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Deutscher Jugendliteraturpreis 2007 Die Nominierungen © der Abbildung beim Arbeitskreis für Jugendliteratur e.V. http://www.jugendliteratur.org/akj_haupt/litpreis_info.htm

Deutscher Jugendliteraturpreis 2007 · 2008-03-21 · Sigrid Laube, Wolfgang Amadé Mozart, Ein ganzes normales Wunderkind. Chava Pressburger (Hg.), Petr Ginz. Prager Tagebuch 1941-1942

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Deutscher Jugendliteraturpreis 2007

Die Nominierungen

© der Abbildung beim Arbeitskreis für Jugendliteratur e.V. http://www.jugendliteratur.org/akj_haupt/litpreis_info.htm

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 2 von 31 (Jana Mikota)

Inhaltsverzeichnis

Zur Einführung Bilderbuch The Tjong-Khing, Die Torte ist weg. Moritz Wouter van Reek, Krawinkel & Eckstein – Die Rettungsaktion. Sauerländer Theodor Storm, Der kleine Häwelmann. Aufbau Sebastian Meschenmoser, Herr Eichhorn und der Mond. Esslinger Nikolaus Heidelbach, Königin Gisela. Beltz & Gelberg Toon Tellegen, Pikko, die Hexe. Sauerländer Kinderbuch Jon Fosse, Schwester. Bajazzo Ulf Nilsson, Die besten Beerdigungen der Welt- Moritz Sébastian Joanniez, Ein Zwilling für Leo. Beltz & Gelberg Xavier-Laurent Petit, Steppenwind und Adlerflügel. Dressler Guus Kuijer, Das Buch von allen Dingen. Oetinger Åke Edwarson, Samuraisommer. Carlsen Jugendbuch Frank Cottrell Boyce, Meisterwerk. Carlsen David Klass, Wenn er kommt, dann laufen wir. Arena Do van Ranst, Wir retten Leben, sagt mein Vater. Carlsen Faïze Guène, Paradiesische Aussichten. Carlsen Siobhan Dowd, Ein reiner Schrei. Carlsen Marjaleena Lembcke, Liebeslinien. Nagel & Kimche Sachbuch Claire d’Harcourt, Was macht der Bär im Museum? Tiere in der Kunst. Knesebeck Nielsen, Maja & Jochen Hemmleb, Mount Everest Gerstenberg Sigrid Laube, Wolfgang Amadé Mozart, Ein ganzes normales Wunderkind. Chava Pressburger (Hg.), Petr Ginz. Prager Tagebuch 1941-1942. Berlin Verlag Henning Boëtius, Geschichte der Elektrizität. Beltz Brian Fies, Mutter hat Krebs. Knesebeck Jugendjury Anthony Horowitz, Die fünf Tore – Todeskreis. Loewe Stephanie Meyer, Bis(s) zum Morgengrauen. Carlsen Mal Peet, Keeper. Carlsen Valérie Znatti, Leihst du mir deinen Blick. Dressler Markus Zusak, Der Joker. cbj Robert Habeck & Andrea Paluch, Zwei Wege in den Sommer. Sauerländer

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 3 von 31 (Jana Mikota)

Zur Einführung

Der Deutsche Literaturpreis wird als einziger Staatspreis für Literatur seit 1956 vom Bun-desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gestiftet und jedes Jahr verliehen. Ausgezeichnet werden herausragende Werke der Kinder- und Jugendliteratur des vorherigen Jahres. Der Arbeitskreis für Jugendliteratur e. V. organisiert die Arbeit, sucht Titel aus und bewertet diese. Neben dem Preisgeld erhalten die Sieger eine Bronzeplastik, die Michael En-des Romanfigur Momo nachempfunden wurde.

Eine Kritikerjury, die aus 9 erwachsenen Juroren besteht, prüft Bücher aus dem Vorjahr und nominiert jeweils sechs Bücher in den Sparten Bilderbuch, Kinderbuch, Jugendbuch und Sachbuch. Eine unabhängige Jugendjury, die aus sechs Leseclubs besteht, nominiert eben-falls 5 Bücher und verleiht den „Preis der Jugendjury“.

Die Nominierungen sind die Grundlage für die Entscheidung der beiden Jurys, die am 12. Oktober 2007 auf der Frankfurter Buchmesse bekannt gegeben wird.

Ein weiterer Teil des Deutschen Jugendliteraturpreises ist der Sonderpreis für das Gesamt-werk eines deutschen Autors, Illustratoren oder Übersetzers.

Der Deutsche Jugendliteraturpreis soll die Entwicklung der Kinder- und Jugendliteratur för-dern, zugleich auch das öffentliche Interesse an der in Deutschland veröffentlichten Kinder- und Jugendliteratur wecken und zur Diskussion über die nominierten Bücher anregen. Zugleich weist der Deutsche Literaturpreis auf Neuerscheinungen und auf Entwicklungen im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur hin und kann sicherlich eine Hilfe für die Öffentlich-keit sein, sich in den zahlreichen Neuerscheinungen zurechtzufinden und vielleicht auch neue Lesetipps zu bekommen. Dokumentiert wird auch die Mannigfaltigkeit der aktuellen Kinder- und Jugendliteratur! Daher haben wir uns überlegt, auch ein Themenheft zum Deutschen Jugendliteraturpreis herauszubringen und so auf die spannenden Nominierungen hinzuwei-sen. Es gibt wieder viel zu entdecken im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur! Viel Spaß dabei!

Dr. Jana Mikota

Die Abbildungen sind allesamt den Seiten des Arbeitskreises für Jugendliteratur e.V. entnommen http://www.jugendliteratur.org/akj_litpreis2007

Einige Gutachten wurden (zum Teil verändert) der Datenbank der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien, AJuM, entnommen

http://www.ajum.de

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 4 von 31 (Jana Mikota)

Bilderbuch

Thé Tjong-Khing, Die Torte ist weg. Moritz (12,80 • ab 2 Jahren)

Ein Suchbilderbuch ohne Worte, dafür voller Anregungen zum Hinschauen und Kombinieren, ist dem Autor Thé Tjong-Khing gelungen. Den Leser erwartet eine spannende Verfolgungsjagd in dem wunderbaren Bilderbuch. An einem warmen Sommertag stehlen zwei Räuber die leckere Schoko-ladentorte der Hundefamilie. Herr und Frau Hund wollen herausfinden, wohin die Räuber die Torte bringen, und begeben sich in ein Abenteuer, bei

dem sie einer Menge anderer Wald- und Wiesenbewohnern begegnen, die auch nicht unbe-dingt vom Glück gesegnet sind.

Es handelt sich hierbei um ein sehr eindrucksvolles und ereignisreiches Buch, das aus ver-schiedenen Teilhandlungen besteht, die eine Gesamthandlung bilden und parallel zueinander ablaufen. Die einzelnen Situationen sind beim ersten Durchblättern gar nicht alle sofort zu erkennen und das erste Anschauen besteht aus einem ständigen Vor- und Zurückblättern, da es auf jeder Seite Neues zu entdecken gibt und man den Grund für bestimmte Sachverhalte oft erst 2 oder 3 Seiten davor findet. Es ist sehr lustig anzusehen, was den einzelnen Tieren passiert. Wenn man die farbliche Gestaltung des Buches genauer betrachtet, erkennt man die einfache Stiftführung, die zwar deckenden, aber leicht wässrig wirkenden Farben und die schwarze Kontur, die an einen Fineliner erinnert. Es wurden natürliche Farben gewählt, wel-che bewirken, dass der Leser sich voll und ganz auf die Handlung konzentrieren kann und nicht durch die farbliche Gestaltung abgelenkt wird, was zum Beispiel durch Signalfarben passieren würde. Die farbliche Gestaltung ist Stimmung und Situation angepasst und lässt die Handlungen noch vielseitiger und interessanter wirken. Die Bilder sind recht einfach ge-zeichnet, die Schatten sind gräulich und wirken deshalb weich und fließend.

Das Buch hat keine direkte Aussage. Es ist da, um Spaß beim Suchen zu verschaffen, aber nicht um Kindern eine Botschaft zu vermitteln. Großartig ist, dass die Fantasie der Kinder hier stark beansprucht wird. Es hilft ebenfalls Zusammenhänge zu finden und zu erkennen, deshalb finden wir es pädagogisch auf alle Fälle wertvoll. Es verlangt sehr viel Aufmerksam-keit und Beobachtungsgabe. Die Handlung ist nicht direkt vorgegeben und wird nicht durch Text vorweggenommen, da es keinen gibt. Das Buch hätte nicht kleiner sein dürfen, da sich auf einer Seite sehr viele Informationen befinden, die genügend Platz benötigen um unab-hängig voneinander wirken zu können.

Zum Autor: Thé Tjong-Khing, 1933 geboren, studierte Kunst in Bandung/Indonesien, 1956 setzte er sein Studium in den Niederlanden fort. Er illustriert seit den 1960er Jahren Kinder-bücher.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 5 von 31 (Jana Mikota)

Wouter van Reek, Krawinkel & Eckstein – Die Rettungsaktion, Aus dem Niederlän-dischen von Rolf Erdorf. Sauerländer (12,90 • ab 4 Jahren)

Dem krakeligen Vogelmenschen Krawinkel ist es draußen zu regnerisch, also schickt er Eckstein, seinen Hund, um Brennholz zu holen. Als Eckstein jedoch nicht zurückkommt, macht sich Krawinkel Sorgen und packt entschlossen sein Hab und Gut und bricht zu einer Rettungsaktion auf!

Zuschauer der „Sendung mit der Maus“ kennen die beiden Protagonisten Krawinkel und Eckstein bereits seit zwei Jahren. Beide sind Helden einer

preisgekrönten niederländischen Trickserie. Van Reek zeichnet markant, einfach, simpel fast und nah an Genialität. Rechteck mit Beinen, Strich als Schwanz, Dreieck mit zwei Punkten, zwei Ohrstriche. Ein Hund wie er deutlicher nicht sein könnte. Ebenso Krawinkel, eine Art Mensch mit gelbem Schnabel, roter Anzug mit Kapuze. Zwei Striche kennzeichnen einen Schrank, zwei Parallelogramme zeigen eine geöffnete Tür und ungezeichnet damit einen, nein, sogar zwei ganze Räume.

Ganz viel deutlichen und auch eine gehörige Portion versteckten Witzes und viel Liebe der beiden Handelnden zueinander sowie Zutrauen und Einvernehmen dürfen wir miterleben.

Zum Autor: Wouter van Reek, 1960 geboren, zeichnet bereits seit seiner frühesten Kindheit Comics. Er schreibt auch die Geschichten, zeichnet die Freihand-Computeranimationen und vertont sie für das Fernsehen.

Zum Übersetzer: Rolf Erdorf, 1956 geboren, studierte Germanistik und niederländische Phi-lologie. Arbeitet hauptberuflich als Übersetzer aus dem Niederländischen. 2006 wurde Erdorf mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

Theodor Storm, Der kleine Häwelmann. Illustriert von Henriette Sauvant. Aufbau (14,90 • ab 4 Jahren)

Häwelmann ist ein (Kinderbuch-)Klassiker: Ein kleiner Junge namens Häwelmann will nicht schlafen, schafft sich ein Segel, in das er selbst hin-ein bläst und sein Bett in ein Segelboot verwandelt. Der gute Mond be-trachtet es nicht mit Wohlgefallen, er begleitet den Weg. „Mehr, mehr!“ schreit der Junge. Mehr, mehr – rufen wir auch den Bildern zu. Sehr neu gesehen von Henriette Sauvant zwischen Traum und Wirklichkeit.

Eine Geschichte zwischen Traum und Wirklichkeit. Immer wenn das Kind ruft, schuckelt es irgendjemand hin und her. Hier ist es die erste Person, die Mutter, die aber jetzt selbst schon tief und fest schläft. Geruckelt will er werden und geschuckelt. Aber niemand hört ihn. Da muss er also selbst aktiv werden. Und wir folgen ihm zunächst und merken nach und nach, dass wir auch einem Kindertraum folgen. Ja, sicher sogar. Wie sonst könnte der Mond den Kleinen so begleiten, ihn auf einem Strahl durchs Schlüsselloch fahren lassen!

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 6 von 31 (Jana Mikota)

Während man den Text tatsächlich überlegend begleiten muss, sprechen die Bilder da eine deutlichere Sprache. Häwelmanns Bett hat eine Krone. Unser kleiner Prinz, werden die Eltern wohl sagen. Verwöhnt ist er also, sagt das Bild. Ein Wikingerschiff mit geblähtem Segel ziert das Bild auf seiner Wand. Und er selbst, der Kleine, steht am Kopfende sehr gerade, steif fast, hält seinen Stoffhasen am Ohr und sein Kissen in der anderen Hand und schaut gerade nach draußen aus das Bild heraus fast zu uns. Nein, sein Blick trifft uns eher in Brusthöhe. Und während der Text davon spricht, dass der kleine Häwelmann sein Bein ausstreckt und sein Hemdchen als Segel setzt und seinen Atem als Wind, zeigt das Bild ein schlafendes jun-ges menschliches Wesen, das eher einem Mädchen ähnelt, dessen Traumgedanken ein Se-gelboot (es ist deutlich nicht der Wikinger) von der Wand über sein Bett in eine leicht auf-steigende Diagonale wehen lässt, wobei sich das Segelboot zwischendurch in einen Drei-Schornstein-Dampfer verwandelt und dann in ein Drei-Segel-Boot. Das ganze findet auch noch statt zwischen einem roten Theater-Vorhang, der nur rechts knapp gerafft ist.

Nun stimmen kurz Text und Bild: Häwelmann dreht eine Runde über die Decke und ent-fleucht nach draußen durch das Schlüsselloch, um sogleich wieder in eine deutliche Traum-bildlandschaft zu fliehen, in der der Mond gar nicht gelb ist, sondern ein Gesicht mit merk-würdig starrem Blick in einem Kreis. So traumhaft ist auch das Sternefallen, wenn nämlich Wal und Löwe und Katze und Skorpion sich im tiefblauen Hintergrund mit den weißen Stern-punkten nach rechts bewegen. Herunterfallen tun sie nicht, im Gegenteil gibt es eine Auf-wärtsbewegung durch den kleinen Häwelmann in Richtung Wal, abgelöst nach dem Umblät-tern von einem bedrohlichen Bild:

Wir stellen uns vor: Das Mondgesicht mit dem bereits oben genannten starren Blick hier auf einer Doppelseite, reduziert auf die Augenpartie. Auf dem Nasenansatz der kleine Häwel-mann nach schräg unten, offensichtlich völlig ahnungslos, wo er mit seinem kleinen Bett und dem geblähten Nachthemd segelt.

Das dramatische Ende kennt man wohl noch: „Wenn du und ich nicht gekommen wären und den kleinen Häwelmann in unser Boot genommen hätten…“ Dazu das Bild vom schlafenden Häwelmann im Bug eines (Wikinger-) Bootes vor einem Sonnenaufgangsbild.

Vollkommen gelungen ist die Transponierung der Häwelmann-Geschichte in die Bild-Traum-Geschichte.

Zur Illustratorin: Henriette Sauvant, 1967 geboren, studierte Illustrationen an der Hambur-ger Fachhochschule für Gestaltung. Ihre Illustrationen stellte sie bereits in Paris, Bologna, Bratislava, München und Troisdorf aus.

Sebastian Meschenmoser, Herr Eichhorn und der Mond. Esslinger (9,95 • ab 5 Jahren)

Der Mond in Form eines runden Käses fällt eines Tages ins Haus von Herrn Eichhorn, direkt vor seine Füße. Geplagt von der Vorstellung, wegen Monddiebstahls im Gefängnis zu landen, bemüht er sich – und nach ihm der Igel und der Bock – ihn loszuwerden. Auf dem Geweih des Bockes beginnt der Mond zu faulen und wird von Mäusen auf

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 7 von 31 (Jana Mikota)

eine Sichel reduziert. Da endlich löst er sich vom Geweih und fliegt zurück an den Himmel. Und dort, denkt Herr Eichhorn, wird er sich schon wieder erholen und rund werden.

Sebastian Meschenmoser setzt – mit Bleistiftzeichnungen, die überwiegend schwarz-weiß und nur sehr sparsam koloriert sind – sichtbar den Stil seines erfolgreichen Erstlings Fliegen lernen fort. Auch Format und Covergestaltung erinnern an den Vorgänger. Hatte im Erstling neben den Zeichnungen auch der lakonische Stil des Textes überzeugt und zum Schmunzeln des allein oder vorlesenden Erwachsenen geführt, liegt gerade im Text diesmal eine kleine Schwachstelle. Meschenmoser arbeitet mit graphischen Hervorhebungen über die Größe der Schrift, was zuweilen einen comicartigen Eindruck hervorruft. Darüber hinaus kann der Text jedoch keine eigene Atmosphäre schaffen, er bleibt lediglich eine Beschreibung.

Witzig und erheiternd ist die Bildebene, die ganz eigen erzählt und auf das genaue Hinsehen und die Vervollständigung durch den Betrachter setzt. Die auf den ersten Blick eher unauffäl-lige Einbettung in einen bildnerisch erzählten Rahmen ist dabei der besondere Clou.

So ist Sebastian Meschenmoser wieder ein ungewöhnliches Buch gelungen!

Zum Autor: Sebastian Menschenmoser, 1980 in Frankfurt am Main geboren, studiert seit 2001 freie bildende Kunst in Mainz. Mit Fliegen lernen hat er 2005 sein Erstlingswerk veröf-fentlicht.

Nikolaus Heidelbach, Königin Gisela. Beltz & Gelberg (14,90 • ab 6 Jahren)

In der Rahmenhandlung macht Papa allein mit seinem ältesten Kind, einer Tochter, einen Bade-Urlaub. Jeden Abend erzählt er ihr einen Teil der wohl ausgedachten Geschichte von der „Königin Gisela“ und ihrem Volk, den acht Erdmännchen. Klingt vielleicht merkwürdig? Ist aber Klasse!

Ist das Titelbild schon geheimnisvoll, so verstärken das der innere Umschlag und vor allem der Schmutztitel: 20 Erdmännchen bilden mit einigen Accessoires den Schriftzug: KÖNIGIN GISELA. Dann ein Bild, das den 50er-Jahren entnommen sein könnte. Im blitzblanken roten DKW verlassen Vater mit Tochter die Mutter und die vier Ge-schwister und fahren ans Meer. Das Hotel an der Steilküste scheint nicht sehr besucht zu sein. Die Zeit vergeht mit Baden, Essen, Faulenzen. Am Abend wird eine Geschichte in Fort-setzungen erzählt: Ein verwöhntes Mädchen aus reichem Haus wird auf eine einsame Insel gespült. Dort leben offensichtlich nur noch acht weitere Lebewesen: Erdmännchen. Sofort übernimmt Gisela das Kommando, lässt sich von den Erdmännchen unterhalten und verwöh-nen, kommandiert sie herum. Sie kommt gar nicht auf die Idee zu fragen, was diese Wesen vor ihrer Ankunft wohl getan haben und warum sie sich gleich zu Beginn ihre Überheblichkeit gefallen lassen. Das hätte wohl noch lange so weiter gehen können, selbst die Krönung zur Königin hätten die Erdmännchen durchgeführt, wenn Gisela nicht zu viel verlangt hätte. Auch das geknechtetste Volk und die untertänigste Unterwürfigkeit stößt an Grenzen, wo es heißt: Bis hierher und nicht weiter!

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 8 von 31 (Jana Mikota)

So dürfen wir also ein Floß sehen mit einem Mast. Dort sitzt ein Mädchen, offensichtlich ge-fesselt, und hält einerseits das Hecksteuer und andererseits die zweite Ecke des Dreiecksse-gels in ihrer Hand. Die zweite Ecke ist oben am Mast befestigt, die dritte hält ein aufrecht stehendes Erdmännchen zwischen den Zähnen. Es weht ablandiger Wind, die Küste wird bald nicht mehr zu sehen sein.

Sehr verstörend, dieses Bild, das auch auf dem Titel zu sehen ist. Das Mädchen lächelt, winkt mit der anderen Hand, das Segel ist fröhlich gelb, die Fesselung ist kaum zu erkennen. Was aber ist mit diesem Erdmännchen, das dafür sorgt, dass sich das Segel blähen kann. Opfert es sich? Warum zeigt es seine Zähne? Hat das Mädchen doch nicht alle Macht über die Erdmännchen verloren? Ganz falsch: Erst wenn man ganz genau hinschaut, erkennt man, dass dieses Erdmännchen eine Holzpuppe ist! Die Erdmännchen verhöhnen ihre Fast-Königin. Sie soll sich immer daran erinnern, dass sie ein schönes Leben gehabt hätte mit den Erdmännchen, wenn sie eben nicht den Bogen der Macht überspannt hätte.

Das ist nicht nur ein Buch mit wunderschön gezeichneten Bildern, das sind auch zwei eben-solche Geschichten: Die sieben Gute-Nacht-Geschichten auf neun Doppelseiten und die Ur-laubsgeschichte von einem Mädchen und ihrem Vater. Letztlich bietet die Bild-Text-Komposition mehrere Antworten auf die Frage, ob die Geschichte gut ausgeht.

Zum Autor: Nikolaus Heidelbach, geboren 1955, studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften und lebt als freischaffender Künstler in Köln. Vielfache Auszeichnun-gen für seine Bilderbücher. Für sein Gesamtwerk erhielt er 2000 den Sonderpreis des Deut-schen Jugendliteraturpreises.

Ab 6 Jahren

Toon Tellegen, Pikko, die Hexe. Illustriert von Marit Törnqvist, übersetzt von Mirjam Pressler. Sauerländer (15,90 • ab 7 Jahren)

Die kleine Hexe Pikko ist so winzig, dass sie so gut wie nie zu sehen ist. Sie ist so klein, dass man sich unter einem Staubkorn verstecken kann, was auch seine Vorteile haben kann. Sie kann sich in die Gedankenwelt von Hund, Bär, dem Jungen Iwan oder sogar einer anderen Hexe hineinmogeln. Und was dann alles passieren kann…!

Pikko muss, um sich als Hexe zu behaupten erst einmal feststellen, ob es überhaupt fliegen kann. Das ist der erste Beweis für sie, dass sie eine Hexe ist. Der zweite ist die Klärung der Machtfrage. Sie fällt klar zu ihren Gunsten aus: Das was sie im Gehirn von Hund, Bär, Mensch (und Hexe) sagt, wird nicht nur von diesen auch ausgesprochen, nein, es findet auch statt. Der Hund reißt sich von der Kette los und knurrt, jault, heult, dass von überall auf der Welt Antworten kommen. Der Tanzbär kehrt die Situation um, so dass nicht nur der Zirkus-Direktor nun tanzen muss, sondern auch alle Zuschauer.

Danach aber lässt Pikko die beiden in ihrer Lage zurück und sie müssen bitter büßen, dass sie sich so auflehnten gegen die menschlichen Herren. Pikko ist keine Fee, Pikko ist eine He-xe!

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 9 von 31 (Jana Mikota)

Dann hilft sie einem Jungen, der nach seiner Mutter ruft, sie im Gewühl der Großstadt verlo-ren hat. Pikko in seinem Kopf sorgt mit den Worten des Jungen dafür, dass der Kaiser ab-danken muss und durch das Land kriechend sein weiteres Leben verbringen muss. Und zum Schluss sorgt sie sogar für eine hexenfreie Welt.

Die Geschichte fordert natürlich zum Gedankenspiel auf, was wäre, wenn ich eine kleine He-xe wäre und diese Macht hätte. Würde ich einiges anders machen, den Hund schon einmal bedauern, weil er für seinen Ungehorsam, für den ja in Wirklichkeit ich verantwortlich wäre, schlimm bestraft wird für den Rest seines Lebens? Und ließe ich einen bösen Herrscher für den Rest seines Lebens kriechen, sich von Löwenzahn und Würmern ernähren. Und vor al-lem, würde ich die geheime Herrschaft der Hexen ebenfalls beenden - und damit ja meine eigene ebenfalls? Es gibt viele Fragen zu klären und viel über die Ungerechtigkeiten auf der Welt an den drei Beispielen ebenfalls.

Marit Törnqvist bevorzugt einen leicht erhöhten Blickstandpunkt, so dass man immer auch hinter eine Mauer schauen kann, aber dennoch nicht völlig abgehoben ist. Dabei und den-noch über der Situation schwebend; Kontakt haben aber dennoch einen Blick von oben nach unten. Ihren ganzseitigen Bildern in Mischtechnik setzt sie in die frei bleibenden Stellen Er-gänzungen, verzerrt Personen wie Tiere, karikiert sie fast.

Dabei sind ihre Bilder so, dass man sie gern gerahmt auch im eigenen Wohnzimmer hin hän-gen würde, da sie farblich sich gar nicht festlegen, ohne dabei "bunt" zu wirken. Selbst in bedrückenden Situationen findet sie Ästhetisches: Die Häuser brennen golden, der Kaiser liegt mit seinem roten Mantel so auf dem Platz, dass die graue Menschenmenge ein geöffne-tes Maul bildet und das rot eine lächerlich kleine Zunge.

Die Gedanken von anderen bestimmen zu können ist eine Vorstellung, die wohl der eine o-der schon mal hatte. Die Geschichte um die Hexe Pikko, gelungen von Mirjam Pressler über-setzt, fordert auch zur Diskussionen heraus. Tolle Bilder + eine Geschichte, mit der man nicht so schnell fertig wird = ein hervorragendes Bilderbuch.

Zum Autor: Toon Tellegen, geboren 1941 in den Niederlanden, studierte Medizin und arbei-tete als Arzt in Kenia und Amsterdam. Er gilt heute als einer der renommiertesten Kinder-buchautoren der Niederlande.

Zur Illustratorin: Marit Törnqvist, 1964 in Uppsala (Schweden) geboren, studierte Buchil-lustrationen in Amsterdam. Sie arbeitet als Illustratorin und Kinderbuchautorin.

Zur Übersetzerin: Mirjam Pressler, geboren 1940. Sie studierte Malerei und Sprachen. Für ihr Gesamtwerk als Übersetzerin wurde ihr 1994 der Sonderpreis des Deutschen Jugendlite-raturpreises verliehen.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 10 von 31 (Jana Mikota)

Kinderbuch

Jon Fosse, Schwester. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Illus-triert von Aljoscha Blau. Bajazzo (12,90 • ab 5 Jahren)

Der 4-jährige Junge schaut gerne in den Himmel, liebt das Meer und die Wellen. Er flüchtet vor den lauten Motoren der Grasmäher aus dem Haus und ans Meer. Aber die Eltern haben kein Verständnis für ihn und sperren ihn im Haus ein, weil er “immer schlimme Sachen macht”. Er ist traurig und so wütend, dass er sich beim Schlagen gegen die Glastür verletzt. Er fühlt sich ganz allein

und alles wäre noch trauriger, wenn nicht wenigstens seine kleine Schwester da wäre. Der Schauplatz der Handlung ist Norwegen: Aus der Sicht des 4-jährigen Protagonisten werden drei aufeinander folgende Tage skizziert, an denen er immer wieder „dumme Sachen“ an-stellt – zumindest aus der Sicht der Erwachsenen.

Das Kinderbuch offenbart die große Kluft zwischen der Kinder- und der Erwachsenenper-spektive auf die mit der Aneignung von Welt verbundenen Risiken: Während die Mutter des kleinen 4-jährigen Jungen seine neugierigen und interessierten Ausflüge ins Gras oder an den Fjord als „schlimme Sachen” wahrnimmt und ihn mit zunehmender Härte bestraft, ver-steht er nicht, was an seinen Bedürfnissen schlecht oder falsch sein soll. „Er hat nur den Fjord angeschaut und den Himmel” und nun zieht sie ihn so hart am Arm, „dass es weh tut”.

Es kommt noch schlimmer für den Jungen, denn am nächsten Tag gehen die beiden Kinder – seine Schwester ist erst 3 Jahre alt – alleine durch den Wald, um vor dem lauten und stin-kigen Grasmäher zu flüchten. Nun wird die Mutter noch zorniger und die beiden müssen so-fort ins Bett. Trotz des Schimpfens und der Strafen ändert der Junge sein Verhalten nicht, so stark ist sein Bedürfnis. Und wieder macht er sich auf und davon zum Boot im Fjord. Nun wird die schlimmste Strafe über ihn verhängt, die für ihn vorstellbar ist: Er darf nicht mehr hinaus – er bekommt Hausarrest! Beim verzweifelten Versuch aus dem Haus zu gelangen verletzt er sich. Es bleibt offen, ob es einen Weg der Verständigung zwischen der Mutter und ihrem Kind geben wird. Erkennt sie nun, wie wichtig ihm das Draußensein ist? Wie viel ihm die Natur bedeutet?

Die kleine Schwester des Jungen ist offenbar die einzige, der er sich vertraut und nahe fühlt – auf eine Art nahe, wie es nur kleine Kinder können. Aber da er schon älter und weiter im Denken ist, fühlt er sich trotzdem allein.

Die Erzählung trifft einen auch deshalb mit großer, irritierender Kraft, da ausschließlich die Kindersicht in einer Art “lautem Denken” und dem Beschreiben der Ereignisse präsentiert wird. Der Junge reiht seine Gedanken, auch wenn sie sich wiederholen oder nicht stimmig bzw. sogar widersprüchlich sind, endlos aneinander, verwoben mit detailreichen und genau-en Naturbeschreibungen, bei denen man sowohl das Gras im Wind sich sacht bewegen sieht als auch die Wellen leicht ans Ufer schlagen hört.

Das Buch eignet sich - vielleicht gerade wegen dieser absolut gesetzten Kindersicht - als Vor-lesebuch für jüngere Kinder, wie es die Rezensenten in der Lesebar (Internet-Rezensions-zeitschrift für Kinder und Jugendliteratur der ALEKI) nach ersten Vorleseerfahrungen vor-schlagen.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 11 von 31 (Jana Mikota)

Die wenigen zarten Bilder des Künstlers Aljoscha Blau betonen und unterstreichen die Per-spektive des Jungen: Der blaue Himmel, das hohe Gras, der Ford, das einsame Boot und die beiden kleinen Kinder. Der einzige Erwachsene ist der „nette Arzt”, der geholt wird, als er sich verletzt hat.

Ein ungewöhnliches Buch, das vom norwegischen Kulturministerium als „Bestes Kinderbuch des Jahres” ausgezeichnet wurde.

Zum Autor: Jon Fosse, 1959 geboren, schreibt Lyrik, Theaterstücke und Romane. Zurzeit ist er der weltweit am meisten aufgeführte europäische Dramatiker. Fosse lebt und arbeitet in Bergen (Norwegen).

Zum Illustrator: Aljoscha Blau, 1972 St. Petersburg geboren, lebt seit 1990 in Deutschland. Er studierte an der Hamburger Fachhochschule Kinder- und Jugendbuchillustration. 2003 wurde er mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

Zum Übersetzer: Hinrich Schmidt-Henkel, geboren 1959, studierte Germanistik und Roma-nistik. Seit 1987 ist er literarischer Übersetzer aus dem Französischen, Norwegischen und Italienischen.

Ulf Nilsson, Die besten Beerdigungen der Welt. Illustriert von Eva Eriksson. Aus dem Schwedischen von Ole Könnecke, Moritz (12,80 • ab 5 Jahren)

So wundervoll respektlos ist man lange nicht umgegangen mit dem Tod. Und dann auch noch im Bilderbuch. Ein großes Danke an alle Beteiligten! Es be-ginnt mit „Einmal hatte wir Langeweile und wollten etwas Lustiges machen ...“ und endet mit „Am nächsten Tag machten wir dann etwas ganz anderes.“ Aber dazwischen! Die drei Protagonisten gründen eine „Beerdigungen AG“ mit allem, was dazu gehört: Trauerkleidung, Trauerreim, Trauertränen.

Alles beginnt mit einer toten Hummel. Die Flügel sind zerknittert, die Füße stehen ab. „Kleine Hummel … ich liebe dich.“, sagt Ester und schaut dabei so listig wie seinerzeit Ruth Gordon in Harold & Maude. Beerdigung also. Wunderbar, wie Ester mit großer Schaufel ganz in Gelb vor gelbgrünem Hintergrund, gefolgt vom kleineren Ich-Erzähler der Lichtung zustrebt, um mit der großen Schaufel die kleine Hummel in der Zigarrenkiste zu beerdigen. Da der Erzäh-ler sich auch nützlich machen will, schreibt er kurze, meist zweiversige Gedichte zu diesem und den folgenden Todesfällen, denn „ich denke viel und habe viele Wörter in mir.“

„Jetzt kommt der kalte Winter her, / Lieber Nuffe, wir danken dir sehr, / Danke für alles, trallalala.“ – „Der Tod kommt plötzlich um viertel nach vier. Warum? Warum? Sag es mir.“ – „Der Hering ist nicht mehr am Leben, / Im Leben geht recht viel daneben.“

Ein Todesfall reicht natürlich nicht. Nach und nach kommt die Spitzmaus dazu, ein toter Hamster, ein ganzer Hahn, drei Heringe (dem Kühlschrank entnommen), diverse Mäuse, den aufgestellten Fallen entnommen, der platt gefahrene Igel, der Hase und als letztes Tier die Amsel, deren kurzen Todeskampf die drei mit erlebten. Drei? Schon an der ersten Suche hat sich Esters kleiner Bruder Putte beteiligt, aber „er war so klein, dass er nicht zählte.“

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 12 von 31 (Jana Mikota)

Zu dieser Geschichte, die einerseits knapp am schwarzen Humor entlang schrappt, anderer-seits das Schmunzeln im Schmerz nicht verhindern kann, sind die Bilder einfach genial gegen gesetzt. Süß, freundlich, niedlich. Helle und warme Farben, Gelb – leicht ins Grün hinein – herrscht vor. Die Personen, vor allem unsere drei Kinder also, mit wenigen Strichen gemalt, strotzen nur so vor Gefühlen. Die Hände tief in den Taschen der kurzen Hose vergraben, die Knie leicht eingekickt, den Oberkörper ebenso leicht nach hinten gebeugt, dabei aber steif geblieben, den Hals so tief eingezogen, dass der Mund aus dem leicht erhöhten Betrachter-winkel nicht zu sehen ist, die Augen klein, fast schläfrig aber dennoch starr auf die Maus in Esthers Hand gefroren – Hut ab, Frau Eriksson!

Das Leben geht weiter. Das wissen auch unsere drei: „Das Leben ist lang, und kurz ist der Tod.“ ist der Beginn des letzten Gedichts. „Und am nächsten Tag machten wir dann etwas ganz anderes.“ Gut so!

Man weiß gar nicht, wen man mehr loben soll: Den Autor ob der Idee, die Illustratorin we-gen ihrer hinterhältig „süßen“ Bilder oder den Übersetzer, der ganz bestimmt nicht Wort für Wort vom Schwedischen ins Deutsche brachte.

Zum Autor: Ulf Nilsson, 1948 in Schweden geboren, lebt als freier Autor in Stockholm. Er schreibt für Kinder und Erwachsene.

Zur Illustratorin: Eva Eriksson, geboren 1949, studierte an einer schwedischen Kunstschule. Sie arbeitet als Illustratorin und lebt in der Nähe von Stockholm/Schweden.

Zum Übersetzer: Ole Könnecke, geboren 1961 in Göteborg, verbrachte seine Kindheit in Schweden. Er studierte Germanistik. Heute lebt und arbeitet er als Übersetzer und Illustrator in Hamburg.

Sébastian Joanniez, Ein Zwilling für Leo. Illustriert von Régis Lejonc, übersetzt aus dem Französischen von Bernadette Ott. Beltz & Gelberg (5,90 • ab 8 Jahren)

„Ich bin der Junge, der bei meinen Eltern wohnt und der glaubt, dass es woanders besser wäre, aber egal.“, ist der Anfang der Geschichte, in der im Mittelpunkt der einsame Junge Leo steht, der sich einen Zwillingsbruder wünscht. Er möchte mit ihm spielen und lachen. Sein Wunsch ist so groß, dass ihm seine Freunde zu helfen versuchen. Julien erklärt ihm das Klonen, Nora nimmt ihm zu Marabut. Der geheimnisvolle Magier schenkt Leo eine Stoffpup-

pe, die er bei Vollmond unter das Bett seiner Eltern legen soll. Gesagt, getan und seit dem Augenblick wartet Leo geduldig auf die Ankunft seines Zwillingsbruders.

In seinem Kinderbuchdebüt lässt Sébastian Joanniez den Jungen Leo von seinem kindlichen Alltag in einer tristen Vorstadtsiedlung erzählen. Seine Eltern sind lieblos, der Vater arbeitslos und Leo wird oftmals mit einer Ohrfeige bestraft, da er zu lebhaft ist. Sein Lebensraum ist, obwohl er Freunde hat, durch Einsamkeit charakterisiert. Mit einer kindlichen, knappen Spra-che Leos wird der Leser unmittelbar in seine Alltagswelt hineingezogen. In kurzen Berichten denkt Leo über wichtige Fragen nach. Gezeigt wird ein Miteinander der verschiedenen Kultu-ren in der Vorstadtsiedlung, die Kinder gehen freundschaftlich ohne jede Vorurteile mitein-ander um.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 13 von 31 (Jana Mikota)

Obwohl man Leos Geschichte in einem Rutsch lesen kann, bleibt man nachdenklich zurück, und vergisst das Buch nicht schnell. Dies liegt einerseits an dem Protagonisten, andererseits an der Wärme und Komik des Buches. Das Buch ist zudem wunderschön mit Schwarz-Weiß-Bildern illustriert und witzigen, mitunter auch schrägen Piktogrammen geschmückt. Die Ge-fühle und Wünsche spiegeln sich in den Zeichnungen wieder und erhöhen so das Lesever-gnügen.

Der Beltz-Verlag hat zum Buch auch eine Lehrerhandreichung konzipiert. Das schmale Bänd-chen könnte in den zahlreichen Neuerscheinungen untergehen, doch dank der Nominierung zum Deutschen Jugendliteraturpreis wird es so hoffentlich viele Leser finden! Zu wünschen wäre es dem Buch allemal!

Zum Autor: Sébastian Joaniez, geboren 1974, schreibt Theaterstücke und Kinderbücher. Er lebt und arbeitet in Lyon (Frankreich).

Zum Illustrator: Régis Lejonc, geboren 1967, lebt und arbeitet als Illustrator in Bordeaux (Frankreich).

Zur Übersetzerin: Bernadette Ott, geboren 1961, studierte Literaturwissenschaft, Kunstge-schichte und Philosophie. Sie übersetzt aus dem Französischen und Englischen.

Xavier-Laurent Petit, Steppenwind und Adlerflügel. Winterabenteuer in der Mongo-lei. Aus dem Französischen von Anja Malich. Dressler (12,00 • ab 9 Jahren)

Die 12-jährige Galshan lebt mit ihrer Mutter und ihrem Vater, dem LKW-Fahrer Ryham, in einer Stadt in der Mongolei. Als die Schwangerschaft der Mutter diese zur Bettruhe zwingt, muss Galshan zu ihrem Großvater Baytar, der als Schäfer in einer Jurte, d.h. in einem transportierenden Wohnzelt, lebt und die Entscheidung seines Sohnes, in der Stadt zu wohnen, weder verstehen noch verzeihen kann. Trotz der Ablehnung Galshans, denn, dass

sein erster Enkel eine Enkelin wurde, kann der strenge Großvater ebenfalls nur schwerlich akzeptieren, freunden sich beide an und der Großvater bringt Galshan gegen den Willen des Schulinspektors all das bei, was er als wichtig erachtet, um in der rauen Natur zu überleben. Er bricht sogar mit der Tradition und bringt Galshan, also einem Mädchen, bei, wie man Ad-ler einfängt, zähmt und abrichtet. Ein tosender Schneesturm jagt schließlich über die mongo-lische Steppe und beide werden von der Außenwelt abgeschnitten, müssen gegen die Kälte, Krankheit und gegen Wölfe kämpfen.

Der Autor schildert mit viel Spannung die Ereignisse, beschreibt die Annäherung zwischen Galshan und ihrem Großvater und schafft es, die Atmosphäre des Erzählten einzufangen und entführt uns so in eine für (West-)Europäer wenig bekannte Welt. Begegnungen zwischen Tieren und Menschen schildert der Autor eindrucksvoll

Zum Autor: Xavier-Laurent Petit, geboren 1956, arbeitete zunächst als Lehrer bevor er sich dem Schreiben widmete.

Zur Übersetzerin: Anja Malich, 1970 geboren, übersetzt Bücher aus dem Französischen und Englischen.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 14 von 31 (Jana Mikota)

Guus Kuijer, Das Buch von allen Dingen. Aus dem Niederländischen von Sylke Hachmeister. Oetinger (9,90 • ab 10)

In seinem Band Das Buch von allen Dingen nimmt Kuijer erneut die Perspektive der Kinder ein. Ersteres wird insofern besonders, als es auf authentischen Aufzeichnungen des Mannes Thomas Klopper basiert. Dieser erlebte das Kindsein in den 50er Jahren. Der neunjährige Junge lebt in Amsterdam, sein Vater wird als autoritärer, eifriger Mensch charakterisiert. Hingegen ist es die Mutter, die liebevoll und einfühlsam agiert, aber sich leider im Schatten ihres

Mannes nur wenig durchsetzen kann. Sehr streng und rigide ist auch letzterer, wenn es dar-um geht, Thomas religiöse Werte und Traditionen zu vermitteln. Thomas denkt in religiös geprägten Bildern, so sieht er eines Tages sogar „Herrn Jesus“, der doch gerne einfach Jesus genannt werden möchte. Der Junge ist unter der strengen Hand seines Vaters aber alles andere als glücklich. Es liest sich wie ein kalter Schauer, wenn erzählt wird, wie der Vater eines Tages dem Kind die die Bibelunkenntnis herausprügeln möchte. Und was überhaupt Glück bedeutet, dass wird ihm erst klarer, wenn die Nachbarin andere Lebenswege als sol-che, die auf einer strikten und konservativen, allgemeingültigen Auslegung der Bibel fußen, nahe legt.

Der einst ängstliche Junge entwickelt sich zu einem selbstbewussten Kind, das sich von den Zwängen des Vaters emanzipiert. Die ganze Geschichte wird trotz ihrer Thematik von Kuijer leise erzählt. Wenn Thomas auf der Wiese liegend von Schwerträgern träumt, dann zeigen sich zarte Beschreibungen, die atmosphärisch wirken und den Jungen alles andere als ver-lassen darstellen. Die alte Dame aus der Nachbarschaft vermittelt zudem das, was das Buch tragen soll: Mut, Glaube und Hoffnung. Die leise Erzählart des Buches macht das schmale Werk zu einem Zeugnis des Glaubens und eines optimistischen Selbstkampfes. In Belgien ist es bereits mit dem renommierten Literaturpreis „Goldene Eule“ ausgezeichnet; in den Nie-derlanden mit dem „Goldenen Griffel“.

Die anrührendste Stelle im Buch ist der Moment, als Thomas erkennt, dass der Vater mit seinen fromm gemeinten Prügeln für Frau und Sohn gerade sein höchstes Gut, Gott selbst, im Herzen seiner Familie umbringt, und Thomas in seiner Fantasie Jesus über den Tod des göttlichen Vaters aufklärt, einem Jesus, der liebe- und verständnisvoll, aber machtlos daher-kommt. Hier erweitert sich die Zielgruppe der Kuijerschen Philippika um alle lieblosen Religi-onsvertreter, die über ihrem Gottesbild die Menschen vergessen. Ein wunderbarer Einstieg für gesprächsbereite Religionslehrer und einen repressionsfreien Religionsunterricht.

Zum Autor: Guus Kuijer, 1942 in Amsterdam geboren, ist seit 1973 als freier Schriftsteller tätig. Seine Bücher wurden bereits zweimal mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausge-zeichnet. Für sein Gesamtwerk erhielt er den Niederländischen Staatspreis.

Zur Übersetzerin: Sylke Hachmeister, 1966 geboren, übersetzt Bücher aus dem Englischen und Niederländischen und schreibt auch selbst Kinderbücher. Zwei ihrer Übersetzungen wur-den bereits mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis prämiert.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 15 von 31 (Jana Mikota)

Åke Edwarson, Samuraisommer. Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. Carlsen (13,00 • ab 11 Jahren)

Tommy ist 12 Jahre alt und verbringt als verarmter, vaterloser Junge seine Sommerferien in einem verhassten Camp, in dem er sich wie ein Gefangener fühlt. So hat er sich in eine Scheinwelt geflüchtet: Er ist Samurai geworden und eifert den japanischen Rittern in ihren Idealen nach. Als eines Tages unter dramatischen Umständen Tommys Freundin verschwindet, sucht er mit seinen Freunden nach ihr. Er ruft auch die Polizei zur Aufklärung von Verbrechen, die

im Sommercamp vertuscht worden sind.

Edwardson ist in Schweden ein bekannter Krimiautor. Mit Samuraisommer schreibt er sein erstes Kinderbuch. Keine heile Kinderwelt zeichnet er, sondern das elende Dasein von Kin-dern, deren Eltern selbst nicht mit dem Leben fertig werden. Sommer für Sommer werden diese Kinder in Heimen zusammengepfercht, und man fragt sich: Wo ist die Heimaufsicht? Aber mit Heimaufsicht wäre die Spannung ja weg; und spannend ist das Buch für Kinder, die etwa das gleiche Alter wie Tommy haben. Die dramatischen Ereignisse entwickeln sich erst im letzten Drittel des Buches. Vorher geht es um das unerfreuliche Leben im Camp, um Ban-denfehden, um Hungerstreik, um kindliche Heimlichkeiten. Es geht aber auch um die Einfüh-rung in das Leben und Denken eines Samurai – eine Welt, die kaum weiter weg von Schwe-den sein könnte. Diese Flucht in die Träume macht das Dasein für Tommy erträglicher. Es geht in diesem Buch aber auch um die Entwicklung eines Jungen in der Pubertät, der sich in der Welt der depressiven, unsteten Mutter Ideale schaffen möchte, der an sich selbst arbei-tet, um reif zu werden. Die erste zarte Liebe zu der gleich alten, aber schon reiferen Kerstin hilft ihm dabei.

Alles ist jugendgemäß und spannend geschildert. Das reinigende, ja erlösende Feuer am Schluss des Buches lässt auf eine glücklichere Zukunft hoffen. Die Bösen werden bestraft, die Leichtsinnigen und Desinteressierten, nämlich die Betreuerinnen, sind fortgelaufen als es brenzlig wurde, und Tommy braucht nächstes Jahr nicht mehr in ein Camp zu fahren, weil er dann zu alt dafür geworden ist.

Nicht alle Jugendlichen, die dieses Buch lesen, werden alles verstehen, was nur angedeutet ist oder was ihren Erfahrungshorizont übersteigt, aber sie werden Samuraisommer gern le-sen und Freude an den realen Abenteuern von Tommy haben.

Zum Autor: Åke Edwardson, geboren 1953 in Schweden, veröffentlichte bereits zahlreiche Kriminalromane und ist vor allem mit seiner Reihe um Erik Winter dem deutschen (Lese-) Publikum bekannt. Samuraisommer ist sein erstes Kinderbuch. Er lebt in Göteborg.

Zur Übersetzerin: Angelika Kutsch, geboren 1941, arbeitete als Lektorin in einem Kinder- und Jugendbuchverlag. Heute übersetzt sie aus den skandinavischen Sprachen, schreibt sel-ber auch Kinde- und Jugendbücher. Ihre Übersetzungen wurden u.a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 16 von 31 (Jana Mikota)

Jugendbuch

Frank Cottrell Boyce, Meisterwerk. Aus dem Englischen von Salah Naoura, Carl-sen 2006 (14,90 • ab 11 Jahren)

Handlungsort der Geschichte ist die walisische Kleinstadt Manod, in der das Leben grau erscheint und es fast immer regnet. Niemand scheint den kleinen Ort zu kennen, denn es gibt nicht einmal ein Straßenschild, das auf den Ort verweist. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht von Dylan, dessen Vater eine Autowerkstatt mit Tankstelle besitzt und er das mitunter eintönige Leben kommentiert. Kinder zum Spielen sind fast keine mehr da, denn die meisten

Familien verlassen Manod. Dylan beschreibt die leicht skurrilen Gestalten des Dorfes: Da ist zunächst Tom, der doofe Tom, der die Tankstelle überfallen hat, doch Dylans Vater bietet ihm an, bei ihnen zu arbeiten. Tom ist verrückt nach Ninja Turtles. Da sind dann auch die Sellwod-Schwestern, von denen die eine, Miss Elsa, zwar fahren, aber nicht sehen, die ande-re, Miss Edna, zwar sehen, aber nicht fahren kann. Daher fährt Miss Elsa und Miss Edna steuert.

Doch eines Tages geschieht etwas Außergewöhnliches. Lastwagen rollen durch den Ort und scheinen etwas in das stillgelegte Bergwerk zu bringen. Es handelt sich um zahlreiche Ge-mälde der Nationalgalerie, die in dem Bergwerk der Kleinstadt ausgelagert werden sollen. Die Kunst verändert das Leben der Anwohner wie von Zauberhand. Dass Schulkinder ein romantisches Ortseingangsschild malen oder in der Tankstelle ‚Picasso-Pie‘ verkauft wird, das sind nur einige der erstaunlichen, fast komischen Veränderungen; Manod wird zum Inbegriff des Lebens der Kunst und des Lebens mit Kunst. Schließlich planen die Kinder Minni und Dylan ein Verbrechen, das den Spannungsbogen des rasanten Romans ins Unermessliche ausdehnt. Boyce erzählt höchst poetisch und lasziv, wenn er kunsthistorische Elemente ver-knüpft mit alltäglichen Familienszenen.

Das Meistwerk ist ein etwas anderer Roman: er ruft danach, entdeckt zu werden! Und dies nicht zuletzt aufgrund seines historischen Kerns, denn die Evakuierung der Gemälde in die Manod-Mine vollzog sich tatsächlich während des zweiten Weltkrieges. Lesenswert!

Zum Autor: 1961 in Liverpool geboren, war zunächst Literaturkritiker. Bereits sein Erstlings-werk Millionen wurde mit Preisen überhäuft. Er lebt mit seiner Frau und sieben Kindern in Liverpool.

Zum Übersetzer: Salah Naoura, geboren 1964 in Berlin, studierte Germanistik und Skandi-navistik in Berlin und Stockholm. Seit 1995 arbeitet er als Autor und freier Übersetzer. 1992 erhielt den Deutschen Jugendliteraturpreis.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 17 von 31 (Jana Mikota)

David Klass, Wenn er kommt, dann laufen wir. Aus dem Englischen von Alexandra Ernst. Arena (13,95 • ab 13 Jahren)

Der Roman setzt idyllisch ein. Es sind die letzten Tage der Sommerferien, Jugendliche verbringen ihre Abend am Strand, feiern Parties und genießen ihre Freiheit. Unter ihnen ist auch der Ich-Erzähler Jeff, dessen Leben sich in den nächsten Monaten ändern wird. Bereits der Beginn des beeindruckenden Romans offenbart eine solche Wendung, wenn Jeff seiner Freundin Beth die familiären Veränderungen mitteilen muss. Jeff hat einen älteren Bruder, Troy,

der einen Nachbarn erschlagen hat und seitdem lebenslänglich im Gefängnis sitzt. Nach der Tat ist seine Familie weggezogen, Jeff hat den Kontakt abgebrochen und sich ein neues, friedliches und glückliches Leben in Pineville geschaffen. Dass er noch einen Bruder hat, konnte er bislang verschweigen. Wegen Verfahrungsfehler kommt Troy plötzlich frei und soll wieder in die Familie integriert werden. Jeff sieht sein Leben in der Kleinstadt gefährdet, Freundschaft gehen dann nach der Rückkehr Troys tatsächlich zu Bruch. Es kommt zu der großen Katastrophe, aber zu keinem wirklichen Ende. Ein spannender Krimi, der die Doppel-moral einer Kleinstadt aufzeigt.

Die Konstellation, die David Klass entwirft, ist spannend: Eine heile Familie erwartet den gar nicht verlorenen, vermissten Sohn, den älteren Bruder des Ich-Erzählers Jeff zurück. Und was tut die Familie? Sie nimmt ihn auf, wie wenn er nie weg gewesen wäre, auf einmal sind alle Fotos wieder in den Fotoalben, aus denen sie zuvor entfernt worden waren, das Alltags-leben wird nicht verändert. Jeff hat jedoch Angst, vor dem Bruder, der schließlich Mörder ist, davor, dass die Nachbarn, Mitschüler, Freunde erfahren könnten, was für einen Bruder er hat. Aber keiner spricht mit diesem Troy, nicht die Eltern, nicht der jüngere Jeff. So ist es kein Zufall, dass in Jeffs Schule ein Mitschüler einem anderen einen Streich spielt, der zum Ausschluss beider führt, ein ernsthaftes Gespräch darüber aber nirgends geführt wird. Die Lehrer und Trainer sind wütend, halten Standpauken, die Jungs sind betroffen – aber keine wirkliche Auseinandersetzung findet statt. Ein Mitschüler verschwindet, Troy wird sofort ver-dächtigt, zumindest daran beteiligt zu sein; besonders sein „kleiner” Bruder hat den Ver-dacht, kann ihn aber nicht begründen. Die Kleinstadtidylle bricht darüber zusammen. Der Autor zeigt, wie brüchig die Moralfassade der Protagonisten ist.

Im Original heißt der Roman Dark Angel und der Titel fängt die Stimmung des Romans bes-ser ein als der deutsche, der an ein Kinderspiel erinnert. Auch für Erwachsene stellt der Ro-man einen guten Krimi dar, der Leser folgt gebannt dem Ich-Erzähler, der dem Täter nur deshalb auf den Fersen bleibt, weil er ihm nicht nur familiär, sondern auch geistig verwandt ist. So kann er schließlich den Fall klären, ohne aber eine Katastrophe verhindern zu können.

Zum Autor: David Klass, lebt als Buch- und Drehbuchautor in New York.

Zur Übersetzerin: Alexandra Ernst, 1965 geboren, studierte Literaturwissenschaft. Seit 2000 übersetzt sie historische Romane, Fantasy und Jugendliteratur aus dem Englischen. 2005 wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 18 von 31 (Jana Mikota)

Do van Ranst, Wir retten Leben, sagt mein Vater. Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann. Carlsen (12,00 – ab 13 Jahren)

Die 15-jährige namenlose Ich-Erzählerin verbringt ihre Ferien mit ihrer trostlosen Familie in ihrem ebenfalls trostlosen Elternhaus, das in einer menschenleeren Landschaft steht. Sie berichtet von ihrer lesbischen Freundin Sue, von Zack, der nicht der erste ist, der mit dem Auto in ihr Haus fährt, und von ihren Großeltern, die früher bessere Zeiten erlebt haben.

Der Autor stattet sein Buch minimalistisch aus: Es gibt eine sehr beschränkte Anzahl von Protagonisten, Schauplätzen und Ereignissen. Man könnte fast sagen, dass es sich eben um ein einfaches Buch handelt, das auch für wenig erfahrene jugendliche Leser geeignet ist, wenn da nicht die Fantasien der Ich-Erzählerin wären. Sie sind übergangslos in den Text eingefügt und berichten von ihrer Sehnsucht nach einem anderen Leben: Nach einen beruflich erfolgreichen Vater, der nicht den Tag vor dem Fernseher verbringt, nach einem ebenso erfolgreichen Freund, nach einem Leben unter Menschen. Lesetechnisch sind diese Sequenzen nur schwer zu erkennen.

Die Kulisse, in der Do van Ransts Geschichte spielt, ist schwer einzuordnen. Schlüsselele-ment ist eine nie fertig gestellte, ungesicherte Autobrücke über einen Fluss. Sie und die Straße, die zu ihr hin führt, spielen in der Familiengeschichte der Ich-Erzählerin eine wichtige Rolle. Eine solche Situation kann man sich in Mitteleuropa kaum vorstellen, doch gibt es au-ßer den Namen der Akteure kaum Hinweise, die den Schauplatz des Geschehens etwa in Amerika ansiedeln würden. Dies erschwert den kritischen Umgang mit der Erzählung durch das jugendliche Publikum.

Die Darstellung der zwischenmenschlichen Beziehungen fällt so knapp aus wie selbige sind. Einzig die Beziehung der Erzählerin zu ihrer Freundin Sue wird ausführlich bearbeitet. Sue ist lesbisch und fordert von ihrer Freundin körperliche Zärtlichkeiten ein, die diese immer weni-ger zu geben bereit ist. Doch die beiden sprechen sich aus und sehen wieder einen Hoff-nungsschimmer für ihre verfahrene Situation.

„Wir retten Leben, sagt mein Vater” ist ein düsteres Buch mit einer einfach strukturierten Handlung.

Zum Autor: Do van Ranst, 1974 in Dendermonde/Belgien geboren, schreibt Kinder- und Jugendbücher.

Zur Übersetzerin: Andrea Kluitmann, 1966 geboren, arbeitet seit 1992 als Fach- und Litera-turübersetzerin, gibt Workshops und hält Lesungen. Sie lebt und arbeitet in Amsterdam.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 19 von 31 (Jana Mikota)

Faïze Guène, Paradiesische Aussichten. Aus dem Französischen von Anja Natte-fort. Carlsen (12,00 • ab 14 Jahren)

Doria ist fünfzehn, ihre marokkanischen Eltern haben sich getrennt und Mutter und Tochter hausen ärmlich in einer Pariser Vorstadt. Ihr Leben scheint im Umbruch: Erste Menstruation, psychotherapeutische Hilfe wegen „Verschlossenheit”, Schulwechsel nach „Sitzenbleiben”, erste Versuche in Sachen Liebe, all das verunsichert sie und lähmt ihre Energie. Doch als ihre Mutter die Alphabetisierung schafft und ein Kumpel den Drogen abschwört,

ergreift auch Doria wieder die Initiative.

Fast einhundertfünfzig Seiten Kichern, Prusten und mit nassen Augen Lachen - wo hat man das schon? Hier kommt man gar nicht darum herum, so originell, abgrundtief witzig und sich und andere schonungslos entlarvend ist dieses Buch geschrieben. Doch das Leben von Doria ist nicht lustig, nicht leicht und hat am wenigsten „paradiesische Aussichten”. Sie wohnt in der Cité du Paradis und beschreibt in ihrer leicht rotzigen Sprache, wie sie die Welt von dort aus sieht.

Doria berichtet zahllose kleine, scheinbar unzusammenhängende Details aus ihrem Alltag, wie die Pixel eines Bildes fügt sich daraus ein Bild, das bei kritischer Betrachtung eigentlich aus Grautönen bestehen müsste, aber ganz bunt erscheint. Selten scheint sie sich im Hier und Jetzt aufzuhalten, es gibt fast nur Rückblicke, selbst wenn die Erzählzeit das Präsens ist. Manchmal versucht Doria einen kurzen, aber resignierten Blick in eine unwahrscheinliche Zukunft, doch meistens enden ihre Szenen „... gar nicht wie im Film. Aber wie im richtigen Leben.“ Selten fällt ihr auf, dass alle Anderen etwas machen, Dinge bewegen, während sie selbst sich nur treiben lässt und „gelebt wird”. Wenn es zu arg kommt, erinnert Doria sich an eigentlich längst überwundene Denkweisen ihres Herkunftslandes Marokko: Fatalismus, Aus-geliefertsein an himmlische und höllische Mächte, es ist, „... als würde Allah auf uns spu-cken.“ Zwar hält sie das Fasten im Ramadan ein, doch sonst scheint ihre islamische Verwur-zelung mehr im Aberglauben als im Glauben zu bestehen.

Und doch spielt dieser Glaube eine Rolle, beeinflusst er ihr Leben, auch wenn sie sich wei-gert, all zu viele Regeln zu befolgen. Sie kennt viele Familien, in denen man zu islamistischer Strenggläubigkeit zurückgekehrt ist und Träume dadurch gestorben sind. Und wenn es stimmt, was sie sagt, dass nämlich „das Fernsehen der Koran der Armen” ist, dann ist sie recht gläubig – sie kennt unendlich viele Serien und vergleicht ihr eigenes Leben ständig mit dem der Flimmerhelden. Und auch wenn sie gerne über die „Bleichgesichter” lästert – ihre Idole kommen alle aus Europa oder USA. Während Dorias Leben in dem Jahr der Erzählung durch Schulwechsel, Armut und nicht vorhandene Beziehungen anscheinend einem Tiefpunkt zustrebt, erlebt ihre direkte Umgebung einen Aufschwung durch eigenes Handeln, was sie auf die Idee bringt, es ihnen doch gleich zu tun: „Es fühlt sich so ähnlich an wie das erste Mal Fahrrad fahren”. Und es klappt. Am Ende träumt Doria von einer selbst inszenierten in-telligenten, gewaltlosen Umwälzung, „in der die Leute nur aufbegehren, weil sie wahrge-nommen werden wollen, und zwar alle“. Bei der sprachlichen Eloquenz ihrer Erzählung könn-te sie das sogar schaffen.

Zur Autorin: Faiza Guène, in Frankreich geboren, Tochter einer algerischen Einwandererfa-milie. Paradiesische Aussichten ist ihr erster Roman.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 20 von 31 (Jana Mikota)

Zur Übersetzerin: Anja Nattefort, 1968 geboren, arbeitet seit 1996 als freie Lektorin und Übersetzerin französischer und italienischer Literatur. Mit Paradiesische Aussichten hat sie ihr erstes Jugendbuch veröffentlicht.

Siobhan Dowd, Ein reiner Schrei. Aus dem Englischen von Salah Naoura. Carlsen (15,00 • ab 14 Jahren)

Seit dem Tod der Mutter muss die 14-jährige Michelle Talent allein mit allen Problemen fertig werden: Sorge um die beiden jüngeren Geschwister, unge-wollte Schwangerschaft und der Geburt. Der Vater will sein Leben Gott widmen.

Der frühe Tod der Mutter verändert das Leben der Familie Talent. Der Vater wird streng gläubig, gibt seinen Job auf, um in der größeren Stadt Geld für

gute Zwecke zu sammeln, vertrinkt aber einen Großteil davon. Er herrscht zunächst mit ar-chaischer Strenge über seine Kinder, lässt sie Steine vom Acker sammeln, verdammt den Fernseher als Teufelszeug, verschwindet dann aber immer häufiger zu Sauftouren und über-lässt seiner 14-jährigen Tochter die Sorge für den Haushalt und die beiden Geschwister im Grundschulalter. Michelle, genannt Shell, sucht Trost und Halt in der Kirche, kann aber nicht mehr glauben. „Vor Shells geistigem Auge stieg Jesus vom Kreuz und ging in die nächste Bar und verschwand ganz und gar aus Shells Leben.” Das ändert sich, als ein neuer junger Pater auch von Gottes Liebe predigt und verständnisvoll mit ihr spricht. Sie ist sicher, dass „Jesus Christus in Gestalt von Pater Rose auf die Erde zurückgekehrt [war].“ Der Pater spürt die Not des Mädchens und will das Sozialamt einschalten; doch man gibt ihm zu verstehen, dass so etwas auf dem Lande nicht nötig sei, dass sein Bemühen um Michelle als unschicklich emp-funden werde. In dem Ort kümmert sich aber niemand um die sich selbst überlassenen, die Schule schwänzenden drei Kinder. Keiner scheint zu sehen, dass Shell nach einer kurzen Affäre mit Declan Ronan schwanger ist. Alle versagen oder schließen die Augen vor dem Leid: Kirche, Schule, Vater, Nachbarn. Die einzige Freundin der Mutter ist krank; der Pater in einer Glaubenskrise. Shell ist allein. Als die Wehen beginnen, sind die einzigen Helfer ein Körperbuch und die Geschwister, der kleine Bruder hatte schon einmal bei der Geburt eines Kalbes zugesehen. Das Verhalten einiger Mitmenschen ändert sich erst, als Shell angeklagt wird, das Baby umgebracht zu haben. Ihr Vater nimmt die Schuld auf sich, Pater Rose tritt dem verbohrten Kriminalkommissar beherzt entgegen und hilft bei der Aufklärung.

Die Geschichte spielt in Südirland um 1984/85. die erzählte Zeit umfasst ein Jahr. Die drei Teile des Buches weisen auf die Jahreszeiten hin: Frühling, Herbst, Winter. Der Sommer ist ausgespart, die Zeit der sexuellen Begegnung mit Declan Ronan. Diese Phase ist letztlich für Shell und ihre Entwicklung nicht von Bedeutung; nur auf zwei Seiten wird ihre Spielerei im Kornfeld, die eher wie eine Balgerei wirkt, beschrieben. Größeren Raum nimmt dagegen die Darstellung des Geburtsvorgangs ein, detailliert und von schonungsloser Genauigkeit werden Schmerzen und hilflose Aktionen der Geschwister beschrieben. Deshalb ist die Frage nach dem Lesealter gut zu überlegen und von der individuellen Reife des Lesers abhängig zu ma-chen.

Die 15- bis 16-jährige Hauptperson, aus deren Perspektive der Roman erzählt wird, weiß über sich und ihren Körper weniger, als man bei einem jungen Mädchen im Jahre 1984 ver-

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 21 von 31 (Jana Mikota)

muten könnte. Sie wirkt zuweilen weltfern und naiv, dabei ist sie phantasievoll und umsichtig in Bezug auf ihren Vater und die Geschwister. Die verstorbene Mutter vermisst sie schmerz-lich, von deren Religiosität sie stark geprägt ist.

Das Auffallende an dem Buch ist die sprachliche Gestaltung, das Überwiegen von überra-schenden Bildern, Metaphern und Vergleichen aus dem religiösen Bereich, neben sehr poeti-schen Wendungen und Zitaten aus Ulysses von J. Joyce. Damit wird auf eine allgemeingülti-ge Dimension des geschilderten Einzelschicksals hingewiesen. Das Buch endet positiv, schil-dert jugendliche Lust am Leben, macht Mut. Insgesamt handelt es sich um ein spannendes Buch, vor allem mit dem dritten Teil, dem Kriminalfall. Es rührt an und stimmt nachdenklich. Es fordert einen reiferen Leser, würde sich gut eignen für einen fächerübergreifenden Unter-richt in der Schule, angesprochen sind die Bereiche Religion, Biologie, Deutsch.

Zur Autorin: Siobhan Dowd, stammt aus Irland und verbrachte dort auch einen Teil ihrer Kindheit. Sie arbeitet als Redakteurin bei PEN International und als freischaffende Autorin.

Zum Übersetzer: Salah Naoura, geboren 1964 in Berlin, studierte Germanistik und Skandi-navistik in Berlin und Stockholm. Seit 1995 arbeitet er als Autor und freier Übersetzer. 1992 erhielt den Deutschen Jugendliteraturpreis.

Marjaleena Lembcke, Liebeslinien. Nagel & Kimche (14,90 • ab 15 Jahren)

Die 17-jährige Aulikki versteht weder ihre Eltern noch ihre Umwelt. Sie zieht nach Helsinki, um das Abitur nachzumachen, und trifft dort Männer und Frauen, die sich mit ihr anfreunden wollen. Sie erlebt Sex, doch Liebe spürt sie nie, nicht einmal verliebt fühlt sie sich. Dann lernt sie den Fotografen Sauli kennen. Zum ersten Mal hat sie selbst Gefühle, doch Sauli will sich nicht festlegen. Aulikki versucht sich umzubringen, doch sie wird gerettet. Findet sie

jetzt eine Lebensbasis? Ein seltsames Mädchen, diese Aulikki. Sie geht durchs Leben wie durch ein Naturkundemuseum, betrachtet die Ausstellungsstücke und speichert ihre Eindru-cke. Sie sagt selbst, dass sie zwar die Bilder aufnimmt, aber nicht einmal „entwickelt“, alles bleibt unsortiert, unkommentiert, ohne Bezug zu ihr selbst. Sie erlebt, wie Andere Gefühle haben, sie ausleben und wieder verlieren, regungslos nimmt Aulikki das wahr, bleibt aber ungerührt. Viele Menschen versuchen sie zu Gefühlen zu bewegen, doch diese Sprache spricht sie nicht. Sprache ist sowieso nicht so ihre Sache, ihr kommen Gespräche hohl und sinnentleert vor. Sie kennt ehrliche und offene Worte auch nicht von zu Hause.

Das Elternhaus, aus dem sie stammt, ist eine Sache für sich: Die Mutter dominierte stark, fiel vor allem durch lautes und deutliches Sprechen auf, machte den Rest der Familie eher mundtot. Dann erkrankte sie an Brustkrebs, konzentrierte sich nur noch auf sich und ihre Krankheit, bis sie starb. Der Vater heiratete die jüngere Schwester, genauso hilflos wie er selbst, auch unfähig zu echtem Kontakt. Kein Wunder, dass Aulikki hier keine Beziehungen erlebt und auch selbst nicht aufbauen kann. Doch auch die Großstadt Helsinki schafft: keine Veränderung. Es bleibt beim „Schaufenster“-Effekt, das Leben spielt sich wie hinter Glas ab. Und ob die „Anderen“ wirklich mehr „leben“, bleibt eine offene Frage.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 22 von 31 (Jana Mikota)

Das erste Lesen der Geschichte erschüttert. Wie kann ein Mensch so leben, sich so fühlen bzw. eben nicht „fühlen“? Von Seite zu Seite aber dämmert es mehr: Hat man sich nicht in diesem Alter oft genau so fremd gefühlt? So isoliert, so gefühlsunsicher, so „im luftleeren Raum“? Wie oft entstand die Frage: Wie können alle Anderen so sicher über ihren Platz und ihre Rolle sein? Und diese Frage bewegt viele junge Leute an dieser Schwelle des Erwach-senwerdens. Und gerade die sensiblen, emotionalen Menschen stellen sich Fragen dieser Art am ehesten, fühlen sich sm unsichersten und wirken deshalb gerne besonders unterkühlt.

Der Mentalität Aulikkis entsprechend ist die Sprache dieses Buches gewählt. Lakonisch, kurz angebunden, oft an zerfallende Puzzles erinnernd purzeln Worte und Sätze. Scheinbar fehlt die große Urne, die Obersicht, die logische Abfolge, aber nur scheinbar. So punktuell, assozi-ativ, sprunghaft gehen Gedanken ihre Wege, meist drückt erst der/die Schreibende dem Chaos eine künstliche Ordnung auf. Nicht so hier. Marjaleena Lembcke, immer schon be-kannt für Reduktion unter Emotion, lässt Masken des Wohlverhaltens, der Anpassung an das Gesellschaftlich-Akzeptierte einfach fallen. Sie nennt Dinge beim Namen, ist gleichzeitig schonungslos offen in der Schilderung äußerer Erfahrungen und zeigt genau so klar Unsi-cherheit, Verschüchterung und Ängste.

Die Grundstimmung des Buches findet sich perfekt übersetzt im Cover: Melancholie, ja De-pression in schwarz-weißer Zeichnung, sepiafarben, abgetönt durch den historischen Ab-stand zu den 60er Jahren das letzten Jahrhunderts, darüber die klaren finnischen Farben Blau und Weiß, die so gar nicht zum Grundgefühl der Firmen passen wollen.

Ein kurzer Roman über eine gar nicht lineare Liebe, anspruchsvoll und fordernd, aber jede Mühe wert, und trotz der depressiven Grundstimmung nie ohne Hoffnung auf ein gutes En-de, im Buch wie im Leben. Schön!

Zur Autorin: Marjaleena Lembcke, geboren 1945 i Kokkola/Finnland, studierte Theaterwis-senschaften in Finnland und übersiedelte 1967 nach Deutschland. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Greven/Westfalen.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 23 von 31 (Jana Mikota)

Sachbuch

Claire d’Harcourt, Was macht der Bär im Museum? Tiere in der Kunst. Aus dem Französischen von Eva Plorin. Knesebeck (24,95 • ab 5 Jahren)

„Bevor es den Menschen gab, bevölkerten allein die Tiere die Erde. Schon die Höhlenmalereien der Steinzeit zeigen Tiere, und bis heute sind diese in der Kunst ebenso verbreitet wie in der Natur selbst.“, heißt es zu Beginn des ungewöhnlichen Sachbuchs Was macht der Bär im Museum. Claire d`Harcourt, die in Museen auf der ganzen Welt nach Tieren gesucht hat, entwirft mit 37 verschiedenen Tieren einen imposanten Park: Den Lesern

begegnen hier neben dem Bären auch Tiere wie das Pferd, die Katze oder der Löwe, aber Insekten, Fische oder Vögel sind vertreten. Die Reise führt in die Geschichte der (Tier-)Malerei ein, neben Gemälden werden Skulpturen, Masken oder Teppiche ausgestellt. Der großformatige Band beeindruckt durch die wunderbaren Bilder und allein schon die unter-schiedlichen Möglichkeiten der Künstler – etwa Picassos Katze mit Vogel (1939) neben der Göttin Bastet, einer ägyptischen Bronzestatue aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. – erfreuen den Betrachter. Kurze Texte im Anhang ergänzen die Bilder und nennen die Orte, an denen sie zu finden sind.

Der Bildband ist sowohl für den kindlichen und erwachsenen Rezipienten geeignet und lädt zu einem Spaziergang durch die Tier- und Kunstwelt ein.

Zur Autorin: Claire d’Harcourt, 1962 geboren, arbeitet als freie Autorin und Publizistin. In ihrem eigenen Verlag Le Funable verlegt sie Kunstbücher für Kinder.

Zur Übersetzerin: Eva Plorin, arbeitet seit 1997 als freie Übersetzerin von Büchern zu den Themen Kunst, Kultur, ferne Länder und Lebensart.

Nielsen, Maja & Jochen Hemmleb, Mount Everest. Gerstenberg (12,90 • ab 9 Jahren)

Als die beiden englischen Bergsteiger George Mallory und Andrew Irvine den letzten verzweifelten Versuch unternehmen, als Erste den höchsten Berg zu besteigen, ist es der 8. Juni 1924. Aber die beiden kommen dabei um. Mehr als 70 Jahre bleibt ihr spurloses Verschwinden das große Rätsel des Riesen. Was geschah mit den beiden? Hatten sie es wirklich geschafft und sind sie die wahren Erstbesteiger? Diesen Fragen geht die Autorin Maja Nielsen nach und

entdeckt ganz erstaunliche Dinge.

Ein schönes Sachbuch, das auf dem ersten Blick gar nicht so aussieht. Mit dem geheimnis-umwobenen Titel Mount Everest – Spurensuche in eisigen Höhen wird bei dem Leser Neugier und Spannung geweckt. Passend für Jugendliche wird das Lesen zum Wissensabenteuer. Reich und bunt bebildert lockert es die Sachinformationen auf und lässt keine Langeweile aufkommen. Fachbegriffe werden in einem kleinen Wissenskasten extra erklärt und sind da-mit leicht auffindbar. So spannend kann Entdeckungsgeschichte sein!

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 24 von 31 (Jana Mikota)

Die Autorin Maja Nielsen hat gut recherchiert und mit fachlicher Unterstützung von Jochen Hemmleb, der selbst begeisterter Bergsteiger ist, dieses Buch für jugendliche Leser ge-schrieben. Sie verstehen es, einen höchst lebendigen Bogen zur modernen Gegenwart zu spannen. Dieses Buch ist nicht nur eine sachliche Beschreibung des geheimnisvollen Berges, sondern auch ein spannungsgeladenes Rätsel. Tolles Sachbuch, das zeigt, dass Wissenschaft immer wieder neu entdeckt werden kann.

Zur Autorin: Maja Nielsen, 1964 geboren, arbeitet seit 1998 als Autorin für den Hörfunk und veröffentlicht Kinderbücher.

Zum Autor: Jochen Hemmleb, 1971 geboren, begann schon sehr früh mit dem Bergsteigen. Er ist als freier Autor und Fachberater im Bereich Alpinhistorik tätig. Er lebt in Bozen/Italien.

Sigrid Laube, Wolfgang Amadé Mozart, Ein ganzes normales Wunderkind. Illus-triert von Nadia Budde, Konzeption und Grafik von Barbara Mungenast. Holzhau-sen (19,00 • ab 9 Jahren)

Mal grinsendes Krokodil, mal der Kopf des weltbekannten Komponisten – das Vexier-Hologramm des Covers deutet bereits auf Außergewöhnliches hin in diesem Sachbuch zu Mozarts 250. Geburtstag. Schlägt man den kompakten roten Band auf, gerät man sogleich auf die verschlungen-verspielten Wege, die man durch das Buch beschreiten kann. Dem Wunderkind Wolfgang werden heutige Kinderstars gegenübergestellt: die Epoche des Rokokos wird

kinderleicht und mit vielen Details erläutert. Höchst anschaulich und amüsant erfährt man wie damals gereist, gespielt, gespeist, gereinigt, geheilt, gekleidet und regiert wurde. Und bevor Ermüdung über so viel Rokoko eintritt, werden gekonnt kreative Aufgaben zum Selbsterproben angeboten und eingesetzt: ein Quartett, ein Würfelspiel, ein Schattentheater sowie zahlreiche Bastel- und Experimentieranleitungen. Die üppige Ausstattung wird durch freche Zeichnungen von Nadia Budde sowie durch hochwertig reproduzierte zeitgenössische Gemälde ergänzt. Ein Lese- und Beschäftigungsvergnügen mit schmackhaftem österreichi-schem Kolorit. (zitiert aus: Deutscher Jugendliteraturpreis, Die Nominierungen, S. 47)

Zur Grafikerin: Barbara Mungenast lebt und arbeitet als Grafikerin in Wien.

Zur Autorin: Sigrid Laube, 1953 geboren, arbeitet als Autorin und Übersetzerin.

Zur Illustratorin: Nadia Budde, studierte an der Kunsthochschule in Berlin Weissensee. 2000 wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 25 von 31 (Jana Mikota)

Chava Pressburger (Hg.), Petr Ginz. Prager Tagebuch 1941–1942. Aus dem Tschechischen von Eva Profousová. Berlin Verlag (19,90 • ab 12 Jahren)

Prag 1941: Ein Junge hält in seinem Tagebuch fest, wie nach und nach seine Familie deportiert wird. Petr Ginz heißt der Verfasser des Tagebuchs, ist Sohn eines jüdischen Vaters und einer tschechischen Mutter, muss den ‚Judenstern’ tragen und wird mit 14 Jahren nach Theresienstadt deportiert. Ende 1944 wird er in Auschwitz ermordet.

Petr hat akribisch die Tagesabläufe vor seiner eigenen Deportation nach Theresienstadt aufgezeichnet. Die Passagen des Tagebuchs sind ein naiv geschriebenes und nun zu lesendes Dokument von unerhörter Ausstrahlungskraft. Die Authentizität wird mit einer geradezu poetischen Würze verbunden, der man sich nicht zu entziehen vermag. Dazu sind dem Tagebuch Zeichnungen, Malereien, Linolschnitte beigefügt, die Petr in Theresien-stadt anfertigte, sowie Ausschnitte aus literarischen Texten, die erhalten sind und jetzt in Yad Vashem in Jerusalem zu besichtigen sind, einschließlich seiner journalistischen Arbeiten, die er selbst noch in der Wochenzeitschrift Vedem im KZ herausgab. Ein erschütterndes Zeugnis des Barbarischen des Holocaust und zugleich der unzerstörbaren Menschenwürde.

Die Geschichte der Entdeckung der Tagebuchseiten liest sich fast spektakulär. Als die Raum-fähre Columbia 2003 verglüht, erfährt die Welt, dass der israelische Astronaut Ilan Ramon als Symbol der Shoa eine Zeichnung von Peter Ginz ins All mitgenommen hatte. Kurz nach dem Absturz erhält Chava Pressburger, Petrs Schwester, einen Anruf aus Prag und erfährt von dem wiederentdeckten Tagebuch Petrs. Sie gibt das Tagebuch heraus, ergänzt durch Fotos, Bilder und weitere Texte. Der Band bedeutet ein unwiederbringliches Zeugnis jüdi-scher Kindheit.

Zur Herausgeberin: Chava Presburger, 1930 als die jüngere Schwester von Petr Ginz gebo-ren. Mit 14 Jahren wurde sie nach Theresienstadt deportiert, wo sie die Shoa überlebte. Seit 1948 lebt sie als Malerin in Israel.

Zur Übersetzerin: Eva Profousová, 1963 in Prag geboren, studierte Literaturwissenschaft in Hamburg und Glasgow. Seit 2002 ist sie freiberufliche Literaturübersetzerin und Publizistin.

Henning Boëtius, Geschichte der Elektrizität. Beltz (19,90 • ab 14 Jahren)

Die Geschichte der Elektrizität beginnt mit der Beobachtung der ersten elektrischen Phänomene wie Blitz und führt bis in die heutige Zeit, aus der die Elektrizität nicht mehr wegzudenken ist. Henning Boëtius beschreibt Forschungen und Erfindungen von Forschern und Laien, die der Elektrizität den Weg bis zu ihrer heutigen Bedeutung geebnet haben.

Es ist schwer zu sagen, ob es sich bei dem Buch Geschichte der Elektrizität um ein Geschichtsbuch, ein Geschichtenbuch, ein Physikbuch oder ein Psychologiebuch über Elektrizität handelt oder einfach eine gelungene Mischung aus allem. Mit fundierter Sach-kenntnis in all diesen Bereichen widmet sich Henning Boëtius dem Phänomen Elektrizität. Sein ganzheitlicher Blick, mit dem er die Erklärungsmodelle der Menschen in ihrer Zeit dar-stellt, hebt dieses Buch von anderen Sachbüchern heraus.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 26 von 31 (Jana Mikota)

Durch seinen Blick bewahrt er eine wohltuende Distanz zu Wissenschaftsgläubigkeit und Wissenschaftsverteufelung. Im Mittelpunkt seiner Geschichte der Elektrizität steht der Mensch und seine Reaktionen auf die Erkenntnisse über die Elektrizität. Daran orientiert sich Boëtius auch mit dem Maß, wie viel Physik er erklären muss. Je weiter er zeitlich fortschrei-tet, desto mehr muss er allerdings physikalische Zusammenhänge erklären. Die Erklärungen sind bei entsprechender Vorbildung und Interesse verständlich. Das Buch enthält viele Abbil-dungen, um historische Versuche in ihrem Umfeld zu zeigen oder einfach auch um physikali-sche Zusammenhänge leichter verständlich zu machen. Auch differenziert Boëtius durch den Einschub von Exkursen (Was ist ein Schwingkreis?), was er dem Leser an Physik nahebrin-gen will.

Hier stellt sich die Frage: An wen richtet sich ein solch breit angelegtes Buch? Auf jeden Fall sollten Physiklehrer es zur Unterrichtsvorbereitung benutzen. So mancher Physikunterricht würde dadurch für mehr Schüler und besonders auch Schülerinnen erst interessant. Das Buch bleibt auch spannend und eindrucksvoll, wenn man es je nach Interessenschwerpunkt nicht ganz liest. Es lässt sich deshalb mehrfach lesen und man wird je nach Hintergrundwis-sen und Interesse immer mehr verstehen. Für Referate ist es gut zu nutzen, da es auch ein differenziertes Register enthält.

Zum Autor: Henning Boëtius, geboren 1939, ist promovierter Germanist und Physiker. Er lebt als freier Schriftsteller in Berlin.

Brian Fies, Mutter hat Krebs. Aus dem Englischen von Wolfgang J. Fuchs. Knese-beck (14,95 • ab 15 Jahren)

Ursprünglich wurde der Comic anonym im Internet veröffentlicht als „eine Art Untergrund-Journalismus“, als „Depeschen von der Front einer Schlacht, in die meine Familie unvorbereitet hinein-geraten war“, so in dem Vorwort Mutter hat Krebs. Aus der sehr persönlichen Perspektive berichtet ein Sohn über die Krebser-krankung seiner Mutter. Aufgebaut ist der Comic als eine Art

Tagebuch: Der Leser kann die ersten Beschwerden, die Diagnose, die Behandlung und schließlich auch die Folgen der Therapie mitverfolgen. Ungeschont werden die Krankheitsver-läufe und die Konsequenzen auf das Familienleben erzählt. Die Streitigkeiten der Geschwister werden ebenso dokumentiert wie auch die Angst, die Mutter zu verlieren. Die Bilder sind in klaren, reduzierten Stichen gezeichnet, sie sind in der Regel schwarz-weiß, mitunter mischt sich Sepia in die Schwarz-Weiß-Zeichnungen, nur ganz wenige sind gänzlich in Farbe gehal-ten. Erst im Epilog wählt der Autor farbige, hoffnungsvolle Bilder.

Obwohl eigentlich die Verbindung Mutter-Krebs-Comic beim ersten Nachdenken widersprüch-lich zu schein scheint, nähert sich Brian Fies dem Thema einer krebskranken Mutter und ih-rer Familie sehr empathisch und ehrlich, ohne jedoch moralisierend zu wirken oder bestimm-te Gefühle zu verstecken. Es ist ein direktes Erzählen, das wahrscheinlich nur im Comic mög-lich ist. Auch wenn der Comic für Jugendlich gedacht ist, ist es auch für Erwachsene lesens-wert.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 27 von 31 (Jana Mikota)

Zum Autor: Brian Fies ist Cartoonist. Mutter hat Kreis wurde zuerst als Webcomic veröffent-licht. 2005 gewann er damit den Eisner Award, den Oscar der Comicindustrie. Er lebt in Kali-fornien.

Zum Übersetzer: Wolfgang J. Fuchs ist Übersetzer, Sachbuchautor und freier Journalist.

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 28 von 31 (Jana Mikota)

Jugendjury

Anthony Horowitz, Die fünf Tore – Todeskreis. Aus dem Englischen von Simone Wiemken. Loewe (16,90 • ab 13 Jahren)

„Fünf Kinder haben die Welt gerettet. Fünf Kinder werden sie wieder retten.“ Matthew Freeman, der sich Matt nennt, ist einer von ihnen. Doch das ahnt er erst zu Beginn des spannenden Romans von Anthony Horowitz. Der 14-jährige Matt lebt bei seiner Tante und ihrem Lebensgefährten, wird von Albträumen geplagt, in denen vier Kinder, drei Jungen und ein Mädchen, ihn um Hilfe bitten. Nach und nach erfährt Matt und mit ihm der Leser, was die Kinder

möchten und was Matts Zukunft ist.

Doch zurück zu dem trostlosen Leben bei seiner Tante. Matts Eltern sind vor acht Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und Matt lebt bei seiner Tante, die ihn nicht haben möchte und das Vermögen seiner Eltern verbraucht hat. Matts einziger Freund ist Kelvin, der ihm zu einem Raub überredet. Beide werden gefasst, Matt kommt in ein neues Regierungsprogramm und soll auf dem Land, im entferntesten Yorkshire, resozialisiert wer-den. Dass jedoch etwas mit seiner neuen Pflegemutter, Mrs Deverill, nicht stimmt, erahnt Matt schon bei seinem ersten Zusammentreffen. Auf dem Hof muss er dann arbeiten und jeder, der ihm helfen möchte, stirbt unter ominösen Umständen. Erst mit Hilfe des 25-jährigen Journalisten Richard kann Matt das Geheimnis lösen und zumindest vorläufig die Welt retten.

Die fünf Tore – Todeskreis ist der Anfang der Reihe um die fünf Kinder, die die Welt retten werden. Es ist eine spannende Reihe. Der erste Band fesselt den Leser ab der ersten Seite, ein ‚Zurseitelegen’ ist kaum möglich. Anthony Horowitz gelingt es, Fantasy, uralte Mysterien und die Probleme der Gegenwart miteinander zu verknüpfen und zu einem mitreißenden Thriller zu machen. Aufgrund des schnellen Erzählens, der temporeichen Haltung verzichtet Horowitz auf lange Beschreibungen und auch die Protagonisten bleiben noch etwas blass.

Zum Autor: Anthony Horowitz, 1955 geboren. Sein erstes Buch veröffentlichte er bereits 1979.

Zur Übersetzerin: Simone Wiemken, 1963 geboren, arbeitet als freie Übersetzerin und Au-torin.

Stephanie Meyer, Bis(s) zum Morgengrauen. Aus dem Englischen von Karsten Kredel. Carlsen (19,90 • ab 13 Jahren)

Mit Romantik oder gar Leidenschaft hätte Bella ihren Umzug nach Forks, einer langweiligen, ständig verregneten Kleinstadt in Washington State, kaum in Verbindung gebracht. Bis sie den geheimnisvollen und attraktiven Edward kennen lernt. Er fasziniert sie, obwohl irgendetwas mit ihm nicht zu stimmen scheint. So gut aussehend und stark wie er kann kein gewöhnlicher Mensch sein. Aber was ist er dann?

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 29 von 31 (Jana Mikota)

Die Geschichte einer verbotenen Liebe, einer Liebe gegen alle Vernunft. Die so viele Hinder-nisse überwinden muss, dass man auf jeder Seite mitfiebert. So romantisch und spannend, dass dem Leser bei diesem wunderschön geschriebenen Buch eine Gänsehaut über den Rü-cken läuft. (zitiert nach Carlsen Verlagsseite; das Buch lag uns nicht vor)

Zur Autorin: Stephanie Meyer, 1973 geboren. Bis(s) zum Morgengrauen ist ihr Romande-büt.

Zum Übersetzer: Karsten Kredel, studierte amerikanische, deutsche und afrikanische Lite-ratur in Berlin und Cambridge/Massachussetts. Er arbeitet als Verlagslektor und Übersetzer und lebt in Frankfurt am Main.

Mal Peet, Keeper. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Carlsen (14,00 • ab 13 Jahren)

Das Buch erzählt das Leben des dreißigjährigen – fiktiven – Profifußballers El Gato auf dem Gipfel seines Ruhmes, kurz nach dem Gewinn der Weltmeister-schaft. Gegner war die deutsche Mannschaft. Sein Leben ist abseits von Glamour und Eitelkeit. Peet erzählt diese Lebensgeschichte als eine Reihe von Zweikämpfen: In der Rahmenhandlung zwischen dem Journalisten Paul, der sich die Nacht um die Ohren schlägt, um an eine zündende Exklusivstory zu

kommen, und Gato, der mit den Wundern seines Lebens ringt und nur in Buchform davon berichten will. Das Wundersame ist vor allem seine Begegnung und seine „Ausbildung” durch den „Untoten” Keeper, den Torwart einer Fußballmannschaft von 1950, die kurz vor ihrem Gewinn der Weltmeisterschaft auf mysteriöse Weise nach einem Flugzeugabsturz im Dschungel verschwand. In dessen harter Schule lernt der zunächst ungeschickte Junge Technik, Tricks und Finessen, die ihn zu der Torhüterlegende El Gato werden lassen.

Dieser Teil der Geschichte ist für Paul schwer zu schlucken – eine Art Zombiegeschichte scheint ihm mehr als unglaubwürdig und so geht es dem Leser sicher auch erst einmal. Und doch gelingt gerade dieser Teil besonders persönlich und anrührend, stellt sich die Frage nach der realen Möglichkeit gar nicht. Überhaupt taucht die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der ganzen Geschichte frühestens nach der letzten Seite auf und dann auch nur als Ausdruck der Bewunderung für die Leistung des Autors.

Innerhalb der packenden Geschichte des nächtlichen Interviews erfährt der Leser, was den perfekten Tormann (und jeden Fußballer!) ausmacht: Neben körperlicher Kondition und Ge-wandtheit vor allem das sog. Ballgefühl, das Einswerden von Geist und Körper mit dem Geg-ner und der Flugbahn des Balles und die unbändige Leidenschaft, in jeder Situation das Bes-te an Leistung zu geben. Spätestens an dieser Stelle ahnt man, woran die Leistungsklasse hiesiger Fußballer wohl am meisten krankt. Noch eindrucksvoller ist aber die kindliche Freude an erbrachten Leistungen auch des Gegners, der Spaß an gutem Fußball, auch wenn ihn die Anderen spielen. Damit erstaunt El Gato auch den Journalisten, doch wie anders wäre oft die Atmosphäre in den Stadien, wenn das Spiel nicht gleich zum tödlichen Kampf um die persön-liche Ehre ausartete. Hooligans, wenn Ihr lesen könnt, dann lest!

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 30 von 31 (Jana Mikota)

Zum Autor: Mal Peet, aufgewachsen in Norfolk/England. Keeper ist sein erster Jugendro-man.

Zum Übersetzer: Eike Schönfeld, 1949 geboren. Seit 1986 arbeitet Schönfeld als freier Übersetzer, Lektor, Autor. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg.

Valérie Zenatti, Leihst du mir deinen Blick. Eine E-Mail Freundschaft zwischen Jerusalem und Gaza. Aus dem Französischen von Bernadette Ott. Dressler (12,00 • ab 13 Jahren

Tal lebt in Jerusalem, „Gazaman“ im Gazastreifen: Zwei Jugendliche in ge-trennten Ländern. Tal hält die unzähligen Anschläge der Palästinenser auf Israel nicht mehr aus und schreibt eine Flaschenpost, die ihr im Gazastreifen stationierter Bruder ins Meer werfen soll. Sie will Kontakt zur anderen Seite aufnehmen, um diese näher kennen und verstehen zu lernen. Nach langem Warten erhält sie eine E-Mail von dem 20-jährigen Gazaman. Seinen anfangs

barschen Ton bricht Tal langsam durch hartnäckiges Schreiben und Fragen auf. Auch verliert er seine Angst, auf Hebräisch zu schreiben.

Eindrucksvoll erfährt man, warum die beiden Völker nicht friedlich miteinander leben, wie der Konflikt entstanden ist, was beide zu den Auseinandersetzungen denken und wie einge-schränkt Gazamans Leben ist. Durch differenziertes Beleuchten des Konflikts wird man nie für eine Position eingenommen. Nun ist zu hoffen, dass wie zwischen Tal und Gazaman auch zwischen den beiden Völkern Frieden wächst. (zitiert aus: Deutscher Jugendliteraturpreis, Die Nominierungen, S. 61)

Zur Autorin: Valérie Zenatti, 1970 in Frankreich geboren. Im Alter von 13 Jahren zog sie mit ihren Eltern nach Israel. Ihre Bücher für Kinder und Jugendliche wurden bereits mehr-fach ausgezeichnet.

Zur Übersetzerin: Bernadette Ott, geboren 1961, studierte Literaturwissenschaft, Kunst-geschichte und Philosophie. Sie übersetzt aus dem Französischen und Englischen.

Markus Zusak, Der Joker. Aus dem Englischen von Alexandra Ernst. cbj (16,95 • ab 13 Jahren)

Ed Kennedy betrachtet sich selbst als Verlierer, der es im Leben zu nichts bringen wird. Im Moment fährt er Taxi, hat keine Liebesbeziehung und sein Freundeskreis ist eher beschränkt. Auch seine Familie hält ihn für einen Loser. Doch als er einen Bankräuber stellt, ändert sich alles.

Kurz darauf erhält er eine Spielkarte, auf der kryptische Angaben ihn dazu verleiten, bestimmte Aufgaben zu erledigen. So hilft er einer einsamen alten

Dame aus ihrer Isolation, unterstützt eine Läuferin dabei, ihren Weg zum Siegen zu finden und hindert einen Mann daran, seine Familie weiter zu tyrannisieren. Doch auch nachdem er diese Aufträge erledigt hat, ist er noch nicht frei, es folgen weitere Spielkarten mit weiteren Aufträgen. Schlagkräftige Argumente zweier Besucher hindern ihn daran, sich nicht mit aller

Oktober 2007 • www.julim-journal.de Seite 31 von 31 (Jana Mikota)

Kraft diesen Aufträgen zu widmen. Die Aufträge kommen ihm und seiner eigenen Lebenssi-tuation immer näher und schließlich betreffen die Aufgaben des Herz-Ass alle seine direkten Freunde.

Durch all die Aufgaben und seine daraus resultierenden Kontakte und Erlebnisse hat sich Ed verändert, hat zu sich selbst gefunden und weiß nun, dass er sehr wohl wertvoll ist und dass er eine bestimmte Aufgabe im Leben hat, die er ernst nehmen muss.

Das Buch hat eine eindeutig religiöse Unterströmung, doch vorherrschend sind die Themen, Freundschaft, Leidenschaft, Zivilcourage und Mitgefühl. Einige Episoden sind für Ed mit viel Mühe und großen (physischen/psychischen) Kosten verbunden, bei anderen erhält er sofort eine „Belohnung“ in Form von Zuneigung und Dank.

Die Leserinnen und Leser können am Modell von Ed nacherleben, wie es sich anfühlt, sich einzumischen, wenn Unrecht geschieht oder wie es ist, jemandem zu helfen, der sich selbst nicht helfen kann.

Da Markus Zusak aus der Sicht Eds erzählt, sind die Leserinnen und Leser ganz nah an sei-nen Entscheidungen und Empfindungen dran und können sie nachempfinden. Dazu trägt auch die sehr authentische und stark dialogisierte Sprache des Autors bei.

Zum Autor: Markus Zusak, 1975 geboren, lebt in Sydney/Australien.

Zur Übersetzerin: Alexandra Ernst, 1965 geboren, studierte Literaturwissenschaft. Seit 2000 übersetzt sie historische Romane, Fantasy und Jugendliteratur aus dem Englischen. 2005 wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

Robert Habeck & Andrea Paluch, Zwei Wege in den Sommer. Sauerländer (13,90 • ab 14 Jahren)

Der letzte Sommer vor dem Abitur soll etwas Besonders werden. Max will per Segelschiff und ohne Geld nach Finnland. Auf dem Weg will er seiner Zwillingsschwester folgen – in den Tod. Durch Miriams mysteriösen Selbstmord mit Max verbunden, schließen sich ihm Ole und Svenja auf einem zweiten Weg, trampend auf Güterwaggons, an. In Tornio wollen die drei sich treffen, nicht ahnend, dass sie am Ende ihrer Odyssee nicht mehr dieselben sein werden.

Am Anfang nur von Max handelnd, verzweigt sich die Story später in die einzelnen Geschich-ten der drei Protagonisten, um sich am Ende wieder zu vereinen. Der anspruchsvolle Schreibstil wird durch jugendliche Sprache aufgelockert. Die Handlung bewegt durch psycho-logische Tiefe, dennoch schwingt Sommerstimmung mit. Dieses mitreißende Buch regt zum Nachdenken an und man kann sich mit den Personen und ihrer Suche nach sich selbst iden-tifizieren. (Deutscher Jugendliteraturpreis, Die Nominierungen, S. 65)

Zu den Autoren: Andrea Paluch, geboren 1970, Robert Habeck, geboren 1969, sind ver-heiratet und übersetzen in einer Arbeitsgemeinschaft englischsprachige Lyrik und schreiben u.a. Romane für Erwachsene.