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Die Arme und der Prinz

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Helen Perkins Band 6

Die Arme und der Prinz von Helen Perkins

Magierin oder Betrügerin – Rästel um Miranda

Der Himmel hing bleigrau über dem wüsten Land. Kaum ein Son­nenstrahl drang durch die schweren Wolken, die Luft war feucht und kühl und schmeckte nach Kupfer, so, als liege noch der Hauch von Millionen Toten und Sterbenden darin. Man schrieb das Jahr 1649, nur ein paar Monate lag der Westfälische Friedensschluss zurück, der end­lich ein Ende des dreißig Jahre währenden Krieges verhieß. Eine düste­re Zeit lag hinter den Menschen, der Moloch Krieg, den die Dichter dieser Epoche mit hoffnungsloser Agonie zum Herrscher der Welt er­klärt hatten, schien nur langsam seine Herrschaft abgeben zu wollen. Allein im deutschen Reich war die Bevölkerung von sechzehn auf zehn Millionen geschrumpft. Hunger und Krankheit peinigten die Überleben­den, keine Ernte wollte wachsen unter dem trüben, bleiernen Himmel, an dem keine wärmende Sonne mehr ihre Bahn zu ziehen schien. Die Wirtschaft lag danieder, in Jahrzehnten voller Schlachtgetümmel war das Land mit Blut getränkt worden, keine ordnende Hand mochte sich noch der Geschicke der verängstigten und orientierungslosen Men­schen annehmen. Das deutsche Reich war zersplittert, freie Reichs­städte und Territorialstaaten mit souveränen Herrschern reihten sich auf der Landkarte aneinander wie ein Flickenteppich.

Schmutz, Krankheiten und Elend waren die stetigen Begleiter der wenigen Unglücklichen, die nun versuchen mussten, einen neuen An­fang zu finden. Der Glaube an Übernatürliches, an Hexen und Satans­kulte, die noch den Rest der bestehenden Strukturen zerstören woll­ten, blühte auf.

Mehr als eine Generation von Kindern war bereits herangewach­sen, ohne dem Wort ›Frieden‹ eine Bedeutung beimessen zu können. Anna Landurius war eine von ihnen. Eben erst hatte sie ihr zwan­zigstes Lebensjahr beendet und kannte nichts anderes als Gefahr, Angst, Gewalt und Hunger. Das schöne blonde Mädchen mit den aus­drucksvollen rehbraunen Augen stammte aus einem kleinen Flecken in der Nähe von Heidelberg. Die Eltern, die sie kaum gekannt hatte, wa­ren einfache Menschen gewesen, der Vater ein Bauer ohne Land, der sich doch Mühe gab, seine Familie redlich durchzubringen. In den Wir­ren des Krieges hatte es die kleine Familie nach Bayern verschlagen. Dort war der Vater im Kampf um ein Stück Brot erschlagen worden,

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die Mutter starb an Entkräftung. Kein außergewöhnliches Schicksal im siebzehnten Jahrhundert. Anna war eine von vielen Waisen, die sich selbst überlassen meist das traurige Los der Eltern allzu bald teilen mussten. Das schöne Mädchen aber hatte Glück im Unglück: Als es vor einer Schenke um etwas Brot bettelte, fiel es einer Frau auf, die es zu sich nahm und auf zog wie eine eigene Tochter.

Dies war schon ungewöhnlich in einer Zeit, in der sich jeder selbst der Nächste sein musste, wollte er sein Leben nicht sehr schnell ver­lieren.

Miranda, Annas Ziehmutter, war tatsächlich eine ungewöhnliche Person. Sie war groß und schlank, mit langem dunklem Haar und tief­blauen Augen. Ihr gut geschnittenes Gesicht hatte etwas Herrisches an sich, das sie von den meisten ihrer Zeitgenossen unterschied. Sie hatte Anna einmal erzählt, dass ihre Mutter eine Zigeunerin gewesen sei, eine besonders schöne Frau. Weil sie die Gabe hatte, alle Männer für sich einzunehmen, hatte ihre Sippe sie verstoßen. Allein und auf sich gestellt war sie in Diensten eines Markgrafen getreten und hatte von ihm ein Kind empfangen: Miranda. Sie war stolz auf ihre un­gewöhnliche Herkunft und von sich selbst überzeugt. Zudem meinte sie, von beiden Seiten nur das Gute geerbt zu haben: Vom Vater die Klugheit und die natürliche Haltung, von der Mutter das Wissen um Dinge, die anderen verborgen blieben. Sie hatte Anna, als diese alt genug gewesen war, in ihr besonderes Handwerk eingeweiht und ihr alles beigebracht, was wichtig war. Anna war klug, sie lernte schnell. Doch sie mochte nicht recht an das glauben, was ihre Ziehmutter tat und womit sie sich ihren Lebensunterhalt verdiente. Miranda war näm­lich eine selbst ernannte Pestheilerin.

Aus allerlei heiltätigen Kräutern und Ingredienzien, die sie überall sammelte, stellte sie Salben und Tinkturen her, die vom gefürchteten Schwarzen Tod heilen sollten. Die Pest war dem Krieg auf den Fuß gefolgt, vor allem in den ärmeren ländlichen Regionen wütete die Seu­che mit verheerenden Folgen. Doch auch an den Fürstenhöfen blieben die Menschen nicht von der schrecklichen Krankheit verschont. Und hier gab es Bedarf an Heilmethoden aller Art.

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Dass die Leibärzte der hochgestellten Herrschaften Mirandas ›Be­handlungen‹ ablehnten, sie als Scharlatan und in jüngster Zeit auch als Hexe beschimpften, tat ihrem Erfolg keinen Abbruch. Sie verstand es, ihre Dienste anzupreisen und mit einem Schleier des Mystischen zu versehen, so dass ihre Kunden ihr nur zu gerne glaubten. Anna konnte sich allerdings nicht erinnern, dass ihre Ziehmutter schon einmal einen greifbaren Erfolg erzielt hatte. Die meisten Patienten starben über kurz oder lang. Genas aber trotzdem mal einer, dann schrieb Miranda sich dies mit großem Trara auf ihre Fahnen.

An diesem schon recht kalten und unfreundlichen Herbstmorgen des Jahres 1649 hatte Miranda Anna ausgeschickt, frische Kräuter zu sammeln. Sie hielten sich momentan in Würzburg auf, wo der Fürst erkrankt war, wie es schien am Schwarzen Tod. Miranda hatte sich mit großem Auftritt eingeführt und die meisten Hofschranzen beeindruckt. Alle Menschen, ob arm oder reich, fürchteten sich mehr vor der Pest als vor dem Leibhaftigen. Und sie waren nur zu gewillt, alles zu glau­ben, was ihnen Schutz und Heilung versprach. Miranda machte sich dieses Klima für ihre Geschäfte zunutze. Nur einen Feind hatte sie stets an den Höfen, das waren die Doktoren. Auch in Würzburg setzte man ihr zu und drängte sie kaum nach ihrer Ankunft, den Hof wieder zu verlassen. Erst am Vortag hatte der Leibarzt des Fürsten ihr ge­droht: »Großes Wissen über die Herkunft des Bösen, Kranken und Verderbten kann durchaus als Eingeständnis der Hexerei betrachtet werden. Hüte dich, Miranda, vor deiner eigenen Klugheit!«

Sie hatte nur gelacht und derb erwidert: »Ihr wollt dem Ochsen das Fell abziehen, noch ehe er geschlachtet ist. Besser, Ihr hütet Euch vor den Kabalen am Hof, die manchmal ihre Urheber als Opfer for­dern!«

Obwohl Miranda stets sehr selbstbewusst und ohne Scheu auftrat und sich auch vor den höchsten Herren nicht fürchtete, hatte Anna doch oft Angst, dass man ihr Spiel durchschaute und sie dafür büßen musste. Ohne Miranda zu leben, das wäre für das junge Mädchen sehr schwierig geworden. Anna hatte kein Zuhause, sie waren immer nur umhergezogen. Und das Geld, das Miranda verdiente, entzog sich stets ihren Blicken wie ihrem Wissen. Sie war der Frau ausgeliefert, die sie

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einst vor dem Hungertod gerettet hatte. Und es blieb ihr wohl nichts weiter übrig, als diesen Umstand hinzunehmen...

Die Felder außerhalb der städtischen Mauern waren schlammig, langer Regen hatte die Erde aufgeweicht und die Ernte verfaulen las­sen. Man hungerte auch hier. Doch wer schlau war und mit offenen Augen durch die Welt ging, erkannte auch in diesem Tal des Jammers noch Brauchbares. Anna sammelte am Feldrain wilde Kräuter, die trotz der schlechten Witterungsverhältnisse noch sprossen. Sie trug einen bauchigen Korb, in dem alles verschwand, was Miranda später zu Sal­ben und Tinkturen verarbeiten würde. Das schöne Mädchen war ganz allein, doch Furcht empfand es deshalb nicht. Schlimmer als die Ein­samkeit konnte in dieser Zeit das Auftauchen fremder Menschen sein. Nie wusste man, wer sie waren und ob sie einem Gutes oder Böses wollten.

So schrak Anna nun auch zusammen, als sich ihr von ferne Huf­schlag näherte. Sie stopfte eine Handvoll Bilsenkraut in ihren Korb und richtete sich auf. Das einfache, grobe Leinenkleid, das sie trug, verbarg nicht ihren wohl gewachsenen Leib. Sie war ein schönes Kind und musste auf sich acht geben. Der Krieg hatte die Menschen ent­wurzelt. Und viele, die noch eben als Soldaten getötet und geplündert hatten, marodierten nun ohne Anstand und Hemmungen durch die Lande. In diesem Fall aber war es kein zweifelhafter Fremder, der sich Anna näherte, sondern ein Reiter vom Fürstenhof. Er ließ sein Pferd in ihrer Nähe stehen und rief: »Du sollst zu deiner Herrin kommen, sie braucht dich! Beeile dich und folge mir zum Hof!«

Anna nickte stumm. Rasch machte sie sich auf den Rückweg. Mi­randa erwartete sie bereits ungeduldig. Man hatte ihnen eine einfache Kammer in der Nähe der Küche zugewiesen. Hier, im unteren Teil der Burganlage, war es beinahe noch kühler und feuchter als draußen. Anna schauerte jedes Mal, wenn sie den langen Gang betrat, der an Wirtschaftsräumen und Dienstbotenkammern vorbei zu dem kleinen Raum führte, den sie mit Miranda bezogen hatte.

Die Pestheilerin murrte ungeduldig: »Wo bleibst du nur so lange, dummes Ding? Zeig her, was du gesammelt hast. Der Fürst klagt über

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vielerlei Schmerzen und Bekümmernisse. Ich muss ihm rasch eine neue Tinktur bereiten.«

Anna breitete die gesammelten Kräuter auf dem Boden aus, doch Miranda schien nicht zufrieden zu sein. »Viel zuwenig. Ach, du bist zu nichts zu gebrauchen. Ich werde selbst noch einmal nach draußen gehen und sammeln müssen. Wenn man aber auch nicht alles selbst macht...«

»Ich habe alles gepflückt, was hier wächst«, wagte Anna zu wi­dersprechen. Seit sie in Würzburg waren, behandelte ihre Ziehmutter sie schlecht und litt unter starken Stimmungsschwankungen. Das schöne Mädchen ahnte, woher dies kam: Miranda fühlte sich zuneh­mend von eifrigen Kirchgängern unter den Hofschranzen belauert und bedrängt. Man versuchte, ihr einen Fehler nachzuweisen, um sie in den Kerker sperren und ihr den Prozess machen zu können. Auf den Gedanken, den Fürstenhof deshalb zu verlassen, kam Miranda aller­dings nicht. Sie harrte aus, denn sie wollte vor diesen eitlen und bigot­ten Spießern nicht klein beigeben. Doch auch sie fühlte sich unbehag­lich, wie ihr Benehmen nur zu deutlich machte.

»Ich brauche noch Thymian und wilde Möhre«, murmelte sie vor sich hin, ohne dem Mädchen noch Aufmerksamkeit zu schenken.

Anna erklärte: »Es ist zu feucht, diese Pflanzen wachsen hier nicht. Und jetzt im Herbst...«

Miranda richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und erklärte streng: »Das weiß ich wohl besser als du. Gib mir den Korb und sorge dafür, dass diese Kräuter verlesen sind, wenn ich zurückkomme.« Sie wollte die Kammer verlassen, zögerte dann aber kurz, als sie das bekümmer­te Gesicht ihres Schützlings bemerkte. »Nun sei nicht gleich beleidigt, Anna. Du weißt, ich stehe hier unter Erfolgsdruck. Wenn es mir nicht bald gelingt, den Fürsten zu heilen, werden diese Quacksalber und Frömmler mich als Hexe in den Kerker werfen.« Sie lächelte schmal. »Und wenn es mir gelingt, würden sie es am liebsten auch tun. Aber dann wird der Erfolg mich schützen.« Sie lächelte Anna ein wenig zu. »Lass den Kopf nicht hängen. Wir werden unsere Aufgabe schon meis­tern. So, wie immer. Und sobald es dem Fürsten besser geht, ziehen wir weiter. Diese Stadt will mir nicht gefallen.«

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»Ich hörte gestern, wie sich zwei Marktweiber über eine Rotte e­hemaliger Soldaten unterhielten. Sie sagten, dass die Kerle jeden aus­rauben und töten, der zufällig in ihre Nähe kommt«, berichtete Anna mit Schaudern. »Ich würde am liebsten sofort von hier weggehen.«

»Sicher, das verstehe ich. Doch es geht nicht. Wir müssen bleiben und es unseren Gegnern zeigen. Nur wenn wir einen Sieg erringen, wird sich mein Ruf als Pestheilerin endlich festigen. Und dann kann uns niemand mehr etwas wollen; nicht einmal der Papst im fernen Rom.«

Anna hätte ihrer Ziehmutter gerne geglaubt. Doch sie fürchtete, dass Miranda sich mit solchen Reden nur selbst Mut machte. Sie wuss­te zu gut, auf welch dünnem Eis sie sich bewegte. Und dass es je­derzeit brechen und der Fluss sie verschlingen konnte...

Die Pestheilerin blieb eine ganze Weile fort. Anna nutzte die Zeit, um die gesammelten Kräuter zu verlesen und ordentlich aufzureihen. Sie wusste mittlerweile, welche Miranda sofort verbrauchen würde und welche erst getrocknet oder in Öl eingelegt werden mussten. Als sie ihre Arbeit beendet hatte, verließ sie die Kammer und ging hinunter in den Burghof, um nach ihrer Ziehmutter Ausschau zu halten. Eine Weile stand Anna fröstelnd im kühlen, feuchten Herbstwind, ohne dass Mi­randa erschienen wäre. Sie wollte gerade in die Kammer zurückkeh­ren, als sie Stimmen vernahm. Zwei Herren unterhielten sich ganz in ihrer Nähe. Trotzdem musste Anna sich nicht verstecken, um ihren Blicken zu entgehen. Denn die beiden Edelmänner schritten über eine Balustrade, die sich oberhalb des Burghofes befand. Das schöne Mäd­chen wollte weichen, aber da fiel Mirandas Name. Und Anna verharrte still.

»Verzeiht mir diese Bemerkung, Graf, doch ich fürchte, Ihr irrt Euch in jener Person«, merkte einer gerade an. »Miranda ist eine klu­ge Frau. Sie kann auf ein Erbe zurückgreifen, das alle Straßen dieser Welt kennt und alle Heilrezepte, zu denen diese führen. Wenn jemand den Fürsten heilen kann, dann sie. Und das geforderte Salär ist dieser Tat durchaus angemessen.«

»Ach, Brunkenstein, Sie lassen sich blenden wie so viele«. Der zweite Edelmann lachte humorlos auf. Anna beugte sich ein wenig vor,

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erkannte aber über der Brüstung nur ein Lederwams, einen Arm mit gestreiftem Hemdsärmel und einen Stulpenhandschuh. Wer der Mann war, konnte sie nicht feststellen. Und seine Stimme kannte sie auch nicht. Doch was er sagte, versetzte sie in Angst und Schrecken. »Diese Miranda ist nichts anderes als eine böse Buhlschaft Satans. Hinter ihrer kühlen Rechthaberei und ihrem eingeübt aristokratischen Gehabe steht Beelzebub persönlich!«

»Ihr meint...« »O ja! Und ich verfüge über genügend Beweise, um ihr blasphe­

misches Treiben offen legen zu können!« Anna biss sich auf die Lippen. Sie verstand zwar nicht alles, was

der Edelmann sagte. Doch ihr war klar, dass er Miranda Böses wollte. Wie es aussah, hatte sie bereits mehr Gegner hier, als sie auch nur ahnte.

»Dann denkt Ihr daran, Euch an den Fürsten zu wenden?«, fragte Brunkenstein überrascht. »Das haben bereits andere versucht. Doch Durchlaucht scheint für kein sachliches Argument zugänglich. Diese Frau hat ihn fest im Griff, er glaubt an sie.«

»Es ist der Satan, der ihn verführt. Aber ich werde ihm die Augen öffnen. Noch heute! Kommen Sie, sprechen wir drinnen weiter. Der Tag ist schon recht kühl.« Die beiden Höflinge entfernten sich, Anna aber blieb voller Angst und Ungewissheit zurück. Sie wünschte sich ihre Ziehmutter herbei, so schnell wie möglich. Zugleich ahnte sie a­ber, dass Miranda trotz dieser offensichtlichen Gefahr nicht weichen würde...

*

Nach dem Mittagsmahl begab Miranda sich, trotz aller Warnungen von Seiten Annas, in die fürstlichen Gemächer, um nach ihrem ›Patienten‹ zu sehen. Der Fürst war schwach, hohes Fieber hatte ihn aufs Lager gestreckt, sein Atem ging rasselnd. Miranda war der festen Überzeu­gung, dass der Landesvater nicht an der Pest litt. Sie hatte in den ver­gangenen Jahren schon viele Menschen am Schwarzen Tod sterben sehen und wusste, dass die Symptome andere waren. Der Fürst schien

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an einem fiebrigen Infekt zu leiden, den die Pestheilerin aber nicht genauer bestimmen konnte. Schließlich war sie keine Ärztin. Und die Doktoren dachten nicht einmal im Traum daran, auch nur mit ihr zu reden. Sie konnte sich mit niemandem austauschen und musste ganz nach Intuition und Erfahrung vorgehen. Dabei stand sie unter starkem Druck.

Was Anna ihr aufgeregt berichtet hatte, als sie vom Kräutersam­meln zurückgekehrt war, hatte sie weder erschreckt, noch überrascht. Sie hatte geahnt, wie heikel ihre Position am Würzburger Fürstenhof war. Und man bedrohte ihr nicht zum ersten Mal Leib und Leben. Doch dieses Mal schien sich eine wahre Verschwörung gegen sie zu bilden. Und es war ratsam, die warnenden Untertöne und forschenden Blicke in ihrer Umgebung nicht zu übersehen. Möglich, dass eine rasche Flucht nötig wurde, wenn der Fürst plötzlich verschied...

Als habe er ihre düsteren Gedanken empfangen, öffnete der Fürst nun die Augen und starrte sein Gegenüber fieberglänzend an. Miranda lächelte milde. »Hier, Durchlaucht, trinkt dies. Es wird das Fieber sen­ken und Eure Beschwerden lindern.« Sie flößte ihm einen bitter schmeckenden Trunk ein, woraufhin er ermattet zurück in die seide­nen Kissen sank und murmelte: »Du Wirst mich noch umbringen, ver­dammtes Weibsstück.«

»Keine Angst, ich helfe Euch«, versicherte sie freundlich und ent­fernte sich wenig später.

Auf dem Gang vor den fürstlichen Gemächern drückte sich stets allerlei undurchsichtiges Volk herum. Günstlinge des Fürsten, weit­läufige Verwandte aber auch hintersinnige Intriganten, die ihre Augen und Ohren überall hatten. Miranda schritt hoheitsvoll durch die An­sammlung, schaute nicht rechts noch links.

Unvermittelt klang ein Wort an ihr Ohr, das sie innehalten ließ: »Hexe!« Einer hatte es leise ausgesprochen, doch in scharfem, ver­ächtlichem Ton. Sofort senkte sich Stille über die nähere Umgebung, alle Tuscheleien und Gespräche verstummten.

Miranda schaute sich mit offenem Blick um. Überall wich man ihr aus, Gesichter wandten sich ab. Nur einer senkte nicht den Blick. Es war jener Edelmann, der sich bereits am Morgen über Miranda ausge­

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lassen hatte. Feindselig musterten seine Augen sie. Und dann wieder­holte er, schon etwas lauter: »Hexe!«

Sie erwiderte seinen Blick eine Weile stumm, dann lachte sie, ver­ächtlich und so voller Selbstsicherheit, dass die Umstehenden ein Stück zurückwichen. »Wo die Kunst der Doktors versagt, beginnt die meine«, erklärte sie kühn und mit stolz erhobenem Haupt. »Wenn Ihr das Hexerei nennt, bleibt es Euch belassen, dumm zu sterben. Der Fürst weiß, was er an mir hat. Und Euch steht es nicht zu, sein Urteil zu verwerfen!« Damit wollte sie weitergehen, doch der Edelmann herrschte sie an: »Du bist nicht auf den Mund gefallen und traust dich viel. Aber bedenke, dass Hochmut vor dem Fall kommt. Und das schneller, als man glauben mag.« Er trat etwas näher und musterte sie abfällig. »Keiner kann den Schwarzen Tod mit ein bisschen Kraut be­siegen. Deine Medizin ist ebenso Schwindel wie dein Titel. Und beides wird schon sehr bald vom Antlitz der Erde getilgt werden, das verspre­che ich dir!«

»So? Und wie wollt Ihr das bewerkstelligen? Der Fürst bedarf mei­ner Hilfe. Ohne mich kann er nicht genesen!«

»Seine Leibärzte werden ihn kurieren. Und du solltest bald die Beine in die Hand nehmen und Würzburg verlassen, wenn dir dein Leben lieb ist«, entgegnete er feindselig.

»Ich gehe, wenn ich hier fertig bin«, kam es ebenso kühl wie ge­lassen von Miranda. »Und daran werdet Ihr ganz gewiss nichts ändern können!« Damit wandte sie sich um und schritt davon.

Sofort begann wieder das Getuschel hinter ihrem Rücken. Einige Edelmänner drängten sich zu dem Herausforderer der Pestheilerin und verlangten, Näheres zu erfahren.

»Wie wollt Ihr sie wegjagen?« »Was soll geschehen?« »Können wir einen Inquisitor anfordern, der sie hochnotpeinlich

befragt?« So ging es von Mund zu Mund, neugierige Augen richteten sich

auf den Reichsgrafen von Bernau. Dieser blieb gelassen. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, alles Hexenpack, wie er es nannte, vom

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Erdboden zu tilgen. Und er glaubte, in Miranda eine neue Feindin, eine Dienerin des Teufels, entlarvt zu haben.

»Alles zu seiner Zeit«, stellte er nun überlegen fest. »Zunächst werde ich den Fürsten über die wahre Natur seiner so genannten Hei­lerin aufklären. Und dann - da besteht für mich kein Zweifel - wird die Hexe sehr bald dorthin fahren, wohin sie gehört: In die Hölle!« Es zuckte leicht um seinen schmalen Mund und manch einer, der in der Nähe stand, hätte meinen können, dass ihm diese Vorstellung durch­aus Vergnügen bereitete. Doch alle Anwesenden waren zu sehr damit beschäftigt, sich über das Schicksal Mirandas Gedanken zu machen, das in so fataler Weise mit dem Schicksal des Fürstentums verbunden schien. Niemand achtete auf die Mimik des Reichsgrafen. Nur Brun­kenstein, sein Vertrauter, fragte ihn eine Weile später unter vier Au­gen: »Was, wenn Ihr Euch irrt, wenn diese Frau keine Hexe ist? Es heißt, ihre Mittel haben dem Fürsten bereits Erleichterung verschafft. Wäre es nicht eine große Sünde, sie zu verfolgen, wenn sie unschuldig ist?«

Bernau lächelte schmal. »Sicher wäre es das. Doch keine Angst, Brunkenstein. Sie ist es nicht. Dafür lege ich gerne und ohne Zögern meine Hand ins Feuer...«

*

In der nächsten Nacht schreckte Anna ganz plötzlich aus wirren Träu­men auf. Sie war einen Moment lang so desorientiert, dass sie gar nicht wusste, wo sie sich befand. Dann aber erkannte sie im schwa­chen, zuckenden Schein einer Kerze Mirandas Gesicht, das sie ernst anschaute; und war auf einen Schlag hellwach.

»Rasch, steh auf und kleide dich an. Wir müssen fort!« Anna erhob sich von ihrem Lager aus Stroh. »Was... ist denn ge­

schehen? Warum gehen wir mitten in der Nacht?«, stammelte sie, noch halb benommen vom Schlaf.

»Weil es sein muss. Dieser Reichsgraf, ein selbst ernannter He­xenjäger, hat eine Meute gegen uns mobilisiert. Ich fürchte, es ist jene Rotte Soldaten, von denen die Marktweiber sprachen.«

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»O nein!« Anna bekreuzigte sich, ihre Rechte glitt zitternd auf das kleine silberne Kruzifix, das sie stets um den Hals trug. Es war das einzige, was ihr von der geliebten, früh verstorbenen Mutter geblieben war. »Was soll denn nun werden...«

Miranda hatte ihre wenigen Habseligkeiten in einem Wanderbeutel verstaut und warf sich bereits den Mantel über. »Eile dich, wir dürfen keine Zeit verlieren«, mahnte sie das Mädchen. »Lass die Kräuter hier, die sind leicht zu ersetzen.«

»Weiß der Fürst von unserer Flucht?« »Bernau war bei ihm und hat ihm eine Menge Lügen über mich

erzählt. Ich weiß nicht, ob der Fürst ihm Glauben schenkt. Doch eines steht fest: Wenn die Söldner uns erwischen, dann Gnade uns Gott. Und nun komm, ich weiß einen geheimen Gang, der uns ungesehen aus der Burg führt!«

Anna folgte ihrer Ziehmutter wie betäubt. Ihr Herz schlug schnell und fest gegen die Rippen, zugleich erschien ihr der gehetzte Weg durch einen finsteren, in den Felsen gehauenen Gang mitten in der Nacht wie ein schlechter Traum. Und beständig stand das Bild der grö­lenden Soldaten vor ihrem inneren Auge, die ihnen dicht auf den Fer­sen waren, mit ihren mächtigen Pferden alles nieder trampelten, was sich ihnen in den Weg stellte und mit ihren Säbeln durchbohrten, was noch lebte...

Miranda wahrte, wie stets, kaltes Blut. Sie hielt Annas Hand ganz fest und gab es nicht zu, dass diese zurückfiel. Auch wenn das Mäd­chen jammerte, weil es einfach nicht weiter konnte, setzte sie ihren Weg fort, bis sie endlich dem Ziel nahe waren.

Anna spürte unterbewusst, dass die abgestandene, feuchte Luft des Geheimgangs durch angenehm frische Nachtluft ersetzt wurde. Und dann standen sie unvermittelt im Freien, ein ganzes Stück außer­halb der Stadtmauern.

Die Pestheilerin schaute sich kurz um, nickte und murmelte zu­frieden: »Der Mundschenk hat also nicht gelogen. Doch er kennt unse­ren Fluchtweg und ist bestechlich. Komm, Anna, hier sind wir noch längst nicht sicher. Wir müssen fort.«

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Das schöne Mädchen war wieder zu Atem gekommen, doch Mi­randa sah ihm an, dass es noch immer nicht recht Herr seiner Sinne war. Es war wenig vernünftig, weiter zu fliehen, bevor Anna wirklich verstanden hatte, was um sie herum vorging.

Miranda führte ihre Ziehtochter zu einem Feldrain, wo sie unter ei­ner Gruppe abgestorbener Buchen ein wenig Schutz fanden. Auf einem umgestürzten Baumstamm nahmen sie Platz und die Ältere erklärte behutsam: »Uns blieb keine andere Wahl, als die Stadt sofort zu ver­lassen. Der Reichsgraf Gunter von Bernau ist ein gefährlicher Mann. Seine Frau und seine beiden Kinder starben an der Pest. Das ist noch nicht lange her, deshalb setzt ihm wohl der Schmerz noch zu und ver­nebelt ihm die Sinne. Überall sieht er Hexen und Satansdiener, die angeblich die Schuld daran tragen, dass so viele Menschen dem Schwarzen Tod zum Opfer fallen. Wir müssen uns sehr vor ihm in acht nehmen. Willst du mir das versprechen, Anna?«

»Ja, sicher. Ich begreife nur nicht, was er gegen dich hat. Du wolltest doch dem Fürsten nur helfen. Das ist keine Hexerei, sondern ein Werk christlicher Nächstenliebe.«

Miranda lächelte angedeutet. Manchmal erschien es ihr beinahe unglaublich, wie gut und naiv das Herz Annas geblieben war, trotz al­lem Hässlichen, was sie ständig umgab. »Lass uns jetzt aufbrechen, mein Kind. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Ich glaube zwar nicht, dass Bernau uns die Söldner nachschicken wird, doch es ist im­mer besser, vorsichtig zu sein.«

»Wohin gehen wir?«, fragte Anna nach einer Weile. Die Pestheilerin musste nicht lange überlegen. Es gab nicht mehr

viele freie Reichsstädte, in denen sie noch nicht gewirkt hatte. »Nach Bamberg. Es liegt auf dem Weg. Und mir ist zu Ohren gekommen, dass der Fürst Schwarzenberg nicht gesund sein soll...«

Anna nickte nur. Sie wusste ja, was Mirandas Worte bedeuteten. Und eigentlich war es ihr ganz einerlei, wohin sie sich wandten. Das Land war überall wüst und leer. Im ersten Morgenlicht tat sich im We­sten der Steigerwald vor ihnen auf. Mächtige uralte Föhren reckten dort ihre breiten Wipfel in den grauen Morgenhimmel. Ein frischer Wind trug ihr Rauschen wie das sentimentale Lied des Waldes zu den

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beiden einsamen Wanderern herüber. Miranda war in tiefe Gedanken versunken, wie so oft, wenn sie zu Fuß das Land durchstreiften. Ein kalter Brandgeruch ließ sie schließlich aufblicken. Im gleichen Moment hörte sie Anna verschreckt fragen: »Was ist dort geschehen? Ein Brand?« Sie wies auf eine ehemalige Ansammlung von erbärmlichen Hütten. Vormals mochten hier Landarbeiter gehaust haben, nun war alles wüst und leer. Die Menschen geflohen, die Gebäude niederge­brannt.

»Soldaten vermutlich«, murmelte Miranda unbehaglich. Doch der verwüstete Platz war nicht das einzige Fanal des Schre­

ckens in diesem Landstrich. Weiter fort, zwischen dem alten Handels­weg und den waldigen Höhen erhoben sich verkohlte Holzpfähle in den Himmel. Anna maß die schwarzen Stämme mit zitterndem Unbehagen und hörte ihre Ziehmutter flüstern: »Hier war der Inquisitor. Gebe Gott, dass wir ihm nie begegnen.«

Sie hielten Abstand zu den so genannten Hexenbäumen. Doch Anna sah auch aus der Ferne das helle, bleiche Leuchten der Toten­knochen in der Asche. Es erschien ihr wie ein Fanal kommenden Un­heils. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als schnüre ihr die Angst die Kehle zu und mache es ihr unmöglich, noch zu atmen.

Miranda lächelte hart. »Es ist nur der Brandgeruch, der dir zusetzt. Komm, gehen wir schneller, dann ist es bald vorbei.«

*

In der Stadt zwischen Rednitz und Main herrschte reges Markttreiben, als Miranda und Anna dort ankamen. Bamberg war das Besitztum der Fürsten Schwarzenberg, denen auch ein großer Teil des Umlandes gehörte, vom Steigerwald im Westen bis hinüber zur Fränkischen Alb im Osten. Ein Zentrum der Textil- und Lederindustrie mit Glockengie­ßereien und einigen ortsansässigen Bierbrauereien, war die Stadt bis in die letzten Kriegsjahre hinein noch eine Bastion von Handel und Wan­del gewesen, als anderenorts das öffentliche Leben nahezu zum Erlie­gen gekommen war.

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Die Fürsten Schwarzenberg zeichneten sich von jeher durch kulti­vierten Lebensstil und eine sozial christliche Haltung aus. Es gab hier ein Armenhaus und auch eine Schule für Kinder bürgerlicher Eltern, eine Neuerung, die als einzigartig in einem Land zu bezeichnen war, in dem die meisten Menschen Analphabeten waren. Fürst August hatte seinerzeit in England studiert und die Welt bereist, bevor er sich auf seinem Stammschloss niederließ und heiratete. Das war kurz vor Be­ginn des Krieges gewesen, der auch für die Schwarzenbergs eine schlimme Zeit gebracht hatte.

Fürst August und Fürstin Luise hatten zwei Söhne in den Wirren der Kämpfe verloren und sehr viel Schweres in den langen Jahren des Krieges erfahren. Trotzdem hatten sie ihre noble Gesinnung ebenso wenig aufgegeben wie ihre soziale Haltung. Die Fürstin scheute nicht davor zurück, Siechenhäuser zu besuchen und sich persönlich um die Ärmsten der Armen zu kümmern. Nun schien ihr diese selbstlose Hal­tung jedoch zum Verhängnis geworden zu sein, denn sie litt seit einer Weile an einer Krankheit, die von den fürstlichen Leibärzten ohne Er­folg behandelt worden war. Man sprach unter der Hand davon, dass die Fürstin an der Pest erkrankt war, doch niemand wagte, dies laut auszusprechen. Fürst August hätte es nicht zugelassen, dass man so über seine geliebte Gattin sprach. Die Ankunft Mirandas in Bamberg blieb nicht lange verborgen. Und als dem Fürsten zu Ohren kam, dass die Pestheilerin sich in seiner Stadt aufhielt, sandte er einen Boten und ließ sie bitten, aufs Schloss zu kommen.

»Na siehst du, man braucht meinen Rat und meine Hilfe«, sagte sie zufrieden zu Anna, die davon allerdings wenig begeistert war. »Mach nicht so ein Gesicht wie ein verschrecktes Reh. Du wirst mich begleiten. Keine Angst, die Herren von Bamberg waren schon immer großzügig und ehrenhaft. Und vom jetzigen Fürsten hört man nur Gu­tes.«

»Aber denke doch an Würzburg. Was dort geschehen ist, könnte sich hier wiederholen«, mahnte Anna ihre Ziehmutter besonnen. »Wä­re es nicht besser, wenn wir die Stadt wieder verlassen und unsere Wanderschaft fortsetzen?«

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»Ach, du dummes Gänschen. Und wovon sollen wir leben, wenn ich meine Dienste nicht mehr anbiete? Hast du dir darüber vielleicht auch schon Gedanken gemacht?«

»Aber wir haben doch gewiss noch Geld...«, wagte Anna einzu­wenden, woraufhin ihre Ziehmutter sie allerdings nur ärgerlich rügte: »Du bist wirklich sehr naiv, Mädchen. In diesen Zeiten ist Essen teuer. Wenn du dich nicht von Abfällen ernähren willst, sind die paar Taler, die ich für meine Dienste empfange, schnell verbraucht. Nein, nein, wir können nicht einfach weiterziehen und die Einladung des Fürsten Schwarzenberg ignorieren. Wir werden bei ihm vorsprechen und fra­gen, ob er meiner Hilfe bedarf.«

Obwohl Anna die Stadt viel lieber verlassen hätte, fügte sie sich doch dem Entschluss ihrer Ziehmutter. Miranda bestimmte, was zu tun war. Und bislang waren ihre Entscheidungen auch stets richtig gewe­sen. Dass Anna sie nun aber zum Fürstenhof begleiten sollte, gefiel ihr gar nicht. Sie hatte Hemmungen vor den hohen Herren, fürchtete gar, in Ungnade zu fallen, auch wenn es dafür eigentlich gar keinen Grund gab. Doch dem schönen Mädchen fehlte ganz einfach das unerschüt­terliche Selbstbewusstsein Mirandas, die sich auch in den allerhöchsten Kreisen mit traumwandlerischer Sicherheit zu bewegen vermochte.

Eine Weile später verließen die beiden Frauen die Kammer in einer einfachen Schänke, wo sie sich eingemietet hatten, um zum Schloss zu laufen. Der Landesherr erwartete sie bereits, doch Anna bat: »Lass mich vor der Türe, Miranda, ich mag nicht dort hineingehen...«

»Also schön, wie du willst. Aber laufe nicht weg. Ich bin bald wie­der zurück.« Sie strich dem schönen Mädchen übers Haar und betrat dann das Empfangszimmer des Fürsten. Es war ein prächtiger Raum, ausgestattet mit den kostbarsten Möbeln aus uraltem Eichenholz, ver­ziert mit Blattgold. Wundersame Wandgemälde aus der Hochzeit des Rokoko zierten die Decke, köstliche Tapisserien aus Brokat und gold­durchwirkter Seide umrahmten die bleiverglasten Fenster und fingerdi­cke Teppiche aus den Tiefen des Orients dämpften jeden Schritt. Mi­randa hielt kurz inne, denn diese Pracht, dieser Prunk beeindruckte auch sie.

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Fürst August saß auf einem etwas erhöhten, thronartigen Sessel und blickte mit unbewegter Miene auf die Pestheilerin herab. Er war eine imposante Erscheinung, ein Herrscher und Landesfürst durch und durch. Sein edler Schädel wurde von dunklem lockigem Haar umrahmt und von tiefblauen Augen dominiert. Er war groß und kräftig, um seine breiten Schultern lag ein pelzverbrämtes Wams, die langen kräftigen Beine steckten in Stiefeln aus feinstem, handgearbeitetem Leder. Schwere goldene Ketten und ein prächtiger goldener Siegelring waren die äußeren Insignien seiner Macht. Doch Fürst August brauchte nur aufzustehen und sich in seiner ganzen Größe seinem Gegenüber zu zeigen, um sofort Respekt und Ehrfurcht zu erzeugen. Miranda neigte das Haupt tief, als sie vor den Thronsessel trat.

»Du wirst Pestheilerin genannt, ist das richtig?«, fragte der Fürst sie mit volltönendem Bass.

»Ja, Herr, das stimmt. Ich habe meine bescheidenen Fähigkeiten in den Dienst der Heilkunst gestellt, auch wenn ich kein Doktor bin. Doch ich möchte wohl behaupten, dass ich bereits einige Kranke ge­heilt habe von der großen Plage dieser Zeit.«

Der Fürst musterte sie streng. »Nenne mir einen, dem du die Ge­sundheit wiedergegeben hast.«

»Nun, da ist der Prinz von Ehingen. Er lag siech für lange Zeit, die Leibärzte hatten ihn aufgegeben. Meine Kräutermedizin brachte ihn wieder auf die Beine.«

»So...« Fürst Schwarzenberg schien noch nicht ganz überzeugt. Doch seine markante Miene verriet, dass er Hilfe notwendig be­schaffen musste. »Es mag stimmen, was du sagst, doch im Grunde ist das einerlei. Ich habe einen Auftrag für dich, Pestheilerin. Aber zu­nächst mögest du auf Ehr und Gewissen schwören, nichts von dem, was du hier drinnen siehst und hörst, nach draußen in die profane Welt zu tragen.«

»Mein Metier ist die Heilkunst, aber meine Reputation ist die Ver­schwiegenheit«, erwiderte Miranda geschmeidig. Sie war den Umgang mit hochgestellten Persönlichkeiten gewöhnt und verstand es stets, den rechten Ton zu treffen.

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»Ich hoffe, das sind nicht nur Worte.« Der Fürst winkte einen Die­ner herbei. »Bringe sie zu der Herrin. Und achte darauf, dass sie nur tut, wozu sie hier ist.« Er wandte sich noch einmal an Miranda: »Du wirst meine Frau untersuchen und mir dann erklären, ob und wie du ihr helfen kannst. Ich warte auf deine Rückkehr.«

Noch einmal neigte sie tief das Haupt und folgte dann dem Die­ner, der sie über Treppen und Gänge zu dem Gemach der Fürstin führ­te. Anna wartete derweil mit unsicherem Herzen auf die Rückkehr ihrer Ziehmutter. Ganz allein und verloren fühlte sie sich in dem fremden Fürstenpalast, wo sie keine Seele kannte und niemand sich um sie kümmerte. Jedes Mal, wenn Schritte sich ihr näherten, schrak sie zu­sammen und wich noch ein wenig weiter in eine Wandnische neben der Tür zum fürstlichen Empfangszimmer zurück. Doch es waren im­mer nur Bedienstete, die vorbeigingen und sie keines Blickes würdig­ten.

Unvermittelt aber erklang ein fester, männlicher Schritt, der genau auf sie zustrebte. Anna blickte sich ängstlich um. Ein junger Edelmann erschien, hoch gewachsen und im makellosen Gewand eines Hochadli­gen. Sein gut geschnittenes Gesicht mit den schulterlangen dunkel­braunen Haaren und dem kecken Bärtchen wandte sich fragend der schmalen Gestalt im Schatten der Tür zu. Kluge tiefblaue Augen mus­terten sie kurz und intensiv. Anna spürte, wie sie errötete, denn es schien ihr zum ersten Mal in ihrem jungen Leben, dass ein anderer Mensch ihr bis in die Tiefen von Herz und Seele blicken konnte. Befan­gen senkte sie die Lider, da hörte sie den Edelmann fragen: »Was tust du hier, junge Maid? Ist dir die Arbeit ausgegangen oder wartest du auf ein bestimmtes Ereignis?«

Die Röte ihres Gesichts vertiefte sich noch um eine Nuance und sie war kaum fähig, ihm zu antworten. Ihre Stimme war nur ein Hauch, als sie murmelte: »Ich warte auf Miranda, hoher Herr.«

»Miranda?« Er wiederholte den Namen nachdenklich, dann blitzte die Erkenntnis in seinen klaren Augen auf. »Die Pestheilerin! Ist sie bereits da? Ich hörte, Mama bedarf ihrer. Nun sprich schon, was hast du mit Miranda zu schaffen?«

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Anna brachte kein Wort mehr heraus. Denn ihr war nun aufge­gangen, dass dieser junge Edelmann niemand anders als der Prinz von Schwarzenberg war, der letzte noch lebende Sohn des Fürsten. Seine Worte bewiesen es eindeutig. Das schöne Mädchen schämte sich schrecklich vor dem Edelmann. Sie wäre am liebsten im Boden ver­sunken, denn er musste Anna für sehr töricht und verstockt halten. Doch sie schaffte es einfach nicht, ihm zu antworten.

Prinz Maximilian spürte wohl, dass dieses Mädchen etwas Beson­deres war. Nicht nur ihr bezauberndes Aussehen hatte ihn beein­druckt, auch ihre bescheidene, scheue Art rührte sein Herz. Der kluge, weltoffene Prinz genoss es, einmal keine aalglatten Hof schranzen um sich zu haben, sondern ein Kind aus dem Volke mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Wenn sie nur nicht so verängstigt gewesen wäre...

»Nun schau mich einmal an, meine Kleine«, bat er freundlich. Und da sie seiner Bitte nicht gleich nachkam, legte sich seine Hand ganz sanft unter ihr Kinn, um es ein wenig anzuheben. Anna roch das feine Leder des Handschuhs und sie spürte die Berührung der kraftvollen und doch sensiblen Finger überdeutlich. Ein Schauer durchlief ihren Körper und als der Prinz sie ansah, vergaß sie für einen Moment Raum und Zeit und hatte das Gefühl, sich ganz in diesen klugen, gütigen Augen zu verlieren.

»So ist es besser. Wie heißt du?«, fragte der Prinz freundlich. »Mein Name ist Anna Landurius«, antwortete sie automatisch und

zugleich wie träumend. »Schön, Anna. Und weißt du auch, wer ich bin?« Wieder senkte sie den Blick. »Ihr seid der Prinz Schwarzenberg,

der Sohn des Landesfürsten. Und ihr solltet gar nicht mit einer so Dienstniederen sprechen wie mir.« Sie wollte ihm entschlüpfen, aber er ließ sie nicht aus, musterte sie fragend. »Du bist die Magd der Mi­randa? Oder vielleicht ihr verwandt? Nein, das kann nicht sein! Es heißt, in ihren Adern rollt Zigeunerblut. Du aber bist das Ebenbild un­serer germanischen Vorfahren.«

»Meine Eltern waren Bauern, sie starben im Krieg. Miranda nahm mich auf und rettete so mein Leben.« Anna reckte sich ein wenig em­por, denn sie sah es als ihre Pflicht an, die Ziehmutter stets und immer

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zu verteidigen. »Nie hat sie mir Schlechtes getan. Und ob ihre Vorfah­ren nun aus Aachen oder Rom stammen, das ist mir ganz einerlei! Ich hab' sie lieb wie eine Mutter.«

Prinz Schwarzenberg lächelte wohlwollend. »Das ist aller Ehre wert. Dann hast du dich in ihren Dienst gestellt und strebst es an, ihr Handwerk zu erlernen?« Der feine Ton von Ironie in seiner Stimme entging Anna nicht. Sie wünschte, entfliehen zu können, denn sie wur­de den Eindruck nicht los, dass der Prinz sich über sie lustig machte.

»Was sie tut, ist eine Gabe Gottes. Ich werde ihr Können höch­stens imitieren, nie aber erreichen können. Und nun entschuldigt mich, Durchlaucht, es steht mir nicht an, mich länger mit euch zu unterhal­ten.«

»Nicht so schnell, schönes Kind.« Prinz Maximilians Blick ruhte mit Wohlgefallen auf Anna. »Ich wüsste es zu schätzen, wenn du mir ein wenig Gesellschaft leisten könntest. Deine Ziehmutter ist sicher an­derweitig beschäftigt und bedarf deiner nicht.«

Eine jähe Röte schoss in die Wangen des schönen Mädchens, eh es wie ermattet erbleichte. Mit niedergeschlagenen Lidern eilte Anna davon und würdigte den Prinzen keines Blickes mehr. Sie wusste, dass die Sitten an den Fürstenhöfen lockerer geworden waren. Miranda hatte sie des Öfteren davor gewarnt, gut aussehenden Galanen auf den Leim zu gehen. Dass aber sogar der Prinz sich dermaßen dreist verhalten könnte, damit hatte Anna nicht gerechnet. Sie empfand Em­pörung, aber auch Enttäuschung. Denn sie hatte dem hohen Herrn nur die besten Charaktereigenschaften zugeschrieben. Dass sein Vorschlag durchaus nicht zweideutig gemeint war, konnte das unerfahrene Mäd­chen ja nicht ahnen.

Prinz Maximilian aber lächelte still in sich hinein, während er Anna hinterher schaute. Dieses Mädchen musste er unbedingt wieder sehen. Sie hatte im ersten Moment sein Herz berührt.

*

Fürstin Luise von Schwarzenberg blickte die Pestheilerin lange ruhig an. Sie war eine sehr schöne Frau mit edlem Profil und klaren, beseel­

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ten Augen. Das goldglänzende Haar umrahmte ihr Antlitz wie ein kost­barer Schleier. Seit sie erkrankt war, hatte sie an Gewicht verloren, ein leidender Zug lag um ihren Mund. Doch sie hatte nichts von ihrer ed­len Anmut verloren. Und als sie nun sprach, klang ihre Stimme ange­nehm weich und melodiös.

»Miranda, man spricht viel Gutes aber auch viel Schlechtes über dich. Was ist die Wahrheit? Ich möchte sie von dir selbst erfahren.«

»Ich kann mich selbst weder loben noch verdammen«, erwiderte die Angesprochene diplomatisch. »Doch ich möchte versuchen, Euer Leiden zu mildern. Wenn mir das gelingt, so mögen diejenigen, die schlecht von mir sprechen, für eine Weile schweigen.«

Die Fürstin lächelte matt. »Du hast eine Silberzunge. Aber auch ein Herz aus Gold?«

»Ich bin keine gute Samariterin. Was ich vom Heilen verstehe, nütze ich für meinen Lebensunterhalt und den meiner Tochter.«

»So bist du auch Mutter? Und dein Mann, lebt er noch?« »Anna Landurius ist mein Ziehkind. Ich selbst habe mich nie zuvor

an einen anderen Menschen angebunden«, erklärte sie offen. »Anna hat beide Eltern im Krieg verloren. Sie war ein spindeldürres Gespenst, als ich sie auflas. Heute ist sie mir eine fleißige Hilfe und gelehrige Schülerin.«

»So willst du dein Handwerk weitergeben?« »Das liegt in Gottes Hand. Und heut zu tag sollte man nicht weiter

denken als bis zum nächsten Tag«, sinnierte sie weise. »Doch ich bin nicht hier, um von mir zu sprechen. Ich möchte Euch helfen, Durch­laucht. Mögt Ihr mir Eure Beschwerden nun schildern, dass ich eine Tinktur herstellen kann, um zu kurieren?«

Die Fürstin fasste Vertrauen zu Miranda. Obwohl sie zunächst skeptisch gewesen war, als ihr Mann vorgeschlagen hatte, die Pesthei­lerin kommen zu lassen, schien es ihr nun doch so, als genieße diese Frau zu Recht einen besonderen Ruf. Fürstin Luise berichtete offen über ihr Leiden, ihre Beschwerden und die fruchtlosen Versuche der Hofärzte, ihr zu helfen.

Miranda hörte aufmerksam zu. Schließlich nickte sie und erklärte: »Ich glaube nicht, dass es der Schwarze Tod ist. Eure Erkrankung

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gleicht einem Fieber, das mir in letzter Zeit schon des Öfteren be­gegnet ist.«

»Dann glaubst du, es ist nicht so gefährlich?« »Nun, das kann ich nicht sagen. Aber ich werde mich gleich an die

Arbeit machen und einige Kräuter sammeln. Ich kenne ein Rezept, das Eure Beschwerden rasch lindern wird.«

»Du machst mir Hoffnungen. Aber kannst du sie auch erfüllen?« »Ich denke schon. Vertraut mir, Durchlaucht. Ich will Euch helfen,

Eure Gesundheit wiederzuerlangen.« Die Fürstin lächelte angedeutet. »Ich möchte dir fast glauben. Du

hast einen guten Eindruck auf mich gemacht, Miranda. Nun bin ich auf deine Künste gespannt. Lass mich nicht zu lange warten, denn ich habe es durchaus eilig mit dem Gesundwerden.«

»Ich will mein Möglichstes tun, Durchlaucht«, versprach sie demü­tig und zog sich gleich darauf zurück. Nun hieß es, rasch handeln. Die Fürstin vertraute ihr, das hieß, Miranda hatte in Bamberg einen besse­ren Start erwischt, als sie es sich erhofft hatte. Wenn es ihr nun ge­lang, ihre Künste richtig einzusetzen, würde sie dadurch ihre Gegner vielleicht für eine Weile zum Schweigen bringen. Eines aber schien klar: Der Reichsgraf von Bernau würde nicht von ihrer Spur weichen. Der erklärte Hexenjäger wollte sie unbedingt auf dem Scheiterhaufen sehen. Doch dazu sollte es nie kommen, wenn Miranda dies zu verhin­dern wusste...

*

Anna hatte das Schloss bereits verlassen. In ihrer Eile war sie bis in die Stadt hinunter gelaufen, denn sie wollte dem Prinzen unbedingt ent­kommen. Dass er ihr gar nicht folgte, bemerkte sie erst nach einer ganzen Weile. Und als Miranda dann auftauchte, musste das schöne Mädchen sich auch noch eine Strafpredigt anhören, weil es einfach verschwunden war.

»Ich kann es nicht leiden, wenn du davonläufst wie ein dummes Kind«, schimpfte die Pestheilerin verärgert. »Die Fürstin bedarf meiner

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Heilkünste. Und du musst mir Kräuter sammeln, also los, rasch, zur Schenke und den Sammelkorb geholt.«

»Aber ich bin nicht aus freien Stücken davongelaufen«, rechtfer­tigte Anna sich. »Der Prinz...«

Miranda hatte für ihre Erklärungen allerdings kein Ohr. Sie ging in Gedanken bereits die nötige Rezeptur für eine heilkräftige Medizin durch und achtete nicht auf das, was Anna sagte. So verstummte das schöne Mädchen schließlich und machte sich wenig später daran, die nötigen Zutaten für die Medizin zu sammeln, die ihre Ziehmutter noch an diesem Tag herstellen wollte. Dabei ging ihr die Begegnung mit dem Prinzen von Schwarzenberg nicht aus dem Sinn. Er hatte einen so hervorragenden Eindruck auf sie gemacht und schien doch nur ein liebeshungriger Galan zu sein, der darauf ausging, junge Maiden zu verführen. Anna konnte kaum begreifen, warum ihr diese Erkenntnis eine so große Enttäuschung bereitete...

Doch es hatte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Nachdem das schöne Mädchen alle Kräuter beisammen hatte, kehrte es rasch in die Schenke zurück, wo Miranda bereits ungeduldig warte­te. In den nun folgenden Stunden hatte Anna keine Gelegenheit mehr, sich über Prinz Maximilian Gedanken zu machen. Sie musste Miranda zur Hand gehen und durfte sich keinen Patzer erlauben. Die Ziehmut­ter nahm ihre Kunst sehr ernst, da wurde nicht geschludert. Der Abend kam bereits, als ein kleines Fläschchen mit einem fast klaren Destillat abgefüllt war.

»Wirst du es gleich der Fürstin bringen?«, fragte Anna, doch ihre Ziehmutter schüttelte den Kopf.

»Noch nicht. Es muss über Nacht durchziehen. Morgen in aller Frühe werde ich zum Schloss gehen.« Sie maß ihre Helferin mit einem strengen Blick. »Willst du mich begleiten oder lieber hier bleiben?«

Nun war Anna doch überrascht. »Wieso sollte ich hier bleiben wol­len?«

»Nun, ich dachte, du hattest ein unangenehmes Erlebnis im Schloss. Oder warum sonst bist du Hals über Kopf davongelaufen?« Wieder einmal zeigte sich, dass Miranda über einen scharfen Verstand und eine ebensolche Beobachtungsgabe verfügte.

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Anna senkte betreten den Kopf. »Ich... habe mit dem Prinzen von Schwarzenberg gesprochen«, gab sie leise zu.

Miranda riss die Augen auf. »Was? Das ist ja nicht zu fassen!« »Ja, er... kam vorbei, als ich auf dich wartete. Er stellte mir ein

paar Fragen, die ich ja der Höflichkeit halber nicht unbeantwortet las­sen konnte. Und dann...« Sie schluckte, konnte nicht weiter sprechen, denn der Gedanke an die Worte des Prinzen trieb ihr erneut die Schamröte ins Gesicht.

Miranda war neugierig. »Nun sprich schon! Was wollte er von dir? Wenn du diese ganze Geschichte nicht erfunden hast, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass der Sohn des Landesfürsten sich mit einer einfachen Dienstmagd unterhält.«

»Es ist die Wahrheit!«, bestand Anna mit fester Stimme. »Er woll­te, dass ich ihm Gesellschaft leiste. Da bin ich auf und davon!« Sie reckte sich stolz. »Ich mag arm sein und nichts besitzen als die weni­gen Kleider, die ich am Leib trage. Aber das heißt nicht, dass ich tun muss, was immer ein Edelmann verlangt. Nicht wahr, so hast du es mich doch gelehrt!«

Miranda machte eine nachdenkliche Miene. »Ich glaube, du hast den Prinzen falsch verstanden. Vermutlich wollte er sich in der Tat nur mit dir unterhalten. Es ist nicht die Art der Schwarzenbergs, den Nächsten so wenig zu achten.«

»Dann... hätte ich nicht fortlaufen sollen?« Anna war nun ganz verwirrt. Schließlich hatte sie sich nur an das gehalten, was Miranda sie gelehrt hatte. Und nun sollte das auch wieder verkehrt sein?

»Es ist schon gut, mache dir deswegen keine weiteren Sorgen«, riet die Ziehmutter dem Mädchen schließlich beschwichtigend. »Gewiss hat der Prinz diesen kleinen Zwischenfall längst vergessen. Und wenn du ihm wieder begegnen solltest, wirst du an seinem Verhalten sicher feststellen können, wie es gemeint war...«

Anna nickte nachdenklich. Sie fühlte sich recht töricht und uner­fahren in diesen Dingen. Obwohl sie schon an vielen Fürstenhöfen gewesen waren, hatte Miranda Anna doch nie wirklich auf den Um­gang mit den hohen Herrschaften vorbereitet. Sie hielt das wohl nicht für nötig, schließlich war das Mädchen nur ihre Gehilfin, die Be­

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handlungen führte die Pestheilerin ganz allein durch. Zugleich fragte Anna sich aber, wie sie sich verhalten sollte, wenn Prinz Maximilian noch einmal das Wort an sie richtete. Gerne hätte sie Miranda danach gefragt, doch diese schien das Thema als beendet anzusehen.

*

Wenige Tage waren vergangen. Fürstin Luise fühlte sich bereits ein bisschen besser, was sie nicht allein der Behandlung durch Miranda zu­schrieb, sondern auch der angenehmen Gesellschaft Annas. Nachdem sie die Gehilfin der Pestheilerin kennen gelernt hatte, war sie sehr an­getan von dem schönen klugen Mädchen und sah es gerne, wenn die­ses sich in ihrer Nähe aufhielt. Dass auch Prinz Maximilian manches Mal wie zufällig auftauchte, wenn die beiden Frauen sich im Schloss befanden, blieb seiner Mutter freilich nicht verborgen.

Anna gab sich sehr zurückhaltend, sie schämte sich noch für ihr törichtes Weglaufen. Doch der junge Hochadlige schien dies bereits vergessen zu haben. Er behandelte das schöne Mädchen freundlich und so respektvoll, als habe er eine Gleichgestellte vor sich. Während Anna dies nur widerstrebend und beschämt hinnahm, fragte die Für­stin ihren Sohn eines Morgens: »Was ist das nur zwischen dir und die­ser Anna? Du wirst doch dein Herz nicht an das Mädchen verloren ha­ben?«

Der Prinz lächelte schmal. »Mama, Ihr werdet mir langsam un­heimlich. Wie es scheint, ist kein Geheimnis vor Euch sicher.«

»So ist es wahr?« Fürstin Luise wusste nicht recht, wie sie reagie­ren sollte. Sie kannte natürlich das Ungestüm der Jugend und die ro­mantischen Anwandlungen, die damit einhergingen. Dass der junge Prinz nur auf die Schönheit schaute und alles andere außer acht ließ, war ein Privileg seiner jungen Jahre. Doch die Mutter sah sich ge­zwungen, ihn auch an seine Pflichten als einzigen Sohn des Fürsten Schwarzenberg zu erinnern.

»Liebste Mama, diese Anna ist eine wunderbare Maid«, schwärm­te der junge Mann arglos. »Als ich zum ersten Mal in ihre schönen Au­

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gen sah, war es um mein Herz geschehen. Und so sehr ich auch mit mir kämpfe, die Stimme der Liebe will nicht schweigen!«

»So weiß das Mädchen um deine Neigungen?« »Nein, gewiss nicht. Ein dummes Missverständnis steht zwischen

uns. Sie meidet mich, denn sie glaubt, einen Bewerber nur um ihre süße Gunst vor sich zu haben.«

»Und du gehst darauf aus, dies Missverständnis aufzuklären?« »Mama, Ihr versteht mich doch! Wie oft musste ich eine Heirat

ablehnen, die von Diplomaten und Taktierern ersonnen wurde, bloß um unseren Besitz zu mehren und unsere politische Stellung zu festi­gen. Doch ich habe mir geschworen, mein Herz nie ohne Liebe zu ver­schenken.«

»Und nun ist dies geschehen?« »Anna hat mein Herz berührt. Aber ich werde ihr nicht zu nahe

treten, wenn sie es nicht will. Ich kann warten.« Die Fürstin seufzte bekümmert. »Mein lieber Junge, ich fürchte,

du verrennst dich. Anna mag für dich der Liebreiz persönlich sein. Und ich will deine Gefühle nicht schlechtmachen, denn ich selbst mag die­ses Mädchen. Doch zur Fürstin von Bamberg taugt dies Bettelkind ge­wiss nicht.«

»Mama, ich bitte Euch! Vater und Ihr, ihr werdet noch lange Jahre dem Fürstentum vorstehen. Bis zu meiner Berufung wird viel Zeit ver­gehen. Und ein kluges Kind wie Anna kann lernen. Ich sehe nicht, dass darum hier die Erblinie enden muss.«

Fürstin Luise schwieg eine ganze Weile nachdenklich. Sie wusste, dass ihr Sohn kein unbesonnener Mensch war. Was er sagte, war sei­ne Meinung. Und gerade in Liebesdingen hatte Prinz Maximilian sich bislang eher zurückhaltend gegeben. Deshalb bat sie ihn nun ernst­haft: »Wenn du wirklich an eine Bindung denkst, so überstürze nichts. Sei besonnen, selbst im Sturm der Leidenschaft. Ich weiß, das ist nicht einfach. Doch du bist der Einzige, der uns geblieben ist. Die Erblast ruht auf deinen Schultern. Bitte, vergiss dies nicht.«

Prinz Maximilian lächelte seiner Mutter herzlich zu.

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»Ich danke für Euer Verständnis. Und ich sehe, es geht Euch be­reits viel besser. Wie es scheint, hat uns der Himmel Miranda und An-na geschickt...«

Als die Pestheilerin an diesem Tag nach ihrer Patientin sah, war Anna nicht bei ihr. Fürstin Luise fragte gleich nach dem Mädchen, woraufhin Miranda sie wissen ließ: »Anna ist draußen, vor den Stadt­toren und sammelt Kräuter.«

»Eigenartig, dass im Herbst noch soviel wächst und gedeiht«, sin­nierte die Fürstin nachdenklich.

»Nun, es sind nicht mehr viele Kräuter grün zu dieser Zeit im Jahr, das stimmt«, gab Miranda zu. »Doch ich verwende auch getrocknete Pflanzenteile und vor allem Samen und Wurzeln. Sie tragen die heil­kräftigen Stoffe in sehr hohem Maße in sich.«

»Du bist eine kluge Frau«, lobte Luise mild. »Sag, was weißt du von Anna? Woher stammt sie? Wer waren ihre Eltern?«

Die Pestheilerin wunderte sich ein wenig über das plötzliche In­teresse ihrer Patientin an dem Mädchen. Zumal sie nicht viel über An-na zu sagen wusste. Doch für die Fürstin schien alles von Interesse und Belang zu sein, was mit Anna zu tun hatte. Sie lauschte aufmerk­sam ihren Worten und urteilte schließlich: »Sie ist ein besonderes Mädchen. Achte gut auf sie, denn ich fürchte, in diesen Zeiten ist auch sie vor den Unbilden des Schicksals nicht gefeit.«

»Sie ist mir wie eine Tochter. Ich habe immer ein wachsames Au­ge auf sie«, versicherte Miranda, nun doch irritiert. »Es steht mir wohl nicht zu, nach Euren Gründen zu fragen, Durchlaucht. Doch ich würde gerne erfahren, was es mit Eurer Besorgnis um Anna auf sich hat.«

Die Fürstin lächelte milde, doch ihre Worte waren weniger freund­lich. »Dies steht dir tatsächlich nicht zu, Miranda.«

»Wie Ihr meint.« Sie neigte ehrfürchtig das Haupt und verließ we­nig später die Gemächer der Fürstin. Lange blieb Luise allerdings nicht allein, denn ihr Gemahl erschien kurze Zeit später, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.

»Ihr seht wohl aus, meine Liebe. So war es vielleicht doch nicht ganz falsch, die Miranda kommen zu lassen«, stellte Fürst August ein wenig selbstgefällig fest.

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Seine Frau schmunzelte. »Als ob es Euch schon einmal in den Sinn gekommen wäre, eine falsche Entscheidung zu treffen.«

»Ihr schmeichelt mir.« Er ließ sich nahe ihrer Bettstatt auf einem Sessel nieder und fragte: »Oder stört es Euch, wenn ich eine Weile bleibe und Euch Gesellschaft leiste?«

»Durchaus nicht. Ich genieße es.« Fürstin Luise zögerte nur kurz, dann wollte sie von ihrem Gemahl wissen: »Ist Euch vielleicht zu Oh­ren gekommen, dass Maximilian sein Herz verschenken möchte? Hat er mit Euch gesprochen oder...«

»Das höre ich zum ersten Mal. Doch ich kann nicht behaupten, dass es mir missfallen würde. Der Bursche ist im rechten Alter, eine lange Liste geeigneter Partien liegt bereit. Es soll mir recht sein, wenn er uns bald Erben schafft.« Er lächelte.

Die Fürstin bedachte ihn mit einem nachsichtigen Blick. »Euer Wohlwollen wird womöglich auf eine harte Probe gestellt. Denn Maxi­milians Herz fragt nicht unbedingt nach Stand und Herkunft. Er äußer­te im Gegenteil, dass es ihm bei der Eheschließung nur um die Liebe bestellt sei...«

»Firlefanz! Der Bursche hängt Jugendidolen nach, die er besser bald aufgeben würde. Ich denke, ich werde einmal streng mit ihm sprechen. Am besten noch heut.«

»Ob das viel nützen wird?«, zweifelte die Fürstin. »Ihr kennt doch das Ungestüm der Jugend. Im Allgemeinen stößt es sich die Hörner ab, bevor ernste Schäden entstehen. Wird es aber vor der Zeit nieder­gedrückt, mag es seltsame Blüten treiben.«

Fürst August musterte seine Gattin irritiert. »Wollt Ihr mir etwa ra­ten, mich nicht einzumischen? Dann wäre ich ein schlechter Vater und ein schlechter Landesvater noch dazu.«

»Nun, ich rate zur Diplomatie. Ich weiß, davon haltet Ihr nicht viel. Doch es wäre in diesem Fall gewiss das Beste.«

»Ich werde mit Maximilian reden«, beschloss der Fürst mit grim­miger Miene. »Er muss auf der Stelle zur Vernunft kommen und sich daran erinnern, wo sein Platz im Leben ist...«

*

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Prinz Maximilian wusste sehr gut, wo sein Platz im Leben war; zumin­dest momentan. Er hatte das fürstliche Schloss und auch die Stadt­mauern hinter sich gelassen, um nach Anna Ausschau zu halten. Dass sie ganz allein unterwegs war, wollte ihm gar nicht gefallen. Schließlich setzte sie sich auf diese Weise einer ganzen Reihe von Gefahren aus, die nicht zu unterschätzen waren. Allein die herumvagabundierenden Söldner, entwurzelt und enthemmt, konnten als tödliche Bedrohung für das Mädchen angesehen werden.

Natürlich war auch der Prinz Schwarzenberg nicht ganz allein un­terwegs. Sitte und Anstand geboten es, dass der junge Edelmann stets von seinem Diener Karl begleitet wurde. Und dieser war es dann auch, der Anna entdeckte. Sie kniete an einem Feldrain und pflückte dürre Stängel einer Pflanze, die sehr unscheinbar wirkte. Der Prinz schickte seinen Diener zu ihr und ließ sie durch ihn wissen, dass er ihr gerne seinen Schutz gewähren würde.

Anna errötete, als sie den Prinzen, mit dem sich ihre romantischen Gedanken unablässig beschäftigten, leibhaftig vor sich sah. Mit ge­senktem Haupt ließ sie Karl wissen: »Das ist nicht nötig, ich bin immer allein unterwegs, wenn ich Kräuter sammle. Und bislang ist mir nichts zugestoßen. Ich danke deinem Herren aber trotzdem für seine Freund­lichkeit.«

Damit wollte Maximilian von Schwarzenberg sich jedoch nicht zu­frieden geben. Er saß kurzerhand ab und ging, Karl bei den Pferden zurücklassend, auf Anna zu. Diese blickte ihm fragend und auch ängst­lich entgegen. Er bemerkte es und bat: »Du sollst doch keine Scheu vor mir haben, mein schönes Kind. Schon des Öfteren sind wir beide uns im Gemach meiner Mutter begegnet. Und nie habe ich dir Grund gegeben, mich zu fürchten. Oder spreche ich vielleicht nicht die Wahr­heit?«

»Ich würde es nicht wagen, Euch einer Lüge zu zeihen. Aber ich habe auch keinen Grund dazu. Trotzdem ist es nicht recht, dass Ihr Euch hier bei mir aufhaltet.«

»Aber warum denn nicht? Ich habe dir bereits angeboten, dir Schloss und Park zu zeigen, damit du ein wenig heimisch auf Schwar­

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zenberg wirst. Das hast du leider abgelehnt, so muss ich nun zu dir kommen, um dir Gesellschaft leisten zu können.«

»Aber, ich bitte Euch, Durchlaucht! Es besteht kein Grund für mich, auf Eurem Stammschloss heimisch zu werden. Sobald Miranda ihre Aufgabe hier erfüllt hat, werden wir weiterziehen und...« Sie wich seinem Blick aus, der ihr Herz in Aufruhr versetzte. »Und dann solltet Ihr auch Eure Zeit nicht mit mir verbringen. Das verbieten Sitte und Anstand.«

»So? Nun, wenn das der Fall ist, so meine ich, dass Sitte und An­stand wenig taugen.« Er griff nach ihren schlanken Händen und nahm sie fest in seine. Sein Blick zwang sie. »Ich möchte in deiner Nähe sein, Anna, denn du bist etwas ganz Besonderes für mich. Willst du mir das glauben?«

»Bitte, sprecht nicht weiter!« Sie machte sich hastig von ihm los, raffte ihren Korb auf und lief davon, so schnell ihre Beine sie tragen konnten.

Maximilian blickte ihr bekümmert hinterher. Bereits zum zweiten Mal ging sie ihm auf und davon. Und dabei wünschte er sich doch nichts sehnlicher, als in ihrer Gesellschaft zu sein.

Es schenkte ihm ein ungeahntes Gefühl des Genusses und Wohl­befindens, sie nur zu betrachten, ihre fleißigen Hände sich regen zu sehen und zugleich im Geiste ihr edles Haupt unter die Fürstenkrone zu träumen...

»Was habe ich denn falsch gemacht?«, sinnierte er und schaute dabei Karl fragend an. Der Diener war nicht mehr ganz jung und ver­fügte über einen gesunden Menschenverstand. In diesem Falle aber endete auch seine Weisheit.

»Ihr solltet Euch nicht zu offensichtlich um das Mädchen bemü­hen, Durchlaucht«, merkte er vorsichtig an. »Es könnte ein falscher Eindruck entstehen und...«

»Ich bitte dich, Karl! Was die Hofschranzen denken, ist mir ei­nerlei. Ich rede nur von Anna. Habe ich sie erschreckt? Aber wie kann ich denn noch behutsamer vorgehen? Dieses wunderbare Menschen­kind stellt mich vor ein unlösbares Rätsel.«

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Karl dachte kurz nach, ehe er erwiderte: »Sie sieht vielleicht die Wirklichkeit so, wie sie ist und nicht verschwommen durch den Schlei­er der Leidenschaft...«

Prinz Maximilian seufzte leise und bedachte seinen Diener mit ei­nem unwilligen Blick. »Du rätst mir also auch, Anna zu vergessen. A­ber das kann ich nicht. Mein Herz ist ihr Gefangener. Nur sie allein kann mich von den Qualen der Sehnsucht befreien...«

*

Anna saß wie träumend in der kleinen gemieteten Kammer auf dem rauen Holzfußboden und sortierte die Kräuter die sie gesammelt hatte. Als Miranda vom Fürstenhof zurückkehrte, nahm sie dies kaum wahr. Sie schien mit den Gedanken ganz weit fort...

»Was ist dir? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen«, scherzte die Pestheilerin grob. »Nun rede schon, Mädchen, was ist geschehen?«

»Prinz Maximilian war bei mir, als ich Kräuter gesammelt habe.« Sie atmete tief. »Ich glaube, er hat mich gern. Seine Worte haben mich verwirrt, aber ich war auch so glücklich...«

Miranda musterte ihre Ziehtochter streng. Sie musste an die War­nungen der Fürstin denken, gut auf das schöne Kind zu achten. Moch­te dies bereits eine der Unbilden des Schicksals sein, von denen sie gesprochen hatte?

»Was ist zwischen euch geschehen?«, fragte Miranda streng. Das jähe Erröten Annas erschien ihr alarmierend. »Du wirst doch keine Dummheiten begangen haben?«

»Um Himmels willen, nein! Er sprach nur zu mir. Dann bin ich fort, weil ich mich vor meinen eigenen Gefühlen fürchtete.« Sie warf ihrem Gegenüber einen unsicheren Blick zu. »Was soll ich sagen? Ich glaube, ich liebe den Prinzen. Aber er darf dies niemals erfahren. Es kann kei­ne Erfüllung für diese Sehnsucht geben, die immer nur ein Traum blei­ben wird, nicht wahr?«

Mirandas ernste Miene entspannte sich ein wenig. »Ich sehe, du hast den Verstand noch nicht ganz verloren. Das freut mich. Allerdings

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muss ich dich warnen, mein Kind: Gehe dem Prinzen von nun an aus dem Wege, meide seine Nähe. Ich will dir ein trauriges Schicksal er­sparen. Denn wenn seine Jagdlust befriedigt ist, wird er sicher alle Aufmerksamkeit für dich vermissen lassen und dich womöglich mit einem Bastard unter dem Herzen verstoßen.«

»Aber, nein, so ist er nicht«, rief Anna daraufhin hitzig. »Er ist von edler Gesinnung, das ist nicht gelogen! Die ganze Zeit hat er nur mit mir gesprochen, mich niemals bedrängt...«

»Mag sein, du hast recht. Doch es könnte auch sein, dass er nur versucht, dein Vertrauen zu stehlen«, gab Miranda zu bedenken. »Du musst vorsichtig sein. Meide seine Nähe, das rate ich dir gut! Für die Zeit, die uns hier noch bleibt, sei stets in meiner Gesellschaft. Dann kann dir nichts geschehen.«

»Ja, das will ich«, versprach das schöne Mädchen betrübt. Dass die Ziehmutter den Prinzen als so wenig vertrauenswürdig betrachtete, tat ihr weh. Anna meinte, es mittlerweile besser zu wissen. Doch ihr war auch klar, dass all ihre Träume sich nie erfüllen durften...

Am anderen Morgen lag die Fürstin matt danieder. Sie hatte eine unruhige Nacht hinter sich und bereits sehr früh Besuch empfangen. Als Miranda in Annas Begleitung erschien, schickte sie das Mädchen zunächst wieder hinaus. Die Pestheilerin verabreichte Fürstin Luise einen Trank, der ihr half, sich zu entspannen. Erst dann richtete sie das Wort an Miranda: »Dir bleibt hier nicht viel Zeit. Ich habe aus zu­verlässiger Quelle erfahren, dass die Inquisition auf deiner Spur ist.«

Hatte die Fürstin erwartet, dass Miranda sich entsetzen würde, sie sah sich getäuscht. Gelassen erwiderte sie: »Das ist für mich nicht neu. Man zweifelt schon lange an dem, was ich tue. Und es finden sich immer wieder Menschen, die meine Fähigkeiten als das Werk des Teu­fels herabwürdigen.«

»Du bist tapfer. Doch wird dir das auch auf der Folter helfen?«, gab Luise zu bedenken.

Nun zuckte es doch um den Mund der dunkelhaarigen Frau. Mit leiser Stimme wollte sie wissen: »Habt Ihr Grund zu der Annahme, dass ich beizeiten dort enden werde?«

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»Ein Bote aus Würzburg brachte am Morgen Depeschen und auch allerlei Neuigkeiten. Es heißt, der Reichsgraf Gunter von Bernau ist dir auf den Fersen. Du hast von ihm gehört?«

Miranda richtete sich hoch auf. Stolz klang ihre Stimme, aber auch bitter, als sie erwiderte: »Er hasst den Tod, der ihm Frau und Kinder raubte. Und er sucht, ihn so lange weiterzugeben, bis der brennende Schmerz in seiner Brust vergeht. Doch ich fürchte, das wird nie ge­schehen. Rache ist ein schlechter Balsam für ein gebrochenes Herz.«

»Du bist eine kluge Frau. Auch klug genug, zu gehen, solange noch Zeit ist?« Die Fürstin musterte ihr Gegenüber ernst. »Denke an Anna. Willst du, dass sie durch Engstirnigkeit und Verblendung ihr jun­ges Leben verliert und auf dem Scheiterhaufen mit dir verbrennt?«

Zum ersten Mal, seit Fürstin Luise die Pestheilerin kannte, geriet diese außer Fassung. Mit einem unterdrückten Schluchzen stieß sie aus: »Das darf niemals geschehen! Das Mädchen bedeutet mir mehr als mein Leben. Auch wenn sie nicht mein eigenes Kind ist, so liebe ich sie doch wie eine Mutter. Und ich werde alles tun, um sie zu schüt­zen.«

»Doch vielleicht kann dir das nicht gelingen. Wenn Bernau auf­taucht, ist es zu spät. Er ist unerbittlich. Und er kennt deine Gehilfin. Sie wird seiner Rache nicht entgehen.«

»Aber was kann ich tun?« Miranda wirkte verzweifelt. »Bitte, Durchlaucht, hochgnädige Frau, sagt mir, wie ich Anna schützen soll. Mein eigenes Leben setze ich freiwillig aufs Spiel. Doch das Mädchen, es ist unschuldig...«

Die Fürstin überlegte einen Moment lang, dann bot sie an: »Blei­be, solange ich deiner bedarf. Hier im Schloss bist du sicher. Und falls die Häscher unvermutet erscheinen, will ich dir helfen, zu entfliehen.«

»Oh, Durchlaucht, das kann ich nicht annehmen. Ihr tut so viel für mich und ich kann es Euch nur so schlecht vergelten...«

»Du hast mir bereits viel Linderung meines Leidens verschafft. Da­für stehe ich in deiner Schuld«, stellte die Fürstin klar. »Und bedenke, wenn ich dir helfe, so tue ich es auch für das Mädchen, das mir in der Zwischenzeit lieb und teuer geworden ist. Aber nun geh, ich brauche Ruhe.«

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Miranda verabschiedete sich umgehend. Die Worte der Fürstin hatten sie alarmiert. Sie musste sogleich mit Anna reden, sie warnen! Wenn Bernau tatsächlich im Anmarsch war, dann mussten sie be­ständig auf der Hut sein. Und jederzeit bereit, zu fliehen...

Doch als Miranda die kleine Kammer in der Schenke betrat, fand sie diese leer. Anna war nicht da. Wo mochte sie nur sein?

*

Fürstin Luise hatte lange mit sich gerungen, sich schließlich aber doch entschieden, ihrem Sohn von den Neuigkeiten aus Würzburg zu erzäh­len. Wie nicht anders erwartet, war Prinz Maximilian sofort auf und davon. Und seine Mutter konnte sich lebhaft vorstellen, wohin respek­tive zu wem er wollte. Tatsächlich fand der junge Edelmann das Mäd­chen, dem sein Herz gehörte, wieder vor den Stadttoren. Doch dieses Mal sammelte Anna keine Kräuter. Sie unternahm einen Spaziergang, um sich innerlich zu sammeln. Miranda hatte ihr verboten, den Prinzen wieder zu sehen. Das war für sie nicht leicht, schließlich sehnte ihr Herz sich nach ihm. Doch sie wusste auch, dass sie der Ziehmutter ge­horchen musste. Und bis jetzt hatte Miranda noch immer Recht behal­ten...

Als ein Reiter sich ihr näherte, blickte sie erschrocken auf. Doch die Angst vor einem unberechenbaren Fremden wich rasch der viel greifbareren Furcht vor dem Edelmann, der ihr Herz gestohlen hatte, den sie aber nicht lieb haben durfte. Sie versuchte, ihm auszukommen, doch er erreichte sie und sprang direkt vor ihr vom Pferd. Anna schrie erschrocken auf und wollte fortlaufen, aber der Prinz ließ sie nicht ge­hen. Er packte sie grob bei den Oberarmen und herrschte sie an: »Nun höre einmal auf mit den albernen Grillen! Ich bin aus Sorge um dich hier. Ganz gewiss hast du von mir nichts Schlechtes zu erwarten!«

Seine Worte ließen sie ein wenig ruhiger werden. Und als er sie freigab, murmelte sie: »Es ist nicht recht, dass Ihr hier seid. Meine Mutter hat mir verboten, mit Euch zu sprechen.«

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»Wieso das? Was hat denn das zu bedeuten? Ich frage mich, wa­rum ich bei euch beiden so schlecht angeschrieben bin. Nun, willst du es mir nicht verraten?«

Sie senkte den Blick und meinte ausweichend: »Ihr solltet nicht hier sein. Es ist falsch.«

»Du schwebst in Gefahr, Anna. Weißt du nichts von dem Reichs­grafen Bernau, der hinter deiner Ziehmutter her ist, wie der Teufel hinter der armen Seele? Er hat Wind davon bekommen, dass ihr beide euch in Bamberg aufhaltet.«

»O nein!« Sie wich mit angsterfüllter Miene zurück, die Erinnerung an ihre Flucht aus Würzburg trat noch einmal überdeutlich vor ihr geis­tiges Auge. Miranda hatte ihr eingeschärft, sich vor keiner anderen lebenden Seele so sehr in acht zu nehmen wie vor Gunter von Bernau. Und die Vorstellung, dass er vielleicht bereits auf dem Weg nach Bam­berg war, versetzte Anna in Panik.

»Du musst dich nicht fürchten«, hörte sie den Prinzen beruhigend sagen. »Ich werde dich beschützen. Niemand kann dir etwas anhaben, wenn du unter meinem Schütze stehst.«

»Aber das... darf ich nicht annehmen.« Sie warf ihm einen scheu­en Blick zu. »Ich gehöre zu Miranda. Sicher werden wir Bamberg nun verlassen müssen. Und ich kann sie nicht im Stich lassen, das wäre einfach nicht recht!«

»Glaubst du wirklich, dieser Frau soviel zu schulden?«, fragte Ma­ximilian sie geduldig. »Denke einmal darüber nach, dass du nun kein Kind mehr bist. Dein Leben und das ihre sind nicht mehr auf Gedeih und Verderb aneinandergekettet. Wenn du es nur willst, so könnte für dich alles anders werden. Reiche mir die Hand und ich will dich ein Leben lang beschützen.«

»Nein, das darf nicht sein!« Anna schüttelte heftig den Kopf. Sie dachte nicht nur an die Warnungen Mirandas, sie ahnte selbst, dass eine solche Liebe auf tönernen Füßen stehen musste.

»Anna, sei nicht dumm!« Der Prinz machte einen Schritt auf sie zu und streckte ihr die Hand hin. »Spürst du nicht, dass wir zueinander gehören? Hast du denn nicht den Mut, an diese Liebe zu glauben?«

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Er sprach von Liebe zu ihr! Wie sehr hatte sie sich das gewünscht, ersehnt... Und doch konnte es nichts anderes sein, als ein schöner Traum. Wenn Prinz Maximilian schon nicht vernünftig sein wollte, Anna musste es sein. Denn es war doch unmöglich...

Das schöne Mädchen straffte sich, so kühl und distanziert wie es Annas wild pochendes Herz erlaubte, erwiderte sie: »Ich begreife Eure Worte nicht, Durchlaucht. Und ich nehme es Euch zudem übel, dass Ihr mit meinen Gefühlen spielt. Liebe, ein Wort, das ihr mir gegenüber nicht benutzen dürft ohne ungerecht zu werden, kann doch zudem nichts anderes meinen als gottlose Wollust. Doch ich bin keine Stra­ßendirne und ich sehe es als unter Eurem Stande an, mich so zu be­trachten. Lebt deshalb wohl. Ich muss Euch dringend ersuchen, mich von nun an zu meiden.« Sie wandte sich ab, konnte nicht mehr in sein bestürztes Gesicht sehen, denn sie spürte zu deutlich, wie sehr sie ihn verletzt hatte. Und dabei träumten sie doch beide den gleichen Traum...

»Anna, geh nicht so fort«, bat Prinz Maximilian sie mit bedrückter Stimme. »Ich habe niemals unlautere Absichten dir gegenüber gehegt, das musst du mir glauben. Ich liebe dich...«

Sie lief davon, so schnell sie konnte, denn was er sagte, brach ihr fast das Herz. Sie wusste, dass er sie liebte. Und sie empfand das glei­che. Doch es durfte nicht sein, denn zuviel sprach gegen ihre Ge­fühle...

Der junge Edelmann blickte dem Mädchen betroffen nach. Er hat­te gewusst, dass es nicht einfach werden würde, sie für sich zu gewin­nen. Anna hatte ihn lieb, das sagte ihm ein einziger Blick in ihre schö­nen ehrlichen Augen. Doch sie schien sich zu sehr vor diesem Gefühl zu fürchten, um dem nachzugeben. Was also tun? Prinz Maximilian saß auf und ritt zurück zum Fürstenschloss. Dabei kreisten seine Gedanken beständig um Anna. Er musste sie vor Bernau schützen, musste ver­hindern, dass der selbst ernannte Hexenjäger ihr etwas antat. Vor al­lem aber wollte er dafür sorgen, dass sie nicht länger mit dieser Pest­heilerin durch die Lande zog, die einem recht zweifelhaften Gewerbe nachging.

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Als Anna wenig später die Schenke erreichte, wurde sie dort be­reits ebenso ungeduldig wie vorwurfsvoll erwartet. Miranda kom­plimentierte sie ohne viel Federlesens in die kleine Kammer und fragte streng: »Wo bist du so lange gewesen? Ich habe dringend mit dir zu reden.«

»Ich habe einen Spaziergang gemacht«, gab das Mädchen wahr­heitsgemäß Auskunft.

»So?« Miranda schien ihr nicht zu glauben. »Ich hoffe für dich, dass du nicht wieder in Gesellschaft des Prinzen warst. Denn wie es aussieht, werden wir schon sehr bald von hier verschwinden müssen.«

»Ich weiß, Bernau ist uns auf der Spur«, entgegnete sie unüber­legt. Erst als ihre Ziehmutter sie irritiert musterte, wurde ihr bewusst, dass sie einen Fehler begangen hatte.

»Wie kannst du das wissen? Die Fürstin hat es mir heute Morgen unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt. Du warst also doch beim Prinzen, gib es zu!«

»Ich habe einen Spaziergang gemacht«, beharrte Anna scheinbar ruhig, auch wenn ihre Hände zitterten. »Prinz Maximilian kam zufällig vorbei. Er hat mich vor Bernau gewarnt. Sag, Mutter, wollen wir nicht weiterziehen? Bernau hält uns für Hexen und will uns töten. Ich fürch­te mich so schrecklich!«

»Wir stehen unter dem persönlichen Schutz der Fürstin«, antwor­tete Miranda automatisch, behielt ihre Ziehtochter dabei noch weiter genau im Auge. »Allerdings würde ich in der Tat am liebsten auf der Stelle Bamberg verlassen. Wenn ich bedenke, wie naiv und einfältig du auf die falsche Werbung des Prinzen eingehst...«

»Er meint es ehrlich«, wagte Anna zu widersprechen. »Doch ich habe ihn heute offen zurückgewiesen.«

»Was soll das heißen?« Die dunkelhaarige Frau musterte ihr Ge­genüber streng. »Bekenne, was du damit hast sagen wollen!«

»Maximilian liebt mich, er hat es mir heute gestanden. Und er hat mir seinen Schutz angeboten gegen Bernau. Doch ich ließ ihn wissen, dass ich zu dir gehöre und dich nie verlassen werde.«

Miranda blickte sinnend vor sich hin und schwieg eine ganze Wei­le. Anna wagte nicht, eine Frage an sie zu richten, denn in einem solch

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gedankenverlorenen Zustand kannte sie ihre Ziehmutter nicht. Es war ihr fast unheimlich, wie Miranda ins Leere starrte und dabei leise vor sich hin murmelte, was anscheinend nur für ihre eigenen Ohren be­stimmt war.

Schließlich nahm sie Annas Hände fest in ihre und suchte den Blick des Mädchens. Ihre Worte klangen beschwörend und schienen keinen Widerspruch zu dulden. »Wenn Bernau meiner habhaft wird, wirst du dich an den Prinzen wenden. Ich weiß nicht, was seine Worte wert sind, falls es hart auf hart geht. Doch ich will um deiner selbst hoffen, dass sie ehrenwert gemeint sind. Er soll dich schützen, falls ich es nicht mehr kann...«

*

»Herr, der Bote ist zurück!« Reichsgraf Gunter von Bernau winkte den berittenen Boten ins

Zimmer und wies ihn an, die Tür zu schließen. Erst dann richtete er das Wort an ihn.

»Nun, was gibt es Neues in Bamberg? Hast du den Fürsten gese­hen? Ist er wohlauf?«

»Sehr wohl, das habe ich. Durchlaucht erfreuen sich bester Ge­sundheit. Nur seine Gemahlin liegt mit einem Fieber danieder. Es heißt, sie hat bereits viele Doktoren ohne Erfolg konsultiert.« Der Reichsgraf horchte auf. »Das bedeutet, sie glaubt, einer besonderen Behandlung zu bedürfen, nicht wahr? Sprich, ist die so genannte Pest­heilerin bei ihr?«

Der Bote nickte. »Man sagt, sie habe bereits Erfolge erzielt. Die Fürstin sei auf dem Wege der Besserung und...«

»Papperlapapp! Diese Person ist eine Lügnerin und Betrügerin. Ih­re ganze Kunst besteht darin, den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und dabei hat sie sich noch mit dem Teufel verbündet, um zu Beginn jeder ›Behandlung‹ einen angeblichen Erfolg zu erzielen.«

»In Bamberg spricht man nur gut von ihr«, wusste der Bote noch, doch das wollte Reichsgraf Bernau gar nicht mehr hören. Er drückte dem Mann ein Geldstück in die Hand und schickte ihn wieder hinaus.

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Eine ganze Weile grübelte er über sein weiteres Vorgehen nach. Er musste nun geschickt sein, denn Miranda war schlau und durchtrieben. Sie schaffte es stets, eine gewisse Zahl von Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Um sie festzusetzen und ihr den Prozess zu machen, brauchte er eine günstige Gelegenheit ebenso wie hieb- und stichfeste Beweise. Beides zu erlangen, sollte allerdings kein Ding der Unmöglichkeit sein. Immerhin war Miranda nicht die erste Dienerin des Satans, die Bernau zur Strecke bringen würde...

Kurze Zeit später erschien Graf Brunkenstein, um seinen guten Freund abzuholen. Man traf sich wie jeden Tag bei Hofe. Doch Bernau war nicht in der Stimmung, Brunkenstein zu begleiten.

»Was ist Euch, lieber Freund? Doch kein Unwohlsein?«, fragte er daraufhin unbehaglich nach.

»Keine Angst, ich bin nicht krank, noch hat der Schwarze Tod mich verschont. Nein, es ist etwas anderes, das mich beschäftigt. Ein Bote kam heute aus Bamberg zurück mit ebenso guten wie beunru­higenden Neuigkeiten. Wie es scheint, hält sich Miranda dort am Fürs­tenhof auf und geht ihrem üblen Handwerk nach. Leider hat sie es schon wieder verstanden, sich Freunde und Gönner zu schaffen. Das heißt, es wird nicht ganz leicht werden, sie zu verhaften und dem In­quisitor zu übergeben.«

Brunkenstein wirkte überrascht. »Ihr verfolgt sie noch immer? Un­ser Fürst ist gesund, ich finde, wir haben Grund, ihr dankbar zu sein. Zumal Ihr sie aus der Stadt jagen ließet, was nicht eben ein Glanzstück guten Christentums war...«

»Ich muss mich wundern, Brunkenstein. Hängen Sie neuerdings dem Satan an?«, fragte Bernau daraufhin mit ebenso scharfer Stimme wie scharfem Blick.

»Ich bitte Euch, wie kommt Ihr nur auf einen solch abwegigen Ge­danken? Ich versuche nur, nach dem gesunden Menschenverstand zu urteilen. Und danach...«

»Sie maßen sich an, mehr zu wissen als der Heilige Vater in Rom, als die Heilige Mutter Kirche? Ich wundere mich immer mehr. Gerade in unserer gottlosen Zeit ist es unabdingbar und erstes Menschenge­setz, nur nach dem zu urteilen, was der Heilige Vater in Rom uns vor­

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gibt. Wie leicht und schnell können wir sonst irren und unsere unsterb­liche Seele dem Satan zum Geschenk machen! O nein, mein guter Brunkenstein, das eigene Urteil hat hier stets hintan zu stehen, wenn es um unser Seelenheil geht!«

Der Graf, der eigentlich anderer Meinung war, senkte den Blick und schwieg. Er kannte Gunter von Bernau von klein auf, war dessen engster Vertrauter. Und doch spürte er, dass plötzlich eine Distanz zwi­schen ihnen entstanden war, geboren aus dem Misstrauen, das die In­quisition in die Herzen aller ihrer Kinder eingewurzelt hatte. Bernau wurde von dem Glauben an Hexerei und der für ihn daraus resultie­renden Notwendigkeit, diese zu bekämpfen, völlig bestimmt. Er dachte und handelte nur noch im engen Rahmen seiner selbst auferlegten Maxime. Und die hieß: Wer nicht für ihn war, wer nicht bedingungslos auf seiner Seite stand, der war sein Feind, ein Diener des Satans, der erbarmungslos ausgemerzt werden musste.

»Sie schweigen, Brunkenstein«, stellte der Reichsgraf nach einer Weile lauernd fest. »Kann ich daraus schließen, dass Sie sich meine Worte zu Herzen nehmen oder es im Gegenteil mir verschließen, alter Freund?«

»Das habe ich noch nie, Ihr wisst es.« Der Graf seufzte leise. »Ich beuge mich der vorherrschenden Meinung, denn sie mag die rechte sein.«

»Schön, das klingt vernünftig. Wollen Sie mich nach Bamberg be­gleiten? Ich habe vor, noch heute aufzubrechen.«

»So bald schon?« Brunkenstein wirkte unsicher. »Es ist keine Zeit zu verlieren. Das gottlose Weib wird auch die

Fürsten Schwarzenberg für sich einnehmen. Das heißt, wieder eine Bastion des Christentums ist vor dem bösen Verderber gefallen. Aber das will ich nicht zulassen.« Er lächelte maliziös. »Die Hexe muss brennen!«

Graf Brunkenstein sagte nichts weiter. Er entschuldigte sich wenig später mit einigen Verpflichtungen bei Hofe. Erst nachdem er das Haus des Reichsgrafen verlassen hatte, konnte er wieder tief durchatmen und es schien ihm, als sei eine schwere Bürde von seinen Schultern genommen. Er hatte Gunter in sein Herz geschlossen, schon von Ju­

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gend an. Doch der Weg, den der alte Freund nun beschritt, war nicht der seine. Brunkenstein hatte eine liberale Einstellung, er lehnte Ge­walt, von welcher Seite und zu welchem Zweck auch immer, ab. Nach den langen Jahren des Krieges sah er nur in Verständigung und Tole­ranz eine Zukunft. Trotzdem würde er Bernau nach Bamberg beglei­ten, das nahm er sich nun vor. Vielleicht gelang es ihm ja, ein wenig mäßigend auf den Freund einzuwirken und so das Schlimmste zu ver­hindern.

*

Fürst August war nicht sonderlich erfreut über den unangemeldeten Besuch aus Würzburg, der am nächsten Morgen um eine Audienz bat. »Bernau und weitere Herren? Was wollen die hier?«, murrte er unwillig und wies dann seinen Diener an, Prinz Maximilian rufen zu lassen. Viel­leicht konnte sein Sohn ihm ja erklären, was von diesen seltsamen Gästen zu halten war. Der junge Edelmann wurde blass, als er von der Ankunft des Reichsgrafen erfuhr. Zugleich war er fest entschlossen, seinen Vater umgehend und völlig gegen den Besucher einzunehmen. Bernau durfte sich keiner Zustimmung erfreuen, vielleicht ließ er dann von seinen mörderischen Absichten zumindest vorerst ab.

Der Fürst musterte seinen Sohn nachdenklich, nachdem dieser ihn eindringlich vor dem selbst ernannten Hexenjäger gewarnt hatte. »Was hast du gegen Bernau? Kennst du ihn überhaupt?«

»Ich bin ihm begegnet und halte ihn für einen radikalen Eiferer, der überall Hexen und Satansjünger sieht und kaum mehr in der Lage ist, vor Hass klar zu denken. Seid versichert, Vater, ich sage dies nur in dieser Deutlichkeit, um zu verhindern, dass auch in Bamberg eine Herzjagd stattfindet wie seinerzeit in Würzburg. Mit den bekannten Folgen, wohlgemerkt.«

»Ich halte auch nichts von diesem Aberglauben«, räumte der Fürst offen ein. »Man kann die Stadt nicht mehr verlassen, ohne über­all auf diese abgefackelten Hexenbäume zu stoßen. Es ist ein Wahn, dem Krieg nicht ganz unähnlich. Doch der Anstand gebietet, Bernau

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zumindest zu empfangen. Wenn du allerdings mit ihm sprechen möch­test, stehe ich dir gewiss nicht im Wege.«

»Ich danke Euch, Vater.« Maximilian neigte das Haupt und ließ die Besucher dann vortreten.

Der Reichsgraf bemerkte sofort, dass Fürst August sich im Hinter­grund hielt. Anscheinend war er nicht gewillt, das Begehr des An­kömmlings selbst zu bescheiden. Sofort fühlte Bernau sich gekränkt, ließ sich allerdings nichts anmerken.

»Ihr werdet Euch wundern, warum wir aus heiterem Himmel hier auftauchen, noch dazu, ohne eine Depesche oder einen Reiter zu schi­cken, der uns anmeldet«, sagte er unterwürfig. »Nun, es gibt natürlich einen bestimmten Grund dafür. Ich möchte sagen, Gefahr ist im Ver­zug.«

»Was wollt Ihr damit andeuten, Graf? Droht eine Störung des Landesfriedens? Benötigt der Fürst von Würzburg unsere Unterstüt­zung, Soldaten?«

»Nein, nein, nichts dergleichen. Die Gefahr, auf die ich mich eben bezog, droht eher Eurem Seelenfrieden, denn der Teufel hat Sich heimlich in Eure Mauern geschlichen. Und ich bin gekommen, um ihn zu vertreiben.«

Prinz Maximilian tauschte einen schnellen Blick mit seinem Vater, der Bernaus scharfen Augen natürlich nicht entging. Hinterhältig fügte er seinen Worten noch hinzu: »Es wird doch hoffentlich noch nicht zu spät sein für ein entschlossenes Vorgehen?«

»Ich fürchte, ich kann Euren Worten nicht ganz folgen, Graf. Wol­let deutlicher werden oder schweigen«, forderte Fürst August ungnä­dig.

»Aber gewiss. Es war durchaus meine Absicht, all meine Pläne of­fen darzulegen. Denn ich habe nichts zu verbergen«, behauptete der Angesprochene daraufhin geschmeidig. »Es handelt sich um zwei Weibspersonen, die sich an Eurem Hofe unter der falschen Be­hauptung aufhalten, Heilerinnen zu sein. In Wirklichkeit tragen sie nur den Pesthauch der Hölle von Stadt zu Stadt, um Satans Reich hier bei uns auf Erden aufzubauen und zu festigen. Sie müssen wie alle seine Diener ausgemerzt werden, wollen wir der Plage unserer Tage Herr

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werden, die für eine reine Seele noch schlimmer als der Tod sein kann.«

»Und von wem sprecht Ihr?«, fragte Prinz Maximilian scheinbar ruhig und gelassen, auch wenn die Sorge um Anna ihm das Herzblut abschnürte.

»Von zwei Frauen, eine älter, die andere jung. Miranda heißt die Ältere und nennt sich Pestheilerin. Anna, die Jüngere, scheint ihre Ge­hilfin zu sein. Doch Gott mag sein Angesicht wenden bei der Vorstel­lung, was dieses junge verdorbene Blut der Älteren für Dienste leis­tet...«

»Herr, ich muss Euch auffordern, Eure Zunge im Zaume zu hal­ten«, fuhr der Prinz nun empört auf. Seine heftige Reaktion versetzte Bernau in leises Erstaunen. Hatte er da etwa in ein Wespennest der schwarzen Magie gestochen?

»Es war nicht meine Absicht, Eure Ohren zu beleidigen, Durch­laucht«, versicherte er sofort diensteifrig. »Doch leider ist es eine Tat­sache, dass die Hexen und Satansdiener unaussprechliche Dinge für ganz selbstverständlich ansehen und jeden Tag aufs neue treiben. Die beiden genannten Weiber gehören zu diesem Volk der Nacht und müs­sen deshalb ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Man brachte mir zu Ohren, dass sie sich hier aufhalten und bereits Eure durchlauchtigs­te Mutter für sich eingenommen haben. Ich wollte es nicht glauben, eilte aber so schnell wie mir möglich hierher, um Euch von diesen Sub­jekten zu befreien.«

»Ihr scheint keine hohe Meinung von meiner Mutter zu haben«, entgegnete der Prinz kalt. »Oder billigt Ihr nur Euch selbst die Fähig­keit zu, Gut von Böse zu unterscheiden?«

»Gewiss nicht.« Bernau lächelte falsch. »Und nichts läge mir fer­ner, als Eure durchlauchtigste Mutter zu beleidigen. Lieber werfe ich mich auf der Stelle vor Euch in den Staub und verzichte, all meiner ir­dischen Güter ledig, selbst auf meinen Titel. Doch die Tatsachen sind eines, das Gefühl etwas anderes. Man sagt, Miranda weiß gut mit Wor­ten umzugehen und schmeichelt sich rasch ein. Auch der gütigste Christenmensch hat ein zugängliches Herz, wenn es um schöne Worte geht...«

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»Ihr redet viel und um den heißen Brei herum«, stellte Maximilian fest. »Also, was ist Euer Begehr? Sprecht klar aus, weshalb Ihr nun hier seid!«

»Ich fordere die Auslieferung der Miranda, genannt Pestheilerin und ihrer Gehilfin, der Anna Landurius. Beide sollen der heiligen Inqui­sition zugeführt und hochnotpeinlich befragt werden.« Er lächelte wöl­fisch. »Stellt sich ihre Unschuld heraus, wird niemand glücklicher dar­über sein als ich.«

»Die Frauen sind nicht hier«, behauptete Prinz Schwarzenberg daraufhin, ohne mit der Wimper zu zucken. »Sie mögen sich hier in der Nähe aufgehalten und auch ihre Dienste angeboten haben. Doch wie Ihr seht, krankt niemand hier an der Pest. Wir bedurften der Hei­lung nicht.«

»So?« Der Reichsgraf wandte sich nun an den Fürsten, der scheinbar gelangweilt mit halb geschlossenen Augen, der Unterhaltung gefolgt war. »Ihr mögt es als Beleidigung ansehen, Durchlaucht, doch ich möchte Euch um die Erlaubnis bitten, mich mit meinen Helfern in der Stadt umzusehen. Mag sein, Euer Sohn ist nicht ganz auf dem Lau­fenden...«

»Ihr nennt Maximilian einen Lügner?« Fürst August erhob sich langsam. In seinem ausdrucksvollen Gesicht blitzte der Zorn, als er auf Bernau zuschritt und nah vor ihm stehen blieb. Gut einen Kopf größer als der Reichsgraf blickte er mit Verachtung und Widerwillen auf sein Gegenüber nieder. »Ihr, Graf, seid uneingeladen in mein Haus ge­kommen, stellt Forderungen und beleidigt mir Frau und Sohn. Ist Euch eigentlich bewusst, wo Ihr Euch befindet? Ich verspüre gute Lust, Euch in den Kerker werfen zu lassen!«

Bernau erbleichte. Er spürte, dass er sein Spiel übertrieben hatte. Furcht trat in seine Augen und es schien, als wünsche er sich in die­sem bedrohlichen Moment ganz weit fort...

Brunkenstein, der das Ganze aus einiger Entfernung beobachtet hatte, sah nun den Zeitpunkt, einzugreifen. Er senkte das Haupt vor dem Fürsten und bat um Erlaubnis, sprechen zu dürfen.

Der Landesherr musterte ihn abfällig. »Was wollen Sie, Edelmann? Mir scheint die Lage mehr als eindeutig.«

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»Nun, ich bitte untertänigst um Eure Nachsicht«, ließ sich der Graf vernehmen. »Bernau ist ein guter Freund für mich, schon von Kin­desbeinen an. Ich kenne sein Ungestüm, wenn er eine Aufgabe sein eigen nennt. Und ich kann Euch guten Gewissens versichern, dass es niemals seine Absicht war, Euer Durchlaucht oder Familie zu belei­digen.«

»Mag schon sein. Doch sein Auftritt ist unentschuldbar«, urteilte Fürst August. »Verschwinden Sie, alle! Nur um Eures Freundes willen, Bernau, gewähre ich Euch freien Abzug. Doch geht, schnell, bevor ich es mir anders überlege!«

Der Reichsgraf senkte das Haupt und entfernte sich ohne ein wei­teres Wort. Brunkenstein legte ihm die Hand auf die Schulter, doch er schüttelte sie zornig ab. Nachdem sie das Schloss verlassen hatten, knurrte er: »Nun wird alles sehr viel schwieriger. Wenn Schwarzenberg die Teufelsbrut schützt, werden wir...«

Er wurde von seinem Freund unterbrochen, der ungläubig wissen wollte: »Ihr beabsichtigt doch nicht, hier zu bleiben? Ist Euch denn nicht klar, was die Worte des Fürsten bedeuten? Er wird Euch töten, wenn Ihr ihm noch einmal unter die Augen kommt!«

Bernau lachte kalt. »Ich werde ihm nicht mehr unter die Augen kommen. Miranda und ihre Helferin gehören auf den Scheiterhaufen.« Er starrte sein Gegenüber fanatisch an. »Dafür werde ich sorgen! Und nichts und niemand kann mich davon abhalten!«

*

Nachdem Bernau das fürstliche Schloss verlassen hatte, suchte Prinz Maximilian umgehend seine Mutter auf, um sie nach Miranda zu fra­gen. Die Fürstin ahnte Schlimmes.

»So sind ihr die Häscher bereits auf der Spur? Ich habe es be­fürchtet. Zumal sie heute noch nicht bei mir war...«

»Ich werde in der Stadt nach ihr suchen«, entschied der junge Edelmann spontan. »Sie muss verschwinden, solange noch Zeit ist.«

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»Du denkst daran, Anna hier zu behalten?« Fürstin Luise musterte ihren Sohn streng. »Glaubst du wirklich, ihr damit einen Gefallen zu tun? Du weißt doch, das Mädchen gehört zu Miranda.«

»Aber jetzt nicht mehr«, widersprach er entschieden. »Ich lasse es nicht zu, dass sie sich erneut auf eine gefährliche Flucht begibt und um ihrer Treue zu Miranda willen Böses erleiden soll. Sie gehört hier­her, zu mir!«

»Maximilian, warte einen Augenblick.« Sie spürte, dass es ihn drängte, nach dem geliebten Mädchen zu suchen, doch sie konnte ihn nicht gehen lassen, ohne ihn zu ermahnen. »Dir ist bewusst, in welche Gefahr du dich selbst begibst? Bernau ist verblendet, er sieht überall Feinde. Und wenn du dich auf Annas Seite stellst, wird er auch dich bekämpfen.« Der Prinz wollte widersprechen, doch seine Mutter fuhr mit großem Ernst fort: »Du bist uns einzig geblieben, denn der Krieg hat uns deine Brüder geraubt. Ich bitte und beschwöre dich: Tue jetzt nichts Unüberlegtes. Dich auch noch zu verlieren, würde mir das Herz brechen!«

»Keine Angst, Mutter, ich werde auf mich achten«, versprach der junge Edelmann mit einem zuversichtlichen Lächeln. »Zudem solltet Ihr nicht vergessen, dass Bernau sich hier auf unserem Territorium befindet. Er ist also in der schwächeren Position. Und ich werde diesen Umstand für meine Zwecke zu nutzen wissen.«

Fürstin Luise blieb voller Unruhe zurück, nachdem ihr Sohn ihre Gemächer verlassen hatte. Obwohl sie selbst noch zu schwach war, um aufzustehen, mochte sie doch nicht völlig untätig bleiben. So sand­te sie eine Dienerin in die Stadt, um nach Miranda und Anna zu su­chen.

»Wenn du sie findest, bitte sie, sich sofort zu mir zu begeben. Sie dürfen nicht zögern, denn die Zeit drängt!«

Die Dienerin verließ eilig das Schloss. Ihr erster Weg führte sie zur Schenke. Hier war Prinz Maximilian schon vor ihr gewesen, bloß um festzustellen, dass die beiden Gesuchten nicht in ihrer Kammer waren. Während das Mädchen sich dann allerdings auf eine recht ziellose Su­che begab, ahnte der Prinz, wo Miranda und Anna sich aufhielten und er sollte Recht behalten.

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Vor den Stadttoren fand er die beiden beim Sammeln von Kräu­tern. Miranda zeigte sich nicht sehr erfreut vom Auftauchen des Prin­zen, während Annas klare Augen erfreut zu strahlen begannen.

»Was ist Euer Begehr, Durchlaucht?«, fragte die Pestheilerin ab­weisend. »Ihr findet uns hier bei der Arbeit. Ein neuer Trunk muss angesetzt werden, der Eurer Mutter Heilung verschaffen soll. Dabei darf ich mir keine Nachlässigkeit erlauben.«

»Ich will euch nicht stören«, versicherte der Prinz freundlich und saß ab. »Doch du solltest wissen, dass der Reichsgraf Bernau sich in der Stadt aufhält. Und er macht kein Hehl daraus, was ihn hierher führt. Sicher kannst du es dir denken...«

»O nein«, murmelte Anna verängstigt, während Miranda fortfuhr, Samenkapseln des wilden Mohns zu sammeln.

»Miranda höre: Dein Leben mag dir nicht viel wert sein, doch be­denke, du hast Verantwortung. Anna darf nichts geschehen, sie ist unschuldig und rein. Und ich begehre sie zu meiner Frau.«

»Ihr wagt es, ein solches Begehr an mich heran zu tragen?« Mi­randa bedachte den Prinzen mit einem stolz blitzenden Blick. »So wahr die Sonne des Morgens auf- und des Abends untergeht, steht fest, dass kein Bettelmädchen jemals einen Prinzen geehelicht hat. Was Ihr verlangt, ist unmoralisch und zutiefst verwerflich. Und nun geht, ich habe Euch weiter nichts zu sagen!«

»Trotz allem müsst ihr fliehen«, beharrte der Prinz. »Bernau ist auf eurer Spur. Meine Mutter gewährt euch beiden Schutz. Aber ich fürchte, der Eiferer wird einen Weg finden, sein Ziel doch noch zu er­reichen.«

»Bitte, Mutter, ich möchte hier bleiben«, meldete sich da Anna mutig zu Wort. »Ich glaube an die lauteren Absichten von Prinz Ma­ximilian und ich erwidere seine Gefühle!«

Trotz der schwierigen Lage, in der sie sich befanden, rührten An­nas Worte doch das Herz des Prinzen. Ein warmes Glücksgefühl durch­strömte ihn und er hätte Anna am liebsten an seine Brust gezogen. Doch Miranda dämpfte sogleich alle Hoffnungen, indem sie das Mäd­chen wissen ließ: »Du gehörst zu mir. Und wenn wir die Stadt verlas­sen, dann nur zusammen.« Sie straffte sich. »Bitte teilt Eurer Mutter

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mit, dass ich ihr den neuen Trunk gegen Abend bringen werde. Ich fürchte, es ist das Letzte, was ich noch für die Fürstin tun kann, wenn Bernau mich tatsächlich zwingt, Bamberg zu verlassen.«

»Ich schickte ihn fort, als er vorsprach, doch ich fürchte, das hat keinen großen Eindruck auf ihn gemacht. Du musst sehr vorsichtig sein, Miranda. Und gib gut acht auf Anna.«

»Das braucht Ihr mir nicht anzuschaffen, ich weiß selbst, was ich zu tun habe«, erwiderte sie herb.

Der Prinz bedachte das geliebte Mädchen noch mit einem warmen Blick, dann saß er wieder auf und entfernte sich.

»Warum warst du so abweisend zu ihm? Er wollte uns doch nur helfen«, gab Anna enttäuscht zu bedenken.

»Ich traue ihm noch immer nicht, denn seine Absichten er­scheinen mir schwer durchschaubar. Aber nun komm, eile dich. Falls es stimmt, dass Bernau sich in der Stadt aufhält, bleibt uns hier nicht mehr viel Zeit...«

Anna folgte der Ziehmutter mit gemischten Gefühlen. Sie fürchtete sich schrecklich vor dem Reichsgrafen, der ganz offensichtlich nichts anderes im Sinn hatte als ihren Tod. Zugleich mochte sie Bamberg nicht verlassen, um sich wieder auf eine Flucht ins Ungewisse zu be­geben. Prinz Maximilian bot ihr Liebe und Schutz. Und doch konnte sie Miranda jetzt nicht einfach im Stich lassen, das verbot ihr schon das Gewissen.

Auf dem Weg zur Schenke bemerkte Anna einige Söldner, die ganz in der Nähe standen und scheinbar auf etwas warteten. Als sie Miranda darauf aufmerksam machte, murmelte diese: »Wie es aus­sieht, ist Bernau tatsächlich bereits in der Stadt. Wir müssen sehr vor­sichtig sein...«

Das schöne Mädchen erschauerte bei dem Gedanken, diesen gro­ben Kerlen ausgeliefert zu sein. Und dabei wäre dies erst der Anfang eines schrecklichen Leidensweges gewesen, den sie sich gar nicht ausmalen mochte. Die Pestheilerin forderte: »Eile dich und hör auf, zu träumen. Wir haben noch viel zu tun. Und heute Abend wirst du mich zum Schloss begleiten. Wenn der Reichsgraf dort auftaucht, wird

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Schwarzenberg uns zumindest vorübergehend Schutz gewähren kön­nen.«

»Und was soll danach werden?«, fragte Anna bang. Doch darauf konnte auch Miranda ihr keine Antwort geben...

*

Brunkenstein lief unruhig im Zimmer auf und ab, während Gunter von Bernau mit stoischer Miene aus dem Fenster blickte. Sie hatten sich in einem Gasthof eingemietet, konnten von hier aus die Hauptstraße ge­nau im Auge behalten. Brunkenstein hatte den Eindruck, als sitze der Reichsgraf wie eine Spinne in ihrem Netz. Und in gewisser Weise traf dies ja auch zu; der selbst ernannte Hexenjäger lauerte wieder auf Beute...

»Habe ich Ihnen eigentlich schon erzählt, dass eine Hexe meiner Familie den Tod brachte?«, fragte er unvermittelt in die Stille.

Der Graf verhielt den Schritt und musterte den Freund überrascht. »Die Pest nahm Euch Frau und Kinder«, stellte er in langmütigem Ton­fall richtig. Doch Bernau ging nicht darauf ein.

»Sie erschien einen Tag, bevor meine Frau erkrankte. Sie wollte uns wertloses Zeug verkaufen. Und als ich sie fortjagte, hob sie die Hand wie zum Schwur und flüsterte seltsame, fremde Worte. Ich sage Ihnen, Brunkenstein, die Hexe brachte meiner Familie den Tod.« Er lächelte kalt. »Aber ich bringe ihn nun allen Hexen. Ich werde nicht ruhen, bis diese gottlose Teufelsbrut vom Erdboden getilgt ist...«

»Ihr seid sehr entschlossen und ich kann nicht verhehlen, dass ich Eure Motive nachzuvollziehen vermag. Doch...«

Bernau maß den Freund scharf. »Sie werden doch nicht vom glei­chen Fieber heimgesucht worden sein wie die Schwarzenbergs, mein lieber Brunkenstein? Ich kann mir keinen Verräter in den eigenen Rei­hen leisten. Unverbrüchliche Treue ist für mich oberstes Gebot. Und ich habe Sie schon länger als Zweifler in Verdacht...«

»Ihr tut mir Unrecht, bei meiner Seele. In keinem Moment meines Lebens habe ich jemals den rechten Weg des guten Christenmenschen verlassen. Aber gerade in diesem Fall steht viel auf dem Spiel. Und Ihr

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seid nicht wirklich sicher, dass Miranda schuldig ist. Ich weiß es, ich sehe es in Euren Augen!«

Bernau hob leicht verwundert die Augenbrauen. »Die langen Jahre der Freundschaft scheinen Sie ein wenig sorglos gemacht zu haben, mein Guter. Ich fürchte, es ist an der Zeit, Sie auf den Boden der Tat­sachen zurückzuholen. Was hier geschieht, ist keine Spielerei, keine Eitelkeit meinerseits. Ich führe einen Feldzug gegen die Hölle an! Und dabei kann ich mir keine Abtrünnigen oder unsicheren Kantonisten leisten. Begreifen Sie das?«

Brunkenstein nickte angedeutet. »Schön, dann lassen Sie mich hier und jetzt wissen, auf welcher

Seite Sie stehen. Und hernach reden wir nie wieder davon!« »Ihr wisst, dass ich auf Eurer Seite stehe, Bernau. Aber gerade

deswegen möchte ich Schaden von Euch abwenden. Ich sehe es nicht als verhältnismäßig an, wenn Ihr Euer Leben in dieser einen, offen gesagt unwichtigen Sache riskiert. Als Freund geht mir das zuwider. Und ob Ihr es nun hören wollt oder nicht; ich werde Euch auch weiter­hin vor drohenden Gefahren warnen.«

Der Reichsgraf musterte sein Gegenüber eine Weile nachdenklich, dann beschloss er: »Wir reiten zum Schloss. Es kann nicht mehr lange dauern, bis Miranda dort auftaucht. Sie hat ihre ›Patientin‹ heut noch nicht besucht...«

»Ihr wollt zum Schloss? Und wenn Schwarzenberg davon erfährt? Ihr wisst, er wird nicht zögern, seine Drohungen wahr zu machen.«

»Sie können hier bleiben, Brunkenstein, wenn Sie sich fürchten. Doch ich habe mein Ziel nicht aus den Augen verloren. Und dass ich dafür auch manche Gefahr in Kauf nehmen muss, schreckt mich nicht. Allein das Ergebnis zählt!«

Der Graf seufzte leise, dann folgte er seinem alten Freund erge­ben. Es hatte wenig Sinn, auf Bernau einwirken zu wollen. Genau ge­nommen schien kein Mensch auf Gottes Erde noch Einfluss auf den Reichsgrafen zu besitzen. Der Schmerz um den Verlust seiner Familie musste all sein Fühlen abgetötet haben. Er besaß weder Mitleid noch Güte. Das einzige, was ihn am Leben hielt, war sein Hunger nach Ra­che.

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*

Es war ein nebliger und empfindlich kalter Herbstabend. Ein eisiger Wind fegte um die Hausecken und sorgte dafür, dass sich kaum je­mand auf den Straßen blicken ließ. Nur weit entfernt klang hohl das Echo eines bellenden Hundes an Annas Ohr. Das schöne Mädchen zuckte leicht zusammen, hielt sich nun noch näher an Miranda, die auf dem Weg zum Schloss eine Sturmlaterne trug. Der schmale Licht­schein wies den beiden Frauen kaum den Weg, doch er vermittelte einen Hauch von Geborgenheit in einer Welt, die nur noch aus Kälte, Dunkelheit und unheimlichen Schatten zu bestehen schien. Anna hätte viel darum gegeben, die Schenke an diesem Abend nicht mehr verlas­sen zu müssen. Sie fürchtete sich bei jedem Geräusch, blickte ständig um sich, auch wenn der Nebel es kaum zuließ, dass sie zwei Meter weit schaute. Die Angst vor dem Reichsgrafen Bernau, der ihnen im Nacken saß und jederzeit zuschlagen konnte, war wie ein unsichtbarer, aber nicht weniger schwerer Druck, der auf Annas junger Seele laste­te. Miranda ließ sich nichts von ihrer Angst anmerken. Sie hatte den Trunk für die Fürstin hergestellt und dabei hatten nicht einmal ihre Finger gezittert. Auch jetzt schritt sie mutig und ohne zu zögern ein­her. So, als könne ihr nichts und niemand etwas anhaben. Die Gefahr, die doch ständig präsent war, schien sie nicht zu kümmern. Anna be­wunderte ihre Ziehmutter, denn sie selbst hatte ihre Gefühle nicht so gut im Griff. Die lähmende Furcht, die sich in ihrem Innersten allmäh­lich zu Panik verdichtete, machte es ihr zunehmend schwerer, noch normal zu reagieren.

Und als sich ihnen Schritte näherten, schrie Anna entsetzt auf und wollte kopflos davonlaufen. Einzig Mirandas rasche Reaktion, die sie einfach am Arm packte, verhinderte diese Flucht.

Und kaum einen Augenblick später erkannte auch Anna, dass es sich nur um einen Betrunkenen handelte, der aus einer Schenke ge­torkelt kam.

»Hab' keine Angst, wir sind gleich da«, flüsterte sie dem Mädchen zu und strich Anna flüchtig übers Haar. Tatsächlich schafften sie es,

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das Fürstenschloss unbehelligt zu betreten. Anna betrachtete dies als kleines Wunder. Sie konnte ja nicht ahnen, dass sich direkt hinter ih­nen zwei einsame Reiter ebenfalls dem Schloss näherten und davor Posten bezogen...

Fürstin Luise befand sich bereits in einem Zustand fortgeschritte­ner Sorge, als Miranda endlich an ihr Bett trat. Doch es war weniger die Medizin, der sie nicht mehr so dringend bedurfte, als die Angst, dass den beiden Frauen etwas Unsägliches zugestoßen sein mochte.

»Bernau hat die Stadt nicht verlassen. Er wartet«, ließ sie die Pestheilerin wissen. »Ich kann euch beiden nur raten, so rasch wie möglich zu fliehen. Denn wenn er euch fängt...« Sie ließ den Rest des Satzes unausgesprochen, doch Miranda wusste auch so, was ihr blüh­te. Und Anna wollte es gar nicht wissen.

»Wir wollten die Stadt sowieso verlassen, Durchlaucht. Wie ich sehe, befindet Ihr Euch auf dem Weg der Besserung, meine Arbeit hier ist beendet. Ich danke Euch für Mitgefühl und Sorge und empfehle mich.« Sie machte Anstalten, zu gehen, da bedeutete die Fürstin ihr jedoch, noch zu warten.

»Du kannst das Schloss und die Stadt nicht so einfach verlassen. Bernau hat seine Männer überall. Doch es gibt einen Geheimgang, der unter dem Schloss hinaus in die Felder führt.« Fürstin Luise lächelte schmal. »Ich gebe dir eine Dienerin mit, die sich auskennt. Sie wird euch beide sicher geleiten.«

»Das ist mehr, als ich annehmen kann, durchlauchtigste Herrin. Ich danke Euch tausendfach«, erwiderte Miranda überfreundlich. Doch die Fürstin wollte davon nichts hören.

»Es bleibt nicht viel Zeit. Aber ich möchte noch mit Anna spre­chen, eh ihr geht. Allein.«

Die Pestheilerin verneigte sich und verließ die fürstlichen Ge­mächer. Anna, die vor der Tür gewartet hatte, wies sie an: »Geh hin­ein, die Fürstin will dich sprechen.« Sie musterte das Mädchen streng. »Ich hoffe, du vergisst nicht, wo dein Platz ist. Und nun beeile dich, wir müssen bald fort!«

Anna betrat trotzdem nur stockend das Schlafgemach der Fürstin. Sie fühlte sich unwohl und gehemmt in der Nähe der adligen Dame

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und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Doch Luise half ihr rasch über ihre Verlegenheit hinweg. Sie richtete das Wort an Anna, kaum dass diese erschienen war. Und dabei klang ihre Stimme ebenso gütig wie ernst.

»Mein schönes Kind, tritt ein wenig näher«, bat sie zunächst. »Was ich dir zu sagen habe, ist nicht unbedingt für fremde Ohren be­stimmt.« Und als Anna zögernd ein paar Schritte nach vorne machte, fuhr die Fürstin fort: »Ich weiß um die Gefühle meines Sohnes für dich. Und mir ist durchaus daran gelegen, dass Maximilian glücklich wird im Leben. Doch eines mag dir wohl ganz unbestritten erscheinen: Dass eine solche Jugendtorheit niemals über ein ganzes Leben ent­scheiden darf. Ganz sonderlich nicht in der Stellung, in der mein Sohn sich befindet, nämlich als zukünftiger Fürst von Bamberg.«

Anna schlug die Augen nieder und nickte stumm. Sie wusste längst, dass sie sich keine Illusionen machen durfte. Auch wenn ihr Herz sich nach Maximilian sehnte, blieb er doch für sie nichts anderes als ein unerreichbarer Traum.

Die Fürstin lächelte milde. »Ich sehe, du bist ebenso klug wie ein­sichtig. Damit nimmst du mir eine Last vom Herzen, die nicht zu un­terschätzen ist. Und nun gib gut acht auf dich. Möge Gott dich behü­ten, mein Kind.«

»Ich danke Euch sehr«, murmelte Anna mit zitternden Lippen und wandte sich dann rasch ab, um den Raum so schnell wie möglich ver­lassen zu können. Sie spürte Tränen in sich aufsteigen und zugleich bemächtigte sich eine große Verzweiflung ihres Denkens und Fühlens. Am liebsten wäre sie einfach geblieben, statt fortzulaufen. Nichts konnte schlimmer sein als die Hoffnungslosigkeit, die sie erfüllte. Das ganze Leben schien mit einem Mal seinen Sinn verloren zu haben...

»Was ist dir? Du bist so bleich wie der Tod«, merkte Miranda er­schrocken an, als ihre Ziehtochter die fürstlichen Gemächer verlassen hatte. »Was hat die Fürstin gesagt?«

»Nichts von Belang.« Anna straffte sich. Sie wollte nicht weinen, sie musste jetzt ihre Fassung bewahren. Schließlich lag wieder einmal ein langer und gefahrvoller Weg vor ihnen, dessen Ziel nur vorüberge­

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hende und zweifelhafte Sicherheit bot. »Wir sollten jetzt aufbrechen, es wird Zeit...«

Die Pestheilerin hielt das Mädchen, das sich zum Gehen wandte, am Arm fest. Streng verlangte sie zu erfahren: »Was ist vorgefallen, Anna? Ich fordere die Wahrheit! Du hast doch nicht damit gerechnet, dass du hier bleiben kannst, oder?«

»Natürlich nicht, ich...« Sie schüttelte leicht den Kopf. »Es fällt mir nicht leicht, fort zu gehen, das ist alles. Aber damit muss ich allein fertig werden.«

»Du hast mir früher alles anvertraut«, erinnerte Miranda ihre Zieh­tochter ein wenig enttäuscht. »Hast du kein Vertrauen mehr zu mir? Oder ist es etwas anderes...«

»Ich vertraue dir nach wie vor«, unterstrich Anna ruhig und be­sonnen. »Aber ich möchte ganz einfach nicht darüber sprechen.«

»Nun gut, wie du willst.« Miranda wandte sich an die junge Diene­rin, die ganz in ihrer Nähe stand und wartete. »Führe uns jetzt aus dem Schloss, so, wie deine Herrin es dir aufgetragen hat. Und eile dich, wir müssen schnell fort!«

*

Die Fürstin war leicht eingenickt, als ein harsches Pochen an ihrer Tür sie auffahren ließ. Stimmen wurden laut, dann hörte man den Fürsten rufen: »Was erdreistet Ihr Euch, Herr?«

Luise wies eine Dienerin an, die Tür zu öffnen. Gleich stürmte Ber­nau in Begleitung eines zweiten Edelmannes in den Raum, den Fürsten dicht auf den Fersen, der seinen Unmut über das respektlose Verhal­ten des Reichsgrafen in saftigen Flüchen und herben Drohungen Aus­druck verlieh.

Die Fürstin blickte den Herren kühl entgegen. »Darf ich erfahren, was das zu bedeuten hat? Es mag Euch im Eifer entgangen sein, doch dies hier ist das Schlafgemach einer Dame. Und hier pflegt man keinen Besuch zu empfangen. Erklärt Euch!«

Gunter von Bernau verbeugte sich knapp und erklärte offen: »Wir sind auf der Spur zweier Frauen, die der Hexerei schuldig zu nennen

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sind. Und wir wissen aus zuverlässiger Quelle, dass die beiden sich bei Euch aufhielten, Durchlaucht, in diesem Raum...«

Fürstin Luise warf ihrem Mann einen ironischen Blick zu. »Dann habt auch Ihr am Ende eine Abtrünnige zur Frau, lieber August.«

Dieser ging nicht auf ihre Worte ein, forderte stattdessen zornig: »Bernau, verschwindet! Ich dulde es nicht länger, dass Ihr meine Frau auf eine solch ungehörige Weise belästigt. Sie ist krank und bedarf der Ruhe und Schonung!«

»Ich dachte, Eure Gemahlin ist in gute Hände, sie wird von einer Heilerin versorgt, die...«

»Nun reicht es mir aber!« Fürst August machte Anstalten, hand­greiflich zu werden, da bat seine Frau: »Nicht, Ihr werdet Euch auf das Niveau eines Gassenjungen begeben! Das ist dieser selbst ernannte Tugendwächter ganz gewiss nicht wert.« Sie wandte sich an Bernau, der sie heimtückisch musterte: »Die beiden Frauen, die Ihr sucht, sind lange fort. Ihr werdet sie nicht mehr einholen und wenn Ihr reitet wie der Wind.«

»Ihr habt ihnen zur Flucht verholfen? Wisst Ihr nicht, dass Ihr da­mit Satans Werk unterstützt?«

»Bernau!« Fürst August packte den Reichsgrafen am Schlafitt­chen. »Ihr seid einmal zu oft aus der Rolle gefallen. Ich werde Euch zeigen, was es heißt, sich einen Schwarzenberg zum Feinde zu ma­chen.« Er wollte den Widerstrebenden an die frische Luft befördern, da mischte sich Graf Brunkenstein ein. Begütigend bat er: »Es hat doch keinen Sinn, sich hier zu bekämpfen. Ich bitte Euch, Durchlaucht, vergesst nicht, dass wir alle Christenmenschen sind und das gleiche wollen. Lasst uns abziehen, wir werden Euch fürderhin keine Unge­mach mehr bereiten. Dafür stehe ich mit meinem Ehrenwort ein.« Er legte Bernau, der ihn wütend musterte, eine Hand auf die Schulter. »Kommt, alter Freund, machen wir uns auf den Weg. Hier haben wir nichts mehr zu suchen.«

Obwohl man dem Reichsgrafen ansah, dass er ganz anderer Mei­nung war, folgte er Brunkenstein schließlich doch. Er kochte vor Wut und konnte es nicht verwinden, dass er wieder einmal ins Leere ge­griffen hatte. Dabei war er überzeugt gewesen, dass Miranda und An­

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na ihm schon so gut wie sicher waren. Die Falle sollte zuschnappen, doch einmal mehr hatte die verfluchte Pestheilerin Helfer gefunden, die es ihr ermöglichten, ihn zu narren.

»Wohin wenden wir uns?«, fragte Brunkenstein nach einer Weile, als sie sich bereits vom Schloss entfernt hatten.

Der Reichsgraf gab ihm nicht sofort eine Antwort. Erst nach einer ganzen Weile murmelte er: »Wir hätten nicht nachgeben sollen. Die Schwarzenbergs sind sture, unbelehrbare Leute. Ihnen kommt man nur mit der Faust bei.«

»Ihr habt doch selbst gesehen, dass es keinen Sinn hatte. Sie wa­ren in der Übermacht. Und der Fürst hätte nicht gezögert, uns beide in den Kerker werfen zu lassen.«

Bernau nickte langsam. »Ja, das mag wohl sein. Und es hätte we­nig Sinn, wenn wir in einer Zelle schmachten, während dieses gottlose Weib weiterhin seinem teuflischen Handwerk nachgehen kann. Trotz­dem bin ich mit den Schwarzenbergs noch nicht fertig. Sie werden auch noch lernen, dass Hochmut vor dem Fall kommt...«

Graf Brunkenstein schwieg, denn es schien ihm eher so, dass die­ses Sprichwort auf seinen alten Freund zutraf. Bernau sah sich in sei­ner Rolle als Kämpfer gegen das Böse quasi unantastbar. Nichts, was er sagte oder tat, durfte von außen bewertet werden. Und dabei ver­rannte er sich immer mehr in die fixe Idee, mit Miranda und ihrer Hel­ferin quasi die Brutstätte der Hexerei im deutschen Reich vernichten zu müssen. Das konnte nach Meinung des Grafen einfach nicht gut gehen. Doch er hatte auch keine Handhabe, um den Freund endlich zur Vernunft zu bringen...

»Wir reiten zur Schenke und sammeln die Söldner«, hörte er Ber­nau nun bestimmen. »Die Weiberleute werden sich gewiss nach Nor­den wenden...« Er nahm eine gezeichnete Landkarte aus der Tasche seines Wams und deutete auf mehrere Punkte, die mit roter Farbe markiert worden waren. »Dort hat Miranda bereits überall ihre Schur­kereien getrieben. Sie kann nicht weiter nach Süden ausweichen, wird sich deshalb in die entgegen gesetzte Richtung wenden. Und wir blei­ben ihr auf den Fersen.«

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Brunkenstein nickte nur. Er hatte es für eine Weile aufgegeben, dem Reichsgrafen zu widersprechen, denn er wusste, dass dies doch keinen Sinn hatte. Bernau hatte sich in die Idee verrannt, Miranda und Anna fangen zu wollen. Es schien ihm einerlei, wie lange dies dauern und ob es überhaupt gelingen würde. Und niemand konnte ihn davon abbringen, denn sachlichen Argumenten war der Reichsgraf längst nicht mehr zugänglich. Brunkenstein machte sich ernsthafte Sorgen um seinen Freund. Nicht nur um dessen Leben und Gesundheit, son­dern langsam aber sicher auch um seinen Geisteszustand...

*

Kurze Zeit nach Bernaus Aufbruch verließ auch Prinz Maximilian das fürstliche Schloss. Er war in Begleitung seines treuen Dieners Karl. Doch er hatte den Lakaien schwören lassen, mit niemandem über ihre Abreise von Bamberg zu sprechen.

»Ich muss Anna finden und ihr beistehen, wenn nötig«, hatte er Karl wissen lassen. »Und dabei darf ich mich von nichts und nie­mandem aufhalten lassen. Nicht von meines Vaters Ärger und nicht von meiner Mutter Fürsorge. Das Mädchen ist bei Miranda nicht sicher. Und ich könnte es nicht verwinden, wenn Anna etwas zustößt, wenn dieser Bernau sie in seine Finger bekäme...«

Der Diener hatte zu den Worten seines Herrn geschwiegen, auch wenn man ihm deutlich ansah, dass er von dieser heimlichen Reise al­les andere als begeistert war. Karl wusste aber, dass es ihm nicht zu­stand, seinen Herren zu kritisieren. Der Prinz wusste schon, was er tat. Und falls nicht - nun, so musste der treue Lakai eben in die Bresche springen...

Sie ritten über Stunden durch die finstere, neblige Nacht. Manches Mal fragte Karl sich, wie sein Herr in dieser feuchten Düsternis noch seinen Weg finden konnte. Doch Prinz Maximilian besaß ein überaus sensibles Gehör. Und so war es den beiden möglich, sich in gebühren-dem Abstand hinter Bernaus Tross zu halten, ohne entdeckt zu wer­den, aber auch ohne sich zu verirren.

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Als der Morgen graute, wurde es kaum heller. Irgendwo in einer kahlen Eiche sang eine verirrte Amsel. Ihr wehmütiges Schmettern berührte das Herz des Prinzen. Es erschien ihm wie ein Hoff­nungssymbol in einer allzu düsteren Zeit.

Bernaus Tross rastete, nachdem die Nacht vorbei war. Maximilian und Karl taten es ihnen gleich.

»Wenn du müde bist, schlafe ein wenig. Ich wecke dich beizei­ten«, bot der junge Edelmann seinem Diener an, der davon allerdings nichts wissen wollte.

»Ich bin nicht müde. Und ich werde höchstens Euren Schlaf be­wachen«, stellte er unmissverständlich klar.

Maximilian schmunzelte. Er war nun doch froh, Karl bei sich zu ha­ben. Allein wäre es eine einsame und noch beschwerlichere Reise ge­worden. Seine Gedanken kehrten, wie so oft in letzter Zeit, zu Anna zurück. Wo sie wohl sein mochte? Ob es Miranda gelungen war, sich und ihre Ziehtochter in sicheren Abstand zu den Häschern zu bringen? Er konnte es nur hoffen. Doch dem Prinzen Schwarzenberg war natür­lich klar, dass zwei Fußgänger auf die Dauer nicht schneller sein konn­ten als ein berittener Tross, der fest entschlossen war, sie zu stellen...

Während Maximilian sich um Anna sorgte, war diese noch immer unterwegs. Das schöne Mädchen fühlte sich zu Tode erschöpft, doch Miranda ließ ihr keine Zeit für eine Rast.

»Wir müssen erst ein sicheres Versteck finden, dann können wir ausruhen«, hatte sie ihre Ziehtochter wissen lassen. »Glaube mir, An-na, ich würde auch gern rasten. Doch es ist ganz einfach noch zu ge­fährlich.«

Das schöne Mädchen nickte bekümmert. Sie wusste, dass Miranda Recht hatte. Wenn Bernau sich auf ihre Spur gesetzt hatte wie ein Bluthund, durften sie sich tatsächlich keinerlei Ruhe gönnen, bis sie sicher sein konnten, ihn abgehängt zu haben. Und ob ihnen das gelin­gen würde, war mehr als zweifelhaft.

Die Pestheilerin warf ihrer Ziehtochter von Zeit zu Zeit einen fra­genden Blick zu und wollte schließlich wissen: »Denkst du immer noch an den Prinzen? Du wirkst so bedrückt.«

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»Wundert dich das?«, antwortete Anna ausweichend mit einer Ge­genfrage. »Wir müssen fliehen, werden gejagt wie gemeine Verbre­cher. Dabei haben wir uns nichts zu schulden kommen lassen...«

»Es ist nicht das erste Mal, dass man uns vertreibt«, erinnerte Mi­randa sie sachlich. »Du kennst die Flucht und hast dich nie beschwert. Wie kommt's, dass du mit einem Mal so darunter leidest? Ich meine fast, du sagst mir nicht die ganze Wahrheit.«

»Ich habe dich noch nie angelogen«, versicherte Anna müde. »Natürlich denke ich auch noch an den Prinzen. Doch wozu soll das gut sein? Ich werde ihn nie wieder sehen, damit muss ich mich abfin­den. Und da hat es auch wenig Sinn, wenn meine Gedanken noch bei ihm weilen.«

»Aber sie tun es.« Die Pestheilerin blieb kurz stehen und nahm die Rechte ihrer Ziehtochter in beide Hände. Ihr Blick war ernst, aber auch liebevoll. »Schau, mein liebes Kind, ich habe immer nur dein Bestes gewollt, habe versucht, Schaden und Ungemach von dir abzuwenden. Vielleicht ist mir das nicht immer ganz gelungen, denn mein Leben verläuft ja nicht eben in ruhigem Fahrwasser. Doch eines kann ich dir versichern: Es wäre falsch gewesen, in Bamberg zu bleiben. Der Prinz mag es ehrlich meinen, doch er steht nicht allein auf der Welt. Und es ist ganz undenkbar, dass das Fürstenpaar ihm erlaubt, dich zu heira­ten. Das weißt du doch, nicht wahr?«

»Gewiss weiß ich das«, erwiderte Anna mit niedergeschlagenem Blick. »Aber so leicht ist es nicht, einen Menschen zu vergessen, der einem lieb und teuer war...«

»Das sollst du ja auch gar nicht. Doch trauere ihm nicht zu lange nach. Es ist sinnlos, sich etwas zu wünschen, was doch nie eintreten kann. Und wir müssen jetzt nach vorne schauen...«

»Ich weiß. Ich will mir Mühe geben, Prinz Maximilian zu verges­sen«, erklärte Anna daraufhin mit Nachdruck.

Miranda lächelte. »So ist es recht...« Sie setzten ihren Weg fort und erreichten am frühen Morgen eine

kleine Ansiedlung östlich von Schweinfurt. Nur ein paar erbärmliche Hütten, in denen landlose Bauern und Tagelöhner hausten. Miranda musste ihre Ziehtochter nur anschauen, um zu wissen, dass diese

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dringend Schlaf benötigte. Und das Risiko erschien ihr zudem minimal. Die Leute waren arm und misstrauisch den Fremden gegenüber. Doch mit einer Silbermünze erreichte die Pestheilerin rasch Erstaunliches: Man führte Anna zu einem halbwegs sauberen Bett und bot den bei­den einsamen Wanderinnen sogar eine einfache Mahlzeit aus Steckrü­ben und grauem Brot an. Nachdem sie gegessen hatten, legte das junge Mädchen sich zur Ruhe. Kaum spürte sie den gefüllten Strohsack unter sich, da war sie auch schon fest eingeschlafen. Miranda zog es vor, wach zu bleiben. Sie wollte nicht von Bernaus Leuten überrascht werden.

Allerdings gelang ihr das nur für eine Weile, dann duselte auch sie leicht ein. Eine Bewegung in ihrer unmittelbaren Nähe ließ sie auf­fahren. Schlagartig war Miranda wach und bemerkte einen jungen Mann, der versuchte, ihren Geldbeutel zu stehlen. Sie versetzte ihm einen Tritt, der ihn nach hinten taumeln ließ und herrschte ihn an: »Verschwinde, oder es wird dir noch sehr leid tun!«

Doch der Kerl ließ sich nicht einschüchtern. Er stieß einen schrillen Pfiff aus, woraufhin noch zwei weitere Burschen erschienen. Einer pos­tierte sich vor dem Ausgang der Hütte, um Miranda den Fluchtweg abzuschneiden, der zweite kam seinem Freund zur Hilfe. Er wollte die Pestheilerin packen und festhalten, damit der andere in Ruhe seinen Diebstahl vollenden konnte. Doch er hatte nicht mit der Wendigkeit seines Opfers gerechnet. Miranda war zu schnell, er bekam sie nicht einmal zu fassen. Plötzlich hielt sie einen kleinen Dolch in der Hand, mit dem sie sonst Kräuter schnitt. Aber er leistete ihr auch in dieser unangenehmen Lage gute Dienste. Die Kerle waren Landarbeiter, sie hatten keine Waffen und wussten nur, wie man mit Hacke und Dresch­flegel umging. Sofort wichen sie vor der blitzenden Klinge zurück. Auch wenn sie nur in Frauenhand lag, vermochte sie doch, gefährlich zu werden.

»Anna, wach auf!« Miranda hatte die Stimme erhoben. »Und ihr verschwindet ganz schnell, bevor etwas passiert...«

Das schöne Mädchen richtete sich schlaftrunken auf. Anna sah ge­rade noch, wie die Burschen sich trollten. Sie warf ihrer Ziehmutter

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einen verständnislosen Blick zu und wollte wissen: »Was wollten die denn hier?«

»Nichts Rechtes. Komm, steh auf, wir müssen weiter.« Anna gähnte verhalten. »Aber die Rast war so kurz, ich...« »Keine Widerrede. Wir müssen uns beeilen. Sicher hat Bernau in

den beiden vergangenen Stunden versucht, etwas aufzuholen. Das dürfen wir nicht zulassen.«

Miranda trat aus der Hütte. Niemand ließ sich blicken, was darauf hindeutete, dass alle Dorfbewohner über den geplanten Diebstahl in­formiert gewesen waren. Die Pestheilerin lächelte abfällig. Als Anna erschien, wandte sie sich zum Gehen.

»Wollen wir uns nicht für die Gastfreundlichkeit bedanken?«, frag­te das Mädchen, das den Überfall auf seine Ziehmutter verschlafen hatte.

Miranda lachte abschätzig. »Wohl kaum. Was man uns erwiesen hat, war reine Menschenpflicht und ging in nichts darüber hinaus. Im Gegenteil. Und nun komm, beeile dich. Wir müssen weiter. Ich fürchte, wir haben schon viel zuviel Zeit verloren. Sieh!« Sie deutete auf einige schmale Silhouetten, die sich am Horizont wie flache Striche abmalten.

Anna erschrak zutiefst und flüsterte: »Meinst du...« »Gewiss ist es kein anderer als Bernau. Du siehst, ich habe nicht

übertrieben, als ich zur Eile mahnte. Er ist uns dichter auf den Fersen, als ich glaubte. Rasch, nichts wie davon!«

Anna hatte Mühe, mit Mirandas Tempo Schritt zu halten. Sie war noch immer sehr erschöpft, doch die Gewissheit, dass der Feind ihnen so nah im Nacken saß, trieb sie vorwärts. Dass sie sich mit jedem Schritt ein wenig mehr von Bamberg und dem Prinzen entfernte, war ihr dabei stets schmerzlich bewusst. Und sie ahnte nicht einmal, wie nah Maximilian von Schwarzenberg ihr in Wirklichkeit war...

*

Graf Brunkenstein erwachte aus einem kurzen Schlaf und schaute sich irritiert um. Es dauerte einige Sekunden, bis er begriff, was ihn mitten in der Nacht aufgeweckt hatte. Hammerschläge. Doch verstehen konn­

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te er es immer noch nicht. Er setzte sich auf und versuchte, mit Bli­cken die Dunkelheit zu durchdringen. Sie befanden sich in der Nähe von Hannover, waren nun seit beinahe einer Woche unterwegs. Ob­wohl Bernau die Söldner am Tage zu scharfem Ritt antrieb, war es ihnen doch noch nicht gelungen, die beiden Frauen einzuholen. Brun­kenstein vermutete, dass sie ständig Haken schlugen wie ein Hase und ihnen deshalb immer wieder auskamen. Er hatte bereits mehrere Male versucht, seinen alten Freund zur Umkehr zu bewegen. Je weiter sie nach Norden kamen, desto unsicherer wurde die Lage. Es gab hier nur wenige freie Reichsstädte, das verwüstete Land wurde von marodie­renden Banden beherrscht und es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, wann die zunehmend unzufriedenen Söldner sich ihnen anschlos­sen. Brunkenstein fürchtete für das Leben des Reichsgrafen, der sich mittlerweile wie ein Feldherr aufspielte und keinerlei Kritik mehr zuließ. Auch nicht von seinem Freund, wie er ihm erst am Vorabend deutlich gemacht hatte.

»Kehren Sie nur um, Brunkenstein. Ich habe Sie nie für wirklich tapfer gehalten. Und ich brauche auch niemanden, um meine Aufgabe zu erledigen«, waren seine Worte gewesen.

Der Graf hatte gute Lust verspürt, dem zynischen Rat des Freun­des tatsächlich zu folgen. Doch er wurde noch immer von der vagen Hoffnung erfüllt, Bernau von den schlimmsten Gräueltaten abzuhalten. Als er sich nun von seinem Lager erhob, wurde ihm jedoch einmal mehr sehr deutlich gemacht, wie naiv diese Hoffnung war. Bernau schien bereits den Verstand verloren zu haben. Im Schein einiger Fa­ckeln zimmerte er ein großes Kreuz, einen so genannten Hexenbaum. Die Männer, die ihm die Baumstämme hatten beschaffen müssen, sa­ßen mit müden mürrischen Gesichtern am Feuer.

Brunkenstein trat an den Reichsgrafen heran und fragte streng: »Was tut Ihr hier mitten in der Nacht? Solltet Ihr Euch nicht ausruhen, ein wenig schlafen?«

Bernau blickte ruckartig zu ihm auf, die zuckenden Flammen der Fackeln zeichneten ein bizarres Muster aus Licht und Schatten auf sein schmales Gesicht. In seinen Augen glomm ein ungutes Feuer, als er

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flüsterte: »Die Hexen müssen brennen. Hier soll es sein. Schon sehr bald...«

»Ich bitte Euch, Bernau...« »Was wollen Sie, mein Guter? Sind Sie nicht zufrieden mit meiner

Arbeit? Sehen Sie nur, so stabil und doch wird er bald ein Raub der Flammen!« Er lachte laut und dröhnend. Die Männer, die geschlafen hatten, kamen nun auch auf die Beine. Brunkenstein empfand die Spannung, die plötzlich in der Luft lag. Und er ahnte, dass es nun zur Entscheidung kommen würde. Seine Hand legte sich auf den Säbel, den er stets an der linken Seite trug.

»Nehmt Euch zusammen, Bernau, Ihr braucht Schlaf.« »Ich brauche das Blut der Hexen!« Er starrte den Freund wirr an.

»Sie sollen endlich sterben, ihr Pesthauch darf nicht länger den Erdbo­den verseuchen, ich...«

»Seid endlich still!« Einer der Söldner trat vor. »Wir wollen unsere Auslösung. Wir bleiben nicht.«

»Was fällt dir ein, du...« Bernau wollte auf den Mann losgehen, doch der hielt ihm seine Muskete unter die Nase und blickte ihn so finster entschlossen an, dass Brunkenstein sich gezwungen sah, vor­zuschlagen: »Wir sollten morgen über alles reden. Ich bezahle euch alle aus, wenn ihr das wollt. Aber bleibt wenigstens noch, bis es hell ist.«

Der Söldner zögerte kurz, es arbeitete sichtlich hinter seiner Stirn. Schließlich nickte er und wandte sich ab. Brunkenstein hörte Bernau knirschen: »Das wirst du mir büßen, du Hund...« Er sah, wie der Reichsgraf seinen Säbel zog, war aber schneller. Mit einer blitzartigen Bewegung entwaffnete er den Freund und zischte: »Nicht, das wäre Euer sicherer Tod. Keiner hier steht mehr auf unserer Seite!«

»Der Teufel hat sie alle zu seinen Gehilfen gemacht«, murmelte Bernau dumpf. Plötzlich schien alle Energie, alles Leben aus ihm gewi­chen. Er sackte regelrecht in sich zusammen. Brunkenstein bekam ihn zu fassen und half ihm, sein Lager zu erreichen. Hilfesuchend richtete sich der Blick des selbst ernannten Hexenjägers auf den Freund. »Nicht wahr, Sie bleiben bei mir, Brunkenstein? Sie werden mich nicht auch noch im Stich lassen für den bösen Verderber...«

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»Natürlich bleibe ich. Ruhen Sie sich jetzt aus. Es war alles ein bisschen viel in den letzten Tagen...«

Übergangslos fiel Gunter von Bernau in einen tiefen Schlaf der Er­schöpfung. Der Graf wachte an seiner Seite, denn die Lage erschien ihm noch immer nicht ganz geheuer. Man konnte den Söldnern nicht trauen, das hatte er von Anfang an gewusst...

Zeitig am nächsten Morgen ließen sich alle angeheuerten Helfer auszahlen und verließen das Lager, noch ehe der Reichsgraf erwachte. Brunkenstein fragte sich, was er dem Freund sagen sollte. Zu zweit, das schien klar, konnten sie nicht viel erreichen. Sicher würde es ein schwerer Schlag für Bernau sein, wenn ihm klar wurde, dass sie um­kehren mussten.

Doch der Fanatiker hörte kaum hin, als Brunkenstein versuchte, ihm die Lage klar zu machen. Blass und geistig abwesend saß er beim fast erloschenen Feuer und trank Zichorienkaffee.

»Es hat keinen Sinn, weiter zu reiten«, sagte der Graf gerade, als sein Freund plötzlich aufsprang und schrie: »Verschonen Sie mich end­lich mit Ihrem Gewäsch, Brunkenstein! Selbst wenn ich ganz allein wäre und auf den Knien rutschen müsste, würde ich die Verfolgung nicht aufgeben. Sehen Sie denn nicht, was dies hier ist? Wir befinden uns auf einem Kreuzzug, es ist unsere, von Gott bestimmte Aufgabe, diese Brut der Hölle zu vernichten!«

»Bernau...« Der Graf machte eine hilflose Geste. »Gehen Sie und lassen Sie mich allein. Ich reite weiter.« Mehr

sagte sein alter Freund nicht und Brunkenstein wusste, er meinte es bitterernst.

»Also schön, ich begleite Euch«, murmelte er. Bernau lächelte hinterlistig. »Sie werden es nicht bereuen, mein

Guter. Im Himmel erhalten Sie gewiss Ihre Belohnung...«

*

»Wollen wir denn hier bleiben?« Anna blickte sich nicht sehr erfreut um. Die Kammer war winzig, ein Geruch nach Moder hing in der ab­

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gestandenen Luft. Und das einzige kleine Fenster war zugemauert. Miranda schien dies nicht zu stören.

»Gewiss bleiben wir, mein Kind. Hier sind wir fürs erste sicher. Ich habe vor drei Tagen mehrere der Söldner gesehen, die für Bernau geritten sind. Sie haben sich von ihm losgesagt. Das kann nur heißen, er ist längst wieder in Würzburg. Von ihm droht uns keine Gefahr mehr. Wir können also ausruhen von unserer langen Reise. Ist das nicht angenehm?«

Beinahe zwei Wochen der Wanderschaft lagen hinter Miranda und Anna. Sie hatten am Vortag die Hansestadt Hamburg erreicht und wa­ren unbehelligt geblieben. Trotzdem hatte das Mädchen noch immer den Eindruck, dass sie verfolgt wurden. Auch wenn seine Ziehmutter dies verneinte. Etwas stimmte nicht, Unheil lag in der Luft. Und Anna fürchtete sich.

»Die Kammer ist sehr klein. Und es gibt nur einen Ausgang«, gab sie zu bedenken. »Können wir kein besseres Zimmer nehmen?«

»Hier sucht uns niemand. Und es gibt keinen, der uns kennt. Das ist von großem Vorteil.« Sie lächelte schmal. »Zudem hörte ich heute Morgen auf dem Markt, dass einer der Senatoren erkrankt sein soll. Ich denke, es bietet sich an, ihm meine Dienste zu unterbreiten.«

»O nein! Man wird uns finden und...« »Anna, nun nimm dich einmal zusammen.« Miranda nahm die

schlanken Hände ihrer Ziehtochter in ihre und bat: »Sei nicht andau­ernd so aufgeregt und ängstlich. Hier droht uns wirklich keine Gefahr. Und du musst einmal vergessen, was hinter uns liegt. Es ist vorbei!«

»Wenn ich das könnte. Aber die Angst will einfach nicht weichen. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass Bernau uns noch immer ver­folgt. Bedenke doch, wie ausdauernd er in Bamberg war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er so einfach aufgibt.«

»Er ist nicht hier. Das sollte dir genügen. Und jetzt werde ich nachfragen, ob meine Dienste benötigt werden.« Anna wollte wider­sprechen, doch Miranda schüttelte streng den Kopf. »Sei nun still, Kind. Wir müssen von etwas leben. Und es gibt eben nun einmal nur ein Handwerk, das ich beherrsche. Also bleibe hier und warte auf mich. Ich werde schon bald wieder zurück sein.« Sie küsste das Mäd­

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chen zum Abschied und Anna konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen aus den Augen stürzten. Sie war plötzlich ganz sicher, Miranda nicht lebend wieder zu sehen.

Die Pestheilerin war keineswegs so unbeschwert, wie sie sich An-na gegenüber verhalten hatte. Sie wusste aus Erfahrung, dass ein Mann wie der Reichsgraf Bernau seine Jagd nicht einfach so aufgab. Zudem hatte sie mit einem der Söldner gesprochen und von ihm erfah­ren, dass ihr Feind nach wie vor auf ihrer Spur war.

»Er hat den Verstand verloren, ist besessen«, hatte der Söldner sie wissen lassen. »Es sollte mich nicht wundern, wenn er selbst ein Diener Satans wäre...«

Während Miranda zum Patrizierhaus des erkrankten Senators mar­schierte, gingen ihr diese Worte noch immer im Kopf herum. Wäre es nicht möglich, Bernau aus seinem radikalen Verhalten einen Strick zu drehen? Konnte man ihn vielleicht mit seinen eigenen Waffen schla­gen? Die dunkelhaarige Frau lächelte schmal. Lieber heute als morgen hätte sie den verhassten Feind auf dem Scheiterhaufen verbrennen sehen...

Senator Schrader lag fest zu Bett und konnte Miranda nicht emp­fangen. Doch seine Frau versprach, ihr Angebot weiterzuleiten. Unver­richteter Dinge kehrte die Pestheilerin in die einfache kleine Schenke zurück, wo sie mit Anna eine winzige Kammer bezogen hatte.

Der Senator, der sich im übrigen bester Gesundheit erfreute, infor­mierte derweil den Nuntius des Bischofs Egidius von Rottach, der sich zufällig in der Stadt aufhielt, um dort einige Hexenprozesse durchzu­führen. Der Bischof selbst galt als gemäßigt, obwohl das im Zusam­menhang mit der Inquisition dieser Tage ein eher dehnbarer Begriff war. Sein Nuntius dagegen war ein glühender Verfechter des Dogmas, er eiferte beim kleinsten Verdacht gegen die bedauernswerten Opfer und ruhte nicht eher, bis Nadel- und Wasserprobe durchgeführt waren.

Als er nun mit der Nachricht, dass die Pestheilerin in der Stadt sei, die Räume des Bischofs betrat, war dieser nicht allein. Bereits seit ein paar Tagen hielt sich ein Reichsgraf bei Egidius auf, der angeblich der Inquisition schon gute Dienste geleistet hatte. Der Nuntius war ihm gegenüber verschlossen und sehr reserviert. Er verstand auch nicht,

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dass ›sein‹ Bischof dem Fremden sein Vertrauen schenkte und ihn ohne Zögern in die elitären Reihen der Kämpfer gegen das Böse auf­nahm. Als er neben Egidius trat und ihm die Neuigkeit ins Ohr flüster­te, musterte Gunter von Bernau ihn argwöhnisch. Er teilte die Abnei­gung des blassen Kirchenmannes und sah diesen am liebsten von hin­ten.

Der Bischof schmunzelte zufrieden. »Das ist mal eine gute Nach­richt, mein lieber Bernau. Die Miranda, genannt Pestheilerin, hält sich in Hamburg auf und hat heute einem Senator ihre Dienste ange­boten.«

Bernau sprang von seinem Platz auf, als habe ihn etwas gesto­chen. Seine Augen begannen zu blitzen, als er forderte: »Sie muss sofort verhaftet werden! Auf der Stelle...«

»Nicht so hastig, mein Guter, Ihr ereifert Euch zu schnell. Zu­nächst einmal muss festgestellt werden, wo das Hexenpack Unter­schlupf gefunden hat. Schließlich sollen doch beide Frauen ihrer ge­rechten Bestrafung zugeführt werden, nicht wahr?«

Bernau nickte mit verkniffener Miene. Der Bischof fuhr fort: »Wenn dies klar erscheint, werden sie zu­

sammen in Arrest genommen.« Er machte dem Nuntius ein Zeichen, das Entsprechende zu veranlassen. Dieser verließ auf leisen Sohlen den Raum. Egidius wandte sich wieder an seinen Gast, den eine ge­wisse Unruhe erfasst hatte. »Fasst Euch in Geduld, mein Freund. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Gerechtigkeit obsiegt. Und Ihr habt daran einen nicht geringen Anteil.«

»Ich wünschte, ich hätte sie schon früher stellen und zur Re­chenschaft ziehen können«, knirschte der Reichsgraf. »Dann wäre es nicht nötig gewesen, Euch Mühe zu machen.«

»Ihr wisst, die Hexerei ist eine Plage unserer mühseligen Tage«, sinnierte der Bischof. »Lange Jahre voller Gewalt, Hunger und Tod ha­ben die Menschen zweifeln lassen. Viele wandten sich kurzsichtig von Gott ab und suchten in anderen Dingen ihr Heil. Es ist unsere Aufgabe, dies zu unterbinden. Gewiss, der Feind ist mächtig, ich unterschätze ihn nicht. Doch wir müssen in allem immer gerecht bleiben. Nur dann können wir Gott zu Gefallen handeln.«

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Bernau reagierte nicht auf die Worte des Bischofs, sie waren ihm einerlei. All sein Denken und Fühlen richtete sich nur auf das Eine: Miranda und Anna endlich festzunehmen und am höchsten Hexen­baum brennen zu sehen...

*

Karl musterte seinen Herren bedenklich. Er wurde den Eindruck nicht los, dass dem Prinzen etwas fehlte. Doch dieser wollte es nicht einge­stehen, er gab sich den Anschein, als sei alles in schönster Ordnung. Das war es aber nicht, Karl spürte es.

Seit sie nach Hamburg gekommen waren, suchten sie nun nach Miranda und Anna. Allerdings bislang ohne Erfolg. Die beiden Frauen schienen vom Erdboden verschluckt zu sein. Prinz Maximilian hatte sich überall umgehört, war auch in die finstersten Viertel der Stadt ohne Zögern vorgedrungen. Der unbedingte Wunsch, das geliebte Mädchen zu finden, trieb ihn dabei an. Sein treuer Diener hatte ihn mehr als einmal gewarnt und vorgeschlagen, selbst auf Erkundigung auszugehen. Doch der Prinz scheute sich nicht, diese Aufgabe zu ü­bernehmen. Er war nicht zu bremsen. Und seit dem Vortag schienen ihn Beschwerden zu quälen, die er aber hartnäckig ignorierte.

»Was siehst du mich so an, Karl?«, fragte er nun ein wenig un­willig. Sie saßen beim Essen in dem Gasthaus, wo sie auch Quartier genommen hatten. Maximilian rührte seine Speise allerdings kaum an, wie Karl bemerkte. »Ich habe keinen Hunger. Das kommt vor. Du hast in den vergangenen Tagen die Gewohnheit angenommen, mich zu bemuttern. Das leide ich nicht.«

»Aber, Durchlaucht, Ihr seid nicht wohl. Ich bitte Euch, konsultiert einen Arzt und...«

»Ich sehe schon, du willst unbedingt Recht behalten. Nachdem ich trotz deiner Warnungen im Hafenviertel war, suchst du jetzt, mir eine Krankheit einzureden. Doch du irrst. Ich fühle mich stark und gesund.«

»Es würde mich froh machen, wenn dies stimmte«, murmelte der Diener bekümmert.

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»Dann sei froh!« Maximilian erhob sich. »Ich werde noch ein we­nig an die frische Luft gehen und mich umhören. Vielleicht finde ich endlich eine Spur.«

Noch ehe Karl seinem Herren widersprechen konnte, hatte dieser das Gasthaus verlassen. Der Prinz fühlte sich in der Tat ein wenig matt und unwohl. Dieser Zustand, der seinem jungen Leben fremd war, beunruhigte ihn im tiefsten Innern und ließ ihn recht gereizt reagieren. Der Gedanke, dass es vielleicht die Pest sein könnte, die er in einer der schmutzigen niedrigen Gassen des Hafenviertels aufgeschnappt hatte, geisterte wie ein böser Spuk in einem verborgenen Winkel seines Kop­fes herum. Nein, er mochte nicht daran denken. Und doch war es nicht leicht, stets das zu ignorieren, was ihn zunehmend quälte und schwächte.

Der Prinz spazierte eine Weil durch einige Straßen, entfernt sich dabei aber nicht zu weit von Gasthaus. Mittlerweile kannte er sich zwar recht gut in der Hansestadt aus, doch der Abend kam und mit ihm die finsteren Gestalten, denen man nicht über den Weg trauen konnte.

Als er an einer schmalen Seitengasse vorbeikam, klangen aufge­regte Stimmen an sein Ohr. Unwillkürlich verhielt Maximilian von Schwarzenberg seinen Schritt und spähte nach vorn. Die zunehmende Dämmerung machte es ihn schwer, etwas Genaueres zu erkennen. Doch es schien, als würde dort eine Verhaftung durchgeführt. Das war nichts Besonderes. Auch in der Hansestadt gab es viele Diebe, Mörder und Mundräuber. Der einsame Spaziergänger wollte sich gerade wie­der abwenden, als er eine weibliche Stimme rufen hörte: »Das werdet Ihr bereuen! Wenn Ihr uns etwas tut, wird unschuldiges Blut an Euren Händen kleben!«

Raues Lachen folgte, einige gehässige Kommentare. Maximilian aber war von einem Moment zum nächsten wie elektrisiert. Er kannte diese Stimme, sie war ihm bereits des Öfteren zu Ohren gekommen. Und sie gehörte Miranda, der Pestheilerin!

Ohne nachzudenken oder zu zögern eilte er auf den Holzkarren zu, in den die beiden Frauen eingesperrt worden waren. Ein vier­schrötiger Soldat wollte ihm den Weg verwehren, doch er forderte

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herrisch: »Lasst mich passieren! Ich bin der Prinz von Bamberg und verlange zu erfahren, was hier vor sich geht!«

Anna, die sich wie gelähmt vor Angst und Entsetzen an Miranda geklammert hatte, horchte beim Klang von Maximilians Stimme auf und beugte sich ein wenig vor, um zu sehen, ob sie nicht nur geträumt hatte. Tatsächlich - in ihrer finstersten Stunde kam er, um ihr zu hel­fen, sie zu retten! Sie konnte es kaum fassen, Tränen der Erleichte­rung strömten über ihre erhitzten Wangen. Doch wie es schien, sollte der Prinz zunächst nicht viel erreichen.

Ein Hauptmann trat herzu, verbeugte sich angedeutet und führte aus: »Was hier geschieht, hat Euch, mit Verlaub, nicht zu kümmern. Die Verhaftung ist rechtens und vom Bischof selbst abgezeichnet.«

»Von welchem Bischof sprecht Ihr?«, fragte Maximilian miss­trauisch. Ihm schwante Schlimmes, denn die Gerüchte besagten, dass ein Hauptvertreter der Inquisition im Deutschen Reich sich in der Han­sestadt aufhielt. Und wie es schien, war dies keine Lüge.

»Bischof Egidius von Rottach. Was geht das Euch überhaupt an, mein Herr? Seid Ihr tatsächlich der Prinz von Bamberg, so haltet Ihr Euch weit weg von daheim auf. Ich kann Euch nur gut raten, die Stadt zu verlassen. Erst in der vergangenen Woche hatten wir hier an die hundert Pesttote. Der Schwarze Tod fordert Immer mehr Opfer.« Er deutete auf den vergitterten Holz wagen. »Solange diese Brut nicht ausgemerzt ist, kann unser armes Volk nicht aufatmen. Und Ihr wisst doch sicher, dass die Pest nicht wählerisch ist. Sie macht auch vor den edelsten Herren nicht Halt.«

»Lasst mich einen Augenblick mit dem Mädchen sprechen«, bat Maximilian eindringlich und steckte dem Hauptmann zugleich eine Goldmünze zu. »Ich kenne sie, sie ist nicht schlecht.«

»Also schön, aber nur fünf Minuten. Und denkt nicht einmal dar­an, sie zu befreien. Ein sinnloses Unterfangen.«

Der Prinz trat an den Wagen. Er sah die namenlose Angst in An­nas schönem Gesicht und hatte das Gefühl, als müsse sein liebendes Herz brechen. Was hätte er darum gegeben, sie aus dieser schreckli­chen Lage zu befreien. Doch momentan waren ihm einfach die Hände gebunden. Es war, wie der Hauptmann gesagt hatte: Ein sinnloses

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Unterfangen. Doch das bedeutete noch lange nicht, dass Maximilian das geliebte Herz aufgeben würde. Im Gegenteil. Er legte seine Hand gegen die groben Gitterstäbe aus Holz und spürte beglückt, wie Anna ihre schmale Rechte dagegen presste. Mit bewegter Stimme ließ er sie wissen: »Ich werde euch beide retten, ihr dürft nur nicht verzagen! Sobald es möglich ist, spreche ich beim Bischof vor. Harrt aus, ihr werdet schon sehr bald wieder in Freiheit und Sicherheit sein.«

»Ich danke Euch, Durchlaucht, von Herzen«, murmelte Anna mit tränenschwerer Stimme. »Ich weiß, Ihr tut alles, was in Eurer Macht steht...«

»Könnte ich nur auf der Stelle etwas für dich tun, Anna«, erwi­derte er mit zusammengebissenen Zähnen.

Miranda trat neben das Mädchen und erklärte: »Es ist alles meine Schuld. Hätte ich Anna bei Euch gelassen, wäre es hie soweit ge­kommen. Und wenn sie nun mit mir sterben muss, wird meine Seele niemals Frieden finden...«

»Sprich nicht so, du hörst doch, er wird uns helfen«, meinte Anna zuversichtlich. Sie schaute ihre Ziehmutter nicht an, sonst hätte sie den bitteren Ausdruck in deren Augen bemerkt. Miranda wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Und Maximilian ahnte es. Trotzdem woll­te er nicht aufgeben; er war bereit, alles, sogar sein eigenes Leben zu opfern, um Anna zu helfen...

»Schluss jetzt, die Gefangenen müssen abgeführt werden!«, mel­dete sich da der Hauptmann zu Wort und trat neben den Prinzen. Er musterte ihn fragend von der Seite.

»Ist Euch nicht gut? Ihr wirkt unwohl.« Gleich machte er einen Schritt von Maximilian fort, als fürchte er, sich anstecken zu können. Anna weinte. »Lebt wohl! Wie es auch kommt, ich werde Euch nie vergessen, niemals!«

Der Prinz trat zurück, denn der Wagen mit den beiden Gefange­nen setzte sich in Bewegung. Tatsächlich hatte Maximilian ein starker Schwindel erfasst. Er führte dies auf die emotionale Aufregung zurück, die er gerade durchlebt hatte. Eine ganze Weile musste er sich an eine Hauswand lehnen, eh er wieder klar sehen und sich einigermaßen auf den Beinen halten konnte.

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Die Häscher waren längst fort und mit ihnen auch Miranda und Anna. So schnell es ihm möglich war, machte der Prinz von Schwar­zenberg sich auf den Rückweg zum Gasthaus. Er musste auf der Stelle etwas unternehmen!

Karl wartete bereits ungeduldig auf die Rückkehr seines Herrn. Er sah sofort, dass etwas nicht stimmte. Doch noch ehe er eine Frage stellen konnte, wies Maximilian ihn an: »Laufe zum bischöflichen Ordi­nariat und melde meinen Besuch für den morgigen Tag an.«

»Aber, Herr, ich verstehe nicht...« »Miranda und Anna sind vor meinen Augen verhaftet worden. Man

wird sie in einen Kerker sperren, hochnotpeinlich befragen und ver­mutlich auch foltern. Das muss ich verhindern, ich...« Er taumelte und hätte Karl ihn nicht aufgefangen, wäre er gestürzt.

»Ihr müsst Euch sofort niederlegen. Die Aufregung war zuviel«, stellte der Diener fest und stützte seinen Herren auf dem Weg zu des­sen Schlafstatt.

»Bitte, Karl, versprich mir, dass du vorsprichst. Ich muss...« Er verstummte und fiel von einem Augenblick zum nächsten in einen tie­fen unruhigen Schlaf. Der Diener versorgte seinen Herren mit allem Nötigen und wachte dann an seinem Bett. Zuvor schickte er aber noch nach einem Arzt. Karl machte sich große Sorgen um den Prinzen. Wenn er sich mit der Pest angesteckt hatte, würde er dies kaum über­leben können. Was sollte er dem Fürsten sagen, sollte er selbst jemals heim nach Bamberg kommen? Der treue Diener war völlig ratlos. Und zugleich beschlich ihn eine lähmende Angst vor der Zukunft, der er kaum etwas entgegenzusetzen hatte.

*

»Was soll nur werden? Ich fürchte mich so schrecklich!« Anna starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit. Sie befand sich in ei­ner kleinen stinkenden Zelle, deren Boden aus kaltem Stein bestand. Fauliges Stroh lag darauf, ein Geruch von Moder und Tod lag in der feuchten Luft. An den Wänden hingen schwere Eisenketten, die in Rin­gen endeten; Armfesseln aus einer früheren Zeit, in der dieser Kerker

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ebenfalls dazu gedient hatte, Menschen zu demütigen, zu quälen und...

Das junge Mädchen schloss verzweifelt die Augen. Nein, es wollte nicht mehr denken, keine Erinnerung sollte sie noch berühren und ihre Verzweiflung nur vergrößern. Doch so leicht ließ sich das Denken nicht abstellen. Immer wieder fragte Anna sich, was ihrer Ziehmutter ge­schah. Sie waren ursprünglich gemeinsam eingesperrt worden. Bereits vor einiger Zeit hatte ein grobschlächtiger Wachposten aber die Pest­heilerin abgeholt. Sie hatte ihre Ziehtochter noch einmal in die Arme schließen wollen, doch der Kerl hatte sie hart nach draußen geschleu­dert und dabei nur abfällig gelacht. Seither war Anna allein. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, sie konnte nicht einmal sagen, ob es Abend oder Morgen war. Hier unten gab es keine Fenster, kein Ta­geslicht. Das schöne Mädchen fühlte sich, als sei es in der tiefsten Höl­le gefangen, ohne Hoffnung, ohne Trost.

Anna versuchte, an Maximilian zu denken. Er hatte ihr so nach­drücklich versprochen, zu helfen, dass seine Worte beinahe wie ein Schwur geklungen hatten. Ganz sicher war er bereits beim Bischof und verwendete sich für sie, setzte all seinen Einfluss ein, um dieses Marty­rium für sie endlich zu beenden.

Doch was, wenn er nichts erreichte, wenn er erfolglos blieb? Anna hatte gehört, wie zwei der Wachen sich über den Umgang mit den Gefangenen unterhalten hatten.

»Der Bischof würde sicher die eine oder andere gehen lassen, er hat ein gutes Herz und einen scharfen Verstand. Er erkennt, wer schul­dig und wer unschuldig ist. Aber dieser Reichsgraf will sie alle brennen sehen, ohne Ausnahme...«

Der Reichsgraf! Anna war alarmiert gewesen, als sie das hörte. Meinten die Männer damit etwa Bernau? War er doch noch hinter ih­nen her, sogar hier in der Stadt? Hatten sie ihre Verhaftung vielleicht sogar ihm zu ›verdanken‹?

Das schöne Mädchen seufzte zittrig auf. Wenn das stimmte, wenn Bernau Einfluss auf den Bischof hatte, dann war ihr Leben verwirkt, dann konnte nichts und niemand mehr etwas an ihrem grausamen Schicksal ändern. Anna wusste, dass der Reichsgraf Bernau ein Eiferer

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war, ein Fanatiker, der sich auch nicht von den Schwarzenbergs in Bamberg hatte aufhalten lassen...

Ein Geräusch schreckte Anna aus ihren düsteren Überlegungen. Schleifende Schritte näherten sich ihrer Zelle. Und im nächsten Au­genblick wurde etwas neben sie auf die Erde geworfen. Im ersten Im­puls wich sie zurück, denn sie konnte sich nicht erklären, was dies zu bedeuten hatte. Dann aber glaubte Anna, sich mitten in einem ausge­wachsenen Alptraum zu befinden. Denn das blutige verkrümmte Bün­del Mensch, das da vor ihr auf dem kalten Steinboden lag, war nie­mand anders als Miranda, ihre Ziehmutter!

»O nein, bitte, lieber Gott, das kannst du nicht zulassen«, wisperte das Mädchen, während es versuchte, Miranda ein wenig zu helfen. Sie zitterte, war kaum ansprechbar. Um ihre Hand- und Fußgelenke zogen sich blutende Wunden. Und ihr Haar war so grob geschoren worden, dass auch die Kopfhaut blutete. Anna weinte bitterlich. Was sollte sie nur tun? Sie konnte der Ziehmutter nicht helfen, was immer sie auch versuchte. Sie war dem nicht gewachsen, der Horror überwältigte sie immer wieder und sorgte dafür, dass sie kaum noch wusste, was sie tat.

Nach einer ganzen Weile murmelte Miranda mit spröden Lippen: »Lass gut sein, Anna, du kannst mir nicht helfen. Ich brauche nur ein bisschen Ruhe, muss schlafen. Dann wird es wieder gehen...«

»Aber ich muss deine Wunden verbinden«, beharrte das Mädchen und fing an, seinen Unterrock in Streifen zu reißen. Sehr behutsam versorgte Anna dann die Wunden, tat auch etwas der heilenden Kräu­tersalbe darauf, die sie stets bei sich führte. Dann bettete sie den Kopf der Gefolterten in ihren Schoß. Sie musste lange warten, bis Miranda eingeschlafen war. Und auch im Schlaf schienen sie noch die Martern der letzten Stunden zu verfolgen. Sie seufzte und stöhnte und einmal schrie sie sogar auf.

Anna war wie gelähmt. Nachdem sie den ersten Schock über­wunden hatte, war sie in eine hektische Betriebsamkeit verfallen, um der Ziehmutter zu helfen. Nun aber, da sie Zeit hatte, nachzudenken, wurde ihr das ganze Ausmaß des Schreckens bewusst, in dem sie bei­de sich befanden. Sie waren Gefangene, eingekerkert, der Ketzerei

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angeklagt. Nichts und niemand konnte ihnen helfen. Angesichts des Schrecklichen, was Miranda widerfahren war, ließ Anna alle Hoffnung auf Rettung fahren. Wer einem anderen Menschen so etwas antun konnte, der kannte keine Gnade. Selbst wenn Maximilian mit Engels­zungen sprach, würde sein Bitten wohl kaum Gehör finden. Oder zu spät...

Irgendwann erwachte Miranda wieder. Das schöne Mädchen wusste nicht zu sagen, wie lange die Gepeinigte geschlafen hatte. Und es war an diesem verfluchten Ort eigentlich auch einerlei. Anna nahm etwas Wasser aus dem Holzeimer, der in Reichweite stand und flößte es Miranda ein. Diese trank nur zögernd, musste husten und verlor für eine Weile das Bewusstsein. Anna durchlebte schaurige Stunden. Im­mer wieder lauschte sie auf den Atem der Pestheilerin, der flach und unregelmäßig war. Wenn sie nur nicht starb! Wie sollte Anna ganz allein all das hier überstehen?

So wachte das schöne Mädchen die ganze Nacht bei der schwer gefolterten Ziehmutter. Als am nächsten Morgen die Wärter erschienen und den Gefangenen schimmliges Brot zuwarfen, sprang Anna auf und schrie: »Wofür haltet Ihr uns eigentlich? So behandelt man nicht mal Tiere!«

Einer der Wächter musterte sie interessiert. »Du bist hübsch. Kommst du mit mir, wenn ich dich freilasse?«

Sie bemerkte sein anzügliches Grinsen und erwiderte: »Ich gehe nur mit meiner Mutter, nicht allein.«

Der Wächter lachte. »Die macht es nicht mehr lange. Noch ein Verhör und sie ist dahin. Und dann bist du an der Reihe. Nun, was ist, willst du nicht vorher entfliehen?«

»Lieber sterbe ich, als mit dir zu gehen!«, erwiderte sie stolz. Er lachte wieder und prophezeite: »Das geschieht schneller als du denkst...«

Am frühen Nachmittag kam Miranda wieder zu sich. Ihre zer­schundenen Gelenke waren geschwollen, sie konnte sich kaum bewe­gen. Doch sie war bei klarem Verstand und sagte zu Anna: »Bernau führt die Verhöre. Ich begreife nicht, wie das möglich ist. Er wird mich

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umbringen, ich habe es in seinen Augen gesehen. Aber ich gestehe nicht, denn ich habe nichts zu gestehen.«

»Gestehe trotzdem«, riet Anna ihr ängstlich. »Vielleicht lässt er dich dann in Ruhe, ich meine...«

»Wenn ich gestehe, werde ich als Hexe verbrennt.« »Und wenn du nicht gestehst?« Anna mochte es nicht hören, doch

sie konnte die Augen nicht länger vor der Wirklichkeit verschließen, das wusste sie.

»Dann werde ich weiter gefoltert und sterbe auch«, murmelte Mi­randa müde. »Es gibt keinen Ausweg, keine Flucht...«

»Aber Maximilian wird uns helfen, er...« Anna verstummte, als ih­re Ziehmutter sie anherrschte: »Verschone mich mit diesem dummen Gerede. Er hat nichts für uns getan, sonst wäre mir dies nicht wi­derfahren. Er hat uns im Stich gelassen!«

»Nein, das glaube ich nicht. Er wird kommen und uns retten«, be­harrte Anna fest.

Die Pestheilerin winkte ab. »Glaube, was du willst. Wenn es dir ein wenig Hoffnung gibt, glaube von mir aus auch an den Prinzen Schwar­zenberg. Nach dem, was ich gestern erlebt habe, glaube ich allerdings an gar nichts mehr...«

*

Während Miranda und Anna im Kerker schmachteten, ging Karl unru­hig auf dem Gang vor dem Gastzimmer auf und ab, in dem sein Herr von einem Arzt untersucht wurde. Der Prinz hatte eine unruhige Nacht hinter sich. Und auch jetzt war sein Zustand besorgniserregend. Er litt unter hohem Fieber, das ständig im Steigen begriffen war, er zitterte am ganzen Körper, Fieberphantasien peinigten ihn. Der treue Diener machte sich große Sorgen um seinen Brotherren, dem er sich mehr verpflichtet fühlte als irgendeinem anderen Menschen auf der Welt.

Prinz Maximilian hatte den ehemaligen Soldaten seinerzeit in seine Dienste genommen, als Karl nicht weitergewusst hatte. Der Krieg hatte ihn entwurzelt, ohne Hoffnung und Glauben zurückgelassen. Durch seinen Dienst bei Maximilian von Schwarzenberg hatte Karl wieder

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gelernt, an seine Mitmenschen zu glauben. Er verdankte dem jungen Edelmann mehr als nur sein Leben. Und er war unbesehen bereit, es jederzeit für ihn zu opfern. Doch momentan hätte nicht einmal dieses Opfer dem Prinzen helfen können, das schien festzustehen...

Endlich verließ der Doktor das Zimmer. Seine Miene war sehr ernst, Karl spürte, wie sein Herz sich zusammenzog.

»Nun, was denkt Ihr? Ist es...« »Ich kann dir nicht genau sagen, ob dein Herr an der Pest leidet.

Seine Beschwerden sind eigentlich nicht bezeichnend, doch es mag sein, er hat eine Abart der Krankheit, die sich ein wenig anders äu­ßert.«

»Aber was... Ich meine, wie ist ihm zu helfen?« »Zunächst einmal musst du versuchen, das Fieber zu senken. Kal­

te Umschläge, spezielle Tees... Du wirst davon ein wenig wissen. Am besten besorgst du eine Pflegerin, die an seinem Bett wachen und ihn versorgen kann.«

»Aber wenn es die Pest ist...« »In zwei Tagen komme ich wieder, dann kann ich gewiss mehr sa­

gen.« Der Arzt verabschiedete sich, wie Karl fand, recht hastig. Der Diener erklärte dem Gastwirt die Lage, wobei er es aber strikt vermied, die möglichen Krankheitsursachen zu erwähnen und wies ihn an, eine Pflegerin zu besorgen. Für ein paar Münzen zeigte der sich dazu bereit. Dann verließ Karl das Gasthaus und lief eine Weile ziellos durch die Straßen. Er überlegte, was er tun sollte. Sein Herr benötigte dringend Hilfe. Der Arzt konnte nicht viel für ihn tun, er wusste ja nicht einmal genau, woran Prinz Maximilian litt. Doch es gab jemanden, der dies ganz sicher feststellen und den jungen Edelmann vielleicht sogar kurie­ren konnte: Miranda! Karl blieb wie angewurzelt stehen. Natürlich, sie war die letzte Rettung für den Prinzen. Schließlich hatte sie auch die Fürstin kuriert. Und ihr Leiden war dem ihres Sohnes nicht ganz un­ähnlich gewesen.

Doch wie sollte Karl die Pestheilerin zu seinem Herren schaffen? Es gab nur einen Weg: Bestechung. Wenn die Summe hoch genug war, würden die Wächter Miranda entkommen lassen. Und er, Karl,

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wollte sie dann abfangen und zu Maximilian bringen. Als kleine Gegen­leistung für ihre Befreiung sollte sie ihn heilen...

Bereits am nächsten Morgen suchte Karl die Nähe des Kerkers und schaute sich genau um. Es dauerte nicht lange, bis er die Wach­wechsel erfasst und festgestellt hatte, wer für seine Bestechung in Fra­ge kam. Als die beiden Wächter Mittagspause machten und sich im Freien die Füße vertraten, näherte er sich ihnen unauffällig. Sie be­achteten ihn zunächst nicht, erst als er das Wort an sie richtete, blick­ten sie auf.

Der Diener stellte fest, dass es finstere Gesellen waren. Er konnte sich lebhaft vorstellen, dass die Gefangenen bei ihnen nichts zu lachen hatten. Und er ahnte zugleich, dass er sich sehr vorsehen musste, wollte er nicht selbst im Kerker landen...

»Habe gehört, hier liegt eine Gefangene mit Namen Miranda«, sagte er halblaut und fügte noch bedeutsam hinzu: »Es gibt einen ho­hen Herren, der will sie lieber frei sehen...«

»So?« Der eine Wächter, ein grobschlächtiger Kerl mit gebro­chener Nase grinste. »Und warum hat dieser hohe Herr sich nicht frü­her darum gekümmert? Jetzt ist's zu spät.«

»Sie ist tot?« »Noch nicht«, dehnte der Wärter. »Aber die Verhöre sind streng.

Und wenn der Reichsgraf nicht hört, was er hören will, ist er schnell bei der Hand mit Daumenschrauben und glühenden Zangen.« Er tauschte einen viel sagenden Blick mit seinem Kollegen. »Bei dem macht es keine länger als zwei Verhöre.«

Die Wächter lachten, Karl aber blieb ernst. Er wog einen Beutel mit Münzen unauffällig in der Hand. Sofort wurden die Kerle auf­merksam.

»Deinem Herren liegt wohl viel daran, die Miranda frei zu bekom­men«, mutmaßte der zweite Wächter. Er war kleiner als sein Kollege und hatte ein verschlagenes Gesicht.

»Sehr viel. In diesem Beutel befindet sich eine ansehnliche Sum­me. Und sie gehört euch beiden, wenn Miranda noch vor Sonnen­untergang in Freiheit ist.«

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Die beiden Kerle tauschten unsichere Blicke. Man sah ihnen an, wie gierig sie auf das Geld waren. Zugleich fürchteten sie aber die Be­strafung, wenn herauskam, wer die Gefangene freigelassen hatte.

»Ich weiß nicht recht«, murmelte der Erste. »Es ist gefährlich für uns. Wir könnten selbst beschuldigt und in den Kerker geworfen wer­den...«

»Das Leben ist nun mal gefährlich«, meinte Karl lapidar. »Doch wenn ihr nicht wollt, dann kann man nichts machen.« Er steckte das Geld wieder ein und wandte sich zum Gehen, da rief der Kleine: »War­te! Wir müssen es uns erst überlegen.« Er zerrte seinen Kollegen ein Stück fort, die beiden debattierten heftig. Schließlich gab der Größere nach. Karl atmete auf; es schien ihm nahezu sicher, dass die Geldgier obsiegt hatte. Und er sollte sich nicht täuschen.

»Hör zu: Wir schmuggeln das Weib am hohen Nachmittag aus dem Hintereingang. Aber du wirst nicht viel Freude an ihr haben, ver­letzt wie sie ist...« Er starrte gierig auf den Beutel in Karls Hand. »Nun gib uns das Geld und...«

»Das Geld erhaltet ihr, wenn Miranda frei ist.« Der Diener blickte grimmig in das verschlagene Gesicht seines Gegenübers. »Ich warne euch, versucht nicht, mich zu betrügen. Hinter mir steht ein hoher Herr, der mit Leichtigkeit euer beider Tod befehlen kann, verstanden? Wir machen es, wie besprochen...«

»Also schön.« Der Wächter wirkte alles andere als zufrieden, doch er spürte,

dass er keine andere Möglichkeit hatte. Sein Auftraggeber war fest entschlossen, seinen Willen durchzusetzen.

»Ich warte beim Hintereingang auf euch. Und lasst es euch nicht einfallen, unsere Vereinbarung zu brechen. Das würde euch nicht gut bekommen...«

Die beiden Kerle bedachten Karl noch mit einem finsteren Blick und versprachen ihm dann in die Hand, seine Anweisungen zu befol­gen. Einigermaßen beruhigt kehrte der Diener ins Gasthaus zurück, um auf den Nachmittag zu warten...

*

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Anna war leicht eingenickt, als sie von einem rasselnden Schlüssel aufgeschreckt wurde. Sofort erfasste sie wieder die Panik und sie sprang auf, um in die hinterste Ecke der Zelle zurückzuweichen. Mi­randa, die nahe dem Gitter lag, rührte sich kaum. Ihre Wunden blu­teten zwar nicht mehr, doch im Innersten schien sie gebrochen, ohne Lebenswillen. Anna hatte alles versucht, um die Ziehmutter ein wenig aufzumuntern, aber es war ihr nicht gelungen. Sie fürchtete, dass Mi­randa sich aufgegeben hatte. Diese Vorstellung erschien ihr im Zu­sammenhang mit dem starken, ja eisernen Willen der Pestheilerin kaum glaublich. Doch ihr Verhalten wies darauf hin. Und das machte Anna große Angst.

Die Wächter drangen mit Fackeln in die Zelle ein. Das schöne Mädchen presste sich starr vor Angst gegen die feuchte, schimmlige Wand. Aber die Wächter würdigten Anna keines Blickes. Sie hatten es auf Miranda abgesehen. Einer packte die Frau unter den Armen, die einen erstickten Schmerzenslaut von sich gab. Anna schrie plötzlich auf: »Lasst sie los, ihr Hunde! Das werdet ihr in der Hölle büßen, ihr gemeinen Mörder, ihr...«

Der zweite Wächter bekam das Mädchen um die Taille zu fassen und herrschte es an: »Sei gefälligst still, du kleine Hexe. Oder willst du vielleicht Bekanntschaft mit dem Reichsgrafen machen, hä?«

Anna verstummte abrupt. Tränen sammelten sich in ihren Augen und sie versuchte verzweifelt sich von dem Griff des Grobians zu be­freien. Dieser ließ sie aber schon freiwillig los. Sein Kumpan hätte Mi­randa geschultert, gemeinsam verließen sie die Zelle. Und Anna blieb allein zurück...

»Es ist nicht recht«, merkte der Wächter mit der gebrochenen Na­se an. »Was haben wir von ein paar Talern, wenn Bernau uns an den Hexenbaum binden lässt? Bedenke doch, er ist gnadenlos und schreckt vor nichts zurück...«

»Mag schon sein. Doch ich brauche das Geld«, gab der Kleinere zurück. »Meine Frau ist krank, ein Doktor soll nach ihr sehen. Und das kostet eine Menge.«

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»Also schön. Aber wir müssen uns gegenseitig ins Wort nehmen. Keiner darf den anderen verraten. Wir wissen von nichts und haben nichts gesehen!«

»Freilich. Sie ist doch eine Hexe.« Der Kleinere lachte hinterhältig. »Heißt es nicht, dass die fliegen können? Der Kerker wird so eine ge­wiss nicht aufhalten...«

Miranda hatte die Unterhaltung der beiden Kerle mit halbem Ohr belauscht. Sie fühlte sich noch immer matt und jeder Knochen tat ihr im Leibe weh. Von den Wunden, die der verrückte Bernau ihr zugefügt hatte, gar nicht zu reden. Doch sie hatte durchaus begriffen, dass die beiden Kerle sie freilassen wollten. Anscheinend hatte Anna doch nicht ganz Unrecht; der Prinz von Schwarzenberg schien sich für sie einzu­setzen, wenn auch auf eine nicht ganz legale Weise. Doch wenn dies die einzige Art war, zu helfen, dann sollte sie Miranda nur recht sein.

Eines begriff sie allerdings nicht: Wieso war Anna noch in der Zel­le, warum hatten sie das Mädchen nicht auch rausgeholt?

Eine Antwort auf diese Frage ließ sich nicht finden. Und als Miran­da nun die frische, kalte Spätherbstluft einatmete, war es ihr, als kehre das Leben unvermittelt in ihren gepeinigten Körper zurück. Noch im­mer erschien es ihr, als sei dies alles nur ein schöner Traum, der doch nicht Wirklichkeit werden konnte. Doch der Kerl, der sie geschultert hatte, ließ sie nun wie einen Sack voller Kartoffeln zu Boden fallen. Miranda verkniff sich einen Schmerzenslaut. Sie starrte zu den Wachen hinauf, die wohl auf etwas warteten und fragte: »Warum holt ihr Anna nicht? Lasst sie frei, denn sie ist tausendmal unschuldiger als ich!«

»Halt's Maul«, war alles, was sie als Antwort hörte. Nur wenige Minuten lag Miranda auf der kalten feuchten Erde.

Dann erschien Karl, bezahlte die Wächter und half ihr auf die Füße. Besorgt wollte er wissen: »Kannst du gehen? Oder soll ich einen Wa­gen holen?« Er hatte nicht damit gerechnet, dass Miranda sich in so schlechter Verfassung befand.

Die Pestheilerin nickte. »Ja, hol einen Wagen. Ich kann kaum ei­nen Schritt tun. Die Schmerzen...«

»Schon gut, ich beeile mich!« Er half ihr, sich in einem Gebüsch zu verstecken und wollte dann fort, doch Miranda hielt ihn am Ärmel fest

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und fragte: »Warum hast du Anna nicht befreit? Hat dein Herr sie schon vergessen?«

»Gewiss nicht. Er wollte beim Bischof vorsprechen, doch ein Fie­ber hat ihn aufs Lager niedergestreckt. Der Doktor weiß sich keinen Rat. Und da habe ich an dich gedacht. Du hast auch die Fürstin ku­riert. So wirst du meinem Brotherren als kleine Gegenleistung für dei­ne Freiheit gewiss die gleiche Pflege angedeihen lassen, nicht wahr?«

Die dunkelhaarige Frau überlegte kurz, dann stimmte sie zu. Karl ließ sie daraufhin allein. Er war überzeugt, das einzig Richtige getan zu haben. Miranda würde den Prinzen kurieren. Und dann konnte dieser sich für die Freilassung der Anna Landurius einsetzen. Ja, nur so wür­de es gehen!

Es dauerte eine Weile, bis der Diener einen Kutscher gefunden hatte, der auch Lasten transportieren konnte. Er trieb den Mann zur Eile an, doch der schien alle Zeit der Welt zu haben. Endlich hatten sie das Gesträuch erreicht, in dem Karl Miranda versteckt hatte. Er suchte nach ihr, konnte sie aber nicht finden. Ein ungutes Gefühl stieg in ihm auf. Hatten die Wächter sie vielleicht wieder gefangen genommen? Doch das konnte er sich kaum vorstellen, schließlich war ihr Versteck mit Bedacht gewählt. Beinahe eine halbe Stunde lange durchforstete Karl die Sträucher, doch Miranda blieb verschwunden. Der Diener des Prinzen Schwarzenberg musste sich schließlich eingestehen, einen großen Fehler begangen zu haben. Er hatte den Wächtern misstraut, die sich jedoch an ihre Abmachung gehalten hatten. Und er hatte Mi­randa vertraut, die sich die erstbeste Gelegenheit zu Nutze gemacht hatte und geflohen war.

Niedergeschlagen machte Karl sich auf den Rückweg zum Gast­haus. Was sollte nun werden? Er musste versuchen, seinem Herren aus eigener Kraft zu helfen. Und er musste hoffen, dass es nicht die Pest war, die Prinz Maximilian aufs Lager gestreckt hatte. Denn dann würden sie alle ihr Leben verlieren; der Prinz, Anna und auch Karl. Einzig Miranda, der er die Flucht aus dem Kerker ermöglicht und die ihm dies schlecht gedankt hatte, würde vielleicht überleben...

*

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Anna wartete lange auf Mirandas Rückkehr. Immer wieder fragte sie die Wachen nach ihrer Ziehmutter, doch die machten bloß dumme Witze oder behaupteten, Miranda sei bereits tot.

Das schöne Mädchen wurde immer verzweifelter. Und als die Wa­chen sie schließlich zum Verhör holten, hing Anna willenlos in ihrem harten Griff. Sie hatte sich bereits aufgegeben, glaubte, das vermeint­liche Schicksal ihrer Ziehmutter teilen zu müssen.

Als sie den Kerker verließ und über einen langen Gang in ein Zimmer mit Tageslicht gebracht wurde, war sie kurz so geblendet, dass sie kaum etwas erkennen konnte. Nur verschwommen nahm An-na die Umrisse des Raums wahr; das bleiverglaste Fenster, durch das trübes Licht fiel, der erhöht stehende Tisch des Richters, die Wachen an der Tür. Doch es dauerte nicht lange, bis sie etwas Gravierendes feststellte: Es war nicht der Reichsgraf Bernau, der auf dem Richter­stuhl saß. Sie kannte den Mann nicht, der sie nun ernst und streng musterte. Was sie aber begriff war, dass es sich um einen kirchlichen Würdenträger handelte, vielleicht um den Bischof, von dem die Wa­chen gesprochen hatten. Wenn dies wirklich stimmte, dann mochte es noch Hoffnung geben, denn die Wächter hatten den Bischof als ge­recht beschrieben. Er würde möglicherweise sogar erkennen, dass Anna unschuldig war...

»Tritt näher«, bat er mit strenger Stimme. »Und nenne mir deinen Namen.«

»Ich heiße Anna Landurius«, sagte sie leise und verschreckt. Bischof Egidius beugte sich ein wenig vor. »Du musst lauter spre­

chen, mein Kind, ich verstehe dich nicht. Und du brauchst dich auch nicht zu fürchten. Wenn du ein reines Gewissen dein eigen nennen kannst, wird dir hier nichts geschehen.«

»Das habe ich, trotzdem hat man mich in den Kerker geworfen. Und meine arme Ziehmutter...« Sie verstummte unter dem forschen­den Blick des Kirchenmannes, der sich nun verfinsterte. Anna meinte, ihn erzürnt zu haben, sie konnte nicht wissen, was der wahre Grund für den Unwillen des Bischofs war.

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Am Vortag hatte sein Nuntius ihm nämlich mitteilen müssen, dass die so genannte Pestheilerin Miranda unter der Folter verstorben war. Der Reichsgraf hatte behauptet, sie ›mit Samthandschuhen‹ angefasst zu haben und es war zu einem heftigen Disput zwischen dem Kir­chenvertreter und dem selbst ernannten Hexenjäger gekommen. Bi­schof Egidius hatte daraufhin die Befragungen der Verdächtigen wie­der selbst in die Hand genommen und Bernau war wütend abgezogen. Der Kirchenmann wusste nicht, wohin und es war ihm eigentlich auch einerlei. Allerdings empfand er eine gewisse Schuld diesem jungen Leben gegenüber, dem man aus reiner Willkür den einzigen Menschen genommen hatte.

»So sprich nun frank und frei und erzähle über das Leben, das du an der Seite der Miranda geführt hast, die dich an Kindesstatt ange­nommen und ernährt hat«, forderte der Bischof mit ernster Miene. »Man klagt sie der Hexerei, der Buhlschaft mit dem Teufel und vieler weiterer schwerer Vergehen an. Ich möchte prüfen, was davon der Wahrheit entspricht, um mit reinem Herzen mein Urteil sprechen zu können.«

»Sie ist keine Hexe, vielmehr eine gottesfürchtige Frau«, entgeg­nete Anna entschieden. Die sachliche und nicht unfreundliche Art des Bischofs machte ihr wieder ein klein wenig Mut. Auch wenn die Ver­zweiflung nicht aus ihrem Herzen weichen wollte, die nicht nur aus der Angst um ihr eigenes Leben genährt wurde, sondern auch aus der Ungewissheit von Mirandas Schicksal, so berichtete sie nun doch in zunehmendem Vertrauen alles, was ihr in den Sinn kam.

Der Bischof lauschte aufmerksam. Und je länger Anna zu ihm sprach, desto deutlicher erschien es ihm, dass die ganze Anklage ge­gen die beiden Frauen aus nichts anderem als bösem Mutwillen ent­standen war. Auch wenn Anna ihre Ziehmutter in manchen Dingen mit noch fast kindlicher Naivität sah, schien doch rasch bewiesen, dass Miranda nichts Böses im Schilde geführt hatte. Sie war eine Kräuter­kennerin, hatte heilen und helfen können. Dass sie sich ihre Dienste bezahlen ließ, schien nur natürlich. Immerhin warf man es ja auch einem Arzt nicht vor, wenn er Honorar annahm.

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»Was trägst du da um deinen Hals?«, fragte der Bischof schließ­lich, nachdem Anna geendet hatte. Er hatte etwas silbern aufblitzen sehen, was seine Aufmerksamkeit erregte.

Anna zog das Kreuz unter ihrem Kleid hervor und reichte es dem Bischof. »Es ist das einzige, was meine Eltern mir hinterlassen haben. Dies kleine Kruzifix erhielt ich vom Pastor bei meiner Geburt. Es hat mir oft Trost in schweren Stunden gespendet.«

Egidius betrachtete das schlichte Schmuckstück eine Weile nach­denklich und gab es schließlich dem Mädchen zurück. »Warte nun draußen, du wirst gleich mein Urteil erfahren«, wies er sie mit ruhiger Stimme an.

Nachdem Anna den Raum verlassen hatte, wandte der Bischof sich an seinen Nuntius, der die ganze Zeit im Hintergrund gestanden und sich ruhig verhalten hatte. »Nun, Fellner, was denkt Ihr? Sind das die Worte einer Hexe gewesen?«

»Ich kann es mir nicht vorstellen, doch wir sollten nicht verges­sen, dass die Hexenbrut sich hervorragend aufs Verstellen und Blen­den versteht. Was man sieht, muss nicht zwangsläufig die Wahrheit sein. Auch in einer scheinbar reinen Seele mag ein böser Dämon hau­sen...«

»Das kann schon richtig sein«, pflichtete der Bischof ihm nach­denklich zu. »Doch in diesem Falle erscheint es mir sehr unwahr­scheinlich. Das Mädchen weiß nichts von schlechten Dingen. Es hat bei der Miranda gelebt, ist ihr zur Hand gegangen. Ich sehe keine Hand­habe, hier weiter in sie zu dringen. Wir sollten sie gehen lassen.«

Fellner senkte den Blick, er war offensichtlich damit nicht einver­standen. Der Bischof erinnerte ihn streng: »Soll es ihr vielleicht so er­gehen wie ihrer bedauernswertem Ziehmutter? Ich weiß, uns steht eine nicht leichte Aufgabe an, wir müssen gegen den bösen Verderber kämpfen, unsere Erde von seiner Brut reinigen. Und ich bin der Letzte, der dies als unnötig ansieht. Doch in diesem Fall scheinen mir wieder einmal persönliche Motive eine Rolle zu spielen. Der Reichsgraf hat wohl so etwas wie eine Erfolgsquote zu erfüllen, die er sich selber auf­erlegt...«

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»Bernau ist gewissenhaft und nicht zimperlich. Aber ich glaube, er handelt nur aus gutem Willen heraus.«

»Ich will nichts mehr mit diesem Menschen zu tun haben«, wehrte der Bischof ungehalten ab. »Er ist nicht befugt, über seine Mitmen­schen zu richten, sein Charakter gibt ihm dazu keinerlei Berechtigung. Und ich kann es mir selbst nicht verzeihen, dass ich ihm die Zügel ließ...«

»So wollt Ihr das Mädchen gehen lassen?«, fragte der Nuntius nach. »Ob es aber sicher ist außerhalb dieser Mauern? Ich glaube nicht, dass Bernau aufgegeben hat...«

»Mag sein. Doch wir können das Mädchen nicht schützen. Das Einzige, was ich sicher weiß, ist, dass Anna Landurius unschuldig ist. Sie hat keines der Verbrechen begangen, deren man sie zeiht. Und ich werde keinen Menschen verurteilen, um einem Eiferer nach dem Mund zu reden.« Er lächelte milde. »Ich weiß, viele halten mich für zu alt, zu nachgiebig. Vielleicht bin ich das auch. Doch so ist mein Entschluss. Lasst das Mädchen frei.«

*

Gunter von Bernau hatte noch lange an dem Streit mit dem Bischof von Rottach zu kauen. Er konnte es nicht verwinden, dass dieser ver­kalkte Kirchenmann ihm die Tür gewiesen hatte. Und er war nicht be­reit, sich das einfach gefallen zu lassen. Egidius sollte für seine Dummheit, seine Engstirnigkeit büßen!

Wie ein gefangenes Tier marschierte der Reichsgraf in seinem Gastzimmer auf und ab und sann unentwegt über seine Rachepläne nach. Dabei steigerte er sich immer weiter in die Gewissheit, dass Mi­randa nicht tot war, nicht tot sein konnte. Die Folter, die sie erfahren hatte, war harmlos gewesen. Ein paar Fleischwunden, das war alles...

Bernau grinste wirr. Er hatte ihr wehgetan, das stimmte. Doch längst nicht genug, um sie zu töten. Hier passte etwas nicht zusam­men. Steckte der Bischof am Ende mit der Pestheilerin unter einer De­cke? Eine beängstigende Vorstellung. War vielleicht bereits die gesam­

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te Kirche vom Teufel unterwandert, er, Bernau, noch der einzige, der letzte Aufrechte?

In gewisser Weise erschien ihm diese Vorstellung sehr verlockend. Schließlich hatte er sich schon immer für etwas Besonderes gehalten. Doch andererseits; wie sollte er ganz allein gegen alle anderen kämp­fen? Das war beinahe unmöglich.

Aber eben nur beinahe. Schließlich hatte er noch Brunkenstein an seiner Seite. Zusammen konnten sie viel erreichen, er musste dem Grafen nur erklären, was geschehen war...

Ein schmales Lächeln legte sich um seinen Mund, das die Augen aber nicht erreichte. Konnte er noch auf seinen alten Freund und Ver­trauten zählen?

Als habe der Graf seine Gedanken erraten, erschien er wenig spä­ter. Seine Miene war, wie stets in letzter Zeit, ernst und angespannt. Bernau fiel dies nun allerdings zum ersten Mal auf. Und er fragte den Freund: »Was ist Euch? Stimmt etwas nicht?«

Brunkenstein seufzte tief. Er lief eine Weile auf und ab, die Hände hinter den Rücken gelegt und sprach erst, nachdem er vor dem Fens­ter stehen geblieben war. »Bernau, Ihr wisst, wie ich zu Euch stehe. Wir sind Freunde, solange ich zurückdenken kann. Doch einmal kommt der Moment, da muss man einem Freund eine unangenehme Wahrheit ins Gesicht sagen. Auch wenn man sich lieber davor drücken würde. Aber wahre Freundschaft...«

»Reden Sie nicht drum herum. Was ist es? Was wollen Sie mir sa­gen, das so unangenehm ist?«

»Nun, es geht um das, was Ihr hier tut, um Euren Aufenthalt in Hamburg, der, wie nicht nur ich finde, bereits viel zu lange währt.«

Bernau bekam schmale Augen. »Genauer bitte!« »Eure Auseinandersetzung mit dem Bischof hat mich nachdenklich

gemacht. Niemand weiß um die Opfer und Entbehrungen, die Ihr auf Euch genommen habt, um die Diener des Teufels zu bekämpfen, bes­ser als ich. Und eben deshalb braucht Ihr nun Ruhe, Erholung. Es hat keinen Sinn, noch länger hier zu bleiben. Ich möchte Euch deshalb vorschlagen, nach Würzburg zurückzukehren. Wir sollten bald aufbre­chen, denn hier hält uns nichts mehr.«

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»Sie irren sich, Brunkenstein, in jeder Beziehung. Miranda ist hier und ihre verfluchte Helferin. Und solange die beiden nicht am He­xenbaum brennen, ist meine Aufgabe nicht erfüllt!«

»Bernau, ich bitte Euch...« »Schweigt und lasst mich allein! Ich habe bis eben noch geglaubt,

auf Euch zählen zu können. Doch ich habe mich schrecklich geirrt. Auch Ihr seid mir kein Freund mehr, nun bin ich ganz allein in meinem Kampf...«

»Ich muss Euch etwas sagen.« Brunkenstein suchte den Blick des Freundes. »Miranda ist tot. Sie starb nach der Folter, wie Ihr sehr gut wisst. Und Anna wurde vom Bischof für unschuldig befunden, sie...« Er verstummte, denn der Reichsgraf stieß unvermittelt ein irres Lachen aus.

»Das glauben Sie? Diese dummen Lügen halten Sie für Wahrheit und wollen mir einreden, ich sei übermüdet, nicht mehr Herr meiner Sinne! Ich bitte Sie, Brunkenstein! Ich habe den Bischof erkannt und alle seine Schranzen. Sie sind nichts weiter als Diener des Satans. Und ich weiß auch ganz genau, wo die gottverfluchten Weiber sich aufhal­ten.« Er starrte den Freund irre an. »Sie sind im bischöflichen Ordina­riat. Egidius feiert mit ihnen schwarze Messen. Aber nicht mehr lange. Ich werde sie mir alle schnappen. Sie werden BRENNEN!«

Brunkenstein wich entsetzt zurück. »Ihr seid von Sinnen, wartet!« Er wollte den Freund aufhalten, doch dies schien unmöglich. Der Graf spürte, wie Panik von ihm Besitz ergriff. Wenn es ihm nicht gelang, Bernau zu stoppen, würde dieser sich ganz gewiss unglücklich ma­chen. Die lange Zeit der erfolglosen Suche, der plötzliche Tod Miran­das, all das hatte ihm ganz einfach zu sehr zugesetzt. Nun musste man mit allem rechnen. Und Brunkenstein war nicht in der Lage, daran noch etwas zu ändern...

Bernau war tatsächlich von Sinnen. Er sah sich als den Betroge­nen, den Verhöhnten, dessen edle Absichten durch teuflische Intrigen zunichte gemacht worden waren. Und er hatte nur noch einen Wunsch, einen Gedanken: Rache!

Wie ein Wahnsinniger hetzte er durch die Stadt, stürmte das bi­schöfliche Ordinariat und hatte seinen Säbel bereits in die Brust des

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Nuntius Fellner gebohrt, eh dieser überhaupt begriff, was geschah. Auch die beiden Wachen an der Tür waren zu verdutzt von diesem unerwarteten Überfall, um dem schwer verletzten Kirchenmann noch helfen zu können. Röchelnd sank Fellner in seinem Stuhl in sich zu­sammen.

Bernau hatte keinen Blick für sein Opfer. Er rannte weiter, denn er wollte seine Rache vollenden. Kaum einen Atemzug später flog die Tür zum bischöflichen Arbeitszimmer mit einem Knall gegen die Wand. Egidius blickte konsterniert von einigen Papieren auf, die er gerade las.

Der Reichsgraf hob seinen mit Blut besudelten Säbel und herrsch­te den Bischof an: »Wo sind die verdammten Weiber? Los, sprecht! Ich weiß, sie sind hier, ich kenne die Wahrheit! Wo versteckt Ihr sie? Schweigen wird Euch nichts mehr nützen. Denn vor meinen Augen findet kein Sünder Gnade!«

Der Kirchenmann hatte seine Überraschung verwunden. Auch wenn ihm nicht ganz klar war, was der Reichsgraf wollte, schien es doch geboten, auf seine Worte einzugehen. Sein ganzes Auftreten legte den Schluss nah, dass er den Verstand verloren hatte...

»Hier ist niemand außer uns beiden, mein lieber Bernau«, erwi­derte er freundlich. »Bitte, legt doch den Säbel fort. Ich dachte, wir könnten stets wie vernünftige Männer miteinander reden.«

Bernau lachte nur abfällig. »Die Zeiten sind vorbei, seit Ihr Euch mit dem Satan verbündet habt!«, schrie er.

Der Bischof wollte etwas einwenden, doch in diesem Moment wa­ren die Wachen heran. Sie griffen den Eindringling sofort an, ein wilder Kampf entspann sich, in dem die Gegner sich nichts schenkten. Aber die Wachen waren in der Überzahl, das machte sich rasch bemerkbar. Bernau verlor immer mehr an Boden.

Als er bereits glaubte, zu unterliegen, erschien Graf Brunkenstein in der offen stehenden Tür. Der Reichsgraf triumphierte.

»Helfen Sie mir, mein Freund, nur Sie allein können mein Schick­sal noch wenden! Zeigen Sie, dass es nicht der Satan ist, dem Sie die­nen!«

»Bernau, legt die Waffe fort. Dies hier ist ein Haus des Herrn«, er­innerte der Freund ihn langmütig. »Euer Geist hat sich verwirrt, Ihr...«

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»Verräter, überall Verräter!«, kreischte Bernau da, wirbelte herum und griff die Wachen sofort wieder mit Brachialgewalt an. Doch er hat­te sich verrechnet. Bereits im nächsten Augenblick streckte ihn ein Säbelhieb nieder. Tödlich getroffen sank er zu Boden. Brunkenstein eilte zu dem Freund, doch es war zu spät.

Sterbend flüsterte Bernau: »Ich verfluche Euch alle, ihr werdet in der Hölle schmoren...«

Der Graf seufzte leise und wandte sich ab. Eine Weile verging, in der er vergeblich suchte, sich zu sammeln. Endlich legte sich schwer eine Hand auf seine Schulter. Es war der Bischof, der dem Toten die Sterbesakramente verliehen hatte.

Nun sagte er begütigend: »Eine verirrte Seele hat Frieden gefun­den, dafür sollten wir dankbar sein.«

»Er hat wohl tatsächlich bis zuletzt geglaubt, das Rechte zu tun«, mutmaßte Brunkenstein mit belegter Stimme.

»Sie waren ihm ein guter Freund. Wollen Sie nun dafür sorgen, dass er die letzte Ruhe hier findet?«

Brunkenstein überlegte kurz, dann nickte er. Ja, es war wohl das Beste, den Reichsgrafen gleich hier zu bestatten, weit fort von seiner Heimat. So würde dort niemand erfahren, wie sinnlos und tragisch sein früher Tod gewesen war. Zumindest diesen Dienst wollte der Freund ihm erweisen, wenn er schon sonst nichts mehr für ihn tun konnte...

*

Anna schaute sich wie erwachend um. Sie konnte kaum fassen, dass sie tatsächlich auf freiem Fuß war, dass man sie aus dem finsteren Kerker mit all seinen Schrecken entlassen hatte. Das war wie ein Traum, der Wahrheit geworden war. Und doch blieb das Herz des schönen Mädchens schwer. Die Frage nach dem Schicksal der ge­liebten Ziehmutter war für Anna unbeantwortet. Niemand hatte ihr sagen können oder wollen, wie es Miranda ergangen war. Und die hä­mischen Behauptungen der Wächter, dass sie bereits in der Hölle schmore, wollte Anna nicht für wahr halten.

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Das schöne Mädchen beschloss, sich auf die Suche nach der Zieh­mutter zu machen. Gewiss hatte auch Miranda den Bischof überzeugen können, dass sie unschuldig war. Vielleicht hielt sie sich ja bereits wie­der in der Stadt auf und ging ihrem Handwerk nach...

Anna wollte hoffen, um nicht gleich wieder verzweifeln zu müssen. Schließlich hatte Maximilian sie ganz offensichtlich im Stich gelassen. Und wenn Miranda tot wäre, dann hätte sie keinen Menschen mehr auf der Welt. Nein, das durfte nicht sein!

Der erste Weg führte Anna zu dem finsteren Gasthof, in dem sie und ihre Ziehmutter eine kleine Kammer gemietet hatten. Doch der Wirt, ein fetter, dreckiger Kerl mit einer Hasenscharte, scheuchte sie gleich wieder davon. »Hier gibt's keine Hexen mehr, seit man dich und deine Mutter verhaftet hat. Und das soll auch so bleiben«, schimpfte er und versetzte ihr einen Stoß, der sie auf die Straße taumeln ließ. »Ver­schwinde, aber schnell!«

Nachdem er die Tür hinter ihr zugeknallt hatte, blieb Anna eine Weile ratlos auf der Straße stehen. Was sollte sie nun tun, wohin sich wenden? Sie fühlte sich schrecklich einsam und verlassen, denn nie zuvor in ihrem Leben war sie ganz allein gewesen. Früher hatten sich die Eltern um sie gekümmert, dann war Miranda da gewesen. Doch nun schien kein Mensch mehr für Anna sorgen zu können...

Mitten in ihre trüben Gedanken hinein näherten sich Schritte. Au­tomatisch wich Anna zurück. Sie wusste, dass man in dieser Gegend nichts Gutes von Fremden zu erwarten hatte. Doch der da kam, das war kein Fremder.

»Karl! Was tust du denn hier?« Sie starrte den Diener des Prinzen von Bamberg völlig entgeistert an. Denn mit seinem Auftauchen hätte sie am allerwenigsten gerechnet.

»Ich wollte nicht glauben, dass du tatsächlich frei bist, Anna. Aber nun danke ich dem lieben Herrgott dafür«, erwiderte der treue Karl und griff nach ihrer Rechten. »Komm rasch, ich brauche deine Hilfe. Mein Herr...«

Weiter konnte er nicht sprechen, denn Anna entzog ihm ihre Hand mit einem Ruck und musterte ihn kühl. »Dein Herr hat uns im Stich

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gelassen. Wieso sollte ich ihm helfen? Ich muss Miranda suchen und habe keine Zeit, mit dir zu kommen.«

Sie wandte sich zum Gehen, doch Karl bat: »Warte, ich glaube, ich muss dir einiges erklären...« Er räusperte sich. »Der Prinz liegt mit einem schweren Fieber danieder. Zwar sagt der Doktor, dass es nicht die Pest ist, doch er leidet nun bereits fast zwei Wochen.«

In Annas Augen zeigte sich sofort Mitleid. »Er ist krank? Und schon so lange?«

»Gewiss, sonst hätte er euch beiden doch geholfen, so, wie er es versprochen hat. An dem Tag, als er beim Bischof vorsprechen wollte, hat es ihn aufs Lager geworfen. Und seither leidet er. Ich habe alles versucht, ihm zu helfen. Sogar die Miranda habe ich durch Bestechung aus dem Kerker geholt...«

»Sie ist frei? Dann lass uns rasch zu ihr gehen!«, bat Anna aufat­mend. »Ich habe mir so schreckliche Sorgen um sie gemacht. Aber, was hast du denn? Bist ja ganz blass geworden.«

»Sie ist nicht beim Prinzen«, musste Karl zugeben. »Sie... ist mir ausgekommen.«

Anna verstand nicht. »Was willst du damit sagen?« Er berichtete von seiner Vereinbarung mit den Wächtern, dem

Geld, das er ihnen gezahlt hatte. Und dann schilderte er genau, wie er Miranda befreit und in einem Gebüsch versteckt hatte, um einen Wa­gen zu holen.

»Sie konnte angeblich nicht laufen, wegen der Verletzungen. Als ich zurückkam, war sie allerdings verschwunden. Ich habe alles abge­sucht, umsonst. Sie ist einfach geflohen.«

Das schöne Mädchen machte ein sehr ernstes Gesicht. »Das kann ich nicht glauben, Karl. Etwas muss geschehen sein, während du fort warst. Miranda wäre nie weggelaufen, wenn jemand ihre Hilfe braucht. Das ist nicht ihre Art.«

Der Diener hob die Schultern. »Mehr weiß ich auch nicht. Doch was nützt es, sich nun Gedanken zu machen? Mein Herr leidet, er braucht Hilfe...«

Anna straffte sich. Obwohl sie noch immer nicht recht verstand, was sich da abgespielt hatte, wusste sie nun aber, dass Miranda noch

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am Leben war. Das beruhigte sie zumindest ein wenig. Sie beschloss, ihre Suche nach der Ziehmutter fürs Erste aufzugeben. Wenn Miranda lebte und erfuhr, dass auch Anna den Kerker verlassen hatte, würde sie sich gewiss bei ihr melden. Bis dahin lag allerdings noch eine wich­tige Aufgabe vor Anna...

»Ich komme mit dir, Karl«, sagte sie und lächelte ihm ein wenig zu. »Du hast alles getan, was in deinen Kräften stand. Durch dich ist Miranda frei und muss die Häscher nicht mehr fürchten. Allein dafür danke ich dir und bin dir etwas schuldig.«

Das hörte der Diener des Prinzen natürlich nur zu gern. Er war froh und auch erleichtert, dass die gesamte Verantwortung nun nicht mehr auf seinen Schultern ruhte. Und er hoffte sehr, dass das schöne Mädchen seinem Herren helfen konnte.

Prinz Maximilian lag matt und ohne Bewusstsein auf seinem Lager. Die Pflegerin hatte nicht viel erreicht, einzig das Fieber war ein wenig gesunken. Karl schickte die Frau aus dem Zimmer und ließ Anna dann mit dem Prinzen allein. Sie verstand sich auf die Kunst ihrer Ziehmutter bereits recht gut und wusste, welche Tinktur für den Zustand des Kranken angemessen war. Während sie ihn versorgte, gestattete sie sich keinen Gedanken an ihre Gefühle. Sie hatte Maximilian sehr lieb. Und sein Leiden erschütterte sie tief. Doch sie wusste, dass sie nun alles geben musste, um ihm zu helfen. Ihre Gefühle waren dabei nur zweitrangig.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Karl den Raum wieder betrat. Er stellte gleich fest, dass sein Herr ein wenig wohler aussah. Die Wan­gen hatten einen Hauch von Farbe angenommen, sein Schlaf war nicht mehr so tief und erschreckend, wirkte nun eher erholsam. Als der Die­ner Anna dies sagte, erwiderte sie: »Ich bin zwar kein Doktor, doch ich meine, es ist das gleiche Fieber, unter dem auch seine Mutter gelitten hat. Ich weiß, womit Miranda es behandelt hat. Und ich traue mir zu, ihn zu heilen.«

»Gott sei Dank«, murmelte Karl bewegt. »Ich habe mir große Sor­gen gemacht, weil es schien, dass niemand helfen kann.«

»Deshalb hast du auch Miranda befreit, nicht wahr?«

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»Ja, ich dachte, sie heilt ihn. Und dann kann er sich an den Bi­schof wenden, um euer beider Freilassung zu erwirken. Wer hätte schon ahnen können, dass es so anders kommen würde...«

Anna nickte. »Damit hat niemand rechnen können. Aber nun geh und ruhe dich aus. Die Pflegerin kannst du fortschicken. Ich werde mich um den Prinzen kümmern.«

Karl atmete auf. »Dann bin ich beruhigt, denn ich weiß, dass du ihm helfen kannst.«

Mit dieser Feststellung sollte der treue Diener des Prinzen von Bamberg Recht behalten. In den nun folgenden Tagen wich Anna fast nie von Maximilians Lager. Sie pflegte ihn hingebungsvoll, nahm dabei auf sich selbst keine Rücksicht und schlief mehr als einmal vor Er­schöpfung im Sitzen ein. Doch als eine Woche vergangen war, besser­te sich der Zustand des Kranken augenscheinlich. Und als Maximilian Anna zum ersten Mal bewusst wahrnahm, konnte er sein Glück kaum begreifen. Sie berichtete ihm, was geschehen war und endete schließ­lich mit der Feststellung: »Miranda muss Hamburg verlassen haben. Gewiss hatte sie Angst, wieder verhaftet zu werden und ist deshalb aufs Land gegangen. Ich würde sie so gerne finden, um sicher zu ge­hen, dass sie gesund ist und es ihr an nichts fehlt.«

»Wir werden sie suchen, wenn ich wieder auf den Beinen bin«, versprach Maximilian. Er bemerkte, dass Anna widersprechen wollte und beharrte: »Das bin ich dir schuldig, mein Engel. Du hast mein Le­ben gerettet, ich stehe tief in deiner Schuld. Und der Gedanke, dass du hilflos im Kerker hast schmachten müssen, ich dir nicht helfen konnte, der setzt mir sehr zu.«

»Aber Ihr wart krank. Und nun ist ja auch alles vorbei, das Schlim­me liegt hinter mir.«

»Trotzdem mache ich mir Vorwürfe.« Er nahm ihre Hand und schaute sie liebevoll an. »Anna, du bist immer in meinem Herzen, ich konnte dich nicht vergessen. Nie wollte ich von deiner Seite weichen, nur die Gewalt des Fiebers hielt mich von dir fern. Doch das soll nie wieder geschehen. Höre, geliebtes Kind, was ich dir antrage: Ich möchte dich bitten, mit mir nach Bamberg zurückzukehren. Als meine Frau.«

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»O nein!« Sie schrak zurück, doch er hielt ihre Hand fest, sein Blick wollte sie zwingen.

»So liebst du mich nicht?« Sie senkte die Lider, flüsterte: »O doch, mehr als mein Leben.

Doch nie und nimmer kann ein Bettelmädchen wie ich die Fürstin von Bamberg sein...«

»Ich habe mir darüber schon meine Gedanken gemacht«, versi­cherte er daraufhin ernsthaft. »Wenn meine Eltern unsere Heirat nicht erlauben, werde ich meinen Titel ablegen. Ein Leben ohne dich ist für mich nicht mehr lebenswert. Und wenn du mich liebst, wie du sagst, so gib mir dein Versprechen, willst du mein Herz nicht in tiefste Ver­zweiflung stürzen.«

Sie schaute ihn scheu an, spürte, wie ihr Herz raste und zugleich ahnte Anna, dass sie den eigenen Gefühlen nicht mehr davonlaufen konnte. Ja, sie liebte Maximilian und sie musste nur in seine Augen schauen, um zu wissen, dass er ebenso empfand. Es wäre eine Sünde gewesen, dieses besondere Glück zu verleugnen, aus Angst oder Unsi­cherheit. Zu viel lag hinter ihnen, das Schicksal hatte es ihnen nicht leicht gemacht, sie nun aber doch zusammengeführt. Es sollte sein!

»Ich will Euch heiraten, Maximilian, denn ich liebe Euch ebenso in­nig und aufrichtig«, gestand sie ihm mit leiser Stimme. »Aber Ihr müsst mir eines versprechen: Niemals dürft Ihr meinetwegen die Fürs­tenkrone niederlegen. Was immer auch kommen mag, ich will Euch zur Seite stehen. Wenn nicht anders, so auch als heimliche Ehefrau...«

»Du bist sehr klug, Anna. Und deine Worte beschämen mich. Ei­nes aber ist für mich gewiss: Ich werde dich niemals verstecken, du sollst immer an meiner Seite sein.« Und zur Besiegelung dieses Ver­sprechens, das wie ein Schwur klang, schenkte der junge Edelmann dem schönen Mädchen einen so zärtlichen, innigen Kuss, dass zwei liebende Herzen für eine kleine Weile alles andere vergaßen und ein­ander genug waren.

*

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Beinahe ein Monat war vergangen, das Jahr neigte sich allmählich sei­nem Ende zu. Prinz Maximilian war in der Zwischenzeit vollständig ge­nesen und sprach davon, nach Bamberg zurückzukehren. Nichts hielt ihn mehr in der Hansestadt, er verspürte den Wunsch, Anna heimzu­führen. Doch das schöne Mädchen wollte noch nicht fort von Ham­burg.

»Solange ich nicht weiß, was mit Miranda ist, kann ich nicht abrei­sen, bitte, Maximilian, versucht, dies zu verstehen!«, hatte sie ihn erst am Vortag gebeten.

Er verstand, was ihr Herz bewegte. Doch allmählich schien es ihm müßig, noch weiter nach dem Verbleib der Pestheilerin zu forschen. Sie konnte überall sein, ihr Handwerk in einer anderen Stadt oder auf dem platten Land ausüben. Möglicherweise war sie in der Zwischenzeit schon wieder im Süden des Landes. Oder sie hatte das Deutsche Reich sogar verlassen. Alles schien möglich. Und der Prinz mochte sein zu­künftiges Schicksal nicht von so vielen Unwägbarkeiten abhängig ma­chen. So wies er schließlich Karl an, ihre Habe zusammenzupacken und bat Anna, ihn in die Stadt zu begleiten. Gleich dachte sie, er habe eine Spur ihrer Ziehmutter, doch er mahnte sie: »Du darfst nicht im­mer nur an Miranda denken, dein Leben dreht sich nun nicht mehr einzig um sie. Ich möchte, dass du angemessen im Fürstenschloss Ein­zug hältst. Deshalb habe ich dir einige Kleider schneidern lassen. Wir wollen nun zur Schneiderin gehen und sehen, ob mein Augenmaß mich nicht getäuscht hat.«

Anna machte große Augen. »Kleider? Aber ich... kann keine Klei­der bezahlen. Und es ist auch nicht nötig...«

Der junge Edelmann blieb stehen, nahm die schlanken Hände des schönen Mädchens fest in seine und erklärte: »Du musst dich langsam daran gewöhnen, eine zukünftige Prinzessin Schwarzenberg zu sein. Und nun will ich keine Widerrede mehr hören!«

Anna schwieg befangen. Seit Maximilians Genesung hatte sie kaum an die Zukunft gedacht, nur den Augenblick genossen. Dass er sie irgendwann mit nach Bamberg nehmen wollte, schob sie weit von sich. Nun, da sie den Tatsachen nicht mehr ausweichen konnte, ängs­tigte sie das, was da auf sie zukam. Sie war doch nur ein einfaches

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Bauernmädchen und sollte nun eine Prinzessin sein? Das war nicht möglich! Anna dachte an die deutlichen Worte der Fürstin Luise. Sie hatte ihr ohne Umschweife klargemacht, dass ihr Sohn nur eine Gleichgestellte heiraten durfte. Und wenn sie nun an seiner Seite ins Fürstenschloss ritt...

Für kurze Zeit vergaß Anna ihren Kummer, als sie die wunder­baren Gewänder anlegte, die für sie angefertigt worden waren. Sie konnte es kaum fassen, denn sie sah in den reich bestickten Kleidern aus kostbarem Brokat mit Haube und Handschuhen tatsächlich wie eine edle Dame aus. Dass der Prinz gleich mehrere komplette Garde­roben für sie geordert hatte, erschien ihr übertrieben. Doch sein Blick sagte ihr, wie schön sie in den Kleidern war, wie schön er sie fand. Und ihre Eitelkeit obsiegte für eine Weile über das Gefühl, sich etwas anzueignen, was ihr eigentlich nicht zustand.

Als sie dann zum Gasthaus zurückkehrten, hatte Karl bereits alles gepackt und die Pferde reisefertig machen lassen. Anna zögerte.

»Wir müssen aufbrechen, bevor der erste Schnee fällt«, mahnte Maximilian sie nachsichtig. »Vielleicht erfahren wir ja später noch, wie es Miranda geht. Doch jetzt muss ich an dich denken, mein Engel. Eine Reise im Winter ist zu beschwerlich für dich.«

Sie wusste, er hatte Recht. Trotzdem gab sie nur widerwillig nach. Und das Gefühl, ihre Ziehmutter im Stich zu lassen, wollte lange nicht weichen...

Sie kamen zügig voran, denn das Wetter hielt sich. In der Nähe von Hannover übernachteten sie in einem einfachen, aber sauberen Gasthof. Die Wirtin war eine dralle Person jenseits der fünfzig, die über einen unverwüstlichen Humor zu verfügen schien. Wie überall, wo sie bislang Station gemacht hatten, fragte Karl auch hier nach Miranda. Und er war sehr überrascht, als die Wirtin daraufhin erklärte: »Die war hier, ist aber schon eine Weile her. Arme Seele, sie hatte wohl den Verstand verloren...«

Karl lauschte gespannt den Worten der Frau, die anschaulich schil­dern konnte. Nachdem sie verstummt war, bedankte er sich mit einer Silbermünze und gesellte sich dann wieder zu seiner Herrschaft. Was er erfahren hatte, war nicht leicht in Worte zu fassen. Vor allem, weil

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der Diener wusste, wie sehr es Anna treffen würde. Doch es hatte kei­nen Sinn, ihr die Wahrheit zu verschweigen. Nur wenn sie diese kann­te, konnte sie mit der Vergangenheit endgültig abschließen. Deshalb erklärte er nun vorsichtig: »Wie es scheint, war die Miranda hier, vor ein paar Wochen schon. Die Wirtin erinnert sich gut an sie.« Er machte eine kurze Pause, denn Anna bestürmte ihn sogleich mit Fragen. Ma­ximilian mahnte sie lächelnd: »Höre nur zu, mein Liebes, Karl wird dir gewiss alles berichten.«

Es fiel ihr nicht leicht, zu schweigen, doch sie gab sich Mühe. Der Diener erzählte: »Sie kam von Hamburg, nachdem sie mir wegge­laufen war, muss schon eine Weile unterwegs gewesen sein. Sie war anscheinend verwirrt, wusste nicht mehr so recht ein noch aus. Was sie im Kerker erlebt hat, war wohl zu schlimm. Die Wirtin gab ihr eini­ge Tage Unterschlupf, merkte aber bald, dass Miranda krank war. Nur kurze Zeit später starb sie. An der Pest, wie es scheint. Sie liegt hier auf dem Kirchhof begraben.«

»Sie ist... tot?« Anna verbarg das Gesicht in den Händen und weinte bitterlich. So sehr hatte sie gehofft, die geliebte Ziehmutter wieder sehen zu können, doch nun schien alles umsonst. Verzweiflung und ein schlimmer Schmerz bohrten sich tief in ihr Herz. Als Maximilian sie in den Arm nahm, schluchzte sie laut.

»Sie hat ihren Frieden gefunden«, murmelte Karl. »Es war wohl besser so. Nach dem Schlimmen, was ihr angetan wurde, hatte sich ihr Geist verwirrt. Sie wäre nie wieder die Alte geworden...«

»Aber ich hätte sie trotzdem lieb gehabt. Ich hätte sie pflegen können«, nuschelte Anna niedergeschmettert. »Ach, dass sie aber auch in der Fremde und ganz allein sterben musste! Das hatte sie nicht verdient...«

Bevor die kleine Gesellschaft am nächsten Morgen ihre Reise fort­setzte, begleitete Prinz Maximilian seine Braut zum Grab der Miranda. Es regnete fein, doch Anna schien es gar nicht zu merken. Noch ein­mal weinte sie bittere Tränen, dann wandte sie sich ab, das Herz voller Trauer, doch fest entschlossen, ihr Leben an der Seite des geliebten Mannes aufzunehmen.

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Als die drei Reisenden sich nach vielen Tagen endlich Bamberg näherten, empfing sie bereits von ferne die auf Halbmast wehende Flagge der Schwarzenbergs. Maximilian wusste, was dies zu bedeuten hatte: Der Fürst war verschieden. Die schlechte Neuigkeit traf den jungen Edelmann schmerzhaft. Er trieb die Pferde zum scharfen Ritt, denn er wollte wissen, was geschehen war. Und er fand Fürstin Luise in tiefer Trauer.

»Gott sei gedankt, du bist zurück«, murmelte sie mit steifen Lip­pen. »Dein armer Vater ist seit einer Woche unter der Erde, das Fie­ber, das auch mich befiel, es kostete ihn das Leben. Vielleicht, wenn Miranda hier gewesen wäre, sie hätte ihn retten können, doch sie war fort...« Ihr Blick fiel auf Anna, die, wie ein Edelfräulein gekleidet, schüchtern zurückgeblieben war. Die Fürstin erfasste die Situation so­fort. Hatte Anna aber erwartet, abgelehnt zu werden, sie sah sich ge­täuscht. Fürstin Luise hatte sehr unter dem Tod ihres Mannes gelitten, ebenso sehr fast unter dem Verschwinden ihres Sohnes. Dass dieser nun wieder bei ihr war, bedeutete Hoffnung und neue Sicherheit. Die Fürstin war klug genug, diese nicht sogleich wieder in Frage zu stellen.

»Wie ich sehe, bringst du deine Braut gleich mit«, stellte sie mit einem warmherzigen Lächeln fest und reichte Anna die Hand. »Komm her, mein Kind. Wir wollen vergessen, was gewesen ist. Erzählt mir, wie es Euch ergangen ist, ich bin begierig, alles zu hören. Und dann sollten wir von Eurer Heirat sprechen. Denn Bamberg braucht einen neuen Fürsten...«

Zögernd kam Anna näher, knickste und legte ihre Rechte in die der Fürstin. Wie ein warmer Glücksstrahl traf sie der liebevolle Blick ihres Bräutigams. Und mit einem Mal, nach langer, langer Zeit fühlte Anna sich daheim, glücklich und geborgen.

Ende

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