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(Aus der Provinzialheilanstalt Aplerbeck bei Dortmund [Direktor: Obermedizinalrat Dr. Pohlmann].) Die amiiboide Zelle insbesondere hinsichtlieh ihres zeitliehen Auftretens. Yon W. Holzer. (Eingegange~ am 23. Mdirz 1932.) l~ber die Zeit, innerhalb deren am6boide Zellen entstehen k6nnen, erlaubt uns ein Fall, den wir unl~ngst zur Beobachtung bekamen, Aus- sagen zu machen. Es handelt sich um ein Hausm~tdchen, das mit 14 Jahren ,,Schlafkrankheit" durchgemacht hatte, mit 22 Jahren wegen psychischer St6rungen in unsere Anstalt kam und mit 23 Jahren durch einen Unglfieksfall starb. Die Kranke litt an der bekannten Charakter- ver~nderung, war der Schrecken der Abteilung. Der Tod trat ein infolge eines Sturzes auf den Kopf aus betr~chtlicher H6he. Die Kranke war sofort v611ig bewul3tlos, st6hnte leise vor sich hin, rSchelte stark, zeigte Cheyne-Stockessches Atmen. Der Puls war erst stark verlangsamt, dann beschleunigt; Exitus nach 6 Stunden. Bei der Sektion land sich eine Fraktur der Sch/~delbasis. In der mittleren Schadelgrube mehr seitlich bestand sin schmaler Spalt, der sich in die vordere und hintere Sch~delgrube fortsetzte. Sehr starke piale Blutungen, namentlich an der Konvexit~t der linken Hemisphiire, haupts~chlich in der hinteren Parietalen- und vorderen Oecipitalgegend. Den ausgedehnten Piablutungen entsprachen capillare Rindenblutungen, wobei indessen die Tiefe der Blutungen nach dem M~rk zu stark wechselte. 0fter fand sich an Stellen, an denen man bei der starken Aus- breitung der /~ul3eren Blutung eine schwerere Blutung in der Rinde annehmen konnte, wenig, w/ihrend wieder an mehr circumscripten Stellen der Piablutung dis Rinde bis zum Mark und stellenweise noch etwas in das Mark hinein mit kleinen Blutungen durchsetzt war. Die Untersuchung des Gehirns best/~tigte in vollem Umfang die yon uns angenommene Diagnose Encephalitis epidemica. Das Hauptaugenmerk der Untersuchung war auf die Darstellung der protoplasmatischen Glia gerichtet im Verfolg des Vorgehens, das ich in einer Arbeit fiber Zerfallserseheinungen am Gliagewebe mitgeteilt habe (eineVerbindung von Mangan- und Silbereinwirkung auf das Gewebe). Die Sektion konnte dank dem ungewShnlich entgegenkommenden Verst/~ndnis der AngehSrigen 2 Stunden nach dem Tode erfolgen. Trotz des sehr frischen Materials waren auffallenderweise die protoplasmatisehen

Die amöboide Zelle insbesondere hinsichtlich ihres zeitlichen Auftretens

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(Aus der Provinzialheilanstalt Aplerbeck bei Dortmund [Direktor: Obermedizinalrat Dr. Pohlmann].)

Die amiiboide Zelle insbesondere hinsichtlieh ihres zeitliehen Auftretens.

Yon

W. Holzer.

(Eingegange~ am 23. Mdirz 1932.)

l~ber die Zeit, innerhalb deren am6boide Zellen entstehen k6nnen, erlaubt uns ein Fall, den wir unl~ngst zur Beobachtung bekamen, Aus- sagen zu machen. Es handelt sich um ein Hausm~tdchen, das mit 14 Jahren ,,Schlafkrankheit" durchgemacht hatte, mit 22 Jahren wegen psychischer St6rungen in unsere Anstalt kam und mit 23 Jahren durch einen Unglfieksfall starb. Die Kranke litt an der bekannten Charakter- ver~nderung, war der Schrecken der Abteilung.

Der Tod trat ein infolge eines Sturzes auf den Kopf aus betr~chtlicher H6he. Die Kranke war sofort v611ig bewul3tlos, st6hnte leise vor sich hin, rSchelte stark, zeigte Cheyne-Stockessches Atmen. Der Puls war erst stark verlangsamt, dann beschleunigt; Exitus nach 6 Stunden.

Bei der Sektion land sich eine Fraktur der Sch/~delbasis. In der mittleren Schadelgrube mehr seitlich bestand sin schmaler Spalt, der sich in die vordere und hintere Sch~delgrube fortsetzte. Sehr starke piale Blutungen, namentlich an der Konvexit~t der linken Hemisphiire, haupts~chlich in der hinteren Parietalen- und vorderen Oecipitalgegend. Den ausgedehnten Piablutungen entsprachen capillare Rindenblutungen, wobei indessen die Tiefe der Blutungen nach dem M~rk zu stark wechselte. 0fter fand sich an Stellen, an denen man bei der starken Aus- breitung der /~ul3eren Blutung eine schwerere Blutung in der Rinde annehmen konnte, wenig, w/ihrend wieder an mehr circumscripten Stellen der Piablutung dis Rinde bis zum Mark und stellenweise noch etwas in das Mark hinein mit kleinen Blutungen durchsetzt war. Die Untersuchung des Gehirns best/~tigte in vollem Umfang die yon uns angenommene Diagnose Encephalitis epidemica.

Das Hauptaugenmerk der Untersuchung war auf die Darstellung der protoplasmatischen Glia gerichtet im Verfolg des Vorgehens, das ich in einer Arbeit fiber Zerfallserseheinungen am Gliagewebe mitgeteilt habe (eineVerbindung von Mangan- und Silbereinwirkung auf das Gewebe). Die Sektion konnte dank dem ungewShnlich entgegenkommenden Verst/~ndnis der AngehSrigen 2 Stunden nach dem Tode erfolgen. Trotz des sehr frischen Materials waren auffallenderweise die protoplasmatisehen

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Gliaspinnen in der Rinde nur schwer darstellbar und kamen in den Gegenden, die mit capillaren Blutungen durchsetzt waren, iiberhaupt nicht zum Vorschein. Das ist eine Best/~tigung dessen, was schon h/~ufiger angegeben wurde, dal] die Darstelhmg der protoplasmatischen Glia in F/~llen yon KreislaufstSrungen erschwert sei. Eine Ausnahme land sieh indessen; das war der Befund in der tangentialen Schicht. In dieser konnten, wenn sie nicht dureh den Druck der Piablutung vSllig zerstSrt war, vielfach mit Leichtigke.it groBe, turgescente Spinnenzellen, die offenbar schon hypertrophisch waren, zur Darstellung gebracht werden. Hierdurch wird best/~tigt, was G. Mi~ller in seiner groBen Arbeit betonte, und was auch sehon yon anderen gesagt wurde, dab die protoplasmatisehe Glia sehr bald bei Einwirkung einer Sch~digung zu Hypertrophie ange- regt werden kann.

Eine entschiedene UngewShnliehkeit land sich in unserem Fall darin, dab sonst die Rinde bei l~Iangan-Silberbehandlung sehr leicht die Protoplasmazellen der Glia einschlieBlieh der zarteren Formen der 2. und 3. Schicht erkennen l~Bt, withrend die Protoplasmaspinnen des 5Iarkes schwieriger darstellbar sind. In unserem Falle war dies umgekehrt. Im Mark der Rindenbezirke, die keine Blutungen enthielten, konnten mit Leichtigkeit weitstrahlige Astroeyten mit verh~ltnism/iBig sp/~rlich entwickeltem Protoplasma um den Kern und schlanken Ansatzstellen der Protoplasmaforts/~tze zur Darstellung gebracht werden. Sic ent- hielten, wie Gliafaserpr/~parate zeigten, zarte Gliafibrillen. Diese recht charakteristischen Astrocyten waren auch noch darstellbar in Rinden- partien, bei denen nur die obersten Rindenschichten sp/~rliche Blutungen aufwiesen. Sie waren aber g/~nzlich verschwunden im subcorticalen Mark yon Rindenstellen, die vSllig yon Blutungen durchsetzt waren. Diese I~arkbezirke fanden sieh mit gleichm~Bigen, wie Niederschl/~ge aussehenden, feinkriimeligen K6rnchen durchsetzt, deren ZugehSrigkeit zu bestimmten Gewebsbestandteilen trotz aller Mfihe auch bei den st/~rk- sten Vergr6Berungen nicht klarzustellen war. Den Eindruck yon Fiill- k6rperchen erweckten sie durchaus nicht. DaB es sich nieht um wahllos erfolgte Niederschl/ige handelt, daft man daraus schlieBen, dab sie sich nur unterhalb der Rindenstellen mit zahlreichen Blutungen fanden und zwar so, dab man schon bei schwaehen VergrSBerungen, manchmal geradezu scharf abgesetzt, den Unterschied des ergriffenen und nicht ergriffenen marks sehen konnte. Im Bereich dieser gek6rnelten l~ark- bezirke fanden sich nun sp/irliche, aber vollkommen deutliche am6boide Zellen. Es waren ganz ausgesprochen nur die Formen mit kurzen, stummeligen, am Ende oft keulenf6rmig aufgetriebenen Forts~tzen, kurz die Formen, die ohne weiteres an Am6ben erinnern. Sie waren meist nur sps vorhanden, so dab sie zuerst iibersehen wurden; erst als ich dutch deutlichere Stellen auf den Befund aufmerksam ge- worden war und hinterher die friiheren Pr/~parate durchmusterte, land

Z. f. d. g. Neur. u, Psych. 140. ]Sa

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ich sie fiberall in dem unterhalb der stark mit Blutungen durchsetzten Rinde gelegenen subeorticalen Mark.

Bemerkenswert war, dag in den benachbarten Partien des gek6rnelten und amSboide Zellen enthaltenden Marks eine Zone bestand, in der sich die oben beschriebenen schlanken Astrocytenformen untermischt fanden mit verKnderten Formen. Diese hatten mehr oder minder verdickte FortsKtze, die aber bis auf weite Entfermmgen noch vSllig erhalten waren. Es waren nut einzelne Exemplare, die dureh die Veri~nderung der Fort- s~tze ein veriindertes, sofort in die Augen fallendes Aussehen zeigten; die Mehrzahl der Astrocyten auch in der unmittelbaren Nachbarschaft des gek6rnelten Marks hatten iiuBerlich ein normales Aussehen.

Der Befund der amSboiden Zellen in strenger Gebundenheit an die Rindenblutungen l~I3t sich wohl kaum anders deuten, als dab sie infolge der Blutungen entstanden sind, also, wenn man die Zeit bis zur Sektion mitrechnet, innerhalb 8 Stunden nach der Sch~tdelverletzung. Denn der Tod der Kranken war 6 Stunden nach dem Ungliieksfall, die Sektion 2 Stunden sp~ter erfolgt.

Walter ist auf Grund einer sehr sorgfKltigen Studie zur Ansicht gelangt, dag man 2 verschiedene Arten der amSboiden Zellen unter- scheiden k6nne. Der diffuse, fiber das ganze Gehirn verbreitete Zerfall sei als postmortaler, autolytischer ProzeB aufzufassen; dagegen k~men die am6boiden Zellen bei cireumseripten Sehiidigungen auch intra vitam vor, aber eben nur an bestimmten Stellen, nicht allgemein. Walter hatte den Vorteil, ein SilberprKparat zu besitzen, das offensichthch auf die bier interessierenden Ver~nderungen sehr leicht ansprach. Das Pri~parat ist infolge des Krieges nicht mehr in der frfiheren Reinheit und Wirksamkeit zu erhalten, ein Umstand, der ja auch bei anderen Farb- mitteln vorgekommen ist. Sehr bemerkenswert ist die Feststellung Walters, der offenbar ein sehr geeignetes Verfahren anwenden konnte, dab die diffuse Form der Amb6boidose hi~ufiger vorkomme als gemeinhin angenommen wird.

Ich glaube, dab in unserem Falle nach dem Befund und dem ganzen Hergang die am6boiden Zellen nicht erst nach dem Tode aufgetreten sind. Hiermit komme ich mit Walter nieht in Widerspruch, der ja circum- scripten Seh~digungen eine besondere Stellung einr~umt. Die am6boiden Zellen waren also in unserem Falle wenige, hSchstens 5--6 Stunden nach dem Tode zur Entwieklung gekommen.

Unser Fall best~tigt die Tatsache, dag diejenigen am5boiden Zell- formen, die wirklich aussehen wie AmSben, die schwerer erkrankten Formen darstellen, w~hrend die in ihrer Figur noeh erhaltenen aber mehr oder weniger plumper gewordenen Astrocyten den leiehteren Graden der Ver~nderung entsprechen.

Ob die Ansicht Walters zutrffft, dab es sich bei der diffusen Form der Am6boidose um einen postmortalen Vorgang an sich handle (die

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Bedeutung des pr~mortalen Zustandes vom Gehirn ffir das Auftreten der Zellen hebt er hervor), scheint mir gerade nach unserem Fall zweifel- haft. Von Bedeutung ist hier das Verhalten der Astroeyten in der Naeh- barschaft schwerer erkrankter Partien. Wir finden da zwischen allermeist normal aussehenden Zellformen solche mit ausgesproehenen Ver~nde- rungen. Man muB nach meiner Meinung annehmen, daB hier auch die normal aussehenden Zellen schon vielfach erkrankt sind, nur kann man diese Erkrankung mit dem Mikroskop nicht wahrnehmen. Dies kann man erst, wenn siehtbare und wahrscheinlich schon recht grobe Substanz- zersetzungen, die sich auf die s Form auswirken, zur Ausbildung gekommen sind. Ich glaube gerade naeh dem vorliegenden Befunde, dab in einem Gehirn, das naeh dem Tode amSboide Zellen zeigt, solche schon vor dem Tode vorhanden waren. Die amSboide Veriinderung stellt, wie Spidmeyer in seiner Histopathologie gezeigt hat, im wesent- lichen einen Zerfall der Gliazellen vor. Rosental hat bewiesen, dab die Ver~nderung naeh dem Tode selbst fortschreiten kann. Es liegt ja auch durchaus im Bereich der MSglichkeit, daB ein Zerfall, der begonnen hat, sich bis zu einem gewissen Grade naeh dem Tode weiterfortsetzt. Man muB aber auch in diesen Fi~llen sagen, das Gehirn war durch vitale Vor- giinge bereits amSboid ver~ndert. Die amSboide Zelle ist ein Produkt des lebenden Organismus; sie kann nicht als eine postmortale, kadaver6se Erseheinung angesehen werden.

Literaturverzeichnis. Mi~ller, G.: Z. Neur. 124. - - Walter, F. K.: Z. Neur. 66. - - Spielmeyer: Histo-

pathologie des Nervensystems. - - t~osental: Histologische und histopathologische Arbeiten 6 (1913). - - Holzer: Z. Neur. 129.

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