:Norbert Blüm hat es 16 Jahre lang nicht ge-schafft! Darauf muss man auch einmal gu-cken! – Ute Kumpf [SPD]: Da war die FDPdabei, glaube ich!)

– Wissen Sie, Sie können sich nicht immer damit raus-reden, dass jemand anders das auch nicht gemacht hat.Sie regieren seit elf Jahren. Bekennen Sie sich dazu. Be-kennen Sie sich zu Ihren Fehlern, und schieben Sie IhreFehler nicht immer auf andere ab.

(Beifall bei der FDP – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)

In der Sache sind wir von der FDP-Bundestagsfrak-tion absolut bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegenvon den Grünen. Ich weiß, dass Sie das überrascht. DerDatenschutz gehört auch nach unserer Auffassung60 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, 25 Jahrenach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungs-gerichts und erst recht mit Blick auf das Urteil Karlsru-hes zur Onlinedurchsuchung ins Grundgesetz. Hiermitwürde die ständige Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts durch den Verfassungsgesetzgeber aner-kannt.

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Der Verfassungsgesetzgeber – also wir – würde zu-dem auch landespolitischen und europarechtlichen Ent-wicklungen Rechnung tragen. Herr Uhl, Sie müssen dasnicht wissen, aber bereits zehn Länder haben ein Daten-schutzgrundrecht explizit in ihre Verfassung aufgenom-men. Sie müssen auch nicht wissen, dass das Gleiche fürdie europäische Grundrechtscharta gilt. So gesehen ist esgar nicht so abwegig, darüber einmal nachzudenken.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Obgleich wir in der Zielsetzung durchaus beieinandersind, haben wir von der FDP-Fraktion doch erheblicheZweifel an der rechtlichen Umsetzung Ihres Gesetzent-wurfes. Ich will Ihnen auch sagen, warum das so ist. Be-reits in der wegweisenden Entscheidung zur Volkszäh-lung im Jahr 1983 führte das Bundesverfassungsgerichtaus, dass „Einschränkungen des Rechts auf informatio-nelle Selbstbestimmung nur im überwiegenden Allge-meininteresse zulässig sind“. Die Formulierung in IhremGesetzentwurf wird dieser Vorgabe leider nicht gerecht.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Richtig!)

Ich will Ihnen gar nicht unterstellen, dass Sie die Vor-aussetzungen für Eingriffe in den Schutzbereich der in-formationellen Selbstbestimmung absenken wollen.Es könnte mit Ihrer Formulierung aber passieren. Wirvon der FDP sind nur dann an Ihrer Seite, wenn klar ist,dass das im Grundgesetz formulierte Grundrecht nichthinter den Vorgaben des Verfassungsgerichtes zurück-bleibt.

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch völlig klar!)

Sonst spielen wir nur denen in die Hände, die immer undimmer wieder in die Grundrechte eingreifen, und errei-chen eben gerade nicht das, was wir erreichen wollen.Aus unserer Sicht hat Ihr Gesetzentwurf an dieser Stelleleider handwerkliche Fehler.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist bei denGrünen oft so! – Gegenruf des Abg. WolfgangWieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Was?)

– Och, Herr Bürsch! Ich muss jetzt wirklich nicht dieGrünen verteidigen.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Gut gemeint ist nicht gut gemacht!)

Ich könnte als Beispiele für handwerkliche Fehler auchmanche Gesetzentwürfe der CDU/CSU nennen. Als Stu-dentin an der Uni habe ich mir das Agieren eines Gesetz-gebers anders vorgestellt.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ich auch!)

– Das gilt für Sie also auch. – Damit können Sie sich lei-der nicht herausreden.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

Wir können dem Gesetzentwurf in dieser Form nicht zu-stimmen. Vielleicht tut sich ja noch etwas.

Dasselbe gilt aus unserer Sicht auch für den quasi ineiner Nacht-und-Nebel-Aktion aufgesetzten Gesetzent-wurf der Bundesregierung zur Änderung des Bundes-datenschutzgesetzes. Der abenteuerliche Umgang dersogenannten Großen Koalition mit den beiden Daten-schutznovellen ist wirklich zu einer Farce geworden.Wie hoch Sie die Bedeutung des Datenschutzes in die-sem Haus einschätzen, zeigt sich daran, dass Sie siebenMonate gebraucht haben, um diesen Gesetzentwurf ins

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Gisela Piltz

Parlament einzubringen. Sie haben nicht einmal eineneigenen Tagesordnungspunkt dafür bekommen, sondernmussten den Tagesordnungspunkt der Grünen quasi hija-cken.

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Piraterie“ nennt man das!)

Das wundert einen aber nicht. Wer Tag und Nacht umKleinigkeiten feilscht, hat für die großen Dinge, nämlichwichtige Gesetze auch im Plenum zu verabschieden,vielleicht keinen Blick mehr. Ich bin sicher, das hört baldauf, und ich hoffe, es wird besser.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Wieland [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kann nur besserwerden!)

Wir begrüßen es jedenfalls, dass wenigstens dieser Teiljetzt zum Abschluss kommt, auch wenn man nicht sagenkann: Ende gut, alles gut.

Diese Änderungen des Bundesdatenschutzgesetzessind aus unserer Sicht wichtig und richtig. Wichtigerwäre aus unserer Sicht jedoch gewesen, das gesamteBundesdatenschutzgesetz zu novellieren. Der eine oderandere weiß es vielleicht nicht: Das Bundesdatenschutz-gesetz stammt aus dem Jahr 1978. Es ist zum 1. Januar1978 in Kraft getreten. Zu der Zeit hatte mein Telefonnoch eine Wählscheibe, und von den vielfältigen Mög-lichkeiten mobiler Kommunikation, von Handy oderLaptop hatten wir gar keine Ahnung.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: War das ein Kindertelefon?)

Wir wussten auch noch nicht, was man alles speichernkann, wie leicht und wie schnell man etwas speichernund wie schnell man Millionen von Daten übertragenkann.

Wir Liberale haben uns von Anfang an dafür einge-setzt, dass Betroffene und Verbraucher bessere Aus-kunfts- und Informationsrechte gegenüber den Aus-kunfteien erhalten. Der ursprünglich vorgelegteGesetzentwurf war ein erster Schritt in die richtige Rich-tung. Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist – sicherlichauch durch den öffentlichen Druck und durch die ganzenSkandale –, noch erhebliche Verbesserungen vorzuneh-men. Das muss man konzedieren. Der uns heute vorlie-gende Gesetzentwurf ist immer noch nicht gut, aber erist besser als der ursprüngliche Entwurf.

(Beifall bei der FDP)

So ist es nach unserer Auffassung gut, dass die ver-antwortliche Stelle nunmehr verpflichtet sein soll, denBetroffenen auf Verlangen die wesentlichen Gründe füreine Entscheidung des Vertragspartners mitzuteilen. EinFortschritt ist auch, dass künftig die Bedeutung des so-genannten Scorewertes einzelfallbezogen und nachvoll-ziehbar beauskunftet – das heißt wirklich so; es ist einschreckliches Wort – werden muss und insbesondere dasunsägliche Gewichten von Adressdaten nur noch eineuntergeordnete Rolle spielen darf. Es ist doch nicht mitsozialer Politik vereinbar, dass ich eine Leistung oder

eine Ware nicht bekomme oder nicht Vertragspartnerwerden kann, nur weil ich eine falsche Adresse habe.Das war bisher Praxis, und das darf einfach nicht sein.

(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Aber das ist doch nur ein Punkt von vielen!)

– Frau Philipp, Sie haben gleich 15 Minuten Redezeit.Dann können Sie ganz viel erzählen, keine Sorge.

(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Ich will nichts erzählen!)

Einige aus unserer Sicht entscheidende Punkte habenindes leider nicht Einzug in den Gesetzentwurf gehalten.Diese möchte ich kurz darstellen.

Da ist zum einen die fehlende Begrenzung des Sco-rings auf Rechtsgeschäfte mit zumindest weitgehendkreditorischen Risiken. Der Anwendungsbereich desScorings wird auch nach der Verabschiedung der No-velle zu breit gefasst sein. Nach unserer Einschätzungkann das Scoringverfahren jedoch nur dort seine Berech-tigung finden, wo bei dem abfragenden Unternehmenbesondere finanzielle Ausfallrisiken bestehen. Ichmöchte nicht, dass demnächst auch Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer gescort werden.

(Beifall bei der FDP – Silke Stokar vonNeuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Oder alle Mieter!)

Das könnte hier theoretisch der Fall sein. Der Entwurfsetzt der derzeit zu vernehmenden Ausweitung desScoringverfahrens indes nichts entgegen. Das wäre ausunserer Sicht aber dringend notwendig gewesen.

Als Zweites möchte ich eine kritische Bemerkung zuArt und Umfang der Informationspflicht der Auskunf-teien machen. Im Aufriss des Problems im Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10529heißt es, dass Verbraucher aufgrund der intransparentenVerfahrensweisen der Auskunfteien die Entscheidungenihrer potenziellen Geschäftspartner nur schwer oder garnicht nachvollziehen könnten. Dieser zweifelsohne rich-tigen Problemanalyse soll eine Stärkung der Informa-tions- und Auskunftsrechte der Betroffenen entgegen-gesetzt werden. Leider hapert es wie so oft an derUmsetzung dieses Lösungsansatzes.

Warum, frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-gen von der sogenannten Großen Koalition, haben Siesich bis zum Ende der Beratungen gegen die Einführungeiner Pflicht zur Offenlegung der Gewichtung der Datengesperrt? Das an dieser Stelle gegen ein Mehr an Trans-parenz oft ins Feld geführte Argument des Schutzes vonGeschäfts- und Betriebsgeheimnissen kann dabei nichtüberzeugen. Genauso wenig nützt die einseitige Argu-mentation, es könne zu Manipulationsversuchen durchden Bürger kommen. Es wird völlig übersehen, dassTransparenz immer etwas Positives ist. Sie hätten durch-aus auch dem alternativen Vorschlag des Bundesdaten-schutzbeauftragten folgen können, der die Beauskunftungvon persönlichen Daten in absteigender Reihenfolge ih-rer Bedeutung nach vorgeschlagen hat.

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Der Gesetzentwurf kann also leider keine größere Be-geisterung hervorrufen, weder bei uns noch bei den Ver-braucherinnen und Verbrauchern. Noch viel weniger istmit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes derlange Weg zu mehr Datenschutz zu Ende. Insoweit ap-pelliere ich an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen vonCDU/CSU und SPD: Versuchen Sie, eine Einigung auchbei den anderen Gesetzentwürfen zu erzielen! Es ist ander Zeit, dass Sie Ihre Scheingefechte bei der Daten-schutznovelle aufgeben und endlich Politik für die Ver-braucherinnen und Verbraucher machen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Michael Bürsch für die

SPD-Fraktion.

Dr. Michael Bürsch (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal herzlichen Dank an die grüne Fraktionfür die Gelegenheit, über das Thema Datenschutz einmaletwas grundsätzlicher zu reden. Das ist in dem vorlie-genden Antrag angelegt. Eine Debatte über das Grund-recht Datenschutz bietet, wie ich finde, eine gute Gele-genheit, sich – über den heutigen Tag und einige aktuelleAnlässe hinaus – über den Datenschutz im21. Jahrhundert im Allgemeinen ein paar Gedanken zumachen.

Bevor ich dazu komme, möchte ich zwei kleine Vor-bemerkungen machen.

Herr Uhl hat darauf hingewiesen, dass die Daten-schutznovelle noch in Arbeit ist. Wir nehmen unsere Ar-beit so ernst, dass wir auch den heutigen Tag nutzen. Wirstreben an, die sogenannte Datenschutznovelle – zu derdas Thema Einwilligung statt Widerruf und Ähnlichesgehört – in der nächsten Sitzungswoche wieder auf dieTagesordnung zu setzen. Die Kollegin Anette Krammewird zum Arbeitnehmerdatenschutz etwas sagen, derKollege Zöllmer zum Scoring.

(Gisela Piltz [FDP]: Ich will dazu nichts hören, ich will dazu etwas sagen!)

Zur Kollegin Stokar ein etwas ironisches Wort: Da-tenschutz fängt, meine ich, bei den Mitgliedern des Bun-destages an. In diesem Zusammenhang stellt sich dieFrage: Sollte Datenschutz nicht auch die Geheimhaltungbezüglich der Stimmabgabe bei geheimen Abstimmun-gen umfassen?

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Das kann man aufgrund Ihrer Einlassung durchaus über-legen.

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Auch hier reicht ein Blick in dieVerfassung!)

Im Übrigen sind Sie ja seit letztem Sonnabend Hospitan-tin der CDU/CSU-Fraktion. Vielleicht liegt es sogarnahe, Frau Kollegin Stokar, dass Sie sich mit den politi-schen Ansichten der CDU/CSU-Fraktion ein bisschenbefreunden. Dann könnte die nächste Rede, die Sie hal-ten, etwas freundlicher ausfallen.

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Das war ganz billig! Das war ty-pisch sozialdemokratisch!)

Genug der Vorrede.

Zum Datenschutz im 21. Jahrhundert möchte ich einpaar Bemerkungen machen und auch ein paar Grund-sätze nennen, an denen sich das orientieren sollte, wasuns aus meiner Sicht in der nächsten Legislaturperiodebeschäftigen sollte.

Es ist darauf hingewiesen worden, dass das Daten-schutzrecht aus den 70er-Jahren, aus 1978, stammt. Am13. März 1989 – das ist im Grunde der Beginn des neuenZeitalters, der digitalen Revolution – legte der Brite TimBerners-Lee in Genf den Grundstein für das Datennetz.Eigentlich wollte er nur die Zusammenarbeit der For-scher in einem Großforschungsinstitut verbessern, dochheraus kam der sogenannte Hypertext,

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

der Informationen auf eine völlig neue Art miteinandervernetzt. Der erste Browser des Amerikaners Marc An-dreessen öffnete dann die Tür zum Massenmarkt.

Heute nutzen über 1 Milliarde Menschen das Internet.Wofür andere Branchen Jahrzehnte brauchen, vollziehtsich im Internet im Zeitraffer. Umwälzende Technikenwie Breitbandverbindungen oder mobile Geräte wie dasiPhone lassen das Leben im Netz pulsieren. Bald werdenalle Telefongespräche über das Internet geführt; auch dasFernsehen verlagert sich mehr und mehr ins Netz.

Nach den Pionieren sind nun Unternehmen wie Face-book und Twitter die neuen Stars im Web 2.0, das fürviele das wahre Internet darstellt. Nun kommunizierenMillionen Menschen über das Netz miteinander. Dergroße Trend ist zurzeit die Offenheit. Internetunterneh-men öffnen ihre Software, Millionen Entwickler entwi-ckeln Zusatzprogramme usw. Was ist mit dem ursprüng-lichen Erfinder Berners-Lee?

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Was lesen Sie vor? – Silke Stokar vonNeuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dasist ja peinlich! Sagen Sie etwas zu Ihrer Poli-tik!)

Berners-Lee ist heute Sir Berners-Lee; er ist mit vielenOrden dekoriert. Er arbeitet an der dritten Generationdes Netzes, dem sogenannten semantischen Internet.

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Sagen Sie etwas zu Ihrer Politik! –Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Er hat die ganze Zeit vorgelesen!)

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Das zur Beschreibung, wohin sich das Ganze entwickelthat.

Nun sage ich etwas zu dem, was Sie thematisiert ha-ben, nämlich die Frage der Grundrechte beim Daten-schutz und die Frage, was wir, wenn wir das ernst neh-men, berücksichtigen müssen. Ich werde am Ende auchetwas zu Ihrem Vorschlag sagen, ähnlich wie die Kolle-gin Piltz es getan hat.

Worauf kommt es beim Datenschutz im 21. Jahrhun-dert an? Es wird immer wieder gesagt, Datensparsamkeitmüsse das oberste Ziel sein, so stehe es auch im Bundes-datenschutzgesetz. Aber, ich fürchte, das wird jedenfallsauf Dauer ein frommer Wunsch. Mit Datenflut werdenwir leben müssen. Der Technologietrend, den wir schonjetzt beobachten, ist, dass immer mehr Informationenelektronisch gespeichert und ausgetauscht werden. Dasumfasst Zahlen, die wir – wir haben die vier Grundre-chenarten gelernt – überhaupt nicht nachempfinden kön-nen. Im Jahr 2001 wurden 1015 Bytes und im Jahr 2006wurden 1018 Bytes bewegt. Für das Jahr 2010 sagen dieExperten voraus, dass 1021 Bytes bewegt werden.

(Elke Reinke [DIE LINKE]: Spannende Rede!)

Inzwischen sind so viele Menschen online – es kommentäglich neue hinzu –, dass wir uns, wenn wir Daten-schutz ernst nehmen und eine Interessensabwägung vor-nehmen wollen, darauf einstellen müssen.

Wenn wir über Datenschutz im 21. Jahrhundert spre-chen, merken wir, dass es einen eklatanten Widerspruchin der Einstellung der Bürger gibt. Einerseits wünschensich 95 Prozent der Deutschen, dass ihre Daten nur mitihrer Zustimmung wiedergegeben werden dürfen; dasbesagt eine Umfrage von Infratest dimap. Andererseitsgehen sie sehr freigiebig mit ihren Daten um, wenn siezum Beispiel in sozialen Netzwerken wie Facebook oderStudiVZ aktiv sind.

Die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts ist klar.Es heißt in dem Verfassungsgerichtsurteil zur Volkszäh-lung: Der Einzelne muss das Recht haben, selbstbe-stimmt zu entscheiden, wann und innerhalb welcherGrenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart wer-den. – Aber selbst in diesem Verfassungsgerichtsurteil –den Zusatz muss man dazu lesen – heißt es: Das giltnicht uneingeschränkt. – Das heißt, auch das Verfas-sungsgericht hat erkannt, dass das, was in § 1 des Bun-desdatenschutzgesetzes steht, nicht dem entspricht, wasdie Grünen in der Kurzfassung daraus machen, nämlich:Jeder Bürger hat das Recht auf seine Daten, und nie-mand anders soll da reinpfuschen. Das ist so leider nichtdurchzuhalten.

Datenschutz – darauf will ich hinweisen – ist, glaubeich, kein Selbstzweck mehr. Es wird immer eine Interes-sensabwägung geben müssen, so wie wir das jetzt beiden Überlegungen zur Datenschutznovelle machen. Wirmüssen auf der einen Seite das informationelle Selbstbe-stimmungsrecht schützen und den Verbraucherschutz be-rücksichtigen. Auf der anderen Seite gibt es wirtschaftli-che Interessen. Was uns vorgetragen wurde, war zumTeil abenteuerlich. Das haben wir auch so gekennzeich-

net. Ich war überrascht, mit welcher Frechheit zum Teilder Untergang des Abendlandes an die Wand gemaltwurde, der stattfinden würde, wenn wir den Zugang zuDaten nicht zuließen und nicht die Möglichkeit eines un-gehinderten und uneingeschränkten Datenhandelsschafften.

In den 35 oder 40 Gesprächen, die Herr Uhl für dieCDU/CSU und ich für die SPD im letzten halben Jahrgeführt haben, sind allerdings auch sehr vernünftige Vor-schläge gemacht und Geschäftsmodelle vorgestellt wor-den, mit denen man sich wirklich beschäftigen muss:vom ADAC, von der Post und von verschiedenen Zei-tungen.

Wir Abgeordnete sind keine Datenschützer mit Tun-nelblick. Wir sind auch nicht nur Verbraucherschützer.Wir müssen vielmehr eine Gesamtabwägung vorneh-men. Frau Stokar, das war immer mein Selbstverständnisals Abgeordneter.

Allerdings – auch darauf will ich hinweisen – hat diePolitik durchaus eine Gewährleistungsverantwortung.Der Schutz der Daten der Bürger gegen Missbrauch istSache der Politik und Sache des Staates. Hierfür brau-chen wir Schutzmechanismen; das ist mir bei der Be-schäftigung mit diesem Thema im letzten halben Jahrimmer klarer geworden. Wir brauchen Schutzmechanis-men für den Einzelnen, damit er das Selbstbestimmungs-recht besser ausüben kann.

(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Aber nur dann, wenn er das selbst nicht kann!)

Wir sollten auch viel mehr als bisher die Technikender Verschlüsselung berücksichtigen. Die Weitergabevon Daten kann nämlich in vielen Fällen, anders als esbisher der Fall war, in verschlüsselter bzw., wie dieFachleute sagen, in pseudonymisierter Form durchge-führt werden. All die Fluggastdaten, die von uns Euro-päern an die Amerikaner in offener Form weitergegebenwerden – einzelne Passagierdaten werden in genau derForm weitergegeben, in der sie aufgenommen wordensind –, könnte man verschlüsselt weitergeben, sodass dieSicherheit trotz Datenweitergabe gewährleistet ist unddie Möglichkeit besteht, potenzielle Straftäter und Terro-risten zu entdecken. Die Möglichkeiten, die es in diesemBereich gibt, werden aber noch nicht ausgeschöpft. Ichwerbe dafür, diese Möglichkeiten, die technisch immerweiter entwickelt werden, ins Visier zu nehmen. Da-durch können den Bürgern nämlich technische Möglich-keiten an die Hand gegeben werden, die missbräuchlicheNutzung von Daten selbst zu verhindern.

Mein Fazit: Die klassischen Methoden des Daten-schutzes wie Datensparsamkeit, Löschung und Nichter-hebung im Falle sensibler Daten werden sicherlich nachwie vor ihre Berechtigung behalten. In unserer immerstärker vernetzten Welt reichen sie aber weder aus, nochsind sie die Lösung des Problems; das habe ich versuchtdarzustellen.

Die Ergebnisse von Untersuchungen zu Datenverlus-ten und Datenmissbrauch – zu solchen Vorfällen ist esim letzten Jahr einige Male gekommen – belegen, dassbis zu 80 Prozent der Verletzungen des Datenschutzes

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nicht durch externe Hacker, sondern durch das eigenePersonal, durch Vertragspartner der Verwaltung und an-dere Unternehmen begangen werden. Sowohl im Rah-men der prozessübergreifenden als auch im Rahmen derinternationalen Vernetzung müssen insofern neue orga-nisationsumfassende Datenschutzmethoden, -prozesseund -technologien eingesetzt werden.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sie sagen immer nur, dass das allesganz schwierig ist! Was schlagen Sie dennvor?)

Frau Stokar, das hat auch mit dem Thema des Antragsder Grünen, der Forderung nach einem Grundrecht aufDatenschutz, zu tun.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Noch einmal: Was schlagen Sie vor?)

Was bedeutet das im Hinblick auf die zukünftige Ge-staltung des Datenschutzes in einem umfassenden Sinne,die übrigens auch der Bundesrat in seiner Stellungnahmegefordert hat? Ich bin der Meinung, dass wir den Daten-schutz in dem geschilderten umfassenden Sinne nicht,wie es im Datenschutzrecht gegenwärtig der Fall ist, al-lein vom Staat her, aber auch nicht allein von der Wirt-schaft her definieren dürfen, sondern dass wir den Da-tenschutz vom Bürger her definieren sollten. Das istSache des Parlaments und, wie ich meine, auch Sacheder Sozialdemokratie.

Auf die Frage, wie sich das Datenschutzrecht auchmit Blick auf den Grundrechteschutz in den nächstenfünf bis zehn Jahren entwickeln sollte, würde ich fünfPrinzipien nennen, die auch als Antwort auf die techno-logische Entwicklung verstanden werden können.

Das erste Prinzip lautet Transparenz. Das heißt, dieBürger müssen jederzeit erkennen können, wer wannund aus welchem Grund auf ihre personenbezogenenDaten zugegriffen hat.

Das zweite Prinzip lautet Beteiligung. Das heißt, dieBürgerinnen und Bürger haben umfassende und gesi-cherte Rechte, über die Nutzung ihrer Daten mitzube-stimmen, und sie wissen auch, was sie damit tatsächlichtun. Wenn man sich vor Augen hält, welch eine Füllevon Daten in sozialen Netzwerken heutzutage preisgege-ben werden, muss man feststellen: Dies ist offensichtlicheine Frage der Aufklärung.

Das dritte Prinzip hat mit der informationellen Selbst-bestimmung zu tun, allerdings in einer etwas anderenForm als in der, in der sie bis jetzt betrachtet wird. Esgeht um informationelle Selbstbestimmung als Selbstda-tenschutz.

Es gibt ein sehr interessantes Projekt der EU, das sichPRIME nennt. Mit diesem Projekt wird das Ziel verfolgt,die Bürger zu ermächtigen, private Daten selber effektivzu verwalten und zu schützen. Im Moment wird einFeldversuch hinsichtlich des zukünftigen, vielleicht ineinigen Jahren zu verwendenden, Personalausweises un-ternommen. Die Bürger werden also in die Lage ver-setzt, selber darüber zu entscheiden, welche Daten oderTeildaten bzw. Eigenschaften beim Datenverkehr preis-

gegeben werden. Den Daten, die mit ihrer Person zusam-menhängen, wird als Schutzvorrichtung praktisch etwasangehängt, das mit diesen Daten, wo immer sie auf-treten, verbunden ist. Jemand Unbefugtes kann dieseSchutzvorrichtung nicht einfach beseitigen. Insofern istder Selbstdatenschutz die Antwort auf die Herausforde-rungen und die technologischen Entwicklungen des21. Jahrhunderts.

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Jetzt habe ich verstanden, dass Sienichts tun!)

Das vierte Prinzip ist, dass wir aus meiner Sicht einenintelligenten Mix brauchen. Wir müssen den Daten-schutz so ernst nehmen, dass sich diesem Thema hiernicht nur 20 oder 25 Kollegen mit voller Leidenschaftund großer Zuneigung widmen, sondern dass von denüber 600 Abgeordneten irgendwann vielleicht einmal dieHälfte das Thema so ernst nimmt, wie es das verdient.Aus den geschilderten Gründen brauchen wir einerseitseine technologische Entwicklung, die wir unterstützen,indem wir die Möglichkeiten des Selbstdatenschutzesentsprechend fördern, andererseits müssen wir die recht-lichen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass mandiesen Selbstdatenschutz betreibt.

Das fünfte Prinzip, das ich nennen will, hat mit etwaszu tun, was ich an anderer Stelle einen neuen Gesell-schaftsvertrag genannt habe. Ich meine, in der Zeit, inder wir uns im Moment befinden, stehen wir vor enor-men Herausforderungen. Das ist nicht nur die Wirt-schafts- und Finanzkrise, sondern das sind auch die The-men Bildung, demografische Entwicklung, Gesundheitund Integration. Sie können viele Themen nennen, beidenen der Staat allein die Probleme nicht lösen kann undbei denen wir in intelligenter Weise eine Mitwirkung– keine Übernahme – der Wirtschaft und auch eine ziel-gerichtete Mitwirkung der Zivilgesellschaft brauchen.Wie gesagt: Sie sollen keine Lückenbüßer für den Staatsein; das muss vielmehr ein intelligenter Mix aus dendrei Akteuren werden.

Genau das stelle ich mir auch für den Datenschutzvor. Wir müssen sagen: Der Datenschutz mit all den Ele-menten, die ich genannt habe, ist in Zukunft nicht etwas,das allein der Staat sicherstellen kann. Hinsichtlich dertechnologischen Entwicklung brauchen wir auch dieWirtschaft und die Zivilgesellschaft.

Zu dem Vorschlag der Grünen sage ich: Ich kannmich mit dem Gedanken anfreunden; aber ich habe dieEntwicklung im 21. Jahrhundert deshalb so deutlich vor-getragen, um klarzumachen, dass wir, wenn es einGrundrecht auf Datenschutz in der Verfassung gebensoll, dabei aus meiner Sicht eben auch die technologi-sche Entwicklung und die dazugehörigen rechtlichenRahmenbedingungen im Auge haben müssen. Unter die-sem Gesichtspunkt kann ich mich mit dem Vorschlag an-freunden.

Ein bekannter Journalist – der berühmte HeribertPrantl – hat vor einiger Zeit einmal geschrieben, dass derDatenschutz über 20 Jahre lang beschimpft und verächt-lich gemacht wurde. Er sagt:

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Dr. Michael Bürsch

Vor allem aber ist die Aktivierung des Gesetzgebersnotwendig: Datenschutz ist der Schutz der Men-schen in der digitalen Welt. Er ist das zentraleGrundrecht, das Ur-Grundrecht der Informationsge-sellschaft. Er schützt nicht abstrakte Daten, sondernkonkrete Bürger.

Dem schließe ich mich vollinhaltlich an.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP – Dr. MaxStadler [FDP]: Gute Rede zu einem schlechtenGesetzentwurf!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Jan Korte für die Fraktion

Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Jan Korte (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: Auch wir an-erkennen erst einmal, dass es wirklich gut ist, eine ge-setzliche Grundlage für das Scoring zu haben. Das mussman hier einfach einmal sagen, wenn man differenziertPolitik betreibt.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh!)

Wir kritisieren aber zum einen, dass es keine Be-schränkung auf rein kreditrelevante Vorgänge gibt. Zumanderen kritisieren wir – das ist in der Tat ein Problem –,dass das Geoscoring zwar beschränkt – das ist richtig –,aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird. Grund-sätzlich muss ausgeschlossen sein, dass zum Beispiel derWohnort in einem sozialen Brennpunkt darüber ent-scheidet, dass man nicht kreditwürdig ist. Das ist in die-sem Gesetzentwurf leider nicht vorgesehen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. SilkeStokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN])

Es ist eine gute Debatte heute, in der wir dies themati-sieren. Der Datenschutz als Grundrecht ist von einemRandthema nun wirklich zu einem massenkompatiblenThema geworden. Er bewegt immer mehr Menschen.Besonders erfreulich ist, dass sich immer mehr Men-schen organisieren und dagegen protestieren, wie mitdem Datenschutz umgegangen wird.

Auf den Antrag der Grünen, den Datenschutz insGrundgesetz aufzunehmen, werde ich später eingehen.Ich glaube, dass eine solche Frage eher am Ende einerDebatte behandelt werden muss. Das gilt vor allem vordem Hintergrund der ganzen Datenschutzskandale derletzten Zeit. Vieles ist auch schon gesagt worden.

Festzustellen ist, dass insbesondere die großen Unter-nehmen in diesem Land Datenschutzskandale von derAusnahme zur Regel gemacht haben. Ein genauererBlick zeigt, dass das System hat. Es hat System, um dieabhängig Beschäftigten an die Kandare zu nehmen. Ichwill vier Beispiele nennen:

Erstens Lidl. Man muss sich klarmachen, was dort ge-schehen ist. Dort wurde mit Videokameras allen Ernstesbis in die Umkleidekabinen von Mitarbeiterinnen undMitarbeitern hineingefilmt und alles minutiös dokumen-tiert.

Zweitens die Telekom. Das ist sozusagen der Dauer-brenner. Bei allen Sauereien, die man sich im Daten-schutz vorstellen kann, liegt die Telekom gefolgt von derDeutschen Bahn ganz weit vorne. Weil ich nicht allesaufzählen kann, was dort passiert ist, will ich nur einBeispiel nennen: Sie haben auf einmal 17 Millionen Da-ten verloren. 17 Millionen Daten verschwinden einfach.Es ist nicht ganz normal, was dort läuft.

Drittes Beispiel ist die Deutsche Bahn. 170 000 unddamit alle Mitarbeiter

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 174 000!)

werden durch eine private Firma ausgespitzelt, die inkeiner Weise kontrollierbar ist. Der Hammer bei demGanzen ist, dass die Konzernführung während einesStreiks angeordnet hat, die E-Mails der GDL-Gewerk-schafter zu überwachen. Man muss sich einmal vorstel-len, was das für Zustände sind.

Viertens will ich einige weitere Beispiele nennen, dieheute schon angesprochen wurden. Dazu gehören Daim-ler, Airbus, die Drogeriekette Müller und viele andere.Das Ganze hat System, wie man sieht. Es sind keineAusnahmen.

Deswegen haben sich alle Fraktionen im Bundestag– ich bin erst seit dieser Legislaturperiode im Bundestag,weiß aber, dass das selten vorkommt – auf eine gemein-same Beschlussempfehlung für den Arbeitnehmerda-tenschutz verständigt. Das Grundproblem in diesemHause besteht offensichtlich darin, dass die Bundes-regierung trotz der gemeinsamen Beschlussempfehlungnicht handelt. Das muss man sich einmal vorstellen: Vonden Linken bis zur CDU/CSU waren sich alle einig. Ge-schehen ist aber nichts. Das ist kein angemessener Um-gang mit diesem wichtigen Thema.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen fordern wir, dass noch in dieser Legislatur-periode etwas zu diesem Thema vorgelegt wird.

Denn eines muss klar sein – das muss der DeutscheBundestag deutlich machen, und der Gesetzgeber musses umsetzen –: Der Datenschutz, die Menschenwürdeund die Grundrechte enden nicht am Werkstor und erstrecht nicht in den Umkleidekabinen der Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter in den Supermärkten. Das muss deutlichgemacht werden. Es darf nicht gepennt werden, sondernman muss handeln. Das müsste heute auf der Tagesord-nung stehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will auch begründen, warum ich gerade den Ar-beitnehmerdatenschutz für wichtig halte. Wir reden inder Krise über alles Mögliche. Entscheidend ist aber,dass der Arbeitnehmerdatenschutz Bestandteil der Mit-bestimmung in den Betrieben und Teil einer grundsätzli-

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Jan Korte

chen Demokratisierung unserer Wirtschaft ist, für die eshöchste Eisenbahn ist. Das ist eine grundsätzliche demo-kratische Frage.

Nun will ich einige Anmerkungen zum Staat machen.Einiges ist bereits angesprochen worden wie die Vorrats-datenspeicherung, Onlinedurchsuchungen, immer neueDateien, Fluggastdatenabkommen mit den USA usw.usf. Selbst eine so üppige Redezeit wie heute reichtnicht, um das alles aufzuführen.

Ich glaube, dass der Datenschutz in den letzten vierJahren eine verheerende Niederlage nach der andereneinkassiert hat, obwohl sich immer mehr Menschen ge-gen Missbrauch wehren. Eines ist von zentraler Bedeu-tung: Die ersten Opfer eines nicht vorhandenen Daten-schutzes sind die sozial Schwachen in diesem Land,nämlich die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger,die sich vor den Argen nackig machen müssen, und dieMigrantinnen und Migranten. Das müssen wir viel stär-ker in den Fokus der Politik rücken.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielleicht kann ich – denn darauf ist der Antragdurchaus angelegt – noch einige grundsätzliche Über-legungen zum Datenschutz anschließen.

Erstens. Wenn das Verhalten der Bürgerinnen undBürger immer lückenloser überwacht und registriertwird, dann stirbt das spontane Handeln. Die praktischeFolge davon ist, dass immer mehr Menschen anfangen,sich so zu verhalten, wie sie glauben, dass es von ihnenerwartet wird. Ich glaube, das ist schlecht für die Demo-kratie. Denn abweichendes Verhalten, Dissidenten undAnderssein sind Triebkraft einer gesunden Demokratie.

Zweitens. Ich glaube, dass ohne Datenschutz Men-schen schleichend – nicht über Nacht – ihre Grundrechtenicht mehr so stark wahrnehmen werden wie bisher.Man stellt sich zum Beispiel die Frage, ob es einemschadet, wenn man in einem Betriebsrat mitarbeitet. Waswird dann gespeichert? Wird etwa eine Gewerkschafts-mitgliedschaft an US-Stellen übermittelt? Das Themastand gestern zu späterer Stunde auf der Tagesordnung;die Reden wurden zu Protokoll gegeben.

Drittens. Datenschutz heißt übersetzt: Schutz meinerganz persönlichen Privatsphäre. Übersetzt bedeutet dasden Schutz der eigenen Lebensplanung und Lebensfüh-rung sowie die Möglichkeit, sein Leben anders zu gestal-ten, als es die Normen vielleicht vorgeben. Zusammen-gefasst bedeutet Datenschutz dementsprechend dieUnterstützung und Ermöglichung des aufrechten undselbstbewussten Gangs in einer Gesellschaft. Deswegenist diese Debatte richtig.

Der Soziologe Wolfgang Sofsky hat etwas ganz Klu-ges geschrieben. Er hat den Datenschutz analysiert undgesagt, dass er so wichtig ist, weil „Menschen nur in ei-nem garantierten Schutzraum ihre intimen Verhältnisseso gestalten, wie sie es wollen, ohne Einmischung durchSittenwächter, ohne den wachsamen Blick der Nachbarnoder einer Behörde“. Das ist der Kern, um den es beim

Datenschutz geht. Aber der Datenschutz wird in diesemLand mit Füßen getreten. Hier brauchen wir eine Um-kehr. Deswegen ist die heutige Debatte wichtig.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Der Kollege Uhl und der Kollege Bürsch haben zuRecht darauf hingewiesen, dass die Bürger darüber nach-denken müssen, was sie selber im privaten Bereich tunkönnen, um sich vor Datenmissbrauch zu schützen, undwelche Daten sie zum Beispiel in StudiVZ und Face-book preisgeben wollen. Darüber gibt es auch in meinemFreundeskreis heftige Debatten. Ich finde, dass man dortbedeutend vorsichtiger sein sollte und darüber nachden-ken muss, was man von sich preisgibt. Es gibt aber einenUnterschied zu dem, was die Bundesregierung und ins-besondere Herr Schäuble machen: Man kann zum Bei-spiel bei Facebook selber entscheiden, was man von sichpreisgeben will und was nicht.

Vierte Anmerkung. Zum Antrag der Grünen auf Auf-nahme des Datenschutzes in das Grundgesetz: Es ist gut,dass wir heute darüber diskutieren. Gleichwohl finde ichdie Politik, die darauf abzielt, ständig irgendetwas in dasGrundgesetz neu aufzunehmen, fragwürdig. In meinerFraktion gibt es unterschiedliche Meinungen dazu. Des-wegen mache ich heute zum ersten Mal eine So-wohl-als-auch-Aussage. Es spricht einiges dafür. Ande-res wiederum kann man kritisch sehen. Es ist aber gut,dass darüber heute umfangreich diskutiert wird.

Ich fasse zusammen: Wir brauchen ein Arbeitnehmer-datenschutzgesetz und müssen der DatensammelwutEinhalt gebieten. Danach kann man sich darüber Gedan-ken machen, ob der Datenschutz in das Grundgesetz auf-genommen werden soll. Man muss sich aber noch überetwas anderes im Klaren sein – das kommt im Antragder Grünen zu kurz –: Analog zum Abriss des Sozial-staates in diesem Land ist die Datensammelwut exorbi-tant gewachsen. Wir möchten, dass der Bedeutung die-ses Zusammenhangs in der Debatte mehr Beachtunggeschenkt wird.

Letzte Anmerkung. Es ist richtig beschrieben, dassder Datenschutz ein Abwehrrecht gegenüber dem Staatund unkontrollierter Wirtschaftsmacht darstellt. Ichmöchte aber noch ein Stück weitergehen und sage, dassder Datenschutz ein offensives Bürgerrecht ist, das zurGestaltung in der sogenannten Informationsgesellschaftgenutzt werden kann und immer wieder sozusagen nachvorne verteidigt werden sollte. Ich glaube, dieses offen-sive Bürgerrecht sollte viel offensiver verteidigt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Schauen wir uns § 3 a des Bundesdatenschutzgeset-zes an, der das Gebot der Datenvermeidung und der Da-tensparsamkeit zum Inhalt hat. Die Realität ist leidervöllig anders. Das ist die Bilanz der Großen Koalitiongenauso wie der rot-grünen Vorgängerregierung. Wirbrauchen eine grundlegende Umkehr. Darüber, ob derDatenschutz in das Grundgesetz aufgenommen werdensoll, kann man trefflich streiten. Wichtig ist das reale Er-

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Jan Korte

kämpfen von neuen Datenschutzstandards in diesemLand, und zwar hier und auf der Straße.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Anette Kramme für die

SPD-Fraktion.

Anette Kramme (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren von den Grünen,Sie fordern eine Änderung des Grundgesetzes. Siemöchten ein Grundrecht auf Datenschutz in das Grund-gesetz aufnehmen. Das ist mit Sicherheit ein sehr beden-kenswerter Antrag, obwohl das Bundesverfassungsge-richt schon vor Jahren das Recht auf informationelleSelbstbestimmung festgelegt hat, hergeleitet aus demPersönlichkeitsrecht. Trotzdem ist es legitim, zwischeneiner Überfrachtung des Grundgesetzes einerseits undneuen Schutzrechten, die möglicherweise aus demGrundgesetz hervorgehen, und einer Bewusstseinsbil-dung im Zusammenhang mit dem Datenschutz anderer-seits abzuwägen.

Dringender als die Verankerung des Datenschutz-rechts im Grundgesetz ist jedoch eine gesetzliche Rege-lung des Arbeitnehmerdatenschutzes; darüber werdenwir mit Sicherheit nicht streiten. Wir haben in den letz-ten Wochen und Monaten, im letzten Jahr eine Vielzahlvon Skandalen erlebt, die ihrer Art nach einzigartig wa-ren. Es ist etwas eingetreten, womit keiner von uns ge-rechnet hätte; wir hätten nie mit diesem Ausmaß und niemit dieser Eingriffsintensität gerechnet.

Lidl überwachte per Videokamera die Umkleideka-binen; Lidl hat in über 500 Filialen Privatdetektive ein-gesetzt, die die intimsten Details aus dem Leben derMitarbeiter aufzeichneten. Es ging um Liebeskummer,Scheidungen, Alkoholprobleme, sonstige Krankheiten,arbeitslose Verwandte, Schweißprobleme. Ein großerSchlachtbetrieb schaute sogar auf die Toiletten. BurgerKing filmte heimlich Betriebsratssitzungen. DieDeutsche Bahn jongliert mit den Personaldaten vonHunderttausenden von Mitarbeitern. Eine Baumarktketteverlangt in ihren Arbeitsverträgen, dass die Mitarbeiterdie Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht befreien.Täglich werden neue Skandale aufgedeckt. Der Bundes-beauftragte für den Datenschutz Schaar sagt – die Ein-schätzung ist sicher berechtigt –, dass das nur die Spitzedes Eisberges ist. Sie alle kennen die Fiktion von GeorgeOrwell „Big Brother is watching You“. Manchmal denktman in der aktuellen Situation, dass wir zwar nicht dieSituation „Big Brother is watching You“ haben, aber dieSituation „Big Boss is watching You“.

Was wir dringend brauchen, ist also eine Reform desArbeitnehmerdatenschutzes. Die Rechtsgrundlagen fürden Arbeitnehmerdatenschutz sind nicht ausreichend:a) Es gibt keine einheitliche Rechtsgrundlage – Regelun-gen finden sich in mehreren Gesetzen –; b) die vorhan-denen Rechtsgrundlagen sind lückenhaft. Häufig ist ein

Rückgriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht erfor-derlich. c) Die Rechtsprechung ist unübersichtlich undvor allen Dingen nicht einheitlich. d) Ich denke, dasRechtsstaatsprinzip gebietet auch, dass essenzielleDinge in einem Gesetz für Arbeitnehmer und Arbeitneh-merinnen nachlesbar sind.

(Dr. Max Stadler [FDP]: Das müsste bloß ge-macht werden!)

– Wir sind dabei.

Wichtig ist, bei der Gesetzgebung zu berücksichtigen,dass eine Einwilligung keine geeignete Grundlage fürEingriffe in das Arbeitnehmerdatenschutzgesetz seinkann. Ich will das an einem einfachen Beispiel zeigen,nämlich am Beispiel der Einstellungsuntersuchung. Wirwissen, dass laut Verdi bei über 50 Prozent aller Einstel-lungen Einstellungsuntersuchungen durchgeführt wer-den. Wird solch eine Einstellungsuntersuchung abge-lehnt, dann ist der Arbeitsplatz mit Sicherheit futsch.

Wir werden noch in dieser Legislaturperiode ein Ar-beitnehmerdatenschutzgesetz vorlegen. Es sind aller-dings schwierige Abwägungen zu treffen. Natürlich hatein Arbeitgeber Interesse an Informationen über Mitar-beiter, deren Leistungsfähigkeit und deren Qualifikation.Natürlich will ein Arbeitgeber auch sein Eigentumschützen und Dritte vor Schäden bewahren, wenn vonseinem Betrieb Gefahren ausgehen. Andererseits ist esdas legitime Recht von Arbeitnehmern, die Totalüberwa-chung am Arbeitsplatz auszuschließen, weil das Arbei-ten im Betrieb sonst unerträglich ist. In einer sozial ver-antwortlichen Gesellschaft muss auch derjenigeArbeitnehmer eine Chance haben, der weniger leistungs-fähig ist. Auch dieser Arbeitnehmer hat einen Anspruchauf einen Arbeitsplatz. Letztlich geht es ganz viel umWürde.

(Gisela Piltz [FDP]: Was machen Sie denn?Die Probleme kennen wir! Was wollen Sie ei-gentlich regeln?)

Daraus ergeben sich viele Fragen. Wie viele medizini-sche Untersuchungen brauchen wir? Obwohl Untersu-chungen nur in wenigen Fällen gesetzlich vorgeschrie-ben sind, finden in der Realität sehr viele medizinischeUntersuchungen statt. Dabei ist der Arbeitgeber durchdie Probezeit, durch die Regelungen zur personenbe-dingten Kündigung und letztlich auch durch das Kran-kengeld geschützt. Wie soll man mit psychologischenEinstellungstests umgehen? Hat der Arbeitgeber wirk-lich ein Recht darauf, etwas über Wesensmerkmale einesArbeitnehmers zu erfahren? Wann dürfen Telefonate vonArbeitnehmern aufgezeichnet werden? Rechtfertigt dieLeistungskontrolle wirklich derart tiefe Eingriffe in dieRechte der Arbeitnehmer? Jeder von Ihnen hier imHause nutzt wahrscheinlich regelmäßig die Lufthansa.Sie alle kennen die Ansage auf dem Anrufbeantworter:Zu Zwecken der Qualitätskontrolle hören wir regelmä-ßig bei Gesprächen mit. Ist Videoüberwachung auch inPausenräumen und Umkleidekabinen, zum Beispiel we-gen schwerwiegender Sicherheitsbedenken, zulässig?Dieser Fragenkatalog kann unendlich verlängert werden.

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Anette Kramme

Ich habe mir die Entwürfe, die hier von den verschie-denen Fraktionen als Eckpunktepapiere vorgelegt wor-den sind, gründlich angeschaut.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Das hoffen wir doch!)

Viele Aspekte sind darin unklar geblieben. Ich denke,wir brauchen ein wenig mehr Abwägung. Wir werden je-doch noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzent-wurf vorlegen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ach! – Gisela Piltz [FDP]: Da ist ja wirklich zügig!)

Hans-Günther Sohl, der Ehrenpräsident des BDI, hatgesagt: Was wir brauchen, ist Mut zum Vertrauen. Des-halb, liebe Arbeitgeber, liebe Arbeitgeberinnen, ver-trauen Sie Ihren Mitarbeitern, statt sie auf Schritt undTritt zu überwachen!

In diesem Sinne: Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Lei-der wissen wir immer noch nicht, was die SPDwill!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Beatrix Philipp für die

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Beatrix Philipp (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau

Kramme, die Beschreibung der Probleme, die gelöstwerden müssen, ist korrekt gewesen. Das müssten Siejetzt nur noch Herrn Scholz sagen.

(Anette Kramme [SPD]: Scholz hat das längstgeklärt! Vielleicht haben Sie es nicht regis-triert!)

Wir agieren seit elf Jahren in diesem Sinne. Ich bitte umNachsicht; ich gebe Ihnen ja nur einen guten Rat. In derEntschließung, die wir gemeinsam verabschiedet haben– ich bin schon ein bisschen länger als Sie dabei –, istder Wunsch nach Vorlage eines Arbeitnehmerdaten-schutzgesetzes immer enthalten gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Silke Stokar vonNeuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Siehaben sich diesem Thema bisher immer ver-weigert!)

Ich werde darauf gleich noch einmal zu sprechen kom-men. Frau Stokar hat ihre besonderen Erfahrungen mitAnliegen, die in einer Koalition nicht durchgesetzt wer-den können.

Herr Bürsch, ich kann es mir nicht verkneifen, etwaszu Ihrem Einstieg in Ihre Rede zu sagen. Sie haben ge-sagt – darüber müsste man vielleicht noch einmal reden –,der Datenschutz beginne bei den Abgeordneten. Sie ha-ben sich dann darauf bezogen, dass jemand darüber ge-sprochen hat, wie er gedacht bzw. abgestimmt hat.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ja, das ist auch Schutz von Daten!)

Jetzt muss ich Ihnen einmal ganz ehrlich sagen: Die Zei-ten, in denen man nicht sagen konnte oder durfte, wasman dachte oder wie man abgestimmt hat, sind vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. MichaelBürsch [SPD]: Das ist eine geheime Abstim-mung, Frau Kollegin!)

Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, was ich denkeund wie ich abgestimmt habe.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wieso ist es denn eine geheime Abstimmung?)

– Herr Bürsch, manchmal braucht man dazu Bekenner-mut; das gebe ich zu. Datenschutz wäre da allerdingsvöllig fehl am Platz; aber das mag meine persönlicheMeinung sein.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Denken Sie mal darüber nach!)

Herr Bürsch, natürlich brauchen wir mehr Schutzme-chanismen – das ist unbestritten –; aber wir müssen dieMenschen nur dann schützen, wenn sie es selbst nichtkönnen.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wir brauchen technische Vorrichtungen!)

Das ist etwas, was meine Fraktion und mich von derSPD immer erheblich unterschieden hat: Wir haben niebehauptet, wir wüssten, wie die Menschen glücklichwerden. Deswegen haben wir immer gesagt: Es gibt denmündigen Bürger. Da ist noch ein erheblicher Nachhol-bedarf. Aber das, was dazu geführt hat, dass wir heuteeben nicht über den gesamten Bereich Datenschutz spre-chen können – Sie wissen ja, worüber wir im Augen-blick reden –, hat auch etwas mit dem jeweiligen Men-schenbild zu tun. Da, wo jemand selbst initiativ werdenkann und wo es zumutbar ist, da sollte er es auch tun; wirsollten es ihm nicht abnehmen. Frau Piltz, in diesemPunkt sind wir uns völlig einig.

Ich finde es schon bemerkenswert – das hat vielleichtmit dem Ende der Legislaturperiode zu tun –, dass meineFraktion von Ihnen im Hinblick auf unsere Haltung zumDatenschutz gelobt wird. Auch wenn ich weiß, dass un-sere Haltung Ihnen eigentlich noch nicht weit genuggeht, sage ich für Ihr Lob ausdrücklich: HerzlichenDank!

Wie gesagt, hätten wir heute gern über den gesamtenBereich Datenschutz gesprochen. Dass wir das nunnicht tun, hat im Übrigen auch dazu geführt – das sageich für die Unkundigen –, dass den Rednern relativ vielRedezeit zur Verfügung steht. Wir haben bis zum letz-ten Augenblick gedacht: Wir sprechen über Daten-schutz insgesamt und auch über die Novelle zum Bun-desdatenschutzgesetz.

(Gisela Piltz [FDP]: Ach so!)

– Frau Piltz, Sie wussten Bescheid, weil Sie Mitglied desInnenausschusses sind; aber den anderen ist es vielleichtnicht so ganz klar gewesen.

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Beatrix Philipp

Dass wir die Hoffnung auf eine gemeinsame Lösungimmer noch nicht aufgegeben haben, das hat auch HerrDr. Uhl gesagt. Vielleicht wirkt hier der Heilige Geistam Wochenende ein bisschen.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Pfingsten, genau!)

Also, ich glaube an eine gemeinsame Lösung. Das unter-scheidet mich wesentlich von manchem in der SPD.

(Gisela Piltz [FDP]: Auf diesen Fels möchte ich den Datenschutz nicht bauen!)

Wenn wir eine gemeinsame Lösung hätten, dann hät-ten wir den Menschen im Land wieder einmal an einemsehr schwierigen Beispiel zeigen können, dass es in derGroßen Koalition – über Fraktionsgrenzen hinweg –nicht um Verlierer oder Sieger geht, sondern um einengemeinsamen, schwer erarbeiteten Erfolg.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: So ist es!)

Ein solcher Erfolg hätte uns gut angestanden. Wie ge-sagt, wir sind noch auf der Suche. Ich wiederhole: Wirhätten einen solchen Erfolg gern vorgewiesen – HerrBürsch, das wissen auch Sie –; aber irgendjemand hatauf der Zielgeraden noch einmal Sand ins Getriebe ge-streut und neue Bedingungen aufgestellt. Deswegen wardas nicht möglich.

Ich will die Debatte über die Novelle nicht vorweg-nehmen – wie Frau Stokar das getan hat –, muss aber sa-gen: Sie hat die Situation fast richtig beschrieben. FrauStokar, in meiner Fraktion wird nicht nur genickt, wennetwas aus dem Kabinett herüberkommt, sondern es wirdheftig diskutiert und um Mehrheiten gerungen. Das isthier explizit der Fall gewesen und ist es eigentlich auchnoch.

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Wenn es dann besser wird, ist esgut!)

Dass die Erfahrungen der Grünen mit Ministern inKoalitionsregierungen offensichtlich völlig andere sind,

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Wir haben unsere Minister ver-bessert und nicht verwässert!)

könnte der Grund dafür sein, dass Herr Scholz und vorihm Herr Müntefering beim Arbeitnehmerdatenschutznicht zu Potte gekommen sind.

Bei dieser Ausgangslage ist das vorliegende Ergebniszu Scoring und Auskunfteien umso erfreulicher. Wirsollten nicht kleinreden, was gelungen ist. Was heutevorliegt, ist das Ergebnis von mehr als einem Jahr kon-sequent geführter Verhandlungen in der Koalition. Siewissen, dass die Missbrauchsfälle der vergangenen Jahre– Herr Korte hat noch einmal darauf hingewiesen – aus-schlaggebend dafür gewesen sind, dass man sich diesemBereich mit besonderer Intensität gewidmet hat.

Frau Stokar, es stand nicht im Koalitionsvertrag; dasist schon wahr. Aber auch darüber, ob man sehr viel odersehr wenig in einen Koalitionsvertrag hineinschreibensollte, haben wir schon gesprochen. Dazu gibt es zweiunterschiedliche Auffassungen. Wenn man möglichst

wenig hineinschreibt, ist der Bereich, in dem man sichnoch bewegen kann, größer, als wenn man sehr viel hi-neinschreibt und am Schluss vielleicht feststellen muss,was man alles nicht geschafft hat.

Der vorliegende Gesetzentwurf hat inhaltlich im We-sentlichen zwei Schwerpunkte: Transparenz für die Ver-braucher und Rechtssicherheit für die Unternehmen.Dass man diese Aspekte in ein ausgewogenes Verhältnisbringen will, macht die Sache besonders schwierig.

Der zweifellos vermehrte Einsatz von Scoringverfah-ren hat nicht zuletzt mit Veränderungen im Verbraucher-verhalten zu tun. Zu konstatieren sind technologischeEntwicklungen und die damit verbundene zunehmendeAnonymität bei Vertragsabschlüssen. Der gesamte bar-geldlose Handel über das Internet ist nur ein Beispiel da-für. Es galt also, Transparenz und Rechtssicherheit, dieseunterschiedlichen Interessen der Vertragspartner, in einausgewogenes Verhältnis zu bringen. Ich meine, das istuns gelungen.

Grundlage beim Scoring sind – das sage ich noch ein-mal für diejenigen, die sich in dieser Materie nicht soauskennen – Daten der zu bewertenden Person, die beimjeweiligen Unternehmen aufgrund bereits bestehenderVertragsbeziehungen vorliegen. Gibt es noch keine Ver-tragsbeziehung und kann man die Bonität des potenziel-len neuen Kunden noch nicht einschätzen, dann werdenentsprechende Daten in Form von Scores hinzuerwor-ben.

In den Scoringwert gehen viele Variablen ein. Deswe-gen ist der Hinweis darauf, dass Wohnortdaten bei derBeurteilung der Bonität eines Kunden nicht ausschlagge-bend sein dürfen, zu relativieren. Wenn dieses Merkmalein kleines Merkmal unter 150 oder mehr kleinen Merk-malen ist, sollte das zulässig sein. Das haben uns dieAuskunfteien – bis auf eine – sehr ans Herz gelegt.

(Dr. Max Stadler [FDP]: Es war die größte!)

Wir waren der Meinung, dass man lieber den vielen fol-gen soll als der einen, die sagt: Wir brauchen dieses Da-tum nicht.

(Gisela Piltz [FDP]: Das ist die Arbeit von Lobbyisten!)

Der Scoringwert ist aufgrund der vielen Variablen, diein ihn einfließen, nicht gleichbleibend; er variiert mit je-dem Vertragsabschluss und mit jeder Veränderung, diebekannt wird.

Das Verfahren ist auch nicht neu, sondern ein imWirtschaftsleben seit Jahrzehnten verbreitetes, aner-kanntes Verfahren zur Einschätzung zum Beispiel derBonität eines potenziellen Vertragspartners. Es geht umdie Berechnung der Wahrscheinlichkeit dafür, dass dieVertragsbedingungen erfüllt werden. Es ist also ein In-strument der Risikominimierung. Würde man es nichtanwenden, müssten alle eine sogenannte finanzielle Ri-sikozulage zahlen, zum Beispiel bei Krediten, weil dieGefahr besteht, dass diese nicht zurückgezahlt werden,aber auch bei Abschluss von Verträgen aller Art, etwabei Abschluss eines Handyvertrages.

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Beatrix Philipp

Wir haben innerhalb der Koalition in vielen Einzelfra-gen unterschiedliche Standpunkte vertreten, uns abernach unzähligen Gesprächen – Herr Bürsch hat daraufhingewiesen – auf den jetzt vorliegenden Gesetzentwurfverständigt.

Meine Damen und Herren, eine der Grundvorausset-zungen dafür, auf Scoringverfahren zurückgreifen zudürfen, wird zukünftig der Nachweis eines wirtschaftli-chen Interesses sein. Wir haben uns bewusst gegen denNachweis bzw. die Beschränkung auf kreditorische Risi-ken gewandt, um die Interessen von Versicherungen,aber auch von Wohnungsvermietern einzubeziehen.

Zur Frage der Verwendbarkeit von Geodaten habe icheben schon etwas gesagt.

Es muss doch eigentlich jedem klar sein, dass dieWirtschaft ein Interesse daran hat, neue Kunden zu ge-winnen. Also wird die Ablehnung eines Vertragsab-schlusses nur dann erfolgen, wenn es erhebliche Zweifelan der Bonität eines Kunden gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist also richtig, dass man dieses Mittel den Unterneh-men an die Hand gibt. Wie gesagt, handelt es sich beidem, was vorgelegt worden ist, um einen Kompromiss.

Weiterhin dürfen – auch das ist wichtig – keine auto-matisierten Entscheidungen getroffen werden; das heißt,die endgültige Entscheidung muss von einer natürlichenPerson getroffen werden. Das bedeutet, dass weitere Kri-terien berücksichtigt werden können. Diesen Grundsatzverstärken wir mit der in § 6 a des Bundesdatenschutz-gesetzes verankerten Regelung; sie enthält eine klareDefinition.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor allem wollten wir zugunsten der Bürgerinnen undBürger die Transparenz stärken. Dabei kommt demRecht auf Auskunft auf der einen Seite und der Aus-kunftspflicht auf der anderen Seite besondere Bedeutungzu. Die Ergänzung der Auskunftspflicht um Einzelfall-bezogenheit und Nachvollziehbarkeit dürfte den Interes-sen der Verbraucher ein großes Stück entgegenkommen,ohne jedoch – auch das ist wichtig – das Geschäftsge-heimnis der Auskunfteien, die sogenannte Berechnungs-formel, durch absurde Offenlegungspflichten zu gefähr-den. Wir dürfen die Augen davor nicht verschließen. Eshat mich schon gewundert, dass das eben noch einmalkritisch beleuchtet wurde.

Man denke daran, dass es in Amerika Score-Doctorsgibt – ich habe das dazwischengerufen –, die nichts an-deres tun, als mit der dort herrschenden noch größerenTransparenz Missbrauch zu betreiben und Tricks zu ver-raten, wie Scorewerte manipuliert werden können.

(Zuruf der Abg. Gisela Piltz [FDP])

Das war sicherlich nicht ausschlaggebend für die Krise;aber dass das bei der Entstehung der Krise ganz sichereine Rolle gespielt hat, bestreitet eigentlich niemand.Hierzu hat es, Frau Piltz, ganz interessante Diskussions-veranstaltungen gegeben. Ich meine, dass man nicht ein-

fach vom Tisch wischen darf, was in Amerika in diesemBereich geschehen ist.

Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass die Men-schen die Daten in Erfahrung bringen können, die für sieeine Rolle spielen, und auch die Möglichkeit haben, siezu korrigieren; aber zugleich haben wir eine klareGrenze gezogen, indem wir gesagt haben: Wie dieseWerte gewichtet werden, ist einzig und allein Sache dereinzelnen Auskunfteien.

Für diejenigen, die sich mit der Sache beschäftigen,ist es ganz klar, dass es nicht für eine Person nur einenganz bestimmten Scorewert gibt. Wir haben darübermehrfach gesprochen. So ist natürlich auch nur derScorewert interessant, den man im konkreten Fall hat,und nicht der durchschnittliche. Es wird sicherlich einanderer Scorewert als mein durchschnittlicher zugrundegelegt, wenn ich mich um einen Immobilienkredit für ei-nen Hauskauf bemühe. Dass dieser mich mehr als derdurchschnittliche interessiert, ist völlig klar. Aber auchdarüber haben wir im Innenausschuss schon ausführlichgesprochen.

Es geht also nicht darum, einen „gläsernen Men-schen“ zu schaffen, wie immer wieder behauptet wird.Es geht auch nicht darum, jedem eine konstante Größezuzuweisen, die er dann ein Leben lang mit sich herum-trägt, wie einige vermutet haben, sondern es geht um dieAnpassung der Rechtsgrundlagen an die veränderten Be-dingungen, unter denen heute Verträge geschlossen wer-den.

Irgendjemand hat im Laufe der Gesetzesberatungeneinmal gesagt: Im Tante-Emma-Laden wurde ich früherauch gescored, also eingeschätzt, allerdings nicht aufBasis eines statistisch-mathematischen Verfahrens, son-dern allein aufgrund der Tatsache, ob dem Inhaber desLadens meine Nase passte oder nicht. Das Verfahren, daswir jetzt auf den Weg bringen, ist ein statistisch-mathe-matisches, also ein objektives. Deswegen sollten wir die-sem Gesetz und dem darin verankerten Verfahren zu-stimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Dr. Michael Bürsch [SPD]: Was macht derTante-Emma-Laden damit?)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kol-

legen Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion das Wort.

Manfred Zöllmer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Philipp, noch vor einem Jahr hätte es vielMut gebraucht, vorherzusagen, dass Datenschutz in die-ser Legislaturperiode noch einmal eine große Rolle spie-len wird.

(Gisela Piltz [FDP]: Wir haben den Mut gehabt!)

Eine Reihe von Ereignissen hat dazu geführt, dass wiruns intensiv mit diesem Thema beschäftigen. Das ist gut

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Manfred Zöllmer

so. Liebe Frau Philipp, vielleicht gelingt es auch ohneden Heiligen Geist, ein weiteres Gesetz auf den Weg zubringen.

(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Aber mit ihm wird es besser!)

Die politische Vernunft allein sollte ausreichen.

(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Wir haben jedesJahr darüber gesprochen, Herr Zöllmer! Siewaren nur nicht dabei!)

Die Diskussionen um den Datenschutz und ein Teilder aktuellen Novellierungen sind, wie wir gehört haben,noch nicht beendet. Heute steht im Mittelpunkt der An-trag der Grünen, ein Grundrecht auf Datenschutz in dasGrundgesetz aufzunehmen, und wir unterhalten uns überdie Gesetzgebung zum Scoring.

Datenschutz als Grundrecht soll, wie die Grünen inihrem Antrag formulieren, „die verbindliche Auffor-derung an den Gesetzgeber“ sein, „die notwendige Über-arbeitung der Datenschutzgesetze endlich anzugehen“.Liebe Frau Stokar, ich muss – bei allem Engagement derGrünen für einen modernen Datenschutz; das konzediereich Ihnen – schon sagen: Das Grundgesetz ändern und esverwenden zu wollen, um Arbeitsaufträge an die Regie-rung zu richten, das ist aus meiner Sicht nicht in Ord-nung.

Wir haben in den vergangenen Jahren immer wiederund zum Teil hitzig darüber debattiert, ob noch diesesoder jenes in unserer Verfassung verankert werdensollte. Wir haben manches in diesem Bereich spezifiziertund modifiziert. Das war auch richtig so. Wir werdenunsere Verfassung sicherlich auch zukünftig sachgerechtweiterentwickeln. Ich bin aber entschieden dagegen, per-manent an diesem Erfolgsmodell Verfassung herumzu-doktern und für jede gesellschaftliche Entwicklung, auchwenn sie wichtig ist, gleich ein Grundrecht zu verankern.Dies wäre nach meiner Überzeugung ein inflationärerRuf nach Grundgesetzänderungen.

Das von den Grünen geforderte Grundrecht auf Da-tenschutz käme darüber hinaus einem Placebo gleich. Esbraucht doch nicht einer Grundgesetzergänzung, um zuder Erkenntnis zu gelangen, dass das Bundesdaten-schutzgesetz und die Datenschutzrechte insgesamt wei-terentwickelt werden müssen. Sie sehen, wir arbeiten indieser Koalition bis zur letzten Sekunde an diesemThema.

(Zustimmung des Abg. Dr. Michael Bürsch [SPD])

Richtig ist, dass sich im Bereich Datenschutz viel ver-ändert hat. Wenn wir heute über Datenschutz reden, dis-kutieren wir nicht nur über ein Abwehrrecht gegenüberdem Staat, sondern müssen auch den kommerziellen Ge-brauch von privaten Daten berücksichtigen. Unsere Dis-kussion ist geprägt von gravierenden Datenskandalen ingroßen Unternehmen; die Kollegin Kramme und die an-deren Kollegen haben das eben deutlich gemacht. Flä-chendeckende Überwachung und Ausspähung von Ar-beitnehmern ist ein Thema, und es geht um Datenklau

im Internet mit der Absicht, ein Profil von Bürgerinnenund Bürgern zu erstellen.

Überall im Alltag hinterlässt der moderne MenschDatenspuren, die Begehrlichkeiten wecken. Längst sindDaten zur Handelsware geworden. Viele Bürgerinnenund Bürger verbreiten ihre Daten aber auch äußerst sorg-los. Dies gilt – das ist gesagt worden – für das Web 2.0,aber nicht nur dafür. Es gilt in besonderem Maße für dieAbermillionen Kundenkarten, die in Deutschland inUmlauf sind.

Die Bürgerinnen und Bürger brauchen Transparenz.Sie müssen heutzutage in Erfahrung bringen können,wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sieweiß. Nur dann können sie die datenschutzspezifischenAuskunfts-, Löschungs-, Berichtigungs- und Sperrungs-ansprüche und ihre Widerspruchsrechte tatsächlich inAnspruch nehmen. Dies ist die Zielsetzung, die wir mitden aktuellen Gesetzesnovellierungen verfolgen. So istes gut, dass wir im Bereich der Bonitätsprüfung durchmathematisch-statistische Verfahren, beim sogenanntenScoring, zu erheblichen Verbesserungen im Bereich desDatenschutzes und damit auch zu mehr Verbraucher-schutz kommen.

Verbraucherinnen und Verbraucher werden zukünftigdie wesentlichen Gründe einer vertraglichen Entschei-dung aufgrund der Bonitätsprüfung erhalten. Sie werdenihnen nicht nur genannt, sondern auch erläutert. Damitist Scoring nicht mehr wie in der Vergangenheit eineBlackbox für den Konsumenten. Zukünftig wird die Bo-nitätsprüfung transparent und nachvollziehbar sein. Ver-braucherinnen und Verbraucher erhalten somit die Mög-lichkeit, vertragliche Entscheidungen zu verstehen. Sieerhalten die Chance, durch eigenes Verhalten Einflussauf ihre Bonität und damit auf die Kreditkosten zu neh-men. Dazu brauchen sie keinen Scoringdoktor. Ichglaube, es ist das gute Recht der Verbraucher in unseremLand, dies zu tun.

Wir haben in den Gesetzesverhandlungen auch er-reicht, dass es eine Nachberichtspflicht für den Fall dernachträglichen Änderungen ganz bestimmter Faktengibt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Die Zulässigkeit der Verwendung von Georeferenzda-ten wird im Scoringverfahren zukünftig eingeschränkt.Unzulässig werden damit solche Verfahren, die aus-schließlich oder fast ausschließlich geodatenbasiert sind.Damit verhindern wir eine Benachteiligung von Ver-braucherinnen und Verbraucher, denen ein Vertragsab-schluss allein deshalb verweigert wird, weil sie im fal-schen Stadtteil wohnen.

Ich hätte mir gewünscht, dass wir in Bezug auf dasScoring insgesamt eine Beschränkung auf kreditrele-vante Sachverhalte im Gesetzentwurf hätten verankernkönnen. Das war mit unserem Koalitionspartner leidernicht möglich. Ich glaube aber, dass der Gesetzentwurfzum Scoring insgesamt ein gutes Beispiel für die Verbes-serung des Datenschutzes in dieser Legislaturperiode ist.Ich hoffe, dass wir das auch in der noch anstehendenweiteren Novelle erreichen.

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Manfred Zöllmer

Datenschutz ist auch Verbraucherschutz. Dies mussgesetzlich berücksichtigt werden. Dies wird auch ohneeine Grundgesetzänderung unsere dauernde Aufgabebleiben.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/13170 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf ei-nes Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zurÄnderung des Grundgesetzes, Art. 2 a, 5 a, 13 a, 19. DerInnenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/13218, den Gesetzentwurf derFraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9607abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist inzweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU undSPD gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen beiStimmenthaltung der FDP und der Linken abgelehnt.Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-tere Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zurÄnderung des Bundesdatenschutzgesetzes. Der Innen-ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/13219, den Gesetzentwurf derBundesregierung auf Drucksachen 16/10529 und 16/10581in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-gegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damitin zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSUund SPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünenbei Stimmenthaltung der FDP angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie inder zweiten Beratung angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-sache 16/13233. Wer stimmt für diesen Entschließungs-antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen vonCDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP beiStimmenthaltung der Fraktionen der Linken und derGrünen abgelehnt.

Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesra-tes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes. Der

Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/13219, den Gesetzent-wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/31 abzulehnen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung einstimmig abgelehnt. Damit entfällt nach un-serer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu demAntrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-tel „Mehr Datenschutz beim so genannten Scoring“. DerAusschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 16/13219, den Antrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/683 ab-zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU undSPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünen beiStimmenthaltung der FDP angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 38 a und 38 bauf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Dr. Norbert Röttgen, Bernd Schmidbauer,Dr. Hans-Peter Uhl, weiteren Abgeordneten undder Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Thomas Oppermann, JoachimStünker, Fritz Rudolf Körper, Dr. Peter Struckund der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Max Stadler,Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDPeingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zurÄnderung des Grundgesetzes (Artikel 45 d)

– Drucksache 16/12412 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Dr. Norbert Röttgen, Bernd Schmidbauer,Dr. Hans-Peter Uhl, weiteren Abgeordneten undder Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Thomas Oppermann, JoachimStünker, Fritz Rudolf Körper, Dr. Peter Struckund der Fraktion der SPDsowie der Abgeordneten Dr. Max Stadler,Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDPeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fort-entwicklung der parlamentarischen Kontrolleder Nachrichtendienste des Bundes

– Drucksache 16/12411 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, SabineLeutheusser-Schnarrenberger, weiteren Abgeord-neten und der Fraktion der FDP eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung desKontrollgremiumgesetzes

– Drucksache 16/1163 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck(Köln), Monika Lazar, weiteren Abgeordnetenund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-

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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse

besserung der parlamentarischen Kontrolleder Geheimdienste sowie eines Informations-zugangsrechts

– Drucksache 16/12189 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordne-ten Wolfgang Nešković, Dr. Lukrezia Jochimsen,Dr. Norman Paech, weiteren Abgeordneten undder Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfseines … Gesetzes zur Änderung des Kontroll-gremiumgesetzes

– Drucksache 16/12374 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 16/13220 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Hans-Peter Uhl Michael Hartmann (Wackernheim)Dr. Max Stadler Wolfgang NeškovićWolfgang Wieland

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu demAntrag der Abgeordneten Bodo Ramelow, UllaJelpke, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion DIE LINKE

Überwachung von Abgeordneten durch den Ver-fassungsschutz beenden

– Drucksachen 16/5455, 16/13220 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Hans-Peter Uhl Michael Hartmann (Wackernheim)Dr. Max Stadler Wolfgang NeškovićWolfgang Wieland

Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU,der SPD und der FDP zur Änderung des Grundgesetzes,über den wir später namentlich abstimmen werden, liegtein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenHans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Die parlamentarische Kontrolle der Nachrich-tendienste erfordert zunächst eine Beschäftigung mit denNachrichtendiensten selbst und ihrer Bedeutung in derheutigen Zeit. Nach dem 11. September 2001 haben wiralle gelernt, dass die Nachrichtendienste für die Gewähr-leistung der inneren und äußeren Sicherheit eine eminentwichtige Bedeutung – sie wurde sehr viel wichtiger, alses bis dahin der Fall war – erhalten haben. Deswegenwar es richtig, dass wir und andere Nationen gesagt ha-

ben: Wir müssen die Nachrichtendienstler mit mehr Res-sourcen für Sachmittel und Personal und auch mit mehrrechtlichen Befugnissen ausstatten. Wir haben gewisser-maßen ihre gesetzlichen Aufgaben erweitert. Wer dastut, muss sich unverzüglich Gedanken über die Kontrollesolchermaßen ausgeweiteter Zuständigkeiten der Nach-richtendienste machen. Das haben wir getan.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

FDP, SPD und die Union haben sich dies nicht leichtgemacht; denn wir wissen um die fast riskante Vorge-hensweise, einerseits die Nachrichtendienste zu schüt-zen, zu stützen und auszubauen und sie andererseits zukontrollieren. Man kann durch eine unsachgemäße Kon-trolle und die Veröffentlichung bestimmter Ergebnissedie Arbeit der Nachrichtendienste nachhaltig stören –und dies zum Schaden Deutschlands. Das ist uns immerbewusst gewesen. Das will keiner von uns.

Wer die Rechte des zuständigen Gremiums stärkt – daswollen wir –, muss sich den Spielregeln der Dienste, diekontrolliert werden, unterwerfen. Das heißt, das Gre-mium muss genauso geheim arbeiten wie die Diensteselbst. Die Dienste arbeiten geheim und müssen diesauch immer tun können. Das birgt natürlich insoweiteine Gefahr in sich, als eine Ermittlungstätigkeit zu er-heblichen Grundrechtseinschränkungen führen kann.Deswegen ist es so wichtig, diese Tätigkeit zu kontrol-lieren.

Sie erinnern sich an folgenden Fall: Nachdembekannt wurde, dass eine Spiegel-Redakteurin in ihremE-Mail-Verkehr mit einem afghanischen Minister in ei-ner Art und Weise abgehört wurde, die man nicht billi-gen kann, haben wir erfahren, dass dies dem Präsidentendes Dienstes zum richtigen Zeitpunkt nicht bekannt war,sondern erst später bekannt wurde, weswegen er imKanzleramt keine Meldung erstatten konnte und uns dasKanzleramt auch nicht unterrichten konnte.

(Thomas Oppermann [SPD]: Wollen Sie wirk-lich, dass der Präsident den gesamten E-Mail-Verkehr des Dienstes kennt?)

– Nein, Herr Oppermann, keine Sorge. Ich kaprizieremich nicht auf die Person, deren Schutz Sie im Auge ha-ben, sondern mir geht es um die Sache, nämlich dieKontrolle dieses Dienstes.

(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Uns auch!)

Lassen Sie mich Folgendes herausarbeiten: Es gehtuns darum, dass dieses Gremium kein Ausschuss übli-cher Art ist, sondern ein Gremium sui generis, das seineMitgliederzahl und Arbeitsweise selbst definiert. DiesesGremium ist eminent wichtig geworden, weil dieDienste wichtig geworden sind. Deswegen sollte diesesGremium im Grundgesetz in der Weise Erwähnung fin-den, dass das Parlament sich dieses Gremium schaffenmuss. Das Parlament bringt damit zum Ausdruck, dasses keine exekutive Gewalt geben darf, die sich außerhalbder parlamentarischen Kontrolle bewegt. Das ist derKern, um den es geht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

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Dr. Hans-Peter Uhl

Nur so können wir das Vertrauen herstellen, das auchdie Dienste brauchen. Die Dienste müssen darauf ver-trauen können, dass das Parlament zu ihnen steht. DieBevölkerung muss darauf vertrauen können, dass wir imGremium die Dienste kontrollieren. Wir, die neun Mit-glieder dieses Gremiums, sind gleichsam die legitimato-rische Verknüpfung zwischen Bevölkerung und Nach-richtendienst.

Ich komme jetzt zu einigen Veränderungen, die unswichtig sind: Wir brauchen einen Fraktionsmitarbeiter,der uns zuarbeiten und helfen kann, Dokumente zu le-sen, der uns darauf hinweist, was passiert ist, und derSachverhalte zusammenfasst, damit wir die richtigenFragen im Rahmen unserer Kontrolltätigkeit stellen kön-nen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.

Wir können natürlich auch Eingaben aus dem Dienstheraus bearbeiten. Das ist aber nicht so neu; das gab esbisher schon.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Genau, zum Beispiel die Spiegel-Reporterin!)

Aber wir müssen natürlich den richtigen Umgang fin-den. Wenn Eingaben aus dem Dienst bei uns eingehen,sei es namentlich oder anonym, müssen wir uns mit denDingen befassen, allerdings nicht ohne die Dienstvorge-setzten vorher befragt zu haben. Wir dürfen nicht in denDienst hineinregieren; wir kontrollieren den Dienst. DieSorge, dass wir uns in laufende Verfahren – zum Bei-spiel Verfahren anlässlich einer Entführung, einer Pirate-rie – einmischen, ist völlig unbegründet; denn wir lassensolche Verfahren immer zum Abschluss kommen, umuns danach berichten zu lassen. Wir wollen nicht exeku-tiv tätig werden, wir wollen kontrollieren und nichts an-deres.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)

Die Sorge, dass der Dienst dadurch geschwächt wer-den könnte, dass wir kontrollieren und der Dienst des-halb von befreundeten Diensten abgekoppelt werdenkönnte und von ihnen keine Informationen mehr be-käme, ist völlig unbegründet. Die Nachrichtendienstekönnen nicht alles wissen, auch unsere nicht; sie lebenvom Austausch von Informationen mit den amerikani-schen, französischen, englischen und anderen Diensten.Das heißt, hier muss ein vertrauensvoller Austausch vonInformationen möglich sein. Dieses Vertrauen müssenwir mittragen und dürfen es keineswegs stören. Dies istuns allen bewusst, und niemand will sich dagegen ver-wehren, dieses Vertrauen zu unterstützen. Austausch istwichtig.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die Erhöhungder Legitimität der Nachrichtendienste durch Aufnahmeunseres Gremiums in das Grundgesetz ist ein eminentwichtiges Signal. Wir brauchen unsere Nachrichten-dienste mehr denn je. Ein Terroranschlag kann nur durchnachrichtendienstliche Tätigkeit verhindert werden. So-bald Terroristen mit einer Bombe losmarschiert sind, istfür den Staat jede Chance vertan, den Anschlag verhin-

dern zu können. Nur Nachrichtendienste können im Vor-feld, bei der Planung eines Anschlages, zum Schutz derBevölkerung wirksam tätig werden. Weil wir dies wis-sen, werden wir diese Arbeit niemals stören.

Wir werden unsere Rechte und unsere Pflichten ge-wissenhaft wahrnehmen. Sollte es tatsächlich einmalzum Streit mit der Bundesregierung kommen, könnenwir – diese Möglichkeit haben wir geschaffen – das Bun-desverfassungsgericht anrufen, allerdings nur mit Zweit-drittelmehrheit der Mitglieder des Gremiums. Auch diesist eine Einrichtung, die ich für sinnvoll und sachgemäßhalte.

Unterstützen Sie uns bitte bei diesem Vorhaben. Ichglaube, es ist verantwortungsbewusst, systemgerecht,ohne Bruch und sehr durchdacht. Das ist zum Wohle derDienste, zum Wohle der inneren und äußeren Sicherheitder Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat Kollege Max Stadler für die FDP-Frak-

tion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Max Stadler (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Nach den Anschlägen in den USA am 11. Septem-ber 2001 haben die Nachrichtendienste auch in der Bun-desrepublik Deutschland so viele Befugnisse erhaltenwie nie zuvor. Für die FDP war immer klar: Je mehr Be-fugnisse Geheimdienste haben, umso besser muss dieparlamentarische Kontrolle ausgestaltet werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Daran hat es bisher aber gemangelt. Diese Kontrolldefi-zite werden mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzverringert.

Erinnern wir uns: Einsatz von BND-Agenten wäh-rend des Irak-Kriegs in Bagdad trotz gegenteiligerSelbstdarstellung der damaligen rot-grünen Bundesre-gierung, rechtswidrige Bespitzelung von Journalisten,fragwürdige Amtshilfe des Nachrichtendienstes gegen-über Polizeibehörden. All diese Vorgänge sind in derVergangenheit am dafür berufenen ParlamentarischenKontrollgremium vorbeigegangen. Das war nicht längerakzeptabel. Das wissen alle in diesem Hohen Haus zwarseit Jahren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und des Abg. Hans-ChristianStröbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber nur die FDP-Fraktion hat schon am 6. April 2006einen Reformentwurf in den Bundestag eingebracht.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Den Sie jetzt für erledigt erklären,Herr Kollege!)

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Dr. Max Stadler

– Ja, weil wir daraus jetzt ein Gesetz machen. Das ist ge-nau der Gedankengang, den ich vortragen wollte, lieberHerr Kollege Ströbele. – Wir sind sehr zufrieden, dass esjetzt nach dreijähriger Debatte gelungen ist, obwohl dieKoalition das Thema jahrelang nicht angepackt hat, dieRegierung „not amused“ war und nichts voranzugehenschien, zu einem gemeinsamen Gesetzentwurf vonCDU/CSU, SPD und FDP zu kommen.

Es passiert nicht jeden Tag, dass man aus der Opposi-tion heraus gemeinsam mit den Regierungsfraktionen ei-nen Gesetzentwurf initiieren kann.

(Beifall bei der FDP – Hans-Christian Ströbele[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibendenn Ihre Forderungen?)

Das wäre auch in diesem Fall nicht möglich gewesen,wenn sich nicht einzelne Abgeordnete der Koalitions-fraktionen des Themas besonders angenommen hätten.Das sind Kollege Uhl, der gerade gesprochen hat, Kol-lege Röttgen und Kollege Oppermann. Ich will in allerDeutlichkeit sagen, dass auch die Diskussionsbeiträgedes Kollegen Ströbele von den Grünen und des KollegenNešković von der Linkspartei die Reformdebatte be-fruchtet haben.

Dagegen lesen wir in seriösen Zeitungen, dass offen-bar mehrere Minister der amtierenden Bundesregierunghinhaltenden Widerstand gegen diesen ohnehin modera-ten Gesetzentwurf geleistet haben.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das kann ichmir gar nicht vorstellen! – Gisela Piltz [FDP]:Wir sind das Parlament, Herr Stadler!)

Es ist nicht dementiert worden, dass die MinisterSchäuble, Steinmeier und Jung wieder einmal das Argu-ment benutzt haben, dass eine stärkere parlamentarischeKontrolle die Arbeit der Geheimdienste erschweren undunsere Sicherheit gefährden würde.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das kann ichmir nicht vorstellen! – Zuruf von der FDP:Was ist denn das für ein Parlamentsverständ-nis!)

Das ist völliger Unsinn. Wir sagen dazu: Für die FDPkam es überhaupt nicht infrage, diesem Druck, der of-fenbar von der Regierung auf das Parlament ausgeübtwerden sollte, in irgendeiner Weise nachzugeben.

(Beifall bei der FDP)

Im Gegenteil: Der Gesetzentwurf ist nach einer Sach-verständigenanhörung, die am Montag stattgefunden hat,im Ausschuss noch deutlich verbessert worden. Ichnenne folgende Punkte: Mit diesem Gesetzentwurf wirderstmals in den Fällen, in denen das Gremium Vorgängeöffentlich bewertet – das ist allerdings die Ausnahme,weil es weiterhin prinzipiell nicht öffentlich tagt –, dasRecht der Opposition auf ein Sondervotum bei diesenBewertungen festgeschrieben. Das ist ein erheblicherFortschritt. Allerdings findet sich im Gesetzentwurf einewirklich unpassende Formulierung, nach der solche Son-dervoten der Opposition dem Gremium vorher vorzule-

gen sind. Wir haben nicht das Bedürfnis, diejenigen, diewir kontrollieren wollen und nach dem gesetzlichenAuftrag kontrollieren müssen, vorher um Erlaubnis zubitten. Es ist klargestellt, dass diese Passage, die ohnehinnicht im Gesetz stand, sondern nur in der Begründung,keine Bedeutung hat.

(Beifall bei der FDP)

Ich nenne einen zweiten Punkt: Wir haben in den letz-ten Beratungen in dieser Woche erreicht, dass die Mitar-beiter, die uns neu zuarbeiten können, weil vier Augennun einmal mehr sehen als zwei Augen, auf Beschlussdes Gremiums auch Zugang zu den Sitzungen und damitzu der mündlichen Unterrichtung der Abgeordneten ha-ben.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Nur im Einzelfall und mit Zwei-drittelmehrheit!)

Das wird ebenfalls die Kontrollmöglichkeiten deutlichverbessern und ist ein Fortschritt gegenüber dem, was zuBeginn unserer Beratungen im Gesetzentwurf vorgese-hen war.

Nun ist mir eines noch besonders wichtig, meine Da-men und Herren; auch dies hat die FDP mit Unterstützungvon CDU/CSU und SPD im Innenausschuss klargestellt:Erstmals wird das Parlamentarische Kontrollgremiumauch in der Verfassung selbst verankert. Mit dieser be-sonderen Hervorhebung des Gremiums werden aber dieRechte einzelner Abgeordneter oder sonstiger Parla-mentsausschüsse wie etwa Innenausschuss oder Rechts-ausschuss in keiner Weise beeinträchtigt. Das Parlamen-tarische Kontrollgremium ist in besonderem Maße zurKontrolle befugt, aber andere Ausschüsse haben eben-falls ihre Rechte, etwa wenn Polizeien wie das Bundes-kriminalamt gemeinsam, womöglich unter Verletzungdes Trennungsgebotes, mit Geheimdiensten tätig sind.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Nešković [DIE LINKE])

Für uns ist klar, dass die Rechte des Parlaments unbe-rührt bleiben. Es kommt im Gegenteil insgesamt zu einerverbesserten Kontrolle.

Auch die FDP sagt: Wir brauchen die Dienste, aberdie Dienste brauchen auch uns Kontrolleure; denn eineTätigkeit, die sich im Geheimen abspielt, kann nur Ver-trauen beanspruchen, wenn es eine ausreichende Kon-trolle gibt. Da könnte man sich immer noch mehr vor-stellen – das weiß jeder –; trotzdem sage ich in derGesamtabwägung: Mit diesem Gesetz, das wir heute be-schließen, wird die notwendige Kontrolle ein gutesStück vorangebracht.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Thomas Oppermann für die

SPD-Fraktion.

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Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kollegen und Kolleginnen!

Mit dem neuen Gesetz über die parlamentarische Kon-trolle der Geheimdienste erreichen wir das gute Ende ei-nes langen verfassungspolitischen Prozesses, der seinenAusgang in der jungen Bundesrepublik hatte. Über diegeheimdienstlichen Aktivitäten in der Adenauer-Zeitwurde das Parlament nicht regelmäßig unterrichtet. Eshing von der Gunst Konrad Adenauers ab, ob und wasdas Parlament darüber erfuhr. Es gab aber Fortschritte.Ende der 70er-Jahre gab es eine gesetzliche Grundlage,das Parlamentarische Kontrollgremium wurde einge-führt, und heute schaffen wir die verfassungsrechtlicheVerankerung der parlamentarischen Kontrolle. Das istein großer verfassungspolitischer Fortschritt. Regierungund Parlament handeln jetzt auf gleicher Augenhöhe.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Diese verfassungsrechtliche Verankerung der parla-mentarischen Kontrolle darf natürlich nicht zu der Fehl-vorstellung verleiten, Regierung und Parlament hätten indiesem Bereich die gleichen Aufgaben. Aufgabe der Re-gierung ist es, funktionierende Geheimdienste bereitzu-stellen, die wir brauchen, um die Sicherheit der Men-schen, die Sicherheit wichtiger Rechtsgüter und auch dieSicherheit des Staates und der demokratischen Institutio-nen in diesem Lande zu gewährleisten. Wir brauchennachrichtendienstliche Informationen, um präventivhandeln und uns gegen solche Gefahren schützen zukönnen. Also brauchen wir funktionierende Dienste.

Aber wir brauchen eben auch eine effektive Kon-trolle. Effektive Kontrolle darf man jedoch nicht ver-wechseln mit der Dauerskandalisierung der verdammtschwierigen und nicht selten gefährlichen Arbeit der Ge-heimdienstmitarbeiter. Das will ich an dieser Stelle ein-mal feststellen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die Dienste haben einen Anspruch auf eine kritische,aber faire Bewertung ihrer wahrhaftig nicht einfachenArbeit.

Aber es gibt auch Grenzen der Kontrolle, und es wardie Sorge der von Ihnen genannten Minister, HerrStadler – es sind aber nicht nur die Minister Jung,Steinmeier und Schäuble; dazu gehört auch mein Kol-lege Otto Schily –, ob wir die Dienste durch effektiveKontrolle nicht zu sehr schwächen.

Nun hat das Gremium ohnehin Grenzen. Eine Grenzebesteht durch das Prinzip der Verantwortlichkeit der Re-gierung. Das bedeutet, dass das Gremium nicht dasRecht und die Zuständigkeit hat, sich in laufende ge-heimdienstliche Operationen einzumischen, und zwaraus zwei Gründen: Erstens sitzen in dem Gremium keineprofessionellen Geheimdienstleute – vielleicht mit Aus-nahme von Herrn Ströbele, der schon so lange dabei ist,dass eine gewisse Professionalisierung erfolgt ist.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Herr Neškovićauch! Herr Nešković hat ein Praktikum! – Ge-genruf des Abg. Wolfgang Nešković [DIELINKE]: Aber aus anderen Gründen!)

– Herr Nešković auch, ja. – Der Sachverstand wäre nichtvorhanden; es fehlte an professionellem Können. Zwei-tens entspräche es aber auch nicht dem Verantwortlich-keitsprinzip. Wenn Parlamentarier sich in laufende Ope-rationen einmischen, dann kann der Präsident desDienstes oder auch die Bundesregierung dafür nichtmehr die Verantwortung übernehmen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Das will ja keiner! Das will janicht mal ich!)

Damit gerieten wir in einen Zustand geteilter Verantwor-tung, und einen solchen Zustand wollen wir nicht.

Gegenstand der parlamentarischen Kontrolle sinddeshalb im Prinzip nur abgeschlossene oder zum Teil ab-geschlossene Vorgänge, was nicht ausschließt, dass dieRegierung manchmal über laufende Vorgänge berichtet;das liegt dann in ihrem Ermessen.

Es gibt eine zweite Grenze der Kontrolle, und zwarsowohl im alten Gesetz als auch im neuen Gesetz. Sie istin § 6 Abs. 1 des Kontrollgremiumgesetzes festgelegt.Dort heißt es: Die Pflicht, das Gremium zu unterrichten,„erstreckt sich nur auf Informationen, die der Verfü-gungsberechtigung der Dienste unterliegen“. – Mit ande-ren Worten: Brisante Informationen, die der BND vonwichtigen Partnerdiensten mit der Einschränkung be-kommt, dass sie nicht weitergegeben werden dürfen,dürfen natürlich auch nicht Gegenstand politischer Erör-terungen in dem Gremium sein. Das ist unabänderlich,wenn wir weiter leistungsfähige und partnerschaftsfä-hige Dienste haben wollen.

Ich fasse zusammen: Mit den neuen Zutritts-, Akten-einsichts- und Befragungsrechten schaffen wir eine an-gemessene Balance zwischen Sicherheit und Freiheit.Um Sicherheit durch Prävention zu erreichen, brauchenwir die Arbeit der Dienste, die sich naturgemäß im Ge-heimen bewegt. Wir brauchen leistungsfähige Dienste.Um die Freiheit zu gewährleisten, brauchen wir eine be-sondere Kontrolle, die die Freiheitsrechte der Bürger imAuge hat und die das Vertrauen der Bürger in die Lauter-keit und Gesetzmäßigkeit des Handelns der Dienste be-gründet und rechtfertigt.

Das alles wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurferreicht. Ich freue mich darüber, Herr Stadler, dass hierRegierungs- und Oppositionsparteien gemeinsam han-deln, um eine verfassungsgemäße und dauerhaft tragfä-hige Grundlage für die parlamentarische Kontrolle unse-rer Nachrichtendienste zu schaffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Wolfgang Nešković für die

Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

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Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Als die deutsche Demokratie nochin der Wiege lag, hatte Wilhelm II. den deutschenReichstag als Quasselbude bezeichnet. Dem Monarchmissfiel die in Gang kommende Machtbegrenzung, diedas ganze Gequassel für ihn bedeutete. Denn der Reichs-tag verstand sich in seiner Gesamtheit als Gegengewichtzur monarchischen Regierung. Hier lag damals das na-türliche politische Spannungsverhältnis.

In einer parlamentarischen Demokratie hingegen lie-gen die Dinge ganz anders. Ich zitiere aus einer Ent-scheidung des Bundesverfassungsgerichts:

Das ursprüngliche Spannungsverhältnis zwischenParlament und Regierung, wie es in der konstitutio-nellen Monarchie bestand, hat sich in der parlamen-tarischen Demokratie, deren Parlamentsmehrheitregelmäßig die Regierung trägt, gewandelt. Es wirdnun vornehmlich geprägt durch das politischeSpannungsverhältnis zwischen der Regierung undden sie tragenden Parlamentsfraktionen einerseitsund der Opposition andererseits. Im parlamentari-schen Regierungssystem überwacht daher in ersterLinie nicht die Mehrheit die Regierung, sonderndiese Aufgabe wird vorwiegend von der Opposition– und damit in der Regel von einer Minderheit –wahrgenommen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Kaiser ist tot. Ihr Entwurf entspricht dennoch derLogik der konstitutionellen Monarchie. Er enthält näm-lich keine ausreichenden Minderheitenrechte. Nach ihmsind es allein die Mitglieder der Regierungsfraktionen,die über das Ausmaß und den Umfang der Kontrolle be-stimmen. Sämtliche Kontrollbefugnisse des Gremiumssind von Mehrheitsbeschlüssen abhängig. Damit sind esallein die Mitglieder der Regierungsfraktionen, die miteinfacher oder sogar Zweidrittelmehrheit über Folgendesentscheiden: Besuchsrechte bei den Diensten, Aktenein-sichtsrechte, Anhörungen von Mitarbeitern der Geheim-dienste, die Inanspruchnahme von Amtshilfe, die Ein-schaltung eines Sachverständigen, die Anwesenheit vonFraktionsmitgliedern im Gremium und öffentliche Kritikan der Regierung.

Wenn also ein Mitglied einer Oppositionsfraktion dieRegierung kontrollieren möchte, zum Beispiel durchAkteneinsicht, muss er oder sie die Regierungsfraktio-nen vorher untertänigst um Erlaubnis bitten.

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Bitten allein reicht!)

Die Regierungsfraktionen haben es also in der Hand, obdie Regierung in Bedrängnis gerät oder nicht. Dazu wer-den die Regierungsfraktionen naturgemäß wenig Nei-gung verspüren.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: So ist es!)

Naturgemäß bringt allein die Opposition den notwendi-gen Biss auf, um die Regierung wirkungsvoll zu kontrol-lieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren undmeine liebe Öffentlichkeit, entspricht gesicherter parla-mentarischer Erfahrung.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das ist nicht naturgemäß!)

Deswegen sind die Minderheitenrechte für eine effi-ziente Kontrolle unentbehrlich. Der Mangel an Minder-heitenrechten ist nicht der einzige schwerwiegende Man-gel dieses Entwurfes. Ich nenne drei Beispiele.

Erstens. Laut dem Entwurf kann die Regierung dieHerausgabe von Informationen – Herr Oppermann sagtedas schon – an das Kontrollgremium verweigern, wenndadurch die Zusammenarbeit mit ausländischen Nach-richtendiensten betroffen wäre.

(Thomas Oppermann [SPD]: Das soll auch so bleiben!)

Das bedeutet nichts anderes, als dass sich die Nachrich-tendienste des Bundes und die ausländischen Nachrich-tendienste darüber einigen können, welche Informatio-nen dem Gremium vorenthalten werden. Das wäre einverfassungsrechtlich unzulässiger Vertrag zulasten derparlamentarischen Kontrolle und damit unserer Demo-kratie.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Noch immer liegt es – im Ergebnis – imBelieben der Regierung, über welche Vorgänge sie imGremium informiert. Das ist absurd: Derjenige, der kon-trolliert werden soll, entscheidet über den Umfang derKontrolle. Ebenso gut könnte der Angeklagte in einemStrafprozess über den Umfang der Beweisaufnahme ent-scheiden. Der Freispruch wäre garantiert.

Drittens. Besonders feierlich geben sich die Verfasserdes Entwurfs aufgrund der neuen Befugnis des Gre-miums, mit einer Zweitdrittelmehrheit das Bundesver-fassungsgericht anrufen zu können. Das ist überhauptnicht feierlich, sondern absolut lächerlich. Man benötigtschon eine gehörige Abneigung gegen die Wirklichkeit,um sich eine Situation vorzustellen, in der die Abgeord-neten der Regierungsfraktionen mit ihrer Stimmenmehr-heit vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um dortdie eigene Regierung zu verklagen. So viel Fantasiehabe ich nicht; aber Sie haben sie offensichtlich.

Wer von diesem Gesetzentwurf eine wirkungsvolleparlamentarische Kontrolle der Geheimdienste erwartet,ist naiv. Wer dies dennoch behauptet und nicht naiv ist,darf sich nicht ärgern, wenn das Gremium in der öffentli-chen Wahrnehmung, um in der Sprache des Kaisers zubleiben, in den Ruf einer Quasselbude gerät.

(Zuruf von der LINKEN: So ist es!)

Ich fasse zusammen: Auch nach diesen Gesetzesän-derungen bleibt das Gremium ein blinder Wächter ohneSchwert.

Ich danke Ihnen.

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(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Christian Ströbele für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Jetzt kommt einKenner der Materie! – Gegenruf des Abg.Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Das ist wahr! Er sitzt schon am längsten hier! –Thomas Oppermann [SPD]: Man nennt ihnauch Senior Controller!)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Kollege Uhl hatja recht,

(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Was?)

nach dem 11. September 2001 haben wir neue Erfahrun-gen gemacht, und unsere Nachrichtendienste, unsere Si-cherheitsdienste haben – darauf hat Kollege Stadler hin-gewiesen – umfassende neue Befugnisse, Manpowerund Möglichkeiten bekommen.

Wir haben nach dem 11. September aber auch ganzschlimme Erfahrungen gemacht, Herr Uhl. Wir habendie Erfahrung gemacht, dass selbst in etablierten altenparlamentarischen Demokratien vieles außer Kontrollegeraten ist und offizielle Nachrichtendienste einigerLänder, nicht zuletzt der USA, so außer Kontrolle gera-ten sind, dass sie weltweit mit der Verschleppung vonMenschen, mit Folter und mit schweren Verstößen gegenrechtsstaatliche und völkerrechtliche Prinzipien dieMenschenrechte im wahrsten Sinne des Wortes mit Fü-ßen getreten haben. Diese ganz schlimme Erfahrung ha-ben wir gemacht.

Nicht ohne Grund beschäftigt sich ein Untersu-chungsausschuss des Deutschen Bundestages seit inzwi-schen mehr als drei Jahren mit der Frage: Inwieweit wa-ren deutsche Nachrichtendienste, deutsche Politik,deutsche Politiker und deutsche Bundesregierungen mitdieser schlimmen weltweiten Praxis in irgendeinerWeise verbandelt und daran beteiligt?

(Thomas Oppermann [SPD]: Das ist völlig eindeutig! Gar nicht!)

Das ist aber ein anderes Thema.

Jetzt fragt man sich: Welche Schlussfolgerungen ziehtman daraus? Man kann nur zu einer einzigen Schlussfol-gerung kommen: Das darf nie wieder passieren, wederweltweit noch in Deutschland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wie können wir das verhindern? Ich sage Ihnen – dasist der Grund, warum wir gegen die Grundgesetzänderungstimmen –: Wir wollen nicht das gesamte Parlament, alsoalle zuständigen Ausschüsse – den Innenausschuss, denAuswärtigen Ausschuss, den Verteidigungsausschuss

und mögliche Untersuchungsausschüsse – und jeden ein-zelnen Abgeordneten aus der Verantwortung für dieKontrolle der Nachrichtendienste entlassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen, dass auch einzelne Abgeordnete, die bei-spielsweise erfahren, dass zwei Agenten des Bundes-nachrichtendienstes während des Irak-Krieges in Bagdadwaren, die Bundesregierung fragen können: Liebe Bun-desregierung, stimmt das? Was haben die da gemacht?Haben die den Krieg unterstützt? – Wir wollen, dass siein diesem Fall von der Bundesregierung nicht die Ant-wort bekommen: Das wollen wir Ihnen in der Öffent-lichkeit nicht beantworten. Das beantworten wir nur imzuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium. – Dasdarf nicht sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie des Abg. Wolfgang Nešković [DIELINKE] – Hellmut Königshaus [FDP]: Ach!Das alles ist doch jetzt schon so!)

Wir sind dagegen, dass ins Grundgesetz die Vorschriftaufgenommen wird:

Der Bundestag bestellt ein Gremium zur Kontrolleder nachrichtendienstlichen Tätigkeit des Bundes.

Gemeint ist damit die gesamte nachrichtendienstlicheTätigkeit des Bundes. Diese Formulierung bezieht sichdarauf, dass Sie diesem Gremium ursprünglich auch dieKontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit desBKA und des Bundespolizeiamtes übertragen wollten.Diese Vorschrift konterkariert die Verantwortung des ge-samten Deutschen Bundestages. Wir halten sie für falschund gefährlich, weil sich die Bundesregierung dannmöglicherweise noch öfter auf sie beruft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In einem anderen Punkt sind wir grundsätzlich dersel-ben Auffassung wie Sie. Auch wir sind der Auffassung,dass die Möglichkeiten des Parlamentarischen Kontroll-gremiums erheblich ausgeweitet werden müssen.

(Abg. Dr. Max Stadler [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Wir freuen uns darüber, dass dieses Thema im Plenumdes Deutschen Bundestages aufgegriffen wird und wirüber entsprechende Gesetzentwürfe diskutieren können.Ihren Gesetzentwurf halten wir allerdings für unzuläng-lich und nicht ausreichend. Sie bleiben auf halbem Wegestehen und geben Steine statt Brot.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Stadler?

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Ja. Jetzt darf der Kollege Stadler eine Zwischenfragestellen.

Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković

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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte sehr.

Dr. Max Stadler (FDP): Herr Kollege Ströbele, zum Verhältnis zwischen dem

Parlamentarischen Kontrollgremium und den Rechteneinzelner Parlamentarier und der Ausschüsse habe ich inmeinem Redebeitrag bereits Ausführungen gemacht, umklarzustellen, dass es nicht angeht, dass die Bundesregie-rung unter Verweis auf das Kontrollgremium Auskünfteverweigert, beispielsweise dann, wenn das Bundeskrimi-nalamt tätig gewesen ist.

Meine Frage an Sie lautet, ob Sie bereit sind, zuzuge-stehen, dass in dem heute zu beschließenden Gesetzent-wurf ein § 1 Abs. 2 zu finden ist – ursprünglich was es§ 1 Abs. 3; um Klarheit zu schaffen, haben wir eine viel-leicht etwas verwirrende Vorschrift aus § 1 Abs. 2 gestri-chen –, der lautet:

Die Rechte des Deutschen Bundestages, seiner Aus-schüsse und der Kommission nach dem Artikel-10-Gesetz bleiben unberührt.

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: So ist es!)

Sind Sie bereit, auch zuzugestehen, dass diese Aus-sage durch die Rechtsänderungen, die heute zur Debattestehen, um kein Jota verändert wird, sodass die Sorge,die Sie zu Recht geäußert haben, im Ergebnis unbegrün-det ist?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender SPD und des Abg. Wolfgang Nešković[DIE LINKE])

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Nein, Herr Kollege Stadler; dagegen spricht die vonmir bereits angesprochene Erfahrung mit der Praxis derBundesregierung.

(Lachen des Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU])

Es ist sogar ein Rechtsstreit beim Bundesverfassungsge-richt anhängig, in dessen Rahmen wir versuchen, dieRechte der einzelnen Abgeordneten auf Auskunftsertei-lung durch die Bundesregierung in diesem Bereichdurchzusetzen.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Aber damals gab es diese Vorschrift doch noch gar nicht!)

Heute ist es doch so, dass eine solche Auskunft gene-rell verweigert wird. Berechtigt wäre eine Auskunftsver-weigerung allenfalls dann, wenn die Nachrichtendienstenachrichtendienstlich tätig sind und geheimhaltungsbe-dürftige Sachverhalte vorliegen. Dann wäre der Verweisauf das Parlamentarische Kontrollgremium richtig. Diezu treffende Regelung darf aber nicht die gesamte nach-richtendienstliche Tätigkeit umfassen.

(Dr. Max Stadler [FDP]: Völlig richtig!)

Das ist der Fehler.

Sie kommen nicht daran vorbei, dass in dem Grund-gesetzartikel, den Sie in den Gesetzentwurf aufnehmenwollen, ganz allgemein von der „nachrichtendienstlichenTätigkeit des Bundes“ die Rede ist. Darunter könnte manauch die entsprechende Tätigkeit des Bundeskriminal-amtes oder des Zollamtes verstehen. Das beruhigt michalso gar nicht, Herr Kollege Stadler.

Mich beruhigt auch überhaupt nicht, dass Sie auf die-sen Gesetzentwurf umgeschwenkt sind und dass Sie vonIhrer berechtigten Forderung, die in Ihrem Gesetzent-wurf stand und wonach ich als Abgeordneter etwasSelbstverständliches tun können muss, nämlich meineFraktionsvorsitzenden zu unterrichten, wenn ich im Gre-mium von einem Skandal des Bundesnachrichtendiens-tes erfahre, Abstand genommen haben. Das haben Sie inIhren Gesetzentwurf ja zutreffend hineingeschrieben. Indem Gesetzentwurf, den Sie jetzt unterstreichen unddem Sie jetzt zustimmen wollen, steht das nicht mehr.Das gilt auch für einige andere wichtige Bereiche.

Ich komme zu der Konklusion: Zu dem wichtigen Be-reich, dass die Bundesregierung gezwungen wird, überbesondere Vorkommnisse von besonderer Relevanz zeit-nah zu berichten, findet sich in Ihrem Gesetzentwurfnichts. Es gibt keinerlei Vorschrift und keinerlei Hin-weis. Sie haben sich nicht einmal dazu durchgerungen,hineinzuschreiben, dass die Bundesregierung zeitnah in-formieren soll, sodass nun die Praxis der Vergangenheitfortgeführt werden kann. Danach wurden wir im Gre-mium immer erst dann mit allen Skandalen des Bundes-nachrichtendienstes, die uns in den letzten Jahren be-schäftigt haben, befasst, nachdem sie groß und breit imSpiegel, in der Süddeutschen Zeitung oder in der Berli-ner Zeitung gestanden haben.

Allein das ist ein Skandal, gegen den Sie nicht ange-hen. Sie tun überhaupt nichts dagegen, außer dass Sieschreiben, dass das in den später – nach einem Jahr – zuerstellenden Bericht des Gremiums aufgenommen wer-den soll. Das ist völlig unzureichend.

Auch in den anderen Vorschriften, die Sie formulierthaben, geben Sie uns Steine statt Brot, zum Beispiel, in-dem Sie sagen, dass der Abgeordnete Ströbele und derAbgeordnete Röttgen in Zukunft einen Mitarbeiter mitder Unterstützung der Arbeit beauftragen können.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Redezeit.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Wenn er nicht auch mit mir in dem Gremium sitzendarf und an den Sitzungen teilnehmen kann, dann isteine unterstützende Tätigkeit so gut wie überhaupt nichtmöglich. Deshalb ist das, was Sie vorgeschlagen haben,unzureichend.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, Sie haben die Redezeit überschritten.

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Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Ich komme zum Schluss. – Ich werde von der Frageumgetrieben – seit ein paar Jahren beschäftige ich michdamit –, wie wir es in Zukunft verhindern können, dassdas, was wir jetzt im Untersuchungsausschuss wiederfestgestellt haben, auf der Welt und in Deutschland nocheinmal passiert.

Auf diesem Wege wird uns mit Ihrem Gesetzentwurfleider nicht geholfen. Sie haben über unseren nicht ernst-haft diskutiert, und wir sind deshalb gegen Ihren Gesetz-entwurf. Wir werden dagegen stimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat der Kollege Dr. Norbert Röttgen für die

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Die Gesetzentwürfe zur Stärkung und Verbesse-rung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichten-dienste des Bundes und der Gesetzentwurf zur Änderungdes Grundgesetzes, in denen eine verfassungsrechtlicheAnerkennung und Aufwertung der parlamentarischenKontrolle der Geheimdienste vorgesehen ist, sind Ge-setzentwürfe aus der Mitte des Parlamentes, aus derMitte des Bundestages.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so-wie des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])

Das ist auch richtig so, weil es darum geht, die Instru-mente und Regeln der parlamentarischen Kontrolle, de-nen wir die Bundesregierung unterwerfen wollen, selberfestzulegen. Man kann nicht erwarten, dass die Regie-rung ihre Kontrolle selber regelt.

(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich glaube, das wäre noch nicht einmal wünschenswert.Darum entspricht es unserem Selbstverständnis, dieseRegeln zu machen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!)

An diesem Punkt bin ich dann auch bei der Kritik anden Kollegen Ströbele und Nešković. Sie kritisieren, dassei viel zu wenig. Es geht hier nicht um wenig odermehr, sondern es geht um das richtige Verhältnis zwi-schen den Gewalten. Sie leiden – das gilt für beide – beiIhrer Kritik, das sei zu wenig, an einem persönlichenGlaubwürdigkeitsmangel.

Herr Ströbele und die gesamte Fraktion der Grünen,Sie müssen sich vorhalten lassen, dass Sie, als Sie übersieben Jahre hinweg in der Regierungsmehrheit waren,nichts von dem umgesetzt haben, was Sie heute fordern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Darum sind Sie ein Maulheld, Herr Kollege Ströbele. Siehaben gegen Steinmeier, Fischer und Schily nichts vomdem realisiert, was Sie heute beanstanden und verlangen.

(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: So ist es!)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Ströbele?

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Ja, gerne.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Herr Kollege Röttgen, es geht jetzt nicht um Maulhel-den. Wir wollen uns den Tatsachen stellen und die Wahr-heit darin suchen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh-men, dass nach 16 Jahren Regierung Kohl

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sehr gute Jahre!)

die damalige neue rot-grüne Koalition zum ersten Malüberhaupt ein Gesetz für das parlamentarische Gremiumzur Kontrolle der Geheimdienste – das damals seinenNamen bekommen hat – geschaffen hat und dass in die-sem damals sehr fortschrittlichen Gesetz unter anderemerstmals geregelt war, dass mit Zustimmung einer Zwei-drittelmehrheit von der Geheimhaltung abgewichen wer-den darf? Eine kleinere Mehrheit war nicht durchzuset-zen. Das war damals ein riesiger Fortschritt.

Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dasswir vieles von dem, was wir heute über Menschenrechts-verletzungen nach dem 11. September wissen, durch dieTätigkeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums, aberauch durch den Untersuchungsausschuss erfahren ha-ben? Heute wissen wir vieles, was wir damals nicht ge-wusst haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen war es uns 2004 oder 2005 nicht möglich, eintolles Gesetz zu machen, so wie Sie es jetzt auch nichthinbekommen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Herr Kollege Ströbele, Ihre Frage verdeutlicht den

Unterschied, den es zwischen uns gibt. Sie sagen, 1999sei einmalig ein Gesetz erarbeitet worden, und dann seiauf Jahre alles gut gewesen. Wir sind der Auffassung,dass es gar nicht gut gewesen ist. Das Gesetz ist unzu-länglich, und darum verbessern wir es jetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der FDP)

Das ist der Unterschied zwischen uns. Sie sind sehrselbstzufrieden. Wir hingegen sind nicht zufrieden mitdem, was Sie angerichtet haben. Sie wissen selbst, wasdie Wahrheit ist. Sie haben sich nicht durchsetzen kön-nen.

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Dr. Norbert Röttgen

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben ja auch eins ge-macht!)

Denn bei diesem Gesetzentwurf geht es um das Selbst-verständnis des Parlamentes auch gegenüber – nicht etwagegen sie – der Exekutive. Die Wahrheit der rot-grünenKoalition ist, dass die Grünen in dieser Koalition nichtviel zu sagen hatten. Das mag Sie heute noch schmerzen,aber es ist ein Teil der Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ähnlich ist es, wenn ich mich dem Kollegen Neškovićzuwende, der auch kritisiert, dass hier viel zu wenig ge-schehe. Der Kollege Nešković hat vor einem Jahr einen30-seitigen Gesetzentwurf vorgestellt.

(Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Den hät-ten Sie genauer durchlesen sollen!)

Er hat seitenlange Vorschläge gemacht und sich an diePresse gewandt. Die Reaktion seiner Fraktionsführungauf Ihre Vorschläge war – ich zitiere den stellvertreten-den Fraktionsvorsitzenden Ramelow aus der taz –:„Nešković war wohl zu lange in der Sonne.“

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Das ist bis auf den heutigen Tag offensichtlich nichtvöllig falsch, Herr Ramelow. Der entscheidende Punktist aber, dass sich Herr Ramelow durchgesetzt hat. DennSie bringen heute nichts ein.

(Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Das stimmt ja gar nicht!)

Sie bringen einen kleinen Gesetzentwurf mit einem klei-nen Paragrafen ein, der sich um die Beobachtung vonAbgeordneten kümmert. Sie sind schon in Ihrer eigenenFraktion auf der ganzen Linie gescheitert, Herr KollegeNeškovi_, und werfen jetzt uns vor, wir würden zu we-nig machen. Vielleicht liegt das daran, dass in IhrerFraktion viel zu viele leider viel zu viel von Geheim-diensten verstehen, aber zu wenig von Geheimdienstenin einem demokratischen Rechtsstaat. Das mag derGrund dafür sein, warum Sie als Maulheld vorgeschicktwerden, aber in der eigenen Fraktion nichts erreichen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Röttgen, jetzt haben Sie den Herrn

Nešković provoziert. Er – nein, Herr Ramelow möchtedazu gerne eine Zwischenbemerkung machen.

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Gerne.

Bodo Ramelow (DIE LINKE): Herr Kollege Röttgen, ich stelle mich demonstrativ

neben meinen Kollegen Nešković. Sie tun sich sehrleicht, Herr Röttgen. Ich bin derjenige, der seit mehreren

Jahren von all den Geheimdiensten belästigt wird, überdie hier geredet wird.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

– Sie können alle darüber lachen. Da Sie ja an denRechtsstaat glauben, darf ich darauf hinweisen, dass ichbisher alle Prozesse gewonnen habe und rechtsstaats-widrig von den Geheimdiensten beobachtet und belästigtworden bin.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist nicht zulässig, so mit Abgeordneten umzugehen.

Ihr Zitat, Herr Kollege Röttgen – bevor Sie sich jetztzehn Minuten darüber freuen –, bezog sich auf etwasvöllig anderes.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ach so!)

Es hatte mit den Geheimdiensten und der Geheimdienst-kontrolle nichts zu tun. Da standen Sie jetzt wohl zulange in der Sonne, Herr Kollege Röttgen. Der KollegeNešković hat mein volles Vertrauen. Ich glaube, die Ge-heimdienste in Deutschland müssen besser kontrolliertwerden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Herr Kollege Ramelow, Sie bestreiten nicht, dass Sie

bezüglich Ihres Fraktionskollegen die Diagnose gestellthaben, er sei zu lange in der Sonne gewesen. Wenn manzu lange in der Sonne war, dann wirken sich die Schädennicht nur partiell auf die Gehirnfunktionen aus, sonderngenerell auf die geistige Leistungsfähigkeit.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Darum können Sie das leider nicht nur partiell betrach-ten.

Der entscheidende Punkt ist aber, dass die Vor-schläge, die Herr Nešković gemacht hat, in Ihrer Frak-tion komplett abgelehnt worden sind. Das ist hier doku-mentiert. Ich finde, politische Kritik hat immer eineSachdimension und eine Dimension persönlicher Glaub-würdigkeit. Diese fehlt beiden Kritikern. Das wollte ichsagen.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Ramelow?

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Jetzt ist es genug.

Ich möchte auf zwei weitere Gesichtspunkte der Ge-setzentwürfe eingehen. Es gibt einen Grundkonflikt, aufden die Gesetzentwürfe abstellen und der einen Dissensin der Debatte darstellt. Es gibt drei Meinungen. Eine da-von hat sich durchgesetzt; wir haben sie heute zum Teilgehört. Die eine Meinung über das Verhältnis von Parla-ment zu Nachrichtendiensten ist, dass parlamentarische

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Dr. Norbert Röttgen

Kontrolle eigentlich eine Sache der Minderheit ist. Ihrdemokratisches Verständnis, da die Mehrheit gar nichtkontrollbereit sei, sei Kontrolle eine Aufgabe der Min-derheit des Parlamentes, teilen wir nicht. Auch dieMehrheit ist Teil des Parlaments und stellt eine Kontrol-linstanz gegenüber der Exekutive dar. Ihr Demokratie-verständnis entspricht ganz sicher nicht unserem Parla-mentsverständnis.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und derFDP – Hans-Christian Ströbele [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist graue Theo-rie, Herr Kollege!)

Die zweite Haltung, die in dieser Debatte eine Rollespielt – sie ist der Grund, warum Sie in Ihrer Regierungs-zeit nichts bewirkt haben, meine Damen und Herren vonden Grünen –, ist: Je mehr sich Geheimdienste – auchgegenüber dem Parlament – abschotten, desto wirksamersind sie. Auch diese Haltung existiert. An dieser Haltungsind Sie, Herr Ströbele, sieben Jahre gescheitert. DieseHaltung ist ebenfalls falsch. Auch in einem demokrati-schen Rechtsstaat brauchen wir Geheimdienste.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heuchler!)

Geheimdienste sind legitimer Teil des demokratischenRechtsstaates. Aber sie bedürfen der parlamentarischenKontrolle und üben keine kontrollfreie exekutivfreie Tä-tigkeit aus. Das ist unser Verständnis der Nachrichten-dienste.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])

Nachrichtendienste, die sich kontrollfrei abschotteten,würden über kurz oder lang die Legitimation und Akzep-tanz in der Gesellschaft verlieren. Deshalb sind die Kon-trolleure keine Gegner der Nachrichtendienste. Vielmehrkönnen sie die Nachrichtendienste unterstützen. Sie sinddie Bedingung für Akzeptanz und Legitimation derNachrichtendienste im demokratischen Rechtsstaat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich möchte auf die Verfassungsänderung eingehen,die wir beschließen. Der neue Art. 45 d Abs. 1 desGrundgesetzes lautet:

Der Bundestag bestellt einen Ausschuss zur Kon-trolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit desBundes.

Ich stelle fest, dass diese Regelung erfreulicherweiseschon in sprachlicher Hinsicht dem puristischen Duktusdes Grundgesetzes entspricht. Kurz und knapp wird eineAufgabe des Parlamentes definiert. Diese Regelungstellt aber auch einen verfassungspolitischen Fortschrittdar; denn die parlamentarische Kontrolle der Nachrich-tendienste stellt einen Sonderfall im Gesamtsystem derparlamentarischen Kontrolle der Exekutive dar. Sieweist zwei Besonderheiten auf, die man ausgleichenmuss. Eine Besonderheit ist: Wer Nachrichtendienstewill, muss Geheimhaltung und Geheimschutz akzeptie-ren. Das gehört wesenhaft zu Nachrichtendiensten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Das zu bestreiten, heißt, dass man gegen Nachrichten-dienste ist. Aus dieser Besonderheit der parlamentari-schen Kontrolle, die nicht so erfolgen kann wie die übli-che Kontrolle, die auf Öffentlichkeit abzielt, ziehen wiraber nicht die Konsequenz, dass es keine Kontrolle desParlaments geben darf. Vielmehr gibt es ein besonderesGremium, das stellvertretend die Kontrollrechte – nichteiner Minderheit, sondern des gesamten Parlamentes –wahrnimmt. In diesem Gremium sitzen nur einige we-nige Abgeordnete, die das Vertrauen des gesamten Parla-mentes genießen. Darauf ist dieses Gremium angewiesen.Dafür bedarf es der verfassungsrechtlichen Anerken-nung der Besonderheit dieser parlamentarischen Kon-trolle und wirksamer Instrumente, damit das Versprechen,dass diese Abgeordneten stellvertretend parlamentari-sche Kontrolle der Exekutive ausüben, wirklich einge-löst wird.

Ich komme zum Schluss. Der Gesetzentwurf zu denNachrichtendiensten und der Entwurf eines Gesetzes zurÄnderung des Grundgesetzes, die wir vorlegen, beinhal-ten eine Stärkung des Parlaments, eine Stärkung der In-strumente zur Kontrolle der Regierung, eine verfas-sungsrechtliche Absicherung und damit die Legitimationder parlamentarischen Tätigkeit. Darum sind beide Ge-setzentwürfe im Hinblick auf das Selbstverständnis desParlaments, aber auch im Hinblick auf die Gewährleis-tung seiner Funktion, die Regierung zu kontrollieren,gute Gesetzentwürfe. Wir bitten um Zustimmung undfreuen uns darüber – das will ich noch einmal abschlie-ßend bekunden –, dass eine der Oppositionsfraktionen,nämlich die FDP-Fraktion, erklärt hat, dass diesesThema das institutionelle Selbstverständnis betreffe undsie daher keine oppositionelle Haltung einnehme, son-dern konstruktiv und kooperativ mitarbeite. Sie hat ihreVorstellungen eingebracht und umgesetzt. Wir werdendie Gesetzentwürfe mit breiter Mehrheit beschließen,wofür wir uns bedanken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, will

ich darauf hinweisen, dass während der Rede des Kolle-gen Röttgen aus den Reihen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – wenn ich es richtig lokalisiere, war es derKollege Hofreiter – der Begriff „Oberheuchler derCDU“ gefallen ist. Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen, ein solcher Ausdruck hat in der parlamentarischenAuseinandersetzung in unserem Haus keinen Platz.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das war völlig angemessen!)

Ich erteile Ihnen, Herr Kollege, eine Rüge.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Dann aber nach allen Seiten! Solche Worte fal-len auch vonseiten der Union! Das ist eine par-lamentarische Äußerung! So geht das nicht!)

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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

– Wie dieses bewertet wird, ist meine Angelegenheit.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann bitte rügen auf allen Seiten!)

Nun erteile ich zur weiteren Beratung dem KollegenMichael Hartmann für die SPD-Fraktion das Wort.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das ist eine völlig heuchlerische Vorge-hensweise!)

Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Es ist immer ein Privileg, wenn man am Endeeiner Sitzungswoche an einem Freitagnachmittag, wennalle berechtigterweise in ihre Wahlkreise oder nachHause wollen, der Schlussredner vor einer namentlichenAbstimmung sein darf. Der Saal ist immerhin voll, dieZuhörerschaft aber woanders. Ich will dennoch den Ver-such machen, einige Punkte zu ergänzen, die mir in derbisherigen Debatte entweder zu kurz gekommen sindoder die ganz fehlten.

Erstens. Wir haben viel über unsere geheimen Nach-richtendienste geredet, und wir haben viel darüber ge-sprochen, wie relevant, wichtig und notwendig es dochist, diese zu kontrollieren. Wohl wahr. So richtig, wiediese Feststellung ist, ist aber auch die Feststellung rich-tig, die mir bisher gänzlich fehlt, nämlich dass wir mitunseren geheimen Nachrichtendiensten in diesemRechtsstaat ein großes Pfund haben, mit dem wir wu-chern können, um unsere innere und äußere Sicherheitzu gewährleisten. Die Menschen, die dort ihre Arbeit– nicht hoch bezahlt – tun, haben ein Dankeschön ver-dient.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])

Ihnen ist während der letzten Jahre nicht wenig zuge-mutet worden, nicht nur durch Skandalisierungen, diezum Teil von den Diensten selbst zu verantworten wa-ren, ihnen zum Teil aber auch von außen zugeschriebenwurden, sondern auch durch notwendige und unver-meidliche Reformen und organisatorische Umstellun-gen. Ich glaube, dass man all das im Auge haben muss,wenn man über unsere Dienste immer nur so diskutiert,als seien diese ein einziger Verein, der bloß Skandaleproduziert, aber keine Ergebnisse. Wir brauchen inWirklichkeit diese gut funktionierenden Dienste, insbe-sondere unseren geheimen Auslandsnachrichtendienst,den BND, zum Beispiel um in Situationen, wie sie mitt-lerweile gang und gäbe sind, den Schutz von Soldatin-nen und Soldaten unserer Bundeswehr zu ermöglichen,Herr Verteidigungsminister. Das alles soll nicht verges-sen werden, auch nicht in der heutigen Debatte. Ich schi-cke das ausdrücklich vorweg; denn ich glaube, dass dasgenauso wichtig ist wie die Tatsache, dass das Fehlver-halten, das es dort gab und das schon angesprochen wor-den ist, angeprangert wird. Allerdings muss man sich un-gerechtfertigte Kritik nicht gefallen lassen. Nicht jederBeitrag aus der Politik hat nur stabilisierend in denDienst hineingewirkt.

Es ist deshalb gut, dass wir mit dem neuen Gesetzdurch mehr Transparenz und Kontrolle für das Parla-

mentarische Kontrollgremium zur Versachlichung man-cher Debatten beitragen, indem beispielsweise durchmehr Mitarbeiter als bisher, durch eine erweiterte Akten-vorlage, durch Zutrittsrechte, durch Veröffentlichungs-rechte und durch die sogenannte Whistleblower-Rege-lung diese Kontrolle vernünftig ausgeweitet wird.

Insofern verstehe ich nicht, warum Sie, Herr Ströbele,der Sie ja vorhin ausgeführt haben, dass wir unter Rot-Grün einen guten Weg begonnen haben, jetzt nicht sagenkönnen – so sieht die FDP das ja –, dass dieser gute Wegnun weiter beschritten wird und die Kontrolle der Nach-richtendienste in unserem demokratischen Verfassungs-staat weiter verbessert wird. Eigentlich müssten Sie vonder Logik Ihrer eigenen Argumentation her diesem Ge-setz bedingungslos zustimmen, Herr Ströbele.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])

Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt eingehen,der ja in der Debatte eine Rolle gespielt hat. HerrNešković, Sie haben unter anderem bemängelt, dass dievorgesehene Zwei-Drittel-Hürde so sehr binden und dieMöglichkeiten einschränken würde, dass es der faktischallein kontrollierenden Opposition gar nicht möglich sei,eine Kontrolle auszuüben und Rechte gegenüber der Öf-fentlichkeit wahrzunehmen.

Ich bitte Sie, darüber noch einmal einen Momentnachzudenken. Denn zum einen hat der Kollege Röttgensehr richtig ausgeführt, dass auch Regierungsabgeord-nete kontrollierende Abgeordnete sind, und wer die De-batten gerade über dieses Gesetz vor und hinter den Ku-lissen mitbekommen hat, weiß nur zu gut, dass hier einselbstbewusstes Parlament bis in die letzte Sekunde ei-ner ebenfalls selbstbewussten Regierung gegenüber-stand. Schon das ist ein Beleg dafür, dass eine Kontrollemöglich ist.

Ich will aber noch ein anderes Argument anfügen, dasSie vielleicht weniger nachvollziehen können, von demich aber überzeugt bin. Das Parlamentarische Kontroll-gremium ist nicht vergleichbar mit jedem beliebigen an-deren Ausschuss – nicht nur wegen der Sachverhalte, dieda notwendigerweise geheim behandelt werden müssen,sondern noch aus einem ganz anderen Grund. Die Fra-gen, die im Kern berührt werden, das Staatswohl, derSchutz von Leib und Leben, verlangen, dass man eineneigenen Komment in diesem Gremium herausbildet undfeststellt, was geht und was nicht geht.

Das ist ja nun wahrhaftig gerade in dieser Wahlpe-riode geschehen. Der Untersuchungsausschuss ist an dieÖffentlichkeit getreten. Es gab Minderheitenvoten, undes gab auch Rügen, die so deutlich wie nie zuvor in derParlamentsgeschichte auch offenkundig und ruchbarwurden. Das alles, Herr Nešković, ist eben Zeugnis da-für, dass man sich bewusst ist, dass es zwar um die Kon-trolle der Dienste geht, aber nicht etwa um eine Dau-erskandalisierung aller möglichen Sachverhalte odereine permanente Begleitkontrolle der geheim arbeiten-den Nachrichtendienste.

(Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Das hat doch auch niemand behauptet!)

Das kann, darf und wird nicht sein.

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Michael Hartmann (Wackernheim)

Achten Sie doch darauf, dass bei der Kontrolltätigkeitdieser gute Komment weiterhin gewahrt wird – Sie ha-ben ja alle Chancen dazu –, aber achten Sie auch darauf,dass nicht jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf gejagtwird, was es unmöglich macht, dass unsere Diensteüberhaupt noch arbeiten können.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Wenn es so viele Säue sind, mussman sie auch durchtreiben!)

– Herr Ströbele, Sie haben vorhin ja schon dunkle An-deutungen zum Thema Untersuchungsausschuss ge-macht. Das Parlamentarische Kontrollgremium hatte zuallen Sachverhalten, mit denen sich der Untersuchungs-ausschuss befasst hat, Feststellungen getroffen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch!)

Wissen Sie was? – Der Untersuchungsausschuss hat mitseinen weiterreichenden Mitteln keinen Deut mehr he-rausgearbeitet als das Parlamentarische Kontrollgre-mium.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch! Das ist falsch!)

Was ist eigentlich Ziel Ihrer Kritik? – Das Parlamen-tarische Kontrollgremium, weil es so gut war, oder derUntersuchungsausschuss, weil er nicht gut genugwar? Vielleicht liegt die Wahrheit darin: Es ist nichtsdran an all diesen Skandalen, die Sie permanent unter-stellen.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. Dermüssen Sie sich wohl oder übel stellen.

Ich würde mir wünschen, dass die Regierung keineAngst vor dem Parlament hat, das jetzt und in Zukunftsouverän, aber auch staatsbewusst kontrollieren wird,und ich würde mir wünschen, dass manche Seite desHauses keine Angst vor Nachrichtendiensten hat, die ineinem demokratischen Rechtsstaat ihre Pflicht tun, undvor allem, meine Damen und Herren von den Grünenund noch mehr den Linken, dass in einem demokrati-schen Rechsstaat manche Seite keine Angst vor Wortenwie „Staatswohl“ und „Staatsräson“ hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von denFraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachtenGesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes;Art. 45 d. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 sei-ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13220, denGesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD undFDP auf Drucksache 16/12412 in der Ausschussfassunganzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DieLinke vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmtfür den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13234? –Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsan-trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, derFDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünengegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmender Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge-genstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen undEnthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Wir kommen zur dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zurAnnahme des Gesetzentwurfs die Mehrheit von zweiDritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages er-forderlich ist. Das sind mindestens 408 Stimmen.

Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlan-gen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP na-mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-führer, ihre Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnenbesetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstim-mung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-führer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zubeginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmungwird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten,Platz zu nehmen, damit die Lage für mich übersichtli-cher wird; wir haben noch eine Reihe von Abstimmun-gen durchzuführen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von denFraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachtenGesetzentwurf zur Fortentwicklung der parlamentari-schen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes. DerInnenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/13220, den Gesetzent-wurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP aufDrucksache 16/12411 in der Ausschussfassung anzuneh-men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmender Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge-genstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen undder Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie beider zweiten Lesung angenommen.

1) Ergebnis Seite 24910 C

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24908 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009

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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des In-nenausschusses zu dem Gesetzentwurf der Fraktion derFDP zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes. DerInnenausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/13220, den Gesetzent-wurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1163 fürerledigt zu erklären. Auch über diese Beschlussempfeh-lung müssen wir abstimmen. Wer also dieser Beschluss-empfehlung zustimmen will, den bitte ich um das Hand-zeichen. – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? –Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmi g ange-nommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verbesse-rung der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienstesowie eines Informationszugangsrechts. Der Innenaus-schuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 16/13220, den Gesetzentwurf der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12189abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dage-gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit inzweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-tionen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung derFraktion der FDP gegen die Stimmen der FraktionBündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nachunserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion DieLinke zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes. DerInnenausschuss empfiehlt unter Nr. 5 seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/13220, den Gesetzentwurfder Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12374 abzu-lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dage-gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit inzweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-tionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen derFraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt auch hierdie weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 38 b. Beschlussempfehlung desInnenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linkemit dem Titel: „Überwachung von Abgeordneten durchden Verfassungsschutz beenden“. Der Ausschuss emp-fiehlt unter Nr. 6 seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/13220, den Antrag der Fraktion DieLinke auf Drucksache 16/5455 abzulehnen. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktionbei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenund der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 bauf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-tionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung derzivilrechtlichen Vorschriften des Heimgeset-zes nach der Föderalismusreform

– Drucksache 16/12409 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Neuregelung der zivilrechtlichenVorschriften des Heimgesetzes nach derFöderalismusreform

– Drucksache 16/12882 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend(13. Ausschuss)

– Drucksache 16/13209 –

Berichterstattung:Abgeordnete Markus Grübel Angelika Graf (Rosenheim)Sibylle Laurischk Elke Reinke Britta Haßelmann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An-trag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg,Britta Haßelmann, Nicole Maisch, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN

Betreutes Wohnen für ältere Menschen – Qua-litätskriterium Nutzerorientierung

– Drucksachen 16/12309, 16/13209 –

Berichterstattung:Abgeordnete Markus Grübel Angelika Graf (Rosenheim)Sibylle Laurischk Elke Reinke Britta Haßelmann

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe,Sie sind damit einverstanden. Dann werden wir so ver-fahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Kollegen Markus Grübel für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Markus Grübel (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Durch die Föderalismusreform I, in Kraft ge-treten am 1. September 2006, sind die öffentlich-recht-lichen Zuständigkeiten des Heimrechts, Stichwort„Heimaufsicht“, auf die Länder übergegangen. Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen habeninzwischen Landes-Heimgesetze erlassen.

Dass die Zuständigkeit auf die Länder übergeht, warnicht unstreitig. Auch ich hätte es lieber gesehen, wenndas Heimrecht in Bundesverantwortung geblieben undso einer Rechtszersplitterung vorgebeugt worden wäre.Aber das war Teil eines Kompromisses, wie ihn jederverantwortungsvolle Politiker gelegentlich eingehen

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Markus Grübel

muss, um eine insgesamt gute Sache wie die Föderalis-musreform I auf den Weg zu bringen.

Beim Bund verblieb die Zuständigkeit für den zivil-rechtlichen Teil des Heimrechts. Hier sind insbesonderedie §§ 5 bis 9 und § 14 des jetzigen Heimgesetzes desBundes betroffen. Es ist gut und sachgerecht, dass dasBürgerliche Recht und Nebengesetze beim Bund ver-bleiben – da sind Zuständigkeiten des Bundes gegeben –und zumindest in diesem Bereich keine Rechtszersplitte-rung vorliegt. Auch im Hinblick auf den Verbleib dieserZuständigkeit gab es unterschiedliche Meinungen. Sohaben zwei Bundesländer im Bundesrat eine andereMeinung vertreten. Ich denke aber, diese Diskussion istausgestanden.

Ziel unseres Gesetzes ist mehr Verbraucherschutz fürältere Menschen, für Menschen mit Behinderung und fürpflegebedürftige Menschen; diese Personengruppen sindbesonders schutzwürdig. Es geht aber auch um die Men-schen, die um die älteren, behinderten und pflegebedürf-tigen Menschen herum ihr Leben organisieren müssen.Darum ist es nötig, ein besonderes Gesetz dafür zu machen.Betroffen sind in Deutschland mehr als 700 000 Men-schen in rund 10 000 Heimen, aber auch Menschen, diein anderen Wohnformen, in sogenannten betreutenWohnformen leben.

Auf den ersten Blick sind die zivilrechtlichen Vor-schriften des Heimrechts eine trockene Materie, eineMaterie für Rechtspolitiker. Tatsächlich ist dies ein span-nendes Politikfeld, ein seniorenpolitisches, aber auch ge-sellschaftspolitisches Arbeitsfeld, weil es letztendlichdarum geht, das Wohnen im Alter bzw. Betreuung undPflege zu regeln. Es ist gut, dass die Zuständigkeit beimBundesministerium für Familie, Senioren, Frauen undJugend und damit beim Familienausschuss liegt, weilwir uns mit solchen Themen intensiv befassen.

Ziel dieses Gesetzes ist es, das Heimrecht zu einemmodernen Verbraucherschutzrecht weiterzuentwickeln.Sie merken schon: Die Begrifflichkeiten haben sich ge-ändert. Aus dem „Bewohner“ ist der „Verbraucher“ ge-worden. Auf der anderen Seite steht der Unternehmer.Das klingt kalt, wird aber dem Anliegen des Verbrau-cherschutzes von der Sprache her besser gerecht. Sekto-rales Denken wie „Hier das Heim, dort die anderen Be-treuungs- und Wohnformen“ wird aufgehoben. Dadurch,dass wir nicht mehr am Begriff „Heim“ bzw. an der In-stitution Heim anknüpfen, bedarf es künftig keiner Ex-perimentierklausel mehr. So werden neue Wohnformenmöglich und können in der Praxis weiterentwickelt wer-den, ohne dass das Gesetz angepasst werden muss.

Das Gesetz gilt für volljährige ältere Menschen, fürMenschen mit Behinderung und für pflegebedürftigeMenschen. Das Gesetz gilt dann, wenn Wohnraum über-lassen wird in Verbindung mit Pflege und Betreuung. Esgilt nicht, wenn bei Wohnraumüberlassung nur allge-meine Unterstützungsleistungen erbracht werden, zumBeispiel Hausmeisterdienste, Vermittlungsdienste undÄhnliches.

Spaßeshalber habe ich beim ersten Entwurf gesagt:Wenn wir nicht aufpassen, sind auch die Kollegen, die in

der Bundesschlange wohnen, betroffen und müssenkünftig nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzeinen Vertrag abschließen; denn in der Bundesschlangewerden ja auch gewisse Dienstleistungen – Hausmeister-dienste, Conciergendienste usw. – mitgebucht.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Viele Formen des sogenannten betreuten Wohnensoder Servicewohnens fallen also nicht unter dieses Ge-setz. Das ist gewollt. Entscheidend ist, dass der Verbrau-cher, der Mieter frei ist, die Anbieter zu wählen. DerVerbraucherschutz wird insbesondere dadurch gewähr-leistet, dass vorvertragliche Informationspflichten beste-hen. Die Informationen müssen – bezogen auf die Ziel-gruppe ist das besonders wichtig – leicht verständlichsein, sie müssen Einzelheiten zur Ausstattung und Lageder Räume und des Gebäudes umfassen. Die Leistungenund Entgelte müssen beschrieben werden, es muss ange-geben werden, wie sich Entgelterhöhungen begründen,und das Ergebnis der Qualitätsprüfung nach SGB XImuss enthalten sein.

Diskutiert haben wir auch, ob wir die Tages- undNachtpflege und die Kurzzeitpflege in den Anwen-dungsbereich aufnehmen. Dagegen spricht, dass dieMenschen bei der Tages- und Nachtpflege und der Kurz-zeitpflege in ihre alte vertraute Umgebung entweder täg-lich oder nach gewisser Zeit wieder zurückkehren. Dafürsprechen Gründe des Verbraucherschutzes. Wir habenuns im Ausschuss dafür entschieden, auch diese Gruppein den Schutzbereich aufzunehmen. Aber wir merkenuns das für den Fall, dass wir das Gesetz reformieren.Dann werden wir sehen, ob sich diese Regelung in derPraxis tatsächlich bewährt hat und nötig ist.

Wir stimmen nicht nur über das Gesetz, sondern auchüber einen Antrag der Grünen ab, auf den ich nun kurzeingehen möchte. Durch das moderne Verbraucher-schutzgesetz, also das Wohn- und Betreuungsvertragsge-setz, hat sich der Antrag der Grünen weitgehend erledigt.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl!)

Die anderen gestellten Forderungen beziehen sich aufordnungsrechtliche Maßnahmen. Die diesbezüglichenöffentlich-rechtlichen Bestimmungen sind aber nichtmehr in der Zuständigkeit des Bundes. Von daher ist dieUmsetzung dieses Antrags gar nicht möglich; es seidenn, die Grünen würden gleichzeitig eine Verfassungs-änderung beantragen und dann diese Regelungen alsFolge der Verfassungsänderung wieder in die Zuständig-keit des Bundes übertragen. Daher erfolgt hier die Ab-lehnung.

(Beifall des Abg. Johannes Singhammer [CDU/CSU])

Ich möchte noch einen kurzen Ausblick geben. BeimHeimvertragsrecht haben wir nun nach der Föderalis-musreform I unsere Hausaufgaben gemacht. WichtigeAufgaben bleiben aber im Zusammenhang mit der de-mografischen Entwicklung in Deutschland und dem Äl-terwerden der Gesellschaft. Wir werden im Schnitt jedesJahr um rund drei Monate älter. Das stellt Herausforde-rungen an die Gesellschaft, weil ältere Menschen stärker

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Markus Grübel

pflegebedürftig und in der Beweglichkeit eingeschränktsind.

Wir brauchen zukünftig mehr barrierearmen Wohn-raum in Deutschland, insbesondere dann, wenn die ge-burtenstarken Jahrgänge das betreffende Alter erreichthaben. Wir müssen die Wohnformen weiterentwickeln,die es älteren und behinderten Menschen ermöglichen,in ihrem angestammten Wohnquartier leben und wohnenzu bleiben, am besten in ihren eigenen vier Wänden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Zum Schluss möchte ich mich bei allen Berichterstat-tern, insbesondere bei den Berichterstattern unseres Ko-alitionspartners, Frau Graf und Herrn Spanier, ganzherzlich bedanken. Der Gesetzentwurf ist in sehr sachli-cher Atmosphäre beraten worden. Mein Dank geht auchan unsere Mitarbeiter, die sehr geholfen haben, und andas Familienministerium. Herr Staatssekretär, mit Ihnenund Ihren Mitarbeitern war es wirklich eine sehr ange-nehme und konstruktive Zusammenarbeit.

An den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf hat manauch gesehen, dass das Arbeitsklima in der Großen Ko-

alition zum Wohle der älteren Menschen sehr gut undsehr konstruktiv sein kann. Gestern hat man bei so einemkleinen Foul vermuten können, dass es in der GroßenKoalition Streit gibt. Dieser Gesetzentwurf belegt: Wirkönnen gut miteinander arbeiten, wenn es um das Wohlder Menschen geht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile,

komme ich auf den Tagesordnungspunkt 38 a zurückund gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktio-nen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Änderung des Grund-gesetzes, Art. 45 d – das sind die Drucksachen 16/12412und 16/13220 –, bekannt: abgegebene Stimmen 528. MitJa haben gestimmt 445, mit Nein 54. Es gab 29 Enthal-tungen. Der Gesetzentwurf ist mit der erforderlichenMehrheit angenommen.

(D)

Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 528;davon

ja: 445nein: 54enthalten: 29

Ja

CDU/CSU

Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee BärThomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck

(Reutlingen) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Börnsen

(Bönstrup) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe

Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus CaesarGitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander DobrindtThomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan EiselAnke Eymer (Lübeck) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg

Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Christian HirteRobert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-

Schwenningen) Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler

(Wiesbaden) Manfred Kolbe Norbert Königshofen

Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Helmut LampKatharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Dr. Michael Luther Thomas MahlbergStephan Mayer (Altötting) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Laurenz Meyer (Hamm) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Carsten Müller

(Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald

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(A) (C)

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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht (Weiden) Peter Rzepka Anita Schäfer (Saalstadt) Hermann-Josef ScharfHartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Andreas Schmidt (Mülheim)Ingo Schmitt (Berlin) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion SeibBernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes SinghammerJens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus StreblThomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael StübgenHans Peter ThulAntje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold VaatzVolkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai WegnerMarcus Weinberg Peter Weiß (Emmendingen) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch

Willy Wimmer (Neuss) Elisabeth Winkelmeier-

Becker Werner WittlichDagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew

SPD

Dr. Lale Akgün Gregor Amann Dr. h. c. Gerd Andres Rainer Arnold Ernst Bahr (Neuruppin) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding (Heidelberg) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann

(Hildesheim) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg

Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann

(Wackernheim) Nina Hauer Dr. Reinhold HemkerRolf Hempelmann Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz (Essen) Gerd Höfer Iris Hoffmann (Wismar) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva HöglEike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung (Karlsruhe) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Astrid Klug Walter Kolbow Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller (Chemnitz) Michael Müller (Düsseldorf) Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dr. Erika Ober Thomas Oppermann Heinz Paula

Johannes Pflug Joachim Poß Christoph PriesDr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche (Cottbus) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel Riemann-

Hanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Ortwin Runde Marlene Rupprecht

(Tuchenbach) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Dr. Hermann ScheerMarianne Schieder Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Renate Schmidt (Nürnberg) Heinz Schmitt (Landau) Carsten Schneider (Erfurt) Olaf Scholz Reinhard Schultz

(Everswinkel) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter SteineckeAndreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen

(Wiesloch) Hildegard WesterLydia Westrich Dr. Margrit Wetzel

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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff

(Wolmirstedt) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries

FDP

Dr. Karl AddicksDaniel Bahr (Münster)Uwe BarthAngelika Brunkhorst Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich (Bayreuth) Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Markus Löning Dr. Erwin LotterPatrick Meinhardt Jan Mücke

Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto

(Frankfurt) Detlef Parr Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Nein

DIE LINKE

Eva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenHeike HänselLutz HeilmannCornelia HirschInge HögerDr. Barbara HöllUlla JelpkeJan KorteDr. Gesine LötzschDorothée MenznerPetra PauElke ReinkeDr. Petra SitteDr. Kirsten Tackmann

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Marieluise Beck (Bremen) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina HerlitziusWinfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei Brigitte Pothmer Krista Sager Manuel SarrazinElisabeth Scharfenberg Christine ScheelIrmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang Strengmann-

KuhnHans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe

Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler

Enthalten

SPD

Markus Meckel Otto Schily

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Martina BungeDr. Diether DehmWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstDiana GolzeDr. Gregor GysiDr. Lukrezia JochimsenDr. Hakki KeskinKatja KippingMonika KnocheOskar LafontaineUlla LötzerUlrich MaurerWolfgang NeškovićDr. Norman PaechBodo RamelowPaul Schäfer (Köln)Volker Schneider

(Saarbrücken)Dr. Herbert SchuiDr. Ilja SeifertFrank SpiethDr. Axel TroostAlexander UlrichJörn WunderlichSabine Zimmermann

Wir kommen zurück zur Debatte. Die KolleginSibylle Laurischk hat ihre Rede zu Protokoll gegeben1),sodass ich nun der Kollegin Angelika Graf für die SPD-Fraktion das Wort erteile.

Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Grübel hat es eben schon dargestellt: Die Verlage-rung des Heimrechts auf die Länder im Jahre 2006 warsehr umstritten, nicht nur innerhalb der SPD-Fraktion,sondern auch – das denke ich – bei der CDU/CSU-Frak-tion.

(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Vor allen Din-gen im richtigen Leben!)

Wir gleichen nun die beim Bund verbliebenen zivil-rechtlichen Regelungen des ehemaligen Heimrechts derneuen Rechtslage und den modernen Wohnformen an,die veränderte Bedürfnisse bei den Verbraucherinnenund Verbrauchern auch bezüglich der rechtlichen Rege-lungen hervorgerufen haben.

1) Anlage 19

Die neuen rechtlichen Regelungen betreffen also – ichmöchte das ausdrücklich sagen – nicht das Ordnungs-recht mit seinen Vorgaben zur Qualität der Unterbrin-gung, zu Heimbeiräten etc., sondern allein die vertragli-chen Rahmenbedingungen. Obwohl der Bund immer dieKompetenz für das Heimvertragsrecht beansprucht hat,haben einige Bundesländer – das hat wohl auch damitetwas zu tun, dass dieses Thema lange im Ministeriumliegen geblieben ist – inzwischen eigene Heimgesetzebeschlossen, welche zum Teil auch zivilrechtliche Rege-lungen enthalten. Andere Länder basteln gerade daranherum. Wenn wir weiter zugeschaut hätten, dann würdees wohl nicht nur einen heimrechtlichen Flickenteppichfür die Verbraucherinnen und Verbraucher geben. Viel-mehr wäre aus diesem heimrechtlichen Flickenteppichein undurchschaubares Gestrüpp bezüglich aller vertrag-lichen Regelungen entstanden. Es war überfällig, dassdie Bundesseite Verbrauchern und Unternehmern ein-heitliche zivilrechtliche Regelungen vorlegt.

In den letzten Wochen haben wir diesen Entwurf invielen Gesprächsrunden und auch im Rahmen einer Aus-schussanhörung trotz des Zeitdrucks intensiv auf seinePraktikabilität und seine Schwachpunkte abgeklopft.Wir haben wenige Schwachpunkte gefunden.

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Angelika Graf (Rosenheim)

(Lachen des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE])

Diejenigen, die wir gefunden haben, haben wir zu verän-dern versucht.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Sachverstän-digen, den Verbänden, den Verbraucherschützern, denVertretern von Einrichtungen, die an der Anhörung teil-genommen haben, sowie insbesondere beim Koalitions-partner und den Mitarbeitern der beteiligten Ministerienfür die gute Kooperation.

(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD])

Das Ergebnis der Mühen ist ein Verbraucherschutzge-setz – Herr Grübel hat es schon dargestellt –, das älterenMenschen, pflege- und betreuungsdürftigen Personensowie behinderten Volljährigen einen besonderen Ver-braucherschutz – auch bei den neuen betreuten Wohn-formen – einräumt. Durch das WBVG erhalten diesePersonengruppen und die jeweiligen Anbieter eine bun-deseinheitliche vertragliche Grundlage.

Ziel unseres Gesetzes ist es, die Selbstständigkeit unddie Selbstbestimmung auch bei besonderem Hilfebedarfzu sichern und dazu beizutragen, dass diese Personen-gruppe selbstständig den Alltag meistern und selbstbe-stimmt Entscheidungen bezüglich ihrer Unterbringungund der benötigten Leistungen treffen kann. Das wirdnicht in allen Fällen möglich sein; aber der Gesetzent-wurf ist zumindest ein Beitrag für mehr selbstständigeTeilhabe, da er durch die Festlegung der rechtlichenRahmenbedingungen Rechtssicherheit gewährt.

Ich bin froh, dass wir in den parlamentarischen Bera-tungen die Formulierungen hinsichtlich des Anwendungs-bereiches weiter konkretisiert haben. Herr Grübel hatschon darauf hingewiesen: Die Bereitstellung einesHausmeisters fällt nicht unter die vertragsrechtlichenRegelungen. Auch die Einrichtung eines Notrufknopfesin der Wohnung verpflichtet nicht zur Unterzeichnungeines solchen Vertrages. Wer allerdings in einer Einrich-tung wohnt und auf Pflegedienste zurückgreift – undwenn diese miteinander verbunden sind –, muss recht-lich über einen entsprechend transparenten Vertrag abge-sichert sein. Herr Grübel, wenn Sie in der „Bundes-schlange“ solche Dienstleistungen anmieten und einesolche Kombination gegeben ist, dann, denke ich, findetdas Heimvertragsrecht auch im Falle der „Bundes-schlange“ Anwendung.

(Beifall der Abg. Caren Marks [SPD])

Die SPD hat sich zudem dafür eingesetzt, dass dieEinrichtungen nicht holterdiepolter über die Sommer-ferien neue Verträge vorlegen müssen, und hat deswegendas Inkrafttreten nach hinten verschieben können.

Wir werden das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzweiterhin begleiten und haben aufgrund der Schnittstel-len mit dem SGB XI und dem SGB XII Anregungen ausder Anhörung zu möglichen Veränderungen, zum Bei-spiel zu Ausnahmen für die Tag- und Nachtpflege, dieKurzzeitpflege oder für suchtkranke Personen, auf derAgenda, die in der Kürze der Zeit nicht durchgesetztwerden konnten.

Doch heute freue ich mich, dass wir nun ein bundes-einheitliches Heimvertragsrecht verabschieden könnenund der Bundesgesetzgeber im Interesse der Verbrauche-rinnen und Verbraucher seine Rechte wahrt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Ilja Seifert für die

Fraktion Die Linke.

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wer von Ihnen möchte denngern im Heim leben? – Das ist übersichtlich: offensicht-lich niemand. Das kann ich auch verstehen. Aber wiesodenn eigentlich nicht nach diesem tollen Gesetz? – Im-mer noch nicht? Das kann ich immer noch verstehen.Denn wenn die wichtigste Veränderung darin besteht,dass man künftig nicht mehr Bewohner oder Bewohne-rin ist, sondern Verbraucher, dann ist das wirklich einbisschen schwach.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sollten Sie mal lesen!)

Die wirklichen Probleme von Menschen, die auf Pflege,Hilfe und Assistenz angewiesen sind, ob im Alter oderwegen Behinderung, werden mit diesem Gesetz bedau-erlicherweise nicht gelöst.

Unabhängig davon verkenne ich nicht, dass es not-wendig ist, bestimmte Regelungen zu treffen. Das liegtaber daran, dass Sie vor drei Jahren das Heimrecht weit-gehend in die Länderhoheit gegeben haben und sichheute wundern, dass Sie nichts mehr zu sagen haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben damals schon davor gewarnt und gesagt, dassdies falsch sei. Nun hat Herr Struck zumindest in einemanderen Zusammenhang einmal gesagt, dass bei derFöderalismusreform I einige Fehler begangen wordenseien. Hier ist ein weiterer. Jetzt müssen wir retten, waszu retten ist.

Wie gesagt, die Föderalismusreform war vor drei Jah-ren. Daher finde ich es erstaunlich, dass die SPD-Frak-tion jetzt sagt, in der Kürze der zur Verfügung stehendenBeratungszeit hätten die erforderlichen Veränderungennicht mehr ausgearbeitet werden können. Drei Jahre sindreichlich Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen; wir müs-sen schon einmal die Kirche im Dorf lassen. Sie wissenso lange wie ich, welche Probleme auf der Tagesordnungstehen, und Sie hätten so lange wie wir die Zeit gehabt,die Beamten im Ministerium damit zu beauftragen, ent-sprechende Texte auszuarbeiten. Diese Ausrede hilft denBetroffenen wirklich nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Maßstab auch für dieses Gesetz muss die UN-Konvention über die Rechte für Menschen mit Behinde-rungen sein, die inzwischen innerstaatlich geltendesRecht ist. Dort steht zum Beispiel in Art. 19, dass nie-

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Dr. Ilja Seifert

mand gezwungen werden darf, gegen seinen Willen mitjemandem, den er nicht kennt oder nicht mag, ein Zim-mer zu teilen.

Was haben wir denn jetzt wirklich erreicht? Was ha-ben die Verbraucherinnen und Verbraucher künftig fürtolle Rechte? Sie haben immer noch keinen eigenenSchlüssel. Angesichts dessen braucht man nicht mehrvon Selbstbestimmung zu reden.

(Markus Grübel [CDU/CSU]: Wer sagt denn so was?)

Sie haben immer noch nicht das ausdrückliche Recht aufgeschlechtergleiche Assistenz und Pflege. Sie haben im-mer noch keine vernünftige Regelung, aufgrund derersie selbst bestimmen könnten, welches Haustier sie ha-ben möchten. Bitte schön, wenn wir von Selbstbestim-mung und von den Bedürfnissen der Menschen reden,dann ist dies etwas, was man niemandem verwehrensollte. Es gibt noch nicht einmal ein uneingeschränktesBesuchsrecht. Wenn ich irgendwo wohne und mir nichtaussuchen kann, wer mich wann und wie lange besucht,dann hat dies mit Selbstbestimmung nicht viel zu tun,liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich sage ausdrücklich, dass Regelungen sein müssen.Der jetzige Zustand ist unhaltbar. Insofern werden wirnicht gegen Ihr Gesetz stimmen, obwohl wir so vieleKritikpunkte haben, sondern wir werden uns der Stimmeenthalten. Damit bringen wir ganz klar zum Ausdruck,dass wir nicht den Weg verwehren, bestimmte notwen-dige Regelungen zu schaffen. Aber ein Beitrag zu demin Ihrem eigenen Koalitionsvertrag versprochenen Para-digmenwechsel ist dieses Gesetz nicht.

(Christel Humme [SPD]: Das soll es auch nicht sein!)

Insofern gehört es zum Ende der Legislaturperiode nichtauf die Haben-, sondern auf die Negativseite Ihrer Bi-lanz. Es tut mir leid, dass man das so sagen muss.

Ich hoffe, dass die Menschen eines Tages auf dieFrage „Möchten Sie in einer Wohnung oder in einemZimmer wohnen, das unter das Heimgesetz fällt?“ sa-gen: Ja, davor habe ich keine Angst mehr. Momentanwollen dies weder Sie noch ich noch vermutlich irgend-jemand auf der Tribüne. Das müssen wir wirklich än-dern.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe,dass Sie diese Dinge demnächst wirklich einmal berück-sichtigen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Elisabeth

Scharfenberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des

Heimgesetzes verspricht uns ein wahres Reformfeuer-werk. Es verspricht uns ein Umdenken gegenüber der al-ten Regelung. Je genauer wir hinschauen, desto klarerwird uns aber, dass das ein Scheinriese ist; denn es istbeim Versuch geblieben, den Verbraucherschutz in diealte Systematik einfließen zu lassen. Die Koalition ver-säumt somit einen wichtigen Schritt hinsichtlich der um-fassenden Schutzstellung von Verbraucherinnen undVerbrauchern in ähnlichen Wohn- und Betreuungsfor-men, im sogenannten betreuten Wohnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Versäumt hat die Große Koalition auch den richtigenZeitpunkt; das wurde eben erwähnt. Viele Bundesländerhaben ihre Hausaufgaben schon lange gemacht.

(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Eben nicht! Das stimmt nicht!)

Sie haben die ihnen zugeteilte ordnungsrechtliche Rege-lungsrolle nach der Föderalismusreform wesentlichschneller umgesetzt als die Bundesregierung. Dadurchkam es hier zu unschönen Überschneidungen, zu Über-regulierungen und zu Unstimmigkeiten. Wir haben die-ses Dilemma bei der Föderalisierung des Heimgesetzesprophezeit und – leider – recht behalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Große Koalition hat zudem die Zeichen der Zeitnicht erkannt. Das Gesetz ist von seiner Denkweisenichts weiter als ein lauwarmer Aufguss des alten Heim-gesetzes.

(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Richtig!)

Das ist uns Grünen nicht genug. Wir fordern die stärkereDurchlässigkeit und die Verschränkung der unterschied-lichen Bereiche.

Wir müssen für die Zukunft in neuen Dimensionendenken. Das ist gerade im Hinblick auf den sich verän-dernden Bedarf und das neue Selbstverständnis von Äl-teren und von Menschen mit Behinderung ganz beson-ders wichtig. Es ist doch klar: Wir wollen keineÜberregulierung von alternativen und sich neu entwi-ckelnden Wohnformen. Was wir wollen, ist Verbraucher-schutz für all diejenigen, die einen erhöhten Hilfe- undBetreuungsbedarf haben. Das trifft auch auf die Klienteldes sogenannten betreuten Wohnens zu.

(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Genau! Das leistet dieses Gesetz!)

Wir alle hier wissen doch: Die Inhalte der Angebote,zum Beispiel beim betreuten Wohnen, sind häufig völligunklar. Warum schaffen Sie als Große Koalition nichtdie notwendige Klarheit für die Verbraucherinnen undVerbraucher? Wir sollten die Drohgebärde der Unterneh-mer vom Ausstieg aus dem Segment „Betreutes Woh-nen“ ignorieren. Glauben Sie mir, dieser Bereich ist äu-ßerst attraktiv und verspricht in den nächsten Jahren eindeutliches Wachstum. An Ausstieg denkt hier im Unter-nehmerbereich wirklich kein Mensch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Elisabeth Scharfenberg

Uns sollte es um die Menschen gehen, die in die Irregeführt werden. Oft genug versprechen Angebote eineBetreuung, halten dieses Versprechen aber nicht.

(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Vorver-tragliche Informationspflicht!)

Stellen Sie sich doch einmal vor: Sie sind 79 Jahre alt.Sie wohnen alleine. Sie bemerken, es ist keiner für Sieda, ansprechbar, wenn Sie im Krankheitsfall Unterstüt-zung brauchen. Sie treffen den Entschluss zum Umzugin eine geeignete, altengerechte Wohnform. Sie stellensich vor, dass das der letzte Umzug in Ihrem Leben ist.Damit stellt sich für Sie die Frage: Wohin? BetreutesWohnen klingt gut. Da scheint es Wohnen mit Betreuungzu geben, und genau das suchen Sie doch eigentlich. DerVertrag ist schnell unterzeichnet. Fragen stellen Sie viel-leicht einige, aber es waren, wie sich nach dem Umzugzeigt, nicht die richtigen oder zu wenige Fragen. Die ver-meintliche Betreuung gibt es gar nicht, und wenn doch,dann nur gegen Zahlung einer meist teuren Zusatzpau-schale. Aber nun sind Sie einmal umgezogen und kön-nen nicht mehr zurück. Noch dazu bemerken Sie beiEintritt der Pflegebedürftigkeit, dass Sie hier nicht blei-ben können und dürfen. Ein erneuter Umzug steht an.Gesagt hat Ihnen das vor Einzug niemand, aber viel-leicht stand das ja im unverständlichen Kleingedruckten.

Sie sehen die Problematik, und das ist kein Einzelfall.Das war für uns Veranlassung, unseren Antrag zu stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Anbieter und Verbraucherinnen und Verbraucher assozi-ieren etwas völlig Unterschiedliches mit der Wohnform„betreutes Wohnen“. Das Einzugsalter liegt derzeit zwi-schen 75 und 79 Jahren, Tendenz steigend. Die gesund-heitliche Einschränkungen in dieser Gruppe sind deut-lich erhöht: 70 Prozent der Menschen, die betreutesWohnen in Anspruch nehmen, gelten als chronisch krankund 70 Prozent als eingeschränkt mobil. Das zeigt unsdoch ganz klar, dass hier ein erhöhter Hilfe- und Schutz-bedarf vorhanden ist. Der Markt ist vollkommen un-durchsichtig. Wegen mangelnder Mindeststandards kön-nen Angebote kaum miteinander verglichen werden. Dasschwächt die Rolle der Verbraucherinnen und Verbrau-cher. Die älteren Menschen müssen selbst zusehen, wiesie an verfügbare Informationen kommen, sofern ein Zu-griff darauf überhaupt möglich ist.

Die Verbraucher haben einen Anspruch auf Informa-tion vor Vertragsabschluss; das ist übrigens ein Zitat derCDU/CSU.

(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Das steht auch im Gesetz!)

Aber leider gilt dieser Anspruch bei der Großen Koali-tion nur begrenzt. Es besteht dringender Handlungsbe-darf. Das ist durch die Anhörung, durch Äußerungen vonVertretern des Verbraucherschutzes nur noch deutlichergeworden.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit?

Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Ich komme zum Ende.

Wir Grünen fordern einen Verbraucherschutz, der aufden Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher – undnicht auf den der Unternehmer – abzielt. Die diesbezüg-liche Änderung des Referentenentwurfs war das falscheZeichen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Spanier für

die SPD-Fraktion.

Wolfgang Spanier (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut und richtig, dasswir heute diese Debatte führen, aber noch wichtiger ist,dass wir die Debatte zu den richtigen Themen führen.Bei allem Verständnis für vieles von dem, was Sie hiergesagt haben, Herr Dr. Seifert: In Ihren Ausführungenging es um etwas ganz anderes, nämlich um Standardsund Qualitätsanforderungen, und die werden nun einmalim ordnungsrechtlichen Bereich geregelt, für den derBund nicht zuständig ist. Wir müssen das zur Kenntnisnehmen.

(Zuruf von der LINKEN)

Viele Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker aus mehre-ren Fraktionen haben damals Einsprüche gegen dieÜbertragung dieses Verantwortungsbereichs eingelegt,aber alle 16 Bundesländer waren sich einig, ganz unab-hängig von den jeweiligen Koalitionen in den Bundes-ländern. Auch Nordrhein-Westfalen, Frau Scharfenberg,Frau Haßelmann, das damals noch eine rot-grüne Regie-rung hatte, war dafür. Das muss man noch einmal erklä-ren, damit hier nicht Legenden gesponnen und überflüs-sige und falsche Schuldzuweisungen ausgesprochenwerden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen mit diesem Faktum umgehen. Deswegenist es richtig und notwendig, dass wir den schmalen Be-reich, in dem es nur um die zivilrechtliche Regelung desVertragsrechts geht, inhaltlich ausfüllen. Das haben übri-gens, Frau Scharfenberg, die Verbraucherschutzver-bände durchaus bestätigt. Selbstverständlich gab es kriti-sche Anmerkungen zu dem einen oder anderen Detail.

Um auf das von Ihnen angeführte Beispiel „betreutesWohnen“ zu kommen: Wenn es um die Überlassung vonWohnraum plus Pflege- und Betreuungsleistungen geht,dann gelten die Grundsätze für die Vertragsregelung, diewir jetzt gleich beschließen werden. Das ist damit abge-deckt, und das ist auch gut so. Natürlich gibt es Wohn-formen – die Begriffe sind häufig unklar: betreutes Woh-nen, Service-Wohnen –, bei denen nur unterstützendeHaushaltsdienstleistungen angeboten werden, zum Bei-spiel Putzhilfe, wo von Pflege und Betreuung im eigent-

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Wolfgang Spanier

lichen Sinne überhaupt nicht die Rede ist. Dass auch insolchen Fällen, in denen es nur um reine Haushalts-dienstleistungen geht, diese heimvertraglichen Regelun-gen gelten müssen, halten wir für überflüssig. Die Berei-che sind manchmal schwierig abzugrenzen – das will ichgerne einräumen –,

(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Das ist sehr schwierig abzugren-zen!)

aber in dem entscheidenden Bereich, wo beides zusam-menkommt, die Überlassung von Wohnraum plusPflege- und Betreuungsleistungen, und die Gefahr einerdoppelten Abhängigkeit besteht, greift diese Regelung,die wir heute beschließen.

Alle Sachverständigen und einschlägigen Verbändeund Organisationen haben uns ausdrücklich bestätigt,dass hier ein vernünftiger Gesetzentwurf zustande ge-kommen ist. Das entscheidende Ziel war, mehr Informa-tion und mehr Transparenz zu erreichen. Dieses Zielwird durchaus erreicht. Dies geht auch einher mit dergrundsätzlichen Anforderung der Selbstbestimmung,Herr Dr. Seifert, aber nur in diesem schmalen Bereich.Es gibt andere – ich gebe gerne zu: viel wichtigere – Be-reiche, in denen wir das noch durchsetzen müssen. Aberdas ist doch kein Grund, gegen dieses Gesetz, das nurdiesen schmalen Bereich regelt, zu argumentieren undihm möglicherweise sogar nicht zuzustimmen. Das istüberhaupt nicht nachvollziehbar.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])

Meine Damen und Herren, auch wenn wir es heute inparlamentarischer Routine abhandeln, ist es schon einbedeutsames Gesetz. Es betrifft – Herr Grübel hat dieZahl vorhin genannt – etwa 700 000 Menschen, unddiese Zahl wird wachsen. Es ist wahrscheinlich nicht nurin unserem heimischen Ostwestfalen so, dass die Zahlder Hochbetagten, der über 80-Jährigen, bis 2020 um20 Prozent steigen wird. Das heißt, immer mehr Men-schen kommen in die Situation „Wohnen plus Pflege-und Betreuungsleistungen“. Deshalb ist es ganz wichtig,dass hier endlich die Informationspflichten verstärktwerden, der Status als Verbraucher betont wird und derVerbraucherschutz ein deutlich höheres Gewicht be-kommt.

Lassen Sie mich zum Schluss Folgendes sagen: Ganzwichtig ist, dass dieses Gesetz die Vielfalt der Wohnfor-men im Alter – ich weiß, wovon ich rede – nicht behin-dert, sondern stärkt. Ich bin aber ganz sicher: Auch die-ses Gesetz ist nicht für die Ewigkeit gemacht. Auch hierwird man die rasante Entwicklung der nächsten Jahre be-obachten müssen. Ich hoffe, dass dieses Gesetz dannwieder auf den Prüfstand kommt und an die gesellschaft-liche Wirklichkeit angepasst wird.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst imRahmen des Tagesordnungspunktes 39 a über den vonden Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrach-ten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der zivil-rechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Fö-deralismusreform. Der Ausschuss für Familie, Senioren,Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 16/13209, denGesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und derSPD auf Drucksache 16/12409 in der Ausschussfassunganzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, umdas Handzeichen. Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktionbei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenund Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wiebei der zweiten Beratung angenommen.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zudem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei-nes Gesetzes zur Neuregelung der zivilrechtlichen Vor-schriften des Heimgesetzes nach der Föderalismus-reform. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe bseiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13209,den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-sache 16/12882 für erledigt zu erklären. Gleichwohlmüssen wir über diese Beschlussempfehlung abstim-men. Wer ist dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthal-tungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit einstim-mig angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 39 b. Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Betreutes Wohnenfür ältere Menschen – Qualitätskriterium Nutzerorientie-rung“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c sei-ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13209, denAntrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-sache 16/12309 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-gen? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktionbei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenund der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 40 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Kultur und Medien(22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-ten Christoph Waitz, Hans-Joachim Otto (Frank-furt), Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDP

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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Bundesminis-terien, Bundesbehörden und Bundestag ent-tarnen – Aufarbeitung des Stasi-Unrechts stär-ken

– Drucksachen 16/9803, 16/12982 –

Berichterstattung:Abgeordnete Maria Michalk Dr. h. c. Wolfgang Thierse Christoph Waitz Dr. Lukrezia Jochimsen Katrin Göring-Eckardt

Für die Beratung ist interfraktionell eine halbe Stundevereinbart. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dannist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin der Kollegin Maria Michalk für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Maria Michalk (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Vor fast einem Jahr, am 25. Juni 2008, hat dieFDP den Antrag gestellt, der die Überschrift trägt: „Inof-fizielle Stasi-Mitarbeiter in Bundesministerien, Bundes-behörden und Bundestag enttarnen – Aufarbeitung desStasi-Unrechts stärken“. In der ersten Lesung zu diesemAntrag, am 17. Oktober letzten Jahres, habe ich für dieCDU/CSU-Bundestagsfraktion erklärt, dass das in derÜberschrift des Antrages erklärte Ziel richtig ist und vonuns voll unterstützt wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Überschrift stimmt!)

Das gilt nach wie vor und bleibt ein Auftrag für die Zu-kunft. Die Überschrift ist in Ordnung. Sie ist quasi einMotto, das Sie auch überall in unseren Programmen fin-den.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN])

Im Rahmen der Diskussion über die Forschreibungdes Gedenkstättenkonzeptes des Bundes haben wir, dieKoalition, Erfolge, aber auch Defizite erkannt, aufge-nommen und festgeschrieben. Jetzt kommt es auf dieUmsetzung an. Da sind alle gefragt: Politik auf allenEbenen, Medien, Schulen, Zeitzeugen und die Wissen-schaft. Besser wäre auch, die Täter sagten selbst, waswar, und ließen sich nicht immer von Gerichten oder derÖffentlichkeit die notwendigen Informationen aus derNase ziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Aber das wird wohl eine Hoffnung bleiben.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Hartnäckig sein!)

Dass die Aufarbeitung intensiver werden muss undeine Zukunftsaufgabe bleibt, die wir ernsthaft betreiben,wird zum Beispiel durch die Novellierung des Stasi-Un-terlagen-Gesetzes verdeutlicht. Die Pflicht zur Überprü-fung herausgehobener Persönlichkeiten des öffentlichenLebens ist weiterhin gesetzlich geregelt. Wir werden inder nächsten Wahlperiode sicherlich die Frage zu beant-worten haben, was nach dem Jahr 2011 passieren soll.

Wenn es die FDP mit ihrer in Punkt 5 erhobenenForderung hinsichtlich einer flexibleren Regelung zurÜberprüfung der Stasimitarbeit von Beamten und An-gestellten der Bundesministerien und nachgeordnetenBundesbehörden im Sinne einer Verdachtsprüfung ernstmeint, dann bin ich auf den konkreten Vorschlag derFDP zur Ausgestaltung dieser Regelung gespannt. Es istja nur eine Absicht. Aus den vergegangenen sieben No-vellen zum Stasi-Unterlagen-Gesetz ist mir keine einzigeInitiative der FDP in dieser Richtung in Erinnerung, eherumgekehrt.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wir müssen uns nichts vorwerfen lassen!)

Die Ernsthaftigkeit der Aufarbeitung in der CDU/CSU-Fraktion wird unter anderem durch unsere Hartnä-ckigkeit bei der gesetzlichen Gestaltung der Opferrenteverdeutlicht. Wir waren es, die Täter und Opfer immerwieder in Relation gesetzt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Schlussstrich unter die Aufarbeitungsdebattekommt für uns also nicht infrage.

(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])

Das lassen wir uns auch von niemandem unterstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dafür setzen sich unsere Vertreter in den entsprechendenGremien ein, zum Beispiel im Beirat der Birthler-Be-hörde und bei der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Gerade ist der neue Bildungskatalog erschienen. DieMaterialien für die schulische und außerschulische Bil-dungsarbeit werden immer besser und vollständiger; siemüssen aber auch genutzt werden.

Der Vollständigkeit halber erwähne ich auch die Re-gelung zur Überprüfung von uns Bundestagsabgeordne-ten, die auf der Grundlage einer persönlichen Einwilli-gung erfolgt. In einer für jedermann zugänglichenDrucksache des Deutschen Bundestages wird das Ergeb-nis veröffentlicht. Wir sorgen für Transparenz. Ich emp-fehle allen, einen Blick in die veröffentlichten Ergeb-nisse der Überprüfung der Abgeordneten der letztenbeiden Legislaturperioden zu werfen. Will man dieÜberprüfung aller ehemaligen Abgeordneten erreichen,wie es vorgeschlagen ist, muss die persönliche Einwilli-gung eingeholt werden. Auch die FDP kann sich in die-ser Frage nicht über die Grundsätze des Bundesverwal-tungsgerichtes hinwegsetzen.

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Maria Michalk

Heute blicken wir auf beinahe 19 Jahre Aufarbei-tungsgeschichte zurück. Vieles ist gut gelungen; dieszeigt zum Beispiel der jüngst vorgestellte Neunte Tätig-keitsbericht der Bundesbeauftragten. Nach wie vor gibtes ein intensives Interesse, persönlich Akteneinsicht zunehmen. Ich will hier offen meinen Wunsch ausspre-chen, dass die Menschen in unserem Land den Mut fin-den, in ihre Akte zu schauen, weil manchmal nur durchQuerverbindungen und das eigene Erinnern und Wissenüber eine konkrete Situation etwas zum Vorscheinkommt. So werden Verstrickungen aufgedeckt, von de-nen wir sonst vielleicht nie erfahren würden. Jeder Ein-zelne sollte einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten. Dasgilt auch für Abgeordnete, und zwar aus Ost und West;dafür brauchen wir ihre Einwilligung zur Überprüfung.

Über den FDP-Antrag wurde im Ausschuss diskutiert.Die Hoffnung, dass jetzt noch ein Sonderkündigungs-recht für die Bediensteten der obersten Behörden durch-setzbar ist, hat die FDP offensichtlich selbst nicht. Diesaber wäre die Voraussetzung, um nach einer Prüfungeventuelle Konsequenzen arbeitsrechtlicher Art ziehenzu können.

(Christoph Waitz [FDP]: Es gibt doch auch das Disziplinarrecht!)

Was bleibt, ist das bekannte Dienstrecht, das auch ge-nutzt wird. Insofern bezeichne ich die Forderung derFDP als etwas populistisch.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. VolkerWissing [FDP]: Das war klar! Jetzt bin ichaber enttäuscht!)

Richtig ist die Forderung, die Aktenaufbewahrung,die Aktenaufarbeitung und die unabhängige wissen-schaftliche Arbeit zu verstärken. Hätten wir als CDU/CSU kein Interesse daran, würden wir zum Beispielnicht so vehement das Aktenrekonstruktionsverfahren,im Volksmund „Schnipselmaschine“ genannt, vorantrei-ben.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!)

Es ist schade, dass in der Öffentlichkeit aktuell einefür meine Begriffe irreführende Debatte geführt wird, inder suggeriert wird, dass der Fall Kurras, wenn alle For-derungen des FDP-Antrags erfüllt wären, viel eher auf-gedeckt worden wäre.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ach was! Das hat nichts damit zu tun!)

Die Überprüfungsanforderungen der FDP beziehen sichauf Mitarbeiter der Bundesbehörden. Kurras aber warein Berliner Polizist.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Landesbehörde! Jawohl!)

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Vielmehrhätte man eher auf die Idee kommen können, den Todvon Benno Ohnesorg näher auf Stasiverstrickungen zuuntersuchen. Mit den bereits vorhandenen Regelungenwäre dies nämlich möglich gewesen. Das Positive andieser Debatte könnte sein – das hoffen wir jedenfalls –,

dass sich in Zukunft vielleicht mehr Wissenschaftler die-sem speziellen Thema widmen, weil sie durch die Ent-hüllung stärker für Spezialfragen sensibilisiert sind. DiePolitik formuliert keine Forschungsaufträge für die freieWissenschaft. Sie organisiert lediglich die dafür erfor-derlichen Instrumente. In diesem Fall sind sie vorhan-den.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im zwan-zigsten Jahr nach dem Mauerfall gibt es Gott sei Danküberall in unserem Land Projekte, Veranstaltungen undAngebote, sich zu erinnern, was damals war, wie es warund welche Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Ich willein Beispiel nennen: In Kooperation mit der Gedenk-stätte Bautzen führt das Deutsch-Sorbische Volkstheaterim dortigen ehemaligen Stasigefängnis, also an einemauthentischen Ort, eine Inszenierung auf, die ich bemer-kenswert finde und die das aufgreift, worüber wir heutediskutieren. Auf der Grundlage der Aussagen von Schü-lern, wie sie den Begriff „Freiheit“ definieren, und demhistorischen Sophokles-Stück Antigone wird quasi vonaußen ein Blick auf die Erinnerungskultur der Deutschengerichtet. Eine Chinesin formuliert:

Freiheit ist, wenn man sich nicht verstellen muss.

Sie stellt fest:

In Deutschland erinnert man sich an alles und nicht,wie offiziell in China, nur an die Gewalttaten feind-licher Nationen.

Sie wiederholt immer wieder den Satz:

Die Deutschen sind sich nicht einig beim Erinnern;denn jeder hat seine eigene Version von der Vergan-genheit.

Vielleicht ist es gerade das, was diese Debatte oftmalsso schwer für uns macht. Dennoch sollten wir auf derBasis rechtsstaatlicher und wissenschaftlicher Kriterienund mit menschlichem Anstand auch in Zukunft vehe-ment vorgehen. Diesem Ziel trägt Ihr vorliegender An-trag leider nicht Rechnung. Deshalb werden wir ihn ab-lehnen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Christoph Waitz für

die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Christoph Waitz (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen indiesem sehr überschaubaren Plenum am Freitagnachmit-tag!

(Iris Gleicke [SPD]: Es war gestern Abendauch sehr überschaubar! Da waren Sie aberauch nicht hier!)

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Christoph Waitz

Ich habe mich sehr über die Äußerungen unseres Kolle-gen Ströbele gefreut, der gestern in einem Interview beiRadio Eins gesagt hat, dass seine Fraktion unseren An-trag unterstützt und dass ihn heute hoffentlich auch derDeutsche Bundestag annehmen wird.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich so nicht gesagt!)

Ich hoffe inständig, dass es zu diesem Ergebnis kommt,und bin auf die Rede des Kollegen Wieland sehr ge-spannt.

Worum geht es der FDP? Wir wollen das Wirken desStaatssicherheitsdienstes in der Bundesrepublik Deutsch-land bis 1990 aufarbeiten. Wir wollen nichts anderes alsdie fundierte und wissenschaftliche Klärung, in welchemAusmaß politische Entscheidungen hier im Bundestagbeeinflusst wurden. Ganz besonders wollen wir dieGleichbehandlung von Ost und West bei der Aufarbei-tung des Stasiunrechts.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist nicht ausreichend, Aufarbeitung und Vergan-genheitsbewältigung immer nur von anderen zu fordern.Der Deutsche Bundestag hat eine Vorbildfunktion.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Richtig!)

Deshalb müssen wir uns unserer eigenen Vergangenheitstellen.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Kollege Waitz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Wolfgang Börnsen?

Christoph Waitz (FDP): Aber gerne, Wolfgang.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte sehr.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Dasverlängert die Redezeit! Das ist gut! – IrisGleicke [SPD]: Er hat doch noch gar nichts ge-sagt!)

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Verehrter Christoph Waitz! – Er schon etwas gesagt,

er hat nämlich gesagt, wir müssen uns der Vorbildfunk-tion stellen. Das ist richtig. Viele Kollegen haben das inder Vergangenheit getan und sich freiwillig einer Unter-suchung unterzogen. Der Kollege Otto zum Beispiel indieser und der letzten Wahlperiode.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: AlleFDP-Kollegen! – Wolfgang Wieland [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir immer!)

Ich würde gerne fragen, wie es dem Kollegen Waitzbei seiner Untersuchung ergangen ist. Er will ja, dass derBundestag und auch die jetzt aktiven Abgeordneten eine

Vorbildfunktion haben. Hier möchte ich gerne nachfra-gen: Warum hat sich ein Drittel der FDP-Abgeordnetendieser freiwilligen Untersuchung bisher nicht unterzo-gen?

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)

Wenn man schon Vorbild sein will, lieber Christoph,dann wäre es doch hilfreich, dass man sich selbst an dieSpitze der Bewegung stellen und uns das nicht zum Vor-wurf machen würde; denn wir alle wollen ohne Frageeine Aufklärung und Aufarbeitung. Ich glaube schon,dass wir auf diese persönliche Einschätzung eingehensollten.

(Iris Gleicke [SPD]: Wenn das stimmt, dann hat er recht!)

Christoph Waitz (FDP): Lieber Wolfgang Börnsen, ich weiß nicht, woher

deine Erkenntnisse stammen, die du jetzt aus dem Hutgezaubert hast, ich weiß nur, dass die FDP-Fraktion al-len Bundestagsabgeordneten empfiehlt, nicht nur sichselbst überprüfen zu lassen, sondern auch sämtliche Mit-arbeiter in den Abgeordnetenbüros. Nach meinemKenntnisstand haben das auch alle getan.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: So ist es!)

Darüber hinaus wird in vielen Fällen ja auch nicht nurdas Amt des Bundestagsabgeordneten ausgeübt, sondernwir sind unter Umständen auch im Beirat der Stasi-Un-terlagen-Behörde oder kommunalpolitisch tätig. Zumin-dest diejenigen, die in Ostdeutschland kommunalpoli-tisch tätig sind, werden regelmäßig überprüft. Wenn esdich besonders interessiert, bin ich gerne bereit, dir dieentsprechenden Auskünfte bei Gelegenheit einmal zuzeigen.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt will ich aber mit dem eigentlichen Thema wei-termachen, nämlich der Vergangenheit bis 1989. Überdie gegenwärtige Situation müssen wir zu einem anderenZeitpunkt noch einmal vertieft sprechen.

Frau Birthler wiederholt seit Monaten formelhaft,dass die Aufarbeitung der Stasitätigkeit in den Bundesta-gen von 1949 bis 1990 – um diesen Zeitraum geht es unsin unserem Antrag – keine wesentlichen neuen Erkennt-nisse bringen würde und dass die Westaktivitäten derStaatssicherheit besonders gründlich untersucht wordenseien. Tatsächlich sind von den 50 Kilometern Stasiak-ten, die die Staatssicherheit selbst archiviert hat, nachmeinem Kenntnisstand bislang erst wenige Prozent auf-gearbeitet und erschlossen worden.

Aus diesen Beständen – das wird Sie nicht überra-schen – stammt auch die Akte Kurras, über die wir inden letzten Tagen so viel gehört haben. Ich denke, derFall Kurras zeigt uns ganz deutlich, welche Brisanz nochin diesen Archiven schlummert. Eine systematische Un-tersuchung dieser Bestände hat noch nicht stattgefunden,

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Christoph Waitz

und wir dürfen uns vor dieser Aufgabe, dieser Recher-che, nicht einfach wegducken.

(Beifall bei der FDP)

Die Staatssicherheit wollte dauerhaft und zuverlässigwissen, was in der Bundesregierung, den Parteien undden Fraktionsvorständen gedacht und geplant wurde undwelche Konflikte dort die Debatten beherrschten. Wirwissen, dass die DDR-Führung ein vitales Interesse da-ran hatte, bestimmte politische Kräfte im Bundestag zufördern. Inzwischen gilt es als sicher, dass Bundeskanz-ler Willy Brandt das konstruktive Misstrauensvotum ge-gen den CDU-Herausforderer Rainer Barzel nicht ohnedie Hilfe der Staatssicherheit überstanden hätte.

Frau Birthler geht davon aus, dass fünf Abgeordneteder 6. Legislaturperiode als IM für die Staatssicherheitgearbeitet haben. Wissenschaftler ihrer eigenen Behördenennen zehn bis elf Abgeordnete.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Hört! Hört!)

In Anbetracht dieses Ergebnisses, also der Verdoppelungder Anzahl – wir reden gegenwärtig über zehn bis elf IM –,halten wir es für geboten, dass die Birthler-Behörde denEinfluss der Stasi auf den Bundestag insgesamt klärenmuss.

Jetzt höre ich aus vielen Richtungen, unser Antrag seiabzulehnen. Herrn Wiefelspütz geht unser Antrag nichtweit genug. Herrn Thierse geht unser Antrag zu weit.Für den Kollegen Kauder ist unser vor einem Jahr in denBundestag eingebrachte Antrag ein Reflex auf den FallKurras.

(Zuruf von der FDP: Das ist Quatsch!)

Wenn Sie bessere Vorschläge haben als wir, dann hät-ten Sie sie bei unzähligen Gelegenheiten in das parla-mentarische Verfahren einbringen können. Bis zum heu-tigen Tag liegen diese Anträge nicht vor. Das macht IhrBekenntnis zur Vergangenheitsbewältigung des Bundes-tages in meinen Augen nicht glaubwürdiger.

Lesen Sie unseren Antrag doch einmal richtig!

(Dr. h. c. Wolfgang Thierse [SPD]: Das haben wir gemacht!)

Er verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip nochgegen allgemeine Persönlichkeitsrechte, und niemandwill wieder eine verdachtsunabhängige Regelüberprü-fung einführen.

Aber um konkret zu werden: Es muss doch möglichsein, heute einen verbeamteten Stasispitzel bei einemkonkreten Verdacht zu überprüfen.

(Dr. h. c. Wolfgang Thierse [SPD]: Das steht nicht in Ihrem Antrag drin!)

Niemand kann ernsthaft wollen, dass heute diese ehema-ligen West-IM an sensiblen Stellen eines Bundesministe-riums arbeiten.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nein!)

Wir Abgeordneten haben mit § 44 c des Abgeordneten-gesetzes eine Regelung gefunden, die auch auf Mitarbei-ter in Bundesministerien und Bundesbehörden übertra-gen werden kann. Zwingend ist nach dieser Vorschriftdas Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für denVerdacht einer Stasitätigkeit. Ich kann beim besten Wil-len nicht erkennen, was an dieser extrem engen Rege-lung unangemessen sein sollte.

(Beifall bei der FDP)

Heute gilt es, Farbe zu bekennen. Die Menschen ver-stehen nicht, warum mit Stasi-IM im Westen anders um-gegangen werden sollte als im Osten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Hans-Joachim Otto [Frank-furt] [FDP]: Im Gegenteil, die waren nochschlimmer!)

Ich appelliere an alle, die für die Aufklärung der Stasi-verstrickungen sind: Stimmen Sie heute unserem Antragzu! Die Menschen in unserem Land erkennen sehr ge-nau, für wen die Aufarbeitung ein Thema von Sonntags-reden ist, oder wer es damit ernst meint und bei sichselbst beginnt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Thierse für

die Fraktion der SPD.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist eigentümlich, Herr Kollege Waitz: Ichhabe nicht den Eindruck, dass Sie über Ihren Antrag ge-sprochen haben.

(Christoph Waitz [FDP]: Doch!)

Sie wollen alle Bundesbehörden und alle Bundestags-abgeordneten untersuchen lassen, unabhängig von Ver-dacht und konkretem Anlass.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Heute haben Sie etwas anderes gesagt. Ich bitte Sie sehr,Ihren eigenen Antrag ernst zu nehmen. Darin steht etwasanderes. Genau deshalb lehnen wir ihn ab.

Mit Blick auf die Aufregung um den IM Kurras hatder FDP-Antrag vermeintlich an Aktualität gewonnen.Die jetzige Diskussion macht Ihren Antrag gleichwohlnicht besser, Herr Waitz. Sie ändert nichts an den Argu-menten, die wir im Kulturausschuss ausgetauscht haben.

In der Sitzung am 25. März hat die Bundesbeauftragtefür die Stasi-Unterlagen, Frau Birthler, zu Ihrem Antragausführlich Stellung bezogen. Einige Punkte aus der De-batte im Ausschuss möchte ich herausgreifen.

Doch zuvor empfehle ich Ihnen die Lektüre der Tätig-keitsberichte der Stasi-Unterlagen-Behörde. In Ihrem

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Dr. h. c. Wolfgang Thierse

Antrag heben Sie darauf ab, dass die Westarbeit des MfSbisher zu wenig erforscht sei. Im Achten Tätigkeitsbe-richt zum Beispiel können wir lesen, dass der For-schungsschwerpunkt Westarbeit des MfS dort ausführ-lich dargestellt und auf entsprechende – und zwar nichtwenige – Publikationen der Behörde verwiesen wird. Inder genannten Sitzung des Kulturausschusses hat FrauBirthler die Erforschung der Westarbeit des MfS sogarals eines der am besten erforschten Fachgebiete der Be-hörde bezeichnet.

Nun zu Ihrem Antrag: Sie fordern eine umfassendeUntersuchung, wie viele ehemalige Stasimitarbeiterheute noch in den Bundesministerien und nachgeordne-ten Bundesbehörden arbeiten. Dies ist nach geltendemStasi-Unterlagen-Gesetz, das vor drei Jahren auch mitIhren Stimmen – mit den Stimmen der FDP – novelliertwurde, gar nicht mehr möglich. Wir sollten nichtsrechtsstaatlich Problematisches versuchen, lieber Kol-lege Waitz. Darin vor allem besteht unsere Vorbildfunk-tion.

Außerdem fordern Sie eine Überprüfung aller Bun-destagsabgeordneten bis 1989. Dem möchte ich drei Ar-gumente entgegenhalten. Erstens ist Ihr Antrag selbstdas beste Argument gegen diese Forderung. Sie spre-chen von 43 Bundestagsabgeordneten der 6. Legislatur-periode, die als Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi regis-triert gewesen seien. Frau Birthler hat in derKulturausschusssitzung erneut klargestellt, dass es sichbei dem größten Teil dieser Abgeordneten nicht um IMsim Sinne des Stasi-Unterlagen-Gesetzes handelt, son-dern um Registrierungen auf IM-Vorgänge, was etwasganz anderes ist. Die Unkultur der Verdächtigung solltevon uns nicht neuerlich angeheizt werden; denn sie scha-det der ehrlichen und kritischen Auseinandersetzung mitder Vergangenheit.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens hat Frau Birthler mehrfach vor allzu großenErwartungen an eine solche Studie gewarnt. Ihre Sach-kenntnis sollte man ernst nehmen. Der Erkenntnisge-winn wäre außerordentlich gering, sagt sie. Die Unterla-gen der BStU inklusive der Rosenholz-Dateien wurdenbereits Anfang der 90er-Jahre von Ermittlungsbehördengenutzt und waren Grundlage für mehr als 5 000 Ermitt-lungsverfahren.

Drittens warnt Frau Birthler, dass der zu erwartendeErkenntnisgewinn in keinem Verhältnis zum erforderli-chen Aufwand stehe. Sie hat am Dienstag dieser Wochebei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Neunten Tä-tigkeitsberichts auf Nachfragen eines Journalisten ge-sagt, dass dann alle anderen Forschungsprojekte zurück-gestellt werden müssten.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Waitz?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Aber natürlich.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte sehr.

Christoph Waitz (FDP): Lieber Kollege Thierse, um den inhaltlichen Zusam-

menhang nicht vollkommen abreißen zu lassen: Sie ha-ben im Wesentlichen Argumente von Frau Birthler ausder improvisierten Anhörung zu unserem Antrag refe-riert. Diese kenne ich natürlich sehr gut. Mich hätten ei-gentlich mehr Ihre Argumente zu unserem Antrag inte-ressiert. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dassdie fünf IM – diese Zahl nennt Frau Birthler immer wie-der öffentlich – nicht der tatsächlichen Zahl entspre-chen? Mittlerweile hat sich insbesondere durch die Re-cherchen des verdienstvollen Historikers Müller-Ensberg in der Birthler-Behörde herausgestellt, dass esinsgesamt zehn oder elf Inoffizielle Mitarbeiter waren,die in dieser Legislaturperiode tätig gewesen sind. DieseAngaben sind auch in Veröffentlichungen der Birthler-Behörde nachzulesen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Ich selber habe eben gar keine Zahl genannt. Ich war

vorsichtig und habe gesagt, dass die Mehrzahl keine IMwar. Sie behaupten, dass es sich um 43 Stasi-IM handelt.So steht es in Ihrem Antrag. Das halte ich für nicht ver-antwortlich. Nun rudern Sie zurück. Ich rede gar nichtüber die Zahl. Aber die Behauptung, es seien 43 IM, istnachweislich falsch. Nach den Kriterien des Stasi-Unter-lagen-Gesetzes waren es keine IM. Wir sollten das Spielder Verdächtigungen nicht fortsetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Birthler weist, wie gesagt, auf die Unverhältnis-mäßigkeit von Aufwand und Nutzen hin. Wenn das aufdie Untersuchung von Bundestagsabgeordneten zutrifft,gilt das erst recht für die Forderung der FDP, alle Fälleund die Auswirkung von Stasispionage in Bundesminis-terien und nachgeordneten Bundesbehörden in der ge-samten Geschichte der Bundesrepublik aufzuklären. Wassoll ein Wissenschaftler mit einer solchen Fragestellunganfangen? Vielmehr müsste präzise formuliert werden,was genau das Ziel einer Untersuchung sein soll.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Was ist denn euer Ziel?)

Ich kann mir solche Untersuchungen vorstellen. ZumBeispiel könnten Wissenschaftler untersuchen, ob dieStasi versucht hat, Einfluss auf die Abstimmung überden NATO-Doppelbeschluss zu nehmen, oder ob es beider Entführung von Hanns Martin Schleyer Versuche derStasi gab, Einfluss auf die von den Entführern geforderteFreilassung von RAF-Häftlingen zu nehmen. Solchepräzisen Untersuchungen kann ich mir vorstellen. Sol-che Fragestellungen müssten übrigens nicht zwingendvon den Forschern der BStU untersucht werden. Siekönnten genauso von behördenexternen Wissenschaft-lern bearbeitet werden.

An dieser Stelle sei – wiederum Bezug nehmend aufdie aktuelle Diskussion – angemerkt, dass nach Aus-

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Dr. h. c. Wolfgang Thierse

kunft von Frau Birthler kein einziger Wissenschaftleroder Journalist die Akte von Kurras angefordert hat, ob-wohl es mehrere Publikationen und Untersuchungen zurStudentenbewegung und zum Tode von Benno Ohnesorggegeben hat. Deshalb ist es unredlich, allein der BStUden Schwarzen Peter für die späte Entdeckung des Fak-tums zuzuschreiben. Die behördeninternen Wissen-schaftler konzentrieren sich richtigerweise auf die Frage-stellungen, die den privilegierten Zugang zu den Akten,die sie haben, erfordern. Davon profitieren auch andereWissenschaftler und Journalisten.

Im Übrigen – auch das wissen Sie – ist die For-schungsarbeit nur ein Bereich der Aufgaben der Be-hörde. Sie wurde vor allem gegründet, um in erster Linieden Betroffenen, den Verfolgten und den Opfern derStasi den Aktenzugang zu ermöglichen. Jeder sollte dasRecht haben, zu erfahren, welche Information die Stasiüber ihn gesammelt hat. Davon wird nach wie vor regeGebrauch gemacht, wie der neue Tätigkeitsbericht derBehörde zeigt. Seit 1991 sind 2,6 Millionen Anträge aufpersönliche Akteneinsicht gestellt worden. Im letztenJahr gingen 87 000 Anträge ein, in den ersten drei Mona-ten dieses Jahres bereits fast 29 000. Zwei Drittel derAnträge sind Erstanträge. Das sind beeindruckende Zah-len, die belegen, wie gut die Behörde arbeitet und wienotwendig sie weiterhin ist. Weitere Aufgaben der Be-hörde sind die Bearbeitung von Anfragen anderer Behör-den, zum Beispiel zu den Opferrenten, aber auch Bil-dungsarbeit und Aufklärung der Öffentlichkeit über dieTätigkeit des MfS sowie natürlich die Erschließung derAkten. Bei 114 Kilometern Akten ist das eine wahnsin-nige Aufgabe, wie wir wissen.

Ich vermute übrigens, mit einem wirklich neuen Er-kenntnisgewinn ist erst zu rechnen, wenn die mehr als15 000 Säcke mit zerstörten Akten rekonstruiert sind.Das wird leider noch einige Zeit dauern; denn das Pilot-projekt zur Rekonstruktion der Schnipsel verzögert sich.Immerhin sind, wie Frau Birthler am Dienstag gegen-über den Medien versichert hat, die für die Aufklärungder Westarbeit relevanten zerstörten Akten der HVAkomplett in das Pilotprojekt einbezogen. Bis zum Vorlie-gen der Ergebnisse sollten wir deshalb etwas gelassenerund zugleich sicher sein, dass es noch manche spektaku-läre Entdeckung geben wird, über die wir uns miteinan-der aufregen können.

Die SPD-Bundestagsfraktion bleibt dabei: DDR-Un-recht muss vorbehaltlos aufgeklärt werden. Deshalb hatsich die SPD-Bundestagsfraktion dafür eingesetzt, derStasi-Unterlagen-Behörde eine verlässliche Perspektivezu geben, wie sie jetzt im Gedenkstättenkonzept desBundes verankert ist. Deshalb hat sich die SPD-Bundes-tagsfraktion bei der Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes dafür stark gemacht, dass auch weiterhin eineÜberprüfung von Personen in herausgehobenen Positio-nen möglich ist und der Zugang für Forschung und Me-dien zu den Stasiunterlagen erleichtert wurde.

Meine Damen und Herren, die Aufarbeitung der Ver-gangenheit kann nicht gelingen, wenn sie auf Aktionis-mus und Verdächtigungen beruht. Eine differenzierte ge-samtdeutsche Debatte bleibt dafür notwendig. Dann

können und sollten wir uns am Beginn der kommendenLegislaturperiode über einen klar definierten, präziseumrissenen Forschungsauftrag verständigen, der Bun-destag und Bundesbehörden betrifft und der realisti-scherweise auch eingelöst werden kann und deshalbmehr und anderes sein muss als eine allgemeine Ver-dächtigung.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, will

ich dem Kollegen Ströbele die Gelegenheit geben, aufdas vorhin zitierte Radiointerview mit ihm einzugehen.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Herr Kollege Waitz, ich hatte mich schon bemüht, ei-nen Zwischenruf zu machen, aber ich glaube, er ist nichtangekommen, weil ich weiter hinten sitze.

Ich gebe zu, dass 8 Uhr morgens ein früher Zeitpunktist, jedenfalls für mich, aber Sie müssen da etwas miss-verstanden haben. Ich habe in diesem Radiointerviewgesagt, dass ich es für richtig halte – ob man dem Antragzustimmen oder ihn ablehnen soll, dazu habe ich garnichts gesagt –, dass nicht nur die Abgeordneten desDeutschen Bundestags nach der Wende, sondern auchdie Abgeordneten vor der Wende, also von 1949 bis1989, die auch Ihnen am Herzen liegen, „gegauckt“ oder„gebirthlert“, also überprüft werden. Ich habe aber auchhinzugefügt, dass sie dem selbstverständlich zustimmenmüssen. Darauf haben auch Sie vorhin schon hingewie-sen. Das heißt, ich habe nicht gesagt, aus den vielenGründen, die hier schon dargelegt worden sind, dass ichdafür bin, Ihrem Antrag zuzustimmen; denn er hat er-hebliche Schwächen, in einigen Punkten ist er viel zuweitgehend, und er enthält Behauptungen, die ich nichtmittragen möchte. Ich habe mich inhaltlich dafür einge-setzt, dass man auch die Abgeordneten aus diesen so-eben genannten Jahren überprüft.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Waitz, wollen Sie erwidern? – Bitte

sehr.

Christoph Waitz (FDP): Lieber Kollege Ströbele, es enttäuscht mich natürlich

maßlos, dass ich das jetzt in dieser Form von Ihnen ge-sagt bekomme. Ich muss das akzeptieren. Ich habe denBeitrag mehrfach gehört. Daran sieht man, wie missver-ständlich das ist, was wir ab und zu im Radio sagen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nein, was Sie verstanden haben!)

Ich glaube, dabei sollten wir es bewenden lassen.

Vielen Dank.

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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat die Kollegin Lukrezia Jochimsen für die

Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Grundsätzliche vorweg. Die Fraktion Die Linke warstets und ist auch noch heute für eine Aufarbeitung derStasi-Unterlagen.

(Lachen des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir sind für eine schnellere, für eine bessere, vor al-lem übrigens aber weniger zufällige, also wissenschaftli-che Aufklärung. Deswegen fordern wir seit langem, dassder Aktenbestand aus der undurchschaubaren Behördeins Bundesarchiv in die Hände professioneller Archivareund Wissenschaftler überführt wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Aufklärung nach wissenschaftlichen, nicht nach de-nunziatorischen Kriterien wollen wir erreichen. Das warunsere Position 2006 bei der Novellierung des Stasi-Un-terlagen-Gesetzes, und das ist sie auch heute. Deswegenlehnen wir den FDP-Antrag ab. Denn was wird da gefor-dert? Nachdem es ja wohl eine Unsicherheit gibt, wasdarin eigentlich steht, erlaube ich mir, ganz kurz IhrenOriginaltext zu zitieren. Sie wollen

eine flexiblere Regelung zur Überprüfung der Stasi-Mitarbeit von Beamten und Angestellten der Bun-desministerien und nachgeordneten Bundesbehör-den im Sinne einer Verdachtsüberprüfung nach§ 44 c des Abgeordnetengesetzes …

Also Nachforschungen im Sinne einer Verdachtsüber-prüfung. Da frage ich Sie: Was heißt das denn anderesals das Setzen auf Denunziation, auf Gerüchte, auf An-deutungen, auf Informationen von Dritten und überDritte, um dann bei einem so erbrachten Nachweis – ichzitiere wieder aus Ihrem Antrag –

alle dienstrechtlichen Möglichkeiten zu prüfen und[für] Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder …Versetzung … zu sorgen …

Ich frage Sie also – das fordern Sie –: Wo sind wir dawieder angelangt? Der Kollege Thierse hat Ihnen schongesagt, dass das nach unserem heutigen geltenden Rechtgar nicht möglich ist. Also: Wohin wollen Sie denn zu-rück?

Zyniker könnten sagen: Zurück in den Stasistaat. Dawerden Sie jetzt wieder höhnen, aber ich sage Ihnentrotzdem: Gerade die Linke macht so etwas nicht mit.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen des Abg.Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN])

Generalverdacht per Gesetz: Nein. WissenschaftlicheAufarbeitung: Ja, und zwar hoffentlich bald dort, wo sie20 Jahre nach der Vereinigung besser geleistet werdenkann als bisher in der Behörde mit ihren Arbeitsmetho-den nach dem Zufallsprinzip und der politischen Oppor-

tunität und in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit. Die ei-nen sagen, die Behörde ist eine Bürgerauskunftsbehörde,die anderen sagen, sie ist ein Forschungsapparat, dieDritten sagen, ein großer Teil der 160 Kilometer Papierwurde bis heute kein einziges Mal angeschaut. Ja, wasist denn das nun eigentlich für eine Behörde und für einAufarbeitungsapparat?

Was nun die Forderung im Antrag betrifft, alle Bun-destagsabgeordneten von 1949 bis 1990 umfassend zuüberprüfen, in welchem Umfang sie willentlich und wis-sentlich für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR tä-tig waren, das soll nun ausgerechnet auch wieder von derBirthler-Behörde untersucht werden. Ich finde, da hatMarianne Birthler vorgestern schon ziemlich Richtung-weisendes erklärt: Bei einer seriösen Erforschung – Ach-tung, „seriösen Erforschung“! – müsse man sehr, sehrgroße Kreise ziehen und auch die zweite und dritte Reihedes Parlamentsbetriebes untersuchen.

Das wird sozusagen ein Auftrag für die Ewigkeit.2 073 Bundestagsabgeordnete gab es in der Zeit von1949 bis 1990, 1 416 davon sind verstorben. Die zweiteund dritte Reihe aber machte mindestens das Zehnfacheaus, also weit über 20 000 Fälle. Nehmen wir die Leben-digen und die Toten. Das wird ein großer Auftrag.

Ehrlich gesagt: Die Stasiverstrickung von KonradAdenauer würde mich schon interessieren, obwohl we-sentliche Erkenntnisse wahrscheinlich kaum zu erwartensind.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In die-

sen Debatten habe ich immer die gleichen zwei Pro-bleme: Erstens. Ich habe vier Minuten Redezeit. Zwei-tens. Ich muss nach der Linksfraktion reden.

(Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Schrecklich!)

Ja, Frau Jochimsen, es ist schrecklich, diese Süffisanzvon Ihnen als Vertreterin der Fraktion, die diese Aktenangelegt hat – das wollen wir nicht vergessen –, zu hö-ren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP –Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Wirhaben sie doch nicht angelegt!)

– Sie können sich umbenennen, wie Sie wollen. Ihre Par-tei ist es gewesen, die dies alles angerichtet hat. IhreKolleginnen und Kollegen im Bundestag und in denLandesparlamenten sind es, die aus ihrer Enttarnung alsSpitzel keine Konsequenzen gezogen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

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Wolfgang Wieland

Ihr Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi hat sich noch indieser Woche in der Bild-Zeitung echauffiert und ge-fragt: Was leistet denn diese Behörde eigentlich? Ermacht sich angeblich Sorgen um die Effizienz einer Be-hörde. Aber sobald deren Ergebnisse ihn betreffen, lässter sie jedes Mal von seiner Pressekammer in Hamburgsperren und hängt den Journalistinnen und JournalistenMaulkörbe um.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ich darf hier den Begriff „Oberheuchler“ nicht verwen-den, wie ich heute gelernt habe, aber mir fällt zu Ihnenkein anderer Begriff ein.

(Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Essind rechtsstaatliche Mittel, die er eingelegthat!)

– Es sind immer die Getroffenen, die bellen. Das nehmeich bei Ihnen zur Kenntnis.

(Zuruf der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE])

– Ich rege mich über Sie auf, weil Sie hier so einfach sa-gen, diese Behörde versage, und von Bergen unaufge-klärter Akten reden. Die Hauptfunktion der Behörde ist,den Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDRAkteneinsicht zu gewähren, und die leistet sie hervorra-gend. Immer mehr wollen auch nach vielen Jahren nochInformationen, weil es ihnen ein Bedürfnis ist. Ich habevon niemandem gehört, dass er sich dort nicht gut be-treut und begleitet sieht; das muss man zunächst einmalanerkennend zu der Behörde sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Man kann darüber reden – das tun wir auch –, ob dieForschungsarbeit nicht verstärkt werden muss. Das se-hen auch wir so. Wir teilen sogar die Intention der FDP,das zu tun, müssen aber aus den gleichen rechtlichenGründen, die Vizepräsident Thierse hier genannt hat, lei-der sagen: So geht es nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Waitz, wenn Sie nicht mehr wissen, wasSie zu Papier gebracht haben, dann lese ich Ihnen diesebeiden Sätze vor – das ist offenbar notwendig:

Die BStU hatte zuvor festgestellt, dass über 49 Bun-destagsabgeordnete der 6. Legislaturperiode von1969 bis 1972 Informationen bei der BStU vorla-gen. 43 Bundestagsabgeordnete waren als Inoffi-zielle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes re-gistriert worden.

Es waren sogenannte IMA, Inoffizielle Mitarbeitermit Arbeitsakte, die eben nicht alle zugearbeitet haben,die im Wesentlichen abgeschöpft wurden. Wer so etwas,wie in Ihrem Antrag steht, einfach hinschreibt und in derBoulevardpresse auch noch den Eindruck verstärkt, dahabe es eine ganze Stasifraktion gegeben, muss sichdiese Kritik gefallen lassen; sie ist leider notwendig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Eigentlich wollte ich als jemand, der als Student vorder Deutschen Oper dabei war, etwas über Karl-HeinzKurras sagen. In der BZ kann man unter der Überschrift„Warum zeigt Kurras keine Reue?“ lesen:

Wenn Kurras doch wenigstens Reue und einenHauch von Selbstkritik zeigen könnte. Stattdessenbestreitet er alles, obwohl die Belege erdrückendsind. Genau darum fällt es uns so schwer, zu verste-hen und zu vergeben.

Das ist dieselbe Zeitung, die damals den Polizisten emp-fahl, den Gummiknüppel einzusetzen, um „etwa vorhan-denes Resthirn bei den Studenten locker zu machen“.Angesichts dessen vermissen wir zunächst einmal Reueüber den Tod von Benno Ohnesorg; die steht bis heuteaus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie des Abg. Carl-LudwigThiele [FDP] und der Abg. Dr. LukreziaJochimsen [DIE LINKE])

Erst wenn sie ausgesprochen wird, können wir gegen-über dieser Art von Journalismus an Vergeben denken.

Hier ist für uns eine Menge aufzuarbeiten, auch kon-kret am Fall Kurras. Wir wollen wissen: Was hat dieStasi sonst noch gewusst? Wenn sie Kurras entgegen-hält: „Das kann nicht stimmen, was Sie uns sagen; da ha-ben wir andere Aussagen“, dann wollen wir wissen, vonwem und welche. Hier bleibt eine Menge Aufarbeitungs-bedarf.

Dass in den alten Fronten die Birthler-Behördeschlechtgemacht wird und man von interessierter Seiteimmer wieder die Gleichen sagen lässt, dass sie versagt,hängt uns zum Halse heraus. Wir erwarten, dass derDeutsche Bundestag tätig wird. Ich spreche damit allean, die sich hier zu Wort gemeldet haben. Volker Kauder,ich weiß, wie emotional Sie das in Ihrer Fraktionssitzungdiskutiert haben – zu Recht. Daraus muss auch etwasfolgen. Dieses dem Westen zugewandte Gesicht müssenwir wissenschaftlich noch genauer untersuchen. Dannbrauchen wir Geschichte nicht umzuschreiben. Vielmehrkönnen wir sie dann erstmals präzise schreiben. Das istauch notwendig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege

Otto.

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Zunächst einmal, Herr Kollege Wieland, ist zu sagen:

Das war eine gute Rede.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)

Nach dieser in all ihren Teilen sehr guten Rede und alldem, was Sie hier zu Recht gesagt haben, verstehe ich

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Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

aber nicht, warum Sie dem Antrag der FDP nicht zustim-men wollen. Das ist schwer verständlich.

(Iris Gleicke [SPD]: Ich habe ganz gut verstan-den, warum er nicht zustimmen kann!)

Diese Frage richtet sich auch an die übrigen Redner, diehier gesprochen haben.

Es war ja eine bemerkenswerte Debatte. Jeder derRedner, inklusive der Rednerin der Linksfraktion, sagte:Der FDP-Antrag verfolgt ein sehr unterstützenswertesAnliegen. Auch wir wollen nicht, dass es eine Ungleich-behandlung zwischen West und Ost gibt.

(Zuruf der Abg. Iris Gleicke [SPD])

Auch wir wollen Transparenz und Forschung.

Meine Güte, warum stellen Sie nun aber, 20 Jahrenach dem Ende der DDR, nicht selber einen Antrag, indem Sie darlegen, was Sie wollen?

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, darf ich Sie darauf hinweisen, dass eine

Kurzintervention nicht dazu dient, die Redezeit IhrerFraktion zu verlängern.

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Nein, aber ich erwidere auf die Bemerkungen des

Kollegen Wieland und auch auf Bemerkungen andererund stelle die Frage – das ist zulässig –, warum die ande-ren Fraktionen diesem Antrag nicht zustimmen wollen.Frau Präsidentin, ich glaube, dass ich das darf, unddenke, dass ich das auch innerhalb der Zeit schaffenwerde.

(Zuruf von der LINKEN)

Letzte Bemerkung. Ich bringe es noch einmal auf denPunkt: Wenn sich erstaunlicherweise alle fünf Fraktio-nen über die Intention einig sind, dann wäre es doch nurkonsequent, wenn alle fünf zusammen oder wenigstensvier von den fünf einen Antrag erarbeiten, der dann auchvon allen mitgetragen wird. Einfach den Antrag der FDPabzulehnen, ist, wie ich finde, ein bisschen zu wenig,meine Damen und Herren Kollegen.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Wieland.

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Otto, ich hatte Ihnen doch gesagt: Wir

enthalten uns heute ebenso, wie wir uns auch in denAusschüssen enthalten haben. Wir müssen nämlich leiderfeststellen, dass Ihre an sich richtige Intention dadurch,dass Sie so über das Ziel hinausschießen und begrifflichleider nicht scharf zwischen wissenschaftlicher Forschungund sozusagen einer nachträglichen „Gauckung“ großerTeile des öffentlichen Dienstes trennen, in den Hinter-grund tritt und dieser Antrag damit auf eine falscheSchiene gesetzt wird, von der wir ihn auch nicht wiederherunterbekommen.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Änderungsantrag!)

Das, was wir wollen, ist auf der Grundlage des gelten-den Stasi-Unterlagengesetzes ohne Frage möglich. Esmuss nur gemacht werden. Das Land Berlin hat seiner-zeit über 2 000 Polizisten überprüfen lassen. Es ist janicht nichts geschehen. Pensionäre wie Herrn Kurras hatman seinerzeit tatsächlich nicht überprüft. Das hat aberauch niemand, nicht einmal die FDP, gefordert. Es kannjetzt nicht darum gehen, noch einmal eine Massenüber-prüfung durchzuführen. Wir wollen das aus rechtsstaatli-chen Gründen nicht und auch deswegen nicht, weil wirmeinen, dass man 20 Jahre nach dem Fall der Mauernicht so tun kann, als sei das gestern gewesen. Seitdemist nämlich viel Zeit vergangen.

Die weitere Forschung und die zwangsläufig damitverbundene Enttarnung von weiteren IMs wollen wir je-doch forcieren. Um das zu schaffen, müssen wir uns fra-gen, wie man das umsetzen kann und welche Kapazitä-ten dafür bereitgestellt werden, brauchen aber keineGesetzesänderung vorzunehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zudem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel: „Inoffi-zielle Stasi-Mitarbeiter in Bundesministerien, Bundesbe-hörden und Bundestag enttarnen – Aufarbeitung desStasi-Unrechts stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12982, denAntrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9803abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DieBeschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linkegegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung derFraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Undzwei Stimmen aus der SPD-Fraktion und eineraus der CDU/CSU-Fraktion!)

– Entschuldigung, ich werde gerade darauf aufmerksamgemacht, dass zwei Kollegen aus der SPD-Fraktion undein Kollege aus der CDU/CSU-Fraktion gegen die Be-schlussempfehlung gestimmt haben. Dann haben wir dasjetzt gemeinschaftlich festgestellt; ich bedanke mich.

Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Anpassung des Einsatzgebietes für die Beteili-gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an derEU-geführten Operation Atalanta zur Bekämp-fung der Piraterie vor der Küste Somalias

– Drucksache 16/13187 –

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Vizepräsidentin Petra Pau

Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Rechtsausschuss VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Staatsminis-ter Gernot Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti-gen Amt:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zum zweiten Mal in weniger als einem halben Jahr de-battieren wir heute über Piraten, die vor der somalischenKüste ihr Unwesen treiben.

Im Dezember hat der Bundestag mit großer Mehrheitden Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der europäi-schen Mission „Atalanta“ beschlossen. Seither hatDeutschland einen beachtlichen Beitrag zur Bekämp-fung der Piraterie am Horn von Afrika geleistet. Die ge-rade für die Exportnation Deutschland wichtigen See-routen sind dadurch sicherer geworden.

Zwar kann niemand behaupten, dass das Problem ge-löst sei; aber die Operation „Atalanta“ ist schon jetzt einErfolg. So hat „Atalanta“ – dies ist besonders wichtig –seit dem Beginn der Operation alle Schiffe des Welter-nährungsprogramms sicher nach Somalia geleitet. Diesist eine der Hauptaufgaben der Operation, und dieseAufgabe erfüllt sie zuverlässig. Weit über 1 Million not-leidende Menschen konnten auf diese Weise mit Nah-rungsmitteln versorgt werden.

Gemeinsam mit den internationalen Streitkräften vorOrt haben die europäischen Marinekräfte zudem dieDurchfahrt durch den Golf von Aden sicherer gemacht.Für Piraten ist es heute deutlich schwieriger und gefähr-licher, Handelsschiffe zu kapern, die sich den angebote-nen Konvois anschließen.

Der Erfolg von „Atalanta“ im Golf von Aden hat al-lerdings dazu geführt, dass die Piraten zunehmend inGegenden ausweichen, in denen sie mit weniger Risikoauf Kaperfahrt gehen können. Nach mehreren Überfäl-len in den Gewässern um die Seychellen hat sich der In-selstaat mit der Bitte um Hilfe an die Europäische Uniongewandt. Die EU war sich einig, dass „Atalanta“ reagie-ren muss. Das Operationsgebiet der Mission wurde da-raufhin an das Operationsgebiet der Piraten angepasst.Insgesamt stehen heute auch mehr Einsatzkräfte im Ope-rationsgebiet zur Verfügung als bisher.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe auf IhreUnterstützung für den Antrag der Bundesregierung aufeine entsprechende Erweiterung des Einsatzgebietes derBundeswehr.

Die ersten Monate von „Atalanta“ haben uns vor Au-gen geführt, dass es nicht nur darauf ankommt, Akte der

Piraterie zu verhindern. Ganz wesentlich ist, dass den Pi-raten der Prozess gemacht wird. Nach dem Briefwechselzwischen der Europäischen Union und Kenia ist es unserlaubt, Piraten zur Strafverfolgung den kenianischenBehörden zu übergeben. Wir haben uns davon überzeugt– und tun das weiterhin –, dass die Verfahren ordnungs-gemäß ablaufen. Wir sind Kenia für seinen Beitrag zurBekämpfung der Piraterie dankbar. Die Strafverfolgungsomalischer Piraten ist für Kenia natürlich auch eine Be-lastung. Daher unterstützen die Europäische Union undDeutschland das Land und seinen Justizsektor bei derBewältigung dieser zusätzlichen Aufgaben.

Unabhängig davon ist uns klar, dass wir nicht dauer-haft alle Piraten zur Strafverfolgung nach Kenia bringenkönnen. Wir setzen uns daher für eine internationale Pi-rateriegerichtsbarkeit ein, die am besten in der Regionangesiedelt werden sollte. Wir sind damit bei einigen un-serer Partner auf Skepsis gestoßen, auch weil dieses Vor-haben nicht kurzfristig realisierbar und weil es teuer sei.Bei anderen findet unsere Idee aber Unterstützung. Sosprach sich vor wenigen Wochen der russische PräsidentMedwedew dafür aus. Wir werden weiterhin aktiv fürdiese bessere Alternative werben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben stets be-tont, dass eine grundsätzliche Lösung des Pirateriepro-blems nicht auf See liegt. In Mogadischu ist im Wintereine neue somalische Regierung angetreten,

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die hat aber nichts zu sagen!)

mit der viele Menschen vor Ort große Hoffnungen ver-binden. Diese Regierung unter Sheikh Sharif hat unsereUnterstützung. Wir sehen mit großer Sorge, dass der mi-litante Widerstand in Süd- und Zentralsomalia mit allenMitteln zu verhindern sucht, dass Frieden und Sicherheitzurückkehren. Frieden und Sicherheit in Somalia brau-chen funktionierende Sicherheitskräfte. Deshalb hatauch die internationale Geberkonferenz in Brüssel demWiederaufbau des somalischen Sicherheitssektors erstePriorität eingeräumt. Wir unterstützen diese Zielrichtungausdrücklich und werden uns dabei mit unseren Partnerneng abstimmen.

Wir haben mit Sympathie und Interesse den französi-schen Vorschlag für eine europäische Initiative zur Aus-bildung somalischen Militärs in Dschibuti aufgenom-men. Wir werden gemeinsam mit unseren europäischenPartnern prüfen, ob und wie eine solche Initiative umge-setzt werden kann.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: In welchem Staat soll die dennliegen? Den es gar nicht gibt! So ein Quatsch!)

Die internationale Gemeinschaft hat auf das Piraten-problem rasch und entschlossen reagiert. Deutschlandleistet dabei einen wichtigen Beitrag.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie ja selber nicht!)

Die Zusammenarbeit auf See funktioniert auch dank derinternationalen Kontaktgruppe zur Pirateriebekämpfungvor Somalia gut, an der wir uns aktiv beteiligen. Wir

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Staatsminister Dr. h. c. Gernot Erler

werden uns im europäischen und internationalen Rah-men dafür einsetzen, dass auch an Land Frieden und Si-cherheit zurückkehren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Dies ist nicht nur ein Zeichen der Solidarität mit Soma-lia. Es liegt auch in unserem eigenen Interesse.

Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Rainer

Stinner das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Rainer Stinner (FDP): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Wir werden heute diesem Antrag zur Erweiterungdes Mandats zustimmen. Wir möchten aber sehr deutlichsagen, dass die Ausweitung des Operationsgebietes vorallem deshalb notwendig ist, weil die Bundesregierungdas bisherige Mandat einfach nicht richtig ausgeschöpftund ausgenutzt hat; denn nur dadurch konnten die Pira-ten ihre Operationsgebiete ausdehnen.

Wir sind der Meinung, dass die an diesem Mandat„Atalanta“ beteiligten deutschen Soldaten der deutschenMarine ihre Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissentatkräftig erfüllen. Dafür möchten wir ihnen Dank undAnerkennung spenden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten der SPD und des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Allerdings, sehr geehrter Herr Staatsminister, das,was Sie hier vorgetragen haben, war eine Beschöni-gungsrede allerersten Grades. Diese könnte man vergol-den, wenn es einen Wettstreit für Beschönigungsredengäbe. Dass die Bundesregierung dieses Mandat als Er-folg wertet, kann ich nur als Hohn bezeichnen. Die Dis-kussion, die wir seit über einem Jahr führen, ist derschlagende Beweis für die eindeutige Handlungsunfä-higkeit und Handlungsunwilligkeit der Bundesregierungin diesem Falle.

Wir erinnern uns alle an die geradezu bizarre Diskus-sion vor einem Jahr, ob wir denn überhaupt gegen Pira-ten vorgehen dürften. In den heute vorliegenden Antragzur Erweiterung des Mandats hat die Regierung erstmalsdas Völkergewohnheitsrecht als Rechtsgrundlage aufge-nommen. Wir waren von Anfang an dieser Meinung. In-nenministerium und Verteidigungsministerium warenanderer Meinung. Heute steht genau das im Antrag; dasist gut so.

Wir erinnern uns daran, dass die Bundesregierungmonatelang nicht in der Lage war, ein Konzept vorzule-gen, wie denn mit gefangen genommenen Piraten umge-gangen werden soll. Wir erinnern uns an das Abstim-mungschaos in der Bundesregierung, als es um die

angedachte Befreiung der „Hansa Stavanger“ ging. Wirkritisieren nachdrücklich, und zwar vom ersten Tage anbis heute, dass die Bundesregierung die Ermächtigung,die wir, der Bundestag, ihr gegeben haben, nicht aus-nutzt.

Die Regierung – das hat auch der Staatsminister getan –klopft sich dafür auf die Schulter, dass sie 24 Schiffe desWorld Food Programme begleitet hat. Das ist richtig; dasist gut. Aber das ist circa 1 Promille der jährlichenSchiffsbewegungen am Horn von Afrika. Es als Erfolgzu bezeichnen, dass wir 1 Promille geschützt haben,kann man doch nur als Schönfärberei kennzeichnen.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

Die Piraterie geht munter weiter. Dutzende von Schiffensind in den Händen von Piraten. Am 12. Mai 2009 mel-dete das Internationale Marinebüro – eine sehr verlässli-che Quelle –, dass bereits jetzt, am 12. Mai, die Zahl derPiratenüberfälle die für das Gesamtjahr 2008 überschrit-ten hat. Und da redet unsere Regierung von einem Er-folg. Das kann doch wohl nicht wahr sein.

Dabei bestand die Bundesregierung in dem Antrag fürdas Mandat, dem wir zugestimmt haben, ausdrücklichauf der Ermächtigung, aktiv gegen Piraten vorzugehen,Piratenschiffe aktiv zu bekämpfen, diese Schiffe zu be-schlagnahmen und die Piraten festzunehmen. Das stehtalles deutlich im Mandat. Wir haben dem zugestimmt.

Aber die Bundesregierung nimmt diese durch dasMandat erfolgte Ermächtigung bis heute nicht wahr.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Doch!)

Im Mandat wird wörtlich von der „Beschlagnahme vonSeeräuberschiffen“ gesprochen. Die Piratenakte, sehrgeehrter Herr von Klaeden, finden, wie wir alle wissen,über 500 Seemeilen von der Küste entfernt statt. Wir allewissen, dass es völlig unmöglich ist, dass die Schlauch-boote von Land aus bis dahin fahren. Die haben natür-lich Mutterschiffe. Wir alle wissen, wo diese liegen – wirwissen das nicht von allen, aber von einigen –, spätes-tens dann, wenn wir das machen würden, was gebotenwäre, nämlich die Boote bei abgewehrten Piratenangrif-fen zu verfolgen und zu beobachten, wohin sie fahren.Sie fahren nämlich nicht an die Küste, sondern zu ihrenMutterschiffen. Wenn wir so vorgehen würden, dannwüssten wir, wo die Mutterschiffe liegen. Andere Natio-nen machen das. Wir tun das bisher nicht.

Als verantwortliche Politiker müssen und können wirdoch hoffentlich davon ausgehen, dass die Ermächti-gung, die wir der Bundesregierung erteilt haben, vondieser auch genutzt wird; ansonsten bräuchten wir keineMandatsanträge zu verabschieden. Die Bundesregie-rung nutzt diese bisher eindeutig nicht.

Ich sage hier ausdrücklich: Wie die Bundesregierungdieses Mandat erfüllt, darüber zu entscheiden, ist nichtunsere Aufgabe. Wir stehen nicht auf dem Feldherrenhü-gel. Wie Sie das umsetzen, das zu entscheiden, ist IhreAufgabe. Dazu haben Sie gut ausgerüstete und ausgebil-dete Soldaten und andere Kräfte, die das tun. Dies istIhre Obliegenheit.

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Dr. Rainer Stinner

Bei 24 000 Schiffsbewegungen pro Jahr ist es ebennicht ausreichend, sich auf die Begleitung von Schiffenim Rahmen des World Food Programme zu beschränken.Begleitung ist zwar gut und richtig. Aber angesichts derGröße des Seegebietes und angesichts des Einsatzes voncirca 30 Schiffen weltweit – davon 8 im Rahmen von„Atalanta“ – ist es völlig undenkbar, alle Schiffe beglei-ten zu wollen. Deshalb müssen wir aktiv gegen Piraterievorgehen.

Daher sagen wir: Die Ausweitung des Mandatsgebie-tes ist geboten. Wenn wir aber in der Vergangenheit aktivgegen Piraterie vorgegangen wären, hätten wir die Ope-rationsbasis der Piraten eindeutig einschränken können.Deshalb verknüpfen wir – Frau Präsidentin, ich kommezum Schluss – unsere heute Zustimmung mit der eindeu-tigen Erwartung an die Bundesregierung, dass sie jetztendlich das tut, was geboten ist, nämlich aktiv gegen Pi-raterie vorzugehen. Piraten auf hoher See sind Schwerst-kriminelle. So müssen sie auch behandelt werden. Wirfordern Sie auf, endlich zu agieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,

Dr. Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-gung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kol-lege Stinner, ich will zunächst die Kritik, die Sie am Ein-satz der deutschen Marine am Horn von Afrika imRahmen des Mandats „EU-Atalanta“ geübt haben, mitNachdruck zurückweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich halte dies für eine Diskreditierung unserer Soldatin-nen und Soldaten

(Dr. Max Stadler [FDP]: Sie haben nicht zugehört!)

– Kollege Stadler, ich begründe das: Der Einsatz imRahmen von „Atalanta“ ist erfolgreich. Denn was ist dieAufgabe, die dieses Parlament beschlossen hat? Erstensdie Begleitung der Schiffe im Rahmen des World FoodProgramme, zweitens die Begleitung der Handelsschiffeunter EU-Flagge und drittens die Verfolgung, die hierteilweise dargestellt worden ist.

Man muss schon zur Kenntnis nehmen, dass mittler-weile 180 000 Tonnen Lebensmittel und 150 Handels-schiffe, die sich ordentlich angemeldet haben, sicher indie Häfen begleitet worden sind, dass 27 Piratenangriffeabgewehrt worden sind und 68 Piraten festgenommenund vor Gericht gebracht worden sind. Lieber Herr Kol-lege Stinner, ich finde schon, dass diese Bilanz deutlichmacht, dass unsere Soldatinnen und Soldaten ihren Auf-trag gut erfüllen. Deshalb bin ich ihnen für das Engage-ment im Rahmen des Mandats „EU-Atalanta“ dankbar.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es geht hier um den Einsatz der deutschen Marine; Kol-lege Stinner, daran können Sie nicht vorbeireden.

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Tue ich auch nicht!)

Ich will Folgendes hinzufügen: Sie haben natürlichrecht, wenn Sie sagen, dass das Seegebiet neunmal sogroß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Aber un-ser Problem ist doch zurzeit, dass Schiffe unangemeldetin dieses Seegebiet fahren und man sich dann wundert,dass man Piratenangriffen ausgesetzt ist, oder dass Se-gelregatten in diesem Seegebiet durchgeführt werdenund man sich wundert, dass man Opfer von Piraten-angriffen und auch von terroristischen Aktivitäten wird.Ein solches Verhalten hat aus meiner Sicht in diesemSeegebiet derzeit nichts verloren. Deshalb kann ich je-dem Reeder nur raten, dass er sich entsprechend demKonzept zur vernetzten Sicherheit anmeldet und entspre-chend begleitet wird.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, warum beschließen wirdenn heute die Erweiterung des Mandats? – Weil die Pi-raten darauf reagiert haben. Da wir im Golf von Adenund vor der Küste Somalias im Rahmen dieses Mandatseffektiv sind, sind sie in ein weiteres Gebiet im Indi-schen Ozean bis hin zu den Seychellen ausgewichen.

Kollege Stinner, was das Argument der Mutterschiffeangeht, so fahren sie dort nicht mit Piratenflagge. Viel-mehr hat man private Transportschiffe gekapert. Sie wis-sen doch ganz genau, was unseren indischen Kameradenpassiert ist: Sie haben ein derartiges Schiff versenkt, unddann hat sich herausgestellt, dass thailändische Fischeran Bord waren. So etwas ist doch nicht Sinn und Zweckder Übung. Deshalb muss man hier schon sehr differen-ziert vorgehen und verhältnismäßig reagieren, das heißt,einerseits den Auftrag erfüllen und andererseits keineUnbeteiligten in Gefahr bringen, die auf privaten Schif-fen unterwegs sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

„EU-Atalanta“ ist jetzt mit etwa 13 Schiffen in die-sem Mandat, von denen wir drei stellen. Wir leisten mitdem Seefernaufklärer „Orion“ einen wichtigen Beitrag.Insgesamt sind jetzt 40 Schiffe im Seegebiet, und es isteine Kontaktgruppe eingerichtet worden, um eine ent-sprechende Koordinierung vorzunehmen. Es ist nämlichauch sinnvoll, dass nicht jede Nation nur auf ihren eige-nen Bereich schaut, sondern dass wir hier gemeinsamoperieren, um Seesicherheit und freien Seehandel herzu-stellen.

Wenn in dieser Debatte gesagt wird, dass es sich beiden Piraten um arme Fischer aus Somalia handele, mussich dem mit Nachdruck widersprechen. Dort findet orga-nisierte Kriminalität statt. Sie müssen einmal sehen, inwelcher Art und Weise dort vorgegangen wird: Nach-dem wir Piraten festgenommen und vor ein Gericht inKenia gebracht hatten, wurde die Bundesregierung mitKlagen wegen Freiheitsberaubung der Piraten überzo-gen. Dies zeigt doch, wie absurd hier zum Teil agiertwird. Deshalb müssen wir unseren Auftrag, gegen diePiraterie vorzugehen, wirkungsvoll erfüllen.

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Bundesminister Dr. Franz Josef Jung

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich bin dankbar, dass wir – Kollege Erler hat es hiervorgetragen –, die Piraten in Kenia vor Gericht bringenkönnen. Ich halte es auch für richtig, dass wir uns weiter-hin darum bemühen und Russland es auch unterstützt,dass ein internationaler Gerichtshof zur Pirateriebe-kämpfung in der Region errichtet werden kann. Unsereniederländischen Kollegen haben gerade Folgendes er-lebt: Als sie die Piraten vor ein niederländisches Gerichtgestellt haben, haben diese die Bitte ausgesprochen,möglichst lange in den Niederlanden bleiben zu dürfen,und haben im Grunde schon um Asyl gebeten. Dies istauch nicht Sinn und Zweck einer solchen Bestrafung, dieletztlich eine Bekämpfung der Piraterie darstellen soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte esschon für richtig, dass wir auch in diesem Bereich unserKonzept der vernetzten Sicherheit umsetzen. Ich habegesagt: Schiffe anmelden, damit begleitet werden kann,aber auch eine Entwicklung in Somalia unterstützen, diemöglichst wieder zu stabileren Verhältnissen führt. Dieinternationale Gemeinschaft hat jetzt ein Programm von200 Millionen Euro beschlossen, damit auch von Landher wirkungsvoller gegen Piraterie vorgegangen und ge-wissermaßen parallel ein gemeinsamer Erfolg erzieltwerden kann.

Aus der Tatsache, dass wir effektiv handeln, folgte,dass sich die Piraterie in den Indischen Ozean ausge-dehnt hat. Deswegen ist vom Politischen und Sicher-heitspolitischen Komitee der Europäischen Union am19. Mai der Beschluss gefasst worden, den Operations-plan zu verändern. Damit wird das Seegebiet von3,5 Millionen Quadratkilometern auf 5 Millionen Qua-dratkilometer ausgedehnt, wie gesagt, bis zu den Sey-chellen. Das Bundeskabinett hat dieser Erweiterung am27. Mai zugestimmt.

Es ist richtig und notwendig, dass der Deutsche Bun-destag dieser Erweiterung des Operationsgebiets seineZustimmung gibt, worum ich ausdrücklich bitte. Dannwerden wir auch weiterhin mit der deutschen Marine un-seren Beitrag im Rahmen der Operation „EU-Atalanta“leisten und in möglichst großem Umfang Seesicherheitherstellen und freien Seehandel gewährleisten können;denn bis zu 90 Prozent unserer Produkte werden teil-weise auf See transportiert. Daher liegt es auch im Inte-resse Deutschlands, dass unsere Soldatinnen und Solda-ten einen Beitrag zur Bekämpfung der Piraterie und zurHerstellung eines freien Seehandels leisten. Ich bitte Sieum Unterstützung für dieses Mandat, damit wir einenwirkungsvollen und effektiven Beitrag leisten können,um die Geißel der Piraterie in diesem Seegebiet zu be-kämpfen.

Recht schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Stinner

das Wort.

Dr. Rainer Stinner (FDP): Vielen Dank. – Auch wenn ich von der Regierungs-

bank „Herrje!“ höre, nachdem Sie mich ausdrücklich an-gesprochen haben, Herr Minister, möchte ich mein par-lamentarisches Recht wahrnehmen und erwidern. Ichhabe den Äußerungen entnehmen können, dass das derRegierungsbank nicht gefällt.

Herr Minister, zunächst einmal Folgendes: Ich habesehr deutlich gesagt, dass ich den Einsatz der Soldatenwertschätze, ich den Soldaten meine Anerkennung aus-spreche und sie nicht kritisiere. Ich finde es den Soldatengegenüber nicht fair, dass Sie die Kritik, die ich an Ih-nen, Herr Minister, und an der Bundesregierung geäu-ßert habe, auf die Soldaten umlenken. Das haben unsereSoldaten nicht verdient.

(Beifall bei der FDP)

Zweitens. Sie haben wieder einmal auf die 150 unddie 24 Schiffe hingewiesen. Ich wiederhole es: Das ent-spricht 1 Promille. Bei 1 Promille Sicherheit können wirnicht von einem Erfolg der Pirateriebekämpfungsaktionreden.

Drittens: Mutterschiffe. Ich war im maritimen NATO-Hauptquartier in Neapel. Dieselben Informationen sindmir vom Flottenkommando gegeben worden. Wir wuss-ten und wissen, wo die Mutterschiffe liegen. Sie sind bisauf 100 Meter genau identifiziert und mir gezeigt wor-den. Ich weise noch einmal auf den Vorschlag hin: WennSie die Schlauchboote verfolgen würden, wüssten Sie,wo die Mutterschiffe sind. Sie sind eindeutig gekenn-zeichnet.

Mein letzter Punkt: Eine Ausweitung ist richtig.Wenn Sie aber nichts gegen die Piraterie tun, werden Siedas Gebiet alle sechs Monate ausweiten müssen, bis zumEnde der Welt. Sie müssen gegen Piraterie aktiv vorge-hen, sonst nützt die Ausweitung überhaupt nichts.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau: Möchten Sie erwidern, Herr Minister?

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-gung:

Herr Kollege Stinner, ich will meine Argumente nichtwiederholen. Ich will Sie aber darauf hinweisen, dass dieBundesregierung diese Operation gemeinsam mit denmilitärisch Verantwortlichen durchführt. Dadurch, dassSie die Operation kritisieren, kritisieren Sie letztlich na-türlich auch unsere Soldatinnen und Soldaten. Wir ste-hen unter einem europäischen Mandat. Wir haben eineneuropäischen Kommandeur in Northwood, wie Sie wis-sen. Wir haben ein Force Headquarter vor Ort. Das istein Einsatz, der europäisch geleitet wird. Ich finde – dasentspricht übrigens auch der Beurteilung meiner euro-päischen Kollegen –, dass das Mandat „EU-Atalanta“bisher erfolgreich umgesetzt wurde.

Ich sage Ihnen noch einmal: 180 000 Tonnen Lebens-mittel und 150 Handelsschiffe sind kein Pappenstiel.Wenn die Schiffe angemeldet werden, kommen sie si-

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Bundesminister Dr. Franz Josef Jung

cher in die Häfen. Dass wir das Mandat heute ausdehnenmüssen, zeigt aus meiner Sicht die Effektivität der Um-setzung des Mandats. Deshalb wollen wir unseren Auf-trag weiterhin in dieser Art und Weise erfüllen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat nun der Kollege Dr. Norman Paech für

die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Erler und Herr Jung, ich kann ja verste-hen, dass Sie optimistisch sein und sich ein schönes Bildmalen müssen. Ich bin aber sehr viel mehr bei HerrnStinner, der realistisch aufgezeigt hat, was dort wirklichgeschehen ist.

Ich will nur zwei Zahlen nennen. Sie können es imAugenblick vielleicht als Erfolg werten, dass 2008 nur42 Schiffe erfolgreich gekapert worden sind und 2009bis jetzt nur 29. Warten Sie aber die kommenden Monateab. Die Rechnung wird am Schluss gemacht. Sie werdensehen, dass in 2009 sehr viel mehr Schiffe gekapert wer-den.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Dann rech-nen Stinner und Paech ab!)

Im Grunde ist Ihnen allen doch klar, dass diese Artder Piratenjagd gar keinen Erfolg haben kann. Jetzt wol-len Sie das Einsatzgebiet von 3,5 Millionen Quadratkilo-metern auf 5 Millionen Quadratkilometer ausweiten.Das ist ungefähr 14-mal so groß wie die Bundesrepublik.Sie wissen ganz genau, dass diese paar Dutzend Schiffeauf diesem Gebiet noch weniger ausrichten können alsbisher.

Schon kommen der Verband Deutscher Reeder, aberauch die FDP – das war vorauszusehen – mit der Forde-rung nach mehr Schiffen. 150 Schiffe bringt FrauHomburger schon ins Spiel. Der „Atalanta“-Komman-deur Philipp Jones spricht von Hunderten Schiffen, dienotwendig wären.

Jetzt haben Sie erst einmal die Seychellen im Visier,und dann kommt natürlich irgendwann Madagaskarhinzu. Das hat doch alles keinen Sinn. Sie kaschierenIhre Hilflosigkeit durch militärische Muskeln. Das erin-nert mich historisch ein wenig an Wilhelm II., der ein-mal vor Marokko aufkreuzte.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Das ist eine Verharmlosung vonWilhelm II.! – Wolfgang Wieland [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie sprechen javon Kriegsmarine, nicht von der kaiserlichenMarine!)

Im neuesten Friedensgutachten der fünf größten For-schungsinstitute stehen zu unserem Thema zwei bemer-kenswerte Aussagen, die ich zitieren möchte:

Eine fast kriminell zu bezeichnende Untätigkeit derentwickelten Länder hat mit dazu beigetragen, dasssich ein zunächst unbedeutendes lokales Ärgerniszu einer internationalen wirtschaftlichen Bedro-hung auswirken konnte.

Und:

Piraterie ist ein ständiges Phänomen, sie reagiertvor allem auf fehlende Regierungsführung, extremeEinkommensunterschiede und auf politische Miss-stände.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist der Kern des Problems und auch der Schlüsselfür eine nachhaltige Lösung.

Es gibt im Grunde drei Arten internationaler Krimina-lität vor Somalia, die von dem Zerfall dieses Staates pro-fitiert haben und profitieren. Das sind der illegale Fisch-fang durch industrielle Fangflotten, die Verklappung vonGiftmüll und die Piraterie. Alle drei sind sehr eng mit-einander verbunden, und für alle drei Probleme sind diegroßen Industrieländer hauptverantwortlich.

(Beifall der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE])

Wessen Schiffe waren es denn, die den Fisch aus demMeer geholt und stattdessen Unmengen von Giftmülldort verklappt und versenkt haben? Erst die Angriffe aufdie Schiffe der großen Industrienationen haben für öf-fentliche Empörung gesorgt und das Militär auf den Plangebracht.

In der Debatte vor ungefähr 14 Tagen wollten Sienichts von dem illegalen Fischraub hören. Deshalb hiernoch einmal zwei Zahlen: Schon 2005 belief sich derjährliche Verlust für die somalische Wirtschaft auf 94 Mil-lionen Dollar, und 2008 haben Europäer und AsiatenFisch im Wert von 300 Millionen Dollar aus den Gewäs-sern vor Somalia geholt. Was blieb den armen Küstenbe-wohnern eigentlich noch übrig? Sie konnten entwederflüchten und auf dem Meer sterben oder angreifen.

Um nicht missverstanden zu werden: Piraterie darfdie Seeschifffahrt nicht gefährden und muss bekämpftwerden. Aber solange Sie nicht mit zivilen Mitteln andie Wurzeln herangehen, ist jede militärische Aktionsinnlos und destabilisiert die gesamte Region. Deswegenlehnt die Linksfraktion dieses ganze unsinnige Unter-nehmen ab.

(Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold[SPD]: Gibt es auch eine Perspektive nach die-ser Analyse?)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der UN-Sicherheitsrat hat unverändert recht: Die Pirate-rie vor Somalia ist eine Bedrohung internationaler Si-cherheit. Diese Bedrohung betrifft übrigens zum großen

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Winfried Nachtwei

Teil Seeleute aus der sogenannten Dritten Welt, zumin-dest was die Schiffsbesatzungen angeht. Die Staaten sinddeshalb aufgerufen, die Piraterie mit einem Bündel vonkurzfristig, mittelfristig und langfristig wirkenden Maß-nahmen zu bekämpfen und einzudämmen. Es wäre einsicherheitspolitischer Albtraum, würde die heutige orga-nisierte Kriminalität der Piraterie sich mit transnationa-lem Terrorismus verbinden.

Ausgehend vom Beschluss des Europäischen Rateslegt die Bundesregierung mit ihrem heutigen Antrag eineKlarstellung und Präzisierung zum Einsatzgebiet vor. Esist gesagt worden, dass das reale Einsatzgebiet von3,5 Millionen auf 5 Millionen Quadratkilometer erwei-tert wird. Das ist eine unvorstellbar große Fläche. Ange-sichts der realen Verlagerung der Piratenaktionen istdiese Ausweitung zunächst einmal plausibel. Aber istdiese Maßnahme auch geeignet, zu einer wirksamerenPiratenbekämpfung beizutragen?

Kurze Zwischenbilanz: Alle Transporte – die Zahlensind schon genannt worden – des World Food Programmemit über 150 000 Tonnen Hilfsgütern sind sicher nachSomalia gekommen. 24 Group-Transits sind sicherdurch den Golf von Aden geleitet worden. Die Befürch-tung, die nicht wenige hatten, nämlich dass es auch zuMilitäroperationen an Land kommt und dadurch eine un-berechenbare Eskalation in Gang gesetzt wird, hat sichnicht bewahrheitet. So weit ist ein Teilerfolg zu ver-zeichnen.

Aber zu der Bilanz gehören auch andere Zahlen, dieebenfalls schon genannt worden sind. Im vorigen Jahrhat es insgesamt 111 Piratenüberfälle und 42 Kaperun-gen gegeben. In diesem Jahr waren es bis Anfang Maiinsgesamt 114 Überfälle und 29 Kaperungen. Man musssehen, dass in diesem Raum Abertausende von Schiffenunterwegs sind. Von einer wirksamen Eindämmung derPiraterie ist die Staatengemeinschaft noch sehr weit ent-fernt.

Vor Ort sind im Rahmen von drei Operationen mehrals 40 Kriegsschiffe im Einsatz, darüber hinaus etlicheunter nationalem Kommando. Hier kann man nicht voneinem effektiven Multilateralismus sprechen, sondernnur von einem ausdrücklich ungeordneten Multilateralis-mus. Die wichtigste Aufgabe ist, dass wenigstens dievorhandenen Kräfte viel besser organisiert werden und– der Vorschlag ist nicht neu – alles unter ein UN-Kom-mando gebracht wird. Dadurch würde die Effektivität si-cher steigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss möchte ich Maßnahmen ansprechen, dieausschlaggebend sind – dazu gehört die Militäroperationnicht –, aber fast gar nicht berücksichtigt werden. Ers-tens. Was geschieht international gegen die Hintermän-ner, Planer und Finanziers?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Der Dreh- und Angelpunkt ist die kaputteStaatlichkeit an Land, vor allem in Somalia. Hier sind inden letzten Monaten erste Schritte gemacht worden:Eine Kontaktgruppe hat sich gebildet. Die äthiopischenTruppen sind abgezogen, was sehr wichtig war, um die

Chancen für eine politische Konfliktlösung zu erhöhen.Außerdem hat im April dieses Jahres eine Geberkonfe-renz in Brüssel stattgefunden.

Die sehr schwache Übergangsregierung in Moga-dischu und die sogenannten Behörden in Puntland undSomaliland im Norden haben jeweils als Drängendstesvon der Staatengemeinschaft gefordert: Bitte helft unsbeim Aufbau von Sicherheitsstrukturen und von ein we-nig Staatlichkeit! – Dafür soll ein Großteil der Gelderder Geberkonferenz, die 213 Millionen Euro zugesagthat, verwandt werden.

Hier stehen wir wieder vor einem Problem: Das Geldsteht zur Verfügung. Alle sagen, der Aufbau von solchenStrukturen und von zumindest ein wenig funktionieren-der Staatlichkeit sei elementar. Aber dafür braucht manauch die entsprechenden Personalkapazitäten.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Nachtwei, achten Sie bitte auf die Zeit.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. – Es darf nicht wieder so ab-

laufen wie zum Beispiel im Kongo bei den MissionenEUSEC und EUPOL, wo es von deutscher Seite hieß:Wir haben nicht genügend Soldaten und Polizisten, dieFranzösisch sprechen. – Jetzt kann man diese Leute ausSicherheitsgründen noch nicht dort hinschicken. Aberwenn die politische Konfliktlösung etwas weiter voran-geschritten ist, dann muss man auch Ausbilder, Beraterusw. – keine Soldaten – hinschicken können. Dafür müs-sen jetzt die Kapazitäten aufgebaut werden, damit manin einem halben Jahr oder in einigen Monaten wirklichentsprechend helfen kann.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie bei Abgeordneten derLINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/13187 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlageabweichend von der Tagesordnung nicht gemäß § 96 derGeschäftsordnung an den Haushaltsausschuss überwie-sen werden soll. Sind Sie damit einverstanden? – Das istder Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 40. Dazuliegen mir zahlreiche Erklärungen gemäß § 31 unsererGeschäftsordnung vor. Wie vereinbart, nehmen wir dieseErklärungen zu Protokoll.1)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf:

Beratung des Berichts des Rechtsausschusses(6. Ausschuss) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts-ordnung zu dem von den Abgeordneten JanKorte, Petra Pau, Ulla Jelpke, weiteren Ab-

1) Anlagen 12 bis 15

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Vizepräsidentin Petra Pau

geordneten und der Fraktion DIE LINKE einge-brachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes zur Aufhebung natio-nalsozialistischer Unrechtsurteile in der Straf-rechtspflege (2. NS-AufhGÄndG)

– Drucksachen 16/3139, 16/13032 –

Berichterstattung:Abgeordneter Andreas Schmidt (Mülheim)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeJan Korte für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Grund, aus dem wir heute hier diskutieren, ist der,dass bereits vor drei Jahren ein Gesetzentwurf zur Reha-bilitierung sogenannter Kriegsverräter von uns in denBundestag eingebracht wurde. Dies ist eine Opfer-gruppe, die bis heute nicht rehabilitiert wurde und dieHunderte, wenn nicht gar Tausende Opfer der Nazijustizumfasst. Wir wollen sie rehabilitieren. Grund für dieseDebatte ist, dass wir seit drei Jahren keine Beschluss-empfehlung des federführenden Rechtsausschusses be-kommen, und das, obwohl wir eine Anhörung des Rechts-ausschusses durchgeführt haben, der WissenschaftlicheDienst ein Gutachten vorgelegt hat, es diverse Gutachtenund Stellungnahmen von Wissenschaftlern gegeben hatund wir zuletzt sogar ein, wie ich finde, sehr aufschluss-reiches Gutachten von Hans Hugo Klein, Mitglied derCDU und Bundesverfassungsrichter a. D., das vom BMJin Auftrag gegeben wurde, bekommen haben.

Wir wollen uns heute damit beschäftigen, warum dieRehabilitierung in diesem Hause nicht zustande kommt.Denn – das ist entscheidend – es gibt bis in die Reihender CDU eine übergroße Mehrheit für diese Rehabilitie-rung. In diesem Jahr jährt sich zum siebzigsten Mal derBeginn des Zweiten Weltkrieges. Wir von der Linken sa-gen: Die Rehabilitierung muss noch in dieser Legislatur-periode geschehen. Wir sind weiter zu aller Kooperationbereit, die dazu führt, dass wir das erreichen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENund des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])

Hans Hugo Klein hat in seinem Gutachten Folgendeszu den Kriegsverratsbestimmungen geschrieben: Sieverstießen fundamental „gegen das rechtsstaatliche Be-stimmtheitsprinzip“ und waren Grundlage für „in die äu-ßere Form von Gerichtsurteilen gekleideten Tötungsver-brechen“. Sie hatten nichts mit Rechtsstaatlichkeit zutun. Der Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jungschreibt dazu: In diesem Fall stehen die bislang vorge-brachten Sachargumente einer entsprechenden Gesetzes-änderung nicht entgegen, sodass es von hier aus keineVorbehalte dagegen gibt. Dies habe ich dem KollegenGeis mit Schreiben vom 17. März 2009 mitgeteilt.

Ebenso dafür sind – das konnte man heute nachlesen –Joachim Gauck, Bischof Huber, die EKD, Pax Christi,Richtervereinigungen, vor allem Opfergruppen und nunauch – das ist sehr erfreulich – die SozialdemokratischePartei Deutschlands; denn besonders viele Opfer unterden Kriegsverrätern waren Sozialdemokraten, die unterden Fallbeilen der Nazijustiz zu Tode gekommen sind.

Ich glaube, dass es bis in die CDU hinein – FranzJosef Jung ist Mitglied der CDU – Unterstützung dafürgibt. Allerdings müssten Sie, Herr Gehb, einmal erklä-ren, wie Sie zu den Aussagen Ihres Kollegen Geis ste-hen. In der FR wird zitiert:

Darüber hinaus sei eine solche pauschale Aufhe-bung unerträglich für ihn,

– also Geis –

weil damit die Arbeit von Juristen in der NS-Zeitpauschal verunglimpft würde.

Weiter lässt er sich zitieren:

„Alle Urteile würden damit zu Unrechtsurteilen.“

Wenn irgendetwas Unrecht gewesen ist, dann dochdas. Darüber gibt es in der Wissenschaft, der Publizistikund, ich glaube, auch hier im Bundestag nach so vielenJahren und Jahrzehnten des Kampfes keinen Dissensmehr.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Ich frage mich, wie lange solche Positionen hier nochvorgetragen werden dürfen und wie lange der Versuchgemacht werden soll, die Nazijustiz vom Nationalsozia-lismus abzutrennen. Es kann hier keine Trennung geben.Die Nazijustiz und in besonderer Weise die Nazimilitär-justiz waren substanzieller Bestandteil des nationalsozia-listischen Terror- und Willkürregimes.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-ten der SPD)

Es gibt keine Anhaltspunkte, die dagegensprechen.

In diesem Sinne erinnern wir uns daran, dass auch dieRehabilitierung der Widerstandskämpfer des 20. Juli1944 bitter erkämpft werden musste. Wir erinnern uns anden Sozialdemokraten Fritz Bauer, den hessischen Gene-ralstaatsanwalt, der im Remer-Prozess maßgeblich dafürgesorgt hat. Er endete damals sein Schlussplädoyer, in-dem er mit Blick auf den 20. Juli sagte: „Unrecht kenntkeinen Verrat.“ Was, bitte schön, soll daran Unrecht sein,wenn man einen der barbarischsten Vernichtungs- undAngriffskriege in der Geschichte der Menschheit verrät?Das müssen Sie erklären.

Es wäre schön, wenn wir heute, fast 70 Jahre nachBeginn des Zweiten Weltkrieges, diese letzte Opfer-gruppe rehabilitieren würden. Damit würden wir deut-lich machen, dass diese Personen in unserem Sinne ge-handelt haben. Denn jeder Verrat trug dazu bei, dassAuschwitz, die industrielle Massenvernichtung nichtlänger laufen konnten. Jeder Verrat führte dazu, dass die

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Jan Korte

Dauer dieses Krieges, der jeden Tag Tausende oder teil-weise sogar Millionen von Opfern gefordert hat, ver-kürzt wurde.

Ich würde mich sehr freuen, wenn in dieser Legisla-turperiode endlich die erforderliche parlamentarischeMehrheit, die es in diesem Hause gibt, zustandekommenwürde, damit wir den Angehörigen der Opfer das Zei-chen geben könnten, dass ihre Väter und Großväter nichtvorbestraft sind, sondern unseren Respekt haben.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-ten der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die

Unionsfraktion.

Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir de-

battieren heute nicht die Aufhebung von NS-Urteilenwegen Kriegsverrats.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil ihr nicht wollt!)

Gegenstand dieses Tagesordnungspunktes ist vielmehrder Bericht des Rechtsausschusses nach § 62 Abs. 2 derGeschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu derFrage, warum sich der Rechtsausschuss zehn Sitzungs-wochen nach der Überweisung in der Sache immer nochnicht abschließend geäußert hat.

Der Deutsche Bundestag hat sich bereits zweimal,nämlich 1998 und 2002, sehr umfangreich mit der Frageder pauschalen Aufhebung der NS-Urteile wegenKriegsverrats beschäftigt. Er hat die pauschale Aufhe-bung jeweils mit großer Mehrheit abgelehnt.

(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Peinlich ge-nug! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Das war falsch!)

Offenbar hält auch die Bundesregierung an dieser Auf-fassung fest. Jedenfalls hat das Bundesministerium derJustiz, geführt von der der SPD angehörenden Bundes-ministerin Brigitte Zypries, auf eine Kleine Anfrage derFraktion Die Linke auf Bundestagsdrucksache 16/1849,

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wann ist die denn?)

in der es um die Frage geht, ob der Kriegsverrat im Na-tionalsozialismus verurteilenswert sei, mit Schreibenvom 15. Juni 2006 wie folgt geantwortet – ich zitiere –:

Die Frage lässt sich nur im konkreten Einzelfall be-antworten. Dabei kommt es darauf an, ob infolgedes Verrats zusätzliche Opfer unter der Zivilbevöl-kerung und/oder deutschen Soldaten zu beklagenwaren oder ob infolge des Verrats derartige Opfergerade vermieden wurden. Der Gesetzgeber hatsich deshalb nach Auffassung der Bundesregierungzu Recht dafür entschieden, bei der Änderung des

Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Un-rechtsurteile in der Strafrechtspflege … für dieseFälle eine pauschale Aufhebung abzulehnen und esbei der Einzelfallprüfung zu belassen.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Frau Zypries hat dazugelernt! Das soll-ten auch Sie tun! – Klaus Uwe Benneter[SPD]: Dazu gibt es inzwischen auch eine Stu-die eines Sozialdemokraten!)

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht keinerlei An-haltspunkte, weder im Hinblick auf den Sachverhalt – erist ja abgeschlossen – noch in rechtlicher Hinsicht, diean dieser Bewertung irgendetwas ändern könnten;

(Jan Korte [DIE LINKE]: Unfassbar!)

bei unserem Koalitionspartner scheint das offenbar nichtder Fall zu sein. Sowohl der Koalitionsvertrag als auchdie Kooperationsvereinbarung der Koalitionsfraktionenverlangen ein einheitliches Abstimmungsverhalten.

(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann stimmt doch zu!)

Da ein einheitliches Abstimmungsverhalten bisher nichtzu erzielen war, hat der Rechtsausschuss von einer Be-schlussempfehlung, wie sie in § 62 Abs. 1 der Ge-schäftsordnung des Deutschen Bundestages vorgesehenist, abgesehen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. KirstenTackmann [DIE LINKE]: Aha! Sie blockierenalso! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Interessant! In der Sache habenSie aber leider gar nichts gesagt! – WinfriedNachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Wie wollen Sie eigentlich glaubwürdig dennächsten 20. Juli begehen?)

Vizepräsidentin Petra Pau: Die Rede des Kollegen Jörg van Essen für FDP-Frak-

tion nehmen wir zu Protokoll.1)

Das Wort hat der Kollege Dr. Carl-Christian Dresselfür die SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

denke, über diesen Tagesordnungspunkt kann man nichtreden, ohne sich auch über die materielle Frage, die Re-habilitierung der wegen sogenannten Kriegsverrats Ver-urteilten, zu unterhalten. Die Zahl der während des Nazi-terrors in Deutschland begangenen Verbrechen istLegion. Wenn man sich die Bewusstwerdung und dieReflexion des in Deutschland seit 1945 Geschehenen vorAugen hält, stellt man fest: Es gibt unterschiedliche Pha-sen, und es gibt unterschiedliche Lernprozesse.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

1) Anlage 16

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24934 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009

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Dr. Carl-Christian Dressel

Das hat sich auch in diesem Hohen Hause, wenngleichnicht an dieser Stelle, sondern noch in Bonn, bei denVerjährungsdebatten in den Jahren 1965, 1969 und 1979deutlich gezeigt.

Wir haben diesen Lernprozess allerdings noch nichtabgeschlossen. Wir brauchen eine langfristige Reflexiondieses dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte.Aber diese Langfristigkeit und dieses Tempo sind ausder Sicht der Opfer nur schwer erträglich; denn die Op-fer mussten noch lange nach dem Ende des Naziregimesden Makel verurteilter Straftäter tragen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit Recht werden wir auch in diesen Tagen wiederholtdarauf hingewiesen.

Durch das Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechts-urteilen aus dem Jahre 1998 in der Fassung seiner Er-gänzung im Jahre 2002 wurde viel für viele Opfer er-reicht und ihre Ehre wiederhergestellt. Dabei ging esauch um Tatbestände des Militärstrafgesetzbuches. DieBestimmungen zum Kriegsverrat wurden hiervon aller-dings ausgenommen. Sie wurden bewusst nicht in dieListe aufgenommen, da damals zumindest theoretischnoch davon ausgegangen wurde, dass die sogenanntenKriegsverräter im Einzelfall auch eigene Kameraden ge-fährdet haben. Daher gilt immer noch die Regelung, dasseine Einzelfallprüfung nötig ist.

Grundlage hierfür war das, was man unter Historikernund Juristen eine gefestigte herrschende Meinung nennt.Durch die Untersuchungen wurde aber gezeigt, dass diegefestigte herrschende Meinung nicht nur infrage zustellen, sondern widerlegt ist.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Seit nunmehr zwei Jahren liegen mit dem Buch Dasletzte Tabu. NS-Militärjustiz und Kriegsverrat von Wolf-ram Wette neue, gefestigte, wissenschaftlich fundierteErkenntnisse über diese Thematik vor. An dieser Studiehaben renommierte Militärhistoriker wie Manfred Mes-serschmidt und Detlef Vogel mitgewirkt. Dadurch wur-den wir veranlasst, zu prüfen, ob es geboten ist, nun auchdiese Ausnahme zu beseitigen und diese Verurteilungenwegen Kriegsverrats ebenfalls pauschal aufzuheben.Nach dieser Prüfung haben wir Veranlassung, zu sagen,dass diese Ausnahme keinerlei Rechtfertigung mehr hat.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollege Gehb hat etwas sehr Richtiges getan, er hatnämlich Bundesministerin Zypries zitiert, allerdings ausdem Jahre 2006. Ich zitiere Brigitte Zypries mit Ihrer Er-laubnis, Frau Präsidentin, vom 21. Juni 2007 mit denWorten:

Ich meine, diese Studie gibt dem Gesetzgeber An-lass, neu darüber zu diskutieren, ob man nicht auchdie Verurteilungen wegen Kriegsverrats pauschalaufheben sollte.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich zitiere abermals Brigitte Zypries, und zwar vom16. Juni 2008:

Ich meine, es wäre konsequent, auch Kriegsverratin die lange Liste der Delikte aufzunehmen, bei de-nen NS-Urteile nicht mehr im Einzelfall auf ihrenUnrechtscharakter geprüft werden müssen, sondernpauschal aufgehoben sind.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf Antrag meiner Fraktion wurde am 5. Mai 2008eine Anhörung durchgeführt. Die von meiner Fraktionbenannten Sachverständigen Professor Wette und Pro-fessor Messerschmidt haben ihre Positionen überzeu-gend dargestellt. Wir konnten uns von der Belastbarkeitder aktuellen Forschungsergebnisse überzeugen. Alleabweichenden Expertenmeinungen sehen wir damit alswiderlegt an.

Damit liegt uns sowohl auf historischer als auch aufjuristischer Seite durch das Gutachten von ProfessorHans Hugo Klein eine klare wissenschaftliche Stellung-nahme zum Thema Kriegsverrat vor, der man aus meinerÜberzeugung nicht mehr widersprechen kann. Das istdas Novum in dieser Auseinandersetzung.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hans Hugo Klein führt mit Recht aus, dass dieserStraftatbestand mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nichtvereinbar war, und zwar von Anfang an, seit seiner Ein-führung im Jahre 1934. Dies ergibt sich aus dem Zusam-menspiel zwischen der Weite der Tatbestandsvorausset-zungen – ganz klares NS-Recht – einerseits und derabsoluten Androhung nur einer Strafe, nämlich der To-desstrafe, andererseits, wodurch die Richter nach denüberzeugenden Ausführungen von Professor Klein ge-zwungen waren, die Todesstrafe zu verhängen, selbstwenn ihnen diese zu hart war. Es bedarf keiner großarti-gen intellektuellen Anstrengung, festzustellen: Wenn dasGesetz rechtsstaatswidrig war, dann kann auch die aufdiesem Gesetz basierende Urteilspraxis nichts anderessein als rechtsstaatswidrig, mithin Unrecht.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit den Worten von Professor Klein, der den BGH zi-tiert:

Die Grausamkeit, die das Bild der Justiz in der NS-Zeit prägt, gipfelte in einem beispiellosen Miss-brauch der Todesstrafe. § 57 des Militärstrafgesetz-buches hat nach Tatbestand und Rechtsfolge dieWeichen für diesen Missbrauch gestellt. Er bot dieGrundlage für eine Vielzahl von in die äußere Formvon Gerichtsurteilen gekleideten Tötungsverbre-chen.

(Beifall bei der SPD)

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009 24935

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Dr. Carl-Christian Dressel

Aus diesen Gründen – historisch-politisch wie auchjuristisch – ist die Beendigung der Ausnahme aus Sichtmeiner Fraktion und dankenswerterweise, Herr Staatsse-kretär Hartenbach, auch aus Sicht des Bundesministe-riums der Justiz geboten. Ich nutze die Gelegenheit, Ih-nen und Frau Bundesministerin Zypries für Ihre Unter-stützung in dieser Sache zu danken.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir würden sehr gerne einen entsprechenden Koali-tionsgesetzentwurf einbringen. Damit sind wir beim vonJürgen Gehb zu Recht zitierten Koalitionsvertrag. Aberleider konnten wir die Fraktion der CDU/CSU nochnicht vollends überzeugen. Ich finde leider keinen nach-vollziehbaren Grund. Das, was zum Beispiel am Mitt-woch in der taz vom Kollegen Geis zu lesen war, stößtauf mein Unverständnis. Denn es gibt keinen einzigennachgewiesenen Fall, demzufolge als KriegsverräterVerurteilte eigennützig ihre Kameraden verraten haben.Die Fakten sprechen für das Gegenteil.

Ich bedaure, dass Bundesminister Jung nicht mehrhier ist. Denn laut Presseberichten hält auch er eine pau-schale Aufhebung der Urteile für möglich und widersetztsich nicht mehr. Das Schreiben ist heute schon angeführtworden. Ich würde mich freuen, wenn wir in diesemSinne eine Lösung erreichen.

Verurteilungen wegen Kriegsdienstverweigerung,Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung kommt nach be-stehender Gesetzeslage keine Rechtswirksamkeit zu,weil diese Verurteilungen von Anfang an Unrecht warenund von Richtern gefällt wurden, die nicht unabhängigwaren.

Der sogenannte Kriegsverrat bildet meiner Ansichtnach in diesem Zusammenhang keine Ausnahme. Ichwäre Ihnen sehr verpflichtet, meine Kolleginnen undKollegen von der Union, wenn Sie Ihre Position noch-mals überdenken könnten, um den von Jürgen Gehb ges-tern mit Recht zitierten Erfolgsbilanzen der Großen Ko-alition in der Rechtspolitik der 16. Wahlperiode noch ei-nen Punkt hinzuzufügen. Lassen Sie uns gemeinsam dieEhre der NS-Opfer wiederherstellen, in dem Sinne, indem sich Joachim Gauck heute in der taz geäußert hat:

Man muss darauf hoffen, dass auch Konservativedie Arbeiten von Wette zur Kenntnis nehmen. Nurso können die unbegründeten Vorurteile gegenKriegsverräter ausgeräumt werden.

Den Worten von Joachim Gauck habe ich nichts mehrhinzuzufügen. Ich hoffe, dass wir in der 16. Wahlperiodedoch noch zu einer Regelung kommen. Ich hoffe aufgute Zusammenarbeit.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der

Film Die weiße Rose, in dessen Nachspann steht, dassdie Verurteilung der Geschwister Scholl und ihrer Mit-streiter noch heute gültig ist, hat dazu geführt, dass hierim Bundestag debattiert wurde und dass schließlich dieUrteile des Volksgerichtshofes in toto als nationalsozia-listisches Unrecht aufgehoben wurden. Dies geschahspät, aber es geschah immerhin.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derLINKEN)

Herr Kollege Gehb, ich höre Ihnen sonst gerne zu– weniger weil ich mit Ihnen übereinstimme –: Von Ih-rem „Caligulas Pferd“ bis hin zu Ihren lateinischen Sen-tenzen argumentieren Sie in der Regel in der Sache.Heute gab es allerdings kein einziges Argument in derSache. Sie haben lediglich rein formal argumentiert, aufden Koalitionsvertrag verwiesen und gesagt, der Bun-destag habe seinerzeit Kriegsverräter ausgenommen –basta! Nun will ich, vorpfingstlich milde gestimmt, posi-tiv bewerten, dass Norbert Geis uns hier nicht wieder er-zählt hat, so etwas sei unglaublicher Verrat an den Ka-meraden gewesen – sodass man den Eindruck gewinnt,dass man noch heute bestrebt sein müsste, den Weltkriegauf deutscher Seite zu gewinnen – und die Wehrmachtsei im Kern sauber gewesen. Das alles ist uns heute er-spart geblieben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie bei Abgeordneten derLINKEN)

Ich erwarte aber, dass jetzt noch etwas kommt. Wirhaben nicht mehr viel Zeit. Die Militärjustiz in der NS-Zeit hat sich von den Mördern in Richterrobe am Volks-gerichtshof durch gar nichts unterschieden; beide Seitenwaren Mordmaschinen. Die Militärjustiz hat zum Endehin sogar noch schlimmer gewütet. Es gab dann soge-nannte Fliegende Standgerichte; der Strick hing schonam Baum, bevor das sogenannte Gericht überhaupt zu-sammengetreten war. Das war nur noch eine Farce vonJustizförmigkeit. 17- und 18-Jährige sind dabei auf derStrecke geblieben. Ich empfehle Ihnen allen, sich dasWehrmachtsgefängnis in Anklam anzusehen, wo jungeLeute – genauso wie an vielen anderen Orten – auf ihreHinrichtung warten mussten.

Als ich die Sachverständigen gehört habe, fühlte ichmich zum Teil wie in einer Zeitmaschine. So wurde bei-spielsweise gesagt – das ist eine gespenstische Argu-mentation –, ein von Kriegsgefangenen verratener Tor-pedo habe nicht etwa den Krieg verkürzt, sondern sei einsogenannter Verteidigungstorpedo gewesen, weswegenes schändlich gewesen sei, so etwas zu tun. Diese Logiklässt außer Acht, dass unsere damaligen Berufskollegenin Militärrichterrobe dazu beigetragen haben, dass derWahnsinn bis in den Mai 1945 fortgesetzt werden konnteund alliierten Befreiern sowie ganz jungen deutschenSoldaten das Leben gekostet hat. Das ist eine Schandefür unseren Berufsstand, die endlich benannt werden

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24936 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009

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Wolfgang Wieland

müsste und aus der endlich Konsequenzen gezogen wer-den müssten, Herr Kollege Gehb.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN)

Ich freue mich, dass sich die SPD-Fraktion im Verlaufdieser Debatte immer entschiedener hinter das Anliegender Linksfraktion gestellt hat.

(Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Nein, das tut sie nicht!)

– Ich sage es einfach so. – Noch in der Anhörung hat derKollege Stünker gemeint, alle nationalsozialistischenUnrechtsurteile seien schon aufgehoben und hätten kei-nen Bestand mehr, sodass man offene Türen einrenne. Esziert Sie, wenn Sie dazulernen. Das gilt auch für dieBundesjustizministerin. Ich sage das wirklich ohneHäme.

Das Gleiche erwarte ich aber auch von konservativerSeite. Es war seinerzeit falsch, die sogenannten Kriegs-verräter auszunehmen. In der Anhörung wurde – sogarmit gefälschten Beispielen – versucht, irgendein Urteilzu finden, das sich heute materiell verteidigen ließe.Man hat aber kein einziges Kriegsverratsurteil gefunden.Es ist nun überfällig, den letzten Schritt zu tun.

In letzter Zeit gab es hier sehr oft Gewissensentschei-dungen, zum Beispiel bei der Abstimmung über die He-roinabgabe an Schwerstabhängige. Meines Erachtens istdie Beantwortung der Frage, ob wir uns endlich zurKlarheit darüber durchringen wollen, welches die ge-rechte und welches die ungerechte Seite in diesem Kriegwar, längst überfällig. Auch hier handelt es sich um eineGewissensentscheidung. Diese Entscheidung zu treffen,kann nicht über das Ende dieser Legislaturperiode hi-naus vertagt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a und 41 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten IngbertLiebing, Ulrich Adam, Peter Albach, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kurt Bodewig, FranzThönnes, Dr. h. c. Gerd Andres, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPD

Ostseestrategie voranbringen und unterstüt-zen

– Drucksache 16/13171 –

b) Unterrichtung durch die Delegation der Bundes-republik Deutschland in der Ostseeparlamenta-rierkonferenz

17. Jahrestagung der Ostseeparlamentarier-konferenz vom 31. August bis 2. September2008 in Visby, Schweden

– Drucksache 16/12399 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus

Interfraktionell ist vereinbart, dass die Reden zu Pro-tokoll gegeben werden. Es handelt sich um die Redender Kollegen Ingbert Liebing von der Unionsfraktion,Franz Thönnes und Kurt Bodewig von der SPD-Frak-tion, Markus Löning von der FDP-Fraktion, LutzHeilmann von der Fraktion Die Linke und RainderSteenblock von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derFraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache16/13171 mit dem Titel „Ostseestrategie voranbringenund unterstützen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag istmit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktionund der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der FraktionDie Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 41 b. Interfraktionell wird Über-weisung der Vorlage auf Drucksache 16/12399 an die inder Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf:

Vereinbarte Debatte25 Jahre Parlamentarisches Patenschafts-Pro-gramm

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ichsehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich umdie Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:Wolfgang Börnsen von der Unionsfraktion, DagmarFreitag und Bernd Scheelen von der SPD-Fraktion, ErnstBurgbacher von der FDP-Fraktion, Volker Schneidervon der Fraktion Die Linke und Anna Lührmann von derFraktion Bündnis 90/Die Grünen.2)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit amSchluss unserer heutigen Tagesordnung.

Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages be-rufe ich auf Mittwoch, den 17. Juni 2009, ein.

An diesem Tag findet um 12 Uhr hier im Plenarsaaldie Gedenkveranstaltung „17. Juni 1953“ statt. Aus die-sem Grund beginnt die Plenarsitzung erst um 13.30 Uhr.

Die Sitzung ist geschlossen.

Ich wünsche Ihnen frohe Pfingsten.

(Schluss: 16.08 Uhr)

1) Anlage 172) Anlage 18

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009 24937

(A) (C)

(B)

Anlagen zum Stenografischen Bericht

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

(D)

Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

Ahrendt, Christian FDP 29.05.2009

Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

29.05.2009

Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

29.05.2009

Dr. Bisky, Lothar DIE LINKE 29.05.2009

Bollen, Clemens SPD 29.05.2009

Brüderle, Rainer FDP 29.05.2009

Eichhorn, Maria CDU/CSU 29.05.2009

Fell, Hans-Josef BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

29.05.2009

Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 29.05.2009

Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 29.05.2009

Grindel, Reinhard CDU/CSU 29.05.2009

Gruß, Miriam FDP 29.05.2009

Hintze, Peter CDU/CSU 29.05.2009

Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

29.05.2009

Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

29.05.2009

Irber, Brunhilde SPD 29.05.2009

Klose, Hans-Ulrich SPD 29.05.2009

Künast, Renate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

29.05.2009

Link (Heilbronn), Michael

FDP 29.05.2009*

Möller, Kornelia DIE LINKE 29.05.2009

Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

29.05.2009

Raab, Daniela CDU/CSU 29.05.2009

Roth (Augsburg), Claudia

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

29.05.2009

* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-sammlung der OSZE

Anlage 2

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach undDr. Hermann Scheer (beide SPD) zu der na-mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei-nes … Gesetzes zur Änderung des Grundgeset-zes (Artikel 91 c, 91 d, 104 b, 109, 109a, 115,143d) (Tagesordnungspunkt 36 a)

Eine weiterreichende Begrenzung der Schuldenauf-nahme durch die öffentlichen Haushalte erachten wir fürsinnvoll. Daher stimmen wir der Grundgesetzänderungund dem Begleitgesetz zur zweiten Föderalismusreformzu. Dennoch haben wir schwere Bedenken, ob dasGrundgesetz der richtige Ort für eine detaillierte Rege-lung zur Schuldenbegrenzung ist. Vor Kurzem erst ha-ben wir den sechzigsten Geburtstag unseres Grundgeset-zes gefeiert und es dabei für seine Knappheit undBündigkeit gerühmt. Daher hielten wir es für sinnvoller,wenn wir im Grundgesetz eine wirksame allgemeineSchuldenbegrenzung festlegen und die detaillierte Aus-führung durch ein Bundesgesetz vornehmen. Außerdemfehlt eine allgemeine Einnahmenregelung.

Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 29.05.2009

Schily, Otto SPD 29.05.2009

Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 29.05.2009

Schmidt (Fürth), Christian

CDU/CSU 29.05.2009

Schuster, Marina FDP 29.05.2009

Dr. Solms, Hermann Otto

FDP 29.05.2009

Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

29.05.2009

Dr. Volk, Daniel FDP 29.05.2009

Wicklein, Andrea SPD 29.05.2009

Winkelmeier, Gert fraktionslos 29.05.2009

Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

Page 90: Deutscher Bundestagdip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16225.pdfDeutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009 III rechtlichen Vorschriften

24938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009

(A) (C)

(B) (D)

Darüber hinaus halten wir das weiterhin bestehendeKooperationsverbot für Bund und Länder bei der Bil-dung für falsch, weil es die Qualität unseres Bildungs-systems weiter gefährdet.

Anlage 3

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Elke Ferner und Astrid Klug(beide SPD) zu der namentlichen Abstimmungüber den Entwurf eines … Gesetzes zur Ände-rung des Grundgesetzes (Artikel 91 c, 91 d,104 b, 109, 109 a, 115, 143 d) (Tagesordnungs-punkt 36 a)

Wir stimmen den Zielen, die mit der sogenanntenSchuldenbremse verbunden sind, uneingeschränkt zu.Eine Schuldenbegrenzung ist im Interesse eines hand-lungsfähigen Staates und im Interesse künftiger Genera-tionen notwendig und richtig. Ein überschuldeter Staatist weder sozial noch gerecht, weil hohe Zinslasten denHandlungsspielraum für wichtige Investitionen in so-ziale Sicherung, Bildung und Infrastruktur rauben. Fi-nanzielle Nachhaltigkeit ist deshalb schon heute einGrundprinzip sozialdemokratischer Politik.

Wir sind allerdings der Auffassung, dass die Auf-nahme der Details einer Schuldenbegrenzung ins Grund-gesetz nicht angebracht ist und gerade in der aktuellenSituation die Auswirkungen der Finanz- und Wirt-schaftskrise auf die öffentlichen Haushalte weder abseh-bar noch heute abschließend zu regeln sind.

Die vorliegende Grundgesetzänderung sieht für denBund die Möglichkeit vor, auch in Zukunft eine Netto-kreditaufnahme bis zu 0,35 Prozent des BIP einzugehen.In Verbindung mit der eingebauten Konjunkturkompo-nente und dem Wirken der automatischen Stabilisatorenscheint das angestrebte Ziel der Rückführung der Neu-verschuldung und des Abbaus der Altschulden verant-wortlich und erreichbar zu sein, wenn gleichzeitig dieEinnahmen des Bundes so stabilisiert und verbessertwerden, dass es zu keinen Einschnitten bei wichtigenZukunftsinvestitionen oder bei der Finanzierung derstaatlichen Transferleistungen an die Sozialversiche-rungskassen und für andere Leistungsgesetze kommenmuss.

Die Regelung allerdings, die auf Wunsch der Landes-regierungen den Ländern mit Ausnahme von konjunktu-rellen Notwendigkeiten ab 2020 eine Nettokreditauf-nahme komplett verbietet, ist aus unserer Sicht ausmehreren Gründen nicht akzeptabel. Erstens. Diese Re-gelung schränkt die Landesparlamente in ihrem Budget-recht ein. Dies wird von einigen Landtagsfraktionen vordem Bundesverfassungsgericht beklagt werden undhöchstrichterlich zu entscheiden sein. Zweitens. DieLänder haben im Gegensatz zum Bund keine Möglich-keit, Haushaltsdefizite mit einer Verbesserung der Ein-nahmen auszugleichen. Drittens. Das Erreichen einesausgeglichenen Haushaltes ist für die Länder somit nurüber entsprechende Einsparungen möglich. Diese Ein-

sparungen können vielfach nur über drastische Ein-schnitte beim Personal und bei den Bildungsausgabenerzielt werden.

Unsere inhaltliche Kritik deckt sich damit uneinge-schränkt mit der ablehnenden Haltung der saarländi-schen SPD zu einer in dieser Form im Grundgesetz ver-ankerten Schuldenbremse.

Aus saarländischer Sicht kritisieren wir außerdem,dass die saarländische Landesregierung ihre Zustim-mung zu einer Grundgesetzänderung unter Wert verkaufthat. Die Zinshilfen von 260 Millionen Euro pro Jahr biszum Jahr 2019 lösen die strukturellen Probleme des saar-ländischen Landeshaushaltes noch nicht einmal annä-hernd; denn sie liegen um 200 Millionen Euro unter denderzeitigen jährlichen Zinslasten. Der Spielraum,200 Millionen Euro im Landeshaushalt einzusparen undgleichzeitig das strukturelle Defizit abzubauen, ohnedass dies zulasten der Finanzkraft der Kommunen oderzulasten der Bildungsausgaben geht, ist nicht vorhanden.Es ist und bleibt deshalb Aufgabe der saarländischenLandesregierung, weitere finanzielle Unterstützung desBundes und der finanzstärkeren Länder einzufordern,um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu si-chern.

Die nun zur Abstimmung stehende Regelung ist ein ineinem mehrjährigen Prozess zwischen den Koalitions-fraktionen und den Ländern verhandelter Kompromiss.Die SPD-Bundestagsfraktion hat der Grundgesetzände-rung – aus den beschriebenen Gründen ohne unsereStimmen – mit einer sehr breiten Mehrheit zugestimmt.Trotz unserer inhaltlichen Kritik tragen wir dieses Mehr-heitsvotum bei der Abstimmung im Bundestag mit. DieEntscheidung über die Ausgestaltung der Schuldenbe-grenzung ist keine Gewissensentscheidung. Als stell-vertretende Fraktionsvorsitzende und als Mitglied derBundesregierung stehen wir auch in einer Gesamtverant-wortung für die Umsetzung der Mehrheitsbeschlüsse un-serer Fraktion.

Als saarländische Abgeordnete werden wir die jährli-chen Zinshilfen in Höhe von 260 Millionen Euro für dasSaarland nicht gefährden, sehen aber im weiteren Ge-setzgebungsverfahren noch deutlichen Nachbesserungs-bedarf. Die saarländische Landesregierung kann undmuss deshalb ihrer Verantwortung für den Fortbestanddes Saarlandes als eigenständiges Bundesland und füreine politisch handlungsfähige saarländische Landespo-litik gerecht werden und im Bundesrat die von der SPD-Bundestagsfraktion vorgeschlagene Möglichkeit derNettokreditaufnahme von 0,15 Prozent des BIP für dieLänder unterstützen. Sie hat es in der Hand, mit anderenLändern im Bundesrat dafür zu sorgen, dass auch dieLänder noch einen eigenen flexiblen Handlungsspiel-raum bewahren.

Anlage 4

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Dr. Stephan Eisel undSiegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)

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(beide CDU/CSU) zu der namentlichen Abstim-mung über den Entwurf eines … Gesetzes zurÄnderung des Grundgesetzes (Artikel 91 c,91 d, 104 b, 109, 109 a, 115, 143 d) (Tagesord-nungspunkt 36 a)

Die in den letzten 40 Jahren ununterbrochen anstei-gende Staatsverschuldung in Deutschland engt dieHandlungsspielräume der öffentlichen Haushalte zuse-hends ein und bürdet kommenden Generationen finan-zielle Lasten auf. Mit einem entsprechenden Regelwerkdie Begrenzung der Staatsverschuldung von Bund undLändern sicherzustellen, ist demnach ein Gebot derStunde. Die zur Abstimmung anstehenden Gesetzent-würfe sind geeignet, dieses Ziel zu erreichen.

In der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusseszur Föderalismusreform II am 4. Mai 2009 hat aber un-ter anderem der Sachverständige Professor Dr. Lange zuRecht kritisiert, dass die vorgesehenen Änderungen desGrundgesetzes eine Reihe von Detailregelungen enthal-ten, die die Frage aufwerfen, ob sie wirklich in eine Ver-fassung gehören oder nicht vielmehr in einem einfachenGesetz getroffen werden sollten. Konkret wurde unteranderem die Einfügung des Art. 109 Abs. 3 n. F., desArt. 109 a n. F. und des Art. 143 d n. F. für unnötig ange-sehen. Die Urfassung des Grundgesetzes 1949 enthieltzur Finanzverfassung zum Beispiel den knappenArt. 109, der aus einem einzigen Satz bestand. Schon inder jetzt geltenden Fassung erstreckt sich Art. 109 GGüber fünf Absätze.

In Art. 115 Abs. 2 n. F. ließe sich der letzte Satz er-satzlos streichen, zumal der Begriff „angemessener Zeit-raum“ ohnehin zu unbestimmt erscheint. Vieles, dem derGesetzentwurf Verfassungsrang beimisst, ließe sich inniederrangigem Recht regeln. Das mit Zweidrittelmehr-heit des Deutschen Bundestages zu verabschiedende Re-gelwerk bewirkt Festlegungen, die den künftigen Gestal-tungsspielraum des Gesetzgebers nahezu unverrückbareinschränken, und dies ohne Notwendigkeit.

Bedauerlicherweise war es auch in den Ausschusssit-zungen des Rechtsausschusses nicht möglich, ein Gesamt-paket zu formulieren, das der von Professor Dr. Lange an-gemahnten Funktion der Verfassung als Sammlung„möglichst klarer und verständlicher Normen von höchs-ter grundsätzlicher Bedeutung“ Rechnung trägt. Das al-les gäbe Anlass, gegen das Gesetzeswerk zu stimmen.Vor dem Hintergrund der derzeitigen politischen Kon-stellation sehen wir uns allerdings vor die Wahl gestellt,die von uns kritisierte Änderung des Grundgesetzes mit-zutragen oder zu riskieren, dass es auf absehbare Zeitkeine wirksame Begrenzung der Staatsverschuldung ge-ben wird. Das Ziel, die Staatsverschuldung zu beschrän-ken, ist für uns von derart großer Bedeutung, dass wiruns entschlossen haben, unseren mit dem Bundestags-präsidenten Professor Dr. Norbert Lammert geteilten Be-denken gegen die Gesetzesänderung hinter dieses über-geordnete Ziel zu stellen. Dennoch dürfen wir beikünftigen Verlockungen einer Grundgesetzänderung dieGedanken einer puristischeren Ausgestaltung nicht ausden Augen lassen.

Wir stimmen mit den vorgebrachten Bedenken derGrundgesetzänderung dennoch zu.

Anlage 5Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Iris Hoffmann (Wismar) undDirk Manzewski (beide SPD) zu der namentli-chen Abstimmung über den Entwurf eines… Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes(Artikel 91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115, 143 d)(Tagesordnungspunkt 36 a)Grundsätzlich halten wir die Einführung einer soge-

nannten Schuldenbremse ins Grundgesetz für sinnvollund notwendig. Aus Verantwortung gegenüber den kom-menden Generationen sollte die Staatsverschuldung be-grenzt werden. Die Konsolidierung des Bundeshaushal-tes muss ebenso wie die der Länderhaushalte mittel- undlangfristig im Vordergrund stehen.

Mecklenburg-Vorpommern ist mit gutem Beispiel vo-rangegangen. Seit 2006 kann unser Bundesland einenausgeglichenen Haushalt vorweisen. Im Jahr 2007 konn-ten sogar erstmals 240 Millionen Euro Schulden getilgtwerden. Das Land plant bis 2011 weiter 630 Millionender insgesamt 10,65 Milliarden Euro Schulden abzu-bauen.

Leider werden die mit diesem umsichtigen Haushaltenverbundenen Anstrengungen Mecklenburg-Vorpommernsnicht belohnt. Die Föderalismusreform II sieht Konsoli-dierungshilfen für die fünf am höchsten verschuldetenBundesländer Bremen, Saarland, Berlin, Sachsen-Anhaltund Schleswig Holstein vor, deren Finanzierung vonBund und Ländern jeweils zur Hälfte getragen wird.

Mecklenburg-Vorpommern gehört strukturell immernoch zu den wirtschafts- und finanzschwächsten Län-dern. Da die Regelung der Konsolidierungshilfen aberallein auf den Schuldenstand abstellt, wird auch Meck-lenburg-Vorpommern zu einem der Geberländer, was ei-ner Bestrafung für erfolgreiche Sparmaßnahmen gleich-kommt. Dieses Vorgehen ist aus meiner Sicht wedersolidarisch noch gerecht.

Dennoch haben wir uns dazu entschieden, den Grund-gesetzänderungen heute zuzustimmen, um einer dauer-haften Konsolidierung unserer öffentlichen Haushaltenicht im Wege zu stehen.

Anlage 6

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Ortwin Runde undDr. Wolfgang Wodarg (beide SPD) zu der na-mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei-nes … Gesetzes zur Änderung des Grundgeset-zes (Artikel 91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115,143 d) (Tagesordnungspunkt 36 a)

Die Finanzbeziehungen von Bund und Ländern sollenmit den vorgelegten Gesetzentwürfen modernisiert wer-den. Diesem Anspruch werden sie nicht gerecht. Viel-

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mehr ist zu befürchten, dass die gesamtstaatliche finanz-und wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit durch dasgeplante Gesetzeswerk erheblich eingeschränkt und derdeutsche Föderalismus zukünftig kraft Verfassung Scha-den nehmen wird.

Erstens. Das Grundgesetz heißt so, weil es Grundsatz-charakter hat. Dies soll und muss auch für die Finanzbe-ziehungen zwischen Bund und Ländern – und auchKommunen – sowie ihre Finanzierungsspielräume gel-ten. Aber schon seit zehn Jahren gibt es durch Verfas-sungsänderungen den Trend, zunehmend Details imGrundgesetz zu verankern. Dies gilt auch für die vonder Föderalismusreformkommission II gemachten Vor-schläge. Dies zu kritisieren ist dabei keine rein verfas-sungsästhetische Frage. Ausschweifende Verfassungsre-gelungen können dazu führen, dass sie zunehmend diedemokratische Substanz, die das Grundgesetz neben denGrundrechten ganz elementar schützen soll, aushöhlen.Das Grundgesetz ist schließlich keine Verwaltungsver-einbarung und auch kein Notarvertrag. Eine solche Ent-wicklung würde auch die Legitimation unserer Verfas-sung und die demokratische Kultur beschädigen. Hieraufhat bereits der ehemalige Verfassungsrichter DieterGrimm hingewiesen: Wer in das Grundgesetz Dingeschreibt, die eigentlich in einfache Gesetze oder nur inihre Durchführungsverordnungen gehören, der machtneuen politischen Mehrheiten das Leben schwer. Diesemüssten nämlich dann, wenn sie politisch etwas ändernwollten, die Verfassung ändern. Je mehr also durch dieVerfassung im Detail festgeschrieben wird, umso schma-ler ist der Raum für neue Mehrheitsentscheidungen. DieVerfassung, grundsätzlich zum Schutz des demokrati-schen Diskurses berufen, könnte in solchen Konstellatio-nen zu dessen Falle werden. Demokratische Machtver-schiebungen dürfen aber nicht folgenlos werden.Ansonsten würde das Verantwortungsbewusstsein derBürgerinnen und Bürger für die Demokratie durch denreinen Glauben an eine Verfassung, die es schon richtenwerde, demontiert. In einer Zeitenwende kommt es aberbesonders auf verantwortliche Richtungsentscheidun-gen der Wählerinnen und Wähler an.

Zweitens. Die Befürworter der in das Grundgesetzaufzunehmenden Schuldenbremse argumentieren, mitder neuen Konstruktion verbinde sich eine nötige Be-kräftigung des staatlichen Konsolidierungswillens. An-derenfalls sei es um die Glaubwürdigkeit des Staates unddamit auch seine finanzielle Bonität schnell geschehen.Die Vergangenheit lehre, wohin ein nicht eng genug ge-schnürtes Korsett für die staatlichen Finanzen führe. DasArgument von der nötigen Handlungsfähigkeit des Staa-tes ist von beachtlichem Gewicht. Die SPD hat in der zu-rückliegenden Legislaturperiode der Großen Koalitionimmer auf diesen Grundsatz gepocht und etwa auf dieGegenfinanzierung bei Steuersenkungen geachtet. Werjedoch mit Blick auf die Staatsverschuldungspraxis zu-rückblickt, wird feststellen müssen, dass diese vor allemzwei Ursachen hatte: Zum einen wurden die Defizite ausschlechten Zeiten in guten Zeiten nicht ausgeglichen.Zum anderen wurde eine Konsolidierung oft durch Steu-ersenkungen konterkariert, die nötige Einnahmesiche-rung missachtet. Ohne Einnahmesicherung in Zeiten

konjunkturellen Aufschwungs können dauerhaft keinesoliden Staatsfinanzen erreicht werden. Steuerstaat undsolide Demokratie sind eng miteinander verbunden.Nicht ohne Grund ist von mehreren Sachverständigen inder Anhörung zur Umsetzung der neuen Staatsschulden-verfassung erklärt worden, ein Erfolg auch der neuenRegeln, also das Erreichen solider Staatsfinanzen in derZukunft, hänge letzten Endes von der politischen Praxisab.

Drittens. Die neue Schuldenregelung wurde und wirdvon ihren Befürwortern als Reaktion auf die Globalisie-rung begriffen. Gemeint war damit die veränderte Rolleder Staaten in einer durch die Finanzmärkte gesteuertenWelt. Staaten kamen darin bestenfalls wie Unternehmenvor, nicht als Gestalter nach demokratischen Spielregeln.Im Bewusstsein lag dabei zumeist nur jene Seite derGlobalisierung, die durch Entgrenzung der Märkte Zu-wächse bringt. Das tut sie – aber eben nicht nur.

In Finanzfragen ist gewiss: Eine Münze hat immerzwei Seiten. Und die Globalisierung hat in der aktuellenFinanz- und Wirtschaftskrise ihre andere Seite gezeigt.Insofern ist der Hinweis von Sachverständigen beacht-lich, mit dem Schuldenbremsenkonzept würden ledig-lich Schlachten der 80er- und 90er-Jahre geschlagen. InZukunft werde man sich sehr viel mehr Gedanken überglobale Krisen angesichts einer globalisierten Wirtschaftmachen müssen und erst recht, wie man im internationalverwobenen Kontext mit solchen Krisen umzugehen ge-denke. Dies setzt eine größere Flexibilität voraus.

Dementsprechend erscheinen auch die MaastrichterRegeln in einem neuen Licht. Die darin für die Eurostaa-ten vorgesehenen Verschuldungsgrenzen haben das Vor-bild für die neue grundgesetzliche Schuldenregel gege-ben, genauer: in einer verschärften Form. Aber gehörteine Regelung in das Grundgesetz, die enger gefasst istals das Maastrichter Regelungswerk? Ist dieses Kon-strukt angesichts der unbekannten weiteren Entwicklungnoch tragfähig, wenn wir jetzt schon wissen, dass 200913 von 16 Eurostaaten einschließlich Deutschlands dieMaastrichter Kriterien verfehlen werden und auf Jahredas Erreichen des Dreiprozentkriteriums ungewiss seinkann? Welchen Wert besitzen grundgesetzliche Regelun-gen, die offensichtlich nicht eingehalten werden können?Was gebietet insofern der Respekt vor dem neuen Deut-schen Bundestag, der am 27. September gewählt werdenwird? Meine Antwort lautet darauf: Jedenfalls nicht diezur Entscheidung vorgelegte vermeintliche Schulden-bremse.

Viertens. In der Verfassung soll viel Neues, gemessenam Bruttoinlandsprodukt, festgelegt werden. Kein Satzfindet sich jedoch dazu, dass eine bestimmte, am Brutto-inlandsprodukt, BIP, festlegbare Steuerquote nötig ist,um einen ausgeglichenen Haushalt aufstellen zu können.Als unter der Großen Koalition 2007 und 2008 der Haus-haltsausgleich über alle Gebietskörperschaften nach lan-ger Zeit annähernd erreicht worden ist, gab es in derBundesrepublik eine Steuerquote von etwa 23 Prozentdes BIP. Sie genügte nur für den Haushaltsausgleich in2008, noch nicht zum nachhaltigen Abbau bestehenderStaatsschulden. Wird ohne ihre verfassungsrechtliche

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oder zumindest verfassungsnahe Verankerung – dieUnion hat sich in der Föderalismusreformkommission IIgegen eine solche Festlegung gestemmt – eine Schulden-bremse und für die Länder sogar ein Schuldenverbotfestgelegt, so muss die Sorge bestehen, dass die Haus-haltskonsolidierung künftig vorrangig über Ausgaben-kürzungen erreicht werden wird. Dies wird besondersZukunftsinvestitionen wie Bildung und Wissenschaftund den Sozialetat treffen. Zudem können gerade vieleKommunen als letztes Glied der Kette – aber am nächs-ten an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger –ihre Handlungsfähigkeit verlieren, wenn die Landes-haushalte sich zu ihren Lasten konsolidieren.

Dem wird entgegengehalten, die neue Schulden-bremse wirke in ihrer Ausgestaltung doch faktisch wieein Steuersenkungsverbot. Dementsprechend hat sich inder Sachverständigenanhörung jedoch nur der Wirt-schaftswissenschaftler Clemens Fuest geäußert, aberkein Jurist. Er hat auch ausdrücklich nur von einer fakti-schen Wirkung gesprochen. Einen rechtlichen, ge-schweige denn einen verfassungsrechtlichen Konnexgibt es insoweit nicht. Eine Schuldenbremse, die das BIPzum Maßstab wählt, kann also immer nur auf jenerEbene verankert werden wie die zur Sicherung der Ein-nahmen verbundenen Regelungswerke. Dies sind gegen-wärtig die Steuergesetze. Sie sind, aus guten Gründen,durch Demokratie offen gestaltbares, einfaches Geset-zesrecht.

Damit bleibt es bei der Befürchtung: In oder nach ei-ner Krise würden bei diesem engen Haushaltskonsolidie-rungsgebot in der Verfassung vor allem die nur einfach-gesetzlich gesicherten Staatsausgaben für Soziales unddamit zugleich wichtige volkswirtschaftliche Stabilisato-ren zur Disposition gestellt werden. Dies gilt erst recht,wenn die Steuergesetze zusätzlich unter den Druck einesregionalen Steuerdumpings zwischen den Bundeslän-dern geraten sollten. Eine Haushaltskonsolidierung kannauch im Urteil der Bevölkerung aber nur dann dauerhafterfolgreich sein, wenn sie sozial verträglich und mitvolkswirtschaftlicher Vernunft stattfindet.

Fünftens. Besonders deutlich wird die mit der neuenSchuldenregel verbundene Herausforderung für dennächsten Deutschen Bundestag, wenn man sich den der-zeit für die Übergangszeit angelegten Korridor anschaut.Dabei handelt es sich um eine starre mechanistische Re-gel allein für den Bund, die unabhängig von der weiterenkonjunkturellen Entwicklung dazu zwingen wird, dasstrukturelle Defizit zwischen 2011 und 2016 in mehrstel-liger Milliardenhöhe abzubauen, um dann verfassungs-gemäß ein strukturelles Defizit von 0,35 Prozent des BIPzu erreichen (Art. 143 d Abs. 1 Satz 5 und 6 GG-neu;Art. 2 § 9 Abs. 2 Begleitgesetz zur zweiten Föderalis-musreform).

Was bedeutet diese Regelung konkret? Als die Kom-mission über diesen Übergangspfad diskutierte, hatte dasBundesfinanzministerium, BMF, ein strukturelles Defi-zit für 2009 in Höhe von 1,5 Prozent des BIP angenom-men, also etwa von 37 Milliarden Euro. Das BMF hatteferner ins Auge gefasst, dies in Schritten von jeweils0,25 Prozent des BIP bis 2016 schließlich auf 0,35 Pro-

zent, also auf rund 8 Milliarden Euro, zu reduzieren.Jährlich hätte dieser Korridor von 29 Milliarden Euro je-weils eine Absenkung – sprich: zusätzlich nötige Einspa-rungen von gut 6 bis 7 Milliarden Euro – bedeutet. In derZwischenzeit hat sich die Situation noch einmal extremverschärft. Einerseits bedingt durch teilweise verfas-sungsrechtlich veranlasste Steuerrechtsänderungen wiezur Pendlerpauschale, zur steuerlichen Absetzbarkeitvon Krankenversicherungsbeiträgen und durch die steu-erlichen Verabredungen zum Konjunkturpaket II; ande-rerseits durch die dramatischen Einbrüche bei der wirt-schaftlichen Entwicklung von minus 6 Prozent des BIPsamt der damit ausgelösten Folgen für staatliche Einnah-men und Ausgaben. Damit dürfte das strukturelle Defizitdes Bundes gegenwärtig bei circa 3 Prozent liegen.3 Prozent des BIP machen 75 Milliarden Euro aus. Ver-fassungsrechtlich festgeschrieben wären damit nötigeEinsparungen über einen Korridor von 66 MilliardenEuro, also deutlich über 20 Prozent des gegenwärtigenBundeshaushalts. Wie dies mit Garantien für die sozia-len Sicherungssysteme von der Renten- bis zur Arbeits-losenversicherung oder Steuersenkungsvorstellungenvon Union und FDP in der absehbaren wirtschaftlichenSituation umgesetzt werden soll, ist unergründlich.

Neben diese konkret bevorstehende Anstrengung fürden nächsten Deutschen Bundestag tritt die Perspektivefür den Bund, ab 2019 voraussichtlich mehr Verantwor-tung für die Länder übernehmen zu müssen. Für dieLänder ist, verpflichtend ab 2020, eine strukturelle Net-toneuverschuldung von null in der Föderalismusreform-kommission II verabredet worden. Dieses scheinbargroßherzige Angebot der Ministerpräsidenten der fi-nanzstarken Länder, auch die finanzschwachen Länderauf eine strukturelle Nullneuverschuldung zu verpflich-ten, dürfte sich für den Bund noch als Danaergeschenkerweisen. Zum einen kann die Verdrängung der Länderaus der strukturellen Kreditaufnahmemöglichkeit dazuführen, dass sie zu vermehrt konjunkturell begründeterVerschuldung übergehen, kurz: die diesbezüglichen Kri-terien weicher für sich definieren werden. Zum anderenübernimmt der Bund eine verfassungspolitisch höchstbrisante Verantwortung mit Blick auf die Finanzausstat-tung finanzschwacher Länder, wenn die Regelungenzum Länderfinanzausgleich 2019 auslaufen. Die „struk-turelle Null“ könnte dann argumentativ gegen den Bundin der Weise gewendet werden, dass der Bund – ihrenicht auszuschließende Nichteinhaltung durch be-stimmte Länder zu diesem Zeitpunkt angenommen – fürfehlende laufende Einkünfte der Länder durch Ausgleichaus „seinem“ Steueraufkommen geradezustehen hätte.Beide Befürchtungen sind in der Sachverständigenanhö-rung am 4. Mai 2009 zur Föderalismusreform II geäu-ßert worden. Sollte der Bund erfreulicherweise die An-strengung bestanden haben, 2016 seine strukturelleVerschuldung auf 0,35 Prozent des BIP zu begrenzen, sowarten im Vorfeld der Neuregelung des Länderfinanz-ausgleichs weitere Forderungen auf ihn.

Sechstens. Hochproblematisch ist, dass die Hand-lungsfähigkeit des Staates mit Blick auf Zukunftsfeldernicht nachhaltig verbessert werden konnte. Dies gilt ins-besondere für das Aufgabenfeld Bildung und Forschung.

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In der öffentlichen Debatte ist es Konsens, dass wesent-lich mehr in Bildung und Forschung zu investieren ist,auch aus öffentlichen Haushalten. In der Praxis führtdies zu Friktionen und Umgehungslösungen. Die Bun-desfinanzierung zum Ausbau der Kinderbetreuung durchein Gesetz der Großen Koalition wurde über eine Stif-tung geführt. Weitere Belege zu den bestehenden Proble-men ergeben sich mit Blick auf das Konjunkturpaket IIund den Bildungsgipfel. Die Kanzlerin stand in den eige-nen Reihen aufgrund ihrer Forderungen auf dem Bil-dungsgipfel in der Kritik, weil die Erhöhung des Bun-desanteils an Bildungsausgaben vom gegenwärtigenArt. 104 b Grundgesetz, GG, verschlossen wird. Bisherführt dies im Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket IIzum Beispiel etwa für die Kommunen zu der nahezu ab-surden Situation, Schulsanierungen nur dann angehen zukönnen, wenn sie sich sicher sind, dass sich diese zumindestens 51 Prozent auf energetische Gebäudesanie-rung beziehen. Dieser Nachweis kann in der Regel je-doch erst nach Abschluss einer Baumaßnahme geführtwerden.

Mit der vorgeschlagenen Neufassung des Art. 104 bGG sollen diese Widersprüchlichkeiten jetzt vorgeblichgeheilt werden. Aber in welcher Form? Bildung kanndanach nur dann vom Bund gefördert werden, wenn essich um Maßnahmen im Zusammenhang „von Naturka-tastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, diesich der Kontrolle des Staates entziehen oder die staatli-che Finanzlage erheblich beeinträchtigen“, handelt. Bil-dungskooperation findet demnach dann statt, wenn inder Nordsee ein Tsunami ausbricht oder die DeutscheBank einen Crash erleidet, aber zur Abwehr einer Stö-rung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, zumAusgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundes-gebiet oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachs-tums ausdrücklich nicht. Das verstehe, wer will. Es hatjedenfalls mit Rationalität nichts mehr zu tun. Diese Pa-radoxien werfen verfassungspolitisch deutlich die Frageauf, wer davon mehr Schaden an seinem Ansehennimmt: die Realität oder das Grundgesetz?

Wir stimmen den Gesetzesvorlagen daher nicht zu.

Anlage 7

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Klaus Barthel, RenateGradistanac, Wolfgang Gunkel, Helga Lopez,Hilde Mattheis, Mechthild Rawert, René Röspel,Andreas Steppuhn, Rüdiger Veit und WaltraudWolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zu der namentli-chen Abstimmung über den Entwurf eines… Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes(Artikel 91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115, 143 d)(Tagesordnungspunkt 36 a)

Ohne die von den Finanzmärkten ausgegangene Welt-wirtschaftskrise hätten wir derzeit ausgeglichene öffent-liche Haushalte. Es war das Ergebnis wirtschaftlichenWachstums der Jahre 2005 bis 2008, dass wir aus derKrise herauswachsen konnten, anstatt die Krise der vo-rangegangenen Jahre durch Sparen zu verschärfen.

Diese Entwicklung war vor allem von sozialdemokrati-scher Wirtschafts- und Finanzpolitik geprägt. DieserAusgleich der öffentlichen Kassen erforderte keine ver-fassungsrechtliche Regelung.

Es bedarf daher keines Beweises der Bereitschaft derSozialdemokratie, Schulden zu begrenzen und abzu-bauen. Auch unser Entwurf des Regierungsprogrammszur Bundestagswahl 2009 ist der einzige Wahlprogramm-entwurf, der überhaupt die Frage der künftigen Staats-finanzen konstruktiv aufgreift und Vorschläge zur Finan-zierung künftiger Staatsausgaben macht (zum BeispielBörsenumsatzsteuer, Solidarbeitrag für Bildung). CDU,CSU und FDP überbieten sich gegenseitig mit Ankündi-gungen zu Steuersenkungen. Sie beschwören einerseitsdie grundgesetzliche „Schuldenbremse“, lassen anderer-seits aber jeden Ansatz vermissen, wie sie die Schuldenabbauen wollen. Ihre Vorschläge führen allesamt in hö-here Verschuldung. Dies gilt gerade auch für die Aus-sage der Kanzlerin, bei Wachstum die Steuern zu sen-ken. Dieses Geld würde für den Schuldenabbau fehlen.CDU und CSU haben faktisch den Konsens der GroßenKoalition verlassen und den Anspruch verloren, in dieserFrage die Einhaltung von Koalitionsabsprachen einzu-fordern. Dies gilt umso mehr, als die Union derzeit jedenVersuch unternimmt, mit teuren Geschenken an die ei-gene Klientel Wählerstimmen zu fangen. Wie der FallHypo Real Estate, HRE, gezeigt hat, bekämpft sie jedenAnsatz, die Lasten der Finanzkrise für den Staat durchdie Umwandlung von öffentlichen Hilfen in Eigentums-titel zu begrenzen. Nur so könnte man aber den Steuer-zahler nicht zum reinen Bürgen degradieren, sondernauch an künftigen Erträgen beteiligen.

Die Weltwirtschaftskrise hat die Rahmenbedingungenfür öffentliche Haushalte dramatisch verändert. Niemandkann heute die künftige ökonomische Entwicklung, dieder Finanzmärkte, die der vom Staat im Zuge der Ret-tungsmaßnahmen eingegangenen Kredit- und Bürg-schaftsrisiken, die der Steuereinnahmen und der Ausga-ben für Krisenfolgen seriös voraussagen. Eine starregrundgesetzliche Regelung kann diesen Risiken keines-falls gerecht werden, geschweige denn den notwendigenpolitischen Gestaltungsspielraum sichern. So hebt dieSchuldenregel bei der Frage des finanziellen Spielraumsvon Bund und Ländern allein auf wirtschaftlichesWachstum oder Naturkatastrophen ab. Dringend benö-tigte Investitionen in Bildung, Schulen und Universitä-ten würden nur möglich sein bei einem Tsunami in derNordsee oder einem Erdbeben. Ländern und Kommunenwird ein finanzpolitisches Korsett angelegt, das sie inunverantwortlicher Weise lähmt oder/und zu Kostgän-gern des Bundes degradiert.

Aus der Vergangenheit wissen wir aber, dass gerade inWachstumsphasen nach Krisen hohe Defizite in Sozial-kassen und öffentlichen Haushalten entstehen, weil dieEntwicklung der Steuer- und Beitragseinnahmen sowiedes Arbeitsmarktes dem Wachstum mit zeitlicher Verzö-gerung folgt. In der Wirtschaftsgeschichte fehlt es nichtan Beispielen für staatliche Konsolidierungspolitik, dieim Aufschwung Krisen verlängert oder verschärft hat.Seriöse Modellrechnungen haben aufgezeigt, welche ka-tastrophalen Folgen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt es

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gehabt hätte, wenn eine Bundesregierung in diesemJahrzehnt eine „Schuldenbremse“ nach dem jetzt vorlie-genden Modell einzuhalten gehabt hätte. Selbst ohneEinbeziehung von Ländern und Kommunen und derökonomischen Langfristwirkungen wäre die Wirtschaftum circa 1,5 Prozent weniger gewachsen und hätte dieArbeitslosigkeit in der Spitze um 500 000 Menschen hö-her gelegen.

Die Kommunen werden die ersten Opfer der geplan-ten Neuregelung sein. Sie tragen zwei Drittel aller öf-fentlichen Investitionen und sollen Garanten der Da-seinsvorsorge von Kinderbetreuung über soziale Dienstebis zur Ver- und Entsorgung sein. Gleichzeitig leiden siebesonders unter den Krisenfolgen, sowohl was die So-zialausgaben als auch was die Einnahmen, unter ande-rem aus der Gewerbesteuer, betrifft. Ihnen fehlt es völligan Möglichkeiten, unter dem Diktat der geplanten neuenFinanzordnung eigene Gestaltungsspielräume zu erhal-ten. De facto steht somit auch die kommunale Selbstver-waltung auf dem Spiel.

Wir können einer Verfassungsänderung nicht zustim-men, die den politisch Verantwortlichen ab 2011 nur vorfolgende Alternativen stellt: erstens massive Steuererhö-hungen, selbst bei rückläufigen Ausgaben; zweitens mas-sive Ausgabenkürzungen im höheren zweistelligen Mil-liardenbereich – dies würde nicht nur die Investitionenweitestgehend zum Erliegen bringen, sondern massiveEinschnitte in soziale Leistungen bedeuten –; drittensBruch der Verfassung; viertens Änderung der Verfas-sung; fünftens eine Kombination einzelner diese Alterna-tiven.

Da keine dieser fünf Möglichkeiten heute den Wähle-rinnen und Wählern offengelegt wird und keine dieserMöglichkeiten politisch wünschenswert ist, ist die grund-gesetzliche Schuldenbremse aus unserer Sicht nicht ver-tretbar. Es ist der sechzigjährigen Geschichte, dem Cha-rakter und der Aufgabe unserer Verfassung völligunangemessen, sie mit der vorgesehenen detaillistischenund realitätsfremden Regelung zu befrachten.

Eine klare generelle Aussage zur Begrenzung staatli-cher Kreditaufnahme und dem Gebot eines mittelfristi-gen Ausgleichs eventueller Defizite unter Verweis aufeine einfachgesetzliche Regelung würde dem gewünsch-ten Ziel näherkommen und zur Rechtssystematik desGrundgesetzes passen. Da wir die Staatsschulden wirk-sam abbauen wollen, sehen wir dies als tragfähige Alter-native zum vorliegenden Entwurf.

Die Sozialdemokratie will den Staat handlungsfähighalten. Wir wollen auch verhindern, dass die Masse derSteuerzahler und die sozial Schwachen die Folgen derKrise tragen. Deshalb kann es eine Regelung der Staats-schulden ohne eine gerechte Regelung der Einnahmen-seite nicht geben. Andernfalls entsteht der Verdacht, dassder Staat mit seinen Krisenlasten zugunsten des Finanz-und Unternehmenssektors zur ohnmächtigen Geisel derWelt- und Finanzmärkte gemacht werden soll.

In Zeiten massiver Steuereinnahmeausfälle, von Ret-tungsschirmen für Banken und Unternehmen, von BadBanks, von steigender Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und

sozialer Lasten stellt sich die Frage nach der Lösung desProblems der Staatsverschuldung in dramatischer Weise.Wir werden es mit praktischer Politik lösen.

Die vorgeschlagene Verfassungsänderung wird demangegebenen Zweck nicht gerecht, sondern gefährdet dieGlaubwürdigkeit politischer Entscheidungsträger undbeschädigt unser Grundgesetz in unverantwortlicherWeise.

Anlage 8

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann,Dr. Hans-Peter Bartels, Dr. Michael Bürsch,Bettina Hagedorn, Gabriele Hiller-Ohm, SönkeRix, Jörn Thießen und Franz Thönnes (alleSPD) zu der namentlichen Abstimmung überden Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung desGrundgesetzes (Artikel 91 c, 91 d, 104 b, 109,109 a, 115, 143 d) (Tagesordnungspunkt 36 a)

Für die SPD-Bundestagsabgeordneten aus Schleswig-Holstein haben bei der Föderalismusreform II – unge-achtet der persönlichen Abwägung zum Entscheidungs-prozess und zum Gesamtergebnis – folgende Aspektebesondere Bedeutung:

Erstens. Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, dassdie Souveränität der Länder zur Gestaltung ihrer Landes-haushalte gewahrt bleibt und hier nicht unangemesseneFestlegungen und Eingriffe stattfinden können. Wir wür-den es politisch sehr unterstützen, wenn das LandSchleswig-Holstein diese offene Streitfrage zu einer ver-fassungsgerichtlichen Klärung führt.

Zweitens. Die unterschiedliche Höhe der verfassungs-mäßigen Defizite zwischen Bund und Ländern wird vonuns als sehr problematisch beurteilt. Eine strukturelleVerschuldungsmöglichkeit der Länder in Höhe von0,0 Prozent bewerten wir als verfassungsrechtlich hoch-problematisch, als diskriminierend im Verhältnis vonBund und Ländern und als ökonomisch bedenklich. Wirerwarten, dass eine entsprechende Initiative der Bundes-länder hinsichtlich einer Öffnung dieser Restriktion un-bedingt positiv aufgenommen und umgesetzt wird.

Drittens. Auch und insbesondere das Land Schleswig-Holstein hat in der Vergangenheit von den Möglichkei-ten der Bund-Länder-Kooperation zur Finanzierung vonBildungsinvestitionen nachhaltig profitiert. Dieses hatsich nicht nur in der jüngsten Zeit durch die gemeinsameFinanzierung nach Art. 91 GG für den Bereich der Wis-senschaft – und damit der Hochschulen – manifestiert,sondern auch im aktuellen Konjunkturprogramm II gibtes eine überaus sinnvolle gemeinsame Finanzierung vonInvestitionen in Bildung und Forschung im Sinne eineserweiterten Art. 104 GG. Wir appellieren nachdrücklich,dass sich die Länder und der Bund auf eine grundgesetz-lich abgesicherte bessere Kooperation bei der Finanzie-rung von Bildung einigen. Kooperationsverbote, wie sieleider noch einmal im Grundgesetz festgelegt werdensollen, haben keine Berechtigung und müssen für dieZukunft korrigiert und überwunden werden.

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Einige Abgeordnete der SPD-Landesgruppe Schles-wig-Holstein entscheiden sich bei der Gesamtbewertungdes Verhandlungsprozesses und seiner Ergebnisse füreine Zustimmung bzw. schließen sich vor dem Hinter-grund und im Respekt vor der Mehrheitsentscheidungder Fraktion dieser an. Andere Abgeordnete erachtenihre grundsätzlichen Bedenken – zumal es sich um eineGrundgesetzänderung handelt – für so schwerwiegend,dass sie ihre Zustimmung nicht geben können. In der Be-wertung des Sachverhalts, den besonderen Konsequen-zen in Bezug auf die Interessen des Landes Schleswig-Holstein und den Erwartungen an notwendige Verände-rungen und Verbesserungen im Bundesratsverfahren ha-ben wir hingegen keinerlei Unterschiede und vertretennachdrücklich die in den Punkten eins bis drei erhobenenForderungen.

Anlage 9

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Florian Pronold, Klaus UweBenneter, Dr. Axel Berg, Dr. h. c. Gernot Erler,Peter Friedrich, Angelika Graf (Rosenheim),Frank Hofmann (Volkach), Christel Humme,Brunhilde Irber, Christian Kleiminger, Dr.Bärbel Kofler, Anette Kramme, Helga Kühn-Mengel, Andrea Nahles, Ewald Schurer,Christoph Strässer und Dr. Marlies Volkmer(alle SPD) zu der namentlichen Abstimmungüber den Entwurf eines … Gesetzes zur Ände-rung des Grundgesetzes (Artikel 91 c, 91 d,104 b, 109, 109 a, 115, 143 d) (Tagesordnungs-punkt 36 a)

Erstens. Wir haben die Grundüberzeugung, dass es ei-nen handlungsfähigen Staat in Deutschland braucht, derin der Lage ist, Zukunftsinvestitionen zu tätigen und so-zialen Ausgleich zu schaffen. Dafür sind solide Staatsfi-nanzen notwendig, denn eine überbordende Staatsver-schuldung schränkt auf Dauer den erforderlichenHandlungsspielraum ein. Deswegen wollen wir Staats-verschuldung abbauen. Wir tun dies aber in dem Wissen,dass es zum Beispiel bei konjunkturellen Krisen sinnvollsein kann, in eine höhere Verschuldung zu gehen, um dieKonjunktur anzukurbeln und die negativen Auswirkun-gen für die Gesellschaft und die Staatsfinanzen zu mini-mieren.

Zweitens. Gerade die gute sozialdemokratische Fi-nanzpolitik von Peer Steinbrück hat bewiesen, dass dasZiel des Schuldenabbaus auch ohne eine im Grundgesetzverankerte Schuldenbremse erreichbar ist. Denn ohnedie internationale Finanz- und Wirtschaftskrise hättenwir im Jahre 2011 einen ausgeglichenen Haushalt er-reicht und wären in den folgenden Jahren in der Lage ge-wesen, auch die staatliche Verschuldung zurückzufüh-ren. Aber allein durch Sparen kommt kein Staat ausseiner Verschuldung heraus. Qualifiziertes Wachstum istder Schlüssel, um Staatsverschuldung abzubauen, weilnur über ausreichendes Wachstum Mehreinnahmen er-zielt werden können. Deshalb ist es auch für den Staat

richtig, bei Wirtschaftskrisen in Vorleistung zu gehen,um Wachstum zu fördern.

Drittens. Wir sind überzeugt, dass es zur Bekämpfungvon Staatsverschuldung keiner grundgesetzlichen Rege-lung bedarf wie dieser, über die wir heute abstimmen. Esist falsch, so detaillierte Regelungen in unser Grundge-setz zu schreiben. Wir sind der Überzeugung, dass dieGrundgedanken in die Verfassung gehören und die Aus-führungen dazu in ein einfaches Gesetz. Wir sind über-zeugt, dass es notwendig wäre, nicht nur Ausgabenpfadein die Verfassung aufzunehmen, sondern auch im selbenMaße die Einnahmesituation des Staates in den Blick zunehmen.

Gerade die aktuelle Debatte über Steuersenkungeninsbesondere bei der FDP und der CDU/CSU zeigt: Dassind die falschen Antworten für eine Konsolidierung derHaushalte.

Nach der Überwindung der Wirtschaftskrise sindSteuersenkungen erst recht nicht zu finanzieren, weil dieSchulden, die der Staat machen musste, um Beschäfti-gung zu sichern, auch zurückgezahlt werden müssen.Wir hätten uns eine Festlegung auf ein Einnahmeziel desGesamtstaates gewünscht. Dies würde nicht nur die Ver-sprechungen von Schwarz-Gelb nach massiven Steuer-senkungen der Lüge überführen, sondern auch verhin-dern, dass sich der Druck der Haushaltskonsolidierungeinseitig auf Ausgabenkürzungen zum Beispiel für For-schung, Bildung oder Soziales aufbauen würde.

Viertens. Wir erkennen an, dass es der sozialdemokra-tischen Verhandlungsführung gelungen ist, das Koopera-tionsverbot des Art. 104 b GG zu lockern. Dennoch mei-nen wir, dass das Kooperationsverbot noch weitergelockert werden muss. In Zeiten der Globalisierungkönnen wir uns Kleinstaaterei in der Bildungspolitiknicht mehr leisten.

Fünftens. Weiterhin erkennen wir an, dass es auch ge-lungen ist, weite Teile der Schuldenbremse konjunktur-gerecht auszugestalten. Insbesondere für konjunkturelleGegensteuerungsmaßnahmen und Notsituationen ist ent-sprechender Spielraum geschaffen worden, damit derStaat auch in Zukunft aktiv eingreifen kann, um Arbeits-plätze zu sichern und Wachstum schneller zu initiieren.Trotzdem konnte unsere Sorge bezüglich des konjunktur-unabhängigen Abbaupfads der Jahre 2011 ff., der in deraktuellen Verfassungsänderung normiert wird, nicht aus-geräumt werden. Es macht keinen Sinn, eine im Jahr2011 unter Umständen wieder anziehende Konjunkturdurch massive Steuererhöhungen oder durch überpropor-tional hohe Kürzungen in investiven Bereichen gleichwieder abzuwürgen. Auch in diesem Bereich der Schul-denbremse braucht es flexible und den aktuellen Situa-tionen anpassbare Regelungen, so wie es der Sozialde-mokratie gelungen ist, sie in anderen Bereichen derSchuldenbremse zu schaffen.

Des Weiteren sind wir der Auffassung, dass es hoheverfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf dieSouveränität der Länder gibt, und begrüßen daher dieBestrebungen, über den Bundesrat auch vernünftige undflexible Handhabungen durch Bundesländer zu ermögli-

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chen, wie sie vonseiten der SPD-geführten Bundesländerangestrebt werden.

Sechstens. Entgegen dieser oben angeführten Argu-mente, eine solch detaillierte, unflexible Regelung nichtin das Grundgesetz aufzunehmen, sehen wir uns in derGesamtverantwortung gegenüber unserer Fraktion undunserer Partei und stimmen diesem Gesetz zu.

Wir werden aber unser Bemühen verstärken, Haus-haltskonsolidierung über Wachstumsimpulse und übereine vernünftige Einnahmebasis des Staates zu stärken,die auch die hohen Vermögen und die besonders hohenEinkommen stärker in die Verantwortung nimmt als bis-her. Dabei gehen wir von der Unterstützung derjenigenaus, die ohne jeden Zweifel diesem Gesetz zustimmenkönnen.

Anlage 10

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Renate Schmidt (Nürnberg),Dr. h. c. Gerd Andres, Ute Kumpf, JellaTeuchner, Lothar Mark, Dr. Lale Akgün,Wolfgang Spanier, Gert Weisskirchen (Wies-loch), Dr. h. c. Wolfgang Thierse, GabrieleGroneberg, Elvira Drobinski-Weiß, KlausHagemann, Petra Heß, Caren Marks,Dr. Barbara Hendricks, Katja Mast, RitaSchwarzelühr-Sutter, Ute Berg, Dr. MargritSpielmann, Lothar Binding (Heidelberg), PetraHinz (Essen), Klaus Brandner und HeinzSchmitt (Landau) (alle SPD) zu der namentli-chen Abstimmung über den Entwurf eines… Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes(Artikel 91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115, 143 d)(Tagesordnungspunkt 36 a)

Wir haben den Verfassungsänderungen zur zweiten Fö-deralismusreform zugestimmt, weil wir eine Schuldenbe-grenzung von Bund, Ländern und Kommunen im Interessekünftiger Generationen für richtig und notwendig haltenund weil es gelungen ist, das Kooperationsverbot desArt. 104 b Grundgesetz, wenn auch nur geringfügig zulockern.

Wir bedauern, dass die Schuldenbegrenzung in unserenAugen zu detaillistisch in der Verfassung verankert wurde,statt sich auf den Grundsatz der Schuldenbegrenzung zubeschränken und deren Ausgestaltung einfachgesetzlich zuregeln. Wir bedauern, dass das Kooperationsverbot nachwie vor zu strikt ist. In Zeiten der Globalisierung könnenwir uns die bundesdeutsche, bildungspolitische Kleinstaa-terei nicht länger leisten.

Wir sind daher der Meinung, dass Art. 104 a mindes-tens in den Status vor der Föderalismusreform I zurück-versetzt werden muss. Mittel- und langfristig ist eine ver-fassungsmäßig abgesicherte gemeinsame Zuständigkeitfür alle Bereiche der Bildungspolitik von Bund, Ländernund Kommunen anzustreben.

Dennoch ist vor dem Hintergrund des in einem Kom-promiss Erreichbaren die Zustimmung gerechtfertigt.Diese Zustimmung verbinden wir mit der Hoffnung,dass in künftigen Legislaturperioden die notwendigenKorrekturen vorgenommen werden.

Anlage 11

Erklärung nach § 31 GO

zu der namentlichen Abstimmung über denEntwurf eines … Gesetzes zur Änderung desGrundgesetzes (Artikel 91 c, 91 d, 104 b, 109,109 a, 115, 143 d) (Tagesordnungspunkt 36 a)

Klaus Uwe Benneter (SPD): In meiner Gesamtver-antwortung gegenüber meiner Fraktion und meiner Parteifolge ich dem mehrheitlichen Votum der Fraktion undstimme trotz meiner massiven Bedenken zu.

Meine Kolleginnen und Kollegen, Florian Pronoldund andere haben die wesentlichen Kritikpunkte in ihrerErklärung bereits zusammengefasst. Dieser Erklärungschließe ich mich an und ergänze noch Folgendes.

Erstens. Es sind die schlichte Diktion, die klaren Worteund knappen Sätze, die dem Grundgesetz als allseits ak-zeptiertes Leitbild unserer Verfassungsgrundlagen diebreite und uneingeschränkte Zustimmung in Deutschlandbringen. Die jetzt beabsichtigten Änderungen erfüllennicht die Anforderungen an diesen Verfassungstext. Das istkeine Frage einer nachrangigen Verfassungsästhetik oderunwichtigen Verfassungskultur, das ist gelebte Demokra-tie. Politische Kompromisstexte haben nichts in einerVerfassung zu suchen, erst recht nicht, wenn solche de-taillierten Regelungen in der noch weit entfernt liegen-den Zukunft wirksam werden sollen. Wir erlauben unsheute nicht nur, viele Schulden zu machen, jetzt knebelnwir die künftig politisch Verantwortlichen auch noch undengen ihren künftigen Gestaltungsspielraum zu sehr ein.

Zweitens. Als verfassungsrechtlich bedenklichen Ver-stoß gegen die Eigenstaatlichkeit der Länder und damitgegen die bundesstaatliche Ordnung werte ich die zwin-gende Vorgabe im neuen Art. 109 Abs. 3 GG an die Länderund deren Parlamente, ab 2020 nicht mehr selbst überihre Schuldenbewältigung entscheiden zu dürfen.

Drittens. Wir haben alle längst erkannt und weisen inallen unseren Programmen und Reden immer wiederdarauf hin, dass Bildung die zentrale Gemeinschaftsauf-gabe von Bund, Ländern und Gemeinden jetzt und künf-tig ist. In Art. 104 b GG untersagen wir aber gerade auchfür diesen Bereich den Bundesorganen weitgehend, sichdirekt an allen Bildungsanstrengungen vor Ort wenigs-tens finanziell beteiligen zu dürfen. Jetzt wäre eine guteGelegenheit gewesen, dieses weitgehende Kooperations-verbot, das sich nicht bewährt hat, nicht nur für den Fallvon Naturkatastrophen und für außergewöhnliche Not-fälle zu korrigieren und im Interesse der Zukunft unsererKinder zu einer wirklichen Gemeinschaftsaufgabe fürden Normalfall auszubauen.

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Edelgard Bulmahn (SPD): Eine Verfassung hat dieAufgabe, die Grundordnung des Staates in ihren wesent-lichen Inhalten festzulegen. Sie soll einprägsam sein,Bestand haben und nicht ständig sich verändernden Ver-hältnissen angepasst werden müssen. Nur so kann sieeine hohe Bindekraft und Integrationswirkung entfalten.

Aufgabe der Verfassung ist es nicht, politische Gestal-tungsmöglichkeiten bis ins Detail zu regeln, sondernGrundsätze und Regeln für die politische Gestaltungfestzulegen. Dies soll und muss auch für die Finanzbe-ziehungen zwischen Bund und Ländern gelten. Ich haltees daher für richtig, eine Schuldenbegrenzung von Bundund Ländern als Grundsatz im Grundgesetz zu veran-kern.

Der vorliegende Gesetzentwurf wird diesem An-spruch jedoch nicht gerecht. Ausschweifende Verfas-sungsregelungen können die demokratische Substanz,die das Grundgesetz neben den Grundrechten schützensoll, aushöhlen. Das Grundgesetz ist keine Verwaltungs-vereinbarung und auch kein Notarvertrag. DetaillierteRegelungen, wie sie in dem Gesetzentwurf vorgesehensind, schnüren den politischen Gestaltungsspielraumkünftiger Parlamente und Politikergenerationen in einerArt und Weise ein, die gegen grundlegende demokrati-sche Spielregeln verstößt.

Die im Gesetzentwurf enthaltene Regelung steht mei-ner Überzeugung nach im Konflikt mit der Verfassungs-autonomie der Länder, die als Staaten autonom über dieRegeln für die Kreditaufnahme entscheiden. Ihr Gestal-tungsspielraum findet seine Grenze nur in den fürDeutschland verbindlichen Vorgaben des EuropäischenStabilitäts- und Wachstumspaktes und gegebenenfalls inden auf Grundzüge der Kreditaufnahme beschränktenRegelungen des der Zustimmung des Bundesrates be-dürftigen Kreditaufnahmegrundsätzegesetzes.

Eine nachhaltige Finanzpolitik muss die aktive unddie passive Zukunftsvorsorge gleichermaßen im Augehaben. Der Staat muss aktiv in seine und die Zukunft derBürgerinnen und Bürger investieren können. Zukunftssi-cherung erfordert insbesondere Investitionen in Bildung,Wissenschaft, Infrastruktur und Umweltschutz. Hierfürkann die Aufnahme von Krediten sinnvoll, ja notwendigsein. Die hier zur Abstimmung stehenden rigiden Rege-lungen sind deshalb kontraproduktiv und volkswirt-schaftlich fragwürdig. Dies bedeutet nicht, dass der Staatnicht verantwortlich mit seinen Finanzen umgehenmuss.

Daher plädiere ich für die Aufnahme einer Schulden-bremse als Grundsatz in das Grundgesetz. Art. 109Abs. 3 könnte lauten: „Die Haushalte von Bund undLändern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Kredi-ten auszugleichen. Durch Bundesgesetz, das der Zustim-mung des Bundesrates bedarf, können für Bund undLänder gemeinsam geltende Grundsätze für die Kredit-aufnahme aufgestellt werden.“ Für Art. 115 Abs. 2 halteich folgende Formulierung für angebracht: „Einnahmenund Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen ausKrediten auszugleichen. Das Nähere wird durch einBundesgesetz geregelt.“

Derartige Regelungen würden den Charakter der Ver-fassung als Rahmenordnung achten und den notwendigenRaum für den demokratisch legitimierten Prozess politi-scher Willensbildung lassen. Grundsätze der Kreditauf-nahme würden einem zustimmungsbedürftigen Gesetzdes Bundes vorbehalten bleiben, dass mit der üblichenparlamentarischen Mehrheit den wechselnden, gegen-wärtig nicht vorhersehbaren finanz- und wirtschaftspoli-tischen Anforderungen angepasst werden könnte.

Ich erkenne die Bemühungen meiner Fraktionsfüh-rung an, das Kooperationsverbot von Bund und Ländernim Bereich der Bildung aufzuheben. Jedoch wird auch inder Neufassung des Art. 104 b das Kooperationsverbotim Kern beibehalten. Gerade hier sind verstärkte öffent-liche Finanzanstrengungen und Reformen unabdingbar,wenn wir unsere Zukunft nicht verspielen wollen. Dievorgesehene Neufassung, die bei Naturkatastrophen oderaußergewöhnlichen Notsituationen Investitionen desBundes zulassen will, ist absurd. Sie entspricht wederden Anforderungen eines modernen Verständnisses eineskooperativen Föderalismus noch wird sie dem Bedeu-tungszuwachs von Bildung und Wissenschaft gerecht.Die Bildungschancen der Menschen dürfen nicht von derFinanzkraft des jeweiligen Landes abhängig sein.

Die Bürger unseres Landes haben einen Anspruch aufklare, nachvollziehbare Regelungen. Etwas grundsätz-lich auszuschließen und dann über Winkelzüge begrenztwieder zu ermöglichen, trägt zur Politik- und Staatsver-drossenheit bei.

Da bei der vorgesehenen Verfassungsänderung keineGrundrechte verändert werden, sehe ich mich in der Ge-samtverantwortung gegenüber meiner Fraktion und derSPD, diesem Gesetz zuzustimmen – entgegen den obenaufgeführten Argumenten, solch detaillierte, unflexibleRegelungen nicht in das Grundgesetz aufzunehmen. Ichwerde aber mein Bemühen verstärken, Haushaltskonso-lidierung über Wachstumsimpulse und über eine ver-nünftige Einnahmebasis des Staates zu stärken, die auchdie hohen Vermögen und die besonders hohen Einkom-men stärker in die Verantwortung nimmt als bisher. Da-bei gehe ich von der Unterstützung derjenigen aus, dieohne Zweifel diesem Gesetz zustimmen können. DasKooperationsverbot von Bund und Ländern im Bil-dungsbereich abzuschaffen, wird weiterhin ein Ziel mei-ner politischen Arbeit bleiben.

Ulla Burchardt (SPD): Ich habe den Verfassungsän-derungen zur zweiten Föderalismusreform zugestimmt,weil ich eine Schuldenbegrenzung von Bund, Ländernund Kommunen im Interesse künftiger Generationen fürnotwendig halte und weil es gelungen ist, das Koopera-tionsverbot des Art. 104 b Grundgesetz, GG, wenn auchnur geringfügig, zu lockern und somit Kommunen undBildung vom Konjunkturpaket II profitieren können.

Ich bedauere, dass die Schuldenbremse zu detaillis-tisch in der Verfassung verankert wurde, statt sich aufden Grundsatz der Schuldenbegrenzung zu beschränkenund deren Ausgestaltung einfachgesetzlich zu regeln.

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Vor allem bedauere ich, dass das Kooperationsverbotnach wie vor zu strikt ist. Im Interesse der Sicherung vonWachstums- und Innovationschancen und im Interesseder Herstellung von Chancengleichheit kann sichDeutschland bildungspolitische Verzagtheit und Klein-staaterei nicht länger leisten.

Es gibt eine hinreichend wissenschaftlich fundierteWissensbasis, die begründet, dass das Kooperationsver-bot des Art. 104 b GG beseitigt werden muss und die ge-samtstaatliche Verantwortung für mehr und bessere Bil-dung nur durch ein Verfassungsgebot zur Kooperationrealisiert werden wird.

Es wird Zeit für eine dritte Föderalismusreform, eswird Zeit, dass wir eine zeitgemäße Bildungsverfassungbekommen.

Martin Dörmann (SPD): Ich habe den Verfassungs-änderungen zur zweiten Föderalismusreform zuge-stimmt, weil ich eine Schuldenbegrenzung öffentlicherHaushalte im Interesse künftiger Generationen und zurlangfristigen Sicherung politischer Handlungsmöglichkei-ten grundsätzlich für richtig und notwendig halte und weiles gelungen ist, das Kooperationsverbot des Art. 104 bGrundgesetz zu lockern, wenn auch nur geringfügig.

Ich bedaure, dass die Schuldenbegrenzung in meinenAugen zu weitgehend und zu detailliert in der Verfassungverankert wurde, statt sich auf den Grundsatz der Schul-denbegrenzung zu beschränken und deren Ausgestaltungeinfachgesetzlich zu regeln, und dass das Kooperationsver-bot nach wie vor zu strikt ist. In Zeiten der Globalisierungkönnen wir uns die bundesdeutsche, bildungspolitischeKleinstaaterei nicht länger leisten.

Es ist problematisch, dass die Vertreter der Länderund der Union bessere Vorschläge seitens der SPD nichtaufgegriffen haben.

Vor dem Hintergrund, dass am Ende nur die Alternativeder Zustimmung oder der Ablehnung eines Kompromissesbesteht, halte ich eine Zustimmung trotz der Bedenkenfür gerechtfertigt, weil finanzielle Handlungsspielräumefür Bund und Länder verbleiben, insbesondere in Notsi-tuationen und bei konjunkturellen Schieflagen, und weilvor der vollen Wirksamkeit der strikten strukturellenSchuldenbegrenzung bei den Ländern ab 2020 neue Ver-handlungen anstehen, die Änderungen im Lichte derweiteren Entwicklung möglich machen.

Diese Zustimmung verbinde ich mit der Hoffnung,dass in den nächsten Jahren die notwendigen Korrektu-ren vorgenommen werden.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Schuldenregelnsind wesentliche Bestandteile des Haushaltsrechts derLänder. Sie schränken das Budgetrecht, das „Königs-recht“ der Landesparlamente, zentral ein. Schuldenre-geln in den Ländern sind daher, sowohl was die grund-sätzlichen Regelungen wie auch ihre nähereAusgestaltung angeht, den Landesverfassungen und da-mit den Landesparlamenten vorbehalten. Neue Schul-denregeln dürfen den Ländern nicht durch eine Ände-rung des Grundgesetzes übergestülpt werden.

Die Selbstständigkeit und die Unabhängigkeit derHaushaltswirtschaften von Bund und Ländern (Art. 109Abs. 1 GG) konkretisiert das Bundesstaatsprinzip(Art. 20 Abs. 1 GG) für den Bereich der Finanzverfas-sung. Die Eigenverantwortung der Länder für ihre Haus-halte in verfahrensrechtlicher wie auch in inhaltlicherHinsicht umfasst auch die Kreditautonomie mit dem Er-halt einer substantiellen Entscheidungsbefugnis überHöchstbeträge, Bedingungen und Laufzeiten der Kredit-aufnahme. Die materielle Haushaltsautonomie gehört zuden Wesensmerkmalen der Bundesrepublik Deutsch-land und zum Kernbereich der Staatlichkeit der Länder,der vom verfassungsfesten Gewährleistungsbereich desArt. 79 Abs. 3 GG umfasst wird.

Deshalb stimme ich mit Nein.

Rolf Kramer (SPD): Ich habe den Verfassungsänderun-gen zur zweiten Föderalismusreform zugestimmt, weilich eine Schuldenbegrenzung von Bund, Ländern undKommunen im Interesse künftiger Generationen fürrichtig und notwendig halte und weil es gelungen ist, dasKooperationsverbot des Art. 104 b Grundgesetz, wennauch nur geringfügig, zu lockern.

Ich bedaure, dass die Schuldenbegrenzung in meinenAugen zu detailliert in der Verfassung verankert wurde,statt sich auf den Grundsatz der Schuldenbegrenzung zubeschränken und deren Ausgestaltung einfachgesetzlichzu regeln, und dass das Kooperationsverbot nach wie vorzu strikt ist. In Zeiten der Globalisierung können wir unsdie bundesdeutsche, bildungspolitische Kleinstaatereinicht länger leisten.

Ich bin daher der Meinung, dass Art. 104 a mindestensin den Status vor der Föderalismusreform I zurückversetztwerden muss. Mittel- und langfristig ist eine verfassungs-mäßig abgesicherte gemeinsame Zuständigkeit für alleBereiche der Bildungspolitik von Bund, Ländern undKommunen anzustreben.

Dennoch ist vor dem Hintergrund des in einem Kompro-miss Erreichbaren die Zustimmung gerechtfertigt. DieseZustimmung verbinde ich mit der Hoffnung, dass in künf-tigen Legislaturperioden die notwendigen Korrekturenvorgenommen werden.

Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Für die von derFöderalismusreformkommission vorgeschlagene Neure-gelung der verfassungsrechtlich zulässigen Neuverschul-dung gibt es auch nach meiner Überzeugung beachtlicheArgumente. Die daraus hergeleiteten neuen Verfassungs-bestimmungen sind allerdings auch bei Würdigung dervereinbarten Ziele mit ihren konkreten Eurobeträgen,Berechnungsverfahren und Jahreszahlen weder notwendignoch in ihrem Umfang und ihren detaillierten Ausführungs-bestimmungen einer Verfassung angemessen. Das Miss-trauen, das künftigen demokratisch legitimierten Mehr-heiten im Bundestag und Bundesrat und ihren möglichenGestaltungsabsichten mit diesem Regelungsehrgeiz ent-gegengebracht wird, halte ich für verfassungspolitischverfehlt und für historisch unbegründet im Lichte derErfahrungen einer jetzt 60-jährigen stabilen parlamenta-rischen Demokratie.

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Deshalb lehne ich diese Verfassungsänderungen ab,die eine Fehlentwicklung im Umgang mit dem Rang undder Funktion des Grundgesetzes fortsetzen, die der Ver-fassungsgesetzgeber unbedingt vermeiden sollte.

Jürgen Kucharczyk (SPD): Ich bin der Grundüber-zeugung, dass Deutschland einen handlungsfähigenStaat braucht, der in der Lage ist, Zukunftsinvestitionenzu tätigen und sozialen Ausgleich zu schaffen. Dazu sindsolide Staatsfinanzen die Voraussetzung. Eine erdrü-ckende Staatsverschuldung schränkt notwendige Hand-lungsspielräume ein. Ziel muss es daher sein, die Staats-verschuldung, die sich über Jahrzehnte hinweg aufgebauthat, im Sinne künftiger Generationen zurückzuführen, indem Wissen, dass es zum Beispiel wie jetzt bei Finanz-oder Wirtschaftskrisen sinnvoll sein kann, eine höhereVerschuldung in Kauf zu nehmen, um die Konjunkturanzukurbeln und die negativen Auswirkungen für dieGesellschaft und die Staatsfinanzen zu minimieren.

Die gute sozialdemokratische Finanzpolitik der letz-ten Jahre, insbesondere von Finanzminister PeerSteinbrück, hat bewiesen, dass das Ziel des Schuldenab-baus auch ohne eine im Grundgesetz verankerte Schul-denbremse erreichbar ist. Ohne die internationale Fi-nanz- und Wirtschaftskrise wäre im Jahre 2011 einausgeglichener Haushalt erreicht und somit in den Fol-gejahren die staatliche Verschuldung zurückgeführt wor-den. Richtig ist die Feststellung jedoch auch, dass keinStaat allein durch Sparen aus der Verschuldung heraus-kommt. Qualifiziertes Wachstum ist der Schlüssel, umdie Staatsverschuldung abzubauen. Nur über ein ausrei-chendes Wachstum können Mehreinnahmen erzielt wer-den. Deshalb ist richtig, dass der Staat bei Wirtschafts-krisen, insbesondere bei einer wie dieser, in Vorleistunggeht, um Wachstum zu fördern und zu sichern.

Meine Überzeugung ist, dass es zur Bekämpfung vonStaatsverschuldung keiner grundgesetzlichen Regelungbedarf wie dieser, über die wir heute abstimmen. Es istnicht der richtige Zeitpunkt, so detaillierte Regelungenin unser Grundgesetz zu schreiben. Ich vertrete die Mei-nung, dass Grundgedanken in die Verfassung gehörenund die entsprechenden Ausführungen zu den einzelnenArtikeln in einfachen Ausführungsgesetzen zu regelnsind. Meine Überzeugung ist, dass es notwendig wäre,nicht nur Ausgabenpfade in die Verfassung aufzuneh-men, sondern auch im selben Maße die Einnahmesitua-tion des Staates in den Fokus zu nehmen.

Just die aktuelle Debatte, insbesondere bei der FDPund der CDU/CSU, über Steuerentlastungen in einerGrößenordnung, die auch ohne Wirtschaftskrise nicht zufinanzieren wäre, ist finanzpolitisch deplatziert. DerHaushaltsausgleich von 2007 und 2008 zeigt, dass überalle Gebietskörperschaften in Deutschland hinweg eineSteuerquote von circa 23 Prozent des BIP für die Bun-desrepublik nicht langfristig ausreichte. Für den Haus-haltsausgleich in 2008 war sie tragend, aber nicht zumnachhaltigen Schuldenabbau. In der Abfolge und derÜberwindung der Wirtschaftskrise sind Steuersenkungengrundsätzlich nicht finanzierbar, es sei denn, sie gehenzulasten von Beschäftigung. Schulden, die der Staat in

Krisen wie dieser zusätzlich machen muss, um Beschäf-tigung zu sichern, müssen auch zurückgezahlt werden.Deshalb ist es im jetzigen Gesetzgebungsverfahren einMangel, auf eine gesamtstaatliche Mindeststeuerquote,die in der Verfassung festgeschrieben wird, zu verzich-ten. Dies überführt nicht nur die Versprechungen vonSchwarz-Gelb nach massiven Steuersenkungen derLüge. Eine festgeschriebene Mindeststeuerquote würdeverhindern, dass sich der Druck der Haushaltskonsoli-dierung einseitig auf Ausgabenkürzungen zum Beispielfür Forschung, Bildung oder Soziales aufbauen würde.

Ich erkenne an, dass es der sozialdemokratischen Ver-handlungsführung gelungen ist, nicht nur das Kompen-sationsverbot des Art. 104 b GG zu lockern, sondernauch weite Teile der Schuldenbremse konjunkturgerechtauszugestalten. Insbesondere für konjunkturelle Gegen-steuerungsmaßnahmen und Notsituationen ist entspre-chender Spielraum geschaffen worden. Somit ist auchder Staat in der Zukunft in der Lage, aktiv einzugreifen,um Arbeitsplätze zu sichern und Wachstum schneller zuinitiieren.

Meine Sorge bezüglich des konjunkturunabhängigenAbbaupfads der Jahre 2011 ff., der in der aktuellen Ver-fassungsänderung normiert wird, wurde leider nicht aus-geräumt. Es macht keinen Sinn, eine im Jahr 2011 unterUmständen wieder anziehende Konjunktur durch mas-sive Steuererhöhungen oder durch überproportionalhohe Kürzungen in investiven Bereichen gleich wiederabzuwürgen. Auch in diesem Bereich der Schulden-bremse braucht es flexible und den aktuellen Situationenanpassbare Regelungen, so wie es der Sozialdemokratiegelungen ist, sie in anderen Bereichen der Schulden-bremse zu schaffen. Des Weiteren sehe ich, dass es hoheverfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf dieSouveränität der Länder gibt. Ich begrüße daher die Be-strebungen, über den Bundesrat auch vernünftige undflexible Handhabungen durch Bundesländer zu ermögli-chen, wie sie vonseiten der SPD geführten Bundesländerangestrebt werden.

Entgegen meiner gefestigten Überzeugung, solche de-taillierten, unflexiblen Regelungen nicht in das Grund-gesetz aufzunehmen, stimme ich entsprechend derMehrheitsentscheidung meiner Fraktion diesem Gesetzzu. Zukünftig muss verstärkt die Haushaltskonsolidie-rung über Wachstumsimpulse sowie über eine vernünf-tige Einnahmebasis des Staates gestärkt werden. Dabeisind auch die Einkommensgruppen, die über hohe Ein-kommen und Vermögen verfügen, stärker in die Verant-wortung zu nehmen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):Ich stimme der Änderung des Grundgesetzes zur Veran-kerung einer sogenannten Schuldenbremse nicht zu.Eine Ausgestaltung der Schuldenbremse in dieser Formim Grundgesetz ist weder notwendig noch entspricht dieFormulierung den Anforderungen an einen Verfassungs-text. Der beabsichtigte und richtige Weg zu einer wirksa-men Verschuldungseindämmung der öffentlichen Haus-halte ist zu einem Formulierungsungeheuer verkommen.

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Die weiteren in diesem Gesetz vorgesehenen Grund-gesetzänderungen begegnen besonders hinsichtlichArt. 91 c des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung desGrundgesetzes erheblichen Bedenken.

Unter Berücksichtigung des Abstimmungsverhaltensder FDP-Bundestagsfraktion stimme ich mit Enthaltung.

Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Eine Verfassunghat die Aufgabe, die Grundordnung des Staates in ihrenwesentlichen Inhalten festzulegen. Sie soll einprägsamsein, Bestand haben und nicht ständig sich veränderndenVerhältnissen angepasst werden müssen. Nur so kann sieeine hohe Bindekraft und Integrationswirkung entfalten.

Aufgabe der Verfassung ist es nicht, politische Gestal-tungsmöglichkeiten bis ins Detail zu regeln, sondernGrundsätze und Regeln für die politische Gestaltungfestzulegen. Dies soll und muss auch für die Finanzbe-ziehungen zwischen Bund und Ländern gelten. Ich haltees daher für richtig, eine Schuldenbegrenzung von Bundund Ländern als Grundsatz im Grundgesetz zu veran-kern. Der vorliegende Gesetzentwurf wird diesem An-spruch jedoch nicht gerecht. Ausschweifende Verfas-sungsregelungen können die demokratische Substanz,die das Grundgesetz neben den Grundrechten schützensoll, aushöhlen. Das Grundgesetz ist keine Verwaltungs-vereinbarung und auch kein Notarvertrag. DetaillierteRegelungen, wie sie in dem Gesetzentwurf vorgesehensind, schnüren den politischen Gestaltungsspielraumkünftiger Parlamente und Politikergenerationen in einerArt und Weise ein, die gegen grundlegende demokrati-sche Spielregeln verstößt.

Die im Gesetzentwurf enthaltene Regelung verletztmeiner Überzeugung nach die Verfassungsautonomieder Länder, die als Staaten autonom über die Regeln fürdie Kreditaufnahme entscheiden. Ihr Gestaltungsspiel-raum findet seine Grenze nur in den für Deutschland ver-bindlichen Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- undWachstumspaktes und gegebenenfalls in den auf Grund-züge der Kreditaufnahme beschränkten Regelungen desder Zustimmung des Bundesrates bedürftigen Kreditauf-nahmegrundsätzegesetzes.

Eine nachhaltige Finanzpolitik muss die aktive unddie passive Zukunftsvorsorge gleichermaßen im Augehaben. Der Staat muss aktiv in seine und die Zukunft derBürgerinnen und Bürger investieren können. Zukunftssi-cherung erfordert insbesondere Investitionen in Bildung,Wissenschaft, Infrastruktur und Umweltschutz. Hierfürkann die Aufnahme von Krediten sinnvoll, ja notwendigsein. Die hier zur Abstimmung stehenden rigiden Rege-lungen sind deshalb kontraproduktiv und volkswirt-schaftlich fragwürdig. Dies bedeutet nicht, dass der Staatnicht verantwortlich mit seinen Finanzen umgehenmuss.

Daher plädiere ich für die Aufnahme einer Schulden-bremse als Grundsatz in das Grundgesetz. Art. 109 Abs. 3könnte lauten: „Die Haushalte von Bund und Ländernsind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszu-gleichen. Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung desBundesrates bedarf, können für Bund und Länder ge-

meinsam geltende Grundsätze für die Kreditaufnahmeaufgestellt werden.“ Für Art. 115 Abs. 2 halte ich fol-gende Formulierung für angebracht: „Einnahmen undAusgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Kre-diten auszugleichen. Das Nähere wird durch ein Bundes-gesetz geregelt.“ Derartige Regelungen würden denCharakter der Verfassung als Rahmenordnung achtenund den notwendigen Raum für den demokratisch legiti-mierten Prozess politischer Willensbildung lassen.Grundsätze der Kreditaufnahme würden einem zustim-mungsbedürftigen Gesetz des Bundes vorbehalten blei-ben, das mit der üblichen parlamentarischen Mehrheitden wechselnden, gegenwärtig nicht vorhersehbarenfinanz- und wirtschaftspolitischen Anforderungen ange-passt werden könnte.

Ich erkenne die Bemühungen meiner Fraktionsfüh-rung an, das Kooperationsverbot von Bund und Ländernim Bereich der Bildung aufzuheben. Jedoch wird auch inder Neufassung des Art. 104 b das Kooperationsverbotim Kern beibehalten. Gerade hier sind verstärkte öffent-liche Finanzanstrengungen und Reformen unabdingbar,wenn wir unsere Zukunft nicht verspielen wollen. Dievorgesehene Neufassung, die bei Naturkatastrophen oderaußergewöhnlichen Notsituationen Investitionen desBundes zulassen will, ist absurd. Sie entspricht wederden Anforderungen eines modernen Verständnisses eineskooperativen Föderalismus noch wird sie dem Bedeu-tungszuwachs von Bildung und Wissenschaft gerecht.Die Bildungschancen der Menschen dürfen nicht von derFinanzkraft des jeweiligen Landes abhängig sein. DieBürger unseres Landes haben einen Anspruch auf klare,nachvollziehbare Regelungen. Etwas grundsätzlich aus-zuschließen und dann über Winkelzüge begrenzt wiederzu ermöglichen, trägt zur Politik- und Staatsverdrossen-heit bei.

Entgegen diesen oben angeführten Argumenten, solchdetaillierte, unflexible Regelungen nicht in das Grundge-setz aufzunehmen, sehe ich mich in der Gesamtverant-wortung gegenüber meiner Fraktion und der SPD, die-sem Gesetz zuzustimmen. Ich werde aber mein Bemühenverstärken, Haushaltskonsolidierung über Wachstums-impulse und über eine vernünftige Einnahmebasis desStaates zu stärken, die auch die hohen Vermögen und diebesonders hohen Einkommen stärker in die Verantwor-tung nimmt als bisher. Dabei gehe ich von der Unterstüt-zung derjenigen aus, die ohne Zweifel diesem Gesetz zu-stimmen können. Das Kooperationsverbot von Bund undLändern im Bildungsbereich abzuschaffen, wird weiter-hin ein Ziel meiner politischen Arbeit bleiben.

Patrick Meinhardt (SPD): Eine Neuordnung der Fi-nanzbeziehungen von Bund und Ländern ist dringendgeboten. Wir benötigen klare Kompetenzstrukturen. Nurwenn politisches Handel unmissverständlich einem ver-antwortlichen Akteur zuzuordnen ist, ist politischesHandeln auch für den Bürger hinreichend transparent.

Die in der Kommission von Bundestag und Bundesratzur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehun-gen ausgehandelten Änderungen unseres Grundgesetzeszielen vielfach in die richtige Richtung. Jedoch ist das

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von der FDP geforderte Neuverschuldungsverbot alszentrale Maßnahme durch die Kommission fast bis zurUnkenntlichkeit aufgeweicht worden.

Die Verknüpfung der Abstimmung über die Födera-lismusreform II mit der Änderung des Art. 104 b Grund-gesetz ist aus meiner Sicht politisch unzulässig undbringt zum Ausdruck, wie brüchig die Koalition beiwichtigen politischen Weichenstellungen ist. Als starkerBefürworter einer klaren Zuständigkeit der Länder in derSchulpolitik kann ich der erneuten Vermengung vonKompetenzen nicht zustimmen. Der Wettbewerbsfödera-lismus bringt Deutschland in der Bildung voran.

Die erneute Einführung eines kooperativen Föderalis-mus in der Bildung durch die Hintertür widersprichtauch dem ursprünglichen Ansinnen der Kommission,eine Vereinfachung der Finanzbeziehungen zwischenBund und Ländern mit klaren Zuständigkeiten und einerhohen Transparenz zu schaffen. Die Neufassung desArt. 104 b Grundgesetz lehne ich ab. Die Neufassung istnicht etwa Ausdruck einer grundlegenden Überzeugungder Bundesregierung und der Landesregierungen, dasseine Gesetzgebungskompetenz des Bundes in der Schul-politik notwendig ist, sondern sie soll nur dazu dienen,nachträglich die bisher unzureichende Legitimierung desKonjunkturpaketes II sicherzustellen.

In einem von mir in Auftrag gegebenen Gutachtendes Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages(WD4 – 3000 – 034/09) wurde bestätigt, dass eine un-mittelbare Förderung von Baumaßnahmen im Schulbe-reich, wie sie das Konjunkturpaket II vorsieht, im Rah-men des Art. 104 b Grundgesetz nicht zulässig ist. Sovertrat auch der Berliner Verfassungsrechtler ProfessorDr. Dr. Battis in der Anhörung im Bildungsausschusszum Konjunkturpaket II am 13. Mai 2009 die Auffas-sung, dass sich das Konjunkturpaket II „am Rande derLegalität bewege und sogar als verfassungswidrig zukennzeichnende Elemente enthalte“.

Diese Bundesregierung hat keinen erkennbaren Ge-staltungswillen. Viel schlimmer: Künftig will sich derBund im Falle von Naturkatastrophen und außergewöhn-lichen Notsituationen für die Bildung zuständig erklären.Ein politisch fataleres Signal ist schwer denkbar.

Aus tiefster innerer Überzeugung trete ich nach wievor für eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenzder Länder in der Schulpolitik ein. Wir benötigen nichtmehr bundeseinheitliche Kultusbürokratie, sondernmehr Entscheidungsfreiheit vor Ort, Eigenverantwort-lichkeit und den Wettbewerb um die beste Bildung.

Die von den Koalitionsfraktionen festgesetzte Blockab-stimmung aller Grundgesetzänderungen macht es mir je-doch unmöglich, dieser Überzeugung auch mit meinerStimme Ausdruck zu verleihen.

Absolut unglaublich ist jedoch das Verhalten der So-zialdemokraten, die im Vorfeld bereits angekündigt ha-ben, erst im Bundestag zuzustimmen, um dann im Bun-desrat über ihre Länder eine erneute Beratung imVermittlungsausschuss zu erzwingen. Dieses Vorgehenentbehrt jeder Grundlage.

Dr. Matthias Miersch (SPD): Die Reform unseresföderalen Systems ist angesichts der Herausforderungenin Europa und vor dem Hintergrund der enormenZukunftsaufgaben zum Beispiel im Bildungsbereichunverzichtbar. Die Berücksichtigung der Prinzipien derNachhaltigkeit und der Generationengerechtigkeit in denöffentlichen Haushalten ist ebenso notwendig. Zukunfts-fähigkeit bedeutet aber nicht müden Blick auf fiskalischeAspekte. Die Prinzipien der nachhaltigen Entwicklungund der Generationengerechtigkeit müssen deshalb auchbei Investitionen in Bildung, Forschung und Umwelt-schutz gelten.

Bei einer beabsichtigten Reform des föderalen Systemsist zu prüfen, ob diese den Herausforderungen gerechtwird. Nach meiner Überzeugung wird der vorliegendeEntwurf diesem Erfordernis nicht gerecht. Er zementiertvielmehr das unhaltbare Kooperationsverbot zwischenBund und Ländern im Bildungsbereich und stellt nichtdie dringend notwendige Frage nach der Effizienz desföderalen Systems in seiner derzeitigen Struktur ein-schließlich der Überlebensfähigkeit einzelner Bundes-länder. Die Aufnahme einer Schuldenregel in einer Zeitder notwendigen Rekordverschuldung mag ein politischesSignal sein, wenngleich die Haushaltsanstrengungen inden Jahren 2007 und 2008 belegen, dass auch ohne eineentsprechende Regel der politische Wille entscheidendist, eine Neuverschuldung zu vermeiden.

Die Art der Aufnahme der Regelungen in die Verfassungwirft nunmehr nicht nur ästhetische Fragen auf. Es wirdnicht ausschließlich ein Grundsatz mit Verfassungsrangversehen, sondern ein nicht erprobtes Konzept. Verfas-sungsrechtlich dürfte die Beschränkung des Haushalts-rechts der Länder nur dann zulässig sein, wenn der Bundfür eine angemessene Finanzausstattung sorgt. Die Frageder Angemessenheit sollte aber nicht rechtlichen Ausei-nandersetzungen überlassen bleiben. Hier hätte der poli-tische Diskurs grundsätzlich ansetzen müssen. Das giltauch für die Frage des Zusammenspiels von Schulden-standsquote, Staatsquote und Steuer- bzw. Sozialabga-benquote.

Die Verfassung ist Grundlage unseres Zusammenlebens.Die Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit für eineVerfassungsänderung zeigt, dass die Mütter und Väterdes Grundgesetzes hohe Anforderungen an eine entspre-chende Änderung stellen. Die Änderungen sind auchstets auf Dauer angelegt. Deshalb sind für mich derartigeAbstimmungen Gewissensentscheidungen im Sinne desArt. 38 Abs. 1 GG. Einer Änderung, die die zentralenFragen unberücksichtigt lässt und überkommene Struktu-ren verfestigt, kann ich nicht zustimmen. Dabei ist mirsehr wohl bewusst, dass gerade die SPD-Bundestagsfrak-tion in den Verhandlungen immer für bessere Regelungeneingetreten ist. Die Zeit ist jedoch reif, die grundsätzlichenFragen im föderalen System zu klären und nicht diekleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen. Eine „kleineLösung“, die überholte Strukturen nicht behebt, verstelltden Blick auf das Notwendige. Wie bereits anlässlich derDebatte um die Föderalismusreform I dargelegt, sehe ichdie einzige Chance einer wirklichen Reform über den Wegdes Art. 146 GG und verweise auf den von Professor

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Hans Meyer, dem Kollegen Steffen Reiche und mir ver-fassten Aufsatz aus dem Jahr 2006.

Steffen Reiche (Cottbus) (SPD): Nachdem Parla-ment und Republik das 60-jährige Jubiläum des Grund-gesetzes dankbar und begeistert gefeiert haben, wirdunmittelbar danach an zwei aufeinanderfolgenden Tagendasselbe Grundgesetz zweimal geändert; insgesamt dievierte bzw. fünfte Grundgesetzänderung in dieser Wahl-periode. Fraglos sind die Änderungen nötig gewesen.Aber sie haben nicht den Mut und den großen Geist desdamaligen Grundkonsenses aufnehmen und fortschreibenkönnen. Es sind notwendige Korrekturen von Korrekturen.

Zum 60. Jahrestag der Verfassung wäre es angemessengewesen, die Staatszielbestimmungen in einer zeitgemäßenForm zu erweitern. Dem Jubiläum angemessen wäre es,Staatszielbestimmungen in das Grundgesetz aufzunehmen,wonach sich der Staat gegenüber der Kultur, dem Sportund den Rechten von Kindern verpflichtet fühlt.

Noch wichtiger wäre es jedoch gewesen, im 20. Jahrder friedlichen Revolution in der DDR, die die Wieder-vereinigung möglich machte, die Grundlage dafür zuschaffen, dass das deutsche Volk das Grundgesetz zu seinerVerfassung macht. Durch den Lissabonner Vertrag wirddie Möglichkeit zum Volksentscheid auf europäischerEbene eingeführt – neben den Möglichkeiten, die aufkommunaler oder Landesebene schon existieren. Leiderhat das nationale Parlament nicht Weisheit und Mut, das,was auf allen anderen Ebenen möglich ist, auch der Na-tion zu ermöglichen.

Rund ein Drittel der circa 2 000 Milliarden EuroSchulden der öffentlichen Hand ist in zwei Dritteln desBestehens der Republik von 1949 bis 1989 entstanden.Im letzten Drittel dieser 60 Jahre seit der Wiedervereini-gung 1989 hingegen sind zwei Drittel der Schulden ver-ursacht worden. Es hat die bittere Logik, dass wir denen,denen wir diese gigantischen Schulden hinterlassen, denvon uns trotz großen Wohlstands gewählten Weg derProblemlösung abschneiden, und dies mit derselbenMehrheit, die angesichts der von uns mitverursachtenKrise die größte Neuverschuldung der neueren Geschichtebeschließen wird. Dies, obwohl wir in den letzten Jahrendie höchsten Steuereinnahmen der deutschen Geschichtehatten.

Ich bin beschämt, weil ich mit meiner heutigen Ab-stimmung vermutlich dazu beitrage, dass die notwendigeLänderneugliederung in der Bundesrepublik nicht mehrstattfindet. Letztlich nicht dauerhaft „lebensfähige“ Län-der wie Bremen und das Saarland werden entschuldet,und die schwierigen, aber erfolgreichen Anstrengungenzur Haushaltskonsolidierung in Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg werden nicht honoriert,sondern bestraft.

Es ist bedauerlich, dass die 1969 ins Grundgesetz ein-gefügte Verschuldensregel so wenig funktioniert hat, dasswir sie jetzt ändern müssen. Völlig unangemessen jedochist, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Republikdieselbe Mehrheit ihre eigene Korrektur korrigiert. Derschwere Fehler des Kooperationsverbotes in Bildungs-

fragen, der auf Druck der CDU/CSU und der Länder mitder ersten großen Grundgesetzreform der 16. Wahlperiodeins Grundgesetz kam, muss nun gemildert werden, daschon jetzt viele Kommunen, die Länder und der Bundgezwungen sind, verfassungswidrig zu handeln. Wennder Bund den Ländern bei Naturkatastrophen helfen darf,warum dann nicht angesichts der Bildungskatastrophe?Die Verweigerung der CDU/CSU-Fraktion und einerLändermehrheit, eine moderne Kooperationsregel in Bil-dungsfragen ins Grundgesetz aufzunehmen, ist unver-antwortlich.

Die jetzige Finanzkrise war vorhersehbar und ist vonvielen bis heute nachlesbar vorhergesagt worden. Wirhaben die Katastrophe nicht sehen wollen, genauso wenigwie wir jetzt den Zusammenbruch des Weltwährungssys-tems und die Ablösung des Dollars als Weltleitwährungwahrhaben wollen. Zu oft reagieren wir nicht, wenn nochgesteuert werden kann, sondern erst, wenn angesichts deroffenbaren Problematik auch die Konservativsten zumHandeln gezwungen werden.

Die große Gefahr besteht darin, dass wir damit Stückum Stück die Grundlagen der Demokratie gefährden.Die notwendige Zustimmung zur Demokratie bleibt nurerhalten, wenn Parlament und Regierung zum rechtenZeitpunkt das Notwendige tun.

Mit den heutigen Änderungen allerdings machen wireinmal mehr nur das Unabdingbare, nicht aber das Not-wendige. Insoweit ist meine heutige Zustimmung zu denGrundgesetzänderungen einzig aus dem Pflichtgefühlheraus begründbar, etwas zu einem viel zu kleinenSchritt beizutragen, weil die notwendigen großenSchritte derzeit unmöglich erscheinen. Zu wenig zu tunist angesichts der Situation besser, als nichts zu tun.

Gerold Reichenbach (SPD): Ich halte es grundsätz-lich für wichtig und geboten, die Staatsschulden wirksamabzubauen, um künftigen Generationen keine Lasten zuübertragen, die sie überfordern und ihre Handlungsspiel-räume einschnüren. Darum haben Sozialdemokraten dieHaushaltskonsolidierung auch konsequent vorangetrieben.Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit des Staates istaber auch, dass Zukunftsinvestitionen etwa in Bildung,Forschung und Infrastruktur getätigt werden können sowiein Krisenzeiten wie der jetzigen durch erhöhte Staatsaus-gaben gegengesteuert werden kann.

Voraussetzung eines handlungsfähigen Sozialstaates,wie er in unserem Grundgesetz verankert wird, ist abernicht nur, dass seine Handlungsfähigkeit nicht durch anstei-gende strukturelle Verschuldung eingeengt wird, sondernauch, dass er Konsolidierungsbemühungen nicht durchSteuersenkungen konterkariert. Die zur Abstimmungstehende „Schuldenbremse“ verankert im Grundgesetzaber nur umfängliche Mechanismen des Verschuldungs-verbotes. Ihr wird verfassungsrechtlich gleichrangigkein Mechanismus entgegenstellt, der bei strukturellunausgeglichenem Haushalt auch eine Absenkung derSteuerquote verhindert. Ein solcher Mechanismus hätteauch im Sinne demokratischer Transparenz zur Folge,dass bei Steuersenkungen die staatlichen Leistungen be-nannt werden müssten, die zur Gegenfinanzierung dieser

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Steuersenkungen zu kürzen sind. Eine solche Regelungwar jedoch mit der CDU/CSU in der Föderalismuskom-mission nicht zu vereinbaren.

Ohne eine solche Korrelation besteht die Gefahr, dassmit ihr ein Mechanismus begünstigt wird, der den Konso-lidierungszwang vorrangig einfachgesetzlich verankerterSozialleistungen und zulasten der Städte und Gemeindenumsetzt. Die gegenwärtige Steuersenkungsdebatte, die trotzder als Folge der Finanzkrise ansteigenden Verschuldungvon Union und FDP geführt wird, belegt dies.

Ich erwarte, dass jetzt eine offene und ehrliche Debatteüber die Finanzierungsgrundlagen des Sozialstaates undvon Zukunftsinvestitionen in Bildung, Forschung undnachhaltiges Wirtschaften geführt wird.

Michael Roth (Heringen) (SPD): Ich stimme denÄnderungen des Grundgesetzes zur zweiten Föderalis-musreform zu.

Dessen ungeachtet halte ich insbesondere die Ver-schuldungsregelungen für die Länder für falsch. DieLänder der Bundesrepublik Deutschland tragen maßgeb-lich Verantwortung für Bildung, Wissenschaft und in-nere Sicherheit. Das spiegelt sich auch in den Länder-haushalten wider, die auf der Ausgabenseite zu rund50 Prozent durch Personalkosten geprägt werden. Mit ih-rer Verantwortung für Schlüsselkompetenzen garantierenunsere Länder in besonderer Weise die ZukunftsfähigkeitDeutschlands. Länder vermögen jedoch nur begrenztEinfluss auf die Einnahmesituation zu nehmen. Ein fak-tisches Schuldenverbot für die Länder ist für mich daherverantwortungslos, weil es unverhältnismäßig in dieHaushaltsrechte und Gestaltungsspielräume der Länder-parlamente eingreift.

Ich nehme jedoch zur Kenntnis, dass dem mehrheit-lich weder die Landesregierungen noch die Landtage wi-dersprochen haben und sie offensichtlich bereit sind,diesen drohenden Kompetenzverlust zu verantworten.

Gleichzeitig anerkenne ich die Bemühungen der so-zialdemokratischen Verhandlungsführer in der Födera-lismusreformkommission II, die finanziellen Handlungs-spielräume der Länder flexibler zu gestalten. Leiderkonnte hier der Widerstand maßgeblich von CDU/CSUnicht gebrochen werden.

Frank Schäffler (FDP): Ich stimme der vorgeschla-genen Grundgesetzänderung nicht zu, weil mir die ge-plante „Schuldenbremse“ nicht weit genug geht.

Eine Regel im Grundgesetz muss nicht nur klar undleicht verständlich sein. Eine Regel im Grundgesetzmuss vor allem durchsetzbar sein. Ist eine Regel desGrundgesetzes nicht durchsetzbar, verlieren die Bürgernicht nur das Vertrauen in diese Regel. Die Bürger ver-lieren Schritt für Schritt das Vertrauen in das Grundge-setz.

Die derzeitige Regel im Grundgesetz, die Höhe deröffentlichen Investitionen als Obergrenze für die Neu-verschuldung zu verwenden, ist das Papier nicht wert,auf dem sie gedruckt ist. Aber auch eine neue, potenziell

verbesserte Regel ist nur dann mehr wert und besser,wenn sie unabhängig von ihrem Inhalt vor allem durch-setzbar ist.

Der Grundsatz, dass die öffentlichen Haushalte derLänder und des Bundes ausgeglichen sein müssen, findetmeine volle Unterstützung. Der vorgelegte Gesetzent-wurf zur Änderung des Grundgesetzes enthält jedochkeine Regelungen und Sanktionen, die die Durchsetzungdieses Grundsatzes garantieren. Ohne derartige Sanktio-nen und Durchsetzungsgarantien befürchte ich, dass dieneue, scheinbar bessere Regel in der Realität nicht bes-ser, sondern aufgrund der vergrößerten Differenz vonSein und Sollen sogar schlechter wirkt. Und sind zu-künftig vermehrte Urteile von obersten Gerichten, dieVerletzungen der neuen Regel feststellen, wirklich hilf-reich? Wer setzt diese Urteile durch? Ohne konkreteSanktionen und Durchsetzungsgarantien machen wir denBürgern etwas vor, was wir anschließend nicht haltenkönnen.

Beim ersten Mal, da tut’s noch weh. Aber dann sindalle Dämme offen. In dieser Woche hat die Bundesregie-rung einen erneuten Nachtragshaushalt mit einer Netto-neuverschuldung von 47,6 Milliarden Euro vorgelegt.Dies ist, selbst ohne Schattenhaushalte, die höchste Neu-verschuldung der Bundesrepublik Deutschland über-haupt. Es ist daher absehbar, dass die gesamtstaatlicheVerschuldung schon in naher Zukunft ein Niveau von2 000 Milliarden Euro umfassen wird. Es ist daher nichtglaubwürdig, wenn der Deutsche Bundestag eine Ver-schuldungsbremse beschließt, die letztlich erst im Jahr2020 greift. Für die heutigen Schulden ist die heutige po-litische Generation verantwortlich. Sie ist nur dannglaubwürdig, wenn sie heutige Probleme heute löst undnicht auf übermorgen verschiebt.

Deshalb setze ich mich für ein klares, verständlichesund durchsetzbares Neuverschuldungsverbot im Grund-gesetz ein.

Swen Schulz (Spandau) (SPD): Ich kann dem Ge-setzentwurf nicht zustimmen. An der Diskussion überdie Föderalismusreform habe ich mich seit Jahren inten-siv beteiligt. Die wichtigsten Gründe für meine Ableh-nung in dieser facettenreichen Thematik lege ich hiermitin aller Kürze dar.

Das Ziel der Begrenzung der weiteren Verschuldungvon Bund und Ländern teile ich. Doch der gewählte Wegist aus meiner Sicht falsch. Durch die vorgeschlageneSchuldenregel sollen Bund und Länder in einem so star-kem Maße an der Möglichkeit der Kreditaufnahme ge-hindert werden, dass die Handlungsfähigkeit des Staatesmassiv reduziert wird. Das wird etwa nötige Zukunfts-investitionen in Bildung und Forschung – für die eineKreditaufnahme vertretbar ist – verhindern.

In dieser Situation müsste wenigstens das Koopera-tionsverbot von Bund und Ländern in der Bildung aufge-hoben werden. Stattdessen sieht die vorgeschlagene Än-derung des Grundgesetzes lediglich Finanzhilfen desBundes im Falle von Naturkatastrophen und außeror-dentlichen Krisen vor. Doch ein gutes Bildungssystem

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ist eine Daueraufgabe und nicht nur in solchen Situatio-nen nötig.

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Schuldenbe-grenzung auch ohne eine solche rigide Regelung imGrundgesetz möglich ist, wenn der politische Wille dazuvorhanden ist. Der richtige Weg ist, eine allgemeine Re-gelung im Grundgesetz zu verankern, gleichzeitig Ko-operationsmöglichkeiten von Bund, Ländern und Kom-munen zu öffnen und das Nähere einfachgesetzlich zuregeln. Das würde dem Gesetzgeber in Zukunft ermögli-chen, einfacher und schneller auf neue Entwicklungenzu reagieren.

Darum kann ich dem Gesetz bei allem Respekt gegen-über der Mehrheitsentscheidung meiner Fraktion nicht zu-stimmen.

Anlage 12

Erklärung nach § 31 GO

des Abgeordneten Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU)zu der Abstimmung über die Beschlussempfeh-lung zu dem Antrag: Inoffizielle Stasi-Mitarbei-ter in Bundesministerien, Bundesbehörden undBundestag enttarnen – Aufarbeitung des Stasi-Unrechts stärken (Tagesordnungspunkt 40)

Ich unterstütze das Anliegen der FDP, die Aufklärungüber die Tätigkeit von inoffiziellen und offiziellen Mitar-beitern der Stasi in öffentlich-rechtlichen Beschäftigungs-verhältnissen voranzutreiben. Es trifft zu, dass diese Auf-klärung bisher nicht im erforderlichen Maße erfolgt ist.Wir sind gefordert, diesen Mangel zu beseitigen. AusRespekt vor der Wahrheit, der jüngsten deutschen Ge-schichte, den Opfern der SED und der für die Ausübunghoheitlicher Befugnisse notwendigen Glaubwürdigkeit istdie Aufklärung unverzichtbar. Dabei haben die Abgeord-neten des Deutschen Bundestages eine Vorbildfunktion,auch soweit es um sich selbst geht.

Neben den Forderungen, die ich befürworte, verlangendie Antragsteller allerdings auch eine Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Dieses Gesetz wurde erst in dieserLegislaturperiode geändert. Im diesbezüglichen Gesetz-gebungsverfahren haben die Antragsteller darauf ver-zichtet, den in ihrem Antrag ausgesprochen Wunsch nacheiner „Flexibilisierung“ der Regeln für die Überprüfungvon Beamten und Angestellten der Bundesministerienund -behörden zu äußern, und dies aus gutem Grund; an-derenfalls hätte nämlich erläutert werden müssen, wasmit einer solchen „Flexibilisierung“ konkret gemeint ist.Aktuell bleiben die Antragsteller diese Erläuterung inihrem Antrag schuldig; offenbar deshalb, weil sie unterden Rahmenbedingungen des Grundgesetzes der Bundes-republik Deutschland auch nicht zu erbringen ist.

Wer, dies wissend, nun das Stasi-Unterlagen-Gesetzaufschnüren will, um es einem absehbar ergebnislosenStreit zu überantworten, der sich um die Flexibilisierungvon Regeln dreht, für die nur noch fragmentarische poli-tische Gestaltungsspielräume bestehen, der schadet demerklärten Ziel des Antrages, anstatt ihm zu nützen. Wersich mit diesem politischen Ziel tatsächlich identifiziert,

kann also nicht anders, als den vorgeschlagenen Weg, eszu erreichen, abzulehnen.

Ich unterstütze nachdrücklich, alle sinnvollen Bemühun-gen, die zu mehr Transparenz über die Tätigkeit der Stasiin der Zeit bis 1990 in der DDR und der BundesrepublikDeutschland sowie ihre Nachwirkungen auf das vereinigteDeutschland führen. Mit gleicher Konsequenz werde ichmich stets Bestrebungen entgegenstellen, die entwedergewollt oder ungewollt von diesem Ziel ablenken.

Deshalb lehne ich den Antrag der FDP ab.

Anlage 13

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Rainer Fornahl, GunterWeißgerber und Dr. h. c. Gerd Andres (alleSPD) sowie Manfred Kolbe (CDU/CSU) zu derAbstimmung über die Beschlussempfehlung zudem Antrag: Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter inBundesministerien, Bundesbehörden und Bun-destag enttarnen – Aufarbeitung des Stasi-Un-rechts stärken (Tagesordnungspunkt 40)

Eine umfassende Aufklärung über die Tätigkeit voninoffiziellen und offiziellen Mitarbeitern des Ministeriumfür Staatssicherheit (MfS)/Amt für Nationale Sicherheit(AfNS) der DDR in öffentlich-rechtlichen Beschäfti-gungsverhältnissen der Bundesrepublik Deutschland so-wie im Deutschen Bundestag bis zum Jahre 1990 ist ausRespekt vor der historischen Wahrheit, der jüngsten deut-schen Geschichte, den Opfern des DDR-Regimes und derfür die Ausübung hoheitlicher Befugnisse notwendigenAutorität und Integrität unverzichtbar.

Diese Aufklärung ist bisher nicht in dem erforder-lichen Ausmaß geschehen. Es besteht umfassenderHandlungsbedarf. Deshalb ist das Grundanliegen desAntragsstellers uneingeschränkt zu begrüßen, ja, zu un-terstützen.

Die fehlende umfassende Aufklärung und Überprü-fung von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes West-deutschlands führt zur Bagatellisierung des Bespitze-lungs- und Unterdrückungsapparates MfS/AfNS undspielt damit den Apologeten der DDR in die Hände.

Aktuelle Erkenntnisse eines Aktenfundes im Bereichder Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) machendeutlich, dass dringender Handlungsbedarf besteht.

Mit dem vorliegenden Antrag der FDP wird in diesemSinne ein wichtiges politisches Signal gesetzt.

Inwieweit die Vorschläge zur Realisierung („Flexibi-lisierung der Arbeit des BStU“) in diesem Kontext un-eingeschränkt umsetzbar sind, ist dabei nicht entschei-dend. Es wird zumindest ein Vorschlag gemacht, der dieinakzeptable Unterscheidung der Menschen in Ost undWest hinsichtlich der MfS-Problematik aufzubrechenhilft.

Die Begründung der Ablehnung des Antrages durchdie Koalition orientiert sich an formaljuristischen Be-

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denken und kapituliert vor den Schwierigkeiten der Pro-blemlösung.

Eine Alternative wird nicht angeboten. Das ist auchein politisches Signal. Aus unserer Sicht aber genau dasfalsche. Wir unterstützen bei durchaus vorliegenden Be-denken bezüglich einiger Einzelaspekte des Antrages dierichtige politische Willensbekundung und werden des-halb die Beschlussempfehlung des Ausschusses Kulturund Medien ablehnen und damit dem FDP-Antrag zu-stimmen.

Anlage 14

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Günter Baumann, Dr. PeterJahr und Katharina Landgraf (alle CDU/CSU)zu der Abstimmung über die Beschlussempfeh-lung zu dem Antrag: Inoffizielle Stasi-Mitarbei-ter in Bundesministerien, Bundesbehörden undBundestag enttarnen – Aufarbeitung des Stasi-Unrechts stärken (Tagesordnungspunkt 40)

Die ständige Aufklärung über die Tätigkeit von inof-fiziellen und offiziellen Mitarbeitern in öffentlich-recht-lichen Beschäftigungsverhältnissen aus Respekt vor derWahrheit, der jüngsten deutschen Geschichte, den Op-fern der SED, der für die Ausübung hoheitlicher Befug-nisse notwendigen Autorität ist unverzichtbar. Es trifftzu, dass diese Aufklärung bisher nicht im erforderlichenMaße erfolgt ist. Wir sind gefordert, diesen Mangel zubeseitigen. Das Anliegen der Antragsteller ist daher un-eingeschränkt zu begrüßen.

Die historische Beurteilung der Ausgangssituation imHerbst 1989 weist jedoch mehrere Fehleinschätzungenauf, die keinesfalls mitgetragen werden können; so zumBeispiel die Behauptung, dass mit dem Fall der Mauer„zugleich“ die Aufarbeitung des SED-Unrechts begon-nen hätte. Ebenso wird die Besetzung von Dienststellendes Ministeriums für Staatssicherheit in vielen Orten derDDR ungerechtfertigt mit der Erstürmung der Stasizen-trale in der Berliner Normannenstraße Mitte Januar 1990gleichgesetzt.

Neben einigen Forderungen, die auch ich befürworte,verlangen die Antragsteller die Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes. In diesem Zusammenhang weiseich darauf hin, dass das Gesetz erst in der 16. Legisla-turperiode geändert worden ist. Im diesbezüglichen Ge-setzgebungsverfahren hatten die Antragsteller daraufverzichtet, den in ihrem Antrag ausgesprochen Wunschnach einer „Flexibilisierung“ der Regeln für die Über-prüfung von Beamten und Angestellten der Bundesmi-nisterien und -behörden zu äußern. Im vorliegenden An-trag werden die Flexibilisierungsforderung und diedamit zusammenhängenden Folgen nicht näher erläutert.

Neben den offenkundigen Defiziten des Antragessollten bei der derzeitigen und kommenden Behandlungder Gesamtproblematik die neuesten Erkenntnisse ausder Arbeit der Birthler-Behörde insbesondere im Blickauf die Stasibelastung von Menschen aus den alten Bun-desländern vom Gesetzgeber beachtet werden. Die Er-

kenntnisse über das Wirken des Staatssicherheitsdienstesim Bereich der Bundesrepublik Deutschland von 1949bis 1990 bestätigen die tatsächliche gesamtdeutsche Be-troffenheit. Deshalb sind entsprechende gesetzgeberi-sche Konsequenzen nötig, die die Aufarbeitung der Pro-blematik optimieren und somit das Wirken der Birthler-Behörde nachhaltig unterstützen. Der vorliegende An-trag kann aufgrund seiner Begrenzung und der genann-ten Defizite dazu nicht beitragen. Wir brauchen deshalbweitergehende Regelungen, die seitens der Unionspar-teien vorgeschlagen werden sollten.

Wir sind entschlossen, heute und in Zukunft alle sinn-vollen Bemühungen zu unterstützen, die zu mehr Trans-parenz über die Tätigkeit der Stasi in der Zeit bis 1990und ihre Nachwirkungen auf das vereinigte Deutschlandführen. Mit gleicher Konsequenz werden wir uns stetsBestrebungen entgegenstellen, die entweder gewolltoder ungewollt von diesem Ziel ablenken.

Deshalb lehnen wir den Antrag der FDP ab.

Anlage 15

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Antje Blumenthal, VeronikaBellmann, Dr. Christoph Bergner, Klaus Brähmig,Monika Grütters, Manfred Grund, Jens Koeppen,Michael Kretschmer, Andreas G. Lämmel,Dr. Michael Luther, Ulrich Petzold, EckhardtRehberg, Katherina Reiche (Potsdam), IngoSchmitt (Berlin), Michael Stübgen, Arnold Vaatz,Volkmar Uwe Vogel und Kai Wegner (alle CDU/CSU) zu der Abstimmung über die Beschluss-empfehlung zu dem Antrag: Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Bundesministerien, Bundesbe-hörden und Bundestag enttarnen – Aufarbei-tung des Stasi-Unrechts stärken (Tagesord-nungspunkt 40)

Aufklärung über die Tätigkeit von inoffiziellen undoffiziellen Mitarbeitern in öffentlich-rechtlichen Be-schäftigungsverhältnissen aus Respekt vor der Wahrheit,der jüngsten deutschen Geschichte, den Opfern der SEDund der für die Ausübung hoheitlicher Befugnisse not-wendigen Autorität ist unverzichtbar.

Es trifft zu, dass diese Aufklärung bisher nicht im er-forderlichen Maße erfolgt ist. Wir sind gefordert, diesenMangel zu beseitigen. Das Anliegen des Antragstellersist daher uneingeschränkt zu begrüßen.

Neben einigen Forderungen, die auch ich befürworte,verlangen die Antragsteller zu diesem Zweck eine No-velle des Stasi-Unterlagengesetzes.

Das Stasi-Unterlagengesetz wurde erst in dieser Le-gislaturperiode geändert. Im diesbezüglichen Gesetzge-bungsverfahren hatten die Antragsteller darauf verzich-tet, den in ihrem Antrag ausgesprochen Wunsch nacheiner „Flexibilisierung“ der Regeln für die Überprüfungvon Beamten und Angestellten der Bundesministerienund -behörden zu äußern, und dies aus gutem Grund; an-

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dernfalls hätte nämlich erläutert werden müssen, was miteiner solchen „Flexibilisierung“ konkret gemeint ist.

Aktuell bleiben die Antragsteller diese Erläuterung inihrem Antrag schuldig; offenbar deshalb, weil sie unterden Rahmenbedingungen des Grundgesetzes der Bun-desrepublik Deutschland auch nicht zu erbringen ist.

Wer – dieses wissend – nun das Stasi-Unterlagenge-setz aufschnüren will, um es einem absehbar ergebnislo-sen Streit zu überantworten, der sich um die Flexibilisie-rung von Regeln dreht, für die nur noch fragmentarischepolitische Gestaltungsspielräume bestehen, der schadetdem erklärten Ziel des Antrages, anstatt ihm zu nützen.Wer sich mit diesem politischen Ziel tatsächlich identifi-ziert, kann also nicht anders, als den vorgeschlagenenWeg, es zu erreichen, abzulehnen.

Ich bin entschlossen, heute und in Zukunft alle sinn-vollen Bemühungen zu unterstützen, die zu mehr Trans-parenz über die Tätigkeit der Stasi in der Zeit bis 1990und ihre Nachwirkungen auf das vereinigte Deutschlandführen. Mit gleicher Konsequenz werde ich mich stetsBestrebungen entgegenstellen, die entweder gewolltoder ungewollt von diesem Ziel ablenken.

Deshalb lehne ich den Antrag der FDP ab.

Anlage 16

Zu Protokoll gegebene Rede

zur Beratung des Berichts: Entwurf eines Zwei-ten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Auf-hebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile inder Strafrechtspflege (2. NS-AufhGÄndG) (Ta-gesordnungspunkt 42)

Jörg van Essen (FDP): Der Deutsche Bundestaghat sich in den vergangenen Jahren immer wieder mitder Aufarbeitung des Unrechts aus der Zeit des National-sozialismus befasst. Ich erinnere daran, dass vor knappelf Jahren die christlich-liberale Koalition das erste Ge-setz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechts-urteile in der Strafrechtspflege auf den Weg gebracht hat.Der Deutsche Bundestag hat mit diesem Gesetz das ge-samte NS-Unrecht pauschal und unmissverständlich auf-gehoben. Wir haben uns damals leiten lassen von demZiel, mehr als 50 Jahre nach dem Ende der nationalso-zialistischen Herrschaft den bloßen Anschein irgendei-ner Fortgeltung nationalsozialistischen Unrechts zu til-gen. In der 14. Wahlperiode ist der Gesetzgeber hiererneut tätig geworden und hat den Katalog der Strafta-ten, die zu einer pauschalen Aufhebung der gerichtlichenEntscheidungen führen, erweitert. Ziel der Bemühungendes Gesetzgebers war, über den Einzelfall hinausgehendden vielen Menschen, denen Unrecht widerfahren ist,zusätzlich Genugtuung zu verschaffen. Der DeutscheBundestag ist damit seiner Verantwortung zur Aufarbei-tung eines der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte ge-recht geworden.

Der Gesetzgeber hat sich seinerzeit bewusst dafürentschieden, Verurteilungen wegen Kriegsverrats nicht

in die Regelung einzubeziehen. Die Aufhebung einersolchen gerichtlichen Entscheidung ist jedoch auch beiKriegsverrat möglich, nach einer Einzelfallprüfung.Diese Entscheidung des Gesetzgebers war getragen vonder Vorstellung, dass bei diesen Delikten auch der Um-stand, dass sie während eines völkerrechtswidrigen An-griffskriegs begangen wurden, keinen Anlass zur Reha-bilitierung begründen. Der Deutsche Bundestag istdavon ausgegangen, dass auch bei einer Verurteilungwegen Kriegsverrats der Tat ein Unrechtsgehalt zu-grunde liegen kann, der auch aus heutiger Sicht als Un-recht qualifiziert werden könnte. Die FDP-Bundestags-fraktion hat in den zurückliegenden Beratungen dieseRechtsauffassung der Bundesregierung stets unterstützt.In meiner Rede 2007 zur ersten Lesung des Gesetzent-wurfs der Fraktion Die Linke habe ich daher ausgeführt,dass ich für ein weiteres Tätigwerden des Gesetzgeberskeinerlei nachvollziehbare Gründe erkennen kann.

Ausgehend von unseren Beratungen hierzu ist injüngster Zeit die Debatte über die rechtliche Bewertungder Urteile aus der Zeit des Nationalsozialismus wegenKriegsverrats neu aufgeflammt. Obwohl die Argumentein dieser Debatte weitgehend ausgetauscht sind, ist esauch gelungen, neue Gesichtspunkte in die Diskussioneinzubringen. Ich habe hier insbesondere die Ausführun-gen des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsge-richt, Professor Dr. Hans Hugo Klein, zur Kenntnis ge-nommen. In seiner Studie zu diesem Thema hat erausgeführt, dass der Paragraf zum Kriegsverrat im Mili-tärstrafgesetzbuch mit rechtsstaatlichen Grundsätzen un-vereinbar gewesen ist. Er führt aus, dass die Praxis derVerratsverfahren allen Rechtsgrundsätzen widersprach.Ziel des Gesetzes sei – ich zitiere – „die Tötung des Ver-räters gewesen als Mittel zur Grunderhaltung der Volks-gemeinschaft“. Der Paragraf, so Klein in seinem Gutach-ten, habe die Grundlage für eine Vielzahl von „in dieäußere Form von Gerichtsurteilen gekleideten Tötungs-verbrechen“ geliefert. Professor Klein erkennt daher ei-nen fundamentalen Verstoß gegen das rechtsstaatlicheBestimmtheitsprinzip. Mit besonderer Aufmerksamkeithabe ich zur Kenntnis genommen, dass Bundesverteidi-gungsminister Jung in Bezug auf die Studie von Profes-sor Klein gegenüber dem Bundesjustizministerium aus-geführt hat, dass aufgrund der rechtlichen Erwägungeiner fehlenden Bestimmtheit der damaligen Gesetzes-norm zum Kriegsverrat die bislang vorgebrachten Sa-chargumente einer entsprechenden Gesetzesänderungnicht mehr entgegenstehen. Auch ein Gutachten desWissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestageskommt zu dem Ergebnis, dass häufig politisch missliebi-ges Verhalten wie zum Beispiel politischer Widerstand,Solidarität mit verfolgten Juden, Hilfe für Kriegsgefan-gene oder Schwarzmarktdelikte willkürlich als Kriegs-verrat verurteilt wurde. Diese neuen Gesichtspunktestimmen in der Tat nachdenklich.

Es ist aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion ein gro-teskes Schauspiel, das wir Woche für Woche im Rechts-ausschuss erleben. In jeder Sitzung des Rechtsausschus-ses wird der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zurBeratung aufgerufen. Regelmäßig wird mit den Stimmender Mehrheit im Rechtsausschuss im Anschluss die Ver-

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tagung der Beratung beschlossen. Hier würde ich mir einselbstbewussteres Vorgehen mit der Initiative wünschen.Entweder der Gesetzentwurf wird sachlich beraten, oderer wird abgelehnt. Der Gesetzgeber sollte sich jedochnicht vor einer Entscheidung drücken. Vor diesem Hin-tergrund hätte ich es sehr begrüßt, wenn in den Koali-tionsfraktionen eine Einigung auf ein gemeinsames Vor-gehen hätte erzielt werden können. Ich hätte mirzumindest eine ernsthafte sachliche Auseinandersetzungmit den von mir vorhin vorgetragenen neuen Gesichts-punkten gewünscht. Da ein gemeinsamer Weg in der Ko-alition wohl nicht mehr zu erwarten ist, hat sich eineweitere Debatte über die NS-Urteile wegen Kriegsver-rats damit für diese Wahlperiode erledigt.

Ich möchte im Übrigen daran erinnern, dass die indem NS-Aufhebungsgesetz vorgesehene Einzelfallprü-fung bislang zu keinerlei Schwierigkeiten in der Praxisgeführt hat. In der Sachverständigenanhörung desRechtsausschusses hat ein Vertreter der größten deut-schen Generalstaatsanwaltschaft, der Generalstaatsan-waltschaft Hamm, überzeugend ausgeführt, dass sich dasFeststellungsverfahren bewährt hat und den Anträgenauf Aufhebung von nationalsozialistischen Unrechts-urteilen in allen Fällen entsprochen wird. Wenn in demGesetzentwurf ausgeführt wird, dass den wegen Kriegs-verrats Verurteilten die Rehabilitierung nicht verweigertwerden dürfe, so werden hier bewusst die Tatsachen ver-dreht. Genau dieses Ziel verfolgen eben die bereits be-stehenden NS-Aufhebungsgesetze mit der Pauschalauf-hebung und der Einzelfallprüfung, wenn dies gewünschtwird. Damit wird eben gerade keinem der Verurteiltendas Recht auf Rehabilitierung verweigert. Gerade dieseentlarvende Feststellung, die der Gesetzentwurf enthält,legt den Verdacht nahe, dass es der Fraktion Die Linkewieder einmal nicht um die Sache geht. Die FDP wirdeinem solchen Vorgehen ihre Zustimmung daher mit Si-cherheit nicht erteilen.

Anlage 17

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung:

– Antrag: Ostseestrategie voranbringen undunterstützen

– Unterrichtung: 17. Jahrestagung der Ostsee-parlamentarierkonferenz vom 31. Augustbis 2. September 2008 in Visby, Schweden

(Tagesordnungspunkt 41 a und b)

Ingbert Liebing (CDU/CSU): Es ist jetzt geradezwei Jahre her, dass wir zum letzten Mal hier im Plenumdes Deutschen Bundestages eine Debatte über die Zu-kunft der Ostseeregion geführt haben. Heute debattierenwir das Thema im Vorfeld der Tagung des Ostseerates,die in der kommenden Woche in Dänemark stattfindet,und der Ostseeparlamentarierkonferenz im August.Beide Konferenzen haben dabei ein Thema im Fokus:die Erstellung einer Ostseestrategie im Rahmen derschwedischen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten

Jahreshälfte. Damit rückt die Ostseeregion in das Zen-trum europäischer Politik. Nach der Diskussion über dieMittelmeerunion im vergangenen Jahr ist dies nur gut fürdie Ostseeregion.

Es liegt aber auch im deutschen Interesse, wenn dieOstseeregion ihre Wachstumschancen nutzt. Dabei stehtdie Ostseeregion vor gewaltigen Herausforderungen:War die Ostsee nach dem Zweiten Weltkrieg über40 Jahre lang ein geteiltes Meer, so ist sie nach dem Falldes Eisernen Vorhangs ein Meer vielfältiger Verbindun-gen geworden. Sie ist fast ein EU-Binnenmeer. MitRussland, dem einzigen Ostseeanrainer, der noch nichtMitglied der Europäischen Union ist, kommt der Zusam-menarbeit mit Drittstaaten eine neue Bedeutung zu. Diesgilt genauso für Weißrussland und die Ukraine, die dieOstsee durch die Schadstoffeinträge über ihre Flüsseebenfalls belasten.

In mancher Hinsicht ist die Ostseeregion ein Meer derUnterschiede geblieben, zum Beispiel zwischen einigender reichsten und einigen der deutlich ärmeren EU-Mit-gliedsländer rund um die Ostsee.

Ökologisch betrachtet, ist die Ostsee eines der amstärksten belasteten Meere. Alle Jahre wieder erlebenwir im Sommer die Schlagzeilen über Algenblüte undbelastenden Nährstoffreichtum.

Der Wirtschaftsaufschwung in der Ostseeregion hatzu steigendem Schiffsverkehrsaufkommen geführt. Dieshat Wohlstand geschaffen, stellt den Schiffsverkehr un-ter dem Gesichtspunkt der Sicherheit auf See aber vorneue Herausforderungen. Mehr Schiffsverkehr bedeutet– auch wenn das Schiff bezogen auf die transportierteLadung das ökologischste Verkehrsmittel ist – auchmehr Emissionen. Dabei wissen wir um die Belastungen,die gerade vom Bunkeröl des Schiffsverkehrs ausgehen.

Bei diesen und einer ganzen Reihe anderer Herausfor-derungen sind wir in der Ostseeregion in den vergange-nen Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Die Bun-desregierung hat gute Arbeit geleistet, um unsereForderungen, die der Deutsche Bundestag auf Antragder Koalitionsfraktionen vor zwei Jahren beschlossenhatte, umzusetzen. In unserem Antrag nennen wir allein16 Bereiche, in denen wir deutliche Fortschritte erzielthaben, zum Beispiel beim Umweltschutz für die Ostseemit dem HELCOM-Ostseeaktionsplan, bei der Einfüh-rung von Verkehrstrennungsgebieten zur Verbesserungder Sicherheit auf See, bei den Beschlüssen der IMO zurReduzierung von Schadstoffemissionen im Rahmen derRevision der Anlage 6 des MARPOL-Übereinkommens,bei der Ausweisung von SECA-Gebieten, bei Maßnah-men zum Schutz der bedrohten Fischbestände, Visumser-leichterungen der EU für Russland oder der Einrichtungeines Regionalbüros der Europäischen Investitionsbankfür den Ostseeraum in Helsinki.

Deutschland hat bei allen diesen Entwicklungen inder Ostseekooperation eine starke Rolle wahrgenom-men, und dies soll auch in Zukunft so bleiben. Warumbedarf es nun dennoch einer neuen EU-Ostseestrategie?Was soll anders werden, was ist neu? Die EU-Ostseestra-tegie stellt vier Ziele in den Mittelpunkt:

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Erstens die Verbesserung der Umweltstandards, dennnur ein sicheres und sauberes Meer wird Europa auchkünftig mit Energie und anderen natürlichen Ressourcenwie Fisch versorgen und den Tourismus weiterhin er-möglichen.

Zweitens die Steigerung von Wohlstand im Ostsee-raum.

Drittens die Steigerung der Attraktivität der Regionfür ihre Bewohner, ihre Arbeitskräfte und den Touris-mus, zum Beispiel durch den Ausbau von Verkehrsan-bindungen, der Stromnetze und der Infrastruktur insge-samt.

Viertens die Verbesserung der Sicherheit auf See, desKatastrophenschutzes und der inneren Sicherheit durchverstärkte Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten.

In diesen Bereichen soll die Ostseestrategie die Platt-form für eine besser koordinierte und auf Schwerpunktekonzentrierte gemeinsame Politik für die und in der Ost-seeregion sein.

Folgende Erwartungshaltungen, die in den Koali-tionsantrag, den wir heute beschließen wollen, eingeflos-sen sind, möchte ich für die Unionsfraktion ausdrück-lich hervorheben. Wir erwarten, dass nicht neueKooperationsstrukturen, neue Doppelstrukturen aufge-baut werden. Die Ostseeregion verfügt schon heute übereine gewaltige Vielfalt von Initiativen, Kooperationenund Netzwerken politischer, wirtschaftlicher, kulturelleroder wissenschaftlicher Natur. Um nur einige zu nennen:Ostseerat, Ostseeparlamentarierkonferenz, Baltic Deve-lopment Forum, Helsinki-Kommission (HELCOM), Ko-operation der Subregionen der Ostsee, Kooperation derStädte (UBC), Kooperation der Metropolen (BaltMer),Netzwerk Baltic 21, Kooperation der Wirtschaft, der Ge-werkschaften und der Sozialpartner gemeinsam, unddiese Liste ist sicherlich noch nicht vollständig.

Diese vorhandenen Kooperationsstrukturen wollenwir nutzen, nicht ersetzen. Aber wir halten es für not-wendig, diese Kooperationen im Rahmen der EU-Ost-seestrategie stärker zu bündeln.

Ich nenne eine weitere Erwartungshaltung: Wir brau-chen keinen neuen Warenhauskatalog aller möglichenWünsche, sondern es gilt, Schwerpunkte zu setzen.Schwerpunkte und Prioritäten. Wir brauchen nicht im-mer neue Ziele, sondern die EU-Ostseestrategie musssich darum bemühen, Strategien zu setzen, um die ver-einbarten Ziele in die Praxis umzusetzen. Schließlich ha-ben wir gerade in der Ostseeregion kein Erkenntnispro-blem, sondern ein Umsetzungsproblem. Es gibt genü-gend Beschlüsse, um bedrohte Fischbestände zu schüt-zen. Dennoch ist die illegale Fischerei weiterhin einKernproblem.

Mit dem HELCOM-Ostseeaktionsplan liegen wich-tige Zielsetzungen zur Verbesserung des Meeresumwelt-schutzes für die Ostsee vor. Jetzt muss gehandelt wer-den. Dafür haben wir mit unserem Antrag eine Reihesehr konkreter Vorschläge aufgelistet, von denen ichwiederum nur einige wenige herausgreifen möchte, diemir besonders am Herzen liegen.

Wir wollen, dass dem Thema Sicherheit auf See einehohe Priorität eingeräumt wird und konkrete Maßnah-men vereinbart werden, zum Beispiel die Verstärkungder Lotsenannahme in engen und schwierigen Fahrge-bieten internationaler Gewässer, zum Beispiel der Ka-detrinne.

Wir wollen, dass die mit der vorbildhaften Auswei-sung der Ostsee als Schiffsemissionsüberwachungsge-biet (SECA) verbundene Gefahr von Wettbewerbsnach-teilen für die Ostsee dadurch gebannt wird, dass auchandere EU-Meere wie die Irische See, das SchwarzeMeer oder das Mittelmeer als entsprechende SECAs aus-gewiesen werden.

Wir wollen die umweltfreundliche Energieversorgungvon Schiffen in Häfen unterstützen. Landstromversor-gung ist dabei ein ganz wichtiges Thema, bei dem dieHansestadt Lübeck vorbildhaft vorangegangen ist; siehat bereits einen ersten Anschluss in ihrem Hafen instal-liert. Aber wir brauchen endlich die Genehmigung derEU-Kommission für die Befreiung des Landstroms vonder Stromsteuer, denn heute ist der umweltschädlichsteSchiffsbetriebsstoff, das Bunkeröl, steuerbefreit, wäh-rend ökologisch viel sinnvollere Möglichkeiten wieLandstrom oder die Option von Gasversorgung fürSchiffe hoch besteuert werden. Wir wollen, dass dieEmpfehlungen der jüngsten Maritimen Konferenz inRostock in dieser Hinsicht in die Ostseestrategie einge-bunden werden.

Wir wollen, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Ost-seeraums durch bessere Verkehrsanbindungen für alleVerkehrsträger gefördert wird. Dies gilt insbesondere fürden Ausbau der Hafenhinterlandanbindungen, um denwachsenden Seeverkehr ins Binnenland umschlagen zukönnen. Gerade hier müssen wir jetzt Vorsorge treffen,auch in einer Krisenzeit, in der das Schiffsverkehrsauf-kommen deutlich gesunken ist; denn wir setzen auf dieBewältigung der Wirtschaftskrise, auf neue Chancen ineinem neuen Wirtschaftsaufschwung, der auch wiederwachsenden Seeverkehr in der Ostsee mit sich bringenwird.

Wir wollen, dass die EU-Ostseestrategie einen Bei-trag zur vollen Umsetzung des EU-Binnenmarktes leis-tet, und wir wollen auch, dass dabei die Drittstaaten inder Region so weit wie möglich einbezogen werden.

Wir wollen auch, dass der Tourismus als Handlungs-feld in die Ostseestrategie aufgenommen wird; dennrund um die Ostsee gibt es auch heute noch vielfältigetouristisch interessante Zeugnisse gemeinsamer Ge-schichte, zum Beispiel die Route der Backsteingotik.

Wir wollen auch mit dem Jugendaustausch in der Ost-seeregion endlich weiter vorankommen. Seit zwei Jah-ren prüft die Bundesregierung eine finanzielle Unterstüt-zung der Ostseejugendstiftung in Kiel. Wir wollen, dassdiese Prüfung nunmehr positiv zum Abschluss gebrachtwird.

Wir wollen auch das Projekt eines Ostseegeschichts-buches aufgreifen, wie es unter Federführung der Acade-mia Baltica in Lübeck entwickelt wurde – ein hochinte-

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ressanter Beitrag zur Identitätsbildung der Region imRahmen der Pilotprojekte der EU-Ostseestrategie.

Alle diese Themen sollen und können in die EU-Ost-seestrategie, die bis zum Jahresende abgeschlossen wer-den soll, einbezogen werden. Dabei setzen wir auch aufdie Beteiligung der Bundesländer, die sich schon heutemit hohem Engagement in der Ostseeregion einbringen.

Die Ostsee ist eine Region gewaltiger Herausforde-rungen, aber auch gewaltiger Chancen. Die Perspektiveder Ostseestrategie rückt die Chancen in den Fokus dereuropäischen Politik. Das ist gut. Die Union begrüßtdiese Entwicklung. Wir unterstützen sie aktiv, auch mitunserer heutigen parlamentarischen Initiative. Nutzenwir die Chancen der Ostseeregion, auch im deutschenInteresse!

Kurt Bodewig (SPD): In der vergangenen Woche,am 19. Mai, haben wir hier in Berlin im Rahmen einerPodiumsdiskussion den Europäischen Tag der Meere inder Landesvertretung Hamburg gewürdigt. Der estnischeBotschafter S. E. Herr William Mart Laanemäe wies da-rauf hin, dass man in Estland die Ostsee eher als „West-see“ bezeichnet. Eine gute Gelegenheit in der Ostseepo-litik auch einmal die Sicht der anderen Anrainer wahrzu-nehmen. Heute geht es uns aber um die gemeinsameSicht auf die Baltic Sea.

Ich bin ehrenamtlicher Chairman des internationalenBaltic Sea Forum, BSF, das Mitglieder und Vorständeaus allen Ostseeanrainern in seinen Reihen hat. Ich kannIhnen versichern, dass wir mit Genugtuung die Bemü-hungen der EU sehen, den Ostseeraum weiter zu entwi-ckeln und dabei vor allem folgende Ziele umzusetzen:optimale Nachhaltigkeit bei der wirtschaftlichen Nut-zung der Meeresressourcen, Aufbau einer Wissens- undInnovationsgrundlage, verbesserte Lebensqualität in denKüstenregionen, Ausbau der Position Europas im inter-nationalen maritimen Bereich und größere Aufmerksam-keit für ein maritimes Europa in der Öffentlichkeit.

Die Ostseeregion gilt in diesem Zusammenhang alseine weit vorangeschrittene Region. Mit ihren wirt-schaftlichen Potenzialen und politischen Ansätzen giltsie als Modellregion für andere Meeresregionen in undaußerhalb der EU. Die Entwicklung des Ostseeraumesseit 1989 ist eine Erfolgsgeschichte europäischer Inte-gration, die unter Umständen exportfähig ist. Von da-mals sieben Anrainerstaaten waren lediglich Dänemarkund Westdeutschland Mitglieder der Union. Zwei Jahr-zehnte später hat sich die geopolitische Situation grund-legend gewandelt – acht von neun Ostseeländern sindheute EU-Mitglieder. Die Ostsee ist fast ein Binnenmeerder EU geworden.

Die Mission der Ostseekooperation ist mit dem Endeder aktiven Begleitung der östlichen Anrainerstaaten imdoppelten Übergang von der Diktatur zur Demokratieund von der Plan- zur Marktwirtschaft erfüllt. Mit derOstseestrategie bekommt die regionale Zusammenarbeitnun eine neue Vision, deren Ziel es ist, die dringlichstenProbleme der Ostseeregion zu lösen.

Es ist das erste Mal in ihrer Geschichte, dass die Eu-ropäische Union eine Strategie auf makroregionalerEbene anstrebt. Schwerpunkte sind Umwelt, Wirtschaft,Infrastruktur und – zivile – Sicherheit. Konkret bedeutetdas: Bei der Umwelt ist ein wichtiger Schwerpunkt derErhalt des Ökosystems und der Biodiversität. Im Bereichder Wirtschaft ist ein Kernpunkt die Förderung der Inno-vationsfähigkeit und der Wirtschaft. Bei der Infrastruk-tur ist die Überwindung der Energieisolation der balti-schen Staaten und die Schaffung eines gemeinsamenEnergienetzes ein Kerngedanke. Bei der Sicherheit gehtes zum Beispiel um die Schiffssicherheit und Verkehrs-überwachung sowie um die Schaffung ausreichenderKrisenreaktionskapazitäten. Der Umsetzungszeitraumist auf das Jahr 2020 angelegt. Im Gegensatz zu den90er-Jahren setzt man im Augenblick nicht auf den Auf-bau neuer Organisationen, sondern auf die Nutzung undKoordination der vorhandenen institutionellen Struktu-ren.

Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. Deshalbist er auch gleich die erste Forderung des vorliegendenAntrages. Es gibt bereits eine Fülle transnationaler Netz-werke, Organisationen und Institutionen, die selbst fürExperten nicht leicht zu überschauen ist. Ohne Fragemacht diese Vielfalt auch eine Stärke der Region aus undbringt ihr letzten Endes ihre Reputation als Modell undVorbild transnationaler Kooperation ein. Mit der EU-Ostseestrategie kehren Ziel und Mission in die regionaleZusammenarbeit zurück. Die existierenden Institutionender Ostseezusammenarbeit werden nicht infrage gestellt.Dennoch bietet sich jetzt eine Gelegenheit, das Profilverschiedener Institutionen zu schärfen, Ziele und Auf-gaben klarer zu definieren und eventuell bestimmte Ak-tivitäten einzustellen. Als Mitglied der Ostseeparlamen-tarierkonferenz stehe ich zu deren Position, dass nichtalle alles machen müssen. Vernünftige und abgestimmteKooperationen sind das Gebot der Stunde.

Zu den dringlichsten Problemen der Ostseeregion ge-hören auch die Bereiche Umwelt, Wirtschaft und Infra-struktur. Sie alle stehen in unmittelbarem Zusammen-hang. Dass die Ostsee zu einem der am meisten belastetenGewässer der Welt gehört, weil hier bis zu 2 000 Schiffezur gleichen Zeit unterwegs sind, ungeklärte Einleitungenin die Ostsee stattfinden und gleichzeitig der Ostseetou-rismus einer der zukunftsträchtigsten Wirtschaftszweigeist, zeigt einen dieser Widersprüche auf. Es ist also wich-tig, dass im Rahmen der EU-Ostseestrategie regionalpo-litisch stärker kooperiert wird, um den CO2-Ausstoß zureduzieren, die Energieversorgung zu diversifizieren, dieEnergieversorgungssicherheit zu stärken und die Import-abhängigkeit zu verringern.

Gerade in der letzten Woche waren die Mitglieder derArbeitsgruppe „Energie und Klimawandel“ der Ostsee-parlamentarierkonferenz unsere Gäste hier in Berlin. Wirhaben über unseren Beitrag für die 18. Resolution derOstseeparlamentarierkonferenz beraten und der Ent-wicklung einer gemeinsamen Energieeffizienzstrategieim Ostseeraum oberste Priorität eingeräumt. Auch indem Bewusstsein, dass die Ostseeregion allgemein alsVorläufer gilt, wenn es darum geht, neue Wege zu gehen,wird sich unsere Arbeitsgruppe dafür starkmachen, dass

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die Ostseeregion verstärkt Offshore-Windparks baut,dass die Länder des Ostseeraumes noch besser durchLeitungen und Netze miteinander verbunden werden, dieauch in der Lage sind, den „Windstrom“ sicher und ohneEnergieverluste in die Netze der Ostseeanrainerstaateneinzuspeisen. Der Arbeitsgruppe ist es wichtig, dassEnergieversorgungssicherheit, die Nutzung erneuerba-rer Energien und Energieeffizienz in unmittelbarem Zu-sammenhang gesehen werden.

Auch auf gemeinsame Strategien zur Anpassung anden Klimawandel muss ein besonderer Fokus gerichtetwerden. Die umweltfreundliche Energieversorgung vonSchiffen in Häfen, die Unterstützung des Projekts„Clean Baltic Shipping“ und die Umsetzung des Ostsee-aktionsplanes der Helsinki-Kommission sind hier sehrwichtig.

In wirtschaftlicher Hinsicht ist die Ostseeregion er-folgreich. Dennoch zielt die EU-Ostseestrategie daraufab, die Ostseeregion zu einem „prosperous place“ zumachen. Ohne Frage hängt der wirtschaftliche Erfolg derRegion mit ihren Verkehrswegen, Verkehrsanbindungenund Hafenhinterlandanbindungen zusammen. Es mussein Ziel sein, dem wachsenden Seeverkehr ins Binnen-land Herr zu werden und das Konzept der „Meeresauto-bahnen“ umzusetzen.

Die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise sollteals eine Chance gesehen werden, das Wachstum in derRegion zu fördern. Der Kampf gegen den von uns Men-schen verursachten Klimawandel durch die Nutzung er-neuerbarer Energien und Maßnahmen zur Steigerung derEnergieeffizienz kann, zusammen mit einem flexiblerenEnergiemarkt, zum Schlüssel eines erfolgreichen Ma-nagements der Krise werden. Werden Konjunkturpakete,Investitionspläne, Fördermittel und internationale finan-zielle Ressourcen in die Produktion erneuerbarer Ener-gie, in Energieeffizienz und Netzverbindungen geleitet,ist dieser Gedanke durchaus realistisch.

Damit die Ostseeregion auch weiterhin ihren Mo-dellcharakter behalten kann, werden wir die EU-Ostsee-strategie unterstützen.

Franz Thönnes (SPD): Drei wichtige Ereignisse fürden Ostseeraum stehen in zeitnaher Verbindung zu unsererDebatte. In der kommenden Woche tagt vom 3. bis 4. Juni2009 in Helsingör in Dänemark der Ostseerat. Am 1. Juli2009 beginnt die schwedische EU-Ratspräsidentschaft.Während ihrer Amtszeit wird eine Beschlussfassung zueiner EU-Strategie für den Ostseeraum auf der Tagesord-nung stehen. Nach der Entwicklung einer Politik dernordischen Dimension ist es gut, dass nun in der erwei-terten EU der Blick stärker konzentriert auf die Ostseere-gion gerichtet wird. Im Europa der 27 ist das für uns inDeutschland die Chance, dies für uns und die Interessender Region auch gemeinsam zu nutzen. Eine guteSchwerpunktsetzung. Und schließlich folgt Ende August2009 in Nyborg in Dänemark die 18. Ostseeparlamenta-rierkonferenz. Wiederum wird der Deutsche Bundestagmit einer fünfköpfigen Delegation vertreten sein.

Dies alles ist Grund genug, dass sich das wichtigeThema der Ostseepolitik und der Ostseestrategie wiederim Deutschen Bundestag auf der Tagesordnung befindet.Wir wollen mit dem zur Debatte stehenden Antrag Markie-rungen durch das Parlament setzen; Markierungen für dieBundesregierung, wenn sie im Ostseerat und in Brüssel dieInteressen Deutschlands einbringt, Markierungen für dieDeutsche Delegation zur Ostseeparlamentarierkonferenzund Markierungen für Europa.

Ostsee sagen die einen. Westsee sagt man dort, wodas Meer eher geografisch westlich liegt wie in Estland.Baltic Sea ist der gemeinsame englische Begriff, der unsalle verbindet. Und in der Tat, die Ostsee verbindet. Ausdem Meer der Trennung wurde ein Meer der Brücken,der Verbindungen, ein Meer der guten Nachbarschaft.Eine Erfolgsgeschichte der europäischen Integration.Die Ostsee ist das „Europäische Binnenmeer“ geworden.

Knapp 95 Prozent der Küstenlinie gehören heute zuMitgliedsländern der Europäischen Union. Vor 20 Jahrenwaren es gerade mal 5 Prozent dänischer und schleswig-holsteinischer Meeresküste. Die 20 Jahre haben uns allengezeigt: Wir leben in einer der lebenswertesten RegionenEuropas. Wir leben hier mit circa 70 Millionen Menschenauf einem relativ hohen Wohlstandsniveau, ohne dieUnterschiede zwischen den einzelnen Ostseeanrainernzu verschweigen. Unsere Forschungs- und Wissen-schaftspotenziale sind hervorragend und unsere Wachs-tumspotenziale enorm. Die Chancen, uns zu einer derwettbewerbsfähigsten Regionen in der Welt zu entwi-ckeln, sind da. Wir müssen sie nur nutzen. Die Ostsee-strategie kann dabei helfen.

Chancen und Risiken liegen wie immer jedoch engbeieinander. Gerade die Ostsee selbst, das Meer, das unsverbindet, gehört zu den schmutzigsten Gewässern derWelt. Hinzu kommt ebenso eine der stärksten Konzen-trationen des Schiffsverkehrs mit den entsprechendenGefahrenpotenzialen. Aufgabe genug, sich hiermit aus-einanderzusetzen. Das tun wir mit unserem Antrag.Chancen und Perspektiven, auf den Weg Gebrachtes,Erwartungen und Forderungen werden dargelegt.

Dabei ist der vorliegende Antrag der Koalitionsfrak-tionen geprägt vom Geist der Kooperation in der Ostsee-region. Ein guter roter Faden. Denn allen ist klar: Ohneintensive Zusammenarbeit können wir die Herausforde-rungen nicht im Sinne der Menschen, der Umwelt undder Natur beantworten.

Dies gilt ganz besonders für die Zusammenarbeit mitRussland, mit dem uns als Europäische Union in Europaals einzige Region eine 1 000 Kilometer lange Grenzeverbindet. Gerade deshalb plädieren wir ausdrücklichdafür, die Strategien zur Ostseepolitik immer so zu ent-wickeln, dass Kooperationen mit anderen möglich sind.Die Einbeziehung Russlands, seine Beteiligung ist dabeifür uns eine wichtige Priorität und auch Erwartung anRussland selbst. Es geht um eine gemeinsame gute Zu-kunft.

Ohne andere Themen wie den Umweltschutz, die ma-ritime Politik, Energie oder Verkehr zu vernachlässigen,konzentriere ich mich nicht zuletzt wegen der Debatten-

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zeit auf die folgenden Punkte: Die Ostsee verbindet. Sieverbindet die Länder, die Regionen, die Menschen, dieWirtschaft, die Arbeitsmärkte. Die vielen Netzwerke, In-stitutionen und Organisationen beweisen dies. Und derExport Deutschlands in die Ostseeregion ist inzwischenfast so hoch wie der Export in die USA und Japan zu-sammen.

Grenzüberschreitende Arbeitsmärkte entstehen mehrund mehr, insbesondere durch die Entwicklung der EU.Die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit ermögli-chen es uns, die wirtschaftlichen Potenziale der Regionenmehr und mehr zum Wohle der Menschen auszubauen.Anschauliche Beispiele sind die Regionen am Öresundzwischen Kopenhagen und Malmö, zwischen Helsinkiund Tallinn, bald auch zwischen dem dänischen Seelandund Schleswig-Holstein mit der geplanten Fehmarnbelt-Querung. Mehr und mehr führen Arbeitsangebote, Arbeits-kräftebedarfe und die wachsenden Mobilitätspotenziale zuvitalen, grenzüberschreitenden Arbeitsmärkten, die dieWirtschaftkraft der Region stärken, den Wohlstand mehren,Einkommen sichern und Kulturen zusammenbringen.

Wir wollen, dass bei der vollen Umsetzung des EU-Binnenmarktes die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer nicht unter die Räder kommen. Wir wollen Sicherheitund faire Arbeitsbedingungen. Wir fordern daher dieBundesregierung auf, sich angesichts der Zunahmegrenzüberschreitender Arbeitsmärkte und damit steigenderZahlen von Grenzpendlern in der EU und im Ostseeratdafür einzusetzen, dass an stark frequentierten Grenzüber-gängen die bestehenden Informationszentren gesichertbzw. neue eingerichtet werden. Hier sollen die Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer die Möglichkeit haben,sich umfassend über die sozial-, arbeits- und steuerrecht-lichen Fragestellungen der Arbeitsaufnahme im Nachbar-land zu informieren. Sozial gesicherte Arbeit zu fairenBedingungen fördert die Mobilität und stärkt die Wachs-tumsentwicklung in Wirtschaftsregionen beiderseits vonGrenzen.

Einen wesentlichen Beitrag zur sozialen Dimension inder Ostseeregion stellt der soziale Dialog dar. Das von derEU geförderte und von Gewerkschaften sowie Arbeitge-bern gleichermaßen getragene Baltic Sea Labour Network,BSLN, ist hierfür ein gutes Beispiel. Den sozialen Dia-log weiterhin zu fördern und zu unterstützen, ist geradeangesichts der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrisewichtig. Gute Beziehungen der Sozialpartner könnenwesentliche Beiträge zur Bewältigung schwieriger Situa-tionen schaffen.

Um für die Zukunft gut gerüstet zu sein, gilt es, dieausgezeichneten Potenziale der Forschungseinrichtungenrund um die Ostsee noch stärker zu vernetzen. Deshalblautet auch eine der Forderungen im Rahmen der EU-Ost-seestrategie, die Region zu einem der führenden europäi-schen Forschungsstandorte auszubauen.

Auch beim nächsten Thema geht es um Arbeit, aberebenso um Erholung und Natur. Die Koalitionsfraktionenerwarten von der Bundesregierung, dass sie sich dafüreinsetzt, dass der Tourismus, der für die wirtschaftlicheEntwicklung der Ostseeregion eine zunehmende Bedeu-tung erfährt, als Handlungsfeld in die Ostseestrategie

aufgenommen wird, indem Themen gemeinsamer Inte-ressen und gemeinsamer Geschichte zur Profilierung ge-nutzt werden.

Historie und Zukunft liegen eng beieinander. Kraft fürdie Umsetzung guter Perspektiven gewinnt man häufigaus den Erfahrungen der gemeinsamen Vergangenheit.Ebenso gilt es, Lehren aus der Vergangenheit für dieZukunft zu ziehen. Aus diesem Grund begrüßen wir dasProjekt eines Ostseegeschichtsbuches, wie es unterFederführung der Academia Baltica, Lübeck, entwickeltwurde. Auch hier erwarten wir, dass dies als Beitrag zurIdentitätsbildung der Region im Rahmen der Pilot-projekte der EU-Ostseestrategie unterstützt wird. Wirbrauchen derartige gemeinsame Projekte, die uns mitden unterschiedlichen Erfahrungen der Geschichte dievor uns liegende Zukunft gemeinsam meistern lassen.

Identität entsteht auch durch gemeinsame Erfahrungenund Erlebnisse. Ein wesentliches Element hierbei ist derJugendaustausch. Die Ostsee-Jugendstiftung in Kiel ist da-für ein gutes Instrument. Die Jugend ist für die Entwicklungeiner jeden Gesellschaft die zentrale Basis. Und so benö-tigen die entstandenen Verbindungen auch künftig gutePfeiler, die sie tragen. Deshalb ist der lebendige Austauschunter jungen Menschen in der Ostseeregion so wichtig. Unddeshalb erwarten wir auch jetzt, dass die vom DeutschenBundestag geforderte Prüfung einer finanziellen Unter-stützung der Ostsee-Jugendstiftung nunmehr positiv zumAbschluss gebracht wird. Damit unterstreichen wir unsereErwartung, dass sich die Bundesregierung auch an dieserStiftung finanziell beteiligt. Sie bringt die Jugendlichenrund um die Ostsee nicht nur bilateral, sondern ebenauch multilateral zusammen. Diese jungen Menschensind die künftigen Garanten der Stabilität der Demokratie,der Weltoffenheit, der Toleranz und der Kreativität rundum die Ostsee.

Diese Beispiele zeigen alleine schon neben den ande-ren wichtigen Punkten des Antrages, dass eine Vielzahlvon Themen gute Grundlagen für eine neue Phase derkoordinierten Zusammenarbeit im Ostseeraum sind unddamit im Rahmen der Ostseestrategie erheblich mit dazubeitragen können, ihn zu einer europäischen Modellre-gion zu entwickeln.

Markus Löning (FDP): Die FDP im DeutschenBundestag begrüßt ausdrücklich, dass sich die Regie-rungsfraktionen auf einen gemeinsamen Text zu diesemausgesprochen wichtigen Thema einigen konnten. Wennman sich das Gezerre um Opel dieser Tage ansieht, istdas bei dieser Regierung wahrlich keine Selbstverständ-lichkeit mehr.

Dem Antragstext wird die FDP zustimmen, nicht weilwir das übertriebene Lob der Regierung teilen würden– im Gegenteil –, sondern weil wir meinen, dass vielesvon dem, was in dem Antrag steht, endlich umgesetztwerden muss. Im Gegensatz zur Bundesregierung habenwir schon lange die großen Chancen des Ostseeraumesnach der Osterweiterung der EU erkannt und bereits imMai 2007 die Bundesregierung in einem ausführlichenAntrag zum Handeln aufgefordert.

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Die große Chance für die gemeinsamen Ziele wie dieweitere wirtschaftliche Entwicklung des Ostseeraums,die Verbesserung von Infrastruktur und Umweltschutzfür dieses Gebiet ist doch, dass seit 2004 alle Ostseean-rainer außer Russland Mitglieder der EuropäischenUnion sind. Diese gemeinsame Verbindung, die engeVerzahnung der Länder in gemeinsamen europäischenGremien, parlamentarischen Ausschüssen oder in zivil-gesellschaftlichen Netzwerken sind die große Chance,etwas gemeinsam zu erreichen. Die europäische Ver-knüpfung stellt aber auch hohe Ansprüche an die Ak-teure, denn die Bürgerinnen und Bürger wollen Ergeb-nisse dieser europäischen Einigung sehen. An Projekten,die das tägliche Leben der Menschen verbessern, kannEuropa zeigen, dass es imstande ist, einen echten Mehr-wert zu erbringen. Meiner Auffassung nach ist Europamit der Ostseestrategie an diesem Punkt auf einem gutenWeg. Die schwedische Präsidentschaft hat angekündigt,den Prozess weiter aktiv zu unterstützen. Und ich binmir sicher, dass unsere schwedischen Partner das auchsehr energisch tun werden.

Als Europapolitiker liegen mir aber neben der sehrpraktischen Tagesarbeit bei Wirtschaft, Umwelt und In-frastruktur auch zwei andere Themen sehr am Herzen.Zum einen möchte ich, dass der Jugendaustausch end-lich vernünftig unterstützt wird. Wer weiß, was dasDeutsch-Französische Jugendwerk nach dem Krieg fürdie Völkerverständigung erreicht hat, wird verstehen,warum mir das ein besonderes Anliegen ist. Die Ostsee-anrainer verbinden wie keine andere Region in Europadie unterschiedlichen Erweiterungsschritte der Union.Hier trifft das Gründungsmitglied Deutschland, mit ers-ter – Dänemark 1973 –, vierter – Finnland, Schweden1995 – und fünfter Erweiterungsrunde – Litauen, Lett-land, Estland, Polen 2004 – zusammen. Damit verbun-den sind auch große soziale und gesellschaftliche Unter-schiede. Vor allem unsere östlichen Partner werden nochetliche Jahre mit dem Erbe von kommunistischer Dikta-tur und Misswirtschaft zu kämpfen haben. Gleichzeitigstehen wir aber am Anfang einer gemeinsamen Zukunft.Umso größer ist das Bedürfnis nach gegenseitigem Ken-nenlernen, umso wichtiger ist es, gerade den Jugendaus-tausch zwischen unseren Ländern zu intensivieren undzu fördern.

Von langfristig mindestens genau so großer Bedeu-tung ist das gemeinsame Ostseegeschichtsbuch. Geradedie deutsch-polnischen Debatten der letzten Jahre zei-gen, wie groß der Bedarf hier ist. Die Ostseeanrainer ha-ben eine enge Verbindung durch Hunderte von Jahrengemeinsamer Geschichte. Unser jeweiliger Blick aufdiese Geschichte ist aber sehr unterschiedlich. Die Ent-stehung eines gemeinsamen Ostseegeschichtsbuchesbietet eine hervorragende Plattform, um hierüber denDialog zu beginnen.

Leider ist im gesamten Antrag keine Rede von derOstsee-Pipeline. Wohl kein Projekt der letzten Jahre hatso viel Unfrieden gestiftet wie dieses. Und leider hat diederzeitige Bundesregierung ihre Chance bisher nicht ge-nutzt, die außenpolitischen Scherben, die Schröder undFischer hinterlassen haben, zu kitten. Es wäre höchsteZeit.

Lutz Heilmann (DIE LINKE): Schwach angefangenund stark nachgelassen, so könnte der alternative Titeldes uns vorliegenden Antrages von CDU/CSU und SPDlauten. Im ersten Teil stehen durchaus auch Dinge, dieich als Linker gut und gerne unterschreiben könnte. Aberda geht es auch um Fakten, die selbst Sie als Regierungs-koalition nicht wegdiskutieren können. Es ist nun einmalFakt, dass die Ostsee eines der am stärksten beanspruch-ten Gewässer ist. Es ist leider auch Fakt, dass die Ostseeeines der dreckigsten Gewässer ist, und es stimmt auch,dass der Klimawandel sich bei der Ostsee besondersdeutlich zeigt, und zwar nicht nur anhand des steigendenWasserspiegels.

Ganz anders sieht es dann zum überwiegenden Teilim zweiten Teil aus. Dort ergeht sich die Koalition in Lo-beshymnen für die Bundesregierung. Sie begrüßen dies,und Sie begrüßen das. Aber reicht diese Prosa aus? Be-leuchten wir doch einfach einmal die ganz konkrete Poli-tik der Bundesregierung in Sachen Ostsee. Ich möchtedas anhand dreier konkreter Punkte darlegen:

Erstens. Eines der großen Probleme der Ostsee ist dieAltmunition nicht nur vor der deutschen Küste.

Zweitens. Die feste Fehmarnbelt-Querung wird inDeutschland heftigst debattiert und verliert offenbarauch in Dänemark immer mehr an Unterstützung.

Drittens. Die Belastung der Ostsee durch Schiffsemis-sionen.

Zum ersten Punkt: Die Hinterlassenschaften in derOstsee aus zwei Weltkriegen und aus dem Kalten Kriegholen uns in regelmäßigen Abständen wieder ein; immerwenn es zu spontanen Explosionen kommt und dabeischlimmstenfalls Menschen getötet werden. Aber esfehlt Ihnen doch wirklich der Wille hier endlich zu han-deln. Sonst hätten Sie schon lange den Wirrwarr an Zu-ständigkeiten beendet und sich zur Verantwortung desBundes für diese Hinterlassenschaften des DeutschenReiches, aber auch der DDR und der BRD bekannt unddie Zuständigkeit übernommen. Wir brauchen ein Bun-desprogramm, welches natürlich mit den Ostseenach-barn koordiniert werden muss, um die Altmunitionschnellstmöglich aus der Ostsee herauszuholen. Die ein-gerichtete Bund-Länder-Arbeitsgruppe kann dafür wich-tige Impulse geben. Sie darf aber nicht damit enden, dasszwar drüber geredet wurde, aber am Ende nichts Kon-kretes als Ergebnis feststeht.

Zum zweiten Punkt: Leistet eine feste Fehmarnbelt-Querung einen Beitrag zur Erreichung der Ziele, die dieEU-Komission für eine Ostseestrategie aufgeschriebenhat? Wohl kaum. Tausende Arbeitsplätze in den BereichenTourismus und Schifffahrt – sprich: Fähren – sind gefähr-det. Oder meinen Sie ernsthaft, dass Menschen freiwilligan einer Brückenanfahrtsrampe mit entsprechenderLärmbelästigung Urlaub machen werden? Die jetztschon erhebliche Armut – circa 17 Prozent – in der Re-gion Ostholstein würde erheblich vergrößert und dieUmwelt nicht hinnehmbar dadurch gefährdet, dass zumBeispiel die letzten Lebensräume des Ostseeschweins-wals zerstört, Millionen Zugvögel gefährdet würden undder für die Ostsee als Brackmeer so wichtige Wasseraus-

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tausch infrage gestellt würde. Zur Schiffssicherheit: Siewissen genauso wie ich, dass eine Autobahn, die vondrei auf eine Spur verengt wird wesentlich gefährlicherist als eine mit drei Spuren und eher die Möglichkeit vonUnfällen bietet. Oder wie schaut es mit dem Ziel aus,Verkehr von der Straße auf das Meer zu verlagern? Nein,die Brücke würde das Gegenteil beiwirken. Diese stehtentgegengesetzt zu den Zielen für eine Ostseestrategie.Deshalb meine Aufforderung an die Koalition: LassenSie die Finger von der Brücke. Reden Sie mit unserendänischen Nachbarn und gehen Sie andere, bessereWege für die länderübergreifende Zusammenarbeit. Las-sen Sie uns kulturelle Brücken und nicht Brücken ausBeton bauen.

Zum dritten Punkt, zur Diskussion über das Verrin-gern der Emissionen von Schiffen nicht nur in den Hä-fen: Richtig ist, dass wir da einen guten Schritt vorange-kommen sind, aber gerade hier muss schnell gehandeltwerden. Es hilft den Menschen recht wenig, wenn wirihnen sagen, dass in zehn Jahren alles besser wird. Dielandseitige Stromversorgung der Schiffe in den Häfen istein schnellerer Weg. Hier könnten Sie etwas mehr Ein-satz zeigen. Bei anderen Projekten entfalten Sie auchmehr Einsatz. Eine spürbare Senkung der Emissionenwürde die Lebenssituation der Menschen nicht nur indeutschen Ostseehäfen verbessern.

Die Ostsee ist durch das Zusammenwachsen Europasin das Zentrum Europas gerückt. Was früher trennte, ver-bindet heute. Jetzt haben wir die Chance, die Ostsee zueinem Meer des Friedens zu machen. Wir haben dieChance, bei Wahrung sozialer, ökologischer und ökono-mischer Interessen, die Ostsee als Lebensraum für heu-tige und künftige Generationen zu erhalten.

Der uns vorgelegte Antrag wird dem Anspruch nichtgerecht. Deshalb wird meine Fraktion dem Antrag nichtzustimmen.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Die europäischen Meere, allen voran die Ostsee,waren von enormer Bedeutung für den wirtschaftlichenWohlstand der Länder des europäischen Kontinents undsind dies noch heute. Doch unsere Meere sind mehr: Siesind Lebensraum für Tiere und Pflanzen, Klimaregulie-rer, Nahrungsquelle und Erholungsgebiete. Als Handels-und Transportwege verbinden sie Menschen über natio-nalstaatliche Grenzen hinweg.

Von sieben Anrainerstaaten der Ostsee waren bis zumMauerfall nur Dänemark und die Bundesrepublik Mit-glieder der Europäischen Union. Heute, 20 Jahre später,ist die Ostsee zum Binnenmeer der EU geworden. Achtder neun Ostseeanrainer sind EU-Mitglieder. Um diesergeschichtlichen Entwicklung Rechnung zu tragen undzugleich das zukünftige Wachstum der Ostseeregion si-cherstellen zu können, ist es nun an der Zeit, die Zusam-menarbeit innerhalb der Ostseeregion auf neue Füße zustellen. Die gemeinsame Strategie für den Ostseeraumist das passende Instrument hierfür. Mit ihr haben wir dieChance, eine neue Phase der Zusammenarbeit in der Re-gion einzuläuten. Meine Fraktion und ich begrüßen die

Ostseestrategie der EU daher ausdrücklich. Sie warlange überfällig.

Im Dezember 2007 haben die Mitgliedstaaten die EU-Kommission aufgefordert, eine „EU-Strategie für denOstseeraum“ vorzulegen. Der nun eingeleitete Anhö-rungsprozess wird aller Voraussicht nach im Juni 2009 ineinem Vorschlag der EU-Kommission münden. Dieschwedische Regierung hat angekündigt, dass sie die re-gionale Kooperation im Ostseeraum während ihrer Rats-präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2009 weiter voran-bringen will. Hiermit eröffnet sich die Chance, denOstseeraum als Modellregion und Vorbild für weitere re-gionale Kooperationen, zum Beispiel im Schwarzmeer-raum und im Kaspischen Raum, zu etablieren.

Eine verstärkte Zusammenarbeit in der Ostseeregionist von immenser Bedeutung für die gesamte Region.Durch eine exzessive Nutzung unserer Meere laufen wirheute Gefahr, den erst durch sie ermöglichten Standardeiner hohen Lebensqualität zu gefährden. Daher müssenwir unsere Anstrengungen zum Erhalt und Schutz unse-rer Meere dringend intensivieren. Dies gilt in besonde-rem Maße für die Ostsee. Ihr sensibles Ökosystem istheute durch wachsende Schiffsverkehre, unsichere Öl-tanker, Überfischung und Überdüngung, durch Muni-tionsaltlasten und vieles mehr gefährdet. Intensivierenwir unsere Bemühungen zum Schutz und Erhalt der Ost-see nicht, laufen wir Gefahr, dass das europäische Bin-nenmeer bald einer Umweltkatastrophe zum Opfer fällt.Hierdurch wäre die Entwicklung des gesamten Ostsee-raums gefährdet. Dies zu verhindern muss nicht zuletztvor dem Hintergrund, dass die Ostsee für Deutschlandvon enormer wirtschaftlicher Bedeutung ist, unser Zielsein.

Die Chance, dem Schutz und Erhalt der Ostsee einezentrale Rolle bei der Ausgestaltung der Ostseestrategieeinzuräumen, dürfen wir nicht ungenutzt verstreichenlassen. Hierfür haben wir keine Zeit mehr. Den vor unsliegenden Herausforderungen müssen wir uns durch dieFormulierung gemeinsamer Antworten zusammen mitallen Anrainern stellen. Daher begrüßen wir, dass dieOstseestrategie explizit Russland einschließen wird.

Dies heißt jedoch nicht, dass nicht jeder Mitgliedstaatvor seiner eigenen Haustür damit anfangen muss, demSchutz und Erhalt unserer Meere die Bedeutung zukom-men zu lassen, die den Herausforderungen angemessenist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koali-tion, wenn Sie in Ihrem Antrag richtigerweise auf dieEntschließung der im Jahr 2007 in Berlin stattgefunde-nen Ostseeparlamentarierkonferenz, die Ostsee zum sau-bersten und sichersten Meer Europas zu machen, ver-weisen und das Ziel ausgeben, Ökologie und Ökonomieim Gleichgewicht halten zu wollen, dann müssen Sie da-mit aufhören, lediglich auf die Verantwortung der euro-päischen und internationalen Ebene für die Ostseeregionzu verweisen. Fangen Sie endlich selbst damit an, ihrenTeil zum Erhalt des Ökosystems der Ostsee beizutragen!Verschließen Sie nicht weiter die Augen vor dem drän-genden Problem der Munitionsaltlasten in unseren Mee-ren, und legen Sie endlich Förderprogramme für alterna-

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tive Schiffsantriebe und eine emissionsarme Schifffahrtauf! Statten Sie die deutschen Ostseefährhäfen mit Land-stromversorgung aus, und tragen Sie hierdurch zu einembesseren Klima in unseren Städten bei! Engagieren Siesich auf europäischer Ebene für die Durchsetzung vonFangquoten, die den Fischbeständen erlauben, sich zuerholen! Richten Sie neue Meeresschutzgebiete ein, an-statt vor Jahren eingerichtete Schutzgebiete zu bebauen!Schaffen Sie endlich eine nationale Küstenwache! Undtragen Sie nicht auch noch durch einen ökonomisch un-sinnigen und ökologisch höchst risikoreichen Bau einerfesten Querung über den Fehmarnbelt dazu bei, dass dasÖkosystem der Ostsee durch einen zusätzlich reduzier-ten Wasseraustausch noch stärker belastet wird!

Anlage 18

Zu Protokoll gegebene Reden

zur vereinbarten Debatte: 25 Jahre Parlamen-tarisches Patenschafts-Programm (Tagesord-nungspunkt 43)

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): „Rei-sen veredelt den Geist und räumt mit allen unseren Vor-urteilen auf, meinte Oscar Wilde, ein geborener Opti-mist. Wenn es um PPPler geht, mag er recht haben.PPPler sind Jugendbotschafter besonderer Ausrichtung:offen, aufgeschlossen, lernbereit und auskunftswillig.Nicht nur wir Abgeordnete wissen aus eigener Anschau-ung: Reisen bildet und Austausch verbindet. Viele Tau-send junge Leute aus Deutschland und Amerika könnendies dank des Parlamentarischen Patenschafts-Pro-gramms des Deutschen Bundestages und des amerikani-schen Kongresses jedes Jahr aus eigenem Erleben nach-vollziehen.

Das Parlamentarische Patenschafts-Programm, PPP,ist das Herzstück des deutsch-amerikanischen Jugend-austausches. Es wurde 1983 durch den Deutschen Bun-destag und den Kongress der Vereinigten Staaten vonAmerika auf den Weg gebracht. Der Grundgedanke wardamals, des 300. Jahrestages des Beginns der Einwande-rung deutscher Bürgerinnen und Bürger in die Vereinig-ten Staaten zu gedenken und ihm Zukunft zu geben.

Ein weltoffener und weitgereister Mensch hat einmalgesagt:

Der Gewinn eines langen Aufenthaltes außerhalbunseres Landes liegt vielleicht weniger in dem, waswir über fremde Länder erfahren, sondern in dem,was wir dabei über uns selbst lernen.

Das erfahren zurzeit circa 360 junge Deutsche, diesich als der 25. Jahrgang Austauschschüler in den USAaufhalten. Alle amerikanischen Stipendiaten dieses25. Jubiläumsjahrgangs sind heute hier bei uns im Parla-ment und konnten während ihrer Zeit in Deutschlandvielleicht bereits ähnliche Eindrücke gewinnen. Vielevon ihnen sind für einige Tage auf Seminaren in Berlinund erleben hautnah mit, wie in der Hauptstadt 60 JahrenGrundgesetz, 60 Jahren Bundesrepublik Deutschlandund 20 Jahren Mauerfall gedacht wird. Diese bedeutsa-

men Wegmarken der deutschen Geschichte wären ohneden Einsatz unserer amerikanischen Freunde und Partnerso nicht möglich gewesen. Gemeinsame Geschichte ver-bindet und schafft auch Gemeinsamkeit für Mitverant-wortung in beiden Demokratien. Es gibt daher ausmeiner Sicht keinen besseren Zeitpunkt und keine geeig-netere Gelegenheit, um sich als Parlament kraftvoll undfraktionsübergreifend zur Zukunft des deutsch-amerika-nischen Jugendaustausches zu bekennen.

Bereits Alexander von Humboldt befand:

Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist dieWeltanschauung der Leute, welche die Welt nichtangeschaut haben.

Dieser Vorwurf kann den PPPler wahrhaftig nicht ge-macht werden. Rund 18 500 junge Deutsche und Ameri-kaner konnten dank des Parlamentarischen Patenschafts-Programms in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehntenihren Traum, ein Jahr im jeweils anderen Land zu leben,verwirklichen. Dies sind ein überzeugender Zeitraumund eine beeindruckende Teilnehmerzahl, die besondereAnerkennung und Würdigung verdienen.

Mit der Vereinbarung dieses beispielgebenden Pro-gramms für Schülerinnen und Schüler und junge Berufs-tätige begann 1983 eine Erfolgsgeschichte. DiesesProgramm hat die vergangenen 25 Jahre unbeschadetüberstanden und ist heute so vital und populär wie zuvor.Das Interesse der Jugendlichen beider Länder übersteigtmit circa 400 Bewerbern bei weitem die Zahl der PPP-Stipendien. Dies ist aus meiner Sicht ein weiterer Grund,weshalb wir an dem Programm unbedingt festhaltensollten. Für die Bewerber gilt Fontanes Leitsatz:

Wer reisen will, muss zunächst Liebe zu Land undLeute mitbringen, zumindest keine Voreingenom-menheit. Er muss guten Willen haben, das Gute zufinden, anstatt es durch Vergleiche tot zu machen.

Über 500 Mitglieder des Deutschen Bundestages be-kunden jedes Jahr, dass sie gerne eine Patenschaft fürdiese jungen Menschen übernehmen möchten. Auchdiese Bereitschaft zum Engagement ist erwähnenswert.Das gilt auch für die Betreuung deutscher wie amerika-nischer Stipendiaten. Der Bundestag zeigt Flagge fürden internationalen Jugendaustausch. Ich möchte aus-drücklich allen Beteiligten danken, die zum Gelingendes Programms beitragen, und deren Vorgänger. Dazuzählen die Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert,Dr. h. c. Wolfgang Thierse und Professor Rita Süssmuth,die das Programm auf einzigartige Weise gesellschaft-lich, kulturell und politisch unterstützt haben. Das habensie immer wieder durch die Übernahme der Schirmherr-schaft verdeutlicht. Zu den Förderern zählen auch derehemalige Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und seinamerikanischer Amtskollege Bill Clinton. Beide habendem Programm mit einem wohltuenden, hilfreichen undgemeinsamen Empfang der PPP-Teilnehmer zu nochgrößerer Akzeptanz und Gewichtung verholfen. EineEntwicklung, die Bundeskanzler Gerhard Schröder wieunsere Bundeskanzlerin aktiv weitertragen bzw. getra-gen haben. Mit ganz besonderer Freude denke ich hieran die „Chill-out-Area“ im Kanzlergarten zurück. Emp-

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fänge im Kanzlergarten schaffen positive Gefühle undEindrücke, die die jungen Menschen mit in ihre Heimatnehmen. Hier bewahrheitet sich auch das richtige Mottovieler Stipendiaten: Erwarte das Unerwartete – die Weltist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon.

Ausdrücklich bedanken möchte ich mich als zuständi-ger Berichterstatter aber auch bei dem zuständigen Refe-rat der Bundestagsverwaltung. WI 4 hat immer sehr auf-merksam, mit großer Sorgfalt und viel Engagement nichtnur die Organisation des PPP übernommen. WI 4 identi-fiziert sich auch damit. Das gilt auch für die gesamteVerwaltung bis hin zum Direktor des Deutschen Bundes-tages. In beiden Ländern sind neben den Parlamentariernbesonders die Gastfamilien – Gasteltern wie Gastge-schwister – zu erwähnen. Sie leisten unentgeltlich ihrengroßartigen persönlichen Beitrag zum Gelingen dieseseinzigartigen Programms. Damit sind etwas über50 000 Personen als ehrenamtliche Helfer auf dieseWeise im PPP diesseits und jenseits des Atlantiks enga-giert gewesen. Mein Dank gilt ebenfalls den beteiligtenprofessionell und verantwortungsbewusst arbeitendenAustauschorganisationen, mit denen wir bisher sehr er-folgreich zusammenarbeiten konnten. Dabei begleitetder Deutsche Bundestag die Arbeit der Austauschorgani-sationen genau, kritisch und konsequent. Das heißt, werfehlt, dem wird der Auftrag entzogen. Der Bundestagmuss und kann dadurch gewährleisten, dass die Organi-sationen mit dem Vertrauen der jungen Menschen undihrer Familien umsichtig umgehen. Auslandsaufenthaltekönnen auch Risikoaufenthalte sein, und nicht allePPPler sind pflegeleicht, sondern können auch schonganz kantige und oder anspruchsvolle Persönlichkeitensein. Namentlich möchte ich aber AFS, Youth ForUnderstanding, Experiment, GIVE, Partnership Interna-tional, InWEnt und Open Door International als unsereaugenblicklichen engagierten Kooperationspartner nen-nen, die unser Vertrauen rechtfertigen.

Natürlich möchte ich auch ausdrücklich die Arbeitund das Engagement meiner Kollegen, der Berichterstat-ter für internationale Austauschprogramme aus allenFraktionen des Hauses, erwähnen. Sie bilden ein kolle-giales Team. Sie sind tatkräftig und voller Ideen, stetsfür den Erfolg des PPP unterwegs. Fraktionsübergrei-fend lässt sich auf 25 Jahre konstruktive parlamentari-sche Zusammenarbeit zurückblicken. Das PPP eint uns.Das ist eine wirkliche Vorzeigeleistung im DeutschenBundestag.

Die PPP-Stipendiaten leben fast zwölf Monate lang ineiner Gastfamilie des befreundeten Landes. Dabei lernensie an der dortigen Schule oder absolvieren in einem ört-lichen Betrieb ein Praktikum. Bei diesem einzigartigenAustauschprogramm liegen den Abgeordneten, die inden Wahlkreisen Stipendien vergeben und Patenschaftenübernehmen, beide Zielgruppen – Schüler und junge Be-rufstätige – gleichermaßen am Herzen. Denn beideGruppen erfüllen ihre Rolle als Botschafter ihres Landesmit Ernsthaftigkeit und Herzblut. So mancher jungerAmerikaner perfektionierte nicht nur seine deutschenSprachkenntnisse, sondern lernte eine weitere Sprachehinzu: so etwa sächsisch, bayerisch oder plattdeutsch.Bei vielen Stipendiaten bleibt es nicht beim einmaligen

Auslandsaufenthalt – manche Familienbindungen haltenein Leben lang. Ich freue mich sehr, wenn sich viele ehe-malige PPP-Stipendiaten dauerhaft für ein gutes undfreundschaftliches Verhältnis zwischen Deutschland undAmerika einsetzen, und damit aus der Erfahrung einesJahres eine dauerhafte Inspiration für eine Brücke überden Atlantik entwickeln.

Jedes Jahr leisten die jungen Berufstätigen und Schü-ler ihren Beitrag dazu. Sie tragen dazu bei, ein differen-ziertes Bild von Amerika beziehungsweise von Deutsch-land in ihrer Altersgruppe zu vermitteln. Und wer inseinen Lehr- und Wanderjahren die Chance genutzt hat,die Probleme des Heimatlandes aus einem Abstand von7 000 Kilometer Luftlinie zu betrachten, ist für Engstir-nigkeit nicht mehr empfänglich. Weltoffene Menschenbrauchen wir, wenn wir in unserer zusammenrückendenWelt die Probleme lösen wollen, die uns gemeinsam be-treffen. Denn „Reisen ist in der Jugend ein Teil der Er-ziehung, im Alter ein Teil der Erfahrung.“ So formuliertees Francis Bacon.

Das PPP-Stipendium für ein Austauschjahr ist einewertvolle Investition: für die Erweiterung des Horizon-tes eines jungen Menschen, für das Knüpfen langfristi-ger Bindungen und für das Miteinander-Zurechtkommenin einer globalisierten Welt. Ein Jahr Aufenthalt in einemanderen Land bedeutet Veränderung. Das bedeutet Ein-gewöhnung in eine Gastfamilie, in eine Gastschule, Er-fahrungen sammeln mit der fremden Sprache und demLebensalltag im anderen Land. Dies erfordert Neugierund Pioniergeist. Um Wilhelm Busch zu zitieren:

Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebens-ziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisenund Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist’s: Reise, reise!

Die Bereitschaft, sich dabei auf Neues einzulassen,stellt insgesamt eine persönliche Herausforderung dar, inden meisten Fällen aber gleichermaßen auch einen gro-ßen Gewinn. Neue Kontakte, andere Einsichten in einLand, das man vorher nur aus Büchern kannte. „It’s notgood or bad – it’s different!“ – Das ist ein Schlüsselsatzfür das PPP. Das Programm hat sich aus der Pionierzeitzu einem wirklichen Flaggschiff in den deutsch-ameri-kanischen Kulturbeziehungen gemausert. 25 JahrgängeParlamentarisches Patenschafts-Programm sind Grundzur Freude über das Geleistete. Sie sind aber ebenso eineAufforderung, diesen guten Weg der deutsch-amerikani-schen Freundschaft fortzusetzen. Daher wünsche ichmir, dass wir gemeinsam mit dem amerikanischen Kon-gress das Programm fortführen und weiter ausbauen.Das Patenschafts-Programm muss auch zukünftig einfester Bestandteil der internationalen Arbeit des Deut-schen Bundestags bleiben. Dies ist ein Wunsch, der beiden zurzeit in Berlin weilenden Kongressmitgliedern umden Vorsitzenden der Study Group on Germany, RobBishop, sicherlich viel Zuspruch findet.

Dagmar Freitag (SPD): Wenn Abgeordnete desDeutschen Bundestages mit Begeisterung in der Stimme

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über PPP sprechen, ist klar, was nur gemeint sein kann:unser Parlamentarisches Patenschafts-Programm, kurzPPP, das in diesem Jahr seinen 25-jährigen Geburtstagfeiert. An Jahren noch jung, aber auf jeden Fall alt ge-nug, um heute mit dieser Debatte entsprechend gewür-digt zu werden.

Wir können aus gutem Grund mit Stolz auf diesesProgramm blicken: Bis heute haben 18 500 junge Men-schen aus Deutschland und den USA daran teilgenom-men, haben also die große Chance genutzt, sich mit gro-ßen Erwartungen einer mindestens ebenso großenHerausforderung zu stellen. Es ist schließlich nicht ein-fach, für ein ganzes Jahr Freunde und Familie zurückzu-lassen und sich auf ein Leben in einer fremden Gastfami-lie in einem ebenso fremden Land einzulassen.

Wie attraktiv dieser besondere Schüleraustausch zwi-schen unseren beiden Ländern jedoch ist, zeigt Jahr fürJahr das ungebrochene Interesse daran. Zum Gelingentragen viele bei, allen voran diejenigen Kolleginnen undKollegen, die mit der Bereitschaft zur Übernahme einerPatenschaft ein tragfähiges Fundament für dieses Aus-tauschprogramm legen. Das ist ein beeindruckendes Vo-tum und auch ein Symbol für die Fortsetzung der freund-schaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern.Tausende von Bewerbungen diesseits und jenseits desAtlantiks werden zur Zeit wieder von jungen Menschengeschrieben, verbunden mit der Hoffnung, einen ganzpersönlichen Traum verwirklichen zu können.

Natürlich wissen wir, dass mit Träumen auch Enttäu-schungen verbunden sein können: Enttäuschung überdas viel zu kleine Örtchen, in dem man ein Jahr verbrin-gen soll, über die Schule oder – am problematischsten –die Gastfamilie. Die Tatsache, dass die Zahl der vorzeiti-gen Rückkehrer sehr klein ist, zeigt, zu welchen Pro-blemlösungen auch junge Menschen schon in der Lagesind. Wer Schwierigkeiten überwindet und bereit ist,sich auf Neues einzulassen, kehrt mit neuem Selbstbe-wusstsein und unvergesslichen Erfahrungen in sein Hei-matland zurück.

Lassen Sie mich wenige Worte aus dem Bericht einerStipendiatin des Jahrgangs 2007/2008, Alena Reining-haus aus Iserlohn, zitieren:

Es war ein Jahr mit Höhen und Tiefen, das meinenHorizont erweitert hat und mich zu einer erwachse-nen Person gemacht hat. Ein solches Jahr würde ichimmer wiederholen, und ich kann es jedem nurempfehlen, denn man lernt nicht nur etwas über einanderes Land oder eine andere Kultur, sondern vorallem über sich selbst.

Aus vielen Gesprächen mit unseren Ehemaligen weißich, dass sich aus der Ferne auch die Sichtweise auf daseigene Land verändert. Wenn man beispielsweise plötz-lich feststellen muss, dass Mitschüler oder die Gastelternim Krankheitsfall keine Versicherung haben, sieht manfunktionierende Sozialsysteme im Heimatland nicht län-ger als schlichte Selbstverständlichkeit an, sondern manweiß diese plötzlich zu schätzen. Über solche sehr prak-tischen Lebenserfahrungen hinaus entstehen im IdealfallFreundschaften und Netzwerke, die ein Leben lang hal-

ten können. Kann es für junge Menschen etwas Besseresgeben?

Heute Morgen hat der Bundestagspräsident zu Beginnder Plenarsitzung das Programm im Beisein von350 jungen amerikanischen Schülern und jungen Berufs-tätigen ausdrücklich gewürdigt. Das war ein außerge-wöhnlicher Vorgang und ist ein Beleg für große Unter-stützung durch den gesamten Deutschen Bundestag. Ichmöchte den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen,unserem Botschafter in Washington D. C., Herrn Dr.Scharioth, der Verwaltung des Deutschen Bundestages,den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Austauschor-ganisationen und vor allem den Gastfamilien für die Un-terstützung danken. Gemeinsam haben wir das PPP zueiner Erfolgsstory gemacht, und es lohnt sich, weiter da-ran und dafür zu arbeiten.

Bernd Scheelen (SPD): 25 Jahre ParlamentarischesPatenschafts-Programm sind auch 325 Jahre deutsch-amerikanische Freundschaft. Am 6. Oktober 1683 landetendie ersten deutschen Auswanderer an der amerikanischenOstküste. 13 Familien segelten auf der „Concord“ fastvier Monate über den Atlantik, um ihr Glück in der NeuenWelt zu suchen. Sie gründeten die Stadt Germantown,heute ein Vorort von Philadelphia. Sie waren Quäker undMennoniten und kamen aus einer Stadt am linken Nieder-rhein: Krefeld, meine Heimatstadt. Die gehörte im 17. Jahr-hundert zum Hause Oranien und wurde verwaltet von derGrafschaft Moers. Dort herrschte – und das war das Be-sondere zur damaligen Zeit – Religionsfreiheit. Krefeldentwickelte sich zur Zufluchtsstätte für religiös Ver-folgte. Das Leben auf engem Raum war auch nicht ohneProbleme, sodass sich im Laufe der Jahre 13 Familienentschlossen, den Weg nach Westen anzutreten. Die300-Jahr-Feier 1983 in Krefeld in Anwesenheit des Bun-despräsidenten, des Bundeskanzlers und des amerikani-schen Vizepräsidenten war der äußere Anlass, diedeutsch-amerikanischen Beziehungen mit einem Ju-gendaustauschprogramm zwischen dem Bundestag unddem amerikanischen Kongress weiter zu festigen. DieVorbereitungen dazu wurden schon von der RegierungHelmut Schmidt getroffen. Federführend war die Staats-ministerin im Auswärtigen Amt, Hildegard Hamm-Brücher.

Seit Beginn des Austausches 1984 haben Jahr für Jahr400 junge Deutsche und eine gleichgroße Zahl jungerAmerikanerinnen und Amerikaner ein ganzes Jahr im je-weils anderen Land verbracht. Das Leben in Familien hatihnen einen tiefen Einblick in die Kultur des Gastlandesgegeben, hat Verständnis für andere Lebensweisen ge-weckt, dadurch aber auch den Blick für die Situation imeigenen Land geschärft.

Mittlerweile haben 20 000 junge Leute diese Erfahrun-gen gemacht. 20 000 tiefe Freundschaften zu den Men-schen im anderen Land sind entstanden, die durch gegen-seitige Besuche und Internetkontakte gepflegt werden.Das ist das Entscheidende am Jugendaustauschprogramm:Es fördert Verständnis für andere und ist ein aktiver Bei-trag zur Friedenssicherung in der Welt.

Zum Schluss ist es mir wichtig, einen ganz besonderenDank zu sagen an die Familien, die einen ihnen zunächst

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völlig unbekannten jungen Menschen in ihre Gemein-schaft aufnehmen. Am Ende des Austauschjahres fällt esden meisten Programmteilnehmern sehr schwer, dieneuen Familien wieder zu verlassen, und den Familienfällt es schwer, das neue „Kind“ wieder ziehen zu lassen.Danke für die Mühe, die sie aufwenden und die Liebe undZuneigung, die sie geben. Wir hoffen auch in Zukunft aufviele Gastfamilien, die zu dieser Leistung bereit sind,denn wir Sozialdemokraten werden uns dafür einsetzen,dass das Parlamentarische Patenschaftsprogramm auchin Zukunft erfolgreich durchgeführt werden kann. Es istschön zu wissen, dass diese Auffassung von allen Fraktio-nen des Hohen Hauses geteilt wird.

Ernst Burgbacher (FDP): Heute ist der Berlin-Tagdes PPP: Seit über einem Vierteljahrhundert besteht dasParlamentarische Patenschafts-Programm. Man kannmit Gewissheit sagen: Es ist eine Erfolgsgeschichte.

1983 wurde es vom Kongress der Vereinigten Staatenund dem Deutschen Bundestag gemeinsam aus Anlassdes 300. Jahrestages der deutschen Einwanderung in dieUSA ins Leben gerufen. Es richtet sich an deutsche undamerikanische Schülerinnen und Schüler sowie an jungeBerufstätige, die die einmalige Chance bekommen, miteinem Stipendium ein Jahr lang das Leben im Gastlandkennenzulernen. Junge Deutsche leben in Familien inden USA, gehen dort zur Highschool oder machen einPraktikum in einem Betrieb. Umgekehrt kommen jedesJahr junge Amerikaner nach Deutschland, um das Lebenhier kennenzulernen.

Ich freue mich ganz besonders, dass die amerikani-schen Teilnehmer des Programms in diesen Tagen inBerlin sind, und grüße sie sehr herzlich. Ich hoffe, ihnengefällt der Aufenthalt in Deutschland und sie habenbereits viel Neues erfahren und Schönes erlebt.

Darum geht es ja im Wesentlichen beim Parlamentari-schen Patenschafts-Programm: Durch persönliche Begeg-nungen mit den Menschen im Gastland soll der jungenGeneration in beiden Ländern die Bedeutung freundschaft-licher Zusammenarbeit, die auf gemeinsamen politischenund kulturellen Wertvorstellungen beruht, vermittelt wer-den. Neue Eindrücke, andere Sichtweisen, fremde Sittenund Gebräuche, die Vielfalt des Gastlands – all dies undsicher noch viel mehr erfahren die jungen Teilnehmerdes Programms aus erster Hand. Freundschaften werdengeschlossen, von denen sicher auch viele das Austausch-jahr überdauern.

Das Parlamentarische Patenschafts-Programm hat durchaktuelle Entwicklungen zusätzliche Bedeutung gewonnen.Vor dem Hintergrund neuer und bislang unbekannter He-rausforderungen für die transatlantische Gemeinschaftübernehmen die jungen Menschen eine wichtige Rolleals Repräsentanten Deutschlands in den USA. Im unmit-telbaren Kontakt mit ihren Gastfamilien und im Umgangmit Mitschülern oder Kollegen lernen sie, was unsereLänder gesellschaftlich, kulturell und politisch verbindetund unterscheidet. Das fördert das gegenseitige Verständ-nis und trägt wirkungsvoll dazu bei, die Beziehungen zwi-schen unseren beiden Ländern dauerhaft zu stärken.

Umgekehrt ermöglicht das PPP den jungen Amerika-nern einen „Blick von außen“ auf ihr Land. Sie lernen dieeuropäische Sichtweise kennen und – hoffentlich – auchverstehen. Die Teilnehmer sind zudem Botschafter ihresLandes und repräsentieren die USA in Deutschland bzw.Deutschland in den USA – eine verantwortungsvolleAufgabe für die jungen Leute, die sehr sorgfältig unterzahlreichen Bewerbern ausgewählt werden.

Es ist immer wieder ein besonderes Erlebnis, festzu-stellen, wie rasch sich die amerikanischen Schüler undAuszubildenden in ihren neuen Heimatorten einleben undauch regionale Eigenheiten übernehmen. Vor allem an derAussprache ist häufig zu erkennen, ob ein Gastschüler imSchwarzwald oder in Berlin ein neues Zuhause auf Zeitgefunden hat. Ich denke, wenn ein Gastschüler nach kurzerZeit bereits mit schwäbischem oder bayrischem Zungen-schlag spricht, ist dies ein schönes Beispiel für einegelungene Eingewöhnung.

Für erwägenswert halte ich eine Art Langzeitevaluationdes PPP und seiner Teilnehmer. Mich interessiert insbeson-dere, ob und wie lange die Jugendlichen nach Beendigungdes Austauschjahres noch mit ihren Gastfamilien oderauch mit den betreuenden Abgeordneten in Kontakt blei-ben und inwieweit das Austauschjahr ihre Studien- undBerufswahl beeinflusst haben mag.

Es ist sicher auch gut, wenn wir als Abgeordneteversuchen, nach Beendigung des Austauschjahres mit„unseren“ Stipendiaten in Kontakt zu bleiben. Ich selbsthabe beispielsweise schon zum wiederholten Male beimir zuhause ein PPP-Treffen organisiert, zu dem ich allein den vergangenen Jahren von mir betreuten deutschenAustauschschüler eingeladen habe, die so die Gelegenheithatten, ihre Erfahrungen und persönlichen Eindrückeauszutauschen und zu vergleichen.

Von fast allen Stipendiaten höre ich nach ihrer Rück-kehr aus dem Gastland, dass dieses Austauschjahr eineungeheure persönliche Bereicherung gewesen sei und siediese Erfahrung nicht missen wollen. Viele betonen, dassihr Verständnis für die Politik und Kultur des Gastlandsvertieft wurde, dass Gemeinsamkeiten entdeckt wurden,wo man sie nicht vermutete, aber politische und kultu-relle Unterschiede, wo man sie nicht erwartet hätte.

Es wird häufig und zu Recht von der Bedeutung derVerständigung zwischen Staaten bzw. Nationen und insbe-sondere der transatlantischen Partnerschaft gesprochen.Grundlage und Grundvoraussetzung dafür sind persönlicheBegegnungen zwischen den Menschen, gerade zwischenden jungen Menschen.

Hierzu leistet das PPP seit 25 Jahren einen erheblichenBeitrag. Dieser Erfolg ist ein Grund, stolz zu sein. Ichhoffe, dass dieses erfolgreiche Programm von Bundestagund US-Kongress auch weitere 25 Jahre Bestand hat.

Als für die internationalen Austauschprogramme zu-ständiges Mitglied der Inneren Kommission weiß ich,wie viel Arbeit und Sorgfalt hinter dem PPP stecken,und danke an dieser Stelle den zuständigen Mitarbeite-rinnen und Mitarbeitern in der Bundestagsverwaltungsehr herzlich für ihren Einsatz und ihr Engagement.

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Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):25 Jahre Parlamentarisches Patenschafts-Programm,PPP, das ist allein aufgrund des Zeitraums eine echte Er-folgsstory. Zu jeder dieser Erfolgsgeschichten gehörenMenschen mit Initiative, Engagement und manchmal un-glaublichem Einsatzwillen. Nicht alle von ihnen stehenim Rampenlicht und deshalb will ich zuerst den Mitar-beitern und Mitarbeiterinnen des Referates WI 4, Inter-nationale Austauschprogramme, danken. Stellvertretendfür alle anderen geht mein Dank an den KollegenBörnsen und sein unermüdliches Engagement.

Seit nunmehr einem Vierteljahrhundert schreiben wirmit diesem Austauschprogramm erfolgreich Geschichte.Jedes Jahr wird damit Hunderten von Schülerinnen undSchülern sowie jungen Berufstätigen ermöglicht, als Bot-schafterinnen und Botschafter unseres Landes die Verei-nigten Staaten kennenzulernen. Dabei stand von Anfangan neben dem Leitgedanken der politischen und kulturel-len Zusammenarbeit auch der kritische Austausch imVordergrund.

Ein junger Teilnehmer unseres Landes brachte seineErfahrungen in den USA in bemerkenswerter Weise aufden Punkt:

Ich habe nicht nur die USA gründlich kennenlernenkönnen. Vieles von dem, was ich bisher über diesesLand gedacht habe, hat sich für mich relativiert, imPositiven wie im Negativen. Aber auch meine Ein-stellung gegenüber meinem eigenen Land hat sichnachhaltig verändert. Manches von dem, was ich inDeutschland als negativ angesehen habe, empfindeich heute nicht mehr als so schlimm. Auf der ande-ren Seite bin ich heute auch auf eine Reihe von Din-gen in Deutschland stolz, dir mir zum Teil vorherüberhaupt nicht wichtig waren.

Die Möglichkeit, im Zeitraum eines Jahres auch diePerspektive des jeweils anderen einzunehmen, ist eineder grundlegenden Voraussetzungen für Toleranz undAkzeptanz. In diesem Sinne erfüllt dieses Paten-schaftsprogramm für die Fraktion Die Linke im Rahmender Völkerverständigung ein wichtiges Anliegen. Hierwird auf Grundlage eines Jugendaustausches das erleb-bar gemacht, was wir uns als Partei in der großen Politikdauerhaft und zukünftig wünschen: den Gedanken desFriedens und des friedlichen Zusammenlebens aller Völ-ker in die Welt hinauszutragen und Gehör zu finden.

Dass dies machbar und möglich ist, zeigt uns ein wei-terer Blick in die Geschichte. Als Saarländer weiß ichsehr wohl, in welch unversöhnlicher Weise sich Jahrhun-derte lang Deutsche und Franzosen an ihrer gemeinsa-men Grenze gegenüberstanden. Die Kriege verwüstetennicht nur das Land, sondern fraßen sich auch tief in dieSeele. Erbfeindschaft nannte man das besondere Verhält-nis zu den Menschen jenseits der Grenze. Erst mit demdeutsch-französischen Jugendaustausch trat an Stelleewiger Feindschaft die Bereitschaft, durch den gegensei-tigen Besuch Ressentiments und Missverständnisse zuüberwinden. Wer heute die kulturelle und insbesonderedie kulinarische Bereicherung durch unsere französi-schen Nachbarn entlang einer offenen Grenze erleben

darf, der kann und muss für solche Formen der Völker-verständigung dankbar sein.

Diese Entwicklung zeigt uns, dass eine Freundschaftselbst über lange und tiefe Gräben hinweg möglich istund uns einen Schritt näher auf dem Weg hin zu einerfriedlichen und internationalen Zusammenarbeit bringenkann.

Auch die Andeutung eines verstärkten Engagementsder Vereinigten Staaten in unserem Patenschaftspro-gramm offenbart neue Motivationen, die Zusammenar-beit unserer beiden Länder zu vertiefen. Dieser Umstandermutigt mich und meine Fraktion, dieses Austauschpro-gramm weiterhin tatkräftig zu unterstützen, damit esauch in Zukunft Jugendlichen beider Länder ermöglichtwerden kann, sich kennenzulernen, und daraus die Basisgeschaffen wird, friedlich und in Freundschaft miteinan-der zu leben.

Um dieses Fundament zu stärken, sind Programmewie das Parlamentarische Patenschafts-Programm undderen Konstanz unerlässlich. Auf diese Weise könnenwir den jungen Botschafterinnen und Botschaftern dieMöglichkeit geben, ihre Vorstellung von einem globalenund friedlichen Miteinander umzusetzen. Oder um esmit dem Worten des französischen Schriftstellers HenriBarbusse zu sagen: „Die Welt wird das sein, was ihr ausihr machen wollt.“

Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Ich kann mich noch gut an die Gefühle erinnern – imFlugzeug auf dem Weg zu meinem Austauschjahr mitdem Parlamentarischen Patenschafts-Programm nachSyracuse, New York, im August 1999. Da war Vorfreude– auf die vielen interessanten Begegnungen und Einblickein eine neue Kultur; Abschiedsschmerz – von meinenFreunden und meiner Familie in Deutschland; Hoffnung –auf eine nette und herzliche Gastfamilie; und natürlichauch ein klein wenig Angst vor der Herausforderung, al-leine ein Jahr in der Fremde zu verbringen. Würde ichwirklich damit zurechtkommen?

Nach einem Jahr bin ich voller positiver Erfahrungennach Deutschland zurückgekehrt. Eine amerikanischeFamilie hat ihr Haus und Herz für mich geöffnet undwurde zu meinem neuen Zuhause. Natürlich gab es aucheinige Durststrecken, kulturelle Missverständnisse undÄrgernisse. Aber im Großen und Ganzen habe ich durchdieses Austauschjahr ein großes Vertrauen in meine Mit-menschen gewonnen – egal aus welchem Kulturkreis.Herzlichkeit, Menschlichkeit und Freundschaft gibt esüberall auf der Welt. Der Sprung ins kalte Wasser ist miteiner Erweiterung meines Horizontes belohnt worden.Für mich war es eine sehr wertvolle Erfahrung, im eigenenAlltag zu erleben, was es bedeutet, in der Minderheit unddamit „anders“ zu sein. In einem Jahr in einer fremdenKultur konnte ich diese wirklich kennenlernen – ihre Re-geln, ihre Geschichte und Traditionen. Dadurch konnteich viele amerikanische Eigenarten verstehen, die an derOberfläche seltsam erscheinen. Daraus ist nicht nur Tole-ranz erwachsen, sondern vielmehr ein tiefer Respekt fürandere Kulturen und Religionen.

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18 500 junge Deutsche und Amerikaner haben ähnlicheErfahrungen gemacht. Wahrscheinlich würden wir in ei-ner friedlicheren und respektvolleren Welt leben, wennmehr Menschen ein Jahr im Ausland verbringen würden.Denn wer sich kennt, kann sich nicht aufgrund von Vor-urteilen hassen.

Das PPP im Speziellen leistet darüber hinaus einenwertvollen Beitrag zu den transatlantischen Beziehungen.Als Abgeordnete habe ich mehrfach an offiziellen Dele-gationsreisen in die USA teilgenommen. Durch meinAustauschjahr konnte ich bei diesen Gelegenheiten inbesonderer Art und Weise zum transatlantischen Dialogbeitragen. Daher wünsche ich dem PPP mindestens 25 wei-tere Jahre erfolgreichen Austauschs! Ich appelliere analle Beteiligten und Verantwortlichen in Deutschland undden USA, weiterhin möglichst vielen jungen Menschendie eine Teilnahme am PPP zu ermöglichen. Besondersbedanken möchte ich mich bei den Gastfamilien und allden anderen Freiwilligen, die durch ihr ehrenamtlichesEngagement bei der Betreuung der Austauschschüler dasPPP erst möglich machen. Danke!

Anlage 19

Zu Protokoll gegebene Rede

zur Beratung:

– Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung derzivilrechtlichen Vorschriften des Heimgeset-zes nach der Föderalismusreform (Entwurfder Fraktionen der CDU/ CSU und derSPD)

– Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelungder zivilrechtlichen Vorschriften des Heim-gesetzes nach der Föderalismusreform (Ent-wurf der Bundesregierung)

– Beschlussempfehlung und Bericht: Betreu-tes Wohnen für ältere Menschen – Qualitäts-kriterium Nutzerorientierung

(Tagesordnungspunkt 39 a und b)

Sibylle Laurischk (FDP): Mit dem WBVG wird einbundeseinheitliches zivilrechtliches Vertragsrecht ge-schaffen. Es gilt für Verträge, in denen die Überlassungvon Wohnraum mit Pflege- und Betreuungsleistungenverknüpft ist. Das vorliegende Gesetz regelt somit dieBereiche der §§ 5 bis 9 und § 14 des alten Heimgesetzes,deren Neuregelung gemäß der durch die Föderalismusre-form veränderten Gesetzgebungszuständigkeiten vonBund und Ländern erforderlich geworden ist. Der Bundregelt nun den zivilrechtlichen Teil der Verträge zwi-schen Einrichtungen und Bewohnern, die Länder dage-gen sind für den öffentlich-rechtlichen Teil zuständig.

Der Gesetzeswirrwarr über den Anwendungsbereichund die Weitergeltung des Bundesheimgesetzes wird da-mit beendet. Ich möchte an dieser Stelle, wie bereits inmeiner ersten Rede, nicht verhehlen, dass die FDP denÜbergang von Teilen des alten Heimrechts auf die Län-der für einen Fehler hält. Besonders unverständlich

bleibt für mich, dass ja im Jahre 1974 das Heimgesetzauf Anregung der Bundesländer geschaffen und als ent-scheidender Schritt begrüßt wurde, die weithin zersplit-terten landesrechtlichen Zuständigkeiten für Heimegrundsätzlich und bundeseinheitlich zum Schutz der Be-wohner zu sichern. Nun fallen wir wieder auf die Situa-tion von vor 1974 zurück. Ich finde diese Entwicklungsehr bedauerlich. Ich kenne allerdings fraktionsübergrei-fend auch keinen Fachmann, der dies nicht genausosieht. Wie weitreichend die Folgen sein werden, ist im-mer noch nicht absehbar werden. Besonders Befürchtun-gen wegen der drohenden Absenkung der Fachkraft-quote scheinen berechtigt, da einzelne Bundesländerdies bereits thematisiert haben.

Die Berichterstatter sind sich bei der Zieldefinitionweitgehend einig. Die einzige Frage ist, ob der Gesetzes-wortlaut hinreichend ist, dieses Ziel auch umzusetzen.

Mich erfüllt es immer noch mit Sorge, die diese Ziel-setzung nur teilweise erreicht sein könnte, da die ver-wendeten Rechtsbegriffe u. U. zu unbestimmt sind. Zwarfinden sich in der Gesetzesbegründung Erläuterungender Begriffe, dies könnte sich aber als nicht ausreichendherausstellen. Einige Änderungsanregungen aus denReihen der Sachverständigen wurden sehr ernst genom-men und umgesetzt. Wir begrüßen daher den vorgeleg-ten Änderungsantrag zum Gesetz und haben diesemebenfalls zugestimmt. Herr Grübel hat ja gestern in denAusschussberatungen nochmals darauf hingewiesen,dass das Gesetz gegebenenfalls geändert werden müsse,sollte sich herausstellen, dass das politische Ziel, wel-ches wir hiermit verfolgen, durch die Formulierung nichterreicht wird.

Uns Liberalen ist es ein besonderes Anliegen, dassgerade bei der Definition des Anwendungsbereichs desneuen Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes sicherge-stellt ist, dass Vorkommnisse, wie die behördliche Ein-stufung einer Alten-WG als Heim, endgültig der Vergan-genheit angehören.

Wir hätten uns daher einen Beratungsverlauf ge-wünscht, der nicht derartig kurzfristig vor dem Ende Le-gislaturperiode beginnt. Insbesondere wenn man die gra-vierenden Unterschiede zwischen Referentenentwurfund Gesetzesentwurf betrachtet, ist das Vorgehen derBundesregierung zumindest als unglücklich zu bezeich-nen.

Aufgrund des demografischen Wandels ist damit zurechen, dass die Zahl der Wohnraumplätze, für die dasWBVG gilt, in den nächsten Jahren kontinuierlich steigt.Umso wichtiger ist es, dass das Gesetz tatsächlich dieGratwanderung zwischen berechtigtem und notwendi-gen Bewohnerschutz und unnützer Bürokratie bewältigt.

Dass Menschen mit einem Unterstützungsbedarf auchohne Heime zurechtkommen können, zeigt Schweden,und wer sich für solche Modelle entscheidet, darf nichtder staatlichen Gängelung unterliegen. In Schweden gibtes vielfältige Unterstützungsangebote, die den betroffe-nen Bürgern ein „normales“ Leben im Rahmen ihrerVerhältnisse ermöglichten. Ich will nicht bestreiten, dassich auch diesen Weg für schwierig halte, aber die Ten-

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denz entspricht dem, was die FDP will: Vorfahrt für am-bulante Versorgung!

Zu dem Antrag der Grünen ist gerade vor diesem Hin-tergrund zu sagen, dass wir ihn ablehnen müssen. Natür-lich unterstützen wir als FDP neue Wohnformen und Siehaben auch Recht, dass wir in diesem Bereich neueMaßstäbe finden müssen. Aber Ihr Ansatz unterscheidetsich in einigen Fragen sehr von unserer liberalen Auffas-sung. Sie fordern einen ausgeweiteten und umfassendenRechtsanspruch auf Wohn- und Pflegeberatung. Diesevon der FDP abgelehnte Entwicklung wurde mit demPflegeweiterentwicklungsgesetz geschaffen und soll mitdem vorliegenden Antrag, der sich im Punkt 3 a für eineErweiterung dieses Rechtsanspruchs ausspricht, weiterausgebaut werden. Dies ist umso erstaunlicher, da esüber die Anzahl rekrutierter und geschulter Pflegeberaterbisher gar keine Angaben gibt. Der GKV-Spitzenver-band der Pflegekassen muss dem Bundesministerium fürGesundheit bis zum 30. Juni 2011 einen Bericht über dieErfahrungen mit der Pflegeberatung vorlegen. Sie wol-len ein neu geschaffenes Instrument – welches die FDPsowieso in der jetzigen Form für nicht sinnvoll hält –schon verschärfen bevor Sie seine Wirkung kennen. Ichhalte dies für nicht nachvollziehbar.

Wie Sie wissen, haben wir als FDP gegen das Pflege-weiterentwicklungsgesetz heftige Einwände. Das Gesetzmacht den Pflegeberater als Mitarbeiter der Pflegekassenzu einem Beratungsmonopolisten, der darüber entschei-det, bei welchem Anbieter der von ihm aufgestellte Ver-sorgungsplan umgesetzt werden soll. Über die Pflege-kassen nimmt der Staat somit Einfluss auf dieMarktchancen der vor Ort vorhandenen Leistungsanbie-ter und schafft damit den Einstieg in die planwirtschaftli-che Staatspflege.

Diese Tendenz lehnen wir ab. Wir wollen möglichstviel eigenverantwortliches Handeln gerade auch von Se-nioren. Dabei sind sie zu unterstützen, auch mit klarengesetzlichen Regelungen!

Anlage 20

Amtliche Mitteilungen

Der Bundesrat hat in seiner 858. Sitzung am 15. Mai2009 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2des Grundgesetzes nicht zu stellen:

– Gesetz zur Ergänzung behördlicher Aufgabenund Kompetenzen im Bereich des wirtschaftli-chen Verbraucherschutzes

– Gesetz zur Änderung des Direktzahlungen-Ver-pflichtungengesetzes und des Düngegesetzes

– Drittes Gesetz zur Änderung des Opferentschädi-gungsgesetzes

– Drittes Gesetz zur Änderung des Zivildienstgeset-zes und anderer Gesetze (Drittes Zivildienstge-setzänderungsgesetz)

– Gesetz zur Änderung der Vorschriften zum be-günstigten Flächenerwerb nach § 3 des Aus-gleichsleistungsgesetzes und der Flächenerwerbs-verordnung (Flächenerwerbsänderungsgesetz –FlErwÄndG)

– Gesetz zur Umsetzung der aufsichtsrechtlichenVorschriften der Zahlungsdiensterichtlinie (Zah-lungsdiensteumsetzungsgesetz)

– Gesetz zur Aufhebung der Freihäfen Emden undKiel

– Gesetz zur Anordnung des Zensus 2011 sowie zurÄnderung von Statistikgesetzen

– Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung –Erweiterung des Beschlagnahmeschutzes bei Ab-geordneten

– … Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches –Anhebung der Höchstgrenze des Tagessatzes beiGeldstrafen

– Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwer-bung und zur Verbesserung des Verbraucher-schutzes bei besonderen Vertriebsformen

– Gesetz zur Neuregelung des notariellen Diszipli-narrechts

– Gesetz zu dem Haager Übereinkommen vom19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das an-zuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstre-ckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet derelterlichen Verantwortung und der Maßnahmenzum Schutz von Kindern

– Gesetz zur Änderung des Internationalen Fami-lienrechtsverfahrensgesetzes

– Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Inter-nationalen Privatrechts an die Verordnung (EG)Nummer 593/2008

– Gesetz zur Anpassung eisenbahnrechtlicher Vor-schriften an die Verordnung (EG) Nr. 1371/2007des Europäischen Parlaments und des Rates vom23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichtender Fahrgäste im Eisenbahnverkehr

– Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes

– Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im pa-tentanwaltlichen Berufsrecht

– Gesetz zur Neuregelung der abfallrechtlichenProduktverantwortung für Batterien und Akku-mulatoren

– Zweites Gesetz zur Änderung des Gefahrgutbe-förderungsgesetzes

– Gesetz zu dem Zweiten Protokoll vom 26. März1999 zur Haager Konvention vom 14. Mai 1954

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zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Kon-flikten

– Gesetz zu dem Abkommen vom 8. Oktober 2008zwischen der Bundesrepublik Deutschland undder Republik Indien über Sozialversicherung

– Gesetz zu dem Stabilisierungs- und Assoziie-rungsabkommen zwischen den Europäischen Ge-meinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseitsund der Republik Montenegro andererseits

– Gesetz zu dem Stabilisierungs- und Assoziie-rungsabkommen zwischen den Europäischen Ge-meinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseitsund Bosnien und Herzegowina andererseits

– Gesetz zu dem Abkommen vom 4. Juli 2008 zwi-schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch-land und der Regierung von Jersey über den Aus-kunftsaustausch in Steuersachen

– Gesetz zu dem Abkommen vom 4. Juli 2008 zwi-schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch-land und der Regierung von Jersey über dieZusammenarbeit in Steuersachen und die Vermei-dung der Doppelbesteuerung bei bestimmten Ein-künften

– Gesetz zu dem Übereinkommen vom 30. Mai 2008über Streumunition

– Zweites Gesetz zur Änderung des Tierschutzge-setzes

Der Bundesrat hat ferner beschlossen, die folgendeEntschließung zu fassen:

Der Bundesrat hatte schon am 7. April 2006 (Bundes-ratsdrucksache 119/06 – Beschluss –), zuletzt am 9. No-vember 2007 (Bundesratsdrucksache 660/07 – Beschluss –),die Bundesregierung gebeten, schnellstmöglich ein obli-gatorisches Prüf- und Zulassungsverfahren für Legehen-nenhaltungssysteme zu entwickeln und einzuführen. DieErforderlichkeit speziell für diese Tierart folgt aus derKomplexität von Haltungseinrichtungen für Legehen-nen: Die Regelung soll eine verhaltensgerechte Unter-bringung und Versorgung der Tiere in für Legehennenbestimmten Haltungssystemen gewährleisten, die zu denvergleichsweise komplexesten technischen Einrichtun-gen für Nutztiere gehören. Im Übrigen ist es notwendig,Erfahrungen bei der Umsetzung des Prüf- und Zulas-sungsverfahrens zu sammeln.

Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, dasseine auf Grundlage des Gesetzes basierende Rechtsver-ordnung zunächst ausschließlich Legehennen erfasst.

– Gesetz über genetische Untersuchungen bei Men-schen (Gendiagnostikgesetz – GenDG)

Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie-ßung gefasst:

1. Der Bundesrat stellt fest, dass der umfassende Be-reich des Umgangs mit genetischen Proben und Datenzu Forschungszwecken nach § 2 Absatz 2 Nummer 1von den Regelungen des Gendiagnostikgesetzes ex-

plizit ausgenommen wird und vertritt die Auffassung,dass dies in einem eigenen Gesetz (z. B. in einem„Forschungsrahmengesetz“) zu regeln ist. Die Bun-desregierung wird daher gebeten, Regelungen zu demBereich „genetisch-medizinische Untersuchungen zuForschungszwecken“ in einer gesonderten Rechtsvor-schrift vorzunehmen.

Begründung:

Es erscheint nicht angemessen, keine speziellen recht-lichen Regelungen für den Umgang mit genetischenProben und Daten zu Forschungszwecken zu treffen,angesichts der immer noch wachsenden Bedeutungvon genetisch-medizinischer Forschung und der Zu-nahme der Zahl von Biobanken, die Proben sowieumfangreiche medizinisch-diagnostische Daten auchaus genetischen Untersuchungen vorhalten.

2. Der Bundesrat bedauert, dass seine Empfehlung zurAufnahme von Regelungen im Rahmen der Durch-führung des Neugeborenenscreenings (vgl. Bundes-ratsdrucksache 633/08 (Beschluss), Ziffer 11) im vor-liegenden Gesetzesbeschluss keine Berücksichtigunggefunden hat. Die Bundesregierung wird daher gebe-ten, auf Grundlage der Erfahrungen der beteiligtenStellen bis Ende 2010 einen Bericht vorzulegen, indem insbesondere dargelegt wird, welche Folgen diegeänderte Rechtslage auf die Durchführung des Neu-geborenenscreenings für Hebammen, Kinderärzte undFachärzte für Humangenetik in der Praxis hat und obsich die Beteiligung von Neugeborenen am Screeningdurch die geänderte Rechtslage geändert hat.

Begründung:

Das Neugeborenenscreening dient der Früherkennungvon bestimmten angeborenen Stoffwechselerkrankun-gen und endokrinen Störungen bei Neugeborenen, diedie körperliche und geistige Entwicklung der Kinderin erheblichem Maße beeinträchtigen. Durch dasScreening soll bei Vorliegen eines positiven Befundeseine unverzügliche Therapieeinleitung mit dem Zielermöglicht werden, körperliche und geistige Fehlent-wicklung der Kinder zu verhindern oder zu lindern.Hebammen und Entbindungspfleger sind berechtigt,u. a. die Gebärenden in eigener Verantwortung zu be-treuen und die Normalgeburt zu leiten. Ärztinnen undÄrzte sind somit nicht zwingend bei einer Geburt an-wesend.

Zu den Tätigkeiten einer Hebamme oder eines Ent-bindungspflegers zählen auch, Neugeborene im erfor-derlichen Umfang zu untersuchen und zu überwachen(§§ 4 und 5 HebG). Landesrechtliche Regelungenüber die Berufspflichten der Hebammen und Entbin-dungspfleger bestimmen, dass auch Prophylaxemaß-nahmen und Blutentnahmen für Screeninguntersu-chungen zu ihren Aufgaben gehören.

Nach den Kinder-Richtlinien liegt die Verantwortungfür die Durchführung des Screenings ebenfalls nichtausschließlich bei einem Arzt oder einer Ärztin, son-dern „bei dem Leistungserbringer, der die Geburt desKindes verantwortlich geleitet hat“ (Anlage 2, § 7Absatz 1 Satz 1); dieser Leistungserbringer bzw. diese

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Person kann also auch eine Hebamme oder ein Ent-bindungspfleger sein.

Da auch Hebammen und Entbindungspfleger für dieDurchführung des Neugeborenenscreenings mit Aus-nahme der genetischen Analyse und der genetischenBeratung verantwortlich sind, werden zur Zeit nahezualle Neugeborenen vom Screening erfasst. Durch denim Gesetzesbeschluss vorgesehenen Arztvorbehaltwürde die hohe Screeningrate ohne Not gesenkt, daEltern darauf verzichten werden, bei ihrem Neugebo-renen am dritten Lebenstag das Neugeborenenscree-ning durchführen zu lassen, wenn sie hierfür aktiveine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen müssen. Damitwürde aber das gesundheitspolitische Ziel einer voll-ständigen und frühzeitigen Erkennung als auch einerfrühzeitigen Therapie aller Neugeborenen nicht er-reicht.

– Erstes Gesetz zur Änderung des Artikel-10-Gesetzes

Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge-fasst:

Der Bundesrat bittet, das Artikel-10-Gesetz bei dernächsten Novellierung insoweit zu ergänzen, als in § 2Absatz 2 Satz 3 eine eigenständige Zustimmungsrege-lung für die nach § 10 zuständigen obersten Landesbe-hörden aufgenommen wird.

Begründung:

Da G-10-Maßnahmen auch von den Ländern durch-geführt werden, ist für diese eine eigenständige Zustim-mungsregelung erforderlich.

– Erstes Gesetz zur Änderung des Telekommunika-tionsgesetzes und des Gesetzes über die elektro-magnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln

Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie-ßung gefasst:

Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, in § 57TKG eine Regelung aufzunehmen, nach der Rundfunk-veranstalter im analogen Frequenzbereich einen Netzbe-treiber frei wählen können.

Nach derzeitiger Rechtslage wählt die Bundesnetz-agentur den Sendernetzbetreiber aus. Der Rundfunkver-anstalter ist gezwungen, mit diesem Sendernetzbetreibereinen Vertrag über die Ausstrahlung seines Programmszu schließen.

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Rundfunk-veranstalter den für ihn wirtschaftlichsten Sendernetzbe-treiber selbst auswählen sollte. Denn anders als bei digi-taler Frequenznutzung mit in der Regel einer Mehrzahlvon Veranstaltern sollte dies bei analoger Frequenznut-zung möglich sein, da hier dem Netzbetreiber nur einVeranstalter gegenübersteht.

Wenn die zuständige Landesbehörde die inhaltlicheBelegung einer analogen Frequenznutzung zur Übertra-gung von Rundfunk im Zuständigkeitsbereich der Ländereinem Veranstalter zugewiesen hat, sollte derjenige An-tragsteller die Frequenzzuteilung erhalten, der mit diesemVeranstalter eine entsprechende vertragliche Vereinba-

rung zur Abstrahlung abschließt. Die Frequenzzuteilungsollte auf die Dauer der rundfunkrechtlichen Zuweisungder zuständigen Landesbehörde befristet werden und beiFortdauer der Zuweisung verlängert werden können.

Der Bundesrat sieht in dieser Regelung eine deutlicheVerfahrensvereinfachung und -beschleunigung, da Rund-funkveranstalter die ihnen medienrechtlich zugewiese-nen UKW-Frequenzen künftig schneller als bisher nut-zen können.

Die Abgeordneten Katharina Landgraf, EckhardtRehberg, Christine Scheel und Marcus Weinberg habendarum gebeten, bei dem Entwurf eines Gesetzes zurVerankerung der Patientenverfügung im Betreu-ungsrecht (Patientenverfügungsgesetz – PatVerfG)auf Drucksache 16/11360 nachträglich in die Liste derAntragsteller aufgenommen zu werden.

Der Abgeordnete Dr. Konrad Schily hat darum gebe-ten, bei dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände-rung des Betreuungsrechts auf Drucksache 16/8442nachträglich in die Liste der Antragsteller aufgenommenzu werden.

Die Abgeordnete Christine Scheel hat mitgeteilt, dasssie ihre Unterschrift auf dem Entwurf eines Dritten Ge-setzes zur Änderung des Betreuungsrechts auf Druck-sache 16/8442 zurückzieht.

Der Abgeordnete Dr. Konrad Schily hat mitgeteilt,dass er seine Unterschrift auf dem Entwurf eines Gesetzeszur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patienten-verfügungen (Patientenverfügungsverbindlichkeits-gesetz – PVVG) auf Drucksache 16/11493 zurückzieht.

Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse habenmitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni-onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einerBeratung abgesehen hat.

Auswärtiger Ausschuss Drucksache 16/12778 Nr. A.1 Ratsdokument EuB-BReg 21/2009Drucksache 16/12778 Nr. A.2 Ratsdokument EuB-BReg 22/2009Drucksache 16/12778 Nr. A.6 Ratsdokument EuB-BReg 26/2009Drucksache 16/12778 Nr. A.7 Ratsdokument EuB-BReg 27/2009Drucksache 16/12778 Nr. A.9 Ratsdokument EuB-BReg 29/2009

Innenausschuss Drucksache 16/901 Nr. 1.8 EuB-EP 1293Drucksache 16/2555 Nr. 1.41 EuB-EP 1385Drucksache 16/5199 Nr. 1.2 EuB-EP 1464; P6 TA-PROV(2007)0032Drucksache 16/10286 Nr. A.7 EuB-EP 1731; P6_TA-PROV(2008)0230Drucksache 16/10286 Nr. A. 12 Ratsdokument 12213/08Drucksache 16/11517 Nr. A.l EuB-EP 1814; P6_TA-PROV(2008)0512Drucksache 16/11721 Nr. A.3

Page 124: Deutscher Bundestagdip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16225.pdfDeutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009 III rechtlichen Vorschriften

24972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Mai 2009

(A) (C)

(B)

EuB-EP 1826; P6_TA-PROV(2008)0561Drucksache 16/11721 Nr. A.4 Ratsdokument 16913/08Drucksache 16/11721 Nr. A.5 Ratsdokument 16929/08Drucksache 16/11721 Nr. A.6 Ratsdokument 16934/08Drucksache 16/12369 Nr. A.4 Ratsdokument 5780/09Drucksache 16/12369 Nr. A.5 Ratsdokument 6700/09Drucksache 16/12369 Nr. A.6 Ratsdokument 6702/09Drucksache 16/12778 Nr. A.11EuB-EP 1873; P6_TA-PROV(2009)0047Drucksache 16/12778 Nr.A.12 EuB-EP 18S7; P6_TA-PROV(2009)0073

Rechtsausschuss

Drucksache 16/9538 Nr. A.3 Ratsdokument 8957/08Drucksache 16/11132 Nr. A.2 EuB-EP 1604; P6_TA-PROV(2008)0469Drucksache 16/11965 Nr. A.5 Ratsdokument 5147/09Drucksache 16/12188 Nr. A.4 Ratsdokument 5155/09Drucksache 16/12188 Nr. A.5 Ratsdokument 5208/09

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Drucksache 16/11965 Nr. A.l0 Ratsdokument 5401/09

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- uVertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19

ISSN 07

Drucksache 16/12188 Nr. A.15 Ratsdokument 5538/09Drucksache 16/12188 Nr. A.l8 Ratsdokument 6066/09

Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 16/12778 Nr. A.l7 Ratsdokument 6475/09

Ausschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungDrucksache 16/12778 Nr. A.l9 Ratsdokument 7500/09

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeDrucksache 16/12778 Nr. A.21 EuB-EP 1872; P6 TA-PROV (2009)0045

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungDrucksache 16/12511 Nr. A.7 Ratsdokument 6891/09Drucksache 16/12778 Nr. A.24 Ratsdokument 8695/09

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionDrucksache 16/12188 Nr. A.34 Ratsdokument 6010/09Drucksache 16/12511 Nr. A.9 Ratsdokument 6852/09

(D)

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