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Die Amazonen von Darkover

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Der Kampf der Amazonen

Darkover, der Planet der blutigen Sonne, ist eine Weltvoller Rätsel und Widersprüche – eine Welt, derenBewohner nicht mehr wissen, daß ihre Vorväter vorlanger Zeit von Terra kamen.

Kein Wunder daher, daß die Darkovaner Verhal-tensweisen und Zivilisationsformen entwickelt ha-ben, die den Menschen des interstellaren Imperiumsvon Terra völlig fremd sind.

Ein Beispiel dafür sind die Freien Amazonen vonDarkover. Sie leben auf einer von Männern regiertenWelt – und sie müssen um ihre Rechte und ihre Exi-stenz erbitterte Kämpfe führen.

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TTB 298

Marion Zimmer Bradley

Die Amazonenvon Darkover

ERICH PABEL VERLAG KG · RASTATT/BADEN

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!

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Titel des Originals:THE CHATTERED CHAIN

Aus dem Amerikanischenvon Leni Sobez

TERRA-Taschenbuch erscheint vierwöchentlichim Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt

Copyright © 1976 by Marion Zimmer BradleyDeutscher Erstdruck

Redaktion: G. M. SchelwokatVertrieb: Erich Pabel Verlag KG

Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, LeckVerkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt.

Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehenund nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden;

der Wiederverkauf ist verboten.Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich:

Waldbaur-Vertrieb, Franz-Josef-Straße 21, A-5020 SalzburgAbonnements- und Einzelbestellungen an

PABEL VERLAG KG, Postfach 1780, 7550 RASTATT,Telefon (0 72 22) 13 – 2 41

Printed in GermanyMärz 1978

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I. Teil

Rohana Ardais, Comynara

1.

Die Nacht senkte sich zögernd über die Trockenstädte.Liriel und Kyrrdis, blaß im noch verweilenden Tages-licht, standen niedrig über den Mauern von Shainsa.

Innerhalb des Tores, direkt am Rand des großenMarktplatzes, schlug ein Trupp Reisender sein Lagerauf, sattelte die Reittiere ab und befreite die Tragtierevon ihren Lasten.

Es waren weniger als ein Dutzend, alle in die Ka-puzenmäntel, die schweren Tuniken und die Reitho-sen der Bewohner der Bergländer gekleidet, die zuden fernen Sieben Domänen gehörten. In den Wü-stenlanden von Shainsa war es auch um diese Tages-zeit noch heiß, doch die Reisenden behielten ihre Ka-puzenmäntel an. Jeder war mit Messer und Dolchbewaffnet, keiner jedoch trug ein Schwert.

Die Neugierigen der Trockenstadt gingen herum,weil sie mehr über die Reisenden erfahren wollten.Einer, dem unter dem schweren Sattel zu heiß ge-worden war, schob die Kapuze zurück. Ein kleiner,gut geformter Kopf mit dunklem, sehr kurz ge-schnittenem Haar kam zum Vorschein. Niemand,weder Mann noch Frau, ob in den Domänen oderWüstenstädten, trug die Haare so kurz. Für die Neu-gierigen der Stadt, in der so wenig passierte, wardeshalb die Ankunft der Fremden ein Ereignis, daseinem Jahrmarkt den Rang ablief.

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»He, schaut euch das an! Das sind ja Freie Amazo-nen von den Domänen!« rief einer.

»Schamlose Weiber sind sie, weil sie ohne Mannherumlaufen! Jagt sie aus Shainsa hinaus, bevor sieunsere Töchter und Frauen verderben!«

»He, Hayat, kannst du deine Weiber nicht festhal-ten? Die meinen würden nicht für alles Gold der Do-mänen davonlaufen! Ließe ich sie frei, kämen sieweinend zurück, weil sie genau wissen, wo es ihnengutgeht.«

Die Amazonen hörten diese Bemerkungen, dochsie waren darauf vorbereitet. Ruhig bauten sie ihr La-ger auf, als seien ihre Beobachter stumm und un-sichtbar. Davon ermutigt, kamen die Männer derTrockenstädte näher, und die Witze wurden anzügli-cher. Einer sprach die Frauen direkt an.

»Ihr habt doch alles, Mädchen – Dolche, Messer,Pferde – nur eines nicht, und das wär' doch besondersnötig.«

Eine der Frauen errötete und setzte zu einer schar-fen Antwort an, doch die Führerin der Gruppe, einegroße, schlanke Frau mit raschen, bestimmten Bewe-gungen, redete ihr drängend zu. Die Frau senkte ihreAugen und schlug die Zeltpfähle in den groben Sand.

Einer der Zuschauer aus der Trockenstadt be-merkte diesen kleinen Vorfall und trat zur Gruppen-führerin. »Du hast deine Mädchen ganz schön in derHand, was? Laß sie doch und komm mit mir. Ichkönnte dir Dinge beibringen, von denen du keineAhnung ...«

Die Frau warf ihre Kapuze zurück und enthüllteunter ergrauendem, kurz geschnittenem Haar dasmagere, sympathische Gesicht einer Frau in mittleren

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Jahren. »Ich habe schon, als du noch in Windelnstecktest, alles gelernt, was ich wissen muß, du Tier,und von dir will ich bestimmt nichts lernen.«

»Das ist aber ins Auge gegangen, Merach!« Einpaar Umstehende lachten laut, und nun hatten dieFreien Amazonen einigermaßen Ruhe vor den Witzender Männer. Wenig später hatten sie einige Zelte undeinen Verkaufsstand aufgeschlagen und auch einenUnterstand für ihre Bergpferde, die nicht an die heißeSonne der Trockenstädte gewöhnt waren.

Einer der Zuschauer war höflicher als die anderen.»Darf ich fragen, vai domnis, welche Geschäfte euchhierher bringen?«

Die Führerin antwortete: »Wir wollen hier Leder-waren aus den Domänen verkaufen, Sättel, Zaum-zeug und Lederbekleidung. Morgen früh, sobald eshell wird, beginnen wir damit. Ihr seid herzlich ein-geladen, zu kommen und bei uns zu kaufen.«

»Ha, was ich von Weibern kaufen würde ...!« riefeiner.

»Na, zum Teufel, dann kauf es doch!« schrie einanderer.

»He, Lady, willst du vielleicht deine Reithosen ver-kaufen, damit du dich wie eine richtige Frau in Röckekleiden kannst?«

Die Freie Amazone überhörte das, und der höflicheMann sagte nun zu ihr: »Dürfen wir euch heuteabend zu einem Unterhaltungsort in dieser Stadt füh-ren oder selbst für eure Unterhaltung sorgen?«

Lächelnd antwortete sie: »Nein, danke sehr.« Siewandte sich ab.

»Kindra, und du dankst ihm auch noch für seineUnverschämtheit!« sagte eine der jüngeren Frauen

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empört. »Ich hätte ihm die Zähne in seinen schmutzi-gen Hals geschlagen!«

Kindra tätschelte ihr lächelnd den Arm. »Devra,harte Worte brechen keine Knochen. Er war so höflichwie er sein konnte, und ich antwortete auf die gleicheArt.«

»Kindra, wollen wir wirklich mit diesen gre'zuinhandeln?«

Das war ein unanständiger Ausdruck, den Kindramißbilligte. »Natürlich. Wir brauchen doch einenGrund für unsere Anwesenheit, und Jalak kann nochein paar Tage ausbleiben. Wenn wir kein Geschäfthaben, machen wir uns nur verdächtig. Hast du dennheute keinen Kopf auf, Kind? Denk doch ein biß-chen.«

Sie ging zu einer Frau, die unter dem Schutzdachfür die Pferde Pakete stapelte. »Noch immer kein Zei-chen von Nira?«

»Bis jetzt nicht.« Die angesprochene Frau sah sichfurchtsam um. Sie sprach reines casta, die Sprache derAristokraten von Thendara und der Ebenen von Va-leron. »Sie wird sicher nach Einbruch der Nachtkommen, denn wenn jemand in Männerkleidung undbei Nacht das Lager betritt ...«

»Richtig«, pflichtete ihr Kindra bei, »und sie ist ja inder Trockenstadt keine Fremde. Trotzdem habe ichein wenig Angst um sie. Es geht gegen mein Gefühl,eine meiner Frauen in Männerkleidung auszuschik-ken, doch hier war es die einzige Möglichkeit und Si-cherheit für sie.«

»Nun ja, wir tragen doch alle mehr oder wenigerMännerkleidung«, meinte die andere Frau.

»Seht Ihr, Lady Rohana, hier verratet Ihr nur eine

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große Unkenntnis unserer Sitten. Aber sprecht leise,bitte, wir könnten sonst belauscht werden. Glaubt Ihrwirklich, ich trage Männerkleider?«

»Kindra, ich wollte dich nicht kränken«, antworteteLady Rohana schnell. »Aber eure Kleidung ist sicherkeine Frauenkleidung, wenigstens nicht die der Do-mänen.«

»Ich habe jetzt nicht die Zeit, Euch alle Sitten undRegeln unserer Gilde zu erklären, Lady Rohana.«Draußen johlten nämlich wieder ein paar Männer.Devra und eine andere Freie Amazone führten dieSattelpferde zum Brunnen am Marktplatz, und einebezahlte dafür mit den Kupferringen, die östlich vonCarthon das Geld darstellten. Einer der Männerpackte sie plötzlich um die Hüften und zog sie ansich.

»He, du Hübsche, warum verläßt du nicht dieseWeiber? Komm doch mit mir, ich hab' dir eine Mengezu zeigen, was du ...«

Weiter kam er nicht. Seine Worte gingen in einschmerzliches Heulen über, denn die Frau hatte einMesser gezückt und ihm im nächsten Moment dieschmutzigen Kleider von unten bis oben aufge-schlitzt. Ein roter, sich rasch verbreitender Strich zogsich vom Unterbauch bis zum Schlüsselbein durchsein ungesund aussehendes Fleisch. Er taumelte zu-rück und stürzte in den Staub des Marktplatzes. DieFrau versetzte ihm noch einen Fußtritt.

»Verschwinde, bre'sui!« fauchte sie ihn an. »Undwenn du dich wieder hier sehen läßt, mache ich dichfertig, daß du höchstens noch als Eunuche für dieBordelle von Ardcarran taugst!«

Die Freunde des Mannes schleppten ihn weg. Kin-

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dra trat zu der Frau, die eben ihr Messer säuberte. Siewar stolz darauf, daß sie sich so wirksam verteidigthatte, doch Kindra schlug ihr das Messer aus derHand.

»Verdammt, Gwennis! Dein elender Stolz auf deineMesserkunst kann alles aufs Spiel setzen! Als ichFreiwillige für diese Mission suchte, wollte ich Frau-en haben, keine verzogenen Kinder!«

Gwennis' Augen füllten sich mit Tränen. Sie warnoch ein halbes Kind, erst fünfzehn oder sechzehnJahre alt. »Es tut mir leid, Kindra«, sagte sie mit zit-ternder Stimme. »Was hätte ich sonst tun sollen?Sollte ich dulden, daß mich dieser schmutzige gre'zubefingert?«

»Glaubst du, hier in aller Öffentlichkeit und imvollen Tageslicht bestünde wirklich Gefahr für dich?Du hättest ihn auch ohne dein Messer lächerlich ma-chen können. Man hat dich gelehrt, mit dem Messerumzugehen, damit du dich gegen eine Vergewalti-gung verteidigen kannst, nicht um deinen Stolz zuschützen. Meine Tochter, das kihar-Spiel ist gegen dieWürde einer Freien Amazone.« Sie hob das zu Bodengefallene Messer auf. »Wenn ich dir das zurückgebe,wirst du es dann dort behalten, wohin es gehört, bisdu es unbedingt brauchst?«

»Das schwöre ich«, flüsterte Gwennis und senkteden Kopf.

»Breda, du wirst es noch bald genug brauchen.«Kindra legte einen Arm um die Schultern des Mäd-chens. »Ich weiß doch, wie schwierig es ist, Gwennis.Aber unsere Mission ist wichtiger als so kleinlicherÄrger.«

Die Neugierigen hatten sich erstaunlich schnell

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verzogen. Gwennis hat jedes böse Wort verdient, dasich ihr sagte, überlegte Kindra, doch ich bin froh, daßdiese Bande verschwunden ist ...

Die Sonne sank hinter die niederen Berge, und diekleinen Monde erkletterten den Himmel. Nach einerWeile erschienen einige Frauen der Trockenstadt inihren weiten, unbequemen Röcken auf dem Markt-platz, um Wasser zu kaufen. Ihre Ketten klirrten leise.In den Trockenstädten war es Sitte, die Hände jederFrau mit dünnen Ketten aneinanderzufesseln. DieKette lief dabei durch eine Schlaufe am Gürtel, so daßimmer nur eine Hand voll gebraucht werden konnte,während die andere an die Taille gezogen wurde.

Im Lager der Amazonen brannten die Kochfeuer.Es roch appetitlich nach Essen. Ein paar Frauen ka-men neugierig heran und besahen sich verächtlichdas kurzgeschnittene Haar, die grobe Kleidung unddie ungefesselten Hände der Freien Amazonen. Dieseerwiderten die Blicke mit der gleichen Neugier, ja vollMitleid. Die Frau, die sich Rohana nannte, konnte esschließlich nicht mehr ertragen und zog sich in das Zeltzurück, das sie mit Kindra teilte. Kindra folgte ihr.

»Aber Ihr habt nichts gegessen, Lady. Darf ichEuch hier servieren?« fragte sie.

»Ich bin nicht hungrig«, erwiderte Rohana undschob ihre Kapuze zurück. Ihr kurzes Haar warflammend rot und kennzeichnete sie als Angehörigeder Telepathenkaste der Comyn. Diese Kaste regierteseit undenklichen Zeiten die Sieben Domänen.

»Der Anblick dieser Frauen nahm mir allen Hunger«,fuhr sie fort. »Wie kannst du, Kindra, das ertragen,wo dir doch alles an der Freiheit der Frauen liegt?«

Kindra zuckte die Schultern. »Ich habe wenig Sym-

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pathien für sie. Jede von ihnen könnte frei sein, wennsie nur wollte. Sind ihnen aber die Ketten und diesklavische Abhängigkeit von ihren Männern lieber, sowerde ich kein Mitleid an sie verschwenden und mirweder Schlaf noch Appetit verderben lassen. Sie er-tragen ihr Eingesperrtsein ebenso wie Ihr, Lady vonden Domänen, und ich sehe keinen großen Unter-schied hier. Vielleicht sind sie sogar ehrlicher, weil sieihre Ketten offen tragen und keine Freiheit vortäu-schen. Eure Ketten sind unsichtbar, aber vermutlichnoch schwerer als jene.«

Rohanas Gesicht wurde rot vor Zorn. »Dann mußich mich aber wundern, daß du diese Mission ange-nommen hast! Nur um Geld zu verdienen?«

»Natürlich«, erwiderte Kindra ungerührt. »Ich binso etwas wie eine Söldnerin. Ich gehe, innerhalbGrenzen natürlich, dorthin, wohin zu gehen manmich bezahlt. Aber hier ist schon noch etwas mehrdaran«, fuhr sie sanfter fort. »Lady Melora, EureVerwandte, hat die Form ihrer Sklaverei nicht selbstgewählt. Ihr habt mir erzählt, Jalak von Sahinsa –möge seine Männlichkeit verwelken! – habe ihre Be-gleitung niedergeschlagen und sie entführt, denn erwollte aus Lust oder Grausamkeit eine leronis derComyn als Gefangene und Frau haben – oder alsKonkubine; ich weiß nicht, was hier besser zutrifft.«

»In den Trockenstädten scheint der Unterschiednicht sehr groß zu sein«, erwiderte Lady Rohana bit-ter, und Kindra nickte.

»Ich sehe überhaupt nirgends einen großen Unter-schied, vai domna, doch ich erwarte nicht, daß Ihr mitmir einer Meinung seid. Jedenfalls war Lady Melorain eine ungewünschte Sklaverei verschleppt worden,

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und ihre überlebenden Verwandten konnten oderwollten sie da nicht herausholen.«

»Einige versuchten es«, erklärte Rohana mit einerStimme voll Tränen. »Sie verschwanden spurlos, bisauf den dritten; er war meines Vaters jüngster Sohn,mein Halbbruder und Meloras Pflegebruder und ihrSpielgefährte.«

»Diese Geschichte hörte ich. Jalak sandte seinenRing zusammen mit dem Finger zurück, an dem erihn trug und kündigte an, das und noch mehr würdeer allen antun, die es noch einmal versuchen würden.Aber das war vor zehn Jahren, Lady, und wäre ich anLady Meloras Stelle gewesen, dann hätte ich nichtweitergelebt, um all meine Verwandten zu gefährden.Wenn sie zwölf Jahre in Jalaks Haus leben konnte, istihre Rettung nicht übermäßig notwendig, denn siemuß sich in ihr Schicksal ergeben haben.«

»Das glaubten wir auch«, erwiderte Lady Rohana.»Cassilda möge mir verzeihen, doch ich wünschte sieauch lieber tot als in Jalaks Haus. Aber du weißt ja,was ich bin, eine in den Türmen geschulte leronis, eineTelepathin. Melora und ich wohnten gemeinsam alsjunge Mädchen im Turm von Dalereuth. Keine vonuns wollte ihr ganzes Leben dort verbringen, dochehe ich den Turm verließ, um zu heiraten, wurdenunsere Geister ineinander verschlüsselt. Wir lernten,die Gedanken der anderen zu erreichen. Dann kamihre Tragödie, und in den folgenden Jahren vergaßich diese Verschlüsselung fast. Ich hielt Melora für totoder glaubte sie außerhalb meiner Reichweite. Abervor etwa vierzig Tagen griff Melora aus der Entfer-nung nach mir, so wie wir es in den Tagen von Dale-reuth gelernt hatten ...

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Ich erkannte sie kaum, so sehr hatte sie sich verän-dert. Ob sie als Gefangene und Jalaks Gefährtin resi-gniert hatte? Nein. Sie wollte nur nicht die Ursachefür noch mehr Tod und Folter sein. Ich erfuhr, daßmein Bruder, ihr Spielgefährte, vor ihren Augen zuTode gemartert worden war, um alle Rettungsversu-che zu vereiteln.

Und Melora sagte mir schließlich auch noch, daßsie nach so vielen Jahren einen Sohn Jalaks trage, daßsie aber lieber sterben wolle, als ihm einen Sohn ausComyn-Blut zu gebären. Nicht einmal da bat sie umRettung für sich selbst, denn ich glaube, sie will liebersterben. Aber ihr anderes Kind will sie Jalak nichtüberlassen. Eine Tochter, geboren wenige Monatenach ihrer Entführung. Sie ist jetzt zwölf Jahre alt, al-so alt genug, um gefesselt zu werden. Für sich selbsterbat sie nichts. Sie flehte mich nur an, ihre Tochterwegzuholen, denn nur dann könne sie in Friedensterben ...«

Kindra überlegte grimmig: Ehe ich eine Tochterhätte, die in den Trockenstädten versklavt und ange-kettet leben müßte, wollte ich lieber sterben und dasLeben in mir töten; aber die Frauen von den Domä-nen sind weich und feige! Doch sie legte eine Handauf Rohanas Schulter und sagte leise: »Ich dankeEuch, Lady, daß Ihr mir das erzählt habt. Ich wußtees nicht. Es geht also nicht so sehr um die RettungEurer Verwandten ...«

»... als um die ihrer Tochter. Das hat sie von mir er-beten. Wenn allerdings Melora gerettet werdenkönnte ...«

»Meine Gruppe und ich sind entschlossen, alles zutun, was wir tun können. Jede von uns würde ihr Le-

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ben riskieren für ein junges Mädchen, um es vor denKetten zu retten. Lady, im Moment braucht Ihr aberall Eure Kraft, und es wäre unklug, nicht zu essen. Ichkann einer Comynara nichts befehlen, aber wollt Ihrnicht mit meinen Frauen das Mahl teilen?«

Sie ist trotz ihrer barschen Worte gutherzig, dachteRohana und lächelte ein wenig. »Ehe ich zu euchstieß, mestra, versprach ich feierlich, mich als eine voneuch zu betrachten, und so bin ich verpflichtet, dir zugehorchen.«

Kindra folgte ihr nicht sofort, als sie zum Feuerging und einen Teller voll Bohnen und Fleisch an-nahm. Sie dachte noch eine Weile darüber nach, wasgeschehen mochte, wenn Jalak erfuhr, daß sich eineFrau von den Domänen in der Stadt befinde. Es wärebesser gewesen, Lady Rohana hätte ihr rotes Haar ge-färbt, denn wenn Jalaks Spione eine rothaarige Co-myn-Frau sähen ...

Automatisch griff Kindra an ihr kurzgeschnittenesergrauendes Haar. Sie war nicht in die Gilde der Frei-en Amazonen geboren worden, sondern sie war auseiner so schmerzlichen Erfahrung heraus zu ihnengestoßen, daß die Erinnerung noch jetzt ihre Lippenverschloß und ihren Blick in weite Ferne schweifenließ. Sie sah Rohana an, die im Kreis der Amazonennun am Feuer saß: So war ich auch, wie sie, sanft,unterwürfig, denn nur so kannte ich das Leben. Ichwählte die Freiheit, Rohana zog ihr Leben vor. Nein,ich bemitleide sie nicht.

Aber Melora hatte keine Wahl. Auch ihre Tochternicht ...

Vielleicht war es für Melora schon zu spät. Nachzehn Jahren in den Trockenstädten konnte nicht mehr

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viel von ihr übrig sein; aber es genügte zu einer riesi-gen Anstrengung, um ihre Tochter zu befreien. Kin-dra wußte wenig von den telepathischen Kräften derComyn, aber die Überbrückung dieser riesigen Ent-fernung zwischen der Trockenstadt und Lady Rohanamußte für Melora eine übermenschliche Anstrengunggewesen sein. Um ihren Verwandten Tortur und Todzu ersparen, hatte sie die Gefangenschaft akzeptiert,doch für die Freiheit ihrer Tochter nahm sie jedes Ri-siko auf sich.

Lady Rohana tat gut daran, zu mir zu kommen,überlegte sie. Zweifellos wünschten nach so langerZeit die Comyn Melora tot. Doch dafür sind ja wirFreien Amazonen da, um jede Frau wissen zu lassen,daß sie immer noch eine Wahl hat ...

Gerade als Kindra zum Feuer zurückkehren wollte,hörte sie einen seltsamen Laut, den Ruf eines Regen-pfeifers. In den Trockenstädten gab es keinen solchenVögel, und sie drehte sich rasch um. Eine schmaleGestalt schlüpfte unten durch die Zeltklappe. Es warsehr dunkel, aber sie wußte, wer es war. »Nira?« flü-sterte sie.

»Außer du denkst, ein Regenpfeifer wurde ver-rückt und verirrte sich hierher«, sagte Nira und rich-tete sich auf.

»Zieh schnell diese Kleider aus, denn in Männer-kleidern würdest du eine Menge Neugieriger anzie-hen. Davon hatten wir heute schon mehr als genug.«

»Das hörte ich«, erwiderte Nira und zog die Stiefelaus. Sie legte das Kurzschwert ab und versteckte esim Zelt. Dann schlüpfte sie in ein Hemd und weiteAmazonenhosen.

»Gab es irgendwelche Schwierigkeiten?« fragte

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Kindra flüsternd. »Und welche Nachrichten bringstdu, Kind?«

»Keine Schwierigkeiten. Man hielt mich für einenjungen Handelsmann aus den Bergen, für einen Jun-gen, dessen Stimme noch nicht gebrochen ist. AlsNachricht bringe ich den Klatsch des Marktes und einwenig Gerüchte von Jalaks Dienern mit. Jalak will mitseinen Frauen, Konkubinen und mit dem ganzenHaushalt morgen im Lauf des Vormittags zurück-kommen. Seine Lady ist hochschwanger und kannnicht so schnell reiten, sonst wäre er schon heute ge-kommen. Jalak ließ den Hebammen sagen, sie solltensich bereithalten, und seine Diener schließen Wettendarüber ab, ob es diesmal der erhoffte Sohn wird. Bisjetzt hat er ja von seiner Frau, den Konkubinen undden Sklavinnen nichts als Mädchen bekommen, under versprach jener Frau, die ihm zuerst einen Sohnschenkt, alle Rubine von Ardcarran und die Perlen,die aus den Wasserstädten in die Trockenstädte ge-langen. Eine der Hebammen behauptete, sie wisse,daß es ein Sohn werde, und deshalb will Jalak seineHoffnung nicht gefährden.«

»Dann hat also Jalak sein Lager in der Wüste auf-geschlagen?« fragte Kindra. »Wie weit weg?«

»Ein paar Meilen vielleicht. Wenn wir seine Zelteangreifen ...«

Kindra schüttelte den Kopf. »Wahnsinn! Hast duvergessen, daß alle Trockenstädter paranoid sind? Sieleben nur für Kampf und Krieg. Jalak wird schwerbewacht sein. In seinem Haus wird er es nicht sostreng halten. Einen offenen Angriff können wir aufkeinen Fall durchführen. Einen schnellen Handstreich– ja, mit ein paar getöteten Wächtern und danach ei-

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nem höllischen Ritt. Nur die Chance haben wir.«»Richtig ... Aber müssen wir denn Lady Rohana bei

uns haben? Sie ist keine gute Reiterin und nützt unsnichts im Kampf. Sie weiß ja kaum, welches Messe-rende gefährlich ist. Erkennt man sie, sind wir alle tot.Hätte sie nicht besser in Carthon auf uns gewartet?Oder gehört sie zu jenen Leuten, die einen Wachhundhalten, aber darauf bestehen, selbst zu bellen?«

»Der Meinung war ich erst auch«, entgegnete Kin-dra. »aber Lady Melora muß gewarnt werden undbereit sein, sofort mit uns zu verschwinden, weil diegeringste Verzögerung für uns alle verderblich seinkönnte. Lady Rohana kann ihren Geist erreichen, oh-ne daß Jalak gewarnt wird. Und überdies – willst duetwa auf dem Ritt zurück für eine hochschwangereFrau sorgen? Keine von uns hat viel Lust dazu, auchnicht die Geschicklichkeit. Oder willst du's versu-chen?«

Nira lachte verlegen. »Avarra und Evanda mögenmich davor beschützen«, meinte sie und ging zu denanderen Frauen ans Feuer. Kindra folgte ihr und be-merkte nicht einmal, daß ihr Essen inzwischen kaltgeworden war. Automatisch bestimmte sie die Wa-chen für die Nacht.

Sie hatte die Gruppe dieser Freiwilligen einzelnund persönlich ausgesucht. Mit allen außer Gwennishatte sie früher schon einmal gearbeitet. Nira hattesogar gelernt, ein Schwert zu handhaben, obwohl esnach den Statuten der Gilde der Freien Amazonennicht zulässig war. Aber man konnte nicht immer je-des Gesetz und jede Vorschrift genau befolgen, manmußte sich den Notwendigkeiten anpassen. Deshalbmachte sich Kindra auch keine Vorwürfe, weil sie Ni-

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ra erlaubt hatte, auch die anderen im Schwertkampfzu unterrichten.

Da war Leeanne, die sich im Alter von vierzehnJahren hatte neutralisieren lassen und wie ein mage-rer Junge aussah – ohne Brüste, mit einem harten, ha-geren Körper. Natürlich war diese Operation unge-setzlich, aber manchmal wurde sie doch durchge-führt; so auch an Camilla, die einer guten Familie ausden Bergen von Kilghard entstammte. Man hatte sielängst ausgestoßen und enterbt, und so hatte sie ihrenFamiliennamen Lindir abgelegt. Camilla näherte sichdem mittleren Alter und hatte die meiste Zeit ihresLebens als Söldner-Kämpferin verbracht. Viele Nar-ben an ihrem Körper waren Zeugnis dafür.

Lori war im Hellers geboren und kämpfte im Berg-stil mit zwei Messern. Dann war da noch Rafaelle,Kindras Verwandte. Natürlich waren nicht alle FreienAmazonen auch Kämpferinnen, aber für diese Missi-on waren sie unerläßlich. Devra war zwar keine gro-ße Kämpferin, aber unglaublich geschickt im Spu-renlesen, sowohl in den Bergen als auch in der Wüste.Die Dicke Rima war in Erscheinung und Benehmensehr weiblich, und sie konnte nur die größten Pferdereiten. Aber sie war sehr geschickt, wenn es um einLager und möglichst viel Behaglichkeit ging bei einerMission wie dieser. Verteidigen konnte sich Rima je-doch selbst wie übrigens jede Freie Amazone. Außerihnen gab es noch Gwennis – und Lady Rohana.

Jeder, der die Freien Amazonen kannte, mußte so-fort wissen, daß Rohana nicht zu ihnen gehörte, dennsie ging, sprach und ritt anders als diese. Doch werwußte hier schon sehr viel über die Gilde der Ama-zonen?

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Rima spülte das Geschirr, und Rafaelle legte ihrekleine rryl über die Knie und riß ein paar Saiten an.»Willst du für uns singen, Kindra?« bat sie.

»Heute nicht, Rafi«, lehnte sie lächelnd ab. »Ich ha-be noch Pläne zu machen, aber euch höre ich gernezu.«

Aber sie lauschte nicht der Musik, sondern hing ih-ren Gedanken nach. Jeder ihrer Gefährtinnen konntesie ihr eigenes Leben anvertrauen, doch Lady Rohanawar eine unbekannte Größe. Ihre Gefährtinnen warenFreiwillige, denn alle Amazonen haßten die Trocken-städter. Die Domänen hatten widerwillig einen Waf-fenstillstand mit ihnen geschlossen und hielten ihnauch ein, doch die bitteren Erinnerungen an die grau-samen Kriege schwelten weiter. Die Domänen hattenMännergesetze und akzeptierten deshalb, wenn auchzögernd, die Versklavung ihrer Frauen.

Aber keine Frau, die ihr Haar kurz geschnitten undden Eid der Amazonen geschworen hatte, würde sichje mit der Einstellung der Domänen abfinden, jedeGemeinschaft müsse auf ihre eigene Art und nach ei-genen Gesetzen leben.

Kindra hatte sich vor langer Zeit aus einem Lebengelöst, das ihr jetzt als Sklaverei erschien. Jede Fraumußte ihrer Ansicht nach selbst wählen können, unddie meisten waren auch, wie sie glaubte, durchausbereit, den Preis dafür zu bezahlen. Ja, auch die Frau-en der Trockenstädte. Sie hatte kein Mitleid für jene,die sich willig Ketten anlegen ließen und zu denschmutzigen Witzen der Männer nur die Köpfeneigten. Und für diese Männer fühlte sie nur einenbrennenden Haß.

Soll ich ihnen jetzt meine Pläne vorlegen? dachte

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sie. Lady Rohana, die eine kleine, süße, unausgebil-dete Stimme hatte, und Gwennis mit ihrem strahlen-den Sopran, sangen ein Rätsellied aus den Domänen.Das wollte ihnen Kindra nicht verderben.

»Stellt aber gute Wachen um das Lager«, befahl sie.»Einige dieser Trockenstädter könnten auf die Ideekommen, uns Freien Amazonen die Nacht versüßenzu wollen.«

2.

Um die Mittagszeit kochte der Marktplatz von Shain-sa unter der heißen Sonne, aber die Verkaufsbude derFreien Amazonen, aus Weidenruten geflochten undleicht zu transportieren, war den ganzen Morgenüber von den Trockenstädtern umlagert gewesen.Das Leder aus den Bergen brachte einen guten Preisein und ging, ebenso wie die Textilien, so schnellweg, daß möglicherweise der Vorrat erschöpft war,ehe Jalak zurückkehrte. Dann mußte ihr Verbleiben inder Stadt Aufsehen und Verdacht erregen.

Doch dann ging ein nicht nur hörbares, sondernfast sichtbares Murmeln durch die Menge, die sichschnell zerstreute. Das muß Jalak sein, überlegte Kin-dra. Sie überließ die Bude Devra und Rima und folgtezusammen mit Rohana einigen Leuten zum Tor.»Nun mußt du eine Botschaft zu deiner Verwandtendurchbringen«, flüsterte Kindra ihrer Begleiterin zu.»Sag ihr, sie soll jeden Moment bereit sein, denn wirwerden nur ein paar Minuten Zeit haben zum Zu-schlagen, und wir müssen die Gelegenheit ergreifen,die sich bietet. Sie muß aber nach Einbruch der Nacht

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bereit sein. Du mußt erfahren, wo sie schläft und wiesie bewacht ist, ebenso wo ihre Tochter schläft, ob beiden anderen königlichen Töchtern oder allein.«

Die Verantwortung drückte schwer auf Lady Ro-hana, und sie lehnte sich an den Arm der FreienAmazone, als ein Müßiggänger den beiden eine be-leidigende Bemerkung zurief. Man beschuldigte dieFreien Amazonen oft, sie seien Lesbierinnen, dochKindra ließ sich davon nicht kränken. Ihre Herzens-güte hatte etwas Mütterliches an sich, und Rohanafühlte sich unter ihrer Obhut geborgen.

Dann erklang eine heisere Fanfare. Zwölf prächtiggekleidete Wächter ritten voraus, dann folgten cral-macs, die pelzigen Halbmenschen mit den großen,goldenen Augen, die zu ihrem eigenen Fell nur ju-welenbesetzte Gürtel trugen und auf riesigen, schau-kelnden oudhraki aus fernen Wüsten ritten. Dann ka-men weitere Garden, die weniger prächtig gekleidet,aber mit langen Schwertern ausgerüstet waren.Schließlich folgte Jalak selbst.

Er hatte ein mageres Geiergesicht unter sonnenge-bleichtem, dichtem Haar und einen wilden Schnurr-bart. Rohana fürchtete, er müsse ihren unbeschreibli-chen Haß spüren, denn sie war von Kind an Telepa-thin und kannte keine andere Wirklichkeit als diese.Aber Jalak schien nichts zu bemerken; fast teil-nahmslos ritt er zwischen seinen Wächtern.

Er war umgeben von einigen Frauen, Favoritinnen,Sklavinnen oder Konkubinen; trotz der heißen Sonnetrugen sie pelzverbrämte Kleider zu nackten Beinen.An der einen Seite hatte er ein schlankes, jungesMädchen mit kostbaren Handketten, an der anderenritt ein magerer, eleganter Junge, der viel zu reich ge-

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schmückt und zu sehr parfümiert war, als daß er et-was anderes als ein Günstling sein konnte.

Hinter Jalak und seinen Favoriten folgten Frauen;eine unter ihnen hatte flammend rotes, leicht ergrau-tes Haar, und das war Melora. Rohana war daraufvorbereitet gewesen, denn Melora war in Gedankenzu ihr gekommen. Sie so zu sehen, bis zur Unkennt-lichkeit verändert, war ein großer Schmerz für Roha-na, und sie fürchtete, ihn nicht ertragen zu können.

Kindras Hand schloß sich stützend um RohanasArm. Hier begann nun ihr Teil der Rettungsaktion,und mehr konnte sie nicht tun. Mit ihrer geistigenHand griff sie aus und stellte den Kontakt her.

Melora ... Verrate dich nicht und schau mich auch nichtan. Ich bin dir nahe, unter den Freien Amazonen ...

Rohana ... Bist du das, Rohana?Rohana war ungeheuer stolz auf Melora, weil sie

nicht das geringste Zeichen des Erkennens gab. IhreAugen hingen irgendwo im Leeren, und ihr mageresGesicht drückte nichts als Müdigkeit und Schmerzaus. Plötzlich erschrak Rohana, denn sie wurde sichklar darüber, daß Melora hochschwanger und ihreZeit bald erfüllt war.

Kannst du reiten, Melora? Deine Niederkunft steht be-vor. Wir haben einen weiten Weg vor uns.

Die Gedankenantwort kam fast gleichgültig: Dukennst die Trockenstädte nicht. Man verlangt noch vielmehr von mir. Ich kann das tun, was ich muß. Und um freizu sein, würde ich sogar durch die Hölle reiten!

Und nun übermittelte Rohana ungeheuer genauKindras Anweisungen und empfing Meloras Ant-wort, während die Karawane über den Marktplatzzog. Den Schluß machten wieder einige Wachen, die

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achtlos ein paar kleine Münzen und Süßigkeiten indie Menge warfen, nach denen Kinder und Bettlergierig haschten. Kindra und Rohana kehrten zu ihremLager zurück. In der Sicherheit ihres Zeltes berichteteRohana das, was sie von Melora empfangen hatte.

»Jalak schläft in einem Raum an der Nordseite undhat seine derzeitige Favoritin und Melora bei sich. Erteilt nicht ihr Bett, aber da sie seinen Sohn trägt, ist sieim Moment sein kostbarster Besitz, und er läßt sienicht aus den Augen. Im Raum selbst sind keine Wa-chen, aber vor der Tür stehen zwei Garden mit Mes-sern und zwei cralmacs, die ebenfalls mit Messernbewaffnet sind. Bis zu dieser Schwangerschaft schliefJaelle, die Tochter, im Zimmer der Mutter, doch jetztbewohnt sie zusammen mit anderen königlichenTöchtern eine Suite. Sie beklagt sich, daß die kleinenMädchen zuviel Lärm machen. Jalak liebt seine hüb-schen Mädchen abgöttisch und hat ihr daher eineneigenen Raum zugeteilt, der am Ende der Kindersuiteliegt und auf einen Innenhof mit Schwarzfruchtbäu-men führt. Eine Kinderfrau ist bei ihr.

Den Plan der Gebäude habe ich ganz klar im Kopf.Ich könnte ihn dir aufzeichnen.«

Kindra lachte. »Wirklich, Lady, an Euch ging eineausgezeichnete Amazone verloren! Schade ...« Sieging in die Verkaufsbude.

»Verkauft, soviel ihr könnt«, sagte sie leise zu denanderen. »Was nicht verkauft ist, wird zurückgelas-sen. Die Bude bleibt stehen, als würden wir morgenfrüh wieder hier sein. Sorgt dafür, daß die Pferde, diewir als Packtiere benützten, für Melora und ihreTochter bereit sind ...«

Für Rohana wurde es ein endloser Nachmittag,

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denn trotz aller Spannung mußte sie sich hier in derTrockenstadt so benehmen wie sonst auch und sichirgendwie beschäftigen. Die Amazonen schienenganz ruhig zu sein; sie verkauften ihre Waren, küm-merten sich um die Pferde, machten sich hier unddort im Lager zu schaffen. Aber mit der Zeit spürtesie auch in ihnen eine wachsende Unruhe, die nachaußen hin nicht sichtbar wurde. Camilla schärfte ihrgroßes Messer und summte dazu eine kleine, eintöni-ge Melodie, die Rohana bald auf die Nerven ging.Kindra zeichnete immer wieder Muster in den Sandund wischte sie mit ihrer Stiefelspitze wieder aus.

Langsam, unendlich langsam, neigte sich die roteSonne dem Horizont entgegen. Kein Tag in ihrem gan-zen Leben war Rohana so lang erschienen wie dieser.

»Für Eure Verwandte, Lady Rohana, muß dieserTag noch viel länger sein als für Euch«, sagte da Kin-dra, und Rohana versuchte zu lächeln, denn es warsicher wahr. »Betet zu Euren Göttern, daß Meloranicht schon heute in die Wehen kommt, denn dieswäre das Ende all unserer Hoffnungen. Die Tochterkönnten wir wohl retten, wenn das ganze Haus auf-geregt ist und die Hebammen herumrennen, dochauch dies könnte schwieriger sein als erwartet.«

Und sie ist ihrer Zeit so nahe, dachte Rohana. Sieversuchte, zur Gesegneten Cassilda, der Mutter derSieben Domänen, um Beistand zu beten, aber das Ge-bet blieb schon im Ansatz stecken.

Doch auch dieser Tag ging schließlich zu Ende. Dieverschleierten, gefesselten Frauen der Trockenstadtkamen zum Brunnen, um Wasser zu kaufen und fas-ziniert den Freien Amazonen zuzuschauen, die ihreTiere versorgten und ihr Essen kochten. Rohana half,

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wo sie konnte; es war leichter, wenn sie beschäftigtwar, denn jede Sekunde galt ihr Gedanke Melora, de-ren Hände mit kostbaren Ketten gefesselt waren, inderen Leib Jalaks gehaßtes Kind wuchs. Und wiefröhlich war sie als Mädchen gewesen, wie gern hatteMelora gelacht!

Nach dem Essen gab Kindra Rafaelle ein Zeichen,sie solle ihre Harfe nehmen und etwas spielen.»Kommt alle her und hört zu«, sagte sie, »aber tut so,als lauschtet ihr nur der Musik.«

»Kannst du die Ballade von Hastur und Cassildaspielen?« fragte Rohana. »Dann will ich dazu singen.Sie ist sehr lang, und meine Stimme ist nicht groß.Kindra kann also leise mit euch sprechen, ohne daßjemand sie verstehen kann, der sie nicht hören soll.«

Kindra nickte. Rohana hatte also ihren Plan schnellbegriffen, und Rafaelle spielte ein paar Akkorde, eheRohana zu singen begann.

Alle schienen der alten Ballade zu lauschen, wäh-rend Kindra leise Anweisungen erteilte. Jede Amazo-ne erhielt ihre Aufgabe zugewiesen, und im Sandzeichnete Kindra den genauen Plan. »Hier schläft Ja-lak mit seiner Favoritin und Melora, und die Wachensind im Vorraum ...«

»Kann man die Fenster mit Leitern erreichen?«fragte Gwennis.

»Vielleicht, wenn wir Leitern hätten«, fauchte Kin-dra. »Aber stellt keine so dummen Fragen mehr. Da-für haben wir keine Zeit!

Devra und Rima, ihr bleibt hier und setzt euch inBewegung, sobald wir kommen. Aber gebt acht, daßdie Wachen am Tor keinen Lärm machen.« Bedeu-tungsvoll sah sie Rima an.

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Die dicke Frau legte eine Hand auf ihr Messer undnickte grimmig. »Camilla«, fuhr Kindra fort, »du bistunsere beste Reiterin, du wirst also das Kind vor dichauf den Sattel nehmen. Lady Rohana ... Bitte, weiter-singen! Ihr reitet neben Melora, um für sie alles zubesorgen, was sie braucht. Wir anderen haben alleHände voll zu tun, etwaige Verfolger zu erkennenund abzuwehren.

Lori, du kümmerst dich um die cralmacs. Du kennstihre Kampfesweise. Diese langen Klingen ... Sonstnoch etwas? Leeanne?«

»Manchmal vergiften die Trockenstädter ihreSchwertspitzen. Ihr dürft also nicht den kleinstenKratzer übersehen und vernachlässigen. Ich habe eineSalbe, die ihre schlimmsten Gifte neutralisierenkann.«

»Gut. Wir sind also bereit. Rafaelle, mach jetztSchluß mit diesem verdammten Lied und halte dei-nen Dolch griffbereit ...«

Rohana ließ ein paar Verse aus, und Rafaelleschenkte sich das Nachspiel. Sie packte ihre Harfe zuden übrigen Sachen in ihr kleines Bündel. In denZelten verstauten die Amazonen rasch und geschicktdie Lebensmittel und andere wichtige Sachen in ihrenSatteltaschen. Devra und Rima schlenderten zum Tor.Rohana wußte, wenn sie zurückkehrten, war das Torunbewacht ...

Nicht wehleidig sein, sagte sie zu sich selbst. Essind ja nur Trockenstädter, die den Tod nicht nureinmal verdient haben ... Doch es muß auch guteMenschen unter ihnen geben ...

Zornig auf sich selbst schob Rohana diesen Gedan-ken beiseite. Ich habe Kindra und ihre Frauen ange-

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worben, um Melora und ihr Kind zu entführen, sagtesie sich, und das kann nicht ohne Blutvergießen ge-schehen. Das wußte ich schon vorher ...

Kindra winkte die rothaarige Frau zu sich. »Ichwollte Euch eigentlich hier zurücklassen«, flüstertesie, »aber wir werden Euch brauchen, falls MeloraHilfe oder Zuspruch benötigt. Kommt mit, Lady, aberpaßt auf Euch auf, falls es zu einem Kampf kommt.Keine von uns wird Zeit genug haben, Euch zu be-schützen, und Jalaks Männer werden Euch für eineder unsrigen halten. Habt ihr eine Waffe?«

»Das hier habe ich«, antwortete Rohana und wiesihren kleinen Dolch vor, den alle Comyn-Frauen zuihrem persönlichen Schutz trugen. Kindra musterteihn besorgt.

»Er bietet nur wenig Schutz in einem Kampf, aberwenn wir verlieren, doch daran glaube ich nicht, falltIhr wenigstens nicht lebend in Jalaks Hände. Vaidomna, seid Ihr dafür bereit?«

Rohana nickte. Hoffentlich bemerkte die Amazonenicht, wie sehr sie zitterte. Und da glaubte sie wieder,wie schon öfter in den vergangenen zwanzig Tagen,daß Kindra vielleicht ein wenig Psi-Kraft habenmußte, denn die Amazone legte ihr eine Hand auf dieSchulter. »Lady, glaubt Ihr etwa, wir hätten keineAngst?« sagte sie leise dazu. »Uns wurde nur beige-bracht, der Angst ins Gesicht zu sehen. Das lernen dieFrauen unserer Welt sehr selten. Komm jetzt, Nira, dukennst den Weg ...«

Rohana folgte ihnen und bildete den Schluß derkleinen Truppe. Ihr Herz klopfte so laut, daß sieglaubte, jede müsse es hören. Wie Geister oderSchatten bewegten sie sich im Schutz der Gebäude,

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huschten lautlos dahin. Wo hatten sie gelernt, sich soleise und geschickt zu bewegen?

Einen Augenblick lang wünschte Rohana, sie hättedieses Abenteuer nie begonnen und könnte sicher inihrem Schloß Ardais unter dem Hellers sein. Krieg,Rache und Rettungsaktionen waren doch eigentlichMännersache, oder nicht?

Aber die Männer hatten es zugelassen, daß Meloraals Gefangene bei Jalak leben mußte ... Deshalb mußtesie, Rohana, deren Pflichten übernehmen.

Die Stadt war ein Labyrinth, doch es dauerte nichtallzu lange, bis die Frauen vor ihr zusammentratenund über einen offenen Platz zu einem großen Hausschauten, in dem Jalak von Shainsa regierte. Es warein riesiger Bau aus großen, weißen Quadersteinen,fast eine Festung, deren zwei Tore von riesigen Po-sten in Jalaks barbarischer Livree bewacht wurden.Lautlos verschwanden die Amazonen im Schattendes Gebäudes. Rohana hatte Kindras Plan für gut be-funden, denn alle Tore in der Trockenstadt warenbewacht. Konnte man aber durch eine kleine Seiten-tür in den Hof gelangen, der um diese Stunde ver-mutlich verlassen dalag, dann konnte man auch zuJalaks Schlafzimmer kommen.

»Unsere Hoffnung ist, daß die Wachen wegen desmonatelangen Friedens in der Stadt nicht so wachsamsind, wie sie sein sollten«, hatte Kindra gesagt.

Nur ein Posten stand am Seiteneingang. Rohanakonnte sein Gesicht nicht sehen, aber sie war Telepa-thin und las seine Gedanken: Langeweile, der jedeUnterbrechung recht kam, sogar ein bewaffneter An-griff.

»Gwennis, deine Rolle«, flüsterte Kindra.

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Als der Plan aufgestellt wurde, hatte Gwennisprotestiert. »Muß es denn ausgerechnet ich sein?«Und Kindra hatte geantwortet: »Ja, weil du die Hüb-scheste bist.« Jetzt gab es nichts mehr als die Disziplinder Gruppe. Gwennis trat einen Stein lose, und derPosten wurde von diesem Geräusch aus seiner Lan-geweile geweckt. Schon hatte Gwennis Messer undDolch abgegeben, vorher aber noch ihre Tunika einStück vorne aufgeschlitzt. Dann lief sie auf denmondhellen Platz hinaus.

Der Posten sah sie und zögerte nur einen Augen-blick lang, dann rannte er auf das junge Mädchen zu.»He, Hübsche, bist du vielleicht einsam? Eine Ama-zone? Hast du sie satt und hältst nach etwas Besse-rem Ausschau?«

Gwennis schaute ihn nicht einmal an. Bei der Plan-besprechung hatte sie gesagt: »Ich verführe ihn nichtzum Tod. Kümmert er sich nur um seinen Dienst, ister sicher. Weibliche Tricks verabscheue ich.«

Der Posten hatte die Seitentür aber schon verlassenund war vor allem neugierig. »Nicht einmal ein Mes-ser hast du?« fragte er. »Na, dann wirst du jetzt erle-ben, was es heißt, eine Frau zu sein. Vielleicht gefälltdir das besser.« Er griff ziemlich grob nach dem Mäd-chen, hielt ihr mit einer Hand den Mund zu und ... Erkonnte kein Wort mehr sagen, denn Loris langesMesser traf, mit tödlicher Sicherheit geworfen, direktseine Kehle und durchschnitt die große Arterie unterseinem Ohr. Kindra und Camilla zogen ihn in denSchatten der Mauer, so daß kein Passant ihn sehenkonnte. Schnell untersuchte Kindra seinen Gürtel,fand die Schlüssel und probierte sie an dem schwerenSchloß aus. Die Tür war von außen versperrt, also

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weniger gegen Eindringlinge, mehr gegen Fluchtver-suche der Frauen ...

Endlich fand Kindra den passenden Schlüssel.Lautlos schwang die Tür auf, und die Amazonendrängten sich hinein. Leise machten sie die Tür hintersich zu.

Nun standen sie in einem verlassenen Garten. Hier,in den Trockenstädten, gab es nur Dornbüsche, außeres wurde etwas angepflanzt und sorgfältig gepflegt.Jalak, der Tyrann von Shainsa, hatte keine Kosten ge-spart, um für sich und seine verwöhnten Frauen eineOase zu schaffen. Bunte Blumen wuchsen üppig un-ter hohen Bäumen, einige Brunnen plätscherten, unddie Luft war mit süßen Düften geschwängert. ImSchatten eines großen Schwarzfruchtbaums bliebendie Frauen stehen.

»Leeanne«, flüsterte Kindra.Die schlanke Gestalt huschte weiter zu der Kam-

mer, in der Meloras zwölfjährige Tochter mit ihrerKinderfrau schlief. Wie mochte sich eine neutrali-sierte Amazone fühlen? überlegte Rohana. Ungedul-dig schob sie diesen Gedanken von sich. Wie lächer-lich, jetzt so etwas zu überlegen!

Die Gartentür war ungeschützt, und einen Augen-blick später waren alle im Haus. Rohana wußte vonihrem Rapport mit Melora her, wo Jalaks bewachtesSchlafzimmer lag. War Melora wach? Den ganzenNachmittag über hatte sie der Versuchung wider-standen, in telepathischen Kontakt mit ihrer Base zutreten, doch jetzt war es notwendig. Sie griff aus ...

Melora ... Und da war sie plötzlich Melora.Hellwach lag sie an der Wand und zwang sich zur

Geduld ... Das schwere Kind in ihrem Leib boxte hef-

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tig. Kleiner Sohn, dachte sie, Avarra möge mir ver-zeihen, aber du bist Jalaks Sohn, und ich habe keinenanderen Wunsch, als daß du sterben mögest ...

Werden sie heute kommen? Wie? Seit zehn Jahrensah sie vor sich das Bild ihres Ziehbruders Valentine,der auf so schreckliche Art hatte sterben müssen, daß... Nein, nur jetzt nicht daran denken! Oh, Aldones,Herr des Lichtes, behüte Rohana, daß nicht auch sie ...

Jalak schlief fest. Hinter ihm erkannte sie imMondlicht, das durch die Gartenfenster fiel, die Ge-stalten der beiden Favoriten, die sein Bett teilten.Auch sie schliefen. Die nackte, blasse Danette, diesich an Jalaks langen Körper schmiegte. Anfangshatten solche Dinge sie gedemütigt, und wie oft hattesie geweint! Aber nach zehn Jahren war sie gleich-gültig geworden, und sie fühlte sich erleichtert, daßsie sein Bett nicht mehr zu teilen brauchte. Währendihrer Schwangerschaft war Jalak, da sie ja seinen Sohntrug, fast gutmütig zu ihr gewesen und hatte ihr eineigenes Bett zugestanden, damit sie in Ruhe schlafenkonnte. Seit Jahren brauchte sie auch nachts die Ket-ten nicht mehr zu tragen, die alle Frauen der Trok-kenstädte bei Tag fesselten. Wie oft war sie ihm an-fangs an die Kehle gefahren! Doch nur solange, bis siesich klar wurde, daß sie ihn damit nur erregte.

Wie sehr Danette sie doch haßte! Sie weiß, daß sieunfruchtbar ist, und deshalb haßt sie auch das Kind ...Nein, Garris hasse ich nicht, überlegte Melora. SeineEltern verkauften ihn in ein Bordell nach Ardcarran,als er nicht älter war als Jaelle jetzt ... Er liebt Jalakebensowenig wie ich ... Die Frauen in den Trocken-städten sind wenigstens irgendwie durch das Gesetzgeschützt, doch Leute wie Garris ... Armer Kerl, er

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weint so oft ... Wenn doch die Nacht verginge ...Plötzlich versteifte sie sich. Was war das für ein

Geräusch? Die Tür wurde aufgebrochen, und plötz-lich war der Raum voller Frauen. Jalak wachte auf, tateinen Schrei und griff nach seinem Schwert, das im-mer bereit lag. Er rief nach den Wachen, aber nie-mand gab mehr Antwort. Nackt sprang er die Gestaltan, die ihm am nächsten war, doch er wurde an dieWand gedrängt. Er verschwand hinter einer Wandvon Frauen; mit ihren Messern stachen sie auf ihn ein,und Kindra schnitt die Sehnen an den Rückseiten sei-ner Knie durch. Heulend und um sich schlagendstürzte er zu Boden. Danette kniete mit aufgerissenenAugen auf dem Bett und kreischte.

»Garris! Garris! Nimm sein Schwert, es sind nurFrauen ...!«

Camilla drückte der schreienden Danette ein Kis-sen auf das Gesicht, und Garris saß da und mustertevoll unheiligen Vergnügens den sich windenden,heulenden Jalak. Rohana fand am Fuß des Bettes ei-nen pelzgefütterten Mantel, in den sie Melora hüllte.»Komm schnell«, drängte sie.

Melora taumelte, geführt von ihrer Base und einerAmazone, in die Halle. Jalak hörte zu heulen auf. Warer tot oder nur vom Blutverlust geschwächt und be-wußtlos?

Durch die noch offene Tür sah sie, daß Garris Ja-laks Schwert in der Hand hatte. Nira wirbelte herum,aber Garris rannte an den Amazonen vorbei und denKorridor entlang, denn er schien an nichts andersmehr zu denken als an Flucht.

Eiligst brachte Rohana ihre Base in den Garten. Erwar still und friedlich wie vorher, denn nur im Haus

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lagen Jalaks Wächter, und vielleicht war auch Jalakselbst tot.

Nur Jalak selbst hatte einen Abwehrstreich führenkönnen, und der hatte Niras Schenkel getroffen. Des-halb hinkte sie und lehnte sich schwer auf CamillasArm. Lori bückte sich und legte ihr mit einem Ta-schentuch einen Notverband an, den sie mit demGürtel ihrer Tunika befestigte. Leeanne kam aus derDunkelheit und trug auf den Armen eine kleine Ge-stalt im Nachthemd und ohne Schuhe. Sie stellte dasMädchen auf die Füße, und im trüben Licht sah Ro-hana ein kleines, erstauntes, verschlafenes Gesicht.

»Mutter?«»Ist schon gut, mein Liebling. Das sind meine Base

und Freundinnen«, antwortete Melora mit ihrer sin-genden Stimme.

Sie taumelte, und Kindra stützte sie fürsorglich.»Könnt Ihr gehen, Lady? Wenn nicht, werden wirEuch tragen.«

»Oh, ich kann gehen.« Aber sie klammerte sich an Ro-hanas Arm. Zum erstenmal seit einem Dutzend Jahrenbin ich außer Haus und ungefesselt. Oh, ich könnterennen, sogar fliegen! Irgendwohin. Überallhin ...

Sie spürte das Gewicht des ungeborenen Kindesund die schneidenden Schmerzen in ihrem Rücken,doch sie achtete nicht darauf. Frei bin ich, dachte sie,frei. Stürbe ich jetzt, wäre ich glücklich. Aber ich darfsie nicht aufhalten ...

Der Marktplatz war eine Wildnis verlassener Hüt-ten und Buden. Rima und Devra kamen aus derDunkelheit, in der die Pferde warteten. »Die Toresind klar«, meldete Rima und zog einen Finger querüber die Kehle.

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»Kommt. Laßt alles zurück bis auf die Satteltaschenund die Lebensmittel«, befahl Kindra und führteMelora zu einem Pferd mit Damensattel. »Domna, eheIhr aufsteigt, zieht Ihr besser diese Kleider an. Viel-leicht passen sie nicht sehr gut, aber zum Reiten tau-gen sie besser als Euer Nachthemd.«

Rohana zog ihr das Gewand über den Kopf undhalf ihr in die langen, weiten Hosen. Dann schlüpftesie in eine pelzgefütterte Tunika. Der Duft des Klei-dungsstücks trieb ihr die Tränen in die Augen, dennes war der jener Gewürze, die in jedem Haus derDomänen die Luft versüßten. Rohana half ihr in denSattel und zog ihr weiche, wenn auch viel zu großeWildlederstiefel über die Füße.

Zu ihrer Erleichterung sah sie, daß eine der Ama-zonen Jaelle in einen Mantel gewickelt und sie hintersich in den Sattel gehoben hatte. Wach und erstauntsaß sie da, viel zu aufgeregt, als daß sie noch hätteFragen stellen können.

Kindra nahm die Zügel von Meloras Pferd. »Lady,setzt Euch so bequem, wie es geht«, sagte sie. »Ichwerde die Stute schon führen.« Melora klammertesich an das ihr kaum mehr vertraute Sattelhorn undwappnete sich gegen den Schmerz, den die Bewe-gung des Reitens hervorrief.

Kindra ging nach vorne zur Spitze der kleinen Ko-lonne. »Und jetzt reitet wie die Teufel«, sagte sie leise.»Alle. Wir haben nur fünf Stunden Zeit bis zum Son-nenaufgang. Dann wird jemand Jalak in seinem Blutfinden. Und selbst wenn wir Glück haben, ist in dennächsten drei Dutzend Jahren die Haut einer FreienAmazone in den Trockenstädten kaum mehr wert alseinen Sekal. Also los!«

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Sie ritten. Melora klammerte sich am Sattel fest.Kindra hatte ihr ein Pferd mit einem leichten Gangausgesucht, also das beste, das es für eine schwangereFrau gab. Nur einmal schaute sie zurück zu denMauern von Shainsa.

Der Alptraum ist vorüber, dachte sie. Dreizehn Jah-re. Jalak ist für sein Leben verkrüppelt, vielleicht tot.Aber er soll nicht sterben. Er verdient es, ein Lebenlang daran zu denken, daß es Frauen waren, die ihmdas angetan haben!

Ich bin gerächt. Ich und Valentine. Und Jaelle wirdfrei aufwachsen ...

Unverfolgt ritten sie durch die Nacht.

3.

Niemals vergaß Lady Rohana Ardais die Flucht ausShainsa. Jeder geringste Laut hinter ihnen konnte be-deuten, daß man Jalak oder seine Leiche gefundenhatte, und dann war die Jagd auch schon im Gang.

Die anderen vor ihr waren nur vage Schatten, de-nen sie folgte. Nach ein paar Stunden zeigte sich amHorizont der erste helle Streifen, der dem Sonnenauf-gang etwa zwei Stunden vorausging. Allmählichnahmen die Rosse und Reiter vor ihr Gestalt an.

Nun kamen sie aber langsamer vorwärts, denn dieFlucht der ersten Stunden konnten nicht einmal dieschnellen Pferde der Ebenen von Valeron langedurchhalten. Jaelle, eine kleine, dunkle Gestalt,drückte sich im Schlaf an die schläfrige Camilla.

Wie wurde das Kind mit all dem fertig? Sie war inden Trockenstädten aufgewachsen, und für sie

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mochten Mord, nächtliche Überfälle und die Entfüh-rung von Frauen normal sein. Was dann, wenn sie ih-rem Vater Jalak gegenüber loyal wäre? Niemandkannte Jaelle. Nur Melora, die Telepathin, konnte ih-rem Kind ins Herz schauen.

In den ersten Stunden legten sie eine kurze Rast fürdie Pferde ein. Leeanne erstieg den Gipfel eines na-hen Hügels, um nach Verfolgern Ausschau zu halten.Rima drückte Rohana Brot und ein Stück Trocken-fleisch in die Hand und goß etwas Wein in den Be-cher am Sattelhorn.

»Eßt und trinkt, Lady, solange Ihr noch könnt. Fallswir verfolgt werden, bleibt uns keine Zeit für einFrühstück. Zwischen hier und Carthon gibt es nur einpaar Verstecke. Kindra kennt sie zwar alle, aber unse-re Sicherheit ist ein großer Vorsprung.«

Gehorsam kaute Rohana Brot und Fleisch, wenn esauch wie altes Pergament schmeckte. Den größtenTeil steckte sie in die Tasche der ungewohnten Ama-zonenhose. Der Wein war sehr sauer; sie spülte sichnur den Mund damit.

Welches Glück, daß sie in ihrer Jugend gelernthatte, lange beschwerliche Ritte durchzustehen! Sielehnte sich an ihr schwitzendes Pferd und tätscheltedessen Kopf. Aber wie müde mußte Melora sein! Siebemerkte, daß Jaelle, in einen dicken Mantel gewik-kelt und mit einem weiteren zugedeckt, noch immerfest schlief. Die Amazonen nahmen sich des Kindessehr liebevoll an.

Kindra half eben Melora aus dem hohen Sattel,doch ehe Rohana ihre Base erreichte, wurde sie vonNira gebeten, doch einmal ihre Schenkelwunde anzu-sehen und sie zu verbinden, da sie von ihr beim Rei-

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ten mehr als erwartet behindert werde.»Komm hierher«, bat sie, »ich werde es versuchen.«

Aus ihren Satteltaschen zog sie ein reines, weichesHemd und riß es in Streifen. Sie mußte aber den Not-verband und das Hosenbein mit dem Messer weg-schneiden, weil das Blut verklumpt und angetrocknetwar. Nira fluchte zwar leise in sich hinein, verzogaber keine Miene, als Rohana die Wunde mit demsauren Wein auswusch. »Sie müßte genäht werden,aber im Mondlicht kann ich das nicht«, erklärte sie,als sie einen Druckverband anlegte. »Sobald es hellist, werde ich wieder nachsehen.«

Nira bedankte sich. »Wenn dieser Bastard Jalakseine Waffen nicht vergiftet hat ...«, sagte sie. »Manhört das öfter von den Trockenstädtern.«

»Das tut er nicht«, sagte Melora leise neben ihnen.Ihr Gesicht war sehr blaß und sah verschwollen aus.»Jalak hielte das für feige, und er würde seinen gutenRuf verlieren, weil seine Edlen glauben müßten, erselbst sei von seiner Schlagkraft nicht überzeugt.«

»Ein tröstlicher Gedanke«, bemerkte Nira. »Ist eseine Tatsache oder nur das Gefühl einer liebendenFrau?«

»Nur meine eigenen Götter wissen, wie wenig lie-bende Frau ich ihm war«, flüsterte Melora, »doch dasist, bei der Ehre meines Hauses, wahr.«

»Ich habe es nicht böse gemeint, Lady«, versicherteihr Nira. »Aber Ihr habt dreizehn Jahre in seinemHaus gelebt und seid nicht gestorben.«

»Dein Blut wurde in meinem Dienst vergossen,mestra, und deine Rede kränkt mich nicht, weil meinStolz nicht so groß und böse ist wie der Jalaks. Undwas mein Leben angeht – kannst du in der Dunkel-

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heit sehen?« Sie hielt Nira die Handgelenke entgegenund lenkte deren Finger über die dicken Narben undhornigen Stellen, die von den metallenen Kettenreifenstammten. Und darüber ließen sich dicke, häßlichaussehende, zackige Narben feststellen. »Die trage ichbis zu meinem Tod. Ich wurde Tag und Nacht so festangekettet, daß ich nicht einmal selbst essen konnte.Die Frauen mußten mich füttern, baden und zur La-trine führen. Als das hier geheilt war, wuchs meinKind in mir. Ich konnte das Ungeborene nicht mitmeinem eigenen Tod töten ... Wie hast du sie heraus-geholt? Jalak hatte sie in die Obhut seiner wildestenWächterin gegeben.«

Leeanne kam nun vom Hügel zurück und hörte ge-rade noch die letzten Worte. »Bis jetzt scheinen wirnicht verfolgt zu werden«, berichtete sie. »Nichtsrührt sich zwischen hier und Shainsa. Und die Kin-derfrau Eurer Tochter, Lady, wacht nicht mehr auf.Frauen töte ich nicht gerne, doch sie griff mich mit ei-nem Dolch an. Mir blieb keine Wahl. Ich mußte sievor den Augen des Kindes töten.«

»Für diese Frau weine ich nicht«, erklärte Melora.»In Jalaks Haus wird kaum jemand weinen. Sie warvor Jaelles Geburt meine Gefängniswärterin, und ichhaßte sie noch mehr als Jalak. Er war von Natur ausgrausam und zur Grausamkeit auch noch erzogenworden, aber sie fand Vergnügen daran, andere zuquälen. Ich hoffe, Zandru wird ihre Gesellschaft inder Hölle genießen. Ich hätte sie gerne mit meinen ei-genen Händen getötet ...« Sie wandte sich an Rohana,und zum erstenmal umarmte sie nun ihre Base. »Bre-da, ich bin noch nicht sicher, daß dies nicht ein Traumist und ich doch wieder in Jalaks Bett aufwache.«

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Als Melora ihr geschwollenes Gesicht an das Roha-nas lehnte, war sofort der Rapport hergestellt. Melo-ras Geist lag offen vor ihr: Schmerz und äußerstesUnbehagen. Kann sie denn noch reiten? überlegteRohana. Wird sie hier in der Wüste in die Wehenkommen und unsere Flucht aufhalten?

Sanft entzog Melora ihrer Base die Hand. »Duweißt wenig von den Trockenstädten«, sagte sie.»Man hätte von mir erwartet, daß ich reite, auchwenn ich näher meiner Stunde wäre. Mach dir keineSorgen um mich, breda ... Oh, wie gut ist es doch,wieder in der eigenen Sprache sprechen zu können!«

Rohana machte sich ehrliche Sorgen um Melora. Sieselbst hatte als Hebamme keine Erfahrung, obwohlsie natürlich als Herrin von Ardais viele Geburtenmiterlebt hatte. Melora brauchte jetzt unbedingt Ruheund Fürsorge, aber die Amazonen bestiegen schonwieder ihre Pferde; es schien auch gar nicht andersmöglich zu sein.

Kindra besah sich kurz Niras bandagierte Wunde.»Bis jetzt«, erklärte sie dabei, »scheinen wir nicht ver-folgt zu werden, aber am Morgen wird man Jalakoder seine Leiche finden. Mir wäre lieber, ichbrauchte nicht gegen Jalaks Männer zu kämpfen odermeine Tage angekettet in einem Bordell von Shainsazu verbringen.«

Melora lächelte. »Oh, vielleicht gibt es gar keineVerfolgung. Wahrscheinlicher ist, daß Jalaks Erbenschon über seine Besitztümer und Frauen streiten,und einen Sohn von ihm mit einem rechtmäßigenErbanspruch würden sie am allerwenigsten wün-schen.«

»Aldones gebe, daß es so ist«, meinte Kindra.

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»Aber jemand könnte sich doch rächen wollen unddafür sorgen, daß kein Sohn einen Anspruch erhebenkann.«

»Ich kann jedenfalls reiten, soweit ich muß«, er-klärte Melora ruhig. »Könnte ich meine kleine Toch-ter bei mir auf dem Sattel haben?«

»Lady, Euer Leib ist schwer, und Euer Pferd solltekein so großes Gewicht tragen«, wandte Kindra ein.»Wir werden sie nacheinander zu uns nehmen, damitsie länger schlafen kann ... Kann sie reiten? Wir hättennoch ein Reservepferd, wenn sie allein im Sattel sit-zen kann.«

»Sie konnte reiten, als sie kaum laufen konnte,mestra.«

»Gut. Jetzt kann sie noch schlafen, aber wenn siewach wird, soll sie reiten«, bestimmte Kindra undhob Jaelle auf ihren eigenen Sattel. Rohana half ihrerBase auf das Pferd.

Melora sehnte sich nach dem Sonnenaufgang. »Umdiese Stunde wünschte ich mir immer Schnee oderRegen, nur um diesen endlosen, ewigen Sand nichtmehr sehen zu müssen«, flüsterte sie.

»Wenn die Götter wollen, breda, wirst du mit uns inzehn Tagen in den Bergen sein, und dann siehst duden Schnee bei jedem Sonnenaufgang«, antworteteRohana leise.

Melora lächelte, doch sie schüttelte den Kopf. »Ichkann jetzt reiten und mein eigenes Pferd führen,wenn du es für besser hältst.«

»Eine Weile laß es mich noch führen«, bat Rohana,und Melora lehnte sich etwas zurück, um die Bewe-gungen des Pferdes besser abfangen zu können.

Allmählich veränderte sich der Charakter der

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Landschaft. Im Licht der jungen Sonne sahen sie Ber-ge, so weit das Auge reichte. Der Boden war mitDornbüschen und grauen, federigen Gewürzstaudenbestanden. Anfangs war der Geruch angenehm, dochnach ein paar Stunden war Rohana überzeugt, nie-mals mehr in ihrem ganzen Leben Gewürzbrot essenzu können. Melora saß immer unsicherer im Sattel,doch sie beklagte sich mit keinem Wort, wenn auchihr Gesicht grau war vor Müdigkeit und Schmerz.

Die Sonne stieg höher, und die Hitze wuchs. Einigeder Amazonen zogen lose Falten ihrer Kleider überdie Köpfe. Auch Rohana tat es. Sie spürte jeden Mus-kel und jeden Knochen vom langen Ritt, und ihreAngst, Melora könne nicht mehr lange durchhalten,wurde immer größer.

Leeanne, die der Kolonne vorausgeritten war,kehrte zurück und sprach mit Kindra, die sofort zuRohana kam. »In der nächsten Schlucht ist ein Was-serloch«, berichtete sie, »und Felsen gibt es, die vorder Sonnenhitze schützen. Dort können wir liegen,solange es so heiß ist ... Wie geht es Euch, Lady?«wandte sie sich an Melora.

Melora lächelte mühsam. »So gut, wie ich hoffenkann, mestra. Ich kann jedoch nicht leugnen, daß ichfroh bin, etwas ausruhen zu können.«

»Gut. Dann werden wir eine Rast einlegen. Ichwollte, ich könnte Euch all dies ersparen, Lady, aber...«

Melora winkte ab. »Ich weiß, daß ihr Kopf undKragen für mich riskiert habt, und die Götter mögenverhüten, daß ich mich je darüber beklage, wenn ihretwas für nötig haltet, das eurer und unserer Sicher-heit dient.«

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Fast war das wieder die alte Melora, und Rohanahielt den Atem an vor Staunen. Sie war voll sanfterAnmut und von jener Höflichkeit, die sie den ein-fachsten Leuten ebenso erwiesen hatte wie den Edel-leuten. So, dachte sie, hat sie auch in Dalereuth ge-sprochen, als wir noch junge Mädchen waren. Barm-herzige Evanda, gibt es wirklich eine Hoffnung fürsie, daß sie ihr Leben frei und glücklich weiterlebenkann?

Es war ein kleines Wasserloch, doch Kindra sagte,das Wasser sei gut. Dahinter standen schwärzlich-rote Felsen, die purpurne Schatten auf den Sand war-fen. Es war jedenfalls besser, den Schatten und eineRast genießen zu können, als in der Mittagshitze desTrockenlands reiten zu müssen.

Rohana half Melora aus dem Sattel und stützte sie,um sie in den Schatten der Felsen zu führen. Dannkehrte sie zu den Pferden zurück, um ihnen Wasserzu geben. Kindra hielt sie auf. »Lady, sorgt für EureVerwandte«, sagte sie und nahm ihr die beiden Pfer-de ab. »Wie geht es ihr übrigens?«

»Bisher hat sie es geschafft«, meinte Rohana. »Mehrkann ich auch nicht sagen.« Sie wußte genau, daßMelora so kurz vor ihrer Niederkunft überhauptnicht mehr reiten sollte, und Kindra wußte das auch.Doch was konnte dagegen getan werden?

»Bis jetzt läßt sich noch immer kein Zeichen für ei-ne Verfolgung erkennen«, meldete Leeanne. Jaelle,die von ihrem Pferd geglitten war, trat zu ihr. »Wieweißt du, mestra, daß wir nicht verfolgt werden?« Siesprach die Sprache der Bergländer mit einem leichtenAkzent, doch sehr verständlich, und Kindra lächeltesie an.

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»Ich höre keinen Hufschlag, wenn ich mein Ohr aufden Boden lege, und würden Männer reiten, soweitmein Auge reicht, müßten Sandwolken zu erkennensein.«

»Dann bist du ja ebenso gut wie Jalaks beste Fähr-tenfinder!« stellte Jaelle verwundert fest. »Ich wußtegar nicht, daß auch Frauen Fährtenfinder sein könn-ten.«

»Kleine Dame, da du in Shainsa lebtest, kannst dunicht viel über Frauen wissen.«

»Willst du mir dann etwas darüber erzählen?«»Wenn ich Zeit habe. Jetzt aber glaube ich, daß du

soviel von Pferden verstehst, daß sie getränkt und inden Schatten gebracht werden müssen, nicht wahr?«

»Oh, kann ich helfen?«Kindra gab dem kleinen Mädchen die Zügel des

Pferdes, das Melora geritten hatte. »Geh erst langsamdamit auf und ab, bis sich sein Atem beruhigt hat undder Schweiß um den Sattel getrocknet ist. Dann führstdu es zum Wasser und läßt es trinken, soviel es will.Kannst du das tun?«

»Ja, natürlich«, versicherte Jaelle und ging mit demPferd auf und ab. Kindra und Rohana sahen ihr zu.Sie war groß für ihr Alter, sehr schlank und zartkno-chig, und ihr flammend rotes Haar hing ihr über denhalben Rücken. Noch immer trug sie das reichbe-stickte und mit kostbaren Spitzen besetzte Leinen-nachthemd, aber eine der Amazonen hatte ihr eineJacke übergezogen, die ihr viel zu groß war. Sie warbarfuß, doch der heiße Sand schien ihr nichts auszu-machen. Rohana stellte fest, daß sie, abgesehen vondem roten Haar, wenig Ähnlichkeit mit Melora, nochweniger aber mit Jalak hatte.

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Melora hatte sich auf ihrem Reitumhang ausge-streckt und die Augen geschlossen. Als Rohana zu ihrtrat, fragte sie nach Jaelle.

»Sie hilft Kindra bei den Pferden«, berichtete ihrRohana. »Sie scheint vom Ritt nicht sehr ermüdet zusein, und es geht ihr gut. Ich wollte, ich hätte etwas vonihrer Energie.« Sie ließ sich neben ihrer Base nieder.

Melora griff mit ihren mageren Fingern nach Ro-hanas Hand. »Ich sehe, Base, wie sehr du dich mei-netwegen ermüdest. Aber wie bist du zu diesen Frau-en gekommen? Du hast doch nicht wie sie Mann undKinder verlassen?«

Rohana lächelte. »Nein, meine Liebe, meine Ehegeht gut. Gabriel und ich sind so glücklich wie anderePaare auch. Und alles andere ist eine lange Ge-schichte und nicht leicht zu erzählen. Siehst du, mirschien, alle, und fast auch ich, hätten dich vergessen.Es war ja auch eine so lange Zeit ...«

»Ja, ein ganzes Leben«, erwiderte Melora undseufzte.

»Erst dachte ich an einen Traum, als du zu mirkamst. Ich reiste nach Thendara und sprach mit eini-gen vom Rat, aber sie erklärten mir, sie könntennichts tun, und einen Krieg mit den Trockenstädtenkönne man jetzt nicht riskieren. Ganz durch Zufallbegegnete mir dann, als ich zurückritt, eine GruppeFreier Amazonen auf der Straße. Sie waren Jägerin-nen und Händlerinnen und hatten ein paar Söldne-rinnen bei sich als Schutz. Sie selbst könnten nicht zuden Trockenstädten reisen, erklärten sie mir, aber sierieten mir, zum Gildehaus zu gehen und mit Kindrazu sprechen. Sie versprach mir, deine Rettung zu ver-suchen. Und so ...«

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»... bist du hier. Und ich bin auch hier. Ich hattemich selbst schon aufgegeben, als ich wußte, daß ichJalaks Sohn trug. Ich war zu sterben bereit ...« Sie be-obachtete Jaelle, die nun das Pferd tränkte. »Sie istetwas älter als zwölf. Mit dreizehn hätte man ihrKetten angelegt. Ich glaube, wärest du nicht gekom-men, so hätte ich erst sie und dann mich getötet.«

»Das ist vorüber, Liebes«, redete ihr Rohana zuund legte schützend ihren Arm um die Schultern derBase. »Im Moment kannst du ausruhen und bist frei.Versuch zu schlafen.«

»Wann habe ich eigentlich zuletzt geschlafen? Undjetzt erscheint es mir schade, zu schlafen, wo ich dochfrei und wieder bei dir bin. Und ich bin glücklich. Er-zähl mir von den Verwandten, Rohana. Regiert Mari-us Elhalyn noch immer in Thendara?«

»Oh, es gibt viel zu erzählen, und ich brauchte vieleStunden und Tage dazu. Dom Marius starb im Jahrnach deiner Entführung. Aran Elhalyn hält die Jahrehindurch den Thron warm, wenn auch der wahreHerrscher, wie immer, Lord Hastur ist. Nicht der alteIstvan, der ist senil, sondern Lorill Hastur, sein Erbe.Er und seine Schwester Leonie waren mit uns imTurm von Dalereuth. Erinnerst du dich? Ich dachte,Lorill würde deinetwegen vielleicht gegen Jalak ...«

»Nein, nein«, erwiderte Melora und seufzte. »DieHasturs haben an wichtigere Dinge zu denken als andie Verwandtschaft; etwa wie er besser sein kann alsdie Trockenstädter mit all ihren kleinen Kriegen.Herrscht sonst Friede?«

»Oh, Friede ... Ja ... Lorill hat die Terraner von Ald-aran nach Thendara gebracht. Sie bauen einen Raum-hafen dort; er hat diesen Schritt vor dem Rat vertei-

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digt. Einige waren dagegen, doch Lorill siegte, wie esja die Hasturs gewöhnlich tun.«

»Die Terraner ...«, sagte Melora. »Ja, ich habe vonihnen gehört. Menschen wie wir von einer anderenWelt, die mit großen Schiffen von den Sternen kamen.Jalak erzählte solche Geschichten, um darüber zu la-chen. In den Trockenstädten wissen sie nicht, daß dieSterne Sonnen sind wie die unsere. Jalak sagte, dieseAußenweltler müßten sehr gerissen sein, daß sie dieSieben Domänen so an der Nase herumführen ...« Sieschloß die Augen, und Rohana war froh darüber,denn Melora sollte lieber ruhen als sprechen.

Doch da stand Jaelle vor Rohana. »Bist du meineVerwandte, Lady Rohana?« fragte das Kind, und Ro-hana breitete die Arme aus. Jaelle drückte sich schnellan sie. »Wie geht es meiner Mutter, Tante? Schläftsie?«

»Sie ist sehr müde, und sie schläft.« Sie stand aufund zog Jaelle mit sich. »Ich will nicht, daß sie auf-wacht, doch ...«

Das Gesicht der Kleinen war ernst, und sie hattegroße, grüne Augen. Comyn, dachte Rohana. Sie siehtnicht aus wie Melora, aber ihr Comynblut kann sienicht verleugnen. Nein, in Jalaks Händen hätten wirsie nicht lassen dürfen, niemals!

Jaelle sagte: »Sie dürfte jetzt nicht reiten. Das Babywird bald kommen.«

»Ich weiß das, Liebes. Aber hier sind wir nicht si-cher oder nur für eine kurze Rast. Sobald wir inCarthon sind und außerhalb Jalaks Reichweite, wirdalles gut.«

»Aber meine Mutter ... Das Reiten, diese Überan-strengung ... Was wird mit ihr?« Hatte das Kind la-

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ran? Rohana wußte, daß sich diese Gabe fast immererst in den Entwicklungsjahren zeigte, selten vorher,und daß sie dann gebildet und geübt werden mußte,sollte sie keinen Schaden anrichten.

Sie sah auf Melora hinab, die in einem Schlaf derErschöpfung dalag. Sie waren drei junge Mädchengewesen, als sie zusammen im Turm von Dalereuthim Gebrauch der Matrix unterwiesen wurden, Melo-ra, Rohana und Leonie Hastur, die Schwester jenesLorill Hastur, der jetzt hinter dem Thron von Then-dara regierte. Rohanas Familie hatte darauf bestan-den, sie müsse den Erben der Domäne Ardais heira-ten, um dort den großen Besitz zu verwalten, Söhneund Töchter zu gebären. Leonie wurde Wärterin imTurm, denn ihre Begabung lag weit über dem Durch-schnitt der Telepathen. Jetzt kontrollierte sie denTurm von Arilinn und damit alle arbeitenden Tele-pathen von Darkover. Leonie hatte allerdings denPreis der Wärterin bezahlt; sie hatte auf Liebe undEhe verzichten und ihr Leben lang eine Jungfrau blei-ben müssen.

Melora hatte keine Wahl gehabt. Jalaks bewaffneteMänner hatten sie entführt und in Ketten gelegt. EinLeben lang leiden müssen ...

Bleibst uns wirklich eine eigene Wahl? überlegteRohana. Wir teilen das Bett eines Fremden, weil dieFamilie es verlangt, oder wir haben die Macht überunbeschreibliche Kräfte, können aber nie nach derHand eines anderen Menschen ausgreifen in Liebeund Zärtlichkeit. Wir werden in unser Schicksal ge-schoben ...

Jaelles kleine Hand berührte sie sanft. »Tante, dubist so blaß ...«, sagte sie.

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»Weißt du, Kind, ich habe nichts gegessen. Ichwerde wohl auch bald deine Mutter aufwecken müs-sen, damit sie etwas ißt ...« Diesmal ging sie aber zuden Amazonen, die eben eine Mahlzeit austeilten. Sieverdünnte den Wein mit dem Wasser aus der Quelleund fand ihn so erträglich.

Kindra sah nach der noch immer schlafendenMelora. »Sie braucht Ruhe dringender als Essen undTrinken. Sie kann essen, wenn sie aufwacht. Aber du,Jaelle, du wirst in diesem Nachthemd bald einenSonnenbrand bekommen. Gwennis, Leeanne undDevra, ihr müßt doch unter euren Sachen etwas fürdas Kind finden?«

Alle gingen sofort zu ihren Satteltaschen, und aufeine fast mütterliche Art, die Rohana rührte, kleidetensie Jaelle zweckmäßiger ein. Die Hosen und die wei-chen Lederstiefel waren natürlich viel zu groß, undan Reithosen war das Kind überhaupt nicht gewöhnt,denn in den Trockenstädten ritten die Frauen im Da-mensattel. Das taten die Frauen von den Domänennicht, doch die meisten ritten in ihren langen, weitenRöcken ebenso geschickt wie die meisten Männer.

Rohana kämmte ihr die langen Haare und flocht siezu einem dicken Zopf, um sie nicht abschneiden zumüssen. Sie selbst hatte, um sich den Amazonen an-zupassen, ihr feuerrotes Haar abschneiden müssen.Was würde Gabriel sagen, wenn er mich so sähe?überlegte sie. Er müßte wohl verstehen, daß sie dasHaar für Melora hatte opfern müssen. Es würde janachwachsen ...

Nachdem alle gegessen hatten, teilte Kindra Devraund Rima zur Wache ein, damit alle anderen wäh-rend der größten Tageshitze schlafen konnten. Lee-

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anne und sie selbst hatten die ganze Nacht hindurchdie Kolonne angeführt, und Nira war durch ihreWunde geschwächt. »Und du, domnina, solltest auchschlafen«, riet sie Jaelle.

Gwennis schenkte dem Kind noch eine Süßigkeit,damit ihr Mund nicht allzu trocken werde, und Jaellebedankte sich mit einem reizenden Kopfnicken. Et-was schien sie lange zu beschäftigen, und schließlichfragte sie: »Gwennis, einige von euch sehen fast wieMänner aus? Warum?«

»Ja. Leeanne und Camilla. Sie wurden neutralisiert.Weißt du, es gibt Frauen, die ihre Weiblichkeit als zugroße Bürde betrachten und deshalb diesen Wegwählten, auch wenn das Gesetz ihn verbietet.Manchmal ist es auch wirklich beschwerlich, eineFrau zu sein, und ich denke, soviel weißt du auchschon. Nun, ich selbst ziehe es vor, eine Frau zu blei-ben.«

Rohana hatte zugehört, und da sie eine verwöhnteDame von den Domänen war, hatte sie oft gemeint,jene Mädchen, die nicht besonders weiblich aussahen,müßten es sehr schwer haben, je einen Mann zu fin-den und ein normales Frauenleben zu führen.

Aber Kindra, Rima und die anderen, die sich durchihre Kleidung und ihr kurzgeschorenes Haar so sehrvon den anderen Frauen unterschieden, waren lie-benswürdig und sogar mütterlich und sehr gütig.

Jaelle lächelte Gwennis an. »Wenn du dein Haarnicht so kurz geschnitten hättest, wärest du sehrhübsch«, sagte das Kind.

»Warum soll ich hübsch sein wollen? Ich bin keineTänzerin, Schauspielerin oder Sängerin.«

»Wenn du schön aussiehst, kannst du aber leicht

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einen Mann finden und bist nicht gezwungen, als Jä-ger oder Soldat deinen Lebensunterhalt zu verdie-nen.«

»Kindchen, ich will aber gar nicht heiraten«, ant-wortete Gwennis lachend. »Weißt du, ich lasse michnicht gerne von meinem Mann so oder anders anket-ten ...«

Jaelle wurde blaß und biß sich auf die Fingerknö-chel, dann wurde sie tiefrot, rannte weg und warfsich weinend auf den Boden.

Gwennis sah sehr verlegen drein. »Ich hätte dasnicht sagen sollen«, bemerkte sie zu Rohana.

Diese schüttelte den Kopf. »Sie mußte es ja einmalerfahren.« Jetzt, überlegte sie, hat es Jaelle verstan-den. Vorher war alles für sie nur ein Abenteuer gewe-sen, und jetzt weiß sie es. Es ist ein Schock für einMädchen an der Schwelle der Weiblichkeit, nochmehr für eines mit so großen telepathischen Fähig-keiten ...

Rohana ging zu dem Mädchen, das noch immerschluchzte. Sie wollte das Kind tröstend an sich zie-hen, doch Jaelle versteifte sich ablehnend. Ich bin jafast eine Fremde für sie, überlegte Rohana traurig. Ichkann nichts für sie tun. Noch nichts ...

4.

Drei Tage und Nächte waren vergangen. Entwederhatte man die Verfolgung der Flüchtigen überhauptaufgegeben, oder man war in die falsche Richtung ge-ritten; oder Melora hatte recht: die Erben des entwe-der toten oder verkrüppelten Jalak teilten unter sich

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schon dessen Frauen und Besitztümer auf.Allmählich hatte sich das Land, über das sie ritten,

verändert. Die mit Dornbüschen und dem Gewürz-kraut bestandene Wüste war allmählich übergegan-gen in eine Dünenlandschaft, die mit zerklüftetenFelsbrocken durchsetzt war.

Es wurde Abend, und die schlimmste Tageshitzehatte nachgelassen. Kindra mahnte die kleine Kolon-ne, mit dem Wasservorrat sparsam umzugehen, daman vielleicht das nächste Wasserloch in dieserNacht nicht mehr erreichen könne.

Melora hing mit gesenktem Kopf im Sattel. Rohanawar voll verzweifelter Sorge um sie. Für eine hoch-schwangere Frau war dieser lange Ritt viel zu be-schwerlich, doch Melora hatte sich mit keinem Wortbeklagt. Rohana hatte das Gefühl, daß ihr kaum et-was am Leben lag. Mit ihrem Ausgreifen nach Roha-na hatte sie die Rettung ihrer Tochter eingeleitet, unddie war gelungen.

Die Sonne ging als riesige, blutrote Scheibe unter,diesmal in einem leichten Wolkenkranz, dem ersten,seit Rohana den Fluß bei Carthon überquert hatte.Kindra deutete auf den blutroten Sonnenuntergang.»Diese Wolken hängen über Carthon«, sagte sie.»Und hinter Carthon sind wir wieder im Gebiet derDomänen. Jalak würde, käme er jetzt, nicht mit einerArmee kommen. Also liegt dort die Sicherheit. Wiegeht es Lady Melora?«

»Ich fürchte, nicht gut«, erwiderte Rohana nüch-tern, und Kindra nickte.

»Ich bin ihretwegen froh, wenn wir den Fluß über-quert haben. Dann können wir ihr Ruhe gönnen. So-lange wir uns in diesem Land hier befinden, müssen

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wir auf Sicherheit bedacht sein.«»Ich weiß es, und Melora weiß es auch.«»Dort drüben schlagen wir unser Lager auf.« Kin-

dra deutete auf eine Ansammlung hoher, schwarzerFelsen, die wie Reißzähne vor dem niederen Horizontstanden. »Und wenn die Götter gut zu uns sind, kön-nen wir Essen kochen und sogar den Schweiß undStaub von unseren Gesichtern waschen.«

»Du kennst wohl jedes Wasserloch hier, Kindra,nicht wahr?«

»Ich bin hier noch nie gereist, sehe aber, daß derkyorebni dort kreist. Das tut er nur über Wasser. Undmorgen gegen Mittag werden wir den Fluß überque-ren. In Carthon sind wir in Sicherheit ... Oh, wie seh-ne ich mich nach einer guten Suppe und einem safti-gen Braten! Diesen ewigen Haferbrei mit Trocken-fleisch und Trockenfrüchten habe ich satt. Einmalwieder frisches Brot statt Zwieback ...«

»Mir geht es ähnlich«, gab Rohana zu. »Und ich la-de euch zur besten Mahlzeit im besten Gasthaus vonCarthon ein, sind wir erst einmal dort!«

»Aber betet zu Euren Göttern, Lady, daß domnaMelora in der Lage ist, diese Mahlzeit zu genießen.Reitet zu ihr zurück, Rohana, und sagt ihr, daß wir inKürze ein Lager aufschlagen werden. Sie kann sichkaum mehr im Sattel halten.« Auch sie war über alleMaßen besorgt.

Rohana seufzte und ritt zu ihrer Base zurück. Nochnie im Leben hatte sie eine solche Müdigkeit ver-spürt. Der Gedanke, wieder einmal in einem ordentli-chen Bett zu schlafen, frisch gekochtes Essen zu be-kommen, in einer Wanne mit heißem, duftendemWasser zu baden, schien sie zeitweilig völlig zu be-

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herrschen. Die Amazonen mußten solche Wünschewohl als Zeichen der Verweichlichung ansehen, dochsie wollte ihnen schon zeigen, daß auch eine Comyna-ra einiges zu ertragen vermochte. Aber für Melorahätte sie von Herzen gern einige Erleichterungen ge-habt.

Melora ritt neben Rima. Die Amazone flüsterte Ro-hana zu: »Lady, sie hat sich nicht beklagt, aber ichglaube, Ihr solltet Eure Base einmal näher anschauen.Im Seenland habe ich einmal für eine Weile mein Brotals Hebamme verdient, und sie gefällt mir nichtrecht.«

Gut, daß wenigstens eine Hebamme bei uns ist,dachte Rohana und seufzte wieder. Melora hob denKopf, als Rohana neben sie ritt, und ihr Anblick er-schütterte Rohana. Ihr Gesicht war blaß und dick ver-schwollen, auch ihre Lippen waren farblos. Sie ver-suchte Rohana anzulächeln, aber es wurde ein trauri-ger Versuch. Ihr Gesicht verzog sich schmerzhaft.Rohana wußte sofort Bescheid.

»Breda, du hast Wehen!«»Ich fürchte, schon seit ein paar Stunden«, ant-

wortete sie mühsam. »Ich hatte gehofft, wir würdenein Lager am Wasser finden. Ich bin sehr durstig, Ro-hana.«

»Liebes, wir sind ganz nahe am Wasser«, redeteRohana der Base zu und griff nach ihren Händen.»Nur noch ein paar hundert Schritte müßten wir rei-ten. Siehst du?« Sie deutete nach vorne. »Ein paarsteigen schon von ihren Pferden. Und hör doch: dukannst Jaelle lachen hören.«

»Sie ist wie ein kleines Tier, das man aus dem Käfiggelassen hat«, flüsterte Melora. »Ich bin froh, daß alle

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so gut zu ihr sind. Armes Lämmchen, ich habe sowenig Kraft für sie ...«

»Sie versteht es«, versicherte ihr Rohana.»Ich hoffe, sie versteht es nicht.« Ihr Gesicht verzog

sich wieder zu einer schmerzlichen Grimasse. Sie wa-ren nun in unmittelbarer Nähe des Platzes, wo dieVorhut der Amazonen mit Jaelle die Pferde absattelte.Alle stritten sich fast darum, Jaelle vor sich im Sattelreiten zu lassen und ihr die besten Happen ihrer kar-gen Rationen zuzustecken. Sie erzählten ihr Ge-schichten und sangen ihr vor, während sie ritten, undsogar kleines Spielzeug machten sie für das Kind.

Sie ist eine Tochter, auf die man in den Sieben Do-mänen stolz sein kann, dachte Rohana in wehmüti-gem Stolz. Jalaks Blut könnte einmal ein Nachteil fürsie sein, wenn man sie zu verheiraten versucht. Derkann jedoch überwunden werden. Ich bin sicher, daßsie laran hat. In Thendara werde ich sie sofort testenlassen ...

Sie glitt aus dem Sattel, übergab ihr Pferd Rima zurVersorgung und half Melora vom Pferd. Sie mußte siefesthalten, damit sie nicht in den Knien einknickte,und deshalb rief sie nach Kindra. Mit einem Blickübersah die erfahrene Amazone die Lage.

»So, dann ist also Eure Zeit gekommen, domna«,stellte sie fest. »Geburt und der nächste Winter sinddas einzig Sichere auf der Welt, und sie kommen,wann sie wollen. Dank den Göttern, wir sind nahe amWasser. Wie schade, daß wir das Zelt zurücklassenmußten. Kein Kind sollte unter freiem Himmel gebo-ren werden.«

»Besser unter freiem Himmel als in Jalaks Palast«,erwiderte Melora heftig.

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»Könnt Ihr noch ein paar Schritte gehen?« fragteKindra.

»Ich kann, was ich muß«, antwortete Melora, lehntesich jedoch schwer auf den Arm ihrer Base. »Ichhoffte, ich könnte bis Carthon durchhalten.«

Nun mußte Rohana mehr Zuversicht zeigen, als siehatte. »Schau, sie machen schon Feuer. Wir werdenLicht haben, warmes Essen bekommen, und Wasserhaben wir auch. Und, siehst du, eine der Amazonenwar sogar Hebamme.«

Dankbar ließ sich Melora auf das Deckenlager sin-ken, das die Amazonen für sie vorbereitet hatten. Siesah wirklich erbarmenswert aus. Sie atmete ange-strengt. »Rohana, willst du mir bitte etwas zu trinkenbringen? Ich bin sehr durstig«, klagte sie nun. »Nein,bleib bei mir. Habe ich dir schon gesagt, warum esplötzlich so ungeheuer eilig war, aus Jalaks Haus zufliehen? Ich fand Jaelle, als sie mit anderen kleinenTöchtern spielte, mit Bändern an den Handgelenken.Sie spielten angekettet ... Deshalb mußte ich dort weg,ehe das Kind geboren war, sonst hätte ich uns alledrei töten müssen ...«

Rohana fühlte ein Mitleid mit ihrer Base, das ihrfast das Herz abdrückte. »Liebe, ich will dir etwas zutrinken bringen«, bat sie. »Willst du auch einen Hap-pen essen? Du solltest es versuchen.«

Als sie mit dem Wasser zurückkam, war sie äußer-lich wieder etwas ruhiger. Kindra sagte ihr noch, daswarme Essen und ein kräftigendes Getränk seien inVorbereitung, und eine Fackel werde man auch er-möglichen können.

Durstig trank Melora aus dem Becher, den ihr Ro-hana an die Lippen hielt. Dabei redete sie unaufhör-

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lich leise auf ihre Base ein, um ihr Mut zu machen.»Breda«, unterbrach Melora sie nach einer Weile,

»lüg mich nicht an. Hast du vergessen, was wir beidewaren? Was wird geschehen?«

»Was soll ich dir sagen, Melora«, erwiderte Rohanabekümmert. »Du weißt selbst, daß eine hochschwan-gere Frau nicht so weit und so angestrengt reiten soll.Aber andere Frauen haben auch ihre Enkelkinder mitihren Geschichten darüber unterhalten, und ich hoffe,du wirst es auch tun. Ich bin jedenfalls immer beidir.«

»Das ist gut, Rohana. Besser du als jene, die mirJalak zugedacht hatte. Jalak hat mir alles versprochen– nur nicht die Freiheit –, wenn es ein Sohn wird. Ichdachte schon daran, um den Kopf dieser Hexe zubitten ... Aber ich danke dir, Rohana, daß du mirsagtest, es gebe hier eine Hebamme. Ich dachte nie,daß eine Freie Amazone einen so weiblichen Berufwählen könnte.«

»Nun, wir verdienen uns den Lebensunterhalt mitjeder ehrlichen Arbeit«, erklärte ihr Rima freundlich,die gerade ankam. »Im Gildehaus von Arilinn, wo ichausgebildet wurde, gab es als Spezialität die Ausbil-dung als Hebamme, und wir sind, von Temora biszum Hellers, als die besten unter ihnen bekannt. So-gar von den großen Gütern werden wir oft geholt.Und jetzt, Lady, werde ich wohl nachsehen, wie weitdie Sache schon gediehen ist und wie lange es nochdauern wird.« Sie kniete nieder und fühlte mit ge-schickten, zarten Händen den Körper Meloras ab. »Esist ein starkes und großes Kind«, stellte sie fest. Dakam Jaelle weinend herbeigelaufen. »Komm, Kind,das nützt jetzt deiner Mutter gar nichts«, redete sie

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Jaelle zu. »Du bist fast erwachsen und mußt dichauch so benehmen.«

Melora versuchte sich aufzurichten. »Laßt sie hierbei mir, bitte. Ich weiß, sie wird vernünftig sein.«Jaelle warf sich in die Arme ihrer Mutter und um-armte sie leidenschaftlich. »Siehst du, mein Kind, alldie Anstrengung hat sich gelohnt. Du bist frei! Frei!Und jetzt, mein Liebling, geh zu den anderen Frauen.Du kannst mir jetzt nicht helfen. Versuch zu schla-fen.«

Gwennis führte das Kind in die Dunkelheit, jenseitsdes Lagerfeuers, aber Rohana hörte Jaelle noch eineganze Weile leise schluchzen. Endlich schien sie ein-geschlafen zu sein. Die Nacht zog sich endlos in dieLänge. Melora war ungeheuer geduldig und tat, wasihr gesagt wurde. Rohana trocknete ihr immer wiederdas schweißfeuchte Gesicht und hielt ihre Hände. Siesprachen auch ein wenig miteinander, doch baldstellte Rohana zu ihrem Schrecken fest, daß Melorakaum mehr wußte, was mit ihr und um sie herum ge-schah. Immer wieder wehrte sie sich dagegen, ange-kettet zu werden, oder sie stieß heftige Flüche in derSprache der Trockenstädte aus. Und immer wiederversuchte Rohana, auf telepathischem Weg den Geistihrer Base zu erreichen, doch alles, was sie fühlte, warEntsetzen. Was mußte die Ärmste gelitten haben ...

Einmal, als Melora für einen Moment zwischenzwei Wehen schlief, sagte Rima: »Sie hat keine Kraftmehr, um das Kind zu gebären. Wir können nur nochwarten.«

Rohana glaubte, an den ungeweinten Tränen er-sticken zu müssen, und entschuldigte sich für einenMoment. Als sie sich ihrer Haltung wieder einiger-

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maßen sicher war, ging sie zum Feuer, wo ein Topfmit einem Gerstengetränk warmgehalten wurde undtrank einen Becher davon. Da legte ihr Kindra eineHand auf die Schulter.

»Sieht es so schlimm aus, Lady?«»Ich fürchte, sehr schlimm ... Sie war nicht dazu

angelegt, leicht Kinder zu gebären, vor allem nichtnach einer so anstrengenden Reise, ohne Bequem-lichkeit, ohne Rast ...«

»Es tut mir unendlich leid«, sagte Kindra. »Es istgrausam, daß sie für ihre Freiheit soviel leiden muß,ohne sich ihr erfreuen zu können. Sie hat soviel Mutbewiesen. Es ist schlimm, zu wissen, daß niemand daist, ihr Kind zu säugen, selbst wenn sie es noch gebo-ren hat ...«

»Ach, was weißt du schon von Kindern«, bemerkteRohana voll Bitterkeit.

»Ebenso viel wie Ihr, Lady. Ehe ich zwanzig war,hatte ich vier Kinder geboren. Ich wurde sehr jungverheiratet. Mein erstes Kind starb nach wenigen Ta-gen. Die Hebammen sagten, ich solle kein Kind mehrbekommen, doch mein Mann bestand auf einem Er-ben. Das zweite und dritte Kind waren Töchter, undda verfluchte er mich. Beim vierten Kind wäre ich fastgestorben. Drei Tage brauchte ich, bis es zur Weltkam. Aber diesmal fluchte er nicht, denn es war einSohn. Er überschüttete mich mit Geschenken und denkostbarsten Juwelen. Ich war nichts als nur ein In-strument, das ihm Söhne schenken sollte. Die Töchterhatten keinen Wert. Als ich wieder kräftiger war undlaufen konnte, verließ ich meine schlafenden Kinder,schnitt mein Haar kurz und ging zur Gilde der FreienAmazonen. Und da erst begann mein Leben.«

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Rohana starrte sie entsetzt an. »Aber ... so sinddoch nicht alle Männer?«

»Nein? Lady, Ihr hattet wohl Glück, aber mehr istnicht daran ... Horcht ... Geht zu Ihr, Lady, ich glaube,Melora braucht Euch. Es kann nun nicht mehr langedauern.«

Als Rohana neben ihrer Base niederkniete, keuchtesie vor Anstrengung. »Rohana ... Versprich mir ...«

»Nicht sprechen, meine Liebe. Tief Atem holen«, be-fahl Rima, »ja, so ist es recht. Noch einmal tief atmen.Und jetzt pressen, fest pressen ... Ja, so ist es gut.«

Einen Augenblick lang entspannte sich Melora,und da wußte Rohana aber, daß ihre Base schlimmerlitt, als sie selbst je vorher hatte leiden müssen. Siehatte immer Gabriel neben sich gehabt. Da begannMelora erneut zu keuchen. »Rohana ... Versprich mir... wenn ich sterbe ... sollst du für meine ... Kindersorgen. Für mein Baby. Nimm ... mein Baby zu dir ...«

Sie bäumte sich unter dem Wehenschmerz auf, undRohana griff nach ihrem Geist aus, um sie trösten undihr beizustehen, so gut es möglich war. Ich schwöre dir,Liebste, bei der Gesegneten Cassilda und bei dem Herrn desLichtes, daß ich sie halten und lieben werde wie meine ei-genen Kinder ...

»Danke, Rohana«, wisperte Melora. »Ich wußte es...« Sie fiel zurück. Rima warf Rohana einen Blick zu.

»Ihr holt jetzt besser Jaelle«, riet sie.»Das ist doch keine Sache für ein kleines Mäd-

chen«, wandte sie ein.»Es ist ihr gutes Recht, Lady«, redete ihr Kindra zu.

»Würdet Ihr es wünschen, den Tod Eurer Mutter zu ver-schlafen? Oder belügt Ihr Euch noch immer selbst?«

Melora klammerte sich an Rohanas Hände, und sie

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versuchte, der Base etwas von ihrer Kraft und sehr vielvon ihrer Liebe zu geben, damit sie sich daran festhal-ten könne, um weiterzuleben. »Wir sind doch da bei dir,Liebste, wir halten dich fest, wir sorgen doch für dich,Liebste ...« Aber sie wußte selbst nicht, was sie in ih-rer Angst und Hilflosigkeit vor soviel Leiden sagte.

Und dann tat Melora einen lauten Schrei, den er-sten – und den letzten. Gerade als die Sonne aufging,ertönte dann noch ein Schrei – der eines neugebore-nen Kindes.

»Evanda sei Dank«, sagte Rima und hielt dasnackte, noch blutige Kind in die Höhe. »Hört doch,wie kräftig er schreit.«

»Gib ihn mir«, flüsterte Melora, und nun verän-derte sich ihr Gesicht auf wunderbare Weise. Esglühte vor Glück. Wie kann sie so glücklich sein,überlegte Rohana, denn sie hatte im Moment ganzvergessen, wie glücklich sie sich selbst nach jeder Ge-burt gefühlt hatte. Rima wickelte das Baby in ein rei-nes Handtuch, das sie schon zurechtgelegt hatte undlegte es auf Meloras Leib.

»Er wird sich durchboxen«, stellte Rima fest.»Jalaks Sohn«, flüsterte Melora, und das glückliche

Lächeln verblaßte. »Was wird aus ihm werden? Dasarme Würmchen ...« Dann streckte sie die Händenach Jaelle aus. »Kind, komm her und küß mich.Jaelle ... Jaelle, oh ...«

Rima tat einen Entsetzensschrei, denn Meloras Blutschoß wie eine kräftige Quelle aus ihrem Körper. Blaßund blutleer sank Melora zurück und seufzte nocheinmal. Dann war nichts mehr zu vernehmen als dasWeinen von Meloras mutterlosen Kindern.

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»Wollt Ihr wirklich Jalaks Sohn aufziehen, Lady Ro-hana?« fragte Kindra.

Jaelle hatte sich in den Schlaf erschöpfter Trauergeweint, und Rohana lehnte an den aufgestapeltenSatteltaschen mit dem Neugeborenen, das sie schüt-zend in eine Falte ihrer Tunika gelegt hatte. Zärtlichstreichelte sie das schmatzende, nach Nahrung su-chende Kind. »Was soll ich denn sonst tun, Kindra?Ich habe Melora geschworen, ihre Kinder wie meineeigenen aufzuziehen.«

»Er ist aber aus Jalaks Blut!« rief Kindra heftig.»Und wenn Eure Angehörigen an ihm Rache nehmenfür seine Mutter?« Sie zog ihr Messer heraus unddrückte es, Griff voraus, Rohana in die Hand. »Er hatMelora das Leben gekostet, und nie konnte sie die soteuer erkaufte Freiheit genießen. Er ist Jalaks Sohn.Rächt Eure Base, Lady.«

Entsetzt erkannte Rohana, daß Kindra nichts als diereine Wahrheit sprach. Die Männer der DomänenArdais und Aillard würden so wie Kindra sagen: ermuß für Jalaks Verbrechen büßen.

»Er wird sterben, Lady, egal, was Ihr tut. Wir ha-ben keine Nahrung für ihn, können nicht angemessenfür ihn sorgen, es gibt keine Amme. Laßt ihn sterbenund neben seiner Mutter liegen.«

Aber Rohana schüttelte den Kopf. Das Messer gabsie zurück. »Blutrache ist Männersache, Kindra«,sagte sie. »Ich bin froh, daß ich eine Frau bin undnicht so grausam zu sein brauche. Das Kind soll lebenund mit seinem Leben für meines Ziehbruders Sohnbezahlen. Ardais hat seinen Sohn Valentine verloren,also soll das Kind nach ihm benannt werden. Und ersoll der Pflegesohn von Ardais sein und dessen Stelle

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einnehmen, der von Jalaks Händen starb.«Kindra steckte das Messer weg und lächelte grim-

mig. »Gut gesprochen, Lady, und das sage ich alsAmazone. Ich hätte nicht gedacht, daß Ihr bereit wä-ret, die Gesetze Eures Klans und Eurer Kaste in denWind zu schlagen.«

»Ich hoffe, daß ich das immer tun werde!« erwi-derte Rohana heftig. »Vielleicht stirbt er, aber nichtvon meinen Händen!«

»Gut, so sei es«, antwortete Kindra. »Ich werde mitRima reden. Sie hat schon viele mutterlose Kinderaufgezogen, denn Rima wurde im Gildehaus vonArilinn ausgebildet. Und überdies ist noch ein KindMeloras da, das Eurer Sorge bedarf, Lady.«

Die anderen Amazonen begruben Melora am Hü-gel hinter dem Wasserloch, und Rohana streichelte,als Kindra gegangen war, Jaelles Haar. »Weine nichtmehr, mein Liebling«, sagte sie. »Ich weiß, deinenKummer kann nichts stillen, aber ich habe deinerMutter geschworen, dich wie mein eigenes Kind zuhalten. Komm, Liebling, willst du nicht deinen klei-nen Bruder sehen? Er braucht dich, damit du ihnliebst und tröstest. Du hattest deine Mutter zwölf Jah-re lang, Jaelle, doch dieses arme Würmchen hat sieverloren, ehe sie ihm noch richtig ins Gesicht schauenkonnte. Nun hat er nur noch eine Schwester. Willstdu mir helfen, für ihn zu sorgen und ihn zu trösten?«

Jaelle riß sich verzweifelt los, und Rohana ließ siegehen. Sie wußte, für das Kind war dieses Erlebnis zuschwer gewesen, und wahrscheinlich wurde des Kin-des Geist im Augenblick von Meloras Tod mit Gewaltaufgerissen für die telpathische Gabe. Was mußte ge-schehen sein, wenn Melora in ihrer letzten Lebensmi-

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nute nach dem Geist des Kindes ausgegriffen hatte?Das Baby begann leise zu weinen. Es war noch ein

Stück Weg bis nach Carthon, wo man eine Amme fürdas Kind finden konnte. Wurde er richtig genährtund gepflegt, würde er überleben. Aber was konnteund sollte mit Jaelle geschehen?

Vielleicht, überlegte sie, können die Amazonenmehr für sie tun als ich.

Aber erst mußte sich Jaelle wieder beruhigen. Unddanach ... Sehnsüchtig musterte sie das weinendeKind. Nur die Zeit konnte diese Wunde heilen.

5.

Zwölf Tage später schaute Rohana vom Paß aus indas Tal von Thendara hinab.

»Jaelle!« rief sie. »Komm hierher und schau dir dieStadt deiner Väter an!«

Gehorsam ritt das Mädchen heran. »Ist das dieStadt der Comyn? Eine so große Stadt habe ich nochnie gesehen. Shainsa ist nicht halb so groß.« Faszi-niert, vielleicht auch etwas ängstlich, blickte sie hinabauf die weitläufigen Gebäude und das Schloß derComyn. »Ist es wahr, Tante, daß die Comyn direktvon den Göttern abstammen?«

In den zwölf Tagen hatte sie kein Wort von ihrenEltern gesprochen; Rohana fand das verständlich, daßsie es vermied, sich auf Vater oder Mutter zu bezie-hen. Sie sagte: »Ich kann dir nur berichten, was ichselbst hörte. Hastur, der Sohn des Aldones, des Herrndes Lichtes, kam in Hali auf unsere Welt und gewannda Cassilda, die Tochter von Robardin, Mutter der

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Domänen. All jene, die von Hastur abstammen, ste-hen den Göttern nahe. Ich weiß nicht, ob es nur eineschöne Fabel, oder ob es wahr ist. Doch an einem istnicht zu zweifeln. All jene, die aus dem Blut Hastursstammen, alle, die den Sieben Domänen angehören,haben laran, die Psi-Kraft, die sie von allen Menschenunterscheidet, die auf dieser Welt geboren werden.«

»Alle Comyn stammen also aus dem Blut Ha-sturs?«

»Anfänglich war das so. In den großen Tagen derTürme teilte sich die große Familie auf in die SiebenDomänen, doch alle entstammen dem Blut Hastursund Cassildas. Aber keines von uns ist ein Gott, meinKind.«

Wäre ich göttlich, wüßte ich eher, was ich mit die-sem Wurm hier anfangen soll, überlegte sie seufzendund legte ihre Hand auf das Köpfchen des Kindes,das in der Wärme ihrer Tunika schlief. Selbst imSommer war es kühl in diesen Höhen. Jaelle zeigteRohana keine Feindseligkeit mehr; Trost hatte sie beiihrer Tante auch nicht gesucht, und den kleinen Bru-der hatte sie noch immer nicht angerührt oder ange-sehen.

Alle Amazonen hatten sich in den ersten schwerenTagen rührend um das Neugeborene gekümmert. InCarthon fanden sie dann endlich eine Amme für ihn,aber auch dann wurde er abwechslungsweise von al-len getragen. Nur Jaelle weigerte sich, obwohl Kin-dra, die sie verehrte, sie dazu drängte.

Die Amme war eine dumme Person, aber sie hatteMilch, und das war alles, was zählte. Die Amazonenverachteten sie ebenso wie Rohana, doch da man siebrauchte, hielten alle Frieden.

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Rohana dachte darüber nach, daß sie Melora ver-sprochen hatte, die beiden Kinder wie ihre eigenenaufzuziehen. Ihr Mann würde sicher nichts dagegeneinwenden, denn er hätte gerne noch mehr als nurdrei Kinder gehabt. Sie wurde sich allmählich klarüber die Verantwortung, die sie auf sich genommenhatte. Die jüngste Tochter war schon fünf, der ältesteJunge nahezu erwachsen. Sicher würde Gabriel nunwieder davon sprechen, noch ein Kind haben zuwollen, damit der Kleine nicht allein aufwachsenmüsse.

Und welchen Platz können wir dem Sohn einesTrockenstädters einmal in den Sieben Domänen ein-räumen? überlegte sie. Und wird die kalte, in sich ge-kehrte Jaelle mich jemals akzeptieren? Die beidenKinder sind alles, was mir von Melora geblieben ist,aber Jaelle ist selbst noch ein richtiges Kind und siehtnur, daß der kleine Val sie ihrer Mutter beraubt hat ...

Kindra ritt zu Rohana heran. »Lady, bauen hier dieTerraner ihren Raumhafen?« fragte sie. »Was wollendiese Männer von einer anderen Welt hier?«

»Das weiß ich nicht«, erwiderte Rohana. Ihr schien,die enormen Maschinen hatten das Tal auf der Breiteeiniger Meilen völlig aufgerissen und es zu einer un-natürlichen Fläche eingeebnet. Ein Teil dieses Gebie-tes war gepflastert worden, und Gebäude in unbe-kannten Stilen und Formen schossen aus dem Boden.»Ich hörte, unsere Welt liege am Kreuzweg ihrerHandelswege zwischen den Sternen, denn sie schei-nen mit vielen Welten zu handeln. Ich denke, Gabrielweiß mehr darüber.

Diese Leute vom Terranischen Imperium kamenerst nach Caer Donn in der Nähe von Aldaran, bau-

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ten dort einen kleinen Raumhafen und verhandeltenmit den verfluchten Aldarans. Dann bot ihnen hierHastur genug Platz an, damit sie einen Raumhafen ineinem Gebiet mit milderem Klima bauen konnten, wosie auch mehr Platz hatten als zwischen den Bergen.Ihnen kommt nämlich unsere Welt kalt vor, und wirkönnen das besser überwachen, was sie tun. Aber wirhaben sonst nichts mit ihnen zu tun.«

»Warum nicht?« fragte Kindra. »Wenn eine Rasseso leicht von einem Stern zum anderen reisen kann,wie wir von hier nach Nevarsin reiten, könnte sie unsvieles lehren.«

»Ich weiß nicht«, erwiderte Rohana steif. »Hasturwill es so.«

»Welches Glück für die Männer der Domänen, daßsie einen Sohn des Hastur haben, der sie lehrt«,meinte Kindra spöttisch. »Eine dumme Person wieich hätte gedacht, eine Rasse, die nach den Sternengreift, könnte sogar einen Hastur an Weisheit über-treffen.«

Rohana schmerzte der Sarkasmus, doch sie fühltesich Kindra so sehr verpflichtet und verbunden, daßsie sich davon nicht kränken ließ. »Man hat es mir soerklärt: Hastur meint, ihre ganze Lebensart sei, da wirsie noch nicht verstehen, für uns eine Bedrohung. Dader Raumhafen für fünfhundert Jahre verpachtetwurde, haben wir also genug Zeit, zu wählen, waswir von ihnen lernen können.«

Eine Weile ritten sie schweigend weiter. Rohanawar sich dessen bewußt, daß sich auch für sie eineWelt geändert hatte. Fast vierzig Tage lang hatte sieein Leben geführt, das von ihrem früheren so ver-schieden war, wie jenes von dem der Terraner. Und

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nun sollte sie wieder in ihre alte Welt zurückkehren.Die Welt der Amazonen war ihr erst sehr hart,

merkwürdig und einsam vorgekommen; allmählichgewöhnte sie sich an die langen Ritte, die häßlicheKleidung, an das Baden in einem Wasserlauf, an dieNächte im Zelt oder unter freiem Himmel.

Schwerer hatte sie sich daran gewöhnt, ihre eige-nen Entscheidungen zu treffen, die ihr Vater, Brüderoder Ehemann abgenommen hatten. Selbst kleineKleiderfragen wurden nach Gabriels Wünschen ge-löst. Als sie dann Jaelle und den Neugeborenen alsihre eigenen Kinder aufzuziehen versprochen hatte,waren ihre Überlegungen immer wieder zu Gabrielzurückgekehrt und wie er alles aufnehmen würde.Konnte sie, da sie jetzt eigene Entscheidungen getrof-fen hatte, jemals wieder damit zufrieden sein, daßGabriel bestimmte? Von einer Frau ihrer Kaste wurdedas erwartet, und sicher wäre es auch leichter für sie.

Dann ritten sie durch Thendara, und die Leutestarrten die Lady der Comyn an, die mit den Amazo-nen ritt. In der Stadt entließ Kindra die meisten Ama-zonen zum Gildehaus von Thendara, und nur sieselbst mit der Amme begleitete Rohana, Jaelle unddas Baby zum Schloß der Comyn.

In der Suite, die dem Klan der Ardais seit undenk-lichen Zeiten gehörte, rief sie sofort die Stammdiener-schaft zusammen und ließ für die Amme und dasKind ein bequemes Quartier bereitstellen. Sie veran-laßte, daß Kindra als geehrter Gast behandelt wurde,und brachte Jaelle, die sie als Pflegetochter vorstellte,in einem gemütlichen Zimmer neben dem ihren unterund versorgte sie mit passender Kleidung.

Das kurzgeschnittene Haar, die häßliche Kleidung,

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der Zustand ihrer Hände und Haut, die vom Reitenund dem ständigen Aufenthalt im Freien ihre Zart-heit eingebüßt hatte, waren ein Schock für ihre Zofe.Für Rohana selbst war dies ein geringer Preis, den siedafür bezahlte, Melora lebend aus Jalaks Haus geholtzu haben, aber es war wundervoll, in einer Badewan-ne mit heißem, duftendem Wasser zu liegen, die stra-pazierte Haut mit Salben zu behandeln und sich wie-der wie eine Frau zu kleiden.

Sie hatte die Prinzessin von ihrer Ankunft verstän-digen lassen und erhielt Bescheid, Lady Jerana sei be-reit, sie zu empfangen. Lord Lorill Hastur wollte auchdie Führerin der Freien Amazonen sehen. Das war,wenn auch höflich formuliert, ein Befehl, zu demKindra ein wenig schief lächelte.

»Ich denke, er wird dir danken wollen«, erklärte ihrRohana. »Er ist ja auch Meloras Verwandter.«

»Nun, ich muß Lord Hastur auf jeden Fall gehor-chen, und so werden wir schon sehen, was er von mirwill.«

Dann wurde ihr Jaelle gebracht, und Rohana hieltden Atem an, so erstaunt war sie über des KindesSchönheit. Sie war groß für ihr Alter, ihre Haut warweiß und hatte ein paar Sommersprossen, man hatteihr das lange, bis zur Hüfte reichende Haar gewa-schen, so daß es jetzt wie frisch poliertes Kupferglänzte, und ihr entzückendes Kleid hatte genau diegrüne Farbe ihrer Augen. Jedes Comyn-Haus konnteauf eine solche Tochter wahrlich stolz sein. Würdensie das sehen? Oder dachten sie nur daran, daß sieJalaks Tochter war?

Lady Jerana, die Gemahlin von Aran Elhalyn, einegeborene Aillard und daher Rohanas Base, eine sehr

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verwöhnte, hellhaarige Frau, begrüßte die Verwandtemit einer kühlen Umarmung, Jaelle mit einem kaltenKuß auf die Wange und sprach mit Kindra erstaun-lich liebenswürdig.

»Das ist also das Kind unserer lieben Melora«,sagte Jerana und musterte Jaelle von Kopf bis Fuß.»Schade, daß sie auch Jalaks Tochter ist. Es wird nichtleicht sein, eine passende Heirat für sie zu arrangie-ren. Hat sie laran?«

»Das weiß ich nicht. Sie wurde noch nicht getestet«,erwiderte Rohana kalt. »Ich hatte an andere Dinge zudenken.«

»Solch rotes Haar zeigt oft, daß weit überdurch-schnittliche Psi-Kräfte vorhanden sind«, warf LorillHastur ein. »Ist sie so begabt, könnte man sie zu ei-nem Turm schicken, so daß sich die Frage einer Hei-rat erst gar nicht stellt.«

Rohana war der Meinung, für ein zwölfjährigesWaisenkind, das sich von den zahlreichen Schocksnoch nicht annähernd erholt hatte, sei diese Fragesehr unwichtig, sagte es aber nicht, weil Lorill Hasturdiesen Gedanken sowieso aufnahm. Er war einschlanker, ernsthafter Mann etwa in Rohanas Alter.Sein einst flammendrotes Haar war schon fast weiß.

»Ich nehme an«, bemerkte er sehr taktlos, »daß sietatsächlich Jalaks Kind ist.« Damit meinte er Jaelle.»Wenn aber Melora schon schwanger gewesen wäre,als man sie entführte, oder wenn wir sagen könnten,das sei der Fall gewesen ...«

Jaelle biß sich auf die Lippen, und Rohana wußte,was in dem Mädchen vorging. Sie erklärte also nach-drücklich, über die Vaterschaft gebe es keinen Zwei-fel.

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»Und Jalak ist wohl tot?«Kindra erklärte, mit absoluter Gewißheit wisse sie

das nicht, Sie seien jedoch nicht verfolgt worden, undin Carthon habe es bereits Gerüchte von großen Ver-änderungen in Shainsa gegeben.

»Deine unüberlegte Tat«, sagte Lord Hastur zu Ro-hana, »könnte uns in Schwierigkeiten bringen. Ich hof-fe, daß es keinen Krieg mit den Trockenstädten gibt.«

Kindra und Rohana warfen einander einen kurzenBlick zu, der besagte: wir mußten es ja. Laut sagteRohana: »Lorill, du bist auch Meloras Verwandter.Hätte ich sie in der Sklaverei und ihr Kind in JalaksHänden lassen sollen?«

Der Mann sah fast verstört drein. »Ich liebte Meloradoch auch! Doch ich kann keinen großen Kummerdarüber empfinden, daß sie ihre Freiheit nicht mehrerleben konnte. Was soll ich als Mann dazu sagen?Aber in meinen Händen liegt der Friede der Domä-nen, und ich kann nicht einer Person wegen das gan-ze Land in einen Krieg stürzen. Rohana, ich muß dastun, was für alle am besten ist, für die kleinen Leuteebenso wie für die Comyn. Die Bauern und kleinenHandwerker an den Grenzen zu den Trockenländernmüssen sowieso in ewiger Furcht leben, und ist ersteinmal der Waffenstillstand gebrochen, dann ...«

Plötzlich fühlte Rohana nur noch Mitleid für ihn.Richtig, er sagte die Wahrheit, und seine persönlichenGefühle durften seine Entscheidungen als. Comynnicht beeinflussen. Er war Meloras nächster Ver-wandter gewesen, und seine Pflicht hatte eine Frauerfüllen müssen. Für einen Hastur war das nichtleicht zu schlucken.

»Das spielt alles im Moment keine Rolle, Vetter.

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Wichtig ist die Vormundschaft über Meloras KinderJaelle und des Jungen, bei dessen Geburt sie starb.«

»Oh, die können doch anderswo aufgezogen wer-den«, erklärte Jerana taktlos, ohne vorher Jaelle weg-zuschicken.

»Man kann von uns schließlich nicht erwarten, daßwir uns für die Kinder des Tyrannen der Trockenstädtebesonders anstrengen. Hätte Melora gelebt, wäre esnatürlich anders gewesen. Du wirst sie wohl am be-sten irgendwo in Pflege geben und dann vergessen.«

Sogar Lorill zuckte dabei sichtlich zusammen, undRohana erwiderte scharf: »Ich habe Melora geschwo-ren, ehe sie starb, daß ich ihre Kinder wie die meinenaufziehen würde.«

Jerana zuckte die Schultern. »Nun, du mußt das jaam besten wissen. Hat Gabriel nichts dagegen, über-lasse ich das dir.« Jerana war also sehr froh, damitnicht belastet zu werden.

Lorill Hastur wandte sich an Kindra: »Du warst daswohl, mestra, die diese Rettung durchführte?«

»Meine Frauen und ich, Lord Hastur.«»Dafür sind wir dir sehr verpflichtet, denn du ta-

test, was meine Verwandten und ich selbst tun hättensollen. Welche Belohnung erwartest du von mir,mestra?«

Kindra entgegnete voll Würde: »Mein Lord, LadyRohana hat meine Frauen großzügig bezahlt, und Ihrschuldet mir nichts.«

»Aber zwischen uns steht ein Leben«, sagte Lorill.»Nein, denn ich konnte Lady Melora nicht retten.

Meine Aufgabe war die, sie ihren Verwandten zu-rückzugeben.«

Rohana schüttelte den Kopf. »Kindra, du hast deine

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Aufgabe erfüllt. Melora starb frei und glücklich. Es istaber meine Sache, Lorill, nicht die deine, sie zu fra-gen, welche Belohnung sie erbitten will.«

Kindra sah erst Rohana, dann Hastur an und tratneben Jaelle. »Da Ihr beide mir ein Geschenk anbie-tet«, erklärte sie, »bitte ich darum, Jaelle als meinePflegetochter behalten zu dürfen.«

»Unmöglich!« rief Lord Hastur sofort. »Ein Kindaus Comyn-Blut kann nicht bei Freien Amazonenaufwachsen!«

Auch Rohana war für einen Augenblick erschüt-tert, aber sie wurde dann zornig über Hasturs Wortewie vorher über Jeranas Taktlosigkeit. »Schöne Wor-te, Lorill«, antwortete sie voll Bitterkeit. »Es machtedir gar nichts aus, seelenruhig in Thendara zu sitzenund sie in Ketten bei Jalak aufwachsen zu lassen.«

Sie winkte Jaelle zu sich heran. »Jaelle, ehe deineMutter starb, habe ich ihr geschworen, ich würdedich wie meine leibliche Tochter aufziehen, dich alsoin meinem Haus behalten und ganz für dich sorgen.Aber du bist zwölf Jahre alt, und käme meine eigeneTochter mit zwölf Jahren zu mir und sagte: ›Mutter,ich will nicht bei dir leben, sondern bei diesen oderjenen Leuten aufwachsen‹, dann würde ich, wenn diegewählte Person vertrauenswürdig wäre, die Sacheüberdenken. Du hörtest, daß Kindra um dich bat, unddie Entscheidung liegt, wie du hörtest, bei mir. Willstdu nicht mit mir nach Ardais kommen und meineTochter sein?« bat sie. »Ich liebte deine Mutter undwill auch zu dir wie eine Mutter sein. Du bist danndie Spielgefährtin meiner Kinder und wirst so auf-wachsen wie deine Mutter und ich und wie es für dieKaste der Comyn paßt.«

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Jaelle, flehte sie lautlos das Kind an, bleib bei mir. Dubist alles, was ich von Melora habe ...

»Und wenn ich erwachsen bin, Tante?« fragte Jaelleernst.

»Dann, Jaelle, werde ich eine Heirat für dich arran-gieren, wie ich es für meine Tochter tun werde. Unddann ...«

»Ich will nur so aufwachsen, daß ich mich nie ei-nem Mann zu unterwerfen habe«, erklärte Jaelle fest.»Wenn Kindra mich will ...« Sie legte ihre Hand aufdie der Freien Amazone. »Ich bitte dich darum, Tan-te.«

Es ist zu spät, sie noch als Kind zu behandeln,dachte Rohana bekümmert. Sie ist weit über ihr Alterhinaus reif ...

Aber sie war eine Comyn-Tochter und konnte laranhaben. Deshalb bat Rohana: »Kindra, versprich mir,daß sie nicht neutralisiert wird.«

»Lady, Ihr habt anscheinend noch immer nichtsvon den Freien Amazonen verstanden. Wir neutrali-sieren keine Frauen«, erwiderte Kindra zornig. »Abund zu ist eine Frau so voll Haß auf ihre eigeneWeiblichkeit, daß sie einen Heiler besticht, ihretwe-gen gegen das Gesetz zu verstoßen. Manche kommendann zu uns, und wir können sie nicht ausstoßen.Wohin sollen sie auch sonst gehen? Aber die Frauen,die vorher zu uns kommen, lernen bei uns Selbst-achtung, nicht Selbsthaß. Wenn sie unter uns auf-wächst, wird sie diesen Haß nicht kennenlernen.« Sielegte ihren Arm um Jaelles Schultern und sprach nunallein zu ihr:

»Du kannst nach den Gesetzen unserer Gilde nochnicht als Amazone aufgenommen werden, und das

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weißt du selbst, Jaelle. Selbst unsere eigenen Töchtermüssen warten, bis sie großjährig sind. Wenn dufünfzehn bist, wird man dir erlauben, deine Wahl zutreffen. Bis dahin bist du nur meine Pflegetochter.«

»Diese ganze Sache ist doch ungeheuerlich!« fuhrLady Jerana auf. »Lorill, kannst du das nicht abstel-len?«

Aber Lorill Hastur schien Rohanas Meinung zusein, daß es viel ungeheuerlicher und grausamer war,das alles vor Jaelle zu besprechen. »Es ist RohanasRecht«, erklärte er, »zu bestimmen, wo Jaelle erzogenwerden soll. Sie hat zuerst dich gefragt, Jerana, dochdu hattest kein Interesse. Und nun verteidige ich Ro-hanas Recht der Entscheidung.«

»Nun, Rohana, du brauchst dir wenigstens keineGedanken über eine passende Heirat zu machen«,fauchte Jerana boshaft. »Die Freien Amazonen sind jadafür bekannt, daß sie ständig junge Mädchen su-chen, die sie zum Haß auf die Männer, auf ihreWeiblichkeit und Kinder und zur Weiberliebe erzie-hen können. Es war gerissen von dir, Jaelle bei ihnen...«

Rohana war blaß vor Zorn über diese schmutzigeAnschuldigung, doch sie sah, daß Kindra lächelte. Sieselbst würde in ihr altes Leben und zu Gabriel zu-rückkehren und dessen Launen dienen, wenn sichauch für sie die ganze Welt verändert hatte. Aber nunlebte sie ihr Leben aus eigener Wahl und bewußt,weil sie die Erfahrung gemacht hatte, daß ihre Zunei-gung für Gabriel und ihre Liebe zu den Kindern,auch die Verantwortung für den Besitz in Ardais ei-ner solchen Entscheidung wert waren.

Deshalb konnte nichts, was eine Frau wie Jerana

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jemals sagte, sie mehr kränken. Jerana war dumm,phantasielos und gehässig; nie hatte sie eine Gele-genheit gehabt, anders zu werden. Kindra wog hun-dert Jeranas und noch viel mehr auf. Ich bin frei,dachte Rohana. Jerana kann das niemals sein ...

»Es tut mir leid, daß du so denkst, Jerana«, sagte sievoll ungewohnter Sanftheit, »aber für Jaelle scheintmir das eine glückliche Entscheidung zu sein. Duwolltest Jaelle nicht, weil du nichts für sie fühlst, alsoist mir diese Entscheidung recht, denn ich liebe sie.Ich wäre selbstsüchtig, bände ich sie an mich, nurdamit sie mich in meiner Trauer um Melora tröstet.«

»Du willst sie also einer Freien Amazone überlas-sen, diesen skandalösen ...«

»Ich kenne sie, Jerana, du nicht. Und dir, Jaelle,sagte ich, daß ich deine Wahl respektieren würde,und deshalb soll dein Wunsch erfüllt werden.« Siedrückte Jaelle an sich und küßte sie auf die Wange.»Ich übergebe dich also Kindra. Ich hoffe, daß du ihreine gute Tochter wirst. Aber ich bitte dich, vergißmich nicht.«

Sie ließ Jaelle los und wandte sich an Kindra. Sienahm die harte, schwielige Hand der älteren Frau, dieihr ernst in die Augen sah. »Lady, mögen die Götterso mit mir sein, wie ich zu Jaelle sein werde«, sagtesie leise.

Wieder fühlte Rohana die unbeschreibliche Gütedieser Frau und ihre Zuverlässigkeit. Sie wußte, siekonnte Kindra unbedenklich dieses Kind oder ihr ei-genes Leben anvertrauen, und ihre Augen füllten sichmit Tränen. Fast wünschte sie, bei Kindra bleiben zukönnen.

»So geht es mir auch, Rohana«, sagte Kindra leise.

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Jetzt gab es keine »Lady« mehr, denn die Gefühlegingen für solche Formalitäten viel zu tief. Rohanavermochte nicht zu sprechen. Wortlos legte sie JaellesHand in die Kindras und ging.

»Pflegemutter, wirst du mir das Haar abschnei-den?« hörte sie Jaelle noch sagen, als sie den Raumverließ.

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II. Teil

Magda Lorne

(Zwischen Teil I und II liegen zwölf Jahre.)

6.

Wenn es irgendwo in der Galaxis etwas Lärmenderesgäbe als den Bau eines Raumhafens, dann wünschtesich Magda Lorne, sie möge es niemals erleben.

Seit Magda denken konnte, wurde daran gebaut.Sie war geboren in Caer Donn, der ersten Basis desTerranischen Imperiums auf Darkover. Acht Jahrehatte sie gezählt, als das Hauptquartier nach Then-dara verlegt wurde, und seither baute man.

Nicht einmal die herbstlichen Stürme oder diewinterlichen Schneefälle brachten den Bau ganz zumErliegen, so wie eben jetzt, denn durch den schwerenSchneesturm war die Altstadt hinter dem Haupt-quartier kaum zu sehen. Magda war unterwegs zuden Quartieren der unverheirateten Frauen, und alssie die schwere Sturmtür hinter sich zumachte, schloßsie damit das Unwetter und den Lärm aus.

Im Gebäude war es still, und die Lichter branntennach terranischem Standard gelblichweiß. Wenig-stens dieses eine Gebäude war fertig – und ruhig.Während ihrer kurzen Ehe mit Peter hatte sie imHaus der Verheirateten gewohnt, das auch jetzt nochunfertig und nicht geräuschdicht war. Vielleicht hatteder ewige Lärm mit zum Scheitern der Ehe beigetra-gen.

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Es wäre unter keinen Umständen gutgegangen,überlegte sie. Vielleicht hatten wir einander nie rich-tig geliebt, er mich und ich ihn nicht; wir waren zu-viel zusammen gewesen, doch wir hatten zu weniggehabt, das uns hätte zusammenhalten können ...

Wo mochte er jetzt sein? Noch nie vorher war er solange ausgeblieben. Sie hoffte, daß ihm nichts zuge-stoßen war.

Ebenso wie sie hatte Peter Haldane an der Impe-rialen Universität extraterrestrische Anthropologiestudiert und darin graduiert. Wie sie war auch er aufdem Planeten Cottman IV aufgewachsen, den dieEingeborenen Darkover nannten. Und beide warennach ihrer Rückkehr vom Studium sofort in den Ge-heimdienst des Imperiums auf Darkover getreten.Für das Imperium selbst war der Geheimdienst dieraffinierteste Form der Spionage, aber für Magda,Peter und noch ein paar andere war dieser Dienst diebeste Übung für Fremd-Anthropologen. Sie mischtensich unter das Volk und erfuhren auf diese Art vielmehr über dieses Volk als einer, der nicht auf dieserWelt geboren oder aufgewachsen war, je lernenkonnte.

Für Peter war sein letzter Auftrag eine ziemlichlange Angelegenheit. Und dann waren da dieseTräume. Sie wußte, daß sie diese Träume eigentlichberichten sollte. In den Kursen für Fremdpsychologiewaren sie und Peter auch auf Psi-Fähigkeiten getestetworden, beide bewiesen ein hohes Potential. Nunwußte sie aus ihren Träumen, daß Peter Haldane inGefahr war.

Als sie ihre schweren Überkleider abgelegt hatte,drückte sie auf den Kommunikatorknopf. »Lorne

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hier. Bist du's, Bethany? Hat sich Haldane etwa schonzurückgemeldet oder sonst Bescheid gegeben?«

»Kein Wort in den letzten achtundzwanzig Stun-den, Magda«, antwortete die Frau im Büro des Koor-dinators. »Du hängst noch immer an ihm, was? Täg-lich erkundigst du dich nach ihm.«

»Verdammt noch mal«, sagte Magda gereizt, »esgeht nicht darum, ob ich an ihm hänge oder nicht,aber ich kenne Peter, seit ich fünf Jahre alt war, undwir sind zusammen aufgewachsen, deshalb macheich mir Sorgen.« Sie unterbrach die Verbindung. Unddas ist auch der Grund, sagte sie zu sich selbst, wes-halb ich diese Träume nicht berichte. Alle hier zählensich an den Fingern ab, wann Peter und ich wiederzusammenkommen. Einer von uns müßte doch glattum Versetzung auf eine andere Welt eingeben. Aberich denke nicht daran! Ich bin hier aufgewachsen,und hier ist meine Heimat ...

Noch immer gereizt, zog sie die Darkovaner-Kleider aus, die sie immer trug, wenn sie außerhalbdes Hauptquartiers zu arbeiten hatte – den langen,weiten Rock aus schwerem Wollstoff in einem Schot-tenmuster, eine Tunika mit hohem Kragen und lan-gen Ärmeln, die am Hals reich bestickt war, und knö-chelhohe Stiefel aus leichtem, weichen Leder. IhrHaar war lang und dunkel, tief im Nacken zu einemKnoten geschlungen und mit einer schmetterlings-förmigen Spange festgehalten, wie sie jede Frau inden Domänen trug. Die Magdas war aus Silber, vor-nehme Damen trugen Kupfer, die Armen Holz oderLeder. Keine anständige Frau entblößte in derÖffentlichkeit ihren Nacken.

Ehe sie diese Kleider weghängte, wurden sie mit

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einer Mischung aus aromatischen Kräutern abgerie-ben. Es war ungeheuer wichtig, richtig zu riechenund richtig auszusehen, ganz besonders in der Alt-stadt. Dann duschte sie und zog terranische Kleidungan, rote enge Hosen und eine Tunika mit dem Impe-riums-Emblem am Ärmel. Diese Kleider waren sehrleicht. Sie genügten, weil man die Gebäude über-heizte, aber so konnte man sich nie an das harte Kli-ma von Darkover gewöhnen. Auch nicht an die roteSonne, denn das gelbliche Terranerlicht brannte aufallen Stützpunkten der Galaxis, und wenn jemandversetzt werden mußte, war wenigstens hier eineAnpassung nicht nötig.

Ihr Kommunikator summte, als sie gerade zum Es-sen gehen wollte. »Lorne hier«, meldete sie sich nichtallzu freundlich. »Ich habe jetzt frei.«

»Das weiß ich doch. Hier ist Montray. Magda, dubist doch eine Expertin in den Sprachen Darkovers.Gibt es hier bestimmte Unterschiede, die beachtetwerden müssen, wenn man mit Leuten hohen Stan-des, besonders mit einer ihrer Damen spricht?«

»Beides. Brauchst du eine Vorlesung oder einen Bi-bliothekshinweis? Mein Vater hat ja die Standardtextezusammengetragen, und ich arbeite an einer Neu-auflage.«

»Nichts, ich möchte, daß du übersetzen sollst. Dubist unsere einzige Expertin, und ich habe tödlicheAngst, ich könnte die Dame durch einen falschenAusdruck beleidigen.«

»Die Dame?« jetzt war Magda neugierig geworden.»Eine Dame der Comyn.«»Guter Gott!« Sie hatte kaum jemals mit einem der

Mitglieder dieser königlichen Kaste zu tun gehabt,

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und wenn einer der Männer der Comyn etwas mitden Repräsentanten des Imperiums zu besprechenwünschte, so wurden diese nach Thendara gebeten.»Eine der Damen der Comyn hat dich ...«

»Sie hat mich nicht, sie ist in meinem Büro.«»Ich werde in drei Minuten bei dir sein.« Norma-

lerweise hatte sie nicht als Übersetzerin oder Dolmet-scherin zu arbeiten, aber ihr war klar, weshalb Mon-tray nicht auf das sonst zuständige Personal zurück-greifen wollte.

Magda zog sich also wieder an, legte aber Wertdarauf, als Terranerin zu erscheinen. Sie fühlte sichaber etwas unangezogen, fast unanständig entblößtund ließ daher ihren langen Zopf über den Rückenhängen.

Sie war sehr froh, als sie den Schneematsch derGehsteige hinter sich hatte und das Gebäude desHauptquartiers erreichte. Der Koordinator RussMontray – Darkover war nicht wichtig genug für ei-nen richtigen Verbindungsoffizier mit den wichtig-sten Leuten und Dienststellen der Eingeborenen –erwartete sie schon im Vorzimmer.

»Magda, ich bin sehr froh, daß du mir da behilflichbist. Es wird ja nichts schaden, wenn sie wissen, daßwir Leute haben, die ihre Sprache perfekt beherr-schen.« Er war ein dicklicher, gut vierzigjähriger, fastkahler Mann, der immer besorgt dreinsah. Seine Hei-zung drehte er immer ganz auf, und trotzdem schiener ständig zu frieren. »Ich habe die Dame in mein in-neres Büro gebracht«, sagte er.

Sein cahuenga, die Umgangs- und Geschäftsspracheder Handelsstadt, war dürftig. »Lady Ardais«, sagteer, »ich stelle Ihnen hier meine Assistentin Magdalen

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Lorne vor, die sich fließender mit Ihnen unterhaltenkann als ich ... Magda, sag ihr doch bitte, daß ihr Be-such uns sehr ehrt und frage, was wir für sie tunkönnen. Es muß etwas Dringendes sein, sonst hättesie nach uns geschickt, statt persönlich zu kommen.«

Magda warf ihm einen warnenden Blick zu, denndie intelligenten Augen der Dame ließen vermuten,daß sie die Standardsprache der Terraner gut ver-stand. Und außerdem konnte sie zu den Telepathengehören, die es auf Darkover gab.

»Domna, Ihr seid uns gnädig«, begann Magda.»Wie können wir Euch am besten dienen?«

Die Dame sah ihr voll in die Augen. Magda wußtesofort, daß sie aus den Bergen stammte, denn dieFlachländer kannten den Fremden gegenüber nichtdiese Selbstsicherheit. Der Sitte entsprechend hatte sieals Comyn-Angehörige einen Leibwächter mitge-bracht, einen großen, uniformierten Mann im Grünund Schwarz der Stadtgarde, und eine Begleiterin,doch beide waren unwichtig.

»Ich bin Rohana Ardais«, sagte sie. »Mein Mann istGabriel Dyan, der Gouverneur von Ardais. Dusprichst unsere Sprache sehr gut, mein Kind. Darf ichfragen, wo du sie gelernt hast?«

»Ich habe meine Kindheit in Caer Donn verbracht,Lady Rohana. Dort kamen die Terraner mehr mit derBevölkerung zusammen als hier, und alle meineSpielgefährten waren Darkovanerkinder.«

»Ah, deshalb sprichst du den Hellers-Akzent.«Magda musterte die Dame mit geschulten Augen. Siesah eine kleine, zarte Frau, die nicht annähernd sogroß war wie sie selbst. Ihr Gesicht verriet ihr Alternicht, doch sehr jung konnte sie nicht mehr sein. Das

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schwere, etwas melierte, kastanienfarbene Haar wartief im Nacken zu einem Knoten geschlungen undwurde dort festgehalten mit einer kostbaren Schmet-terlingsspange aus Kupfer mit grünen Edelsteinen.Sie trug ein sehr schönes, warmes Kleid aus grünerWolle mit reichen Stickereien. Ihre Haltung war vollgroßer Würde, doch ihre Hände zeigten Nervosität.

»Ich kam gegen den Wunsch meiner Verwandten,um die Terraner um einen Dienst zu bitten. Vielleichtist es töricht und eine durch nichts gerechtfertigteHoffnung ... Es geht um meinen Sohn. Er ist ver-schwunden. Wir fürchten eine faule Sache. Dann hateiner der Arbeiter – du weißt sicher, daß wir Leutebezahlen, die uns über das auf dem laufenden halten,was hier geschieht – uns berichtet, er habe hier mei-nen Sohn gesehen. Er arbeite hier. Das war schon voreinigen Monaten. Wir meinen aber, auch ein Gerüchtist es wert, ihm nachzugehen.«

Nach einer kurzen Rücksprache mit dem Koordi-nator antwortete Magda ziemlich bestürzt: »Es istwahr, daß wir hier Darkovaner beschäftigen. AberEuer Sohn, Lady? Wenn hier Darkovaner arbeiten,dann doch als Zimmerleute, Maurer, Maschinenwarteund dergleichen.«

»Unser Sohn ist jung und abenteuerlustig, wie alleseines Alters. Für ihn ist es sicher ein Abenteuer, mitMenschen von einer anderen Welt zu tun zu haben,und dafür würde er auch die niedrigste Arbeit ver-richten. Der Mann, der uns berichtete, kennt meinenSohn.« Sie reichte Montray ein in Seide gewickeltesPäckchen, das er aufwickelte. Er schaute dabei Magdaan.

»Es ist ein Bild meines Sohnes. Vielleicht könntest

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du, mein Kind, jene Leute fragen, die für die hier ar-beitenden Darkovaner verantwortlich sind, wann erhier zuletzt beschäftigt war.«

Montray reichte die Miniatur Magda. »Schau dirdas mal an«, sagte er, und sie hatte vor sich ein Bildvon Peter Haldane.

»Ich sehe, daß ihr beide das Gesicht meines Sohneserkennt«, stellte Lady Rohana fest.

Das ist nicht möglich, war Magdas erster Gedanke.Oder nur eine zufällige Ähnlichkeit ...

Montray ließ sich von der Personalabteilung einSolido und Fotos von Peter Haldane kommen und batMagda, der Dame ihre Erklärung zu geben.

»Zufällige Ähnlichkeit? Unmöglich, mein Kind. Erwurde an seiner Haarfarbe erkannt, die für Comynoder aus Comyn-Blut stammende Darkovaner ty-pisch ist.«

»Lady Rohana, bei den Terranern ist sie nicht garzu selten. Wir leiten davon keinen Anspruch auf be-sonderen Adel ab, denn sie ist nur ein bestimmtesrassisches Merkmal, das immer dann auftreten kann,wenn ein Elternteil rothaarig ist oder die Anlage dazuhat.« Gleichzeitig reichte sie Lady Rohana das kleineSolido und die Personalakte mit dem Foto von PeterHaldane.

Lady Rohana studierte das Foto eine ganze Weileund wurde sehr blaß. »Das verstehe ich nicht. Bist duganz sicher, daß er nicht einer der Unsrigen ist, dereuch unter einer Maske irreführte?«

»Sehr sicher, Lady Rohana. Ich kenne Peter Halda-ne seit meiner Kindheit.«

»Wie ist es nur möglich, daß ein Terraner so aus-sieht wie einer von uns ... Trüge dieser Mann Darko-

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vaner-Kleidung, würde er jeden täuschen. Und deinMann wird auch vermißt?« Erst Stunden später wur-de sich Magda darüber klar, daß sie das der Damemit keinem Wort verraten hatte. »Merkwürdig. Nun,da muß ich wohl anderswo nach meinem Sohn for-schen.«

Sie verabschiedete sich von Montray und wandtesich dann ausschließlich an Magda. »Ich bin über-zeugt, ich habe das letzte Wort in dieser Sache nochnicht gehört«, sagte sie. »Aber ich danke dir für deineLiebenswürdigkeit. Vielleicht kommt einmal der Tag,da ich dir helfen kann, mein Mädchen. Bis dann wün-sche ich dir Gutes.«

Magda sprach automatisch die üblichen Dankes-worte, und dann ging Lady Rohana mit ihrer Beglei-tung.

»Nun, was meinst du?« fragte Montray.»Die arme Frau ängstigt sich um ihren Sohn fast zu

Tode.«»Fast so wie du dich um Peter Haldane, oder?«»Noch viel mehr. Peter ist ein erwachsener Mann

und steht auf eigenen Füßen. Warum sollte ich ...«»Verdammt noch mal, warum soll ich das wissen?

Es ist aber Tatsache, und ihr Sohn ist wohl auch einerwachsener Mann. Auf dieser verdammten Welt be-trachtet man Duelle bei den Feudalen als beliebtenHeimsport. Ich meine, da liegt die Ursache für jedeSorge, wenn ein Mann nicht nach Hause kommt.«

»Feudal ist kaum die richtige Beschreibung ...«»Schon recht, Magda. Für die feinen Nuancen bist

du zuständig, nicht ich, und ich will es auch nichtsein. Du kannst jederzeit meinen Job haben, wenn ichendlich eine Versetzung von diesem verdammten

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Planeten bekomme – falls eine Frau ihn annehmendürfte. Elender Quatsch, daß das nicht geht. Die Sa-che ist die: ich habe das meiste von dem verstanden,was du mit der Dame gesprochen hast, und es siehtganz so aus, als wäre das ein sehr nützlicher Kontakt.Für eine Frau ist es hier nicht leicht, aber wenn dujemanden ganz von der Spitze, von den Comyn hast...«

Über diesen Punkt wollte sie aber im Moment nichtsprechen; deshalb erinnerte sie Montray ein wenigspitz, daß sie ja in ihrer Freizeit gekommen sei. Er rietihr, sie solle um Überstundenbezahlung eingeben,und entließ sie.

Aber in ihrer eigenen Wohnung dachte Magdaüber all das nach, was er gesagt hatte. Erst hatte Ro-hana sehr formell gesprochen, dann hatte sie denAusdruck »mein Kind« gebraucht, wie man etwa ei-nen Untergebenen anredete, aber schließlich hatte sie»mein Mädchen« gesagt, und so sprach man nur mitden Angehörigen der eigenen Kaste. War das nur ei-ne zufällige Freundlichkeit gewesen?

Magda ging zum Fenster und schaute durch dasschalldichte Glas hinaus in den nächtlichen Schnee-sturm. Wo mochte Peter jetzt sein? Wenn es wirklichso etwas wie Telepathie gibt, sagte sie sich, müßte ichdoch jetzt in der Lage sein, ihn irgendwie zu errei-chen. Verdammt noch mal, Peter, komm endlichheim. Ich mache mir Sorgen um dich ...

Magda wußte, daß sie eine gute Angehörige desGeheimdiensts war und daß man Peter für talentierthielt. Auf einem Planeten wie Darkover, wo viele Ta-bus das persönliche Verhalten regelten und eineng-ten, konnte eine Frau nicht viel erreichen. Aber Dar-

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kover war nun einmal ihre Heimat.Einmal, es war vor dem Ende der kurzen Ehe, hatte

Peter ihr vorgehalten, sie sei nur eifersüchtig auf ihn,weil er mehr Möglichkeiten auf Darkover habe als sie;das war auch richtig, und sie gab es vor sich freimü-tig zu.

Und da konzentrierte sich Magda auf den Gedan-ken: Peter, komm nach Hause, ich mache mir Sorgen umdich. Sie hatte solche Übungen im Neuen Rhine-Rakakowski-Institut auf Terra gemacht, und sie wa-ren ihr mitunter gelungen.

Diesmal erhielt sie keine Antwort, hatte kein Ge-fühl des Kontakts. Da gab sie es auf und ging zu Bett.

Nachts träumte sie von Peter Haldane.

7.

Die Kälte wurde allmählich barbarisch, doch siemachte Magda, die in den Bergen geboren war, nichtübermäßig viel aus, wenn sie die passende Kleidungtrug. Die meisten Terraner vergruben sich in ihrenQuartieren, und die Mannschaften der Sternenschiffebesuchten kaum je einmal die Altstadt.

Magda, der die offizielle Mißbilligung egal war,trug die warmen, weiten Darkovanerröcke meistensauch im Hauptquartier. Wenn sie nach einem Tagharter Arbeit nach Hause kam, erschien es ihr unver-nünftig, nun die leichte Terranerkleidung anzuzie-hen, und so ging sie auch zur Personalabteilung, woihre Beobachtungen registriert wurden. Montrayshübsche Assistentin trug dicke Pullover und musterteMagda voll Neid. »Am liebsten würde ich mich in

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deine Abteilung versetzen lassen, um mich auch kli-magerecht anziehen zu können«, sagte sie zu Magda.»Ich verstehe nicht, wie du dich darin bewegenkannst, aber diese Röcke sehen richtig warm aus.«

Magda lachte sie an. »Übliche Frage«, sagte sie nur.»Übliche Antwort, fürchte ich«, erwiderte Bethany

nüchtern. »Kein Wort von Peter. Offiziell wird er alsvermißt gemeldet. Bezahlung ruht bis zur Wieder-aufnahme persönlichen Kontakts und so weiter, wiedu ja selbst weißt.«

Magda zuckte zusammen, denn das hieß um-schrieben: vermutlich tot.

»Aber es ist ja noch nichts endgültig«, versuchteBethany ihr Trost zuzusprechen. »In diesem Wetterkann er nicht reisen. Vielleicht hat er irgendwofreundliche Leute und einen guten Unterschlupf ge-funden.«

»Es ist ja noch gar nicht richtiger Winter, und selbstim Hellers sind die Pässe noch nicht geschlossen. Bisdahin sind es noch fast vier Monate.«

»Du machst wohl Witze! Nun ja, du müßtest es jawissen. Im Sommer hast du ja einen beneidenswertenJob – sich nur unter die Leute zu mischen und ihremGeklatsche zuzuhören. In diesem Wetter ... Ich hätteden Planeten lieber ›Winter‹ genannt.«

»Den gibt es schon anderswo. Lies mal die Berichtenach. Übrigens, ich möchte meinen abgeben ... Aberso einfach ist mein Job denn doch nicht. Es genügtnicht, wenn ich dem Klatsch lausche, ich muß fest-stellen, was die Frauen als letzte Mode tragen, wiesich die sprachlichen Feinheiten verändern und der-gleichen. Du weißt ja selbst, daß du heute die Aus-drücke, die du mit sieben Jahren gebrauchtest, kaum

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mehr kennst. Meistens nehmen die Kinder dieSprachgewohnheiten ihrer Eltern an, um sie späterden Spielgefährten anzupassen, dann den Studien-kollegen und schließlich einem Partner. Da kein Ge-heimagent eine Sprache so sprechen kann, wie sie inden Büchern gelehrt wird, muß ich ständig Übunghaben und auf dem laufenden bleiben. Montraykommt mit seinen mangelhaften Kenntnissen deshalbdurch, weil er als Terraner mit den Leuten spricht, diees als Kompliment ansehen, daß er sich ihrer Spracheüberhaupt bedient. Spräche er die Sprache der Ein-heimischen zu perfekt, würde es bei den Darkova-nern zu Mißtrauen führen, denn die müssen ja bessersprechen als er. Ein Agent, der unter Darkovanernarbeitet, darf selbst im Dialekt keinen Fehler machen.

Es gibt da zum Beispiel ein Wort, das ›Unterhalte-rin‹ oder ›Sängerin‹, besser: ›singende Frau‹ bedeutet.Das ist Standard. Nennst du aber eine Balladensänge-rin oder eine Sopransolistin bei einem der Orchesterin Thendara so, dann hast du, falls du ein Mann bist,am nächsten Tag eine Duellforderung ihres Vatersoder Bruders zu erwarten. Eine Frau, die einen sol-chen Ausdruck benützt, ist vulgär und schlecht erzo-gen.

Lange Zeit, über Jahrzehnte sogar, war dieses Wortnämlich der Ersatz für ›Prostituierte‹. Keine anstän-dige Frau auf Darkover würde ihren Mund mit demzutreffenden Wort grezalis beschmutzen, denn esheißt, genau übersetzt, ›Hure‹. Vergiß nicht, wenn duin Thendara ein Konzert besuchst, dann ist der Kon-zertsopran eine ›lyrische Künstlerin‹.«

Bethany schüttelte sich vor komischem Entsetzen.»Das ist ja fürchterlich! Ich hatte keine Ahnung, daß

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die Arbeit eines Übersetzers so kompliziert ist.«»Siehst du. Meine Haupttätigkeit ist ja die, daß ich

offizielle Reden auf solche Feinheiten hin durchsehe,damit auch nur die Andeutung einer Beleidigungvermieden wird.

›Freund‹ und ›Bruder‹ sind auch sehr empfindlicheAusdrücke. Hier kommt es sogar auf die Betonungan, und sie ist unrichtig, kann es zu unglaublichenSchwierigkeiten kommen. Man muß also nicht nurdie heiklen Ausdrücke in all ihren Bedeutungen ge-nau kennen, sondern auch wissen, wie sie richtig be-tont werden. ›Bruder‹ kann freundschaftliche oderverwandtschaftliche Verbundenheit bedeuten, in an-derer Betonung aber Homosexualität – oder deinenLiebhaber. Verstehst du nun, weshalb dieser Aus-druck in offiziellen Reden absolut verboten ist?«

»Du lieber Gott, ist das schwierig!« Bethany ki-cherte. »Jetzt begreife ich, weshalb sich Montray ei-nen Geistschreiber hält.« Es war ein ständiger Witzim Hauptquartier, daß Montray die Sprache sehrschlecht beherrschte. »Du weißt also alles über Dar-kover, Magda?« fragte sie.

Magda schüttelte den Kopf. »Nein, gewiß nicht.Das kann kein Terraner, vor allem keine Terranerfrau.

Anders wäre es gewesen, wenn das Hauptquartierin Caer Donn geblieben wäre. Dort waren die Terra-ner und Darkovaner Gleiche unter Gleichen, und dortbrauchte man keine Geheimagenten. Hier sind sienötig. Die Comyn verweigern die Zusammenarbeit,obwohl sie uns Land für den Raumhafen verpachtethaben. Wir dürfen Einheimische zur Arbeit einstellen,wir konnten sogar die Handelsstadt bauen, aber dar-über hinaus ...

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Peter, Cargill und ich hatten eine unglaubliche Chan-ce, als wir mit Darkovanerkindern aufwuchsen, so daßwir die Sprache von Grund auf lernten. Ich bin die ein-zige Frau hier, die man für eine Darkovanerin hält.«

»Warum blieb das Hauptquartier dann nicht in Ca-er Donn?«

»Wenn du glaubst, hier sei es kalt, dann müßtestdu einen Winter dort verbringen. Von der Mittwin-ternacht bis zum Frühjahrstau kommt alles zum Still-stand. Damit verglichen, ist das Klima in Thendaragemäßigt. Straßen und Transportmöglichkeiten wa-ren ein Problem, weil es dort ganz einfach zu wenigPlatz gibt. Man hätte einen Berg oder auch zwei völ-lig einebnen müssen, und dazu hätte der Ökologenratvon Terra keine Genehmigung erteilt.

Dann die Einflußfrage. Die Aldarans in Caer Donnregieren über riesige Ländereien, über Berge, Wälder,Täler, Dörfer und etliche tausend Menschen. In denDomänen gibt es fünf ziemlich große Städte und eingutes Dutzend kleinere, und Thendara hat fünfzig-tausend Einwohner. Für das Imperium gab es alsogar keine Wahl, und deshalb braucht man hier Ge-heimagenten. Trotzdem wissen wir erst einen Bruch-teil dessen, was wir wissen sollten. Die Comyn ver-bieten keinem die Arbeit bei uns, aber die Leute hiertun nichts, was die Comyn nicht ausdrücklich billi-gen. Deshalb ist hier unsere Arbeit auch so schwierig.Besonders ich als Frau kann vieles nicht tun, was einmännlicher Agent tun kann. Man muß sich auch zumBeispiel über schmutzige Witze auf dem laufendenhalten, darf sie als Frau aber nicht offiziell anhörenund schon gar nicht kennen oder weitergeben.

Sehr viele Kulturen haben für Frauen eine andere

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Sprache als für Männer; auf Darkover ist das nicht so,wenn auch gewisse Worte und Ausdrücke, auch Be-tonungen, nur von Frauen benützt werden. Aber, paßmal auf. Es ist ungeheuer interessant, darüber zu re-den, doch ich muß jetzt endlich meine Arbeit tun,hörst du?«

Doch ein paar Minuten später wurde sie vonBethany unterbrochen. »Magda, ich habe eben einenAnruf von Montray bekommen. Soll ich ihm sagen,daß du hier bist?«

»Offiziell bin ich noch im Dienst«, antwortete sie.Als Montray auf dem Schirm Magdas Darkovaner-

kleidung sah, runzelte er mißbilligend die Brauen.»Ein Bote brachte mir eben eine Nachricht aus demSchloß der Comyn«, sagte er. »Ein gewisser Lorill Ha-stur, einer von ganz oben, hat nach mir geschickt unddringend darum gebeten, daß du als Übersetzerinmitkommst. Ich nehme an, deine hohe Freundin, dieDame Ardais, ist von deiner blendenden Kenntnis ih-rer Sprache angetan. Dafür stellt sich mir nun einProblem. Ich weiß, daß es nicht dem Protokoll ent-spricht und es sich auch nicht gehört, eine Frau als of-fizielle Dolmetscherin zu den Darkovanern mitzu-nehmen, aber man überhört auch eine dringendeBitte der Comyn nicht, wie ich weiß. Wer sind dennübrigens diese Hasturs?«

Wie konnte Montray auf Darkover leben, ohne daszu wissen? Sie erklärte ihm also: »Die Hasturs sinddie prominenteste der Comyn-Familien, und LorillHastur ist die wirkliche Macht hinter dem Thron. DerPrinz, Aran Elhalyn, wird im Volksmund als der be-zeichnet, ›der mit seiner königlichen Kehrseite denThron warmhält, weil das sein wichtigster Körperteil

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ist‹. In den letzten beiden Jahrhunderten waren diemeisten Hasturs wichtige Staatsmänner, und sie sa-ßen auch auf dem Thron, bis sie der Meinung waren,diese ›Tätigkeit‹ lasse sich mit der tatsächlichen Aus-übung einer Regierung nicht recht vereinbaren. Sogaben sie den Thron an die Elhalyns ab. Lorill Hasturist der Ratsvorsitzende, und das entspricht etwa demRang eines Premierministers plus dem eines Richtersvom Obersten Gerichtshof.«

»Ah, ich verstehe. Man darf ihn also auf keinen Fallkränken ... Aber, Lorne, du kannst in diesem Aufzugnicht als offizielle Dolmetscherin gehen.«

»Das wird sie viel weniger beleidigen als das Zeug,das ich normalerweise hier trage. Weißt du, daß dienormale Kleidung einer Terranerin selbst für eineProstituierte Darkovers als schamlos gälte?«

»Nein, das wußte ich nicht. Dann werde ich michwohl besser nach dir richten, denn du bist ja schließ-lich Expertin in Modefragen auf Darkover.«

Als sie am Posten vorbei durch das große Tor gin-gen, bemerkte Montray: »Verstehst du jetzt, woraufich mich da eingelassen habe? Er glaubt, ich hätte mireine einheimische Freundin zugelegt.«

Magda sagte dazu nur, daß die Posten sie ja kann-ten und wußten, daß sie niemals in terranischer Klei-dung in die Altstadt gehe. Es war eher umgekehrt:Die Terraner waren in der Altstadt nicht gerade be-liebt, und wenn eine respektable Darkovanerin in ter-ranischer Begleitung gesehen wurde, konnte es leichtzu Schwierigkeiten kommen.

Wieder einmal war das ein Anlaß für sie, sich überdie Benachteiligung der Frauen im Dienst von Terrazu ärgern. Warum verlieh man ihr nicht den offiziel-

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len Rang einer qualifizierten Dolmetscherin? Warumbrauchte ein Idiot wie Montray einen Geistschreiberfür seine Reden? Er war ja nicht einmal für ihren Jobqualifiziert, von dem seinen gar nicht zu reden.

Magda hatte kein Mitleid mit ihm, weil er fror. Erkannte doch das Klima. Warum zog er sich dannnicht entsprechend an? Nicht einmal soviel Phantasiebesaß er, daß er seine Uniform den klimatischen Be-dingungen anzupassen verstand. Und warum ärgertesie sich eigentlich immer über die Verhältnisse aufdiesem Planeten? Sie konnte doch um Versetzungeingeben und anderswo eine ihr angemessene Stel-lung bekommen. Aber, und es war ein ganz großesAber, Darkover war eben ihre Heimat.

Am Tor des Comyn-Schlosses fragte der Portierund Wächter in der schwarz-grünen Uniform derStadtgarde nach ihrem Begehr und gab den Bescheid,Lorill Hastur sei nicht zu sprechen.

Magda antwortete ihm ziemlich hochfahrend, sieseien ja von Lord Lorill Hastur herbefohlen worden.Der Posten verschwand, und als er zurückkehrte,sprach er außerordentlich respektvoll mit ihnen undließ sie sofort zum Regenten bringen.

Es zog in den Korridoren des Comyn-Schlosses,und es war kaum jemand zu sehen; um diese Jahres-zeit hatten sich die Comyn auf ihre eigenen Güter zu-rückgezogen, denn hier versammelten sie sich nur zuden sommerlichen Ratssitzungen. Die Domäne derHasturs lag am Fuß des Hellers, und wenn Lord Ha-stur noch hier war, so mußte er wichtiger Staatsge-schäfte wegen geblieben sein.

Sorgfältig studierte Magda die kostbaren Wandbe-hänge in den Korridoren, um soviel wie möglich aus

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diesem Besuch zu lernen, da sie wahrscheinlich niemehr die Gelegenheit dazu bekam.

Sie wurden in ein kleines Audienzzimmer geführt,wo sie von Lorill Hastur schon erwartet wurden; erwar ein schlanker, zierlicher, ernsthafter Mann mitrotem Haar, das an den Schläfen fast weiß war. Erbegrüßte sie mit höflichen Sätzen, die Magda auto-matisch übersetzte. Außer ihm war noch Lady Roha-na Ardais anwesend.

Magda hätte auf Befragen gesagt, sie glaube nichtan übersinnliche Wahrnehmungen, doch sie wußte indem Moment, als sie die kupferhaarige, blau-violettgekleidete Frau sah, daß es sich um Peter drehte.

»Meine Verwandte hat die lange Reise von Ardaisvorwiegend deshalb gemacht, weil sie mit dir spre-chen wollte«, sagte der Lord. »Willst du es erklären,Rohana?«

»Ich kam aus einer Verpflichtung heraus, weil dufreundlich zu mir warst, als ich in tiefer Sorge ummeinen Sohn zu dir kam, mein Mädchen«, sagte siezu Magda. »Mein Mann und ich erhielten soeben eineNachricht aus Rumal di Scarp.«

»Sain Scarp ist der gefürchtetste Banditenschlupf-winkel im Hellers«, erklärte Magda Montray.

»Rumal haßt die Männer von Ardais mit einemtödlichen Haß«, fuhr Lady Rohana fort. »MeinesMannes Vater hat ein halbes Dutzend von ihnen anden Mauern des Schlosses Ardais aufgehängt. Jetztschickte uns Rumal eine Botschaft: er halte unserenSohn Kyril gefangen im Wald von Sain Scarp. Erverlange ein Lösegeld, das vor dem Mittwinter zu be-zahlen sei, sonst schicke er uns Kyril ... in Stücken zu-rück.«

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»Lady, mein tiefstes Mitgefühl«, sagte Montray.»Aber das Terranische Reich kann sich nicht in pri-vate Fehden ...«

Rohanas Augen funkelten. »Ich sehe, Ihr habt nichtverstanden, Sir. Als ich in das Schloß Ardais zurück-kehrte, fand ich nämlich meinen Sohn gesund dort. Erwar nur wegen Frostbeulen an den Füßen aufgehal-ten worden und kehrte zurück, sobald er reisenkonnte. Als wir die Mitteilung von Sain Scarp erhiel-ten, war er bei uns im gleichen Raum, und er hielt siefür einen guten Witz.«

Magda wurde aschfahl, denn sie wußte, was Roha-na nun sagen würde: »Ich weiß, nachdem ich diesesBild gesehen habe, wer in Sain Scarp gefangengehal-ten wird. Es ist dein Freund«; sie wandte sich dabeian Magda. »Ist er auch dein Liebhaber?« Sie benütztedabei die höfliche Form, die etwa »Verlobter« be-deutete.

Magda wußte, daß kaum eine Erzählung über dieBanditen vom Hellers übertrieben werden konnte. Ihrwar die Kehle wie zugeschnürt. »Er war mein ... Le-bensgefährte«, antwortete sie, denn in Darkover gabes mindestens drei verschiedene Ausdrücke für»Ehemann«, die sich nur wenig voneinander unter-schieden. »Wir haben uns getrennt, doch wir warenvon Kindheit an befreundet, und ich mache mir großeSorgen um ihn.«

»Es ist aber doch kaum üblich, daß unsere Leute sotief hinein in den Hellers gehen«, warf Montray ein.»Täuscht Ihr Euch nicht, Lady? Könnte es nicht einVerwandter sein, der zufällig große Ähnlichkeit mitEurem Sohn hat?«

»Rumal hat dies mit seiner Botschaft gesandt«,

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antwortete Rohana und hielt ihm den Halsschmuckeines Mannes an einer feinen Kupferkette entgegen.»Ich weiß, daß es meinem Sohn nicht gehört. Es wur-de in Dalereuth hergestellt, und im Hellers wird dieseArbeit nicht verkauft und selten getragen.«

Montray drehte das Medaillon um und besah essich gründlich. »Magda, du hast Haldane besser ge-kannt als ich. Erkennst du das Stück?«

»Ich habe es ihm selbst geschenkt«, antwortete siemühsam, denn ihr Mund war trocken vor Angst. Siewaren kurz vor ihrer Hochzeit gemeinsam nach Dale-reuth geritten, und da hatte sie es für sich gekauft, esPeter aber geschenkt, weil er es so sehr bewunderte.Tragen hätte sie es ja selbst nie können, weil es einMännerschmuck war. Er hatte ihr dafür die Silber-spange für ihr Haar geschenkt.

»Verdammt noch mal, warum muß er auch alleinin den Hellers reisen?« knurrte Montray. »Er hätte esdoch wirklich besser wissen müssen. Besteht über-haupt eine Chance, daß ihn dieser Bandit freigibt,wenn er bemerkt, daß er den falschen Mann hat?«

»Nein, keine«, erklärte Hastur. »Ich hoffe seinet-wegen, daß der junge Mann nicht darauf besteht, sei-ne Identität zu enthüllen.«

»Ihr hättet uns damals erlauben sollen, diese Ban-diten auszurotten«, sagte Montray zu Hastur. »DerVertrag mit Darkover hat es uns leider untersagt, siewirksam anzugreifen.«

»Ich möchte darauf verzichten, den Vertrag in Fra-ge zu stellen«, erwiderte Hastur. »Er hat seit Jahr-zehnten den Frieden auf Darkover einigermaßen er-halten. Wir erinnern uns der chaotischen Jahre nochrecht gut.«

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»Schön und gut, aber das schließt doch nicht ein,daß ein völlig unschuldiger Außenseiter sich einfachermorden lassen muß, weil wir dazu verdammt sind,nichts zu seiner Rettung unternehmen zu dürfen.«

»Ich möchte daran erinnern«, erwiderte Hastur nunziemlich ungehalten, »daß er kein völlig unschuldigerAußenseiter ist, der in diese Sache hineingestolpertist. Wir haben ihm keine Erlaubnis erteilt, in denHellers zu reisen. Er ging aus eigenem freiem Willen.Uns geht es daher nichts an, wenn er jetzt das gleicheSchicksal erleidet wie unsere Leute, wenn sie dorthingehen. Wir wären nicht einmal verpflichtet gewesen,den terranischen Behörden von seinem Schicksal zuberichten. Wir weigern uns aber auch nicht, ihn rettenzu lassen, wenn dies so diskret zu bewerkstelligen ist,wie er selbst dorthin reiste.«

»Jetzt in den Hellers reisen? Der Winter steht vorder Tür«, erwiderte Montray. »Ausgeschlossen! Ichfürchte, Ihr habt recht. Er wußte doch, was ihm zu-stoßen konnte, wenn man ihn fing. Ich fürchte, jetztmuß er die Sache selbst ausbaden.«

»Du wirst ihn doch nicht einfach abschreiben?«fragte Magda entsetzt.

Montray seufzte. »Mir paßt der Gedanke auchnicht, aber was soll ich tun? Ihr alle kennt doch dieseRisiken.«

Ja, sicher, jeder im Geheimdienst kannte diese Risi-ken, aber Magda stellten sich trotzdem alle Haare auf.Wenn man in Schwierigkeiten geriet, konnte man nichtunbedingt damit rechnen, herausgeboxt zu werden.

»Wir können aber das Lösegeld für ihn bezahlen«,fuhr Magda auf. »Ich selbst bürge dafür, wenn dunicht dafür geradestehen willst.«

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»Magda, darum geht es doch nicht. Wir würdenliebend gerne bezahlen, aber ...«

»Unmöglich«, fiel ihm Lorill Hastur ins Wort.»Rumal di Scarp würde niemals mit den Terranernverhandeln. Erfährt er, daß sein Gefangener ein Ter-raner ist, bringt er ihn sofort eigenhändig um. Undwie, das möchte ich vor Damen nicht beschreiben.Hier besteht nur die Hoffnung, daß er sich nicht alsTerraner verrät.« Er wandte sich an Magda, ohne sieanzuschauen, und das bedeutete, welchen großen Re-spekt er vor ihr hatte. »Dich hätte ich ohne weiteresfür eine Frau aus dem Hellers gehalten, hätte ich esnicht besser gewußt. Spricht dein Freund die Spracheso gut wie du und kennt er auch die Sitten genau?«

»Noch viel besser«, erwiderte Magda der Wahrheitentsprechend. »Lady Rohana, sie glauben noch im-mer, daß er Euer Sohn ist. Könnt Ihr mit ihnen wegendes Lösegeldes verhandeln?«

»Das hätte ich auch gerne getan, aber mein Mannhat es mir verboten. Es war schon nicht leicht, seineErlaubnis zu bekommen, daß ich nach Thendara rei-ste, um dir soviel zu sagen.«

»Magda, es hat doch keinen Sinn«, redete ihr Mon-tray zu. »Er muß selbst sehen, wie er sich aus derSchlinge zieht. Würden wir als Terraner sein Löse-geld zu bezahlen versuchen, wäre dies nur sein siche-res Todesurteil.«

»Wenn ich ein Mann wäre«, rief Magda zornig,»würde ich selbst gehen und mit ihnen feilschen! Imganzen Hellers hält mich niemand für eine Terrane-rin, und wenn wir uns des Namens der Dame bedie-nen dürften, um wegen des Lösegeldes für ihrenSohn zu verhandeln ...« Sie wandte sich flehend an

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Rohana. »Bitte, helft mir, einen Weg zu finden!«»Ich sagte dir doch«, erklärte Rohana nun Hastur,

»dieses Mädchen hat Mut und Kraft. Ich will Gabrielnatürlich gehorchen, aber ich werde ihr helfen, wennich kann ... Mein Mädchen, wärest du bereit, selbst inden Hellers zu reisen? Auch jetzt, da der Winter vorder Tür steht? Viele Männer würden sich weigern.«

»Lady, ich wurde in der Nähe von Caer Donn ge-boren«, erwiderte Magda bestimmt. »Ich fürchte michweder vor den Bergen noch vor dem schlechtestenWetter.«

»Sei keine Närrin, Magda«, fuhr Montray sie an.»Du bist Expertin für die Sitten Darkovers, aber sogarich weiß, daß eine Frau unbeschützt und allein nichtreisen kann. Lady, bitte, erklärt Ihr das diesem Dick-kopf. Natürlich bewundere ich ihren Mut, aber es gibtDinge, die eine Frau hier nicht tun kann.«

»Das ist richtig«, pflichtete ihm Rohana bei. »Füreine Frau wäre diese Reise unmöglich, und doch gibtes eine Möglichkeit. Die Freien Amazonen weigernsich, solche einengenden Sitten anzuerkennen.«

»Von den Freien Amazonen weiß ich kaum etwas«,erklärte Magda. »Den Namen habe ich schon gehört.Wenn Ihr glaubt, Lady, daß es zu machen wäre ...«

»Ich habe schon einmal Freie Amazonen für eineSache engagiert, die kein Mann tun wollte. Damalswar es ein Skandal.« Sie warf Hastur einen boshaftenBlick zu, als wolle sie ihm etwas vorhalten. »Ein grö-ßerer Skandal als damals wird es auch nicht, wenn esherauskommt, daß ich eine Freie Amazone nach SainScarp schickte, um wegen des Lösegelds für meinesSohnes Freilassung zu verhandeln. Hört Rumal diScarp auch nur gerüchteweise, daß mein Sohn sicher

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zu Hause ist und wir einen Pflegesohn aus reinerGutmütigkeit oder aus Verantwortungsbewußtseinretten, dann steckt er das Lösegeld ein und lacht unsaus.

Du, mein Mädchen, kannst durchaus als FreieAmazone gehen. Aber es ist gefährlich. Kannst dudich im Notfall selbst verteidigen?«

»Jeder im Geheimdienst, egal ob Mann oder Frau,ist im Kampf ohne Waffen oder nur mit dem Messergeschult«, antwortete Magda.

»Das hörte ich schon«, erwiderte Rohana. »Gehjetzt, mein Mädchen, und bereite die Reise und dasLösegeld vor. Morgen früh zur Zeit der Dämmerungkommst du hierher, und bis dahin habe ich die pas-sende Kleidung und Ausrüstung vorbereitet. Ichwerde dich auch darin unterweisen, wie du dich alsFreie Amazone zu benehmen hast.«

»Wirst du wirklich etwas so Hirnverbranntes tun,Magda?« fuhr Montray auf. »Freie Amazone! Sinddas nicht Soldatinnen?«

Rohana lachte. »Ihr wißt wirklich nichts von ihnen,und es ist ein tröstlicher Gedanke, daß die Terranerdoch nicht alles über uns entdecken. Ja, natürlich sindSöldnerinnen unter ihnen. Andere sind Spurensu-cher, Jäger, Pferdezureiter, Schmiede, Hebammen,Näherinnen, Bäckerinnen und Käseverkäuferinnen,sogar Balladensängerinnen. Sie arbeiten ehrlich, undes ist absolut respektabel, sie zu beschäftigen.«

»Und mir ist es absolut egal, ob es respektabel istoder nicht, ich werde gehen«, erklärte Magda Mon-tray.

Rohana lächelte. »Gut. Dann ist es also abge-macht.« Sie reichte Magda die Hand und lächelte sie

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freundlich an. »Wie schade, mein Mädchen, um deinschönes Haar, aber du wirst es abschneiden müssen.«

8.

Magda wachte in der beginnenden Dämmerung aufund hörte den Schneeregen, der auf ihre Unterkunftprasselte. Das war jetzt ihre siebente Nacht unter-wegs gewesen, und bis jetzt hatte sie Glück mit demWetter gehabt.

Bis zum Mittwinter hatte sie Zeit; einigermaßenvernünftiges Wetter vorausgesetzt, genügte sie leicht.Aber wer konnte im Hellers schon vernünftiges Wet-ter erwarten?

Ihr Reitpferd und das Packtier, ein geweihtragen-des Tier aus den Bergen von Kilghard, das für dasrauhe Bergklima besser geeignet war als Pferde,schnaubten in ihrem Unterstand und stampften mitden Hufen. Sie wußte nicht, wie spät es war, denn eswar noch zu dunkel, um dies festzustellen.

An ihr Chronometer dachte sie nicht. Terraner, dieauf irgendeinem Planeten Geheimaufträge auszufüh-ren hatten, waren darin geschult, in ihrer Ausrüstungund in ihrem Gepäck nichts mitzuführen, das nichtauf der betreffenden Welt selbst hergestellt war;wenn sie also die Handelsstadt verließ, mußte sieMagdalen Lorne, die Linguistin, zurücklassen, dennauch ihren Namen durfte sie nicht gebrauchen. Mag-dalen – diesen Namen gab es auf Darkover nicht undkonnte von den Eingeborenen auch nicht gut ausge-sprochen werden. Die Spielgefährten in Caer Donnhatten sie daher Margali genannt.

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Sie drehte sich in ihrem Schlafsack um und griffautomatisch an ihr kurzgeschnittenes Haar. »Ich rei-ste auch einmal mit einem Trupp Freier Amazonen«,hatte ihr Lady Rohana dazu erzählt, »und ich mußtemir auch das Haar kurz schneiden. Ich weinte, unddie Amazonen lachten mich aus. Es war schlimm fürmich, denn ich wußte, wie zornig mein Mann dar-über sein würde. Und er war auch schrecklich wü-tend. Doch was sollte er tun? Es war schon gesche-hen, und sein Zorn hielt fast ein Jahr an, bis es wiederlang genug war.«

Als der Schneeregen nachließ, kroch Magda aus ih-rem Schlafsack. Sie hatte kein Feuer und fror; deshalbschlüpfte sie schnell in die weiten Amazonenhosen,die hochgeschlossene Untertunika aus besticktemLeinen und die pelzgefütterte Übertunika. Darüberkam dann noch ihr Reitmantel. Rohana hatte ihr so-gar hohe Stiefel besorgen lassen.

Magda fütterte ihre Tiere mit dem Futter aus einemnahen Schuppen und warf die Münzen in den dafürbezeichneten Behälter. Mit dem kleinen Hammer anihrem Sattel zerbrach sie das Eis des Wassertrogs,damit die Tiere trinken konnten. Für sich selbstmachte sie ein kleines Feuer, kochte Wasser undrührte vorgekochten Porridge hinein, der mit Nüssenangereichert und mit getrockneten Früchtenschmackhafter gemacht wurde.

Das Lösegeld war sicher in ihren Satteltaschen ver-staut. In terranisches Geld umgerechnet, hatten diekleinen Kupferbarren nur den Wert einiger Monats-gehälter für einen guten Agenten, und wahrschein-lich würde man Peter diesen Betrag nicht einmal vonseinem Spesenbetrag für »Zwischenfälle« abziehen.

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Am Pfosten vor ihrer Unterkunft fand sie genaueAngaben für die nächsten drei Übernachtungsmög-lichkeiten auf ihrem Weg. Die eine war für eineschwer beladene Karawane bestimmt, die zweite füreinen Trupp Reisender, die sich nicht allzu sehr an-strengen wollten und wenig Ausrüstung mit sich füh-ren, und die dritte lag in einer Entfernung, die eineinzelner Reiter nach einem harten Tagesritt errei-chen konnte. Bis dorthin wollte sie kommen.

Sie wurde von einem unangenehmen Gefühl be-herrscht, das sie sich erst nicht recht erklären konnte,doch dann fiel ihr ein, daß die wenigsten Frauen aufDarkover lesen konnten. Nicht einmal alle Männerbeherrschten die Kunst des Lesens und Schreibens,und ihre Spielgefährten in Caer Donn hatten sie sehrdarum beneidet und noch mehr bewundert, als sieentdeckten, daß Margali von ihrem eigenen Vater Le-sen und Schreiben gelernt hatte.

Sie rief ihrem Pferd, nahm das Packtier am langenZügel und ritt weiter. Rohana hatte sie gewarnt: »Ichkenne nicht alle Sitten der Freien Amazonen, aber andeiner Stelle würde ich es tunlichst vermeiden, mitrichtigen Amazonen zusammenzutreffen. In den Ber-gen wissen die wenigsten Leute etwas von ihnen.Wenn du vorsichtig bist, werden dich diese Leutenicht anzweifeln.«

Sieben Tage lang war alles glattgegangen, obwohlsie einmal die Unterkunft mit zwei Männern, Händ-lern von fernen Bergen, zu teilen hatte. Gesetz undSitte schrieben vor, daß diese Unterkünfte sogar inKriegszeiten von den Grenzpatrouillen mit Wasserund Lebensmitteln versorgt wurden und daß alle an-kommenden Reisenden sich diese Unterkunft teilen

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mußten, da Reisende sonst in den kalten Nächtenleicht erfrieren konnten. Sogar Blutfehden ruhtendort. Die Männer hatten kurz ihr Haar und ihreAmazonenkleidung gemustert, ein paar freundlicheWorte gesagt und sie sonst völlig übersehen.

Um diese Zeit waren wenig Reisende unterwegs,und sie war keinem mehr begegnet. Als sie weiterritt,verdünnten sich die Wolken, und die große, roteSonne, die von den Terranern die »Blutige Sonne«genannt wurde, erschien hinter den Gipfeln und goßrotgoldenes Licht über die hohen Schneefelder. Eswar aufregend, ein solches Farbenspiel in dieser Ein-samkeit zu erleben.

Danach herrschte Stille und Einsamkeit, und siehatte viel Zeit zum Nachdenken. Warum tue ich das?fragte sie sich immer wieder. Liebe ich denn diesenKerl noch immer? Ich kann doch diesen Mann, der,wenn auch nur für kurze Zeit, mein Bett geteilt hat,nicht einfach im Stich lassen! Dafür haben wir als dieSpielgefährten von Darkovanerkindern viel zu sehrvon ihren Moralbegriffen in uns aufgenommen. FürTerra war Peter ein Angestellter, der sich ersetzenließ; das ist für mich eine abgrundtiefe Gemeinheit ...

Allmählich spürte sie die Höhe. Der Druck auf dieOhren nahm zu, und sie war froh, als sie den Paßüberschritten hatte und das nächste Dorf im Tal er-reichte, wo sie sich in einer Essensbude heiße Suppeund Pfannkuchen kaufte. Es war das erste frisch ge-kochte Essen, seit sie Thendara verlassen hatte.

Einige Kinder umdrängten sie, und sie waren neu-gierig wie junge Katzen. Als sie ihnen erzählte, daßsie aus Thendara komme, machten sie so verwun-derte Augen, als sei diese Stadt das Ende der Welt.

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Was sie denn in diese Gegend führte, wollten sie wis-sen, und sie antwortete lächelnd, das sei das Geheim-nis ihrer Herrin, der Lady Rohana.

Das hatte ihr Rohana ausdrücklich erlaubt, dennihr Name galt etwas bei den Leuten in den Vorbergendes Hellers, von denen viele ihr und ihrem Mann Ga-briel dienten. Und wenn man sie nach ihrem Gilde-haus und dem Namen der Frau frage, die ihren Ama-zoneneid abgenommen habe, solle sie sagen, das seiKindra n'ha Mhari. Sie sei zwar seit drei Jahren tot,war aber ihre Freundin und hätte nichts dagegen,wenn man ihren Namen so verwende. »Wenn dieGötter dir aber freundlich gesinnt sind, kommst duhin und zurück, ohne daß dich jemand danach fragt«,hatte sie hinzugefügt.

Als sie ihre Tiere gefüttert und getränkt hatte, sahsie zwei Männer auf den Marktplatz reiten. IhrerKleidung nach stammten sie aus dem Hellers; sie wa-ren bärtig und hatten Messer im Gürtel stecken. IhrBlick auf ihre Satteltaschen verhieß nichts Gutes. Ei-ligst kletterte sie also auf ihr Pferd und ritt zum Dorfhinaus in der Hoffnung, die beiden möchten sichmöglichst lange dort aufhalten.

Lange führte die Spur aufwärts durch tiefe Wälder.Eis und Schnee schmolzen in der Mittagssonne, undder Pfad war stellenweise recht rutschig. Als dasSträßchen sehr steil wurde, stieg sie ab und führte ihrPferd am Zügel. Wo die Bäume in großer Höhe ziem-lich dünn standen, schaute sie nach unten und sah,daß ihr die beiden Männer, die sie im Dorf gesehenhatte, folgten. Einer schaute nach oben, sah Magdastehen, die sich vom verschneiten Hintergrund abhobund redete auf den anderen ein.

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Da bekam Magda Angst und ritt schnell aus derSichtweite dieser Männer. Ich bin bewaffnet undkann kämpfen, redete sie sich selbst zu, aber siewußte, wenn es zum Kampf kommen sollte, mußtesie den Platz wählen. Auf der Paßhöhe wäre es besserals am Hang, überlegte sie, aber besser wäre es na-türlich, ein Kampf wäre gar nicht nötig.

Sie tat es unbewußt, daß sie ihr Pferd bergab an-trieb; das hätte sie sonst nie getan, denn gerade hü-gelabwärts mußte sich das Pferd seine eigene Gangartwählen können. Aber sie hatte das dringende Gefühl:versteck dich, laufe, so schnell du kannst, verschwin-de aus dem Blickfeld dieser Männer. Die Frau, die sieaus einer fernen Welt trainiert hatte, prägte ihr da-mals ein: jeder gute Geheimagent ist parapsychischveranlagt, sonst lebt er nicht lange.

Davonlaufen konnte sie den beiden nicht, da siezuviel Gepäck hatte. Im frisch gefallenen Schnee säheman ihre Spuren nur allzu deutlich. Im Matsch ver-schwanden sie jedoch völlig. Deshalb bog sie vomSträßchen ab, ritt ein Stück durch den lichten Waldund verwischte ihre Spuren dort, wo sie über denKamm geritten war. Dann zog sie sich mit den Tierenin ein dichtes Gebüsch zurück und wartete. ZwischenBäumen und Büschen konnte sie das Sträßchen beob-achten.

Fast eine Stunde später kamen die beiden Reiterden Hügel herab und jagten ihre Pferde mehr als gutwar. Keiner schaute aber in ihre Richtung. Als sie au-ßer Sichtweite waren, kroch sie vorsichtig aus ihremVersteck. Ihre Knie waren weich, und ihre Händefühlten sich feucht an.

Sie wußte zwar, daß sie sich vernünftig verhalten

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hatte und einem Kampf ausgewichen war, doch siegab vor sich selbst zu, daß sie Angst gehabt hatte unddeshalb davongelaufen war. Das war weder die Arteines Agenten von Terra, noch die der Amazonen,sondern die eines durchschnittlichen Darkovaner-mädchens.

Der kurze Wintertag neigte sich dem Abend entge-gen, und sie überlegte, daß es vielleicht besser wäre,im Wald zu kampieren, um den beiden Männern ei-nen guten Vorsprung zu gewähren. Also stellte sie ihrkleines Zelt auf. Das war an sich ein Kompromiß,weil es in schlechtem Wetter den größtmöglichenSchutz bei geringster Größe und kleinstem Gewichtbot. Eigentlich war es kaum mehr als ein etwas ver-größerter Schlafsack, das Standardmodell Darkovers.Kein vernünftiger Mensch verbrachte eine Nacht au-ßerhalb einer Schutzhütte, wenn es sich irgendwievermeiden ließ, denn davon gab es genügend an derStraße, und dort herrschte immer eine geheiligteNeutralität.

Aber diese Nacht verbrachte sie im Freien, und siehatte Glück, denn es schneite kaum; allerdings wardies kein gutes Zeichen, und als sie weiterritt, kamWind auf, und dicke schwarze Wolken zogen sichüber ihr zusammen.

Warum hatte sie jetzt Pech? Weil sie sich selbst er-laubt hatte, Angst zu haben. Dabei hatte man sie ge-lehrt, niemals und unter gar keinen Umständen auchnur die geringste Spur von jener Persönlichkeit ab-zuweichen, die sie für sich selbst aufgebaut hatte, bissie wieder sicher in der terranischen Zone landete.

Sie versuchte nun, die Sache kühl und ganz ruhigzu durchdenken. Sie mußte soweit kommen, daß die-

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ser Prozeß so natürlich für sie wurde wie das Atmen.Sie versuchte es wirklich; es gelang nicht.

Ich bin keine Freie Amazone und weiß zu wenigvon ihnen, gab sie vor sich selbst zu. Hoffentlich be-gegnen mir keine echten Amazonen ...

Aber diese Ahnungen, die sie ernst zu nehmen ge-lernt hatte; und diese eine machte sie frösteln, und siezog ihren Mantel enger um sich. Ein paar Sekundenlang war ihr Geist völlig blank, so daß sie sich nichteinmal des Namens erinnerte, den Peter bei den Dar-kovanern trug. Erst nach einer Weile fiel er ihr ein:Piedro. So hatte er im Hellers geheißen, während manihn in der Ebene Pier rief.

Eine Stunde nach Mittag ritt sie an einer leerenUnterkunftshütte vorbei. Sie zögerte, doch sie konntesich dort nicht aufhalten, denn sie hätte damit einenhalben Tag verloren. Um die Mittwinterzeit mußte siein Sain Scarp sein, und sie brauchte für ihre Rückkehrnach Thendara noch einen Spielraum von einigen Ta-gen, damit sie nicht vor geschlossenen Pässen stand.

Sie wollte auch nicht gezwungen sein, den ganzenWinter allein mit Peter irgendwo zubringen zu müs-sen. Früher einmal wäre dies ihr größtes Vergnügengewesen, doch jetzt ...

Sie studierte die Anzeigetafel an der Hütte undentdeckte, daß einen halben Tagesritt weiter dienächste Hütte war. Zwar versuchte eine unbestimmteAhnung, sie zum Bleiben zu verleiten, aber sie lachtesich selbst aus und ritt weiter.

Der Pfad wurde steiler und rauher. Gegen Mittedes Nachmittags hingen die Wolken so tief, daßMagda durch einen Waschküchennebel ritt. Vonüberallher kamen Stimmen und Echos und begleite-

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ten sie geisterhaft. Sie hatte nun wieder eine beträcht-liche Höhe erreicht, die weit über der ihr bekanntenWelt lag. Nun hatte sie, die sich niemals vor Höhengefürchtet hatte, deutlich Angst vor dem schmalenPfad, zu dessen beiden Seiten sich alles versteckenkonnte und vielleicht gar nichts war als leerer Ab-grund. Ein falscher Schritt ihres Pferdes ...

Als es dunkel wurde, löste sich der Nebel in dün-nen Regen auf, der bald zu immer dichter fallendemSchnee wurde und alle Landschaftskonturen aus-löschte. Im Fallen gefror der Schnee und wurde kra-chend von den Hufen zertreten. Der Wind heultedurch die Bäume und trieb ihr Eisnadeln ins Gesicht.Sie zog eine Falte ihres Schals über Mund und Naseund stellte den Mantelkragen hoch, doch bald lief ih-re Nase, und das Wasser gefror sofort, so daß derSchal zu einem Eisklotz wurde. Sie sah kaum mehretwas, und auch das Pferd rutschte. Magda stieg abund führte das Packtier. Jetzt war sie froh über ihrekniehohen Stiefel.

Trotz der pelzgefütterten Tunika fror sie entsetz-lich. Hoffentlich, dachte sie, habe ich noch keineFrostbeulen. Aber sie sagte sich immer vor, sie müsseund könne die Kälte überstehen, da es sogar auf derErde Menschen gebe, die unter noch schlimmerenBedingungen leben müßten; also konnte sie auch die-sen Schneesturm ertragen.

Endlich fiel das Licht ihrer Sattellaterne auf denPfeil, der den Weg zu einer Unterkunftshütte wies.Ihr Packtier warf den Kopf zurück und wieherte. DerWeg zur Hütte war zertrampelt und hart gefroren.Dann sah sie vor sich zwei Gebäude; es war also einegroße Hütte, wenn sie getrennte Unterkünfte für

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Mensch und Tier hatte. Doch dann fluchte sie leise insich hinein, weil sie das Licht sah, das durch den Tür-spalt schimmerte. Es war also schon jemand da.

Aber sie konnte nicht weiterreiten; die nächsteUnterkunft war etwa einen halben Tagesritt entfernt.Sie fror und war durchnäßt, und ihre Augenschmerzten. Nur ein paar Minuten der Ruhe ...

Pferd und Packtier hatten, während die zögerte, ih-re eigenen Entschlüsse gefaßt und stapften weiter zurdunklen Scheune, aus der es verlockend nach Haferund Heu duftete. Also sattelte sie das Pferd ab undnahm dem Packtier die Lasten ab. Einige Pferde undPacktiere mahlten schon ihr Futter. Magda hätte esnicht über sich gebracht, ihre Tiere jetzt noch einmalin den Sturm hinauszujagen. Sie setzte sich und zogdie hohen Stiefel aus. Unter den nassen Strümpfenkamen weiße Flecken zum Vorschein. Sie kannte die-se Gefahrenzeichen. Jetzt brauchte sie Wärme undtrockenes Zeug, um ihre Blutzirkulation wieder inGang zu bringen.

Sie mußte sich also auf die geheiligte Neutralitätder Unterkunftshütten verlassen und auf ihre Ama-zonenkleidung. Sie nahm ihre Satteltaschen und gingzum Hauptgebäude. Fast automatisch zog sie ihrenMantel enger um ihren Hals, doch dann fiel ihr ein,daß ihre Amazonenkleidung und das kurze Haarwohl ihr bester Schutz war. Normale Frauenkleidungwäre unter diesen Bedingungen sowieso undenkbargewesen.

Es waren zwei Reisegruppen da, eine an jedem En-de des langen Raumes, beide um eine Feuerstellegruppiert. Die Männer in Türnähe waren groß, grobund wild aussehend. Die Sitte befahl, daß Magda die

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Anwesenden begrüßte; sie sprach die rituellen Worteund wurde ebenso begrüßt. Der Mann mit dem rötli-chen Schnurrbart, der sie sagte, musterte sie mit ei-nem Blick, der ihr vor Entsetzen die Nackenhaareaufstellte.

Am anderen Feuer saßen fünf oder sechs Gestalten– Freie Amazonen. Während Magda sprach, kam einegroße, hagere Frau auf sie zu. »Sei willkommen,Schwester«, sagte sie freundlich und mit tiefer, heise-rer Stimme. »Komm zu uns ans Feuer. Ich bin Ca-milla n'ha Kyria, und wir reisen in einem Auftragnach Nevarsin. Komm, leg deine Sachen ab.« Sienahm ihr die Satteltaschen ab und führte sie zumFeuer. »Armes Kind, du bist ja halb erfroren. Zieh dasnasse Zeug aus, und wenn du nichts Trockenes hast,kannst du von uns etwas bekommen.«

Sie hatten, um ein wenig unter sich zu sein, Deckengespannt, und beim Licht der Laterne, die dort hing,konnte sie die einzelnen Frauen genauer sehen. Ca-milla war groß und hager, und ihr kurzes Haar wargrau. Sie war nicht mehr jung, und Magda wußte so-fort, daß dies eine neutralisierte Frau war.

Magda zog hinter den Decken ihr nasses Zeug ausund schlüpfte in trockene Sachen. Hoffentlich hatteihr Lady Rohana bezüglich ihrer Kleidung richtig ge-raten ...

Eine junge, schlanke Frau mit kurzen Haaren, diewie frisch poliertes Kupfer schimmerten, lugte umdie Deckenkante. »Ich bin Jaelle n'ha Melora, ge-wählte Führerin dieses Trupps. Sind deine Füße ge-froren?«

»Nein, ich denke nicht«, antwortete Magda, zogStrümpfe an und hängte ihre nassen Sachen auf. Über

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dem Feuer wurden kleine Vögel gebraten, und eineSuppe kochte im Kessel. Sie duftete so verlockend,daß Magda das Wasser im Mund zusammenlief.

»Dürfen wir nach deinem Namen und deinem Gil-dehaus fragen, Schwester?« wandte sich Jaelle an sie.

Magda sagte, sie komme aus dem Gildehaus Temo-ra, denn sie hoffte, das sei unverdächtig, weil es soabgelegen war.

»Deine Kleider sind aber aus Thendara«, stellteJaelle fest.

»Ja, das sind sie«, gab Magda zu. »An den Küstengibt es keine so warmen Kleider. Meine Patronin gabsich Mühe, mich mit den besten Kleidern für dieseReise auszurüsten.«

»Willst du mit uns essen?« fragte sie.Sie brachte es nicht über sich, diese Einladung ab-

zulehnen, wie es sich unter anderen Umständen ge-hört hätte. »Gerne«, antwortete sie, »wenn ich meinenAnteil bezahlen darf.«

»Das ist nicht nötig, wird aber gerne angenom-men«, erwiderte Jaelle, wie es Sitte war. Magda teiltevor allem einige ihrer Süßigkeiten aus.

Alle Frauen waren älter als Jaelle, obwohl alle au-ßer Camilla ziemlich jung wirkten. Daß ein so schö-nes Mädchen wie Jaelle zu den Amazonen gehörte,kam ihr merkwürdig vor. Sie hatte sehr weiblicheFormen, flammendrotes Haar, riesige Augen undganz regelmäßige Gesichtszüge.

»Das hier ist Sherna«, stellte Jaelle die anderen vor,»dort Rayna und hier Gwennis. In ein paar Minutengibt es etwas zu essen. Wir haben eine der beidenLatrinen für uns belegt. Du mußt also nicht zu denMännern hinübergehen. Komm jetzt und iß.«

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Die Suppe schmeckte köstlich, die Vögel waren de-likat. Als sie so beim Essen saßen, fragte die AmazoneGwennis, die etwa dreißig Jahre alt sein mochte, nachihrem Auftrag, falls er kein Geheimnis sei.

»Er ist kein Geheimnis, sondern eine Familienan-gelegenheit meiner Patronin. Ich habe die Ehre, LadyRohana Ardais in einer Mission nach Sain Scarp zudienen.«

»Ist Lady Rohana nach ihrem Sturz vom Pferdnicht noch recht lahm?« fragte Jaelle. »Und das sokurz nach dem Tod ihres Mannes. Welch eine Tragö-die!«

Magda wußte sofort, was geschah: sie wurde gete-stet. Sie stellte ihren Teller ab. »Entweder, Schwester,hast du jüngere Nachrichten als ich, oder du willstmich testen«, bemerkte sie ironisch. »Als ich LadyRohana zuletzt sah, war sie gesund und munter undsah frisch und sehr jung aus. Und ihre Gatte – nun,ich sah ihn nicht, aber sie sprach so von ihm, als er-freue er sich auch bester Gesundheit. Oder gibt esnoch eine andere Lady Rohana in Ardais, die ichnicht kenne?«

»Margali, sei mir nicht böse«, sagte nun Jaelle,»aber Lady Rohana ist meine Tante und war als ein-zige der Familie zur Familienschande immer gut. IhreEhre ist mir daher teuer, und ich wollte verhüten, daßihr Name mißbraucht wird. Verzeih mir, bitte.«

»Du kannst ihren Schutzbrief sehen, den ich mit-führe.«

»Nein, mach dir keine Mühe, Margali. Trink Weinmit uns und sei mir nicht böse.«

Magda war heilfroh, daß sie diese Sache so gutdurchgestanden hatte, nahm sich aber vor, gerade die

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junge Jaelle nicht zu unterschätzen.Die Männer am anderen Feuer tranken ziemlich

viel und lachten unmäßig. In der Hoffnung, vielleichtetwas über Sain Scarp oder gar Piedro zu erfahren,spitzte sie die Ohren, doch Camilla mahnte sie, nichtauf die Männer zu achten, da es sich nicht schicke.

»Ich dachte nur, sie könnten Banditen sein«, vertei-digte sich Magda und nahm sich vor, kein Wort mehrzu sagen und sehr bald schlafen zu gehen. Die Ama-zonen räumten die Essensreste auf und machten ihreniederen Wildlederstiefel wasserdicht, und dannrollten sie ihre Decken auf.

»Du kommst doch aus Thendara«, sagte Camillaplötzlich. »Hast du die Geschichte von den beidenUnterhalterinnen gehört, die vorgaben, Freie Amazo-nen zu sein?« Das Wort ›Unterhalterinnen‹ sprach sieso aus, daß es ›Huren‹ bedeutete. »Weißt du, wie siebestraft wurden, weil sie vorgaben, Amazonen zusein?«

»Nein«, antwortete Magda, und mehr wollte sienicht sagen, da sie wußte, daß diese Geschichte ih-retwegen angeschnitten wurde.

»Nun ja«, berichtete Camilla, »Rafi und ich gingennachts hin, als ihre lüsternen Kunden gegangen wa-ren, holten diese schamlosen Weiber auf den Haupt-platz heraus, zogen sie nackt aus, rasierten ihnen je-des Haar am ganzen Körper weg und rollten sie inPech und Wollfasern und Sägemehl.«

»Und wäre ich dabeigewesen«, ergänzte Jaelle,»hätte ich eine brennende Fackel an sie gehalten.«

»Nun, nach dieser Behandlung werden sie sichhüten, noch einmal als Freie Amazonen aufzutreten.Was meinst du, Margali?«

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»Sie werden sich in Zukunft hüten«, antwortete sie,»doch ich hörte, viele dieser grezalis übten ihr Gewer-be nur deshalb aus, weil sie zu dumm sind, etwasOrdentliches zu lernen.«

»Ich hätte lieber die alte Hexe bestraft, die diesesHaus betreibt«, meinte Sherna. »Nicht alle Hurensind es aus freiem Willen, und irgendwie müssen sieja auch leben.«

»Es gibt immer eine Alternative«, bemerkte Camillaabschließend und voll Strenge. Magda wunderte sich,daß sogar eine neutralisierte Frau so moralisch urtei-len konnte.

Jaelle gähnte und legte sich zurück, auch Magdalegte ihren Kopf auf die Satteltaschen, daneben dasMesser aus ihrem Stiefelschaft, wie es die anderentaten. Sie war erleichtert, daß sie diesen Abend über-standen hatte, und sie hatte in wenigen Stunden überdie Freien Amazonen mehr gelernt als in den vergan-genen zwölf Jahren. Wenn ich die ganze Sache durch-stehe, dann habe ich mein Leben lang Stoff zum Er-zählen, überlegte sie und lächelte in sich hinein.

Sherna und Gwennis unterhielten sich noch einwenig, Camilla schnarchte leise, auch Jaelle schien zuschlafen. Die Männer am anderen Feuer waren ziem-lich betrunken, erzählten einander schmutzige Witzeund lachten wiehernd dazu. Bald ärgerte sie sich überdie Ruhestörer. Magda wunderte sich, daß sich dieAmazonen dies gefallen ließen.

Endlich wurden sie doch ruhiger. Magda hörte ei-nen laut sagen: »... in Sain Scarp festgehalten ...«

Sie wissen etwas über Peter, wußte Magda sofort,dann hörte sie auch den Namen Ardais. Nun lauschtesie, doch sie verstand wenig, weil die Männer nun

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leiser redeten. Sie schlüpfte also lautlos im Dunkelnin ihre Hosen und die Untertunika und huschte bar-fuß durch den Schatten in die Nähe der Männer. »...der junge Ardais ... ihn im Mittwinter zurückschicken...« hörte sie, und dann lachten alle.

Plötzlich versteifte sich einer. »Eine Maus oderRatte«, warnte er die anderen. »Gib mir mal den Krugher.«

Zu ihrem Entsetzen kam der Mann direkt auf siezu, wo sie im Schatten kauerte, griff nach ihr undzerrte sie in den Kreis der Männer. »Ha, Jerral, das isteine Maus oder Ratte!« rief er.

Der Mann, der sie ergriffen hatte, war jener mitdem Schnurrbart, vor dem sie schon Angst gehabthatte, als sie die Unterkunft betrat. »He, chia, hast du'ssatt, allein zu schlafen? Welchen von uns hast du dirausgesucht? Mich, ich wette, denn du hast michschon vorher so gierig angeschaut.«

»Ja, ja, man hörte von den Freien Amazonen so al-lerhand«, bemerkte ein anderer, während Magda ver-zweifelt nach einem Ausweg aus ihrer mißlichen La-ge suchte. »He, wecken wir doch die anderen auf,dann wird's eine lustige Party!«

»Weißt du gar nichts zu sagen, Kleine?« fragte dermit dem Schnurrbart. »Hände weg, Rannar, sie ge-hört mir. Wenn du ein Mädchen willst, mußt du dirselbst eines aufwecken.« Er packte sie so fest an derSchulter, daß sie schrie. »Na, na, ich tu dir dochnichts, Hübsche«, murmelte er und fummelte an ih-rem Körper herum. Da schlug ihn Magda mit demHandrücken ins Gesicht, doch er schlug in trunkenerWut zurück, und sie kämpfte verzweifelt darum, ihreArme zu befreien, die von dem Mann wie mit

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Schraubstöcken festgehalten wurden.Und dann schrie sie ...

9.

Plötzlich blendete eine Fackel den Mann, der sie fest-hielt, und sechs Messer waren gezückt, um auf denAngreifer einzustechen.

»Loslassen«, befahl Jaelle. »Sofort.« Der Mann, dersie festhielt, zog sich einen Schritt zurück, einen an-deren stieß Magda weg, dann brüllte der Mann mitdem Schnurrbart, Messer klirrten, einer stürzte zuBoden. Jaelle hatte am Schenkel eine lange Messer-wunde, und Magdas Kleider waren zerrissen.

Es wurde ein heftiger Kampf; später konnte sichMagda nicht an Einzelheiten erinnern, oder wie langedieser Kampf dauerte, aber jedenfalls waren es dieMänner, die um einen Waffenstillstand baten.

Jaelle ging nicht auf diesen Vorschlag ein. »Ihr habtden Frieden der Unterkunft gebrochen, und wenn icheuch einer Patrouille melde, seid ihr vogelfrei. Wirwürden euch alle mit Vergnügen hängen sehen.«

»Aber mestra, sie ist doch zu uns gekommen, undwir haben ihr gar nichts getan«, verteidigten sich dieMänner.

»Wir sahen alle, wieviel Vergnügen es ihr machte,euch abzuwehren«, stellte Jaelle trocken fest, dochdann wandte sie sich zu Magda um, und ihre Augenfunkelten. »Bist du aus freiem Willen zu ihnen ge-kommen, wie sie sagen?«

»Nein ... Ich wollte nur ... Ich hatte nur einenKrampf und wollte zur Latrine, und da muß ich mich

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in der Dunkelheit verirrt haben. Als ich das erkannte,versuchte ich umzukehren, stolperte jedoch undstürzte.«

»Na, seht ihr?« sagte Jaelle zu den Männern. »Ihrhabt den Frieden gebrochen und versucht, eine Frauzu vergewaltigen. Das erste macht euch drei Jahrevogelfrei, für das zweite Vergehen ist unsere Strafedie Kastration. Und jetzt sammelt ein, was euch ge-hört und schert euch in die Hölle. Dem Gesetz nachbrauchen wir nicht die Unterkunft mit Vogelfreienund Wüstlingen zu teilen.«

»In diesen Sturm sollen wir hinaus, mestra?« fragteder Bärtige.

»Hättet ihr vorher an den Sturm gedacht! Hinausmit euch, ihr Pack! Und ich schwöre euch, wenn einervon euch so unverschämt sein sollte, hierher zurück-zukommen, solange wir da sind, dann schneide ichihm persönlich seine cuyones ab. Also hinaus. Sofort!«

Schimpfend und fluchend suchten die Männer ihreSachen zusammen, und immer waren die Messer derFrauen drohend auf sie gerichtet. Als sich die Türhinter ihnen geschlossen hatte, sagte Jaelle: »Rayna,Gwennis, ihr seht nach, ob sie unsere Pferde und diePacktiere in Ruhe lassen.« Sie gab Sherna die Fackelund kam zu Magda. »Und du? Bist du verletzt? Ha-ben sie etwas Schlimmeres mit dir angestellt, als dirdie Kleider zu zerreißen?«

»Nein.« Magdas Zähne klapperten immer noch vorSchock und Verlegenheit. Ich habe, überlegte sie, allein Gefahr gebracht. Für die Amazonen war mein Be-nehmen ungehörig. Und meine Mission habe ich inFrage gestellt ... Sie schämte sich ungeheuer.

Jaelle führte Magda zum Feuer zurück, doch das

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tat sie nicht liebevoll, eher verächtlich. »Gebt ihrWein, sonst fällt sie uns noch ohnmächtig vor die Fü-ße«, sagte sie. Camilla hielt ihr einen Becher an denMund, den Magda wegschob.

»Verdammt noch mal, trink!« fauchte Camilla siean, und gehorsam schluckte sie nun. »Ich habe dichdoch gewarnt! Wer hat dich so, wie du bist, aus ei-nem Gildehaus entlassen? Du hast keine blasse Ah-nung, wie du dich zu benehmen hast. Du verdienstgehörige Prügel, und dann sollte man dich an deinGildehaus zurückschicken.« Camilla schob Magdanun Jaelle zu. »Du bist die gewählte Führerin, alsokümmere dich um sie. Wenn du es sagst, verprügelnwir sie, wie sie es verdient.«

»Laß sie gehen, Camilla ... Nun, was hast du dazuzu sagen?« fuhr sie Magda an.

»Du bist nicht meine gewählte Führerin, also binich dir keine Erklärung schuldig«, antwortete Magda.

»Du hast uns mit deiner Dummheit alle in eineverdammt schwierige Lage gebracht, und deshalbschuldest du uns eine Erklärung.«

Damit hatte sie zweifellos recht. »Ich hörte einenTeil ihrer Unterhaltung«, antwortete Magda derWahrheit entsprechend, »und mir schien, sie hattemit meinem Geschäft zu tun. Also wollte ich sovielwie möglich hören.«

Jaelle musterte sie nachdenklich, doch Camillasagte scharf: »Glaub ihr nicht alles, was sie sagt.Männerstiefel und ein Messer im Schaft? Jedes Mäd-chen, das aus einem Gildehaus kommt, kann sichauch unbewaffnet gegen Wüstlinge verteidigen. Hierstimmt doch etwas nicht.«

»Ja, ganz entschieden nicht«, pflichtete ihr Jaelle

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bei. »Wer hat deinen Eid abgenommen? Sie ist fürdein Benehmen letzten Endes verantwortlich.«

Magda war froh, daß sie keine lebende Person indiese Sache hineinziehen mußte. »Ich legte den Eid abin die Hände von Kindra n'ha Mhari«, antwortete sie.

»Du lügst!« schrie Jaelle und schlug Magda ins Ge-sicht, bis ihr die Ohren dröhnten. »Kindra n'ha Mhariwar meine Pflegemutter. Vor ihrem Tod war ich sie-ben Jahre bei ihr, und jede einzelne ihrer Eidestöchterist mir persönlich bekannt. Wie kannst du es wagen,den Namen einer Toten zu schänden? Du lügst!«

Die alte Camilla war blaß und zitterte am ganzenKörper. »Ich habe dreißig Jahre ihrer Gruppe ange-hört, und Kindra n'ha Mhari nahm mich auf, als ichallein und verlassen war. Ich liebte sie wie meineSchwester, und ich dulde es nicht, daß ihr Namemißbraucht wird. Gwennis, Rayna, schaut in ihrenSatteltaschen nach, ob sie etwas bei sich hat, das die-ses filzige Luder als Hochstaplerin entlarvt!«

Sie fanden Rohanas Empfehlungsschreiben undreichten es Jaelle. »Das muß eine Fälschung sein«,meinten sie dazu.

Jaelle besah sich das Schreiben im Licht einer La-terne sehr genau. »Nein, das ist keine Fälschung«,stellte sie fest. »Ich kenne die Handschrift meinerTante viel zu gut. Auch das Siegel ist echt ... Suche alljene auf«, las sie, »die der Domäne von Ardais Treueschulden, damit sie dir helfen, wann immer du Hilfebrauchst ...«

»Gestohlen«, sagte Camilla.»Nein. Ihr Name steht hier mit einer guten Be-

schreibung ... Sag, hat dir das meine Tante tatsächlichgegeben?«

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»Ja.«»Niemand kann Rohana zwingen, etwas zu tun,

das sie nicht tun will«, erklärte Jaelle. »Bist du wirk-lich in einer Mission für sie unterwegs?« Magdanickte. »Aber eine Amazone bist du nicht, was? War-um hast du versucht, dich als Amazone auszugeben?Und ist Margali wirklich dein Name?«

»Ich habe ihn als Kind getragen. Meine Mission istehrenvoll, und es war Lady Rohana, die mir riet,mich als Amazone zu kleiden und auszugeben. Ichhabe euch keine Unehre gemacht. Wäre nicht dieserSturm gewesen, hätte ich euer Lager gemieden, aberbei diesem Wetter konnte ich nicht im Freien schla-fen.«

»Nein, wirklich nicht«, gab Jaelle zu. »Du warstsowieso sehr nahe an Erfrierungen. Und du hast alsogeglaubt, diese Nacht durchzustehen?«

»Mir schien, als wüßten diese Männer etwas, dasfür meine Mission wichtig war; so wichtig, daß ich annichts anderes mehr dachte. Und wenn ich Fehlermachte, so wußte ich es nicht besser.«

Camilla lachte. »Schon vor Jahren sagte ich LadyRohana, daß ihre Unkenntnis unserer Sitten ihr nochÄrger bereiten würde. Nun, sie meinte es gut. Undwenn du nicht auf richtige Amazonen getroffen wä-rest, hätte man dich wohl für eine gehalten.«

Allmählich wurden Jaelles Augen etwas freundli-cher, so daß Magda einzugestehen wagte: »Ich hatteAngst, aber meine Mission war mir wichtiger als dieAngst.«

»Deshalb dachtest du, das Kleid der Amazonenwürde dich schützen, nicht wahr? Aber warum, meinMädchen, hast du dir in den Kopf gesetzt, allein eine

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solche Mission durchzuführen? Gab es denn keinenVater, Mann oder Bruder oder sonstigen Verwandten,der mit dir reisen konnte?«

Da sagte Magda die volle Wahrheit: »Ein naherVerwandter wird in Sain Scarp festgehalten, bis Lö-segeld bezahlt wird. Ist er bis Mittwinter nicht aus-gelöst, wird er gefoltert und getötet.«

»Ich verstehe eines nicht. Wenn du das Recht hat-test, dich an Lady Rohana zu wenden, dann hättestdu auch die Hilfe ihres Gatten oder Söhne erbittenkönnen.«

»Ein solches Recht habe ich nicht«, erwiderte Mag-da. »Lady Rohana half mir aus Güte, weil ich keinenanderen Menschen habe, der mir helfen konnte.«

»Das sieht ihr wieder ähnlich«, stellte Jaelle fest.»Nun ja, deine Angelegenheiten gehen mich nichtsan, und normalerweise würde ich jedem helfen, dervon meiner Tante empfohlen wird. Du hast wirklichden Mut einer Amazone bewiesen, wenn du dich umdiese Jahreszeit allein in den Hellers wagst. Das wardumm, und Pech hattest du auch, aber ein Verbre-chen ist das nicht. Wir können es jedoch keinem er-lauben, sich als Freie Amazone auszugeben.«

»Ich weiß, Lady Rohana ist auch einmal mit eurerGruppe gereist und war wie eine von euch geklei-det«, wandte Magda ein.

»Das ist richtig, doch dazu gehört die Erlaubnis dergewählten Führerin. Die hast du nicht.«

»Dann gebt sie mir doch«, bat Magda, und dazu lä-chelte Jaelle breit.

»Ich wollte, die Gesetze unserer Gilde erlaubtendas so ohne weiteres«, antwortete sie. »Schade. HätteRohana mir vorher etwas gesagt, ich glaube, ich hätte

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... Aber es geht nicht anders. Nach den Gesetzen un-serer Gilde mußt du, ehe du dich von uns trennst, dieLüge zur Wahrheit machen: du mußt hier und jetztden Eid der Freien Amazonen schwören.«

Ah, ist das alles? dachte Magda im ersten Moment,aber Jaelle sprach schon weiter: »Nimm es nur nichtleicht, ich warne dich. Leistest du jetzt den Eid undhandelst dagegen, kann dich jede Freie Amazone vonDarkover töten. Und dann bist du in dem Augen-blick, da du deine Nase zum Fenster hinausstreckst,tot.«

Ein unter Druck geforderter Eid hat keine Gültig-keit, überlegte Magda, schob diesen Gedanken jedochsehr schnell von sich, weil sie in Caer Donn wie einDarkovanerkind aufgewachsen war und genauwußte, wie es ihr ergehen würde, wenn sie gegen ei-nen einmal geleisteten Eid handelte. Es war ein ent-setzlicher Konflikt, und sie schlug die Hände vor dasGesicht, um ihre Gefühle nicht zeigen zu müssen.

»Willst du den Eid leisten?«»Bleibt mir denn eine Wahl?«»Nein. Ich bin es meinen Frauen, meiner Gilde und

allen Amazonen schuldig, daß unsere Geheimnissenicht nach draußen getragen werden. Schwörst dunicht, wird man dich als Gefangene zum nächstenGildehaus bringen und dich solange behalten, bis duschwörst, oder man wird bei der Mittwinterzusam-menkunft darüber beraten, was mit dir zu geschehenhat. Vielleicht erlegt man dir keine Strafe auf, aber dumußt jedenfalls schwören, das als Geheimnis zu be-wahren, was du gesehen und gehört hast. Vielleichtläßt man es dabei bewenden.«

»Das beschwöre ich jederzeit«, erklärte Magda.

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»Aber diesen Eid kann ich dir nicht abnehmen«,erwiderte Jaelle. »Das kann nur um die Mittwinterzeitgeschehen und nur vor den Gilderichterinnen, nach-dem man alles angehört hat, was für diesen Fallwichtig ist; etwa daß du kleine Kinder hast, für diesonst niemand sorgen kann, oder daß du schon denEid einer Wärterin in einem Turm geschworen hast.Wenn es dir recht ist, können wir dich sofort zumGildehaus Neskaya bringen. Das ist nur einen Zehn-tagesritt von hier entfernt, und dort kann dann zurMittwinterzeit entschieden werden.«

Und um diese Zeit, überlegte Magda, ist Peterlängst tot ... Sie war verzweifelt. »Ich werde den Eidleisten«, sagte sie, weil sie ja doch keine Wahl hatte.

»Das dachte ich mir«, sagte Jaelle. »Komm her, stelldich zu uns ans Feuer, damit du den Eid leistenkannst. Wir sind alle sehr müde und wollen endlichschlafen.«

Magda gehorchte. Jaelle stand direkt vor dem Feu-er. Wie jung sie doch aussah! Die Frauen stellten sichim Kreis um sie herum auf. Camilla sagte leise zuJaelle: »Du bist dafür sehr jung. Soll ich ihr den Eidabnehmen?«

Jaelle streichelte ihre gefurchte Wange. »Meine lie-be Tante, immer willst du mir helfen oder mir etwasabnehmen, aber ich bin als gewählte Führerin dieserTruppe alt genug, Eindringlinge zu bestrafen oder ei-nen Eid abzunehmen.«

Jaelle befahl ihr, die Brust zu entblößen, verwirrtund beschämt tat es Magda. Als Anthropologinwußte sie, daß manche Stämme solchen Geheimsittenhuldigten. Sherna zog ihr die Tunika bis zu den Hüf-ten herab, und nun kamen die Frauen nacheinander

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zu ihr und musterten ihre nackten Brüste. Magdawußte, daß eine solche Inspektion das Einschleichenvon Männern verhüten sollte, doch sie kam sichtrotzdem wie ein Pferd auf dem Markt vor, das ver-kauft werden sollte.

»Haben wir alle festgestellt, daß dies eine Frau undnicht ein verkleideter Mann ist?« fragte Jaelle, undalle nickten. »So akzeptieren wir dich als Frau. Nunmußt du dein Haar abschneiden und aus freiem Wil-len zu uns kommen. Ich spreche dir die Eidesformelvor, die aus den Tagen von Varzil dem Guten stammtund in Nevarsin schriftlich aufbewahrt wird. In Ge-genwart dieser Zeugen sprich mir nach:

Von diesem Tag an verzichte ich auf das Recht zuheiraten außer als freie Gefährtin des Mannes undmit ihm gleichberechtigt. Kein Mann wird mich dicartenas binden, und ich will in keines Mannes Haus-halt als barragana wohnen.«

Der alte religiöse Ritus für die Heirat war sowiesolängst abgeschafft, und als Konkubine würde sieniemals einem Mann »dienen«. Deshalb sprach Mag-da diese Worte nach.

»Ich schwöre, daß ich bereit bin, mich gewaltsamzu verteidigen, wenn ich gewaltsam angegriffen wer-de, und daß ich mich an keinen Mann um Schutzwende.«

Hier fühlte Magda, wie sie in zwei Wesen auseinan-derbrach: in die Terranerin Magda und die Darkovane-rin Margali. Welche von beiden würde sie dann spä-ter sein? Es war ihr nur allzu deutlich bewußt, daß sieohne Jaelles Eingreifen wahrscheinlich von sämtlichenMännern vergewaltigt worden wäre. Überlebt hättesie so etwas vermutlich. Aber damit leben müssen?

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»Von diesem Tag an schwöre ich, daß ich nie mehrden Namen eines Mannes trage, ist er nun Vater,Vormund, Liebhaber oder Ehemann, sondern einzigund allein den ...« Jaelle brach ab. »Wie hieß deineMutter?«

»Ysabet.« So sprachen die Darkovaner den NamenElisabeth aus, doch fast wäre es ihr nicht eingefallen.

»... sondern einzig und allein den Namen Margalinikhya mic Ysabet.« Das war die unabgekürzte For-mel des Mutternamens. Hatte bisher nichts an diesemEid Magda geängstigt, so tat es dies. Sie hatte ihrenVater sehr geliebt, und nun sollte sie seinen Namennicht mehr tragen dürfen?

»Von diesem Tag an schwöre ich, daß ich michniemals einem Mann hingebe als zu meiner eigenenZeit und aus meinem eigenen freien Willen und nachmeinem eigenen Wunsch. Niemals will ich mein Brotdamit verdienen, daß ich mich zum Objekt der Lustdes Mannes mache.

Von diesem Tag an schwöre ich, daß ich das Kindkeines Mannes tragen will, außer zu meinem eigenenVergnügen, zu meiner eigenen Zeit und nach meinerWahl. Ich trage kein Kind eines Mannes für Hausoder Erbe, Klan, Stolz oder Prestige. Ich schwöre, daßich allein bestimmen werde, wie und wo ein von mirgetragenes Kind aufgezogen und erzogen wird, ohneRücksicht auf das Haus, die Stellung oder den Stolzeines Mannes ...«

Das hielt die Terranerin Magda an sich für ver-nünftig, doch für das in Caer Donn aufgewachseneMädchen war es ein Schock. Peter hatte sich ein Kindvon ihr gewünscht, doch sie hatte keines gewollt;damals noch nicht. Später schämte sie sich deswegen

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und war enttäuscht, als sie nicht schwanger wurde.Unwillkürlich schluchzte sie. Als Frau und Peter ge-genüber hatte sie versagt. In jeder Beziehung versagt.Aber sie sprach weinend diese Worte nach.

»Von diesem Tag an lehne ich die Zugehörigkeit zujeder Familie, jedem Klan, Haushalt, Vormund oderLandherrn ab und bestätige unter Eid, daß ich michden Gesetzen dieses Landes insoweit unterwerfe, alses ein freier Bürger tun muß; den Gesetzen, die sichauf Königtum, Krone und die Götter beziehen.

Ich werde mich an keinen Mann wenden, umRecht, Schutz, Unterhalt oder Hilfe zu finden. Treueund Gehorsam schulde ich nur meiner Eidesmutter,meinen Schwestern in der Gilde und meinem Patronfür die Zeit meiner Arbeit für ihn.

Und ich schwöre ferner, daß die Mitglieder derGilde der Freien Amazonen, jede einzeln und alle zu-sammen für mich Mutter, Schwester oder Tochterund aus einem Blut mit mir geboren sind und daßkeine Frau, die durch ihren Eid der Gilde angehört,sich vergeblich an mich um Hilfe wendet ...«

Meine Mutter ist längst tot, eine Schwester hatte ichnie, eine Tochter werde ich niemals haben, und dochschwöre ich ... Magda war die Kehle wie zugeschnürt,als sie diese Worte nachsprach. Und was sollte aus ih-ren Pflichten als Terranerin werden? Sie war verwirrt,verzweifelt und unbeschreiblich bedrückt.

Aber Jaelle nahm Magdas kalte Hände in die ihren.»Margali n'ha Ysabet, ich nehme dich vor der Göttinals Eidestochter an. Von nun an sollst du Tochter undSchwester für mich und alle Frauen der Gilde sein.Vor Zeugen und durch deinen Eid bist du Mitgliedder Gilde Freier Amazonen geworden, nur unseren

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Gesetzen unterworfen. Ich gebe dir die Freiheit derGilde, und als Unterpfand dafür diesen Gruß.« Sieküßte Magda ernsthaft auf den Mund. »Und jetztknie und sprich mir nach:

Ich schwöre, allen Gesetzen der Gilde der FreienAmazonen und jedem gesetzmäßigen Befehl meiner Ei-desmutter, der Gildemitglieder oder meiner erwähltenFührer für die Zeit meiner Beschäftigung zu gehorchen.Sollte ich ein Gesetz der Gilde verraten oder meinemEid zuwider handeln, unterwerfe ich mich den Gil-demüttern für die Strafe, die sie für mich wählen. Tueich das nicht, so darf sich die Hand jeder Frau gegenmich wenden, sie dürfen mich schlagen wie ein Tier,meinen Körper unbegraben der Verrottung und meineSeele der Barmherzigkeit der Göttin überantworten.«

Magda hörte sich selbst stotternd diese Worte spre-chen, die sie verurteilten, jemanden zu betrügen. Esgab kein Zurück mehr. Aber wem schuldete sie nunin Wahrheit Treue und Gehorsam?

Jaelle zog sie in die Höhe und drückte sie fest ansich. »Weine nicht, meine Schwester«, sagte sie leise.»Ich weiß, das ist ein großer und entscheidenderSchritt, und wenige von uns taten ihn ohne Tränen.«

Camilla hüllte sie in ihre Tunika. »Armes Ding, dufrierst ja! Jaelle, wie konntest du sie halb nackt so lan-ge hier stehen lassen? Du hättest ihr wenigstens er-lauben sollen, sich wieder ganz anzuziehen. Kommans Feuer.«

»Verzeih mir«, meinte Jaelle und lachte verlegen.»Ich habe noch nie einen Eid abgenommen, war ner-vös und fürchtete, ich könnte etwas vergessen.«

Gwennis reichte ihr einen Becher mit heißem Ge-tränk. »Hier, trink das.« Langsam trank sie, und sie

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fühlte, wie ihre Zähne an den Becherrand schlugen.»Nun mußt du uns verzeihen, daß wir vorher so

grob zu dir waren«, bat Jaelle. »Jetzt sind wir alle dei-ne Schwestern, und jene, die Zeuginnen deines Eideswurden, sind deine Familie. Camilla, hast du mirnicht vor neun Jahren das Haar geschnitten?«

»Du solltest sie wirklich nicht necken, weil sie ge-weint hat«, meinte Gwennis. »Natürlich, ich kannmich gut erinnern, daß du nicht geweint hast, Jaelle.«

»Ich bin ja bei euch aufgewachsen«, erwiderte sie.»Und jetzt feiern wir noch ein wenig. Morgen müssenwir darüber nachdenken, wie wir sie zum Gildehausschicken.«

»Wohin werdet ihr mich bringen?« fragte Magdanun ruhiger, wenn auch erschöpft.

»Nach Neskaya, vielleicht auch nach Thendara, wounser eigenes Haus ist«, erklärte Gwennis. »Jede neueAmazone muß ein halbes Jahr im Gildehaus zubringen,unsere Art und Sitten kennenlernen und die alten ver-gessen, die ihr von Kindheit an eingeimpft wurden.Deine Kindheit hat dich in Ketten gelegt, aber jetztwird man dich lehren, dich selbst zu befreien, um daszu werden, was du im besten Sinn sein kannst.«

Alle sagten ihr etwas Tröstliches oder Erklärendes.Schließlich erinnerte sich Jaelle einer Eidessitte. »Esist üblich, daß Eidesmutter und -tochter Geschenkeaustauschen, doch ich dachte nicht an eine solcheMöglichkeit. Ich muß mir also etwas ausdenken.«

»Ich sagte euch ja, meine Mission geht um Lebenund Tod«, bemerkte Magda.

»Darüber werden wir morgen sprechen; jetzt müs-sen wir schlafen. Vielleicht schuldest du keinemMann, auch keinem Verwandten, Hilfe.«

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Bald schliefen alle, nur Magda war so erschöpft,daß sie keinen Schlaf finden konnte. Ich kann nicht zueinem Gildehaus gehen und zulassen, daß Peter zuTode gefoltert wird, überlegte sie immer wieder. EinEid unter Druck ist ungültig. Und meine Treue gehörtin erster Linie meiner Heimat Terra ...

Allmählich kam der Schlaf auch zu ihr. Ihr letzterGedanke war der: Lieber würde ich in ein Gildehausgehen, wenn es nicht diese Mission gäbe ... Immerwar ich zwei Frauen, eine Terranerin und eine Dar-kovanerin. Nun muß ich die eine Seite betrügen,sonst wird Peter zu Tode gefoltert. Aber ist er dasOpfer meiner Lauterkeit wert? Kann und darf ichmeine menschliche Integrität aufgeben, wenn ein Le-ben auf dem Spiel steht?

Sie träumte dann von Peter Haldane. Er lag in derDunkelheit auf einem kalten Stein und hatte Angst.Er griff nach ihr und legte seinen Kopf an ihre Brust.Die Maske männlicher Stärke fiel von ihm ab, und eswar ihm gleichgültig. Sie küßte ihn. »Du, Mag, bistdie einzige, der ich trauen kann, vor der ich keineAngst habe«, sagte er. Im Traum wischte sie seineTränen ab und tröstete ihn: »Auch für Männer istDarkover keine leichte Welt.«

10.

Magda wachte spät auf. Die Amazonen hatten schonein Feuer angezündet und kochten das Frühstück. Sieschloß wieder die Augen, um sich über ihre Lageklarzuwerden.

Ich habe den Eid geleistet, um Zeit zu gewinnen.

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Brechen will ich ihn nicht. Ich bin fast mehr Darkova-nerin als Terranerin, und ein Eid ist heilig. Jetzt spieltdas jedoch keine Rolle. Ich kann Peter nicht einem si-cheren und qualvollen Tod ausliefern. Ich bin Agen-tin von Terra, und Peter ist mein Kollege ...

Ihre Einstellung hatte sie nun klar formuliert, undnun mußte sie eine Möglichkeit finden, sie in die Tatumzusetzen. Man wollte sie ins Gildehaus von Nes-kaya schicken, und dorthin war es weit, zudem in ei-ner anderen Richtung als Nevarsin, dem eigentlichenZiel ihrer Reise. Sie mußte also ihre Gildeschwesternbetrügen, sobald sie an ihre Unterwerfung glaubtenund dann auf schnellstem Weg nach Thendara zu-rückkehren, um Montray zu sagen, sie habe keinenErfolg gehabt.

Und danach? Sie wußte, daß sie aus ihrer HeimatDarkover gehen, um ihre Versetzung eingeben muß-te, wollte sie nicht für jede Freie Amazone vogelfreisein. Es gab keinen glatten Ausweg. Um sich nicht inendlose Selbstquälereien zu verlieren, stand sie auf.

Jaelle hatte den Morgentrunk aus geröstetem Kornfertig und reichte Magda einen Becher. »Ich ließ dichschlafen, denn du mußt zu Tode geängstigt gewesensein. Die anderen satteln die Pferde. Heute reiten wirzum Gildehaus, damit dein Name eingetragen wer-den kann.«

»Ich sagte dir, daß es bei meiner Mission um Lebenund Tod geht.« Das war ein letzter verzweifelter Ver-such, Jaelle zu rühren. »Mein Verwandter wird zuTode gefoltert, wenn ich nicht bis Mittwinter das Lö-segeld bringe.«

»Du schuldest durch deinen Eid keinem MannTreue, nur uns. Im Gildehaus kannst du deinen Fall

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vortragen, und vielleicht schickt man eine Gilde-schwester mit dem Lösegeld dorthin. Ich selbst kanneine solche Entscheidung nicht treffen.«

Die anderen Frauen kamen lachend herein undschienen sich schon auf den Ritt zu freuen. »Ihr reitet,wann ihr wollt«, sagte Jaelle zu ihnen, »aber ihr müßteuch eine andere Führerin wählen, da ich mit Margalinach Neskaya reiten muß.«

Alle boten sich an, statt ihrer mit Magda zu reiten,weil Jaelle diesen Auftrag angenommen hatte, um ih-ren Bruder wiederzusehen. Er lebte wie viele Söhneder Comyn in einer Art Kloster, um dort Lesen,Schreiben und Geschichte zu lernen. »Aber«, meinteJaelle lachend, »er wird kein großes Interesse an derFamilienschande haben.«

Bald ritten die Frauen weg, und Jaelle und Magdawaren allein. Da entdeckte Jaelle an ihrem Pferd ei-nen lockeren Huf; sie mußten also im nächsten Dorfeinen Hufschmied aufsuchen, und das bedeutete eineunerwünschte Verzögerung.

In dem Augenblick, als Jaelle sich in den Sattelschwang, hörte Magda einen Schrei, und zwei Män-ner rannten mit gezückten Messern aus dem Waldheraus. Es waren die Banditen von gestern, wie Mag-da sofort wußte, der Schwarzbärtige und der großeMann mit dem Schnurrbart, den Jaelle verwundethatte. Magda schrie eine Warnung, Jaelle wirbelteherum, und dann kämpfte sie auch schon mit demRücken zum Pferd.

In diesem Moment hätte Magda wie der Teufel da-vonreiten können, um ihrer eigenen Pflicht nachzu-kommen; und sie selbst brauchte dann Jaelle nicht zutöten ...

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Aber sie hatte schon ihr Messer bereit und griff denSchwarzbart an. Eine Messerspitze ritzte ihr den Armauf, der dann wie Feuer brannte, doch sie stieß demMann ihr Messer in die Brust. Stöhnend fiel er zu Bo-den. Jaelle kämpfte mit dem zweiten Banditen; ihrwar die Wange aufgeschlitzt, und dann tat sie einenlauten Schrei, als der Mann mit dem Messer zustieß.Im nächsten Moment steckte Magdas Messer tief inseinem Rücken. Er keuchte rasselnd, als er zu Bodenstürzte. Aber auch Jaelle lag bewußtlos da, fast unterdem Mann, den Magda zuletzt getötet hatte.

Aber Jaelle bewegte sich. Noch stand ihr Lebenzwischen Magda und ihrer Mission. Sie hatte nochdas Messer in der Hand, mit dem sie den Mann ge-tötet hatte. Jaelle machte die Augen auf und schautedas Messer an, dann Magda. Und plötzlich wußteMagda, daß sie kaltblütig niemals einen Menschentöten konnte, sondern höchstens in Notwehr. Und be-sonders diese Frau, die hilflos und blutend vor ihrlag, konnte sie nicht töten.

Sie kniete neben Jaelle nieder. Ihr Gesicht blutetestark, eine Schulterwunde schien noch schlimmer zusein. Vorsichtig hob sie den auf der Wunde klebendenStoff an. Der Schnitt ging vom Schlüsselbein zur Arm-grube; eine schlimme, gefährliche und schmerzhafteWunde, aber nicht unbedingt tödlich. Eines von JaellesAugen war offen, das andere hatte sich blutend ge-schlossen, aber mit dem gesunden Auge beobachtetesie unausgesetzt das Messer, das Magda nun reinigte.

»Ich muß den Stoff wegschneiden«, sagte sie ge-reizt, »sonst läßt sich die Blutung nicht stillen.« Jaellestöhnte vor Schmerz, als Magda vorsichtig das fest-geklebte Zeug ablöste.

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»Hast du sie beide getötet?« fragte Jaelle.»Einen sicher, aber der andere tut uns auch nichts

mehr.«»Bandagen ...«, keuchte Jaelle. »In meiner Sattelta-

sche ...«Magda fand einen primitiven Sanitätskasten mit

Verbandzeug und legte einen Druckverband an; dannholte sie eiskaltes Wasser vom Brunnen und wuschJaelles Gesicht. Zum Glück stellte sich heraus, daßdas Auge nicht beschädigt war, sondern daß nur dasAugenlid einen kleinen Riß abbekommen hatte. Dannhalf sie Jaelle in die Höhe, führte sie zurück in dieUnterkunftshütte und legte sie auf eine Bank. Siezündete ein Feuer an und kochte Rindentee, der ih-nen beiden guttun würde. Jaelle hatte einen Schockerlitten und brauchte Wärme; sie wickelte sie in ihreDecken und erhitzte einen Stein am Feuer, um damitJaelles Füße zu wärmen. Dann versorgte sie draußendie Tiere und sah nach den Banditen. Beide waren tot;den einen mußte sie ein Stück wegschleifen, damit siedie Tiere in den Stall bringen konnte.

Als Magda in die Hütte zurückkam, war Jaelle beiBewußtsein. »Ich dachte schon, du seist weggeritten«,sagte sie.

»Wir sind durch einen Eid gebunden, Schwester«,antwortete Magda, ohne es sich überlegt zu haben.

Jaelle streckte eine Hand aus, und diese Bewegunggriff Magda ans Herz. »Ich sagte dir doch, Eidesmut-ter und -tochter tauschen Geschenke aus. Auf ein sol-ches Geschenk hätte ich nie zu hoffen gewagt.«

Magda war verlegen. »Ist dir kalt?« fragte sie, holtenoch eine Decke und brachte ihr heißen Rindentee.

»Kümmere dich um deine eigene Wunde«, riet ihr

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Jaelle. »Manche Banditen vergiften ihre Klingen. Bit-te, tu, was ich sage.«

Dann schlief Jaelle wieder, oder sie war bewußtlos.So blieb es den ganzen Tag. Magda kochte Suppe ausgetrocknetem Fleisch, aber Jaelle war nicht aufzu-wecken. Dann fieberte sie, und gegen Abend war dasFieber sehr hoch. Da sie immer wieder versuchte, denGesichtsverband abzureißen, band ihr Magda dieHände an den Seiten fest. Da schrie sie vor panischerAngst: »Nein, nicht festbinden! Mutter, Mutter, laß esnicht zu!«

Schnell befreite Magda ihre Hände und hob siehoch. Nun konnte sie sehen, daß sie frei waren. Dasdurchdrang sogar Jaelles Delirium, und sie hörte zuschreien auf.

Magda nahm die Hände der Bewußtlosen fest inihre eigenen, um zu verhüten, daß sie den Verbandherabriß. »Nein, das darfst du nicht tun«, sagte sie ihrleise, aber fest. »Ich will dich nicht anbinden, aber dumußt dich still verhalten.« Das wiederholte sie so oft,bis sich Jaelle beruhigte.

Die Nacht war schwer. Magda wusch die Krankewiederholt mit dem eisigen Wasser der Quelle, dochtrinken mochte sie nicht. Gegen Morgen war sie er-neut bewußtlos, und Magda fürchtete schon, das seinun das Koma. Sie hatte alles versucht und konntenun nichts mehr tun; sie legte sich also neben dieKranke und versuchte ein wenig auszuruhen.

Als sie aufwachte, war heller Tag, und Jaelle sah siean.

»Wie fühlst du dich, Jaelle?« erkundigte sich Mag-da.

»Höllisch. Hast du etwas Wasser oder Tee bereit?

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Seit ich Shainsa verließ, war ich noch nie so ausge-trocknet wie jetzt.«

Jaelle trank durstig und ließ sich noch einmal Was-ser bringen. »Hast du die ganze Nacht bei mir ge-wacht?« fragte sie.

»Ja, bis du einschliefst. Ich hatte Angst, du würdestdir den Verband abreißen. Versucht hast du's ja.«

»Hatte ich Fieberträume? Nun ja, dann ist es ja klar.Ich träumte, ich sei in der Trockenstadt und Jalak ...Nun ja, das war ein schrecklicher Unsinn, und ich binfroh, daß ich aufwachte.« Sie fingerte an ihrem Ge-sichtsverband herum.

»Du wirst ja eine ziemlich auffallende Narbe be-halten.«

»So schlimm ist das nicht, eher eine Reklame fürMut und Ausdauer. Allerdings bin ich keine Kämpfe-rin und gehe nie als Soldat oder Leibwache ... Ichweiß nichts mehr, seit du meine Tunika abgeschnittenhast.«

»Wenn die Wunde frisch verbunden ist, erzähle ichdir schon mehr«, versprach ihr Magda. Die Wun-dränder sahen nicht gut aus, und Magda fürchtete ei-ne Infektion. Oder war es Gift?

»Ich habe karalla-Puder in meiner Satteltasche. Dasverhindert eine zu schnelle oberflächliche Heilung,ehe die Wunde von innen her sauber ist.« Magda be-stäubte die Wunde mit dem Puder. Jaelle sah blaßund sehr mitgenommen aus, doch sie sprach ver-nünftig, aß sogar etwas von der Suppe aus getrock-netem Fleisch und trank immer wieder Wasser.

»Du hast beide getötet, nicht wahr?« fragte sie.»Das erstaunt mich eigentlich ... Nun ja, da werdenhäßliche Narben zurückbleiben. Aber besser Narben

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als blind oder tot. Camilla sagte mir, manche Männerfänden Messernarben bei einer Frau unwiderstehlich... Gwennis oder sogar die alte Camilla hätten diebeiden Banditen erledigt, ohne selbst einen Kratzerdavonzutragen.«

Danach schlief sie wieder fast den ganzen Tag hin-durch, doch das hohe Fieber kehrte nicht wieder.Magda versorgte die Tiere und hatte danach wenigzu tun, denn die Toten konnte sie in der hartgefrore-nen Erde nicht begraben. Sie blieb immer in JaellesNähe, um sofort helfen zu können, falls sie etwasbrauchte.

Sie dachte sogar wieder daran, daß sie doch ei-gentlich fliehen konnte, daß Jaelle auf dem Weg derBesserung sei, aber nun schob sie diesen Gedankensofort entschlossen von sich.

Am nächsten Tag konnte Jaelle schon aufstehenund etwas herumgehen. Den verwundeten Armschonte sie zwar noch, doch er ließ sich bewegen. AlsMagda aus einem kurzen Nachmittagsschlaf auf-wachte, sah sie Jaelle über sich stehen. Sie sah ver-wundert drein, so etwa, als erwarte sie noch immerden Todesstoß.

Schließlich sagte sie: »Ich habe nicht damit gerech-net, daß du bei mir bleiben würdest, Margali. Du hastdeinen Eid nicht ganz freiwillig geleistet. Eidesmutterund -tochter tauschen Geschenke aus. Du hast mirmein Leben geschenkt, das weiß ich.«

»Nein ...«, wehrte Magda ab, verließ die Hütte undschaute zum düsteren, grauen Himmel hinauf, andem dicke Schneewolken hingen. Mittwinter war nurnoch ein paar Tage entfernt, und wenn sie bis dahinnicht das Lösegeld abgeliefert hatte, mußte Peter ei-

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nes qualvollen Todes sterben. Sie begann hem-mungslos zu schluchzen, denn dieser Gedanke ließsie nicht mehr los.

Plötzlich fühlte sie eine leichte Hand auf ihremArm. »Ist dieser Verwandte dir so teuer?« fragteJaelle leise. »Sag es mir doch, meine Schwester. Undsteh nicht hier in der Kälte herum.« Aber Magdamußte Jaelle auffangen, weil sie auf noch rechtschwachen Beinen stand. Als sie auf einer Bank in derHütte saßen, forderte Jaelle: »Diesmal möchte ich dievolle Wahrheit hören, Margali. Du hast gelogen undnicht gelogen, als du den Eid ablegtest. Sag mir alles.Es ist einfacher.«

»Woher weißt du das?« fragte Magda.»Ich bin eine Comyn-Tochter und habe laran. Al-

lerdings ist dieses Talent nicht trainiert. Lady Rohana,die Base meiner Mutter, wollte mich in einem Turmausbilden lassen, doch ich wollte nicht. Ist man darinnicht geübt, kann man die Gabe nicht richtig einset-zen, doch ich hatte das sichere Gefühl, daß du, wäh-rend du den Eid sprachst, unendliche Ängste ertra-gen mußtest und nach zwei Seiten gerissen wurdest.Ich kann ein wenig deine Gedanken lesen, Margali.Wir sind beide durch unseren Eid aneinander gebun-den, und ich darf auch dich weder betrügen, noch imStich lassen. Also, erzähl es mir, meine Schwester.«

Magda erzählte: »Ich wurde in Caer Donn geborenund heiße Magdalen Lorne, aber die Darkovanerkin-der, mit denen ich aufwuchs, nannten mich Margali.Das ist genauso mein richtiger Name wie der andere.Ich bin ...«

Plötzlich löste sich der Knoten in Magdas Kehle,und sie konnte frei sprechen. »Meine Eltern waren

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beide Terraner, Untertanen des Imperiums. Ich binDarkovanerin und in Caer Donn geboren, aber ich binGeheimdienstagentin und Linguistin des Imperiums,und ich arbeite von Thendara aus.«

»Das ist es also«, sagte Jaelle nachdenklich. »Vonden Terranern habe ich schon gehört. Ich wußte abernicht, daß die Terraner, außer dem Aussehen nach,menschlich sind ... Weiß Lady Rohana, daß du Terra-nerin bist?«

»Ja, sie hat mich dort kennengelernt.«»Deshalb also bist du ihr sympathisch. Und dein

Verwandter ist auch Terraner?«»Ja. Aber Rumal di Scarp hält ihn gefangen, weil er

zufällig große Ähnlichkeit mit Lady Rohanas Sohn hat.«»Mit Kyril? Rohana liebe ich sehr, aber Kyril mag

ich nicht. Das spielt jedoch keine Rolle. Dieser Mann... Ist er dein Liebhaber?«

»Nein. Für einige Zeit waren wir jedoch ... Lebens-gefährten. Auch das wäre nicht Grund genug, dochwir wuchsen als Kinder miteinander auf, und er hatkeinen anderen Menschen als mich. Für meine Vorge-setzten in Thendara ist er ersetzbar, und so nahm ichdie Aufgabe auf mich, ihn vor Tod und Folter zu ret-ten.«

Jaelle biß sich auf die Lippen. »Da muß ich erstnachdenken. Vielleicht bist du gesetzlich an deinenDienst gebunden? Eine Freie Amazone ist an dieAufgabe gebunden, die sie freiwillig übernommenhat, bis sie erfüllt ist ... Du sagst, du liebst ihn nicht?Welche Gefühle hast du dann für ihn?«

»Ich weiß nicht recht ... Vielleicht protektive Ge-fühle.«

Jaelle musterte Magda sehr nachdenklich. »Ja, ich

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glaube, kein anderer Mann hat dir je soviel bedeutetwie er. Noch nicht. Ich denke, das ist der richtigeAmazonengeist, und den muß Rohana in dir erkannthaben ...« Plötzlich lachte sie. »Und es gibt nur einenlebenden Mann, den ich weniger liebe als Rumal diScarp. Wie gerne würde ich Rumal um seine Beutebetrügen! Zwischen uns steht ein Leben. Also bin ichals deine Eidesmutter auch zu einem Geschenk ver-pflichtet. Ich reite mit dir nach Sain Scarp, Margali.«

»Jaelle, dafür kann ich dir nie genug danken, aberzuvor mußt du wissen, daß du in Thendara nur Är-ger bekommen wirst. Lorill Hastur hat streng verbo-ten, daß sich jemand aus den Domänen in diese Sachemischt.«

»Du hast mir nicht richtig zugehört, liebe Schwe-ster. Ich denke selbst und überlasse das nicht Hastur.Natürlich muß ich den Gesetzen des Landes gehor-chen, nicht aber den Launen Hasturs, auch nicht denGesetzen von Thendara. Lorill Hastur ist mein Ver-wandter, wenn er auch nicht allzu großen Wert aufdie Verwandtschaft zu legen scheint. Immerhin ist ernicht Herr meines Gewissens, und keine Freie Ama-zone schuldet ihm persönlich Treue. Wenn du alsTerranerin Kraft und Mut genug hast, um allein inden Hellers zu reiten und dabei noch die Seelengrößeaufbringst, unter den schlechtesten Bedingungen ei-nen Eid zu halten, dann wäre es möglich, daß dieTerraner selbst einem Hastur noch etwas beizubrin-gen hätten. Und die Freien Amazonen sollten dannderen Freunde und Verbündete sein. Ich will dir alsohelfen, deinen Freund zu retten.«

»Es darf aber nicht bekannt werden, daß Peter Ter-raner ist!«

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»Nein, denn Rumal würde sich ein Vergnügen dar-aus machen, ihn noch am gleichen Tag aufzuknüpfen.Ich denke, ich kann morgen reiten. Dann brechen wirnach Sain Scarp auf.«

11.

In den ersten drei Tagen kamen sie gut vorwärts,doch am vierten Tag begannen schwere Schneefälle.Sie mußten also alles daransetzen, um den ScaravelPaß noch bei Tageslicht zu überschreiten, wenn sierechtzeitig vor Mittwinter nach Sain Scarp kommenwollten.

Im letzten Dorf vor dem Paß kauften sie sich heißeSuppe und handelten sich Futter für ihre Tiere ein.Ein Lederriemen von Jaelles Satteltaschen mußte er-neuert werden, und als sie vom Sattler zurückkam,erzählte sie, Lady Rohana habe mit ihrer Begleitungvor drei Tagen auf dem Weg nach Ardais den Scara-vel Paß überschritten, und seither sei kein Reisendermehr gekommen.

Bald mußten sie ihre Sattellaternen anzünden, umim Schneetreiben und dichter werdenden Nebel denPfad zu erkennen. Beide waren sehr froh, nicht alleindiesen Weg zurücklegen zu müssen. Es war sehr kalt,und mit zunehmender Höhe wurde auch der Windkälter und schärfer. Es dauerte nicht sehr lange, dannmußten sie absteigen und durch den knietiefenSchnee stapfen. Der um das Gesicht geschlungenedicke Wollschal wurde von der Feuchtigkeit desAtems, die sofort gefror, zu einer Eismaske.

Nach ein paar Stunden hielt Jaelle zu einer kurzen

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Rast an und sie kauten Trockenfleisch und gedörrteFrüchte. Und da hatte dann Magda eines ihrerschlimmsten Erlebnisse: Todesvögel kreischten in derFerne. Diese riesigen, blinden Vögel, nicht flugfähigeFleischfresser, heulten und schrien wie eine ganzeHölle voll Geister. Sie lebten ausschließlich über derSchneegrenze und erkannten ihre Beute an ihrerWärme.

Der enge Pfad erlaubte kein Umkehren, so daßJaelle zum Weitergehen riet, obwohl sie noch ziem-lich schwach war. Die dick verschneite Spur führtezwischen hohen Felsblöcken durch, und Jaelle hoffte,die unmittelbare Nähe der Todesvögel meiden zu kön-nen. Aber diese Hoffnung war vergeblich, denn wenigspäter schrie das Packtier hinter ihnen vor Angst undversuchte, sich gegen einen lautlos herangekomme-nen Todesvogel zu wehren. Magdas Pferd stieg amRand des schmalen Pfades und versuchte auszubre-chen, und im nächsten Moment stürzte das Packtier.Sofort verbiß sich der riesige Vogel mit dem nackten,bussardähnlichen Kopf in den weichen Unterbauchder Beute und riß ihn auf. Magda zog ihr Messer, umdas Raubtier zu verjagen, doch Jaelle hielt sie zurück.

»Es ist zu spät, Margali. Das Tier ist nicht zu ret-ten«, warnte Jaelle. »Soll sich der Todesvogel sattfres-sen, dann läßt er uns in Ruhe.«

Das war vernünftig, aber das Packtier schrie nochlange, und der faulige Gestank des Raubtiers stülpteMagda den Magen um. Endlich trottete das sattge-fressene Tier schwerfällig davon. Am schlimmstenwar, daß das Packtier noch immer nicht ganz tot war,so daß Magda es mit einem scharfen Messerschnittvon seinen Qualen erlösen mußte.

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Was sie von der Last des Packtieres mitnehmenkonnten, legten sie den beiden Pferden auf, und dannstapften sie weiter. Magda war für ein Gefühl der Er-leichterung viel zu müde, als sie endlich auf der Paß-höhe standen und es nur wieder abwärts gehenkonnte. Jaelle stolperte vor Schwäche und Müdigkeitund schien kaum mehr Kraftreserven zu haben.

Als sie ein Nadelholzdickicht erreichten, wo diePferde vor dem noch immer ziemlich dichten Schnee-fall einigermaßen geschützt waren, beschlossen sie,hier das winzige Zelt aufzuschlagen, das ihnen we-nigstens notdürftige Wärme und Sicherheit gewährte.

Am Morgen war der Himmel klar, aber es war sehrkalt. Jaelles Wunden sahen schlimm aus, doch Magdakonnte sie nur mit dem für das Frühstück erhitztenWasser auswaschen und einen frischen Verband auf-legen. Jaelle aß sehr wenig und ohne Appetit, dochMagda war schon froh, daß sie überhaupt etwas aß.Sie mußte über alle Maßen erschöpft sein.

Sie zeigte auf einen nahen Gipfel. »Sain Scarp«,sagte sie. »Wenn das Wetter hält, sind wir morgendort. Ich möchte bezweifeln, daß uns Rumal di Scarpals Gäste aufnimmt«, meinte sie lachend, »so daß wiralso von diesem Mittwinterfest kaum etwas habenwerden. Aber sicher wird sich dein Verwandter liebermit einem Haferbrei an der Straße zufriedengeben,statt mit Rumal ein Fest zu feiern. Bleibt das Wetterweiter gut, können wir zu Mittwinter in Ardais sein.Von hier aus ist es nicht zu sehen ... Wird es deinenVerwandten nicht kränken, wenn er sich von einerFrau retten lassen muß? Oder kennt ihr Terraner kei-nen solchen Stolz?«

»Im allgemeinen nicht. Bei uns sind Männer und

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Frauen in der Regel gleichberechtigt, sogar auf ande-ren Welten tragen sie die gleichen Risiken und Gefah-ren.« Aber, überlegte sie sich, Peter wuchs ja auf Dar-kover auf ...

Ganz plötzlich kam ihr eine Erkenntnis über sichselbst: Die Kindheit prägt den Menschen; keiner derTerraner wäre ihr je als der einzig richtige Partner er-schienen, und Peter hatte sie mehr oder weniger des-halb geheiratet, weil sie Kindheitsfreunde waren under der einzige Mensch war, auf den sie sexuell über-haupt reagierte. Es gab, als sie zur Liebe bereit war,gar keinen anderen.

An diese Erkenntnis mußte sie sich also halten,wenn sie Peter wiedersah.

Sain Scarp war eine riesige Festung, die nur übereinen ziemlich schmalen, überhöhten Fußweg zu er-reichen war. An dessen Ende hielt sie ein sehr großer,breitschultriger Mann auf und fragte, was sie hier zusuchen hätten.

Magda sagte: »Ich bin die Freie Amazone Margalin'ha Ysabet und komme im Auftrag von Lady Roha-na Ardais. Hier ist ein Gefangener, für den ich Löse-geld zu bezahlen habe. Melde das deinem HerrnRumal di Scarp.«

Später konnte sie sich nicht daran erinnern, wieRumal die Scarp aussah, außer daß er ein ziemlichkleiner Mann war mit einem Adlergesicht und bren-nenden Augen. Und hinter Rumal sah Magda den ge-fesselten Peter. Er war mager und blaß und trug seineschäbige Bergkleidung. Ein kurzer, kupferroter Bartwar ihm gewachsen, aber Magda erkannte ihn sofort.

Rumal ließ sich Lady Rohanas Geleitbrief gebenund warf ihn, als er ihn gelesen hatte, Magda ver-

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ächtlich vor die Füße. »Welch eine Ehre für die Män-ner von Ardais, daß sie Frauen schicken, um das Lö-segeld für ihr Männervolk zu bringen!« sagte er.»Warum soll ich mit euch verhandeln?«

»Weil ich die Nichte von Lady Rohana bin«, er-klärte ihm Jaelle voll Würde und Bestimmtheit, »undwenn du dein Wort nicht hältst, verkünde ich es vomHellers bis nach Dalereuth, daß sich Rumal di Scarpnicht an seine eigenen Vorschläge hält. Dann bezahltdir nämlich kein Mensch mehr eine einzige MünzeLösegeld, und du kannst hier sitzen und dir aus denKnochen deiner Geiseln Suppe kochen!«

»Da habt ihr euren Verwandten«, knurrte er undnahm das Lösegeld in Empfang. »Aber bringt ihnschnell von hier weg.«

»Wo ist sein Pferd? Und seine Ausrüstung?« fragteJaelle.

»Das haben wir behalten, um seine Verpflegungs-kosten damit zu decken. Na, leb wohl, Lord. Vergißnicht, die Damen gut für ihre Höflichkeit und Treuezu bezahlen, denn nur ihnen hast du's zu danken,wenn euer Männervolk das Lösegeld lockermachte.Gute Reise also und glückliche Heimkehr.« Dazumachte er eine tiefe, spöttische Verbeugung.

Das tat Peter auch. »Und meinen Dank für deineGastfreundschaft, messire di Scarp. Mögest du dichsicher durch sämtliche Höllen Zandrus schlafen, eheich dich wiedersehe.«

Dann wandte er sich zu Magda um, während derBandit brummend verschwand. Er nahm ihre beidenHände. »Du bist es also, Mag ... Ich habe geträumt ...«

Sie glaubte schon, jetzt werde er weinen, deshalbantwortete sie schnell: »Du bist so mager und blaß!

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Hat man dir nichts zu essen gegeben?«»Am Ende des Fußwegs wartet auf dich ein Pferd«,

drängte Jaelle. »Wir kauften es im letzten Dorf. Ichdachte mir schon, daß Rumal das deine behält. Hof-fentlich gefällt es dir.«

»Mestra, ich würde sogar zu Fuß nach Thendaralaufen, nur um diesen Mauern zu entkommen. Ichhatte schon alle Hoffnung aufgegeben ...«

Jaelle musterte ihn neugierig. »Ich kann nicht glau-ben, daß du nicht mein Vetter Kyril bist«, stellte siefest. »Du bist also ein richtiger Terraner?«

»Ja, das bin ich«, bestätigte Peter. »Aber wer ... undwarum?«

»Sie ist meine Freundin und Schwester, Peter, sieweiß, wer wir sind, und wir brauchen ihr nichts vor-zuspielen«, sagte Magda schnell.

Peter beugte sich über Jaelles schlanke Hand. »Wiekann ich dir meinen Dank sagen, mestra? Die Mitt-winternacht ist viel zu nahe, als daß ich sagen könnte,ich hätte mich nicht gefürchtet.«

»Nun glaube ich, daß du nicht mein Vetter Kyrilbist«, erwiderte Jaelle lachend. »Er würde sich eherhängen lassen als zuzugeben, daß er Angst hatte.Aber schau, sie sehen zu und wundern sich, weshalbdu mich nicht als deine Verwandte begrüßest.«

»Das tue ich mit Vergnügen«, antwortete er undküßte sie auf die Wange. Dann nahm er ihre Handund küßte auch ihr Handgelenk.

Magda sah zu. Ich bin von ihm frei, dachte sie er-leichtert. Es ist mir gleichgültig, wenn er jetzt schonmit Jaelle flirtet. Soll er. Als sei er mein Bruder undnicht mein Geliebter. Nicht mehr ...

»Du siehst meinem Vetter Kyril so ähnlich«, stellte

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Jaelle erneut fest. »Aber wieviele Finger hast du anden Händen? Zeig!«

»Die normalen fünf«, antwortete Peter. »Schaudoch ... Und du ... Du hast ja sechs Finger an jederHand!« stellte er verblüfft fest.

»Ja. Die von Ardais und Aillard haben alle einenExtrafinger. Das ist wohl bei euch Terranern unbe-kannt? Rohana ist von Geburt eine Aillard, ihr Mannein Ardais, und alle ihre Kinder haben die Hände derAillards ... Wenn Rumal das geahnt und deine Fingergezählt hätte, würdest du jetzt an der Burgmauerbaumeln ...« Sie lachte hysterisch und konnte nichtmehr zu lachen aufhören, und so schüttelte Magdasie heftig an den Schultern. »Tot wärest du jetzt«,stieß sie zwischen Schluchzern hervor, »tot, tot ...«

»Kannst du sie auf deinen Sattel nehmen?« batMagda. »Wir müssen vor Einbruch der Nacht hierweg sein, und sie ist noch ziemlich schwach.« Sie sahzu, als Peter das Mädchen voll zärtlicher Vorsicht aufsein Pferd hob und sie mit einem Arm festhielt.

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III. Teil

Jaelle n'ha Melora, Freie Amazone

12.

Spät nachts waren sie im Schloß von Lady Rohanaangekommen, und sie waren sehr liebenswürdig vonihr aufgenommen worden. Der Rest war eine vageErinnerung für Jaelle und Magda.

Als Jaelle am Morgen in einem reichbestickten undspitzenbesetzten Nachthemd aufwachte, waren ihreWunden frisch verbunden. Sie lag in einem großenBett, und in einem zweiten entdeckte sie Magda.Auch sie trug ein spitzenbesetztes Nachthemd, undihr dunkles Haar war frisch gewaschen.

»Hast du mich heraufgetragen?« fragte Jaelle.»Nein, diese Ehre tat dir dom Gabriel persönlich

an.«»Der Ärmste! Er mag doch keine Freien Amazonen

in der Familie.«»Oh, er schien sich sehr um dich zu sorgen. Ich

nehme an, sogar Terraner akzeptiert er, wenn sie zuRohana gehören. Das heißt, Rohana erzählte ihm,Peter und ich seien deine Freunde. Das Haus ist vollMittwintergästen, und wir müssen vorsichtig sein.Als Kyril mit Peter zusammentraf, meinte er, man se-he auf den ersten Blick, zu welchem Klan er insge-heim gehöre.

Er schläft übrigens nebenan. Lady Rohana hat sichdafür entschuldigt, daß sie uns nur diese Räume ge-ben konnte, aber ich sagte ihr, es sei gut so, denn ich

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könne dich nicht allein lassen. Du hast den gestrigenTag ganz und gar verschlafen und bist nicht einmal auf-gewacht, als domna Alida deine Wunden verband.«

Jaelle erinnerte sich nur vage an den Ritt von SainScarp hierher. Sie wußte, daß Peter sie im Sattel fest-gehalten und Magda sie gelegentlich mit Happen ge-trockneten Fleisches gefüttert hatte. Sie hatte sich ih-rer Schwäche zwar geschämt, doch in Fieber undSchmerz war es gut gewesen, den Kopf an eineSchulter legen zu können.

Wenig später kam Rohana herein – klein, zart undköniglich in einem pelzverbrämten Morgenrock. Sieküßte Jaelle auf die nicht verbundene Wange. »Wiekamst du zu dieser schrecklichen Wunde?« fragte sie.»Margali sagte mir nur, du habest für sie gekämpft.«

»Dann wird sie dir wohl nicht verraten haben, daßsie mir das Leben gerettet hat und daß sie, durch ih-ren Eid gebunden, meine Schwester ist.«

»Ist es denn erlaubt, Jaelle, daß eine Terranerin denEid der Gilde leistet?« fragte Rohana ernst.

»Die Gilde schließt keine Frau aus, und meineSchwester hat ihrem Eid Ehre gemacht. Sie hätte michleicht verlassen können, und dann wäre ich gestor-ben, aber sie hat für mich gekämpft und mich aufop-fernd gepflegt.«

»Dann ist auch sie eine Verwandte dieses Hauses«,erwiderte Rohana voll Güte. »Eines Tages mußt dumir mehr davon erzählen«, bat sie Magda, weil Jaellewieder in Ohnmacht fiel oder einschlief. »Was sagteigentlich dein Ehemann zu all dem?«

»Wir haben uns vor über einem Jahr getrennt. Er istnicht mehr mein Ehemann und war nie mein Gewis-sen.«

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»Ich dachte ...«, begann Rohana, schwieg dannaber, weil sie, wie alle Telepathen, es verabscheute, inden Geist eines anderen Menschen einzudringen. Siewußte auch nicht recht, was sie denken sollte, dennhier schienen Fragen aufzutauchen, die sie für sichselbst vor vielen Jahren gelöst zu haben glaubte.

»Ist es eigentlich richtig, daß Jaelle soviel schläft?«fragte Magda. »Sie ist völlig erschöpft, weil sie uns zuhelfen versuchte.«

»Mein Kind, mach dir keine Vorwürfe. In mancherBeziehung ist sie mir teurer als meine eigene Tochter,doch ich weiß seit vielen Jahren, daß sie ihren eigenenWeg gehen will und muß ... Domna Alida wird baldnach ihr sehen. Sie kennt sich mit solchen Wundengut aus.« Damit ging sie.

Wenig später erschien Peter, und Magda berichteteihm, was Lady Rohana gesagt hatte. Peter erwähnte,er habe im Haus zwei oder drei Männer aus CaerDonn gesehen, die ihn vielleicht als Terraner erken-nen würden, deshalb schlage er vor, daß Magda so-fort mit ihm abreise. Aber Magda erklärte ihm, ohneJaelles Einwilligung gehe sie nicht, solange sie kranksei und Pflege benötige. »Bedeutet dir denn ein Eidgar nichts?« hielt sie ihm vor.

»Er wurde doch erzwungen. Muß ich dich daranerinnern, daß du Terranerin bist und als solchePflichten hast?« Da sah er, daß Magda vor Zorn amganzen Körper zitterte, und er lenkte ein. »Ich meintees nicht so, Mag. Aber es ist nicht ganz ... Daß du sol-che Gefühle einer anderen Frau gegenüber ...«

»Dann denk doch, was du magst!« fuhr sie ihn an.»Du bist ein verdammter Narr, Peter. Glaubst du, ei-ne Frau kenne keine Loyalität, nur weil sie eine Frau

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ist? Sie hat mir das Leben gerettet und das ihre aufsSpiel gesetzt, als sie mit mir über den Scaravel Paßging. Hast du vergessen, daß du in Rumals Verliesdie Tage zähltest? Und du willst, daß ich sie hier al-lein zurücklasse, solange ich nicht weiß, ob sie über-haupt am Leben bleibt?«

»Ich dachte doch, diese Leute seien ihre engstenVerwandten ...«

»Das sind sie. Aber ich bin ihre Eidestochter undsomit ihre nächste Verwandte, selbst unter diesemDach.« Rohana hatte das ganz von selbst begriffen,obwohl sie, wie Camilla behauptete, die Lebensartder Freien Amazonen noch immer nicht verstand.

»Du mußt es ja selbst am besten wissen, Mag«,lenkte Peter ein. »Und vielleicht fallen um diese Zeitein paar Gäste gar nicht auf ... Wie schön Jaelle dochist – oder wäre, hätte sie nicht diese entsetzliche Nar-be! Wie kann eine Frau wie sie auf Liebe und Eheverzichten?«

Jaelle öffnete ihr unverbundenes Auge. »Wir ver-zichten nicht auf Liebe, sondern nur auf die Fesselnder Ehe.« Sie streckte ihre Hand aus, Peter kniete ne-ben ihr nieder und nahm sie in die seinen. Ihre Augenfielen wieder zu, doch sie ließ ihn nicht los.

Er kniete noch neben dem Bett, als Lady Rohanamit Gabriels Schwester hereinkam, die eine leronis, al-so eine »Weise« oder »Zauberin« war, aber auch eine»Heilerin«. Sie hieß Alida und hatte Turmausbildung.Sie war klein, schlank und sehr zierlich, hatte flam-mend rotes Haar, war jünger als Rohana und zeigteeinen Hochmut, der Magda unwillkürlich an LorillHastur erinnerte.

Lady Alida nickte Magda grüßend zu, übersah je-

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doch Peter. Erst als sie Jaelles Decke zurückschlug,um nach ihrer Wunde zu sehen, warf sie Peter einenauffordernden Blick zu. Natürlich verstand er ihnrecht gut, denn man hielt es für ungehörig, in einemRaum mit Magda zu sein, wenn sie nicht voll ange-kleidet war. Er wollte gehen, doch Jaelle ließ seineHand nicht los. Lady Alida zuckte nur die Schultern.»Wenn sie will – bitte, aber steh mir nicht im Weg«,sagte sie zu ihm.

Selbst Magda sah, daß die Wunden nicht heilten;die Ränder waren entzündet und verschwollen, undAlida stellte fest, daß die Wunden vergiftet seien.»Das ist aber auch keine Frauenarbeit«, erklärte Alidaund zog eine verächtliche Grimasse.

»Ich weiß, Alida, daß du meine Lebensweise miß-billigst, und das ist dein gutes Recht«, fuhr Jaelle auf.»Aber du solltest soviel Höflichkeit aufbringen, daßdu meinen Gast und meine Schwester nicht vor mirbeleidigst.«

Alida gab keine direkte Antwort. »Und was ist mitdeiner Wunde, mestra?« wandte sie sich an Magda,die sofort ihren Ärmel hochschob.

»Sie heilt«, antwortete sie.»Aber nicht richtig. Eine solche Wunde müßte

längst sauber und geschlossen sein. Sie schmerztdoch auch noch, oder?« Magda nickte. »Aber Jaellewurde zuerst verwundet und bekam also das meisteGift ab.«

»Kannst du helfen, Alida?« fragte Rohana besorgt.»Sicher. Es ist ziemlich einfach, aber du mußt mir

helfen. Du hast ja Turmtraining. Willst du michüberwachen?«

»Natürlich«, erwiderte Rohana, und Alida wickelte

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ihren Matrixstein aus dem Seidentuch. Am liebstenhätte Rohana ja die beiden Terraner weggeschickt,doch das konnte sie nicht tun. Magda war Jaelles Ei-desschwester, und der Mann – nun, sie sah die Zärt-lichkeit in seinen Augen und wußte das, was beideüber sich selbst noch nicht wußten.

»Tu das Ding weg, Alida«, sagte Jaelle, »ich willvon deiner Zauberei nichts wissen.«

»Es geht nicht anders, Kind. In der Wunde ist Gift,und sie könnte dein Augenlicht schädigen. Wenn ichjetzt nicht ...«

»Hör auf damit, Jaelle«, befahl Rohana. »Benimmdich nicht wie ein Feigling.«

»Ich fürchte mich nicht«, entgegnete Jaelle, »ichwill nur nicht, daß man in meinem Geist herum-pfuscht.«

Das verstand Rohana, denn schon als Kind hattesich Jaelle immer geweigert, sich testen zu lassen, ihrflammendrotes Haar ließ eine starke telepathischeVeranlagung vermuten. Rohana zwang sie dannmehr oder weniger dazu, und Jaelle verließ die Sit-zung weiß wie ein Geist und weinend. Alida hattedamals erklärt, Jaelle habe laran, aber solange sie eineso starke Verteidigung um sich herum aufbaue, lassesich nichts damit beginnen. Sie fände das Leben imTurm sicher unerträglich, und man müsse sie wohlihren eigenen Weg gehen lassen.

»Wenn sie will, daß sie für den Rest ihres Lebenswie ein von Narben verunstalteter Veteran herum-läuft, so ist das ihre Sache«, erwiderte Alida kühl.»Ich will nur nicht, daß sie blind wird, und das wirdsie auch nicht wollen.«

Peter fuhr mit der Fingerspitze über die glatte Haut

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unter der Wunde und sagte zu Jaelle: »Du bist soschön. Es wäre jammerschade, diese Schönheit zuverderben.« Da erst gab Jaelle nach.

Magda konnte den strahlenden Schimmer desblauen Steines nicht ertragen und wandte sich ab.Leise sagte die leronis zu Jaelle: »Ich muß dafür nichtin deinem Geist herumpfuschen, Kind. Was hier ge-schieht, ist eine sehr delikate Rekonstruktion vonZellen. Du mußt still liegen bleiben, kannst aber auchschlafen. Du wirst wohl kaum einen Schmerz spüren,aber wenn, dann sag es mir, damit das, was ich tunmuß, nicht darunter leidet.

Rohana, du mußt mich überwachen und michwarnen, wenn ich zu nahe an die Nerven herankom-me, oder auch zu nahe ans Auge. Und, mestra, schauden Matrixstein nicht an. Viele Leute können denAnblick nicht ertragen.«

Alidas Gesicht war dann von fast unmenschlicherRuhe. Magda bemerkte, wie das Fleisch um die ent-zündete Wunde herum zu glühen begann, wie es pul-sierte, als Rohana ihre Fingerspitzen über die Wun-den bewegte, erst über die im Gesicht, dann die ander Schulter. Das schimmernde Licht folgte dem Fin-ger; das geschwollene Fleisch schien sich zu bewegen,zu heben, zu zittern und die Farbe zu wechseln. Dasfiebrige Rot wurde zu Purpur, zu Schwarz. Und dannblutete die Wunde.

»Vorsicht«, mahnte Rohana.Die Ränder der offenen Wunde wurden blaß, das

schimmernde Licht wurde heller, rot und schließlichzu einem gesunden Rosa. Nun bewegte Rohana ihreFingerspitzen über die offene Wunde. Alida näherteihr den blauen Stein, und Magda beobachtete voll

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Staunen, was sich nun ereignete: Alida schien jedeeinzelne Hautzelle zu erfassen, das Gift herauszuho-len, die Nerven zu besänftigen, die kleinen, zerfetztenBlutgefäße zusammenzufügen, bis sie fast körperlichdie Veränderungen an Jaelles Wunde spürte. Psycho-kinese, dachte Magda; das müßte ich eigentlich auchtun können; und sie tat es, als sie sich auf ihre Armwunde konzentrierte. Sie verspürte einen stechendenSchmerz, und dann tat etwas außerhalb ihres Seinsetwas, das die Wunde spurlos verschwinden ließ.

Dann sah sie an Jaelles Wange nur noch eine dün-ne, grellrote Naht, aus der ein wenig hellrotes Blutsickerte. Der Riß im Augenlid war verschwunden,das vorher geschlossene Auge offen, der Lidrandnicht mehr verschwollen.

Alida seufzte vor Müdigkeit und Erleichterung,wickelte den Stein in die Seide und steckte ihn in ihrGewand zurück. Jaelle schlief, aber noch im Schlafhielt sie Peters Hand so fest, daß er sie nicht aus ihrenFinger zu lösen vermochte.

Magda deckte Jaelle zu und folgte Rohana undAlida, als sie den Raum verließen. Alida taumelte er-schöpft, und Rohana hielt sie fest. »Geh und ruhe,Alida«, sagte sie. »Und ich danke dir für Jaelle.«

Nein, es war keine Illusion; Magda hatte gesehen,daß Jaelle nicht einmal mehr einen Verband benötig-te, und ihre eigene Wunde war kaum mehr sichtbar.Und das alles war bewirkt worden durch die Kraftdes Geistes, die Psi-Kraft, an die sie nicht geglaubthatte.

Rohana bemerkte, wie Magda zitterte, und legte ei-nen Arm um sie. »Ruh dich aus, mein Mädchen, denndas war eine anstrengende Arbeit. Ich wußte ja gar

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nicht, daß du laran hast. Warum sagtest du nichts?«»Ich weiß ja nicht einmal, was dieses Wort bedeu-

tet«, antwortete Magda.

13.

Lady Rohana beschenkte die beiden Mädchen mitlangen pelzgefütterten Reitmänteln und passendenKleidern für die Mittwinterfestlichkeiten. Natürlichgab Jaelle einen boshaften Kommentar dazu ab:»Mein Verwandter sieht es nicht gerne, wenn zweibehoste Amazonen an seinem Tisch sitzen.«

Es mochte stimmen, doch Magda versagte sich jedeBemerkung dazu, weil sie noch immer mit dieserWunderheilung beschäftigt war. Das Talent zu sol-chen Dingen hieß also laran, und leronis war die Frau,die im Gebrauch dieser Psi-Kräfte geübt war. Jaellewollte ihr nichts dazu erklären, und so war Magdaauf eigene Überlegungen angewiesen.

Am Nachmittag wurden die Festkleider gebracht,für Magda ein rostfarbenes Kleid mit einem schmalenZobelbesatz und weiten, mit goldfarbener Seide ge-fütterten Ärmeln; es war ein wunderhübsches Kleidund paßte ihr ausgezeichnet. Wie schön hätte ihr lan-ges, dunkles Haar mit der Schmetterlingsspange dazuausgesehen! Nun, die meisten Terranerinnen trugenihr Haar kaum länger als die Männer, aber sie hattesich immer an die Sitte der Darkovaner und das langeHaar gehalten.

Jaelle hatte das grüne Kleid angezogen, das an sichfür ihre Kusine Alorie angefertigt worden war, aberJaelle sehr gut paßte. Ihr kurzes Haar bürstete sie, bis

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es wie poliertes Kupfer wirkte, und befestigte darinzwei goldene Nadeln, die sie in ihren Satteltaschengehabt hatte. Auch Amazonen liebten es gelegentlichund wenn sie nicht im Dienst waren, sich schön an-zuziehen und zu schmücken.

»Ich hatte keine Ahnung, daß du so hübsch bist«,sagte Jaelle zu Magda. »Als ich dich zuerst sah, warstdu wie ein halb erfrorenes Kaninchen, und danachhabe ich nichts mehr bemerkt.«

Magda hatte Jaelles Schönheit auch in der rauhenAmazonenkleidung längst erkannt, und in ihremgrünen Kleid sah sie atemberaubend aus. Das meinteauch Peter, wenn man die richtigen Schlüsse aus sei-ner verblüfften Miene zog. Jaelle war darüber ein we-nig verlegen und senkte die Augen.

»Ich bin sehr froh, Jaelle, daß du dich erholt hast«,sagte Peter und bot in einem Anfall von HöflichkeitMagda seinen Arm. Sie nahm ihn, weil sie spürte, wieauch er verlegen war. »Du siehst reizend aus, Mag«,sagte er, »aber dein langes Haar fehlt mir sehr.« Erlegte die Hand auf ihren Nacken, doch sie schütteltesie ab.

»Nicht, Piedro.« Sie sprach ihn mit seinem Darko-vaner Namen an, um ihn zu erinnern, wo sie waren.Sie wußte sofort, daß die eine flüchtige Berührungsehr viele Erinnerungen in Peter wachgerufen hatteund Jaelle ihn mit einem Gefühl der Eifersucht beob-achtete.

Gabriel, Lord von Ardais, empfing seine Gäste vordem großen Mittwinterfeuer. Er drückte Jaelle an sichund küßte ihre Wange. »Ich bin froh, Jaelle, daß duwieder wohlauf bist. Ich wünsche dir ein gutes undglückliches Jahr.«

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»Und ich danke dir für deine Gastfreundschaft fürmich und meine Freunde, Onkel«, antwortete Jaelleund wurde dann von Rohana, von Vettern und Basenherzlich begrüßt.

Als der Lord von Ardais Magda und Peter will-kommen hieß, hatte sie das Gefühl, einem durchausehrlichen und herzensguten Mann zu begegnen, dervielleicht ein wenig unter den Vorurteilen seiner Ka-ste und einer gewissen Phantasielosigkeit leidenmochte.

»Willkommen, mestra, als Freundin meiner Ver-wandten«, sagte er, »und angenehme Feiertage undein glückliches Jahr.«

Magda erinnerte sich der Neujahrsgrüße aus ihrerKindheit. »Mein Jahr wird glänzen in der Erinnerungan Eure Gastfreundschaft. Mögen die Feuer EuresHerdes niemals kalt werden, Lord Ardais.« Sie be-merkte das Staunen in seinen Augen. Warum, über-legte sie, ist er so überrascht, daß eine Rasse, die ihreSchiffe zu den Sternen schicken kann, die einfachstenFormen der Höflichkeit beherrscht?

Alida winkte Magda zu sich an den Tisch, undMagda konnte diese Einladung nicht umgehen. Dieleronis trug ein blaßblaues Kleid, und ihr rotgoldenesHaar war tief im Nacken zu einem Knoten geschlun-gen. Eine Weile waren alle mit den Köstlichkeiten derTafel beschäftigt, und darüber war Magda froh. Wäh-rend einer Essenspause sagte Alida zu ihr: »Ich wollteein Wort mit dir sprechen, mestra. Wurdest du jeschon einmal auf laran überprüft, Margali? Denn duhast die Gabe. Sie ist angeboren.«

»Nein, das wußte ich nicht. Ich wurde nie über-prüft.«

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»Sie erwacht in der Zeit der Pubertät. Kamst du sofrüh zu den Freien Amazonen, daß du selbst nichtnach einem Test verlangtest? Hattest du keine Ah-nung von deinem Talent?«

»Nein, Lady. Bis vor wenigen Tagen ahnte ichnichts davon. Es war für mich selbst die größte Über-raschung.«

»Nun, dann müssen wir nach dem Fest diesen Testmachen.«

»Nach dem Fest, Lady, muß ich mich im Gildehausmelden.«

»Das läßt sich arrangieren. Ein untrainierter Tele-path ist eine Gefahr für sich und seine Umgebung,und das träfe auch zu für deine Schwestern im Gilde-haus.« Damit schien die Sache für Alida erledigt zusein, doch Magda war der Appetit verdorben.

Sie war froh, als das Mahl zu Ende war und derTanz begann. Die jungen Leute gingen nach unten indie Tanzhalle. Magda hatte in Caer Donn die Darko-vanertänze gelernt und tanzte sie gut. Lori zog sie ineinen Kreistanz für die Mädchen, und danach gab esGruppentänze für Paare. Sie war solange verlegenund unsicher, bis sie Jaelle bemerkte, die mit vielenGästen lachte, flirtete und tanzte.

Magda kam es erst jetzt zu Bewußtsein, wie sehrihre zwischenweltliche Kindheit sie daran gehinderthatte, mit Leuten ihres eigenen Alters gesellschaftlichzu verkehren. Ihre Kindheit in Caer Donn hatte siegefühlsmäßig und gesellschaftlich für die Reife indieser Welt vorbereitet, doch dann wurde sie aus die-sem Kreis herausgerissen und in der Zone von Terrapraktisch isoliert. Mit sechzehn Jahren war sie wegge-schickt worden, um im Imperium mit Leuten ihres

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Alters ausgebildet zu werden. Später, als sie nachDarkover zurückgekehrt war, verboten es die Darko-vaner-Sitten einer Frau, persönliche Kontakte außer-halb ihres Hauses zu unterhalten.

Ein junger Mann aus Gabriels Haushalt trat zu ihrund bat um einen Tanz. »Ist dein Name nicht Marga-li?« fragte er, und sie bejahte. »Dann bist du also dieTochter von Toroku Lorne, nicht wahr?« Dieser Titelentsprach etwa dem terranischen »Professor«, unddie Kinder in Caer Donn hatten ihn so genannt. »Duhattest mit meinen Schwestern Tara und RenataTanzstunden. Ich bin Darill, der Sohn des Darnak.«

Sie konnte sich gut erinnern, denn mit Renata hattesie häufig gespielt.

»Was tust du hier im Hellers?« fragte er. »Ichdachte, du seist in Thendara.«

»Ich bin Mittwintergast von Lady Rohana, oderbesser, von Jaelle, ihrer Verwandten.«

»Wissen sie, wer du bist? Wenn du unter falschenVoraussetzungen hier bist, müßte es Lord Ardais er-fahren.«

»Lady Rohana kennt meinen wahren Namen, unddu kannst sie fragen. Da sie alles weiß, wird es auchdom Gabriel wissen.« Er lächelte dazu, und dann er-zählte er ihr von seinen Schwestern und wo sie jetztlebten.

Später kam sie wieder mit Jaelle zusammen. »Ca-milla hatte recht«, erklärte sie lachend. »Narbenscheinen manche Männer wirklich unwiderstehlichzu finden. So gefragt war ich noch nie ... Oh, ich weiß,du meinst, ein Flirt schicke sich nicht für Amazonen.Aber wir haben ein Sprichwort: Was unter dem Lichtder vier Monde geschieht, darf vergessen werden,

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wenn sie untergegangen sind. Aber ich wollte dichnicht schockieren, Schwester.«

Magda selbst war mit den strengen moralischenBegriffen der Bergvölker aufgewachsen, und deshalbwar sie wohl auch an Peter hängengeblieben, der sierespektierte oder sogar teilte. Sie wurde deshalb auchvor Verlegenheit rot, als ihr Jaelle erklärte, sie müsseauch flirten, denn man sage, eine Sprache beherrscheman erst dann richtig, wenn man sie im Bett geübthabe. Und die ältere Generation ziehe sich sehr baldzurück, um die Jugend sich selbst zu überlassen.

Sie tanzte dann auch mit Peter, der ihr berichtete,daß Darill auch ihn erkannt habe, und instinktiv hatteer ihm die gleiche Antwort gegeben wie Magda.

Er war ein wenig betrunken, obwohl alle Agentenstreng dazu angehalten wurden, mit Alkohol undDrogen sehr vorsichtig umzugehen. Sie mochte Petergern, das wollte sie auch gar nicht leugnen, doch siewehrte ihn ab, als er sie an sich drückte und sie küßte.»Es ist doch Mittwinter, und ich glaubte, daß ich ster-ben muß«, entschuldigte er sich. »Oh, Magda, ichhatte doch nicht die kleinste Hoffnung auf Rettung,und jetzt lebe ich! Ja, ich lebe, du bist da, und wir sindwieder zusammen. Weißt du eigentlich, wie sehr ichdich noch immer begehre? Wie du mir fehltest?«

Sie löste sich aus seiner Umarmung. »Nein, Peter,es tut mir sehr leid ...«

»Mag, wir gehören doch zusammen ... Oder gibt esda einen anderen? Du weißt, für uns beide kann esniemals einen anderen Menschen geben, wenigstensnicht auf dieser Welt!«

Das mochte zum Teil wahr sein. Sie hatten ihreKindheit zusammen verbracht, waren miteinander

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zur Ausbildung gekommen und arbeiteten zusam-men auf dem gleichen Planeten. Deshalb nahm erwohl zuviel als selbstverständlich hin.

»Nein, Peter. Egal, was du willst – nein«, antwor-tete sie.

»Magda, ich will, daß du mich wieder heiratest.Jetzt sofort.«

»Du weißt doch, daß ich nicht frei bin, um zu hei-raten.«

»Oh? Diese Amazonengeschichte? Hast du mitdeinem Haar auch deine Weiblichkeit abgeschnit-ten?«

»Nein. Das glaube ich nicht. Aber das heißt nicht,daß ich mit dir ins Bett gehen muß, weil du dich ein-sam fühlst und eine Frau brauchst. Kannst du michdenn nicht verstehen? Und jetzt laß mich endlich los,Peter. Jaelle beobachtet uns.«

Er war verletzt, schluckte heftig und wandte sichJaelle zu, die ihre Hand nach ihm ausstreckte und ihnmit sich zog. Magda wußte, daß sie nun endgültigfrei war von Peter. Mit einem ganz neuen Gefühl derBewußtheit hatte sie schon in Sain Scarp bemerkt, daßdie kranke und erschöpfte Jaelle seinen Beschützerin-stinkt wachrief. Peter hatte sich bisher an die für ter-ranische Agenten geltenden Regeln gehalten, sich niemit einheimischen Frauen einzulassen, egal auf wel-chem Planeten man sich befand. Gelegentliche Affä-ren wurden geduldet, wenn auch nicht gerne gese-hen. Ernste Verhältnisse waren verboten.

Wenn Peter jetzt mit Jaelle einen mehr als ober-flächlichen Flirt begann, so war das wohl seine Sache,nicht die ihre, und sie selbst hatte keine Absicht, nunherauszufinden, wie sie auf andere Männer reagierte.

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Und weil sie auf sich selbst ein wenig zornig war, zogsie sich sehr bald zurück und ging auf das Zimmer,das sie mit Jaelle teilte.

Stunden später wachte sie auf und sah Jaelle übersich stehen. »Sei nicht böse auf mich, Schwester«, batsie, und sie war nicht ganz nüchtern. »Ich wolltenicht, daß dies geschieht, aber so ist es nun einmal.«

»Ich bin doch nicht böse auf dich«, antwortete sie.»Oder hältst du mich etwa für eifersüchtig?«

»Es war kalt in den langen Galerien«, entschuldigtesich Jaelle und schaute zur Verbindungstür zu PetersZimmer. »Ich hätte sofort mit ihm gehen sollen, als ermich darum bat, aber ich wollte nichts überstürzenund vor allem niemand auf die Zehen treten.«

Magda legte dem zitternden Mädchen einen Armum die Schultern. »Jaelle, was zwischen Peter Halda-ne und mir war, ist längst vorbei. Liebst du ihn denn,breda?«

»Ich weiß es noch nicht. So etwas habe ich noch niegefühlt. Ist das nicht verrückt? Ich habe schon oft mitMännern gelacht und geflirtet, aber es gab keinen,dem ich vertrauen konnte. Aber jetzt ... Margali, ichhabe Angst. Wenn ich ihn liebe, will ich ihn haben.Und dann wird diese Bindung zur Sklaverei. Ich ken-ne mich selbst nicht mehr. Ich weiß nicht, was ichwill, Margali, Schwester, was soll ich tun?«

»Liebling, ich kann dir da keinen Rat geben. Dumußt das tun, was du für richtig hältst ... Ich schwöre,ich werde mich nie einem Mann geben, außer zumeiner eigenen Zeit und aus meinem eigenen freienWillen ...«

Da lächelte Jaelle und küßte sie auf die Wange.

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14.

Zehn Tage lang schneite es ununterbrochen, aberdann kam die Sonne wieder durch. Magda war frohund zog sofort ihre Reisekleider an.

Jaelle hatte alle Nächte bei Peter verbracht. Ihr war,wie sie erklärte, völlig gleichgültig, was Gabriel oderdie Dienstboten von ihr dachten. Und Rohana war zuvernünftig, als daß sie einer erwachsenen Frau Vor-würfe machte.

Es lag natürlich im Bereich des Möglichen, daß Ga-briel, falls man ihn ausdrücklich darauf hinwies, wasin seinem Haus vorging, Peter zur Rechenschaft zog,doch bisher war es nicht geschehen. Magda war alsoin jeder Beziehung froh, daß sie nun nach Thendaraabreisen konnten.

Als die beiden in Amazonenkleidung zum Früh-stück an den Familientisch kamen, hob dom Gabrielerstaunt die Brauen.

»Onkel, mit deiner Erlaubnis werden wir heutenach Thendara aufbrechen«, sagte Jaelle. »Um dieseJahreszeit ist es eine lange Reise, und meine Schwe-ster hat im Gildehaus zu tun.«

»Unmöglich, mein Mädchen«, antwortete Lord Ga-briel. »Morgen wird es noch stärker schneien als vor-her. Es wäre daher ratsam, ihr würdet das Früh-jahrstauwetter abwarten, ehe ihr reitet.«

»Ihr seid außerordentlich liebenswürdig, Lord Ar-dais«, sagte Peter, »aber wir können Eure Gast-freundschaft nicht so sehr ausnützen.«

»Es wäre unvernünftig, den Schneesturm in einerunbequemen Unterkunft oder im Reisezelt abzuwar-ten, wenn ihr es hier in aller Bequemlichkeit tun

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könnt«, wandte Lord Gabriel ein. Das war richtig,und alle sahen es ein; gegen Mittag verdunkelte sichder Himmel wieder, und wenig später schneite es indicken Flocken.

Alida drängte Magda, den laran-Test vornehmenzu lassen, doch Magda hatte Angst davor. Sie wandtesich also hilfesuchend an Lady Rohana. »Wurdest dudenn in diesen Dingen schon geschult, mein Mäd-chen?« fragte sie. »Als Jaelles Wunden behandeltwurden, warst du mit uns in Rapport.«

»Bei uns zweifelt man sogar an dieser Gabe«, ant-wortete Magda, »und wer daran glaubt, wird fürdumm und abergläubisch gehalten. Ich weiß auchnicht, Lady, wie ich zu dieser Gabe gekommen seinkönnte. Natürlich hatte ich oft Ahnungen, aber ichglaubte, ich müsse nur zwei und zwei zusammen-zählen, um vier zu bekommen. Und dann hatte ichauch gelegentlich Träume, die sich bewahrheiteten.«

Rohana stützte nachdenklich ihr Kinn in die Hän-de. »Lorill glaubt, Terraner und Darkovaner seiengrundverschiedene Rassen, und die Terraner seienuns wegen des Fehlens von laran unterlegen.«

»Da irrt Lord Hastur leider. Es ist eine Tatsache, diebewiesen werden kann, daß Darkovaner und Terra-ner eine Rasse sind. Lange bevor es die Schiffe gab,die schneller als Licht sind, wurde Darkover vonMenschen besiedelt, deren Schiff hier strandete. Ichkönnte Euch sogar den Namen des Schiffes nennen.Auch die Sprache Darkovers hat viele Ähnlichkeitenmit jener von Terra.

Man sagt, früher seien Psi-Kräfte auch bei den Ter-ranern häufig vorgekommen, doch jetzt sind sie soselten, daß sie im Zeitalter der Maschinen und Ster-

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nenschiffe überhaupt abgeleugnet werden.«»Und die Geschichte der Comyn sagt, daß die Psi-

Kräfte durch eine systematische Zuchtwahl erhaltenund gesteigert wurden. Natürlich setzte diese Inzuchtdie Fruchtbarkeit der Comyn herab, und gelegentlichkommen auch Züge zum Vorschein, die nicht geradepositiv sind. Jedenfalls wissen wir genau, daß diesePsi-Kräfte meistens während der Pubertät auftreten.Erscheinen sie sehr viel später und werden sie nichttrainiert, können sie gefährlich werden. Hast du jedas Gefühl gehabt, außerhalb deines Körpers zu ste-hen und nicht mehr zurückkehren zu können?«

»Nein«, antwortete sie, doch dann erzählte sie aus-führlich von ihren Ahnungen und Träumen, und Ro-hana stellte noch gelegentliche Fragen. »Aber«,meinte sie abschließend, »ich habe schon genug Ärgerdamit gehabt und will mir nicht noch mehr einhan-deln.«

In diesem Moment hatte sie das Gefühl, alsschwinge ein großes, verschlossenes Tor zwischenden beiden Welten plötzlich auf und öffne sich aufeine strahlende, sonnige Aussicht. Das schien Rohanazu wissen, denn sie sagte: »Glaubst du nicht, daß eingewisser Sinn darin liegt? Erscheint es dir nicht selt-sam, daß dein Freund für meinen Sohn gehaltenwurde, daß ausgerechnet du mit Jaelle zusammen-treffen mußtest? Es mag Zufall sein, aber es ist einseltsamer, vielleicht sehr bedeutungsvoller Zufall.Um eines bitte ich dich, Kind: Wirst du vorsichtigsein mit dem, was du deinen Freunden in der Ter-ranerzone sprichst? Laß mich lieber vorher mit Lorillreden, ehe du dich bei deinen Vorgesetzten meldest.«

»Das werde ich gerne tun«, versprach Magda, denn

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sie konnte sich sowieso nicht vorstellen, daß Montraybegreifen könne, was sie über den blauen Matrixsteinund die erstaunliche Heilung von Jaelles Wunden zuerzählen wußte.

»Ich werde Alida sagen, ich habe dich selbst gete-stet«, versprach Lady Rohana. »Geh jetzt, Margali. Ichmuß darüber nachdenken, was sonst zu tun ist.«

Der Schneesturm dauerte noch einmal zehn Tage,und so mußten sie auf Ardais bleiben. Magda wußte,daß sie nicht in ihr altes Leben zurückkehren konnte,um die Terranerzone nur noch in Verkleidung zuverlassen, denn diese Verkleidung war zu ihremwahrsten Selbst geworden. Aber was sollte sie tun?

Natürlich würde Darkover eines Tages zum Impe-rium gehören. Das ließ sich nicht umgehen, und dannbrauchte es in den Beziehungen der Völker keineKomplikationen mehr zu geben. Doch mit denenmußte sie jetzt noch lange rechnen.

Peter und Jaelle wurden immer sorgloser, undMagda hatte das Gefühl einer bevorstehenden Ge-fahr. Sie gönnte Jaelle das Glück und war keine Spureifersüchtig, doch sie wurde immer unruhiger.

Die letzten Tage benützten sie dazu, ihre Reiseklei-dung in Ordnung zu bringen. Jaelle war mit der Na-del erstaunlich geschickt, und Magda nahm sich vor,diese Arbeiten ebenfalls zu lernen, denn auf Darkoverwar warme und haltbare Kleidung lebensnotwendig.Sie erwähnte das auch Jaelle gegenüber.

»Aber das ist gar nicht mein eigentliches Talent«,erwiderte Jaelle. »Ich kann viel besser Reisen organi-sieren, und da berate ich viele Leute. Sie müssen jawissen, was sie an Ausrüstung, an Kleidung und Le-bensmitteln mitnehmen müssen, wie lange sie unter-

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wegs sein werden, ich muß ihnen Führer und Leib-wächter besorgen und ihnen sagen, um welche Jah-reszeit sie am besten reisen. Reich wird man damitzwar nicht, aber man verdient sich doch das, wasman zum Leben braucht, und eine Kleinigkeit dar-über.«

»Für eine Darkovanerin ist das ein merkwürdigesGeschäft«, meinte Magda dazu. »Und ich dachte, hiersei für Frauen das Leben viel zu sehr eingeengt.Meinst du wirklich, daß die Amazonen glücklichersind als andere, Jaelle?«

»Nein, das meine ich nicht, oder ich meinte es nurfrüher. Ich freue mich aber auf den Tag, da unsereFreiheit, die der Gilde, für alle Frauen gesetzlich fest-gelegt wird. Natürlich gibt es hier viele Frauen, denenmeine Art zu leben nie gefallen würde. Sie sind zumHeiraten bestimmt und sollen es auch tun, wenn ih-nen ein Mann, ein Heim und Kinder genügen. Hastdu je zu heiraten gewünscht, Margali?«

»Ich war doch verheiratet, wenn auch nicht lange.«»Und hättest du ein Kind gehabt – wärest du dann

bei ihm geblieben? Kann ein Kind zwei Menschenfest verbinden?«

»Meine Mutter glaubte es. Sie folgte meinem Vaterauf vier verschiedene Welten. Dann kamen wir hier-her, ich wurde geboren, und sie schien sehr zufriedenzu sein. Sie war Musikerin und spielte mehrere In-strumente. Sie übersetzte Berglieder in die Spracheder Terraner und schrieb eigene Lieder. Aber derMittelpunkt ihres Lebens war immer mein Vater, undals er starb, lebte sie auch nicht mehr lange.«

»Rohana sah Gabriel nur zweimal, ehe sie ihn hei-ratete. Das erschien mir immer als Sklaverei, doch

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Rohana lachte mich aus, als ich das sagte. Sie hieltsich für glücklich, weil er gütig und rücksichtsvoll ist,nicht trinkt, spielt oder sich mit Männern abgibt, wiees andere tun. Und Rohana hat viel Freiheit. Sie kanntun und lassen, was sie will und brauchte wenig auf-zugeben ... Margali, hast du dir je ein Kind ge-wünscht? Oder bist du unfruchtbar? Warum hattestdu kein Kind?«

»Ich wollte nicht sofort eines, denn wir wollten unsnicht trennen«, erwiderte Magda. »Und dann kam eszu einem schrecklichen Streit. Wir trennten uns, undda war ich froh, daß ich kein Kind hatte ... Aber sagmal, Jaelle, warum windest du dir immer ein Bandum die Handgelenke?«

»Oh!« Wie im Schock musterte Jaelle ihre Hände.»Eine alte Gewohnheit«, wich sie dann aus. »Das tatich schon als kleines Mädchen. Kindra sagte mir, essei eine nervöse Sache, und ich müsse nur darüberhinauswachsen. Leider tat ich es nicht.«

Magda wußte aber, daß mehr dahinter steckte. Zudiesem Thema durfte sie aber keine Fragen stellen.Was wird mit Jaelle geschehen? fragte sie sich. Ist sieetwa schwanger? Und konnte oder mußte Peter einerFrau wegen seine Karriere aufgeben?

Magda wußte, daß es auf allen Welten des Imperi-ums unvermeidliche Liebesverhältnisse und Heiratenzwischen den Fremdvölkern und den Terranern gab,und sie hatte das immer für selbstverständlich ge-halten. Nun, da es Leute betraf, die sie kannte undgern hatte, ahnte sie, daß es sich hier um sehr vielmehr als eine Statistik handelte.

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15.

Es blieb weiter tiefster Winter. Zum erstenmal seit ih-rer Kindheit war Jaelle von normalen Frauen umge-ben, und sie trug selbst Frauenkleider, half im Haus-halt und führte kein Amazonenleben.

Und da war dieser Terraner, ihr Geliebter. Er füllteihren ganzen Himmel aus, und das Gildehaus schiensehr weit entfernt zu sein. Sie wußte, daß dies nur einZwischenspiel war. Deshalb versuchte sie, ganz inder Gegenwart zu leben und jeden Moment auszuko-sten. Ihr wurde es gleichgültig, was die anderendachten, obwohl sie ahnte, daß sie damit eine Kriseheraufbeschwor.

Eines Nachts, als sie in Peters Armen aufwachte, hör-te sie das leise Rauschen des Frühlingsregens. Das warRealität und bedeutete, daß sie nun in ihr altes Lebenzurückzukehren hatte. Sie wußte nicht, ob sie etwasaus den letzten Wochen und Monaten dorthin mitneh-men konnte, und sie durfte nicht einmal weinen, wennsie ihn nicht aufwecken wollte. Seine Liebe war indiesem Augenblick kein Trost für sie. O barmherzigeGötter, dachte sie bedrückt, was soll ich nur tun? Ich,die Amazone, die sich von keinem Mann versklavenlassen wollte, habe mich freiwillig in Ketten gelegt ...

Aber sie hatte zu ihrer Ruhe zurückgefunden, alsdie Sonne aufging und sie mit Magda die Reisevorbe-reitungen durchsprach. »Ich muß mein Haar ab-schneiden«, sagte sie. »Es wurde hier zu lang.« Esreichte ihr schon ein Stück über die Schultern.

Peter kam und strich ihr über die seidige Fülle.»Mußt du das wirklich tun?« fragte er. »Es wäre soschade.«

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»Es ist kein Muß, sondern Sitte, um zu zeigen, daßwir keinen Mann mit weiblichen Finessen umgarnenwollen.«

Er hielt sie eng umschlungen. »Müssen wir unsdann trennen, mein Schatz? Gibt es denn gar keineMöglichkeit, bei mir zu bleiben? Willst du mich dennverlassen?«

»Wenn du willst, kann ich eine Weile als deine Ge-fährtin bei dir bleiben«, antwortete sie leise.

»Ob ich es will? Wie kannst du nur fragen, meineSüße. Bitte, schneide dein Haar nicht ab.«

»Ich werde es nicht tun«, versprach sie lächelnd.Sie verriet ihm nicht, daß Freie Amazonen, die eineWeile mit einem Geliebten zusammenlebten, ihr Haarwachsen ließen.

Sie war vor ihm fertig und ging nach unten in denFrühstücksraum. Auf der Treppe hielt eine Hand siezurück, und sie glaubte, es sei Peter; doch es war Ky-ril, ihr Vetter.

»Hast du mit deinem Liebhaber gestritten? Wäreich da nicht ein guter Ersatz für ihn?« fragte er sie.

Sie nahm seine Hand von ihrem Arm, als sei sie einlästiges Insekt. »Vetter«, antwortete sie, »wir reisensehr bald ab. Rohanas wegen laß uns diese kurze ZeitFreunde bleiben. Es tut mir leid, wenn wir als Kinderstritten, aber jetzt sind wir erwachsen, und wir solltennicht mehr darüber sprechen.«

»Mit dir will ich doch nicht streiten, Jaelle«, flü-sterte er und zog sie an sich, doch sie stieß ihn zu-rück.

»Kyril, zwing mich nicht dazu, grob zu dir zu wer-den. Ich bin deine Verwandte und Gast deiner Mut-ter.«

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»Aber du denkst nicht daran, daß du mit diesemBastard von Nirgendwoher Schande über deine Fa-milie bringst, nicht wahr?«

»Wenn er wirklich ein Bastard der Ardais wäre, soliegt die Schuld nicht bei ihm, sondern bei seinen El-tern. Es ist kein Verdienst, daß du als Comyn geborenbist. Und ich, Kyril, schulde dir keine Rechenschaftüber das, was ich tue.«

Er packte sie voll unbedachter Gier, weil er sie be-gehrte, aber sie stieß ihn angewidert von sich. »Kyril,du solltest wissen, daß keine Freie Amazone verge-waltigt werden kann, aber ich, der Gast deiner Mut-ter, will dich unter deinem eigenen Dach nicht krän-ken oder verletzen. Also laß deine Hände von mir,oder ich muß es dir wieder beweisen – wie damals.«Sie weinte, ohne es zu wissen. Damals, als sie beidefünfzehn Jahre alt waren, hatten sie ein wenig mitein-ander getändelt und geküßt, und damals, als er es all-zu ernst nahm, hatte sie sich ihn zum Feind gemacht.

»Du Luder!« zischte er. »Mit welchem Recht ver-weigerst du mir, was du dem anderen nachgeworfenhast?«

»Was? Du wagst es, von einem Recht zu sprechen?Ich habe meinen Geliebten gewählt, Kyril. Warumbeklagst du dich, daß nicht du es bist? Ich wollte dichdamals nicht, als ich fünfzehn war, denn du warst ar-rogant und verzogen, und heute will ich dich erstrecht nicht.« Damit lief sie ihm voraus zum Früh-stückszimmer.

Er rannte ihr nach und hielt sie fest. »Du benimmstdich unter dem Dach meiner Mutter wie eine Hure.Weiß mein Vater, daß du zu diesem Fremden ins Bettkriechst? Wenn nicht, soll er es sofort erfahren, damit

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sich dein Liebhaber vor ihm verantworten kann. DerLord Ardais wird das nicht gerne hören.«

»Ich bin eine Freie Amazone, und er ist nicht meinVormund. Und was hat Piedro dir angetan, daß du sogemein zu ihm sein willst? Warum tust du das?«

»Es geht nicht um Piedro, denn er ist ein Mann.Aber ihr Amazonen spielt die keuschen Frauen undwollt als solche behandelt werden, und wenn es euchpaßt, seid ihr Huren. Ich will dich lehren, daß ihr unsMänner nicht so behandeln könnt!«

Es gelang Jaelle, sich seinem Griff zu entwinden,und sie war froh, daß Magda schon am Tisch saß. Daswar ein gewisser Schutz für sie. Aber Kyril war ihrgefolgt und versuchte mit seinem Vater zu sprechen,der gerade mit dem Verwalter einen heftigen Streitwegen eines Nuß- und Holzdiebs hatte. Der Verwal-ter war dafür, daß man ihn bestrafe, doch Gabriel warder Meinung, die Götter haßten gierige Menschen,und ein paar Nüsse und etwas Holz würden ihn nichtärmer machen. »Und jetzt will ich kein Wort mehrhören«, erklärte er abschließend.

Der Verwalter schnitt ein anderes Thema an. Ersprach davon, wie die Bäume zu kennzeichnen seien,die gefällt werden sollten und wie schwierig es sei, andie Äxte zu kommen, die er vor einigen Jahren gese-hen habe.

Peter saß inzwischen auch am Tisch, und Gabrielwandte sich an ihn. »Du hast doch in Thendara ge-lebt. Was weißt du von den Terranern?« fragte er.»Kannst du etwas für mich feststellen? Als sie hier imHellers waren, hörte ich, die Metalle von ihrer Weltseien stärker als die unseren und ließen sich besserschärfen. Ist das richtig? Oder ist das auch nur eine

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Sage wie die von den Schwingen, die sie statt Händenhaben?«

»Solche Menschen habe ich nie gesehen, aber ichlebte als Kind in Caer Donn, und da sah ich das Me-tall. Es läßt sich sehr gut zu dauerhaftem Werkzeugverarbeiten und ist wahrscheinlich besser als alles,was unsere Schmiede hier machen können.«

»Rohana, du bist doch im Rat. Kannst du mir sa-gen, weshalb dieser Esel von Lorill den Handel mitden Terranern verbietet?«

Rohana sagte ein paar beruhigende Worte, doch siewurde von Kyril unterbrochen, der nun endlich seineKlage vorbringen wollte. »Und mit dir, Mutter, habeich nicht gesprochen«, sagte er zu ihr. »Vater, regierstdu dieses Haus, oder tut es meine Mutter?«

»Ich werde mir anhören, was du zu sagen hast,mein Sohn, aber Frechheiten deiner Mutter gegen-über dulde ich nicht, hörst du?«

»Aber Mutter hat ihre Pflicht verletzt, weil sie dul-dete, daß Jaelle mit diesem Niemand, der sich selbstPiedro nennt, seit Mittwinter das Bett teilt.«

Gabriel wurde dunkelrot, und er kniff den Mundzusammen. »Jaelle«, schrie er, »ist das wahr? Washast du dazu zu sagen?«

»Bitte, Jaelle«, flüsterte ihr Rohana zu.»Ich kann nur sagen, es tut mir leid, wenn es dich

kränkte«, antwortete sie sanfter, als sie gewollt hatte.»Es war nicht meine Absicht.«

»Ist es wahr, daß du in meinem Haus einen Skan-dal mit deinen Liebesgeschichten heraufbeschworenhast?« brüllte er.

Jaelle schluckte heftig. »Es wird keinen Skandal ge-ben, Onkel, wenn du keinen daraus machst.«

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»Und was hast du dazu zu sagen?« schrie er Roha-na an. »Jaelle ist eine Comyn, und ich habe ihr ver-boten, zu diesen Skandalweibern zu gehen! Siehst dujetzt, was du mit deiner Nachgiebigkeit erreichthast?« Er hob den Arm, als wolle er Rohana schlagen.

Jaelle sprang auf. »Onkel, Rohana hat keine Schuld!Wenn du wie ein Irrer schreien willst, dann schreimich an! Ich bin eine erwachsene Frau und bindurchaus in der Lage, das zu verantworten, was ichtue!«

»Sprich nicht von ... von ... erwachsen ...«, spotteteer und brach dann über dem Tisch zusammen. EinKupferkessel mit heißer Flüssigkeit stürzte um, Ge-schirr zerschellte klirrend auf dem Boden, und dannglitt Gabriel zu Boden. Seine Beine zuckten krampf-haft, und sein Körper bäumte sich auf. Kyril lehntesich über den Tisch, um ihn aufzuheben, aber Rohanawar schon bei ihm.

»Laß ihn liegen, bis es vorüber ist«, herrschte sieihn an. »Du hast heute schon genug angestellt. Bistdu jetzt zufrieden? Ruf seinen Diener, damit er ihn zuBett bringt. Glaubst du wirklich, unter diesem Dachkönne etwas vorgehen, was ich nicht weiß oder billi-ge?«

Nun wußte Jaelle, warum ihre Tante sich immerbemüht hatte, ihren Mann bei guter Laune und ruhigzu halten. Sie hatte gewußt, daß ihr Onkel gelegent-lich epileptische Anfälle hatte, aber noch nie einenmiterlebt. Fremde ahnten nicht einmal etwas davon.

»Mutter, es tut mir leid«, sagte Kyril. »Ich dachte,das müßte er wissen.«

»Du kannst es nur nicht ertragen, mein Sohn, daßman dich nicht als Gott verehrt«, antwortete Rohana.

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»Wie kleinherzig du doch bist! Nur um Rache anJaelle zu nehmen, muß jetzt dein Vater für Tage oderWochen krank sein. Und meine Gäste hast du belei-digt. Das verzeihe ich dir nicht so schnell. Geh, holseinen Diener, damit er zu Bett gebracht wird.«

»Rohana, es tut mir leid. Ich wußte ja nicht ...«,sagte Jaelle.

Sie lächelte und seufzte. »Natürlich nicht, meinKind. Du hast dich gut gehalten, und was du sagtest,war richtig. Ich weiß, Kyril hat dich herausgefordert.Ich weiß auch, daß ihr drei heute abreisen wolltet.Könnt ihr noch einen Tag bleiben? Morgen werde ichsoweit sein, daß ich mit euch nach Thendara reitenkann. Ich habe nämlich eine wichtige Entdeckunggemacht und muß sofort mit Lorill Hastur sprechen.Er ist einer falschen Ansicht, und wird die nicht kor-rigiert, kann sie für unsere beiden Welten dieschlimmsten Folgen haben.«

16.

Um die Mittagszeit ritten sie in Thendara ein. »Waswirst du jetzt tun, Jaelle?« fragte Lady Rohana. »Mußtdu sofort mit Margali zum Gildehaus reiten?«

»Das ist doch idiotisch!« fuhr Peter auf. »Magda,das kannst du einfach nicht tun. Wir holen dich schonirgendwie aus diesem Unsinn heraus, daß du ein hal-bes Jahr im Gildehaus zubringen mußt. Sicher wür-dest du es interessant finden, aber wir können dichals einzige weibliche Expertin einfach nicht entbeh-ren. Überlaß es dem Hauptquartier, dich loszueisen.«

»Peter, du verstehst nicht«, antwortete sie. »Ich bin

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durch meinen Eid gebunden, und den halte ich auch.Und mit den Behörden des Imperiums werde ichschon zurechtkommen.«

»Ah, dieser Eid«, meinte Peter verächtlich. »Erwurde erzwungen und ist daher nicht gültig.«

Das war für Jaelle ein Schock, doch sofort fand ihreLiebe zu ihm Entschuldigungen für ihn. Er würde alldies bald besser verstehen. »Wir werden ihm noch ei-niges beibringen müssen, Schwester«, sagte Jaellefröhlich. »Meinst du nicht auch?«

»Ihr seid jedenfalls heute meine Gäste im Schloßder Comyn«, bestimmte Rohana. »Die Suite der Ar-dais hat Platz für ein Dutzend. Du, Piedro, kannstdeinem terranischen Verbindungsmann melden, daßwir morgen mit Lorill Hastur zusammentreffen. Bei-de wissen sicher gerne, wie die Sache ausging.«

Das war ein Kompromiß, den alle gerne annahmen,denn sie waren vom weiten Ritt müde; vor allemMagda wollte ausgeruht sein, wenn sie sich am fol-genden Tag der neuen Lage stellen mußte.

Peter blieb eine Weile an der Tür des Zimmers ste-hen, das die beiden Frauen teilten. »Jaelle, du weichstmir aus«, beklagte er sich. »Wie auf der ganzen Rei-se.«

»Nein, Liebster. In ein paar Tagen werden wir vorZeugen erklären, daß wir Lebensgefährten sein wol-len«, versprach sie und küßte ihn mit einer Leiden-schaft, die all seine Zweifel wegwischten. »Jetzt binich Rohanas Gast, und unter diesem Dach muß ichmich ihrem guten Namen und ihren Ansichten an-passen. Aber ich liebe dich. Versprich mir, nie daranzu zweifeln, Piedro.«

»Das verspreche ich«, versicherte er ihr, doch dann

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sah er Tränen in ihren Augen. »Warum weinst du,Liebes?« fragte er.

»Ich weine ja gar nicht«, behauptete sie. »Und binich auch hundertmal eine Freie Amazone, so darfstdu nie vergessen, daß ich auch gelegentlich eine Frauund nicht immer vernünftig bin.«

Später saß sie in Rohanas Zimmer vor dem Kaminauf dem Teppich und lehnte ihren Kopf an RohanasKnie. »Ich habe es dir noch nicht gesagt, aber du wirstes sowieso ahnen«, sagte sie. »Piedro bat mich, alsseine Lebensgefährtin bei ihm in Thendara zu blei-ben, und ich bin damit einverstanden.«

»Hast du je deinen Eid bedauert, Jaelle?« fragteRohana voll ungewohnter Zärtlichkeit.

»Nicht einen Moment – bis jetzt. Aber ich glaube,du hattest recht, daß ich damals für den Eid noch zujung war.«

Sie hatte damals recht gut gewußt, daß sich Jaellein Ardais nicht wohl fühlen konnte. Kyril mochte siegar nicht, den jüngeren Sohn und die Tochter nichtsehr, und Gabriel hielt sie für einen Tyrannen. Als sieRohana sagte, sie werde den Amazoneneid leisten,war sie der Meinung, das Kind verstehe die Trag-weite eines solchen Entschlusses nicht. Sie hatte ver-sucht, Jaelle noch drei Jahre abzuhandeln, doch Jaellewollte nicht. Drei Jahre erschienen ihr damals uner-träglich lang. Vor allem hielt sie Rohana nicht fürglücklich, und sie nannte eine solche Ehe Heuchelei.

Nein, glücklich war Rohana damals nicht gewesen,denn nach der kurzen Freiheit hatte sie sich in ihrerEhe eingesperrt gefühlt. Ihre eigenen Kinder wuchsenheran, und der kleine Valentine war im schwierigstenAlter. Sie selbst war mit einem vierten Kind schwan-

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ger, das sie nicht gewollt hatte, doch es war der Preisdafür, daß Gabriel ihr endlich verzieh. Das Kind wareine Totgeburt, und sie weinte ehrlich darum; aber siehatte das Gefühl, sie habe einen viel zu hohen Preisfür Gabriels guten Willen und den Frieden im Hausbezahlt.

»Du willst also bei deinem terranischen Geliebtenbleiben?« fragte sie.

»Ich denke schon.«»Ist es fair einem Mann gegenüber, nur auf Zeit

seine Lebensgefährtin zu sein?«»Rohana, ich gebe ihm, was er von mir will. Die

Terraner versklaven ihre Frauen nicht.«»Sei nicht zornig, Jaelle. Mir scheint nur, der Wert

einer Ehe liege in ihrer Dauer; im Bewußtsein, in gu-ten und schlechten Zeiten zueinander zu gehören. Ichhabe innerhalb meiner Kaste geheiratet, um Kindermit laran zu gebären, nicht aus meinem eigenen freienWillen. Und doch ist jetzt Gabriel längst zum Mittel-punkt meiner Welt geworden. Aber eine Lebensge-fährtin sagt zu ihrem Partner: in guten Zeiten will ichzu dir gehören, nicht aber in schlechten. Du vergißt,daß es nach den schlechten Jahren wieder sehr vielegute geben kann.

Eine Ehe ist aus vielen feinen Fäden gesponnen,und nicht einen davon würde ich hergeben. Ich liebteGabriel nicht, als ich an ihn verheiratet wurde, abermir bräche heute das Herz, müßte ich ihn hergeben.Das ist vielleicht nicht die Liebe, wie du sie verstehst,aber sie ist wirklich und von Dauer.«

»Wie aber sollte meine Mutter mit Jalak ein dau-erndes Glück finden?« fragte Jaelle.

»Ich heiratete mit dem Segen meiner Familie, aber

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Melora wurde geraubt. Hätte sie Jalak vorher oderauch nachher gewählt, wären ihr die Ketten als Zei-chen seiner Liebe erschienen, und vielleicht hätte siedann wenn schon nicht das Glück, so doch wenig-stens ihren Frieden gefunden. Würdest du, um dei-nen Geliebten zu erfreuen, denn keine Ketten tra-gen?«

»Er würde es nie verlangen«, erwiderte sie. »Tat dirdenn meine Mutter nie leid?«

»Oh, die Götter wissen, wie sehr, denn sonst hätteich sie nicht aus Jalaks Haus geholt. Erinnerst dudich, daß sie sich töten wollte, um nicht weiter inKetten leben zu müssen? Siehst du ...« Sie streifte ih-ren Ärmel zurück, und Jaelle sah den Armreif, dessenPendant um Gabriels Arm lag als Zeichen der Eheund der Verbundenheit. »Siehst du, daran ist meinHerz für immer gekettet ... Sag mir, Jaelle, willst dubei ihm bleiben im Unglück ebenso wie im Glück?«

»Ich glaube, das will ich, aber wie soll ich das jetztschon sicher wissen? Wie weiß ich, daß er mich auchin schlechten Zeiten lieben wird? Hast du nie einenMann wirklich geliebt, Rohana, so daß du alles fürihn aufgegeben hättest?«

Da erzählte ihr Rohana von der großen Liebe ihresLebens. »Aber alles hat seinen Preis, mein Mädchen.Sogar Kindra weinte, ehe sie starb, um ihre Kinder,die sie verlassen hatte. Aber ich glaube, jede Fraumuß selbst wählen, was sie auf sich nehmen und wel-chen Preis sie dafür bezahlen muß. Dein Eid bindetdich nur, die Kinder zu haben, die du willst und vondem Mann deiner Wahl. Die Freiheit der Wahl ga-rantiert kein Glück. Jaelle. Ich habe Amazonen ge-hört, die im Alter ihren Verzicht auf Kinder bewein-

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ten. Und ich, Jaelle, und das habe ich noch keinemMenschen gesagt, ich wollte keine Kinder. Ich warwütend, wenn ich schwanger wurde, und einmalwarf ich Gabriel eine Silberschüssel an den Kopf. Ichfürchtete die Geburten und haßte kleine Kinder, undich hätte nie ein Kind geboren, wenn ich hätte wählenkönnen.

Jetzt sind sie erwachsen und sind, ebenso wie Ga-briel, Teil meines Lebens. Heute bin ich froh, daßmeine Kaste mich zu Kindern zwang, und ich habealles Unglück vergessen – oder verziehen. Bedauerthabe ich nie etwas, Jaelle. Alles hat seinen Preis, auchdie Heiterkeit des Herzens, die ich nach den Jahrendes Leidens doch gefunden habe. Nichts auf dieserWelt ist sicher, nur der Tod. Du hast deine Freiheit.Und welchen Preis bezahlst du dafür?«

17.

Als es dämmerte, wachte Magda auf und sah Jaelleam Fußende ihres Bettes sitzen. Sie war sehr blaß undsah aus, als habe sie geweint.

»Schwester«, sagte sie, »ich weiß, daß du deinenEid nicht freiwillig geleistet hast. Das würde norma-lerweise wenig ausmachen, doch du bist eine Terra-nerin und wußtest nicht, was mit dem Eid alles aufdich zukam. Willst du beantragen, daß man dich ausdem Eid entläßt, Margali? Wenn, dann will ich vorden Gildemüttern für dich sprechen.«

Magda wußte, daß dies ihre Konflikte lösen konnte;sie hatte auch Angst vor den Vorwürfen und Vergel-tungsmaßnahmen ihrer terranischen Vorgesetzten,

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die nicht nur sie selbst treffen würden, sondern auchall jene, die ihr geholfen hatten, sich ihrer ursprüngli-chen Aufgabe zu entziehen.

Sie überlegte nur einen Moment. Sollte sie tatsäch-lich ihr altes Leben in der beengten, sterilen Welt derterranischen Zone wieder aufnehmen? Sie als Fraukonnte dort keine entscheidende Arbeit leisten. Jetztwar sie sich darüber klar, daß der Eid, der sie Angstund Tränen gekostet hatte, eine der wichtigsten Ent-scheidungen ihres Lebens war. Das will ich, sagte siesich, und ich will auch den Preis dafür bezahlen ...

Sie bediente sich der formellen Amazonen-Formulierung: »Eidesmutter, ich sagte dir: ich habemeinem Eid aus freiem Willen gehorcht, und ichwerde ihn auch halten, bis der Tod oder das Ende derWelt mich wegnimmt.«

»Auch dann, Margali, wenn du Schwierigkeitenmit deinem eigenen Volk hast?«

»Ich weiß nicht recht, ob es noch mein Volk ist«,antwortete sie mit etwas unsicherer Stimme. »Ich ha-be der Loyalität gegenüber Familie, Klan, Vormundoder Landesherr abgeschworen.«

Jaelle nahm ihre Hände und küßte sie auf denMund, wie sie es bei der Eidesleistung getan hatte.»Treue für Treue, meine Schwester. Wir haben beidegeschworen. Wir müssen uns daher beide der Tatsa-che stellen, daß du großen Ärger bekommen wirst.«

»Das weiß ich. Und wäre nicht Lady Rohana gewe-sen, so hätte mich Peter direkt, wenn nötig gewalt-sam, zum terranischen Hauptquartier gebracht.«

»Ein feiner Lohn für deine Treue ihm gegenüber«,stellte Jaelle zornig fest. »Wärest du nicht gewesen,würden seine Gebeine jetzt in Sain Scarp verfaulen.«

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»Er ist ein terranischer Agent«, verteidigte ihnMagda. »Für ihn ist die Loyalität dem Imperium ge-genüber wichtiger als jene, die er vielleicht einer Per-son schuldet.«

»Das ist aber nicht richtig«, wandte Jaelle ein, dochinsgeheim gab ihr Magda nicht recht, da er ebensowie sie immer zwischen zwei Welten hin und her ge-rissen werden würde.

»Jaelle«, sagte sie, »eine Freie Amazone kann dochjede gesetzlich zugelassene Arbeit annehmen, nichtwahr? Vielleicht geben mir die terranischen Behördensolange Urlaub, bis ich meine Ausbildung im Gilde-haus habe, und dann könnte ich doch meine Arbeitfür die Terraner fortsetzen?«

»Du meinst, daß du weiter bei uns spionierst?«»Das natürlich nicht, sondern ich möchte eine

Brücke zwischen unseren beiden Welten bauen. MeinVolk soll eure Gesellschaft, eure Sprache, eure Geset-ze und Sitten besser verstehen lernen. Ich denke, hierkönnte ich eine sehr nützliche Arbeit tun.«

»Das wäre nicht gegen unseren Eid, doch es heißt,daß du als eingeschworene Amazone für die Terranerarbeiten würdest ... Und das könnte ich auch«, fügtesie leise hinzu. »Machen ließe es sich. Du mußt nureinen Verdienstanteil an die Gilde abführen. Wir ver-zichten zwar auf Familie und Heim, haben aber dortimmer den Schutz von Familie und Heim, wenn wirkrank, alt und schwach sind, wenn wir schwangersind oder in eine fremde Stadt kommen, immer kön-nen wir uns an das Gildehaus wenden. Immer habenwir dort Schwestern und das Recht auf Hilfe und Ge-borgenheit.«

Seit dem Tod ihrer Eltern hatte Magda kein Famili-

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enleben mehr gekannt, obwohl sie und Peter es ver-sucht hatten. Der Gedanke, ein Darkovanerheim zuhaben, beglückte sie.

»Und natürlich können wir auch Kinder haben undsie dort aufziehen lassen«, fuhr Jaelle fort. »Wir habenja nicht den Wärterinnen der Türme geschworen. Un-sere Töchter können im Gildehaus bleiben, bis sie altgenug sind, zu wählen, ob sie selbst den Gildeeid lei-sten wollen oder nicht, und die Söhne werden, sobaldsie entwöhnt sind, ihren Vätern übergeben; wollendie sie nicht, so können sie nach unseren Wünschenerzogen werden, wenn auch kein Junge über fünfJahre im Gildehaus behalten wird. Aber du wirst dasalles während deiner Ausbildung erfahren.«

»Aber du weißt doch, daß Lorill Hastur den Kon-takt zwischen der terranischen Zone und seinem Volkverboten hat. Im Hellers läßt sich dieses Verbot leichtumgehen, aber in Thendara ...«

»Das ist natürlich eine ernsthafte Schwierigkeit,doch Rohana hat ja vor, mit ihm zu sprechen. IhrHerz gehört auch beiden Welten, und es ist sehr groß.Hasturs Stimme ist nicht einmal für die Comyn dieStimme der Götter! Willst du jetzt mit mir zum Gil-dehaus kommen, damit wir sehen, wie sich deine Sa-che regeln läßt, ehe wir morgen Lord Hastur und denTerranern gegenüberstehen? Dann wissen wir genau,womit wir zu rechnen haben.«

»Ja, das will ich«, erwiderte Magda entschlossen.

Am folgenden Morgen saß Lady Rohana im kleinenRatszimmer Lord Lorill Hastur gegenüber und war-tete auf den Koordinator der Terraner. Peter Haldanesaß bei ihnen und sah teils wütend, teils verlegen

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drein. Am Morgen waren Magda und Jaelle ver-schwunden, doch sie hatten eine Nachricht zurück-gelassen, daß sie im Rat vor Hastur erscheinen wür-den.

»Das ist also wirklich der Mann, der Kyril sogleicht und in Sain Scarp gefangen war?« flüsterteLorill Rohana zu. »Wirklich, eine ungewöhnlicheÄhnlichkeit. Meinst du nicht, daß ...«

»Aber nein«, erwiderte Rohana lächelnd. »Er hatnur fünf Finger an seiner Hand.«

»Trotzdem, eine erstaunliche Ähnlichkeit. DerGlaube, unser Volk könnte von einem anderen Sterngekommen sein, ist zwar sehr phantastisch, aber dusagtest mir auch, dieses Mädchen habe laran. Ich hattedoch angeordnet, niemand dürfe Zeuge einer Ma-trixoperation sein.«

»Jaelle wäre fast gestorben, und ihre geschworeneSchwester hatte ein Recht, bei ihr zu sein. Alida ist ei-ne katalystische Telepathin und kann die Gabe in ihrgeweckt haben. Der Mann Haldane war auch dabei,doch bei dem zeigte sich nichts. Jedenfalls ist dieserFall ein Beweis dafür, daß wir unsere Ansichten überdie Terraner berichtigen müssen.« Hastur wußte ge-nau, daß sie damit ausschließlich seine Ansichtenmeinte und schaute finster drein.

Inzwischen war Montray mit seinem Dolmetscherangekommen. Lady Rohana war von Montray auchjetzt nicht sehr beeindruckt, doch diesmal hatte er ei-nen Begleiter bei sich, der casta ebenso gut sprach wieMagda oder Peter, also wie jeder Darkovaner. Er warWade Montray, des Koordinators Sohn.

Sein Vater beschäftigte sich inzwischen mit Peter.»So, da bist du ja, Haldane«, fuhr er ihn an. »Hast du

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eine Ahnung, welche Scherereien wir deinetwegenhatten? Und wo ist Miß Lorne? Ihr hättet euch beidegestern im Hauptquartier zurückmelden müssen.«

»Ich wußte nicht, daß gegen uns beide Klagen er-hoben wurden«, erklärte Peter steif. »Lady Rohanahat uns zu sich eingeladen, und wir konnten siedurch eine Ablehnung doch nicht kränken. UndMagda wird schon rechtzeitig kommen ... Hier ist sieja schon. Und die junge Frau in ihrer Begleitung hatmir buchstäblich das Leben gerettet. Also sei bittehöflich zu ihr, verdammt noch mal!«

»Schönes Mädchen«, bemerkte Montray. »ZehnJahre bist du jetzt hier? Dann würde ich vorschlagen,du gibst sofort um deine Versetzung ein, oder dusteckst deine Nase nie mehr aus der terranischen Zo-ne.«

Magda war mit Jaelle und drei fremden Frauen ge-kommen, und sie setzten sich ruhig an die vierte Seitedes Raumes. Hastur sagte streng: »Jaelle, ich habe dirnicht erlaubt, Außenseiter zu dieser Konferenz mit-zubringen.«

»Ich habe auch nicht darum gebeten«, erklärteJaelle höflich, doch ohne Furcht. »Lord Hastur, mirschien, daß die Gilde an dieser Angelegenheit beson-ders interessiert sein muß, und deshalb bat ich diesedrei Gildevertreterinnen, ihren Standpunkt vor dirund den Terranern zu vertreten ... Mein Lord, meineLady und Außenweltler, ich darf bekanntmachen:Hier ist mestra Millea n'ha Camilla, Gildemutter vonThendara, mestra Lauria n'Andrea, das Oberhaupt desUnabhängigen Rates der Handwerkerinnen unddomna Fiona n'ha Gorsali, Richterin des StädtischenSchiedsgerichtshofs.«

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Rohana bewunderte insgeheim Jaelles Klugheit.Diese drei würdevollen Frauen waren keine gewöhn-lichen Amazonen, sondern gehörten zu den mächtig-sten Frauen der Stadt Thendara. Die Gilde derHandwerkerinnen hatte erfolgreich um die Gleichbe-rechtigung unter den Geschäftsleuten der Stadt ge-kämpft, und Fiona war die erste Richterin in der Ge-schichte Thendaras. Hastur konnte sie nicht als un-wichtig abschieben.

Er verbeugte sich dann auch höflich vor den dreiFrauen. »Ich heiße Euch nicht willkommen, denn Ihrkamt ungeladen, doch besorgte Bürger haben dasRecht, zu hören und gehört zu werden.« Die Überset-zung des jungen Montray für die Terraner warselbstverständlich sehr viel liebenswürdiger.

»Wir haben Eurer Angestellten Magdalen Lorneerlaubt, in die Berge zu reiten und Euren AngestelltenHaldane zu retten, der in Sain Scarp festgehaltenwurde«, sprach Hastur weiter. »Miß Lorne schloßsich einer Gruppe Freier Amazonen unter der Füh-rung von Jaelle n'ha Melora an und mußte den Gilde-eid schwören.« Er wandte sich an Magda. »Miß Lor-ne, habt Ihr diese Frauen hier mitgebracht, um zu er-reichen, daß Ihr aus diesem Eid entlassen werdet?«

»Nein, Lord Hastur«, antwortete Magda leise, aberbestimmt. »Ich bin bereit, diesen Eid bis zu meinemTod zu halten, doch ich bin nicht sicher, ob die terra-nischen Behörden mir das erlauben werden. Siekönnten sagen, ich habe kein Recht gehabt, ihn zuschwören.«

Das war ein sehr kluger Schachzug von Magda,denn wenn der terranische Vertreter vor den Anwe-senden feststellte, daß für ihn ein darkovanischer Eid

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ungültig sei, machte er sich und das Imperium auflange Zeit hin unglaubwürdig; er schien, seiner Mie-ne nach zu urteilen, nichts zu verstehen, so daß Peter,Magda und der junge Dolmetscher sehr enttäuschtund verlegen dreinsahen.

»Dürfen wir mit Lord Hasturs Erlaubnis die Grün-de für die Entscheidung unserer edlen Gäste von Ter-ra hören?« bat Fiona.

Montray antwortete, und sein Sohn übersetztewieder sehr höflich: »Die Schwierigkeit ist die, daßMiß Lorne für uns ungeheuer wichtig ist. Sie hatwertvollste Arbeit als Expertin der Sprache und SittenDarkovers geleistet. Deshalb können wir auf ihreDienste nicht verzichten, so sehr wir jene respektie-ren, die sie jetzt bei sich haben wollen.«

»Oh, diese Schwierigkeit kann leicht überwundenwerden«, antwortete Fiona. »Wenn es nur um fehlen-de Experten in dieser Richtung geht, können wir Er-satz anbieten.« Sie schaute Jaelle an, die sich an Peterwandte.

»Sag den Terranern, daß ich bereit bin, den Platzmeiner Schwester einzunehmen. Ich spreche fließendcasta und cahuenga und beherrsche in Wort undSchrift die Sprache der Trockenstädte. Ich glaube, ichkann alle Wissenslücken über Thendara ausfüllen.Und ich denke auch, daß weitere meiner Schwesternbereit wären, eine solche Arbeit anzunehmen, wennes nötig ist. Ich weiß, daß es oft schwierig ist, Darko-vaner für andere als niedere Handarbeiten zu fin-den.«

»Das wäre uns natürlich sehr willkommen«, erwi-derte Montray höflich und verbeugte sich vor Jaelle.»Nur hörten wir, Lord Hastur habe den Leuten von

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Thendara verboten, uns eine solche Hilfe zu leisten.«Lauria, das Oberhaupt der Gilde der Handwerke-

rinnen, meldete sich zu Wort: »Lord Hastur sprichtfür die Comyn und deren Gefolgsleute aus den Do-mänen, aber sein Wille ist nicht Gesetz in diesemLand. Bei allem schuldigen Respekt vor Lord Hastursind wir nicht damit einverstanden, daß er uns, denfreien Frauen von Thendara, eine gesetzlich zugelas-sene Arbeit verbietet oder auch sonstige Beziehungenmit Menschen von anderen Sternen. Wir glaubennicht, daß sich die Terraner in Kneipen und Freuden-häusern ein richtiges Bild unserer Welt machen kön-nen. Deshalb bieten wir noch weitere Dienste an: alsKartenzeichner, Führer, Übersetzer und für jede an-dere geeignete Arbeit. Wir wissen, daß die Terraneruns als Gegenleistung sehr viel lehren können. Des-halb schlagen wir vor, eine Gruppe unserer jungenFrauen als Lehrlinge in den medizinischen Dienstund andere wissenschaftliche Einrichtungen zu über-nehmen, damit wir von Euch lernen können. Ist das,Ihr Herren von Terra, ein annehmbarer Vorschlag?«

Magda hielt das für einen sehr fairen Vorschlag,wenn auch noch keine totale Zusammenarbeit. Abersie selbst wollte ja auch nach ihrer Zeit im Gildehaustatkräftig an einer Brücke zwischen diesen beidenWelten mitbauen. Lady Rohana lächelte, und wiederhatte Magda das Gefühl, eine Tür schwinge sich auf,die den Weg zwischen zwei Welten freigab.

Lord Hastur schien nicht sehr begeistert zu sein,doch wie hätte er sich mit Anstand diesen Vorschlä-gen entziehen können? Jaelle lächelte Peter an; es waralso doch ein Weg gefunden worden, daß sie beideauf dieser Welt zusammenleben konnten. Montray be-

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antwortete mit liebenswürdigen Worten über Freund-schaft und Brüderlichkeit die Zustimmung Lord Ha-sturs, und der junge Wade bügelte geschickt sämtli-che Schnitzer aus.

Endlich war alles erledigt, wenn auch Wade Mon-tray scharf auf seinen Vater aufpassen mußte, um ihnvor Ungeschicklichkeiten zu bewahren; man versi-cherte einander gegenseitiger Freundschaft und Hilfe,ehe man sich trennte.

An der Tür trat Peter zu Magda: »Du hast unsMänner als Narren hingestellt und das getan, waskeinem von uns bisher gelang«, stellte er fest. »Ver-achtest du uns wirklich so sehr?«

»Ich und euch verachten? Nein.« Sie schaute raschzu Montray hinüber, und den Blick bemerkte Peter.»Er hat aber bisher wenig Geschick bewiesen.«

»Jeder weiß doch, Magda, daß die eigentliche Ar-beit in seinem Büro du geleistet hast. Den Titel konn-test du nicht bekommen, aber eines Tages könnte dirder Job angeboten werden.«

»Nein, danke. Peter, könntest du dich nicht darumbemühen? Du würdest einmal einen sehr guten Le-gaten abgeben. Ich habe bessere Dinge zu tun.«

»Du hast sowieso schon Wunder gewirkt, Magda.«»Das war Jaelle – und die Gildemütter.«»Jedenfalls bist du wunderbar, Magda. Und du,

Jaelle, ebenso. Ich hätte nie geglaubt, daß ihr sovieltun könntet.«

»Oh, Piedro, du weißt noch lange nicht, was wiralles tun können«, entgegnete Jaelle, »trotz allem, wasMargali für uns beide erreicht hat. Ich weiß jetzt, daßder Unterschied zwischen Terra und Darkover nichtsehr groß ist. Ihr glaubt, ihr seid frei, doch ihr tragt

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unsichtbare Ketten. Aber ich hoffe, eines Tages wer-det ihr von den Sternen und wir ...« Hier fehlte ihrdas richtige Wort.

Magda sprang ein. »... Brüder und Schwesternsein.« Und alle drei lächelten.

»Nun, die Politik kann im Moment warten«, meintePeter. »Wir haben Wichtigeres vor. Magda, willst dunicht mitkommen, wenn wir uns heute vor Zeugenals Lebensgefährten erklären?«

»Das kann ich nicht. Ich darf ein halbes Jahr langdas Gildehaus nicht verlassen.« Aber sie reichte ihmbeide Hände. »Peter, nimm es mir nicht übel undwünsche mir Glück, willst du?«

Er legte ihr brüderlich einen Arm um die Schulternund küßte sie auf die Wange. »Du brauchst schonGlück bei diesen alten Streitäxten! Aber das wolltestdu so. Also, dann viel Glück, Liebes.«

»Jaelle ...« Die beiden lagen einander in den Armen.»Werde glücklich, meine Schwester«, flüsterte Mag-da.

»Ich werde dich besuchen. Ich bin ja auch in Then-dara zu Hause«, versprach Jaelle.

»Du lieber Gott, und ich muß mit soviel Schwierig-keiten allein zurechtkommen?« beklagte sich Peter imScherz.

»Eines Tages wirst du es auch noch lernen, andersvon deinen Schwiegermüttern und Schwestern zusprechen«, meinte Jaelle lachend.

Jetzt ist sie erwachsen, überlegte Magda, aber erwird nie verstehen, daß es auch zwischen Frauen einebedingungslose Loyalität geben kann, die vielleichtsogar tiefer geht als Liebe. Aber er würde für dieWelt, die auch er liebte, sicher sein Bestes tun, und

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das wäre außerordentlich gut. Dafür würde sie, Mag-da, ihn noch immer ein wenig lieben.

Die Gildemutter Millea winkte Magda, sie sollekommen. Magda küßte Jaelle zum Abschied. »Seidgut zueinander«, bat sie. Ohne sich noch einmal um-zudrehen, folgte sie den drei Frauen.

Jaelle schaute ihr nach. Aus dem Geist ihrer Gilde-schwester schien sie das Bild einer sich öffnenden Türzu empfangen, die sich auf eine sonnige Landschaftund in eine glückliche Zukunft öffnete.

ENDE

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Als TERRA-Taschenbuch Band 299 erscheint:

Beherrscher der Zeit

ein SF-Roman von A. E. van Vogt

Bedrohung aus der Zukunft.

Dr. Lell und seine Supermenschen sind die Beherr-scher der Zeit. Aus ferner Zukunft stammend, durch-streifen sie alle Epochen der irdischen Vergangenheit.Ein gewaltiger verlustreicher Krieg tobt in ihrer eige-nen Zeit, und die Besucher aus der Zukunft haben dieMission, unter Vorspiegelung falscher TatsachenMenschen zu rekrutieren, die für sie kämpfen sollen.

Jack Garson ist einer dieser Rekruten. Als er erkennt,was wirklich gespielt wird, durchkreuzt er die PläneDr. Lells. Zusammen mit der Frau, die ihn liebt, be-ginnt er einen Privatkrieg gegen die Supermenschen.Jack Garson bleibt keine andere Wahl, denn es gehtihnen um das Schicksal der heutigen und der kom-menden Menschheit.

Die TERRA-Taschenbücher erscheinen vierwö-chentlich und sind überall im Zeitschriften- undBahnhofsbuchhandel erhältlich.