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24 palette & zeichenstift Künstler I Poesie aus Licht und Farbe Die Aquarelle Ingrid Buchthals Monika Will Betrachtet man - im Vergleich zu anderen Techniken - das reichhaltige Angebot von Handbüchern und Kreativkursen im Bereich Aquarellmalerei, könnte leicht der falsche Schluss gezogen werden, das Aquarellieren sei 1. einfach zu vermitteln und 2. schnell zu erlernen. Der oberflächliche Blick auf ein Aquarell scheint dieses Vorurteil zu bestäti- gen: Was wir sehen wirkt locker, duftig, wie hingehaucht, offenbar ohne große Anstrengung zu Papier gebracht. Was unsere Fehleinschätzung fördert, ist die Wirkung die- ser Arbeiten, die über die Tatsache hinweg täuscht, dass Aquarellmalerei zu den schwierigsten malerischen Techni- ken überhaupt gehört. Seit 1985 widmet sich Ingrid Buchthal der Malerei und hat sich dabei in erster Linie und mit ganzem Herzen dem Aquarell verschrieben. Unter ihren zahlreichen Lehrern ist Hans Köhler - ein ebenfalls passionierter Aquarellist - her- vor zu heben, der nach vielen Jahren der Unterweisung mit Bedauern bekennen musste, ihr nichts mehr beibringen zu können, da sie die Schwelle vom Fortgeschrittenenstatus zur Meisterschaft längst überschritten hatte. Auch für Hans Köhler ist die Diskrepanz zwischen Auf- wand und Wirkung eines Aquarells bezeichnend: "Das Besondere aber ist die Spontanität, die scheinbare Leich- tigkeit, die so unendlich schwer ist". Was macht den Unterschied zwischen Hobbymaler und Künstler aus? Beharrlichkeit, intensives Experimentieren, die Suche nach Wahrheit und sicher nicht zuletzt zu nen- nen: Intuition und eine starke Begabung. Weshalb ist diese Technik, bei der man mit in Wasser ge- lösten, sehr fein gemahlenen Pigmenten auf Papier malt, so schwierig? Der Künstler muss (von anderen Maltechniken her kom- mend wie z.B. der Öl- oder Acrylmalerei) umdenken: Bei deckenden Malweisen werden helle Stellen, auch Glanz- lichter oder Weißhöhungen, zum Schluss gesetzt. Der Aquarellmaler hingegen muss sich von Anfang an darüber im Klaren sein, wo Helligkeit und "Lichter" zu setzen sind und diese aus dem Blattgrund aussparen. Das Fließen der Farben ist nie ganz berechenbar, je nach Geschwindigkeit Fischerboote, Aquarell, 31 x 42 cm Venedig II, Aquarell, 31 x 42 cm des Trockenvorgangs können unerwünschte Farbeffekte oder Ränder entstehen, denen selbst durch nachträgliches Auswaschen nicht beizukommen ist. Und vor allem: Ein Aquarellist muss viel Zeit und Geduld aufbringen! Wasser ist nicht nur wichtige Grundlage, ja Lebenselixier des Aquarells, es ist auch, wie wir bei Frau Buchthal se- hen, ein wichtiges Motiv: Vertäute Schiffe, verlassene Ka- näle in Venedig, eine sich bis zum Waldrand ausdehnende Schneefläche; der gemeinsame Nenner ist die Stimmung des Motivs. Unter Vermeidung "lauter" Farben oder harter Kontraste, zeichnet die Künstlerin wie durch Dunstschleier verwischte Umrisse, unterstützt durch die immaterielle Wir- kung spiegelnder Wasseroberflächen oder durch den die Konturen weich zeichnenden Schnee. Leerstellen und Lichteffekten kommt in ihren Aquarellen eine besondere Bedeutung zu. In "Bauernhäuser" wird

Die Aquarelle Ingrid Buchthals€¦ · des Aquarells, es ist auch, wie wir bei Frau Buchthal se-hen, ein wichtiges Motiv: Vertäute Schiffe, verlassene Ka-näle in Venedig, eine sich

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24 palette & zeichenstift

Künstler I

Poesie aus Licht und Farbe Die Aquarelle Ingrid Buchthals

Monika Will

Betrachtet man - im Vergleich zu anderen Techniken - dasreichhaltige Angebot von Handbüchern und Kreativkursenim Bereich Aquarellmalerei, könnte leicht der falscheSchluss gezogen werden, das Aquarellieren sei 1. einfachzu vermitteln und 2. schnell zu erlernen. Der oberflächlicheBlick auf ein Aquarell scheint dieses Vorurteil zu bestäti-gen: Was wir sehen wirkt locker, duftig, wie hingehaucht,offenbar ohne große Anstrengung zu Papier gebracht.Was unsere Fehleinschätzung fördert, ist die Wirkung die-ser Arbeiten, die über die Tatsache hinweg täuscht, dassAquarellmalerei zu den schwierigsten malerischen Techni-ken überhaupt gehört.

Seit 1985 widmet sich Ingrid Buchthal der Malerei und hatsich dabei in erster Linie und mit ganzem Herzen demAquarell verschrieben. Unter ihren zahlreichen Lehrern istHans Köhler - ein ebenfalls passionierter Aquarellist - her-vor zu heben, der nach vielen Jahren der Unterweisung mitBedauern bekennen musste, ihr nichts mehr beibringen zukönnen, da sie die Schwelle vom Fortgeschrittenenstatuszur Meisterschaft längst überschritten hatte.

Auch für Hans Köhler ist die Diskrepanz zwischen Auf-wand und Wirkung eines Aquarells bezeichnend: "DasBesondere aber ist die Spontanität, die scheinbare Leich-tigkeit, die so unendlich schwer ist".

Was macht den Unterschied zwischen Hobbymaler undKünstler aus? Beharrlichkeit, intensives Experimentieren,die Suche nach Wahrheit und sicher nicht zuletzt zu nen-nen: Intuition und eine starke Begabung.

Weshalb ist diese Technik, bei der man mit in Wasser ge-lösten, sehr fein gemahlenen Pigmenten auf Papier malt,so schwierig?

Der Künstler muss (von anderen Maltechniken her kom-mend wie z.B. der Öl- oder Acrylmalerei) umdenken: Beideckenden Malweisen werden helle Stellen, auch Glanz-lichter oder Weißhöhungen, zum Schluss gesetzt. DerAquarellmaler hingegen muss sich von Anfang an darüberim Klaren sein, wo Helligkeit und "Lichter" zu setzen sindund diese aus dem Blattgrund aussparen. Das Fließen derFarben ist nie ganz berechenbar, je nach Geschwindigkeit

Fischerboote, Aquarell, 31 x 42 cm Venedig II, Aquarell, 31 x 42 cm

des Trockenvorgangs können unerwünschte Farbeffekteoder Ränder entstehen, denen selbst durch nachträglichesAuswaschen nicht beizukommen ist. Und vor allem: EinAquarellist muss viel Zeit und Geduld aufbringen!

Wasser ist nicht nur wichtige Grundlage, ja Lebenselixierdes Aquarells, es ist auch, wie wir bei Frau Buchthal se-hen, ein wichtiges Motiv: Vertäute Schiffe, verlassene Ka-näle in Venedig, eine sich bis zum Waldrand ausdehnendeSchneefläche; der gemeinsame Nenner ist die Stimmungdes Motivs. Unter Vermeidung "lauter" Farben oder harterKontraste, zeichnet die Künstlerin wie durch Dunstschleierverwischte Umrisse, unterstützt durch die immaterielle Wir-kung spiegelnder Wasseroberflächen oder durch den dieKonturen weich zeichnenden Schnee.

Leerstellen und Lichteffekten kommt in ihren Aquarelleneine besondere Bedeutung zu. In "Bauernhäuser" wird

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Weite I, Aquarell, 32 x 42 cm

Bauernhäuser, Aquarell, 32 x 42 cm

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unser ganzes Augenmerk auf die blendende Helle dervon der Sonne angestrahlten Hauswand gelenkt; immerwieder muss man sich dabei bewusst machen, dass dieaus dem Aquarell heraus leuchtende Helligkeit nichts an-deres als der unbemalt belassene Bildgrund ist.

Charakteristisch für Ingrid Buchthals Landschaftsdarstel-lungen ist, uns keine objektive Kopie des Gesehenen wie-derzugeben, sondern Empfindungen, die sich beim Maleneinstellen. Die Technik des Aquarells eignet sich offenbarbesonders dazu, durch das Fließen der Farben eine be-stimmte Atmosphäre zu erzeugen, die über Andeutungenund Ahnungen die gewünschte Wirkung erzielt.

In ihren zahlreichen Malseminaren, die Ingrid Buchthal u.a.in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz hält, leitetsie den Unterricht häufig durch ein Gedicht, z.B. von HildeDomin oder Marie-Luise Kaschnitz ein. Deren emotionalePoesie dient als Einstimmung und zur Sensibilisierung fürdie schöpferische Tätigkeit des Aquarellierens.

Ingrid Buchthal rät ihren Schülern, das Motiv zunächst,wie sie es nennt, "zu verunklären": Eine Möglichkeit, nichtzu sehr am Abbildhaften zu hängen, zu zeigen, was hin-ter den Dingen steht. Scharfe Konturierung wird vermie-den und die Farbigkeit des Bildganzen vernetzt, indemdie noch nicht zur Gänze angetrockneten Farbpigmentemittels einer Wasserspritze über weite Partien des Bildesverteilt werden, so dass sich eine Art farbige Unterlasurbildet. "Die Farbe vermählt sich mit dem Untergrund", be-zeichnet Ingrid Buchthal den fließenden Übergang zwi-schen dem durch diesen Arbeitsschritt farbig getönten

Weiße Cosmeen, Aquarell, 32 x 42 cm

Herbst, Aquarell, 42 x 31 cm

Olivenbäume, Aquarell, 31 x 42 cm Frühling II, Aquarell, 31 x 42 cm

Bäume II, Aquarell, 32 x 42 cm

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Bildgrund und dem danach aufgelegten Motiv. "Die Far-ben werden nicht additiv, sondern integrativ gesetzt", be-schreibt sie dieses Verfahren, "die Töne gehen eine Ver-bindung miteinander ein, werden untereinander verwo-ben; was ich anstrebe, sind Farbharmonien".

Ein Zitat von Herbert List, einem in den 1930er Jahren täti-gen Fotografen, dessen Aufnahmen dem Betrachter durchungewöhnliche Blickwinkel oder Details eine neue Sicht aufAlltagsdinge eröffnen, steht wie ein Leitmotiv über ihrer Ar-beit: "Bildende Kunst ist sichtbar gemachte Vision. Sogardas Geheimnisvolle der hinter den Dingen stehenden Ideelässt sich im Bilde festhalten, wenn die innere Vision davonvorhanden ist".

Wie macht ein Künstler innere Visionen sichtbar?

Der Schlüsselsatz Ingrid Buchthals lautet: "Vom Exaktenin die Freiheit". Vor Ort fertigt sie eine Handteller großeEntwurfsskizze, die allerdings auf dem Originalblatt nur inwenigen Andeutungen (z.B. zur Perspektive) übernom-men wird. Natur wird nie sklavisch nachgebildet, wichtigist ihr die, erst durch langjährige Übung mögliche, allmäh-liche Grenzüberschreitung vom Gegenständlichen in diefreie Darstellung, das Streben nach Vereinfachung undReduktion. Dabei kommt ihr die Technik des Aquarellssehr entgegen, denn hierbei ist die Kunst des Andeutensund Weglassens entscheidend; Leerstellen sind nichteinfach inhaltslos, sie lenken durch den Eindruck vonLichtfülle unseren Blick auf bestimmte Partien des Aqua-rells, häufig wird Farbe aufgetragen und wieder ausgewa-schen. Die immaterielle Wirkung, die zurückbleibt, ist ge-wollt, sie kann das Flirren von Staubkörnchen im Lichtoder die weich zeichnende Atmosphäre von Hitze oderDunst verbildlichen. Das Immaterielle ist in Ingrid Buch-thals Bildern von besonderer Bedeutung, sei es in Formvon Spiegelungen, Lichtreflexen oder Unschärfe.

In den Grenzbereich zum Körperhaften fallen auch ihreStillleben und Blumenbilder. Durchscheinende Glasgefä-ße und hauchzarte, fast körperlos wirkende Blüten tretenin unser Blickfeld, ohne dass wir ihren Standort genau lo-kalisieren könnten. Quasi außerhalb von Zeit und Raumwerden sie uns präsentiert, mal den Reichtum der Blu-menfarben feiernd, mal Ton in Ton, sparsam in der Strich-führung wie japanische Pinselzeichnungen.

Weißer Alpenmohn, Aquarell, 48 x 64 cm

Gräser, Aquarell, 42 x 32 cm

Hortensie weiß, Aquarell, 32 x 43 cmStillleben III, Aquarell, 32 x 42 cm

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Wilde Malve, Aquarell, 42 x 32 cmFrühling I, Aquarell, 43 x 32 cm

Ein Charakteristikum ihrer Blumenbilder sind die "Glas-ränder". Durch den üppigen Gebrauch von Wasser("beim Aquarellieren muss man sehen, dass Wasser ge-flossen ist"), setzen sich Farbpartikel am Rand des ste-henden und langsam auftrocknenden Wassers ab undverdichten sich zu einer Spur; der Betrachter ahnt Umris-se und Substanz der Gegenstände eher, als dass er sietatsächlich sieht.

Nicht die materielle Beschaffenheit einer Pflanze steht fürIngrid Buchthal im Vordergrund, sondern "das Geheim-nisvolle und Wesenhafte sichtbar zu machen". Durch feh-lende Ortsangaben und vage angedeutete Konturen wir-ken die Blumen wie in leichter Bewegung, so als würdenwir zufällig Zeuge eines noch nicht abgeschlossenen Ent-wicklungsprozesses.

Der russische Künstler und Kunsttheoretiker El Lissitzkykleidet diese Wirkung in folgende Worte: "Das Kunstwerkist daher nur ein Anhalten im Werdenden und nicht ein er-starrtes Ziel".

Wie perfekt die Künstlerin ihr Metier beherrscht, zeigen Aqua-relle, die sich auf die Farbe Weiß konzentrieren. Auf ihrenBlumenbildern vereint sie in einer Farbharmonie aus Weißund Grün mit wenigen Farbeinsprengseln aus Ocker, Braunoder Blau, oft nur in Andeutung belassene Blumensträuße.Schwerelos füllen zahlreiche Blütenköpfe den Bildraum,nur gelegentlich durch Staubgefäße zentriert, oder vonBlattgrün gerahmt. Trotz kürzelhafter Bildsprache materia-Hortensie I, Aquarell, 42 x 31 cm

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Information

Ingrid Buchthal

geb. in Breslau, aufgewachsen und wohnhaft in Stuttgart, seit 1980 Seminare beiverschiedenen Aquarellisten, u.a. Prof. Heribert Mader, Wien, Hans Köhler, Stutt-gart, Bini Dobelli, Mailand, Heinz Hofer, Höchst, Gerhard Almbauer, Graz, GuntramFunk, Stuttgart. Ausstellungen in Deutschland, Italien, Österreich, in der Schweizund in den USA. Gibt Malseminare in Deutschland und Österreich.

Kontakt: Ingrid Buchthal, Viergiebelweg 8, 70192 Stuttgart, Tel.: 0711 / 2566367,Mobil: 0172-7444436, [email protected]

Sommer II, Aquarell, 48 x 64 cm

lisiert sich jede Pflanzenart vor unseren Augen. Und wiedermüssen wir uns vor Augen halten, welche Schwierigkeitendie Farbe Weiß für den Aquarellisten bedeutet, denn dieFarbe wird nie aufgesetzt, sondern durch wohl kalkuliertesWeglassen und Aussparen erzielt.

Die Künstlerin macht es uns möglich, die Darstellungüber Stimmung, Andeutungen und der Angabe wenigerDetails zu erschließen; das Motiv erschöpft sich nichtbeim ersten Anschauen, denn unserer Fantasie und un-

serem Einfühlungsvermögen werden genügend Spiel-raum gelassen. Hierin zeigt sich die Stärke ihrer Arbeiten:Das Bild vollendet sich erst im Auge des Betrachters. Esvermittelt uns sowohl einen Einblick in unsere eigeneWahrnehmung der Dinge, als auch in Sichtweise und Er-leben des Künstlers.

Treffender noch hat dies Goethe formuliert: "Anfang undEnde aller künstlerischer Aktivität ist die Wiedergabe derWelt um mich durch die Welt in mir".