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Die Bedeutung der subcorticalen Zentren fiir das psychische Geschehen. Von Dr. Max Serog-Bres]au. (Eingegangen am 2. November 192t.) Seitdem die Frage nach dcr physiologischen Bedeutung der Stamm- ganglien durch die Arbeiten der letzten Zeit ihrer Kli~rung nigher geffihrt wird, beginnt immer mehr anch die nach ihrer psychologischen Be- deutung gestellt zu werden. Lange Zeit hat ciner derartigen Fragestel- lung die Vorstellung im Wege gestanden, dal~ einzig und allein die Hirn- rinde das Organ sei dem, psychische Funktionen zukgmen. Nachdem durch Erkenntnisse, die bahnbrechend waren und der weiteren Forschung yon Dezennien die ]~ichtung gaben, die Bedeutung bestimmter Bezirke der Hirnrinde ffir das psychische Erleben bewul]ter Empfindungen und Vorstellungen ebenso wie der willkiirlichen Bewegungen erkannt und sicher bewiesen war, bestand ganz naturgemi~13 eine gewisse ,,Einstel- lung" der Forschung ~nf den Cortex. ])iese Einstellung hat dann d~zu geffihrt, iiberhaupt nut der Hirnrinde psychische Funktionen zuzuer- kennen und folgerichtig alle psychischen Erkrankungen als solche der Hirnrinde anzusehen. Es wurden also auch lange Zeit hindurch bei Psy- chosen nur in dieser ~n~tomische Ver~nderungen erwartet und daher auch nur in ihr solche gesucht. Abet wie ein Blick in die Literatur der letzten Zeit lehrt, kommt die Lehre, dab psychische Funktionen einzig an die Hirnrinde gebunden seien, allmghlich immer mehr ins Wanken. Die folgenden Ausfiihrungen versuchen eine Antwort auf die Fr~ge zu geben, ob die snbcorticalen Ganglien auch eine psychische Bedcutung besitzen und welcherArt sie ist. Ich gehe dabei zungchst yon theoretisch- psychologischen Erwiigungen aus, die reich bereits vor 13 Jahren, also lange bevor ant Grund klinischer Erfahrungen ghnliche Anschauungen gegul3ert wurden, zu der {}berzeugung fiihrten, dab bei den affektiven Vorggngen subcorticale Erregungen eine wesentliche Rolle spielen mfissenl). Diese Erwggungen sind folgende: Gefiihlszustgnde und Vorstellungen sind fiir unser psychisches Er- leben etwas durchaus Wesensverschiedenes. In dieser Inkommensura- ~) Serog, M. : Das Problem des Wesens und der Ent.stehung des Gefiihlslebens. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 8, H. 2.

Die Bedeutung der subcorticalen Zentren für das psychische Geschehen

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Die Bedeutung der subcorticalen Zentren fiir das psychische Geschehen.

Von

Dr. Max Serog-Bres]au.

(Eingegangen am 2. November 192t.)

Seitdem die Frage nach dcr physiologischen Bedeutung der Stamm- ganglien durch die Arbeiten der letzten Zeit ihrer Kli~rung nigher geffihrt wird, beginnt immer mehr anch die nach ihrer psychologischen Be- deutung gestellt zu werden. Lange Zeit hat ciner derartigen Fragestel- lung die Vorstellung im Wege gestanden, dal~ einzig und allein die Hirn- rinde das Organ sei dem, psychische Funktionen zukgmen. Nachdem durch Erkenntnisse, die bahnbrechend waren und der weiteren Forschung yon Dezennien die ]~ichtung gaben, die Bedeutung bestimmter Bezirke der Hirnrinde ffir das psychische Erleben bewul]ter Empfindungen und Vorstellungen ebenso wie der willkiirlichen Bewegungen erkannt und sicher bewiesen war, bestand ganz naturgemi~13 eine gewisse ,,Einstel- lung" der Forschung ~nf den Cortex. ])iese Einstellung hat dann d~zu geffihrt, iiberhaupt nut der Hirnrinde psychische Funktionen zuzuer- kennen und folgerichtig alle psychischen Erkrankungen als solche der Hirnrinde anzusehen. Es wurden also auch lange Zeit hindurch bei Psy- chosen nur in dieser ~n~tomische Ver~nderungen erwartet und daher auch nur in ihr solche gesucht. Abet wie ein Blick in die Literatur der letzten Zeit lehrt, kommt die Lehre, dab psychische Funktionen einzig an die Hirnrinde gebunden seien, allmghlich immer mehr ins Wanken.

Die folgenden Ausfiihrungen versuchen eine Antwort auf die Fr~ge zu geben, ob die snbcorticalen Ganglien auch eine psychische Bedcutung besitzen und welcherArt sie ist. Ich gehe dabei zungchst yon theoretisch- psychologischen Erwiigungen aus, die reich bereits vor 13 Jahren, also lange bevor ant Grund klinischer Erfahrungen ghnliche Anschauungen gegul3ert wurden, zu der {}berzeugung fiihrten, dab bei den affektiven Vorggngen subcorticale Erregungen eine wesentliche Rolle spielen mfissenl). Diese Erwggungen sind folgende:

Gefiihlszustgnde und Vorstellungen sind fiir unser psychisches Er- leben etwas durchaus Wesensverschiedenes. In dieser Inkommensura-

~) Serog, M. : Das Problem des Wesens und der Ent.stehung des Gefiihlslebens. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 8, H. 2.

M. Serog: Die Bedeutung der subeorticalen Zentren f. d. psyehische Gesehehen. 365

bilit~t der Geftihle, gemessen an Vorstellungen, liegt die Schwierigkeit, wenn nicht Unm6glichkeit ihrer psychologisehen Analyse. Denn man kmm eine solehe AnMyse nur in Begriffen, d. h. Vorstellungskomplexen geben, damit aber n immt man den Gefiihlszust~nden ibr eigenstes Wesen. In dem Augenblick, in dem man den Versuch maeht, sie zu de- finieren, haben sie aufgehSrt, das zu sein, was man definieren wollte. Aueh jede ,,Einteilung" der Gefiihle (Lust und Unlust usw,) ist etwas, was Ms Abstrakt-Intellektualistisches, Nachtr&glich-Reflektierendes dem Gefiihl als solchen durchaus fremd ist. Man kann also bei den Ge- fiihlszusti~nden nicht, wie etwa bei den Denkvorg~ngen, psychologische Analyse in dem Sinne treiben, dab m~n als komplex erkannte Gebildc auf einfache zuriickzufiihren sneht. Wolff abet kann man fragen, ob wir derartiges wie in den Gefiihlszustinden nicht auch in anderen, viel- leicht einfacheren psychischen VerhMtnissen erleben. Dabei drgngt sich nun sofort die Tatsache auf, dM~ wir bei einer t{eihe von Empfindungen und vor allem bei den Hautsiunesempfindungen ganz etwas derartiges psyehiseh erleben wie bei den Gefiihlszustgnden. Am deutlichsten ist das bei der Schmerzempfindung. It ier kann man zweifelhaft sein, ob der Schmerz im wesentlichen eine Empfindung oder ein Geffihlszustand istl). Trotzdem seine physiologischen Bahnen denen der anderen Emp- findungen entsprechen, erscheint uns doch daB, was wir psychisch in ihm erleben, den Geffihlszustinden viel n iher verwandt zu sein, als den anderen Empfindungen, und so ist der Schmerz auch fiir uns - - nach Bleulers treffendem Ausdruek - - ger~dezu zum , ,Prototyp aller nega- riven Affekte ' ' i ) geworden. Aueh die anderen Hautsinnesempfindungen besitzen diese Geffihlskomponente sehr ausgesprochen, die Geruehs- und Gesehmacksempfindungen noeh sehr deutlich, dagegen t r i t t sie bei den sog. ,,hSheren ' ' (,,objektiven") Sinnen sehr zuriiek Sehon bei den Geh6rsempfindungen ist sie woM nut noch in geringem MaBe, bei den Gesiehtsempfindungen kaum noeh vorhanden. Es bilden also die Elnp- findungen naeh dem Grade ihrer Gefiihlskomponente eine kontinuier- liehe I~eihe. In dem MaBe, in dem in dieser ge ihe der Empfindungen die St i rke der Gefiihlskomponente abnimmt, wiehst gleiehzeitig die Leiehtigkeit ihrer t~eproduzierbarkei~, d. h. ihre Tendenz, zu Vor- stellungen zu werden. Damit werden sie klarer, bestimmter, ,,objek- t iver", es t r i t t das an ihnen mehr hervor, was wir als ihren ,,InhMt" bezeichnen. Daher sehreiten die Empfindungen der einzelnen Sinnes- gebiete - - wie J o d l es ausgedriiekt hat - - ,,in sukzessiven Uberg~ngen vom Inhaltsarmen, aber Gefiihlskr~ftigen zum Inhaltsreiehen, aber Ge- ffihlssehwaehe~" fort2). Die Frage ist nun, in weleher Art der Beziehung

1) Bleuler, S. : Affektivitiit, Suggestibilita~, Paranoia. Halle 1906. 2) Jodl, S. : Lehrbuch der Psychologie.

366 M. Serog:

steht die Gefiihlskomponente der Empfindung zu der eigentliehen Empfindung? Hier zeigt die genauere Betrachtung, dag diese Be- ziehung eine sehr eigenartige ist. Einerseits namlieh kann die Ge- ffihlskomponente der Empfindung keine bloBe Eigenschaft der Emp- findung sein. Die Auffassung der Assoziationspsychologie, die in dem ,,Geftihlston" der Empfindungen eine bloBe Eigenschaft yon ihnen sehen will, ist unhaltbar. Denn wiirde es sich um eine der Empfin- dung als solcher a.llgemein zukommende Eigensehaft handeln, wie das die Assoziationspsychologie annimrat, die dem Gefiihlston der Emp- findung als weitere Eigenschaft denen der Qua litat und Intensit~t zur Seite stellt, so k6nnte es unm6glich Empfindungen ohne Gefl'ihls- betonung geben, +vie das - - speziell unter den Gesichtsempfindungel~ - - doch m6glich ist. Mit der Anschauung yon der Gefiihlsbetonung der Vorstellung ist welter auch die Tatsache unvereinbar, dal~ die Gefiihlst6ne der Empfindungen ihrerseits, ganz ebenso wie die Emp- findungen selbst, eine Mehrheit yon Eigenschaften haben (Quali- tat, Intensitat, Dauer). Eine Eigenschaft in dem Sinne, wie die Ge- ffihlst6ne nach der Assoziationspsychologie es sein sollen, kann abet unm6glich selbst wieder Eigenschaften besitzen~). Aus allen diesen Griinden kann also die Gefiihlskomponente der Empfindung keinc blol3e Eigenschaft der Empfindung sein. Sie kann aber andererseits ebensowenig etwas mit der eigentlichen Empfindung sich erst sekund~r Verbindendes sein, etwa in dem Sinne, wie wir solche psychischen Ver- bindungen v o n d e r Assoziation her kennen. Dazu ist die Verbindung zwischen Empfindung und Gefiihlskomponente cine viel zu innige. Die Empfindung bildet ja zusammen mit ihrer Gefiihlskomponente ein nur kfinstlich trennbares Ganzes (eben erst die ganze Empfindung). Trotz dieser engen Verbindung steht aber doch, wie wir sahen, die Gefiih]s- komponente der eigentlichen Empfindung als etwas ganz Anders- artiges gegeniiber, ja es besteht sogar, wie wir in der obigen Reihe der Empfindungen feststellten, zwischen beiden ein deutlich gegensatz- liches Verhalten. Es zeigt also die Geftihlskomponente der Empfindung dieser gegenaber - - nach e, inem treffenden Ausdruck yon Ebbinghaus 2) - - ,,eine eigentiimliche Mischung yon Gebundenheit und Unabhangig- keit". Aus alledem ergibt sich fiir die Art der Verkniipfung von Emp- findung und Gefiihlskomponente: die Geffihlskomponente mul~ einer- seits in gewisser Weise ihre selbstandigen physiologischen Bedingungen haben, andererseits miissen diese abet auch irgendwie besonders eng mit dem zusammenhangen, vermutlich zum Tell sogar zusammenfallen, was wir als die physiologischen Grundlagen der Empfindungen kennen.

1) Vgl. dazuStump]: tdber Geftihlsempfindungen. Zeitschr. f.Psychol, u.Pathol. d. Sinnesorg. 44.

2) Ebblnghaus: Psychologie. Leipzig 1902.

Die Bedeutung der subcorticalen Zentren fiir das psychische Gesehehen. 367

Die einzige Annahme nun, die diese Forderung erftillt, ist die, daf3 es sieh hier um zentrale, und zwar subeortieale Miterregungen handelt. Ni t dieser Ann~hme erst k6nnen w i r e s ~erstehen, warum uns eine Trennung der doeh als etwas Versehiedenes yon der eigentliehen Emp- findung erkannten Gefiihlskomponente im Einzelfalle nieht m6glieh ist, vielmehr unserem psyehisehen Erleben die eigentliehe Empfindung zu- sammen mit ihrer Geffihlskomponente stets als ein untrennbares Ganzes erseheint.

Es muB also die eigentiimliehe Beziehung, die zwisehen tier Emp- findung und ihrer Gefiihlskomponente besteht, auf den Gedanken ftihren, dab es sieh hierbei um zwei Wirkungen einer Ursaehe handelt, d. h. es mug sieh bei der Geftihlskomponente der Empfindung um gleieh- zeitig eintretende Nebemvirkungen desselben physiologisehen Vorganges handeln, weleher aueh der bewul3ten Empfindung zugrunde liegt. Wit wissen nun, d~B es die Erregung yon seiten der Gehirnrinde ist, die unsere Empfindungen uns bewugt werden li~gt, und dab also die eigentliehe Empfindung (ihr objektiver, d .h . reproduzierbarer Anteil) sieher an eortieMe Vorg~nge gebunden ist. Wit wissen abet welter, dab jeder Empfindung physiologiseh eine Erregung nieht nur yon spinalen und eortieMen, sondern stets aueh yon subeortiealen Zentren entsprieht. Itier is~ der Thalamus optieus z-on besonderer Bedeutung; er ist die Hauptsehaltstelle fiir alle sensiblen Bahnen auf ihrem Wege yon der Peripherie zur Hirnrinde. Es mug also fiir die Gefiihlskomponente der Empfindungen gerade die Funktion des ThMamus opticus eine wesentliehe Rolle spielen. Selbstverst~ndlieh ist dabei yon keiner Lo- kalisierung die Rede. DaB die Gefiihlskomponente fiberhaupt nieht ,,lokalisiert" werden kann, diirfte aus dem Bisherigen wohl kiar genug hervorgehen. Aueh wenn sie dureh Miterregungen im Thalamus be- dingt ist, so entsprieht doeh nieht dieser Erregung direkt zun~iehst irgend etwas Psyehiseh-Alfektives, vielmehr entsprieht beideu Erre- gungen - - der subeortiealen und eortiealen zusammen - - die ganze Emp- findnng, die wir ja, wie wit mehrfaeh betonten, trotz der in ihr ver- einigten heterogenen Komponenten Ms etwas durehaus Einheitliches und Einfaehes psyehisch erleben. Bei einer pathologisehen Unterbre- chung der Bahnen im Thalamus kann daher nieh.ts anderes eintreten, als was aueh bei jeder sonstigen Unterbreehung dieser Bahnen erfolgt, dab eben die ganze Empfindung, entsprechend den unterbroehenen Bahnen, ausfi~llt. Es kann also die bier entwiekelte Ansehauung dutch die Tatsaehen der pathologisehen Anatomie weder eine Stiitze noch eine Widerlegung erfahren.

So ffihrt also sehon die psyehologische Analyse der einfaehsten psy- ehisehen Vorg~nge, der Empfinduugen, mi t zwingender Notwendigkeit zu der Ansehauung, dab Psyehiseh-Affektives mit der Funktion des

368 M. Serog:

ThManms in Beziehung steht. Freilich gilt das zunichst nur fiir einen begrenzten SonderfM1 affektiven Erlebens. Aber abgesehen davon, dab es yon vornherein unwahrseheinlieh ist., daft es ausschlieglieh gerade nur fiir diesen SonderfM1 gelten sollte, l iBt sieh auch leieht zeigen, daft die Beziehungen zwisehen Affektivem und der Funktion der subeorticalen Ganglien weiterreiehende und Mlgemeinere sein miissen.

Wir nliissen uns hierbei wieder vergegenwirtigen, daff ein Unter- sehied zwisehen der Gef~hlskomponente der Empfindungen und sonsti- gem Affektiven ja niehg besteht. Wir haben oben bereits mit Bleuler d~rauf hingewiesen, daG der Sehmerz, yon der einen' Seite betraehtet, eine Empfindung, v o n d e r anderen ein Gefiihlszustand ist. Wir kSnnen jetzt im gleiehen Sinne Ribot anfiihrenl) : ,,Die Unterseheidung zwisehen physisehem und psyehisehem Sehmerz hat wohl einen praktisehen, abet keinen wissensehaftliehen Wert ." Allgemein gesagt: die an Empfin- dungen gebundenen, die ,,sinnliehen" und die ,geistigen" Gefiihle er- seheinen - - soweit es sieh bei letzterem fiberbaupt wirklieh um Affek- t i res und nieht um Vorstellungen handelt - - als etwas ZusammengehSri- ges. Das psyehisehe Erleben ist in beiden F~llen yon gleieher Art und jedenfalls yon dem der eigentliehen Empfindungen wie Vorstellungen durehaus wesensversehieden. Gerade die Hauts innesempfindungen. haben infolge ihrer besonders starken Gefiihlskomponente vielfaehe und enge Beziehungen zu dem, was wit als Affektivitht iiberhaupt bezeieh- nen. Zwisehen Sensibilit~t und AffektivitSt bestebt eine deutliehe Parallelitgt (Hyperalgesie bei Affektiv-l[~bererregbaren und Hypalgesie bei Affektverbl6deten !).

Alles das sprieht dafiir, dab aueh die Affekt ivi t i t tiberhaupt in ir- gendweleher Weise mit subeortiealen Funktionen verkn/ipft sein muff. Der Ansieht der Assoziationspsyehologie gegentiber, die Affektives nur als ,,GeftihlstSne", als Eigensehaften wie dort der Empfindungen, so hier der Vorstellungen anerkennt (und also aueh alles Affektive nut an eortieale Funktionen gekniipft sein li~l~t), mug betont werden, daG es ein selbstandiges Gefiihlsleben gibt, daff seine Selbst~ndigkeit sehon dadureh beweist, daG es sieh bereits vor dem intellektuellen Leben ent- wiekelt. Fiir diese Selbstindigkeit des GefiihMebens sprieht ferner das Vorkommen yon Gef/ihlszust~nden, die nieht an Vorstellungen gebunden sind, weiter die M6gliehkeit einer Trennung des Geffihlszustandes yon dem urspriinglieh zugeh6rigen Vorstellungsinhalt (Freud) und sehlieff- lieh das gegens~tzliehe Verhalten zwisehen Intellektuellem und Affek- tivem, zwisehen der reinen Vorstellung und ihrer Affektbetonung, ein VerhMten, das gewShnlieh einen ausgesproehenen Antagonismus zwi- sehen Vorstellungsklarheit und Affektintensi t i t zeigt (entspreehend dem

1) Ribot: Psychologie der Gef/ihle, fibers, yon Chr. U/er.

Die Bedeutung der subcorticalen Zentren fiir d~s psychische Geschehen. 369

Antagonismus, den wir bei den Empfindungen zwischen dem Grade der Gefiihlskomponente und dem ihrer Reproduzierbarkeit fanden).

l~ichtig ist allerdings, dab wir beim erwachsenen Menschen fast framer Gefiihlszustgnde und Vorstellungen zusammen, und fast hie das eine ohne das andere linden. Das aber h~ngt mit der dutch die psy- chische Entwicklung gegebenen Neigung zur fortschreitenden Kom- plexit~t iiberhaupt zusammen. Die Affektivit~t, die wir als subcortical bedingt erkannten, spielt also in dcr entwiekelten Psyche, als solche und allein, kaum eine lgolle. Sie verkniipft sich hier vielmehr stets mit Vorstellungen, also cortical Bedingtem. Die Art dieser subcortical-cor- ticalen Verkniipfung ist zwar bei weitem keine so innige - - vielleicht weil phylogenetisch erheblieh jiingere - - , aber doch in gleiehem Sinne eigenartige wie die Verbindung der reproduzierbaren Empfindungs- elemente und ihrer Gefiihlskomponente. Auch in der Beziehung zwi- schen Vorstellungen bzw. Vorstellungskomplexen und ihren affektiven Anteilen handelt es sich uicht um eine eigentliche Verkniipfung (wie etwa bei der corticalen Assoziation), sondern vielmehr um eine Art Verschmelzung. Diese Verschmelzung maeht in der Art, wie hier zwei verschiedenes und ganz heterogenes psychisches Erleben, n~mlich die stets irgendwie formal gcgebene, reproduzierbare Vorstellung und das ggnzlich andersartige affektive Erleben, ineinander eingehen, schon yon vornherein den Gedanken wahrscheinlich, dab es sich neben der sicher cortical bedingten Errcgung, die der Vorstellung entsprieht, um ein gleichzeitiges Mitsehwingen andersartiger Funktionselemente, um subcorticale Miterregungen handeln muB. So sehen wir hier nicht mehr nur einen Sonderfall affektiven Erlebens mit der Funktion snbeorticaler Zentren verkniipft, sondern affektives Erleben tiber- haupt an subcorticale Funktionen gebunden. Das ,hShere" Gefiihls- leben, die sog. geistigen, insbesondere die nloralischen und gsthetischen Gefiihle, ja auch schon die Affekte sind nichts rein Affektives mehr, sondern an best immte Vorstellungskomplexe gebundene Affektivitht, sie kommen zustande dureh eine eigenartige Verschmelzung yon Affek- t ivi tgt und Vorstellungskomplexenl). Das Gefiihlsleben ist also in seiner urspriing]ichen, als Affektivitgt an die Tatigkeit der subcorti-

1) Aueh die Affekte sind nichts rein Affektives mehr. Im Moment, da sie psy- ehisch erleb$ werden, enthalten sic zwar als grSBten und dieses psychische Erleben der Affekte spezifiseh fgrbenden Anteil Affektives, aber framer auch gleichzeitig irgendwelche mit diesem dominierenden und determinierenden Affektiven ver- sehmolzene Vorstellungselemente. Wenn die Affekte dann psychiseh verarbeitet werden, verheren sis immer mehr ihren affektiven Charakter und zu der Ver- schmelzung tritt jetzt die Verknii, p/ung mit Vorstellungskomplexen. ~brigens ist nur dadureh, da$ die Affekte yon vornherein solehe versehmolzene Vorstellungs- elemente enthalten, eine psychische Verarbeitung der Affekte in dem Sinne, wie sic geschieht, iiberhaupt m6g]ieh.

Archiv fiir Psychiatrie. :Bd. 73. 2 4

370 M. Serog:

calen Zentren gebundenen Form eine der pr imit ivsten und - - ento- genetisch wie p h y l o g e n e t i s c h - ersten psychischen Funkt ionen. In seiner letztentwickelten Form dagegen als ,,hSheres Geffihlsleben", das ein bereits hoch entwickeltes Vorstellungsleben zur Voraussetzung hat, gehSrt es zu den letzterworbensten, in ihrer physiologischen Be- dingtheit kompliziertesten und daher am leichtesten und zuerst lasiblen psychischen Leistungen.

Ffir unser intellektuelles Leben ist die Affektivit~t insofern yon besonderer Bedeutung, uls durch sie eine fiber die blol~e assoziative Aneinanderreihung yon Vorstellungen hinausgehende Zusammenord- nung derselben erreicht wird, ~hnlich wie die Sensibilit~t die Koordi- nat ion yon Bewegungen errnSglichtl). So wird die Affektivit~tt die Vor- bedingung zum geordneten ,,zielbewul3ten" Denken und eine der wich- t igsten Xul3erungen der Affektivit~t die , ,Aufmerksamkeit"2).

So ha t uns also die psychologische Analyse des affektiven Erlebens - - und zwar zun~chst die der einfachsten Form des Affektiven, wie wir as in der Gefiihlskomponente der Empf indungen finden, dann des Affek- t iven / iberhaupt - - zu der Ansehauung gef/ihrt, dal3 fiberall dort, wo wir der zwar nieht n~her zu definierenden, aber fiir das psychische Erleben stets besonderen Art irgendwelcher affektiver Ph~nomene be- gegnen, die TStigkeit subeorticaler Zentren, vor ahem des Thalamus optieus, d~bei eine Rolle spielen mfissen. Die psychologisehe Analyse eines anderen psyehischen Ph~nomens, nhmlieh der Suggestibilit~t, fiihrt nun in d~e gleiehe Riehtung3). Sic l~Bt uns die Suggestibilit~t, ganz ebenso wie die AffektivitSt, als primit ivste und - - entogenetisch wie phylogenetiseh - - zeitlieh erste unserer psyehisehen Funkt ionen erkennen und zeigt uns die vie]faehen, engen Beziehungen zwisehen beiden. Beide kSnnen zur Einengung des Bewul3tseins ffihren, beide sind der Weg - - und zwar der einzige - - , auf dem die kSrperliehen ~ul~erungen des Seelisehen zustande kommen u. a. I n dem Grade der Suggestibilit~t ha t m a n oft geradezu einen MaBstab f fir den der Affek- tivit~t, bei der experimentellen Priifung der Suggestibilitat hat man

1) Bei dieser Zusammenordnung yon Vorstellungen kommt eine besondere Rolle wohl dem Stirnhirn zu, das die Bedeutung ~ls letztes und hSchstes Koordi- nationszentrum h6chstwuhrscheinlieh nicht nur fiir die willkiirlichen Bewegungen, sondern uueh ffir diese assoziative Koordin~tion besitzb. Es besteh~ jedenfalls ein bemerkenswerter Par~llelismus in der Entwieklung des Verm6gens der Koordinie- rung yon Vorstellungen und der Fghigkeit der willkiirliehen Bewegungs- koordination. (S. Serog: Die psychlsehen St6rungen bei Stirnhirntumoren und die Beziehungen des Stirnhirns zur Psyche. AUg. Zeitschr. f. Psychiatrie u. psych.- gerichtl. Med. 68.)

2) Vgl. dazu Stransky: ~ber Spraehverwirrtheit; Bleuler: 1. c. ; Serog: 1. c. 3) Serog: Die Suggestibilit~t, ihr Wesen und ihre experimentelle Untersuchung.

Zeitsehr. f. d. ges. Neurol. u. Psychigtrie SS, H. 4/5.

Die Bedeutung der subeortieMen Zentren ftir das psyehische Gesehehen. 371

gefunden, sie sei ,,zugleich Ausdruck ffir die Mlgemeine Geffihlslage sehlechthin'q). Die v611ige ParMlelit~t yon Suggestibilit~t und Affek- tivit~t in allen ihren Erscheinungen beweist, da~ wir in den beiden Phanomenen nur zwei verschiedene Xugerungen der gleiehen psychischen Funktion vor uns hsben. Schon die Tatsache, daf~ die Suggestibilit~L wenigstens in ihrer ursprfingliehen Form eine durchaus primitive und - - ontogenetisch wie phylogenetiseh - - wohl als erste ~uftretende psychisehe Funktion ist, legt den Gedanken nahe, dal3 such sie an die Ti~tigkeit subcorticMer Hirnzentren gebunden ist. Erst mit dieser Auf- fassung der Suggestibilitgt als subcorticaler Funktion werden, wie sich zeigen li~6t, ihre Erseheinungen iiberh~upt versti~ndlieh. Die weit- gehende ~7bereinstimnlung in den XuBerungen der Suggestibilit~t wie der Affektiviti~t weist nun erst recht ~uf die subcortieMen Zentren a]s denjenigen Org~n~pparat, an dessen T~tigkeit jene Funktion gebunden sein muB, yon welcher Suggestibflit&t wie Affektivit&t nur zwei ver- schiedene Seiten darstellen. Die d~trchgi~ngige Parallelitiit in den psy- chischen lPh~inomenen der Suggestibilitiit und AHelctivitiit ]indet so

�9 ihre Erkliirung in ihrer Identit~it als biologische Funlction, und als der wesentlichste Triiger dieser biologischen Funk t ion eracheinen die sub- corticalen Zentren. Diese biologische, an die subcorticalen Zentren ge- bundene Funktion umfaBt fiberhaupt Mles Triebhafte. Suggestibiliti~t, Affektivit~t und der auf dieser Stufe aus der Affektivitiit noeh nicht differenzierte, noeh triebhafte Wille sind nur verschiedene Seiten dieser selben biologisehen Funktion. So miissen an die Funktion sub- eorticMer Zentren auch jene psyeho-biologisehen Meehanismen des vor- bewuBten Triebwillens gebunden sein, die Kretschmer als , ,Hypobulik", als die ,,ontogenetische und phylogenetische Unterstufe des Zweck- willens" so ansehaulich schildert 2). Wenn Kretschmer sagt: wir sehe~l ,,die Hypobulik als wesentlichen Hauptbestandtei l auch beim ge- sunden Erwaehsenen sieh mit der Zweekfunktion zum Gesamtwillen erggnzen", so k6nnen wir, auf anderem Wege zur gleiehelt psychologi- sehen Auffassung gelangt, dem hinzuffigen, dab wir auch hier wieder den gleiehen Vorg~ng der ,,Versehmelzung" Iinden, der uns nun sehon mehrf~eh als Fornl der Verkniipfung eortiealer and subcorticMer Funk- tionsmeeh~nismen begegnet ist. Aueh hier wieder sehafft diese Ver- sehmelzung - - des subeortiealen Triebes mit dem eortiealen Zweek- bewul3tsein - - eine neuere, h6here, subeortieal-eortieMe Funktionsein- heir, das Wollen. Es ist der gleiehe Meehanismus der Versehmelzung subeortieMer-eortieMer ~'unktionselemente, der aus dem blinden Trieb- willen das klare nnd zweckbewul3te Wollen, und der aus der triebhaft-

1) Giese: Psyeho-teehnisehe Eignungspriifungen an Erwachsenen. Langen- sMzu 192i.

2) Kretschmer, Ernst: ~ber Hysterie. Leipzig 1923. 24*

372 M. Serog:

dumpfen Affektivit~t die reiche Skala der Affekte schafft; Und es ist die gleiche bio]ogische Funktion der subcorticalen Zentren, vor allem wohl des Thalamus opticus, die sich, eben dutch diesc Verschmelzung mit corticalen Funktionskomplexen, nach den beiden Seiten der Affekte und des Vernunftwillens, nach dem ,,Fiih]en" und ,,Wollen" auseinander diffcrenziert. Wenn Affckt und Wfllen auch dort noch, wo sie in hSch- ster Differenziertheit gegens~tzlich auseinanderstreben, eine deutliche innere psychologische Verwandtschaft erkennen lassen, so ist der Grund daffir der, dab sie beide mit der st~rkeren ihrer zwei Wurzeln aus dem gleichen Boden des Triebhaften, des Subcortiealen erwaehsen sind.

Das Triebhaft-Subeorticale stellt, wie schon mehrfach berfihrt, auf einer niederen Stufe der Entwieklung des Einzelnen wie der Stammes- reihe die Form des psyehisehen Lebens fiberhaupt darl) . Dieser Form des psyehisehen Lebens fehlt noch jede individuelle Differenzierung, sie ist, wie jede primitive Triebaktion, Massenreaktion. Aueh der Menseh ist urspriinglich Gemeinschaftswesen, Herdentier, das, wie die VSlker- psyehologie lehrt, erst allm~hlieh mit der fortsehreitenden Entwicklung sieh auf seine Individualit~t besinnt. In den Erscheinungen der Massen- psychologie linden wir gewissermaBen Riiekfhlle in diesen psyehisch- primitiven, phylogenetisch Mteren Zustand. Die der Psychologic der Masse eigenen Ph~nomene, insbesondere die gesteigerte und mit der Anzahl in der Masse sich potenzierende Affektivit~t und Suggestibilit~t sind nur zu verstehen unter dem Gesichtspunkte der Verselbst~ndigung subcorticaler Meehanismen. Die sonst mit corticalen Funktionselemen- ten zu h6herer funktioneller Einheit verschmolzenen Tr~ger der Affek- tivit~tt und Suggestibilit~t, also eben die subcortiealen Zentren, k6nnen in der Masse, d. h. also, wenn einem friiheren phylogenetischen Zustand etwa entsprechende Bedingungen vorliegen, wieder zu einer solchen relativ selbstandigen Funktion gelangen, wie sic dem friiheren Zustand eigen war. Es kann also nicht nur, wie Kretschmer e) gezeigt hat, dutch Krankheitsvorg~nge, sondern auch noeh auf anderen Wegen - - auBer in der Masse noch in der Hypnose, unter der Einwirkung von best immten wohl cortical seh~digenden Giften (Alkoho]), in der Ermiidung - - eine /~hnliche Herausl6sung der Triebfunktion aus der Gesamtstruktur der Psyche erfolgen, eine HerauslSsung, die uns den psycho-biologischen Aufbau der ganzen Psyche erst erkennen l~Bt.

Die phylogenetisch alten, primitiven biologisehen Funktionen des Triebhaften, urspriinglieh Massenreaktion, werden nun in der h6heren subcortical-cortiealen Funktionseinheit, die eigentliche Grundlage der , ,PersSn l i ehke i t " . Denn diese Funktionen des Triebhaften sind es, die

l) ,,Im Mittelhirn spielt sich bei den niederen Wirbeltieren ein groBer Teil des Seelenlebens ab" (M, onakow: Gehirnpathologie).

2) Kre~schmer: 1. c.

Die Bedeutung der subcorticalen Zentren ftir das psychische Geschehen. 373

im Zusammenwirken mit Anschauungs-, Vorstellungs- und Begriffs- komplexen ers~ die individuelle Reaktion ermSglichen, erst das ,,Indi- v iduum" differenzieren. In den subcorticalen Funktionen linden wir somi$ das wesentliche Konstituens dessen, was den Kern der PersSn- ]ichkeit ausmacht und was wit als Charakter bezeichnen. Der indi- viduelle Charakter, d. h. die individuelle, ffir jeden Menschen spezifische Reaktion ist angeboren. Wit sehen ihn sehon beim ganz ldeinen Kinde, und zwar lange vor der Entwicklung corticaler Funktionen - - sprach- lieher und begriiflicher F ~ h i g k e i t e n - deutlich ausgeprigt. ,,Er zeigt dort im kleinen, was er kfinftig im groBen sein wirdl). ' ' Der Cha- rakter ist also durchaus nicht an Erfahrungen gebunden. Ja, es ist im Gegenteil immer wieder erstaunlich, zu sehen, wie wenig der eigentliche Charakter des Menschen selbst dutch tiefgehende Erlebnisse and reiche Erfahrungen wirklich beeinfluBt wird. Einzig dutch destruierende Ge- hirnprozesse kann eine wirkliche Charakter inderung erfolgen. Sonst aber behMt der Mensch den ihm yon Natur eigenen Charakter yon der Geburt bis zum Tode. Was manchmal Ms neue Charaktereigenschaft erscheint, ist meist nu t die Mte in neuem Gewande. Mit der Tatsache der Unverinderlichkeit des Charakters rechnen wir, ohne uns freilich dariiber immer kl~r zu sein, stgndig in unsereni Verkehr mi t anderen Mensehen, und die Konstanz der Charaktere fordern wir als psycholo- gische Wahrhei t yore dramatisehen Dichter. Das Mles beweist, dab die wesentliehe Grundlage des Charakters nicht die doeh erst im Laufe der individuel]en Entwieklung zu ihrer vollen Ausbfldung kommenden corticalen Funktionen, sondern eben die subcortieMen Trieb-Funktionen sind. Erst aus der Auffassung des Charakters als einer im wesentlichen subcortiealen Funktion werden das Angeborene des Charakters und seine Konstanz verstgndlich, die er ffir das gleiehe Individuum das ganze Leben hindurch behalf.

Die Anschauung fiber das Wesen und die biologisehe Grundlage des Charakters, zu dene~ wir nuu so gelangt sind, heriihren sich in ihrem Endergebnis vielfach mit einer yon Ft . Kraus vertretenen AuffassungZ). Naeh Kraus ist der Kern der PersSnlichkeit die dutch die vegetat iven Zentren zusammengehaltene , ,Tiefenperson", zu der erst phylogene- tiseh s p ~ e r die uns zu spontanem H~ndeln befihigende ,,cortic~le Person" hinzutritt . Die Tiefenperson, die Beziehungen zum extrapyra- midalen wie zum veget~tiven System hat, , , repr~ent ier t das Irratio- nMe, das Inst inktive". ,,Was wir als individuellen Reaktionstypus zu- sammenf~ssen, knfipft vor Mlem, direkt oder indirekt, an die Tiefen-

i) Schopenhauer: Preisschrift t~ber die ~'reiheit des Willens. Von Sehopenhauer wird das Angeborene und die Unabinderlichkeit des CharM~ters besonders sch~rf betont.

2) Kmus, ~'r. : Vegetatives System und Individualit~t. Med. Klinik Jg. 18, Nr. 48.

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person an". I m vegetativen System, dem ,,Bindeglied zwischen der Person und den Organen" ist die ,,unteilbare Lenkung" ira Individuum und in diesen ,,individuellen Lenknngen der Person" das Individuell- Konstitutionelle gcgeben.

Man sieht leicht, dab die ,,Tiefenperson" psychologisch nnd biolo- gisch der yon uns geschilderten subcorticalen Funktion durchaus ent- spricht, wenn sie aueh freilich yon Kraus im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt des Vasomotorenzentrums betrachtet wird. Zutreffen- dcr ist es wohl, die zentral-vasomotorische Bcdeutung des Subcortex ix biologische Koordination zu seiner extrapyramidalen Motorik zn setzen, er stellt sich so als ein Zentrum ffir alle affektiven Ausdrucks- bewegungcn - - im wcitesten Sinne - - dar. Als drittes gehSrt dann noch dazu seine Bedeutung ffir die Regulierung der innersekretorischen Vorg~nge, die ja ebenfalls affektiv bedingt sein k6nnen und dann auch ihrerseits affektive Vorg~nge zu beeinflussen imstande sind. (Hier finder der alte Volksglaube, dab die Temperamente von der Blur- und SSftemischung abh~ngen, eine gewisse Reehtfertigung).

Aus unseren nunmehr gewonnenen Ansehaunngen fiber die psychi- sehe :Bedeutung der subcorticalen Zentren ergibt sich ohne wciteres, dab wir bei Krankheitsprozessen in ihnen unter Umst~nden StSrungen der psychiseh en Fnnktionen in gewisser Riehtung werden linden miissen, dag wir aber nicht einen umsehriebenen Ausfall best immter psychischcr Funktionen werden erwarten kSnnen. Noch mehr als bei der rein cortL calen Funktion handelt es sich bei der subcortieal-corticalen um ein dynamisehes Ineinanderarbeiten, nicht um ein mosaikartiges Neben- einander yon Teilkomponenten. Die F~higkeit zu diesem dynamischen Ineinanderarbeiten w~chst mit der Entwicklung der Psyche. Die ver- mSge dieser F/~higkeit zu netler Einheit zusammengefaBten psycho-bio- logischen Mechanismen bauen sich hUn im Laufe der Entwicklung wie in Schichten zu neuen komplizierten Funktionskomplexen auf. So kommt es zu jener mit der zunehmenden Entwicklung fortsehreitenden Tendenz der Psyche zur Komplexit~t, zu jener immer enger und immer allgemeiner werdenden Verf]echtung psychiseher Elemente, die, wie wir sahen, uns beim erwaehsenen ?r Affektives nie ohne Vorstellungen und Vorstellungen nie ohne Affektives linden und so die Trennung von beiden oft als etwas Kiinstliehes erscheinen l~gt. Und so sind gerade die hSchsten psychisehen Leistungen erst als Funktion der Zeit zu begreifen.

I s t alas alles riehtig, so miil3te man annehmen, dab Sch/~digungen der subcorticalen Zentren sich auf psychischem Gebiet beim Kind in st~rkerem Mage und anderer Weise geltend machen miissen als beim vollentwickelten Mensehen. Die klinischen Beobachtungen best~itigen diese Annahme. In dieser Hinsicht erseheinen vor allem die Be- obachtungen interessant, die bei Kindern nach Encephalitis vielfaeh

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gemaeht worden sind. Man land nimlieh, dab die psyehischen Ersehei- nungen, die solehe Kinder boten, hiufig durehaus denen gliehen, die wir Ms Symptome der Psyeholoathie auftreten zu sehen gewohnt sind. Man beobaehtete ,,neben leiehten neuropathischen Seh~den vor allem Umstel[ungen und Ver~nderungen des Charakters"l) . Stern 2) hebt in seiner Monographie bei ]3espreehung der psyehisehen Residu~r- symptome der Encephalitis ausdriieklieh hervor, man ,,finde bei Kin- dern bisweilen Pers6nliehkeitsumwandlung wie bei Psyehopathen '~ Diese , ,Umwandlung der Psyche, die die Intelligenz im engeren Sinne frei lil3t", ,,ffihrt dutch eine Ver~nderung dos Charakters zu psyehisehen Syndromen, wie wit sie aus don kMeidoskopisehen Syndromen ange- borener psyehopathiseher Konsti tut ion her kennen". Solehe Beobaeh- tungen erseheinen unserem Verstindnis nihergeriiekt, naehdem wir den Charakter Ms eine biologisehe Funktion der subeortieMen Zentren ken- nengelernt haben. I m l~ahmen unserer Ansehauungen l i g t es sieh aueh leieht einsehen, warum gerade bei Kindern sieh solehe Sehidigungen als psyehopathisehe Cbarakterver~nderung, also gewShnlieh darin ~tuBern, dag gewisse morMisehe Gefiihle verlorengehen. Um das reeht zn be- greifen, miissen wit uns folgendes klarmaehen.

Je mehr ansehauliehe Vorstellungskomplexe dureh Zusammenfas- sung zu einer h6heren, aber aueh immer weniger ansehauliehen Kom- plexiti~t zu Begriffen verdiehtet werden, desto geringer wird im all- gemeinen ihre Tendenz zur affektiven Versehmelzung. Diese affektive Versehmelzung abstrakt-begrifflieher Komplexe dennoeh zu vollziehen und so zwei zun~tehst in ihrer Entwieklung diametrM anseinander- strebende lZeihen psyehiseher Phinomene in ihrer letzten EntfMtung zu h6herer Einheit zusammenzusehlieBen, ist wohl die letzte and hSehste Leistung der mensehliehen Psyche. Gerade diese aIfektive Versehmelzung abet ist es nun, die bei jenen Kindern zu fehlen seheint, die wir meist als , ,psyehopathisehe" in der Literatur besehrieben linden. Was hier gesehidigt ist, ist nieht die Affektivititt an sieh, die im Gegen- teil in alien primitiven und triebhaften Reaktionen eher anormM stark in die Erseheinung tri t t . Was hier fehlt, ist aueh nieht die Fi~higkeit zur Bildung der abstrakten Begriffe an sieh. Sondern was gesehi~digt ist, ist die M6gliehkeit der affektiven Versehmelzung gerade best immter Begriffskomplexe. Diese affektive Verschnlelznng ist also nur dort in Mitleidensehaft gezogen, wo sie noeh am loekersten ist, weft sie die - - im Leben des einzelnen wie der Stammesreihe - - letzterworbenste dar- stellt. Das also erkl i r t es, warum wir, wie Stern ausdriieklieh Ms ,,merk- wiirdig" feststellt, solehe bei Kindern hiufig besehriebenen Ersehei-

i) Ho/stadt: Ober die Spi~tschiden der epidemischen EneephMitis im Kindes- alter. Klin. Woehensehr. Jg. 2, It. 37/38.

2) Stern, Felix: Die epidemisehe EneephMitis. Berlin 1922.

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nungen nach Abschlult der geistigen Reife ungemein viel seltener linden1).

Die anderen bei Seh~digungen des Subeortex, insbesondere die bei der Encephalitis als Begleiterscheinungen des amyostatischen Syndroms beschriebenen psychischen Ph~nomene 2) betreffen noeh deutlicher die affektive Sphere. Alle die zahlreiehen psychisehen Symptome und Zu- standsbilder, die wir bei den dureh die Encephalitis gesetzten subcorti- calen Sch~digungenwie bei Thalamusl~tsionen in der Literatur besehrieben finden, lassen sich letzten Endes auf affektive St6rungen zurfickftthren. Die rein intellektuellen Funktionen sind dagegen meist vSllig ungesch~- digtS). In allen diesen Beschreibungen linden wir gewissermaBen als Kern- symptome affektive St6rungen, meist im Sinne einer emotionellenSchw~che und, damit zusammengeh6rend, einen Mangel an Antrieb, an psychischer Spontaneit~t, wobei die Affektschwi~che oft zu einer auch der eigenen Krankhei t gegenfiber sich ~uBernden teflnahmslosen Euphoric ffihrt.

Auch die klinischen Erfahrungn stfitzen somit die Annahme, dug das Affektive irgendwie an die Funktion der subeorticalen Zentren ge- bunden sein muB. Aueh sie scheinen daffir zu sprechen, dab gerade dem Thalamus opticus dabei eine besondere Bedeutung zukommt. Nach Jacob 4) erscheint der Thalamus ,,als ein groBes mi t dem Gesamtcortex in zu- und ableitender Verbindung stehendes Sammelbecken yon pro-prio- und exteroceptiven Reizen", er ist ,,ein Organ, welches das Individium nicht nur fiber die jeweiligenZustandsver~nderungen des eigenen KSrpers unterrichtet, sondern auch mit der AuSenwelt in innige Verbindung setzt, das f fir die Empfindungen, Gefiihle und Affekte yon mal~gebender Bedeutung ist, in gewissem Sinne wohl aueh der Aufmerksamkeit , der psyehischen Affektivit~t und dem BewuBtsein ganz im allgemeinen dient".

Ftir eine wichtige besondere Funktion des Thalamus scheinen schlieg- lich auch Ergebnisse der vergleichenden Anatomie zu spreehen. Naeh Ingvar 5) ergibt sieh aus der wei~gehenden Identi t~t der Thalamusstruk- tur bei V6geln und S~ugern trotz des prinzipiell verschiedenen Baues des Telencephalon der SchluB, dab der Thalamus nieht allein eine Schalt- station zwischen Hemisphere und eaudalen Hirnteilen bildet, sondern dal3 er auch eine wichtige, selbst~ndige, spezifische Funktion besitzen muB.

1) Stern: 1. c. 2) Stern: 1. c. s) Stern: 1. c. und die dort zitierte Literatur, fernerBianchi: Die seelischen Spgt-

folgen der Encephalitis lethargica, rcf. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 0,7, H. 2/3; Wolfling: Charaktervergnderungen nach Gehirngrippe. Ref. Klin.Wochen- schr. Nr. 0.; Higier: Einige seltene Symptome in zwei :F/~llen yon Sehhtigelerkrankung mit St6rungen des Affektlebens. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 7, 1146.

~) Jacob: Die extr~pyramidalen Erkrankungen und die Pathophysiologie der cxtrapyramidalen BewegungsstSrungen. Klin. Wochenschr. 1924. Nr. 20.

~) Ingvar: On thalamus evolution (l~ber die Entwicklung des Thalamus). Ref. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 85, H. 7.

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Alles das gibt derAnschauung eine Stiitze, zu der wir bereits auf Grund theoretisch-psychologischerErw~gungen mehrfachgelangt waren,nhmlieh, dab bei den affektiven Vorg~ngen, die an die Funktion subcorticaler Zen- tren gebunden sind, der Thalamus opticus eine besondere Rolle spielenmuB.

Wenn wir nun, noeh einmal auf den durchschrittenen Weg zuriick- blickend, uns fragen, was sich uns als Antwort auf die Frage nach der Bedeutung der subeorticalen Zentren fiir das psyehische Geschehen er- geben hat, so k5nnen wir jetzt etwa sagen: ])as Psych~seh-Primitive, das Triebhafte ist es, das irgendwie an die Funktion der subeorticalen Ganglien, besonders wohl des Thalamus opticus gebunden ist. Es sind Reste einer frfiheren psychiseh-biologisehen Entwieklung. Aber nieht in dem Sinne, als ob diese Entwieklung fiber sie hinweggeschritten ware. Sie sind nichts weniger Wertiges als letzte psyehische Stufen, vielmehr bilden sic zusammen mit diesem psychisch Letzterworbenen, dem Cor- tiealen, eine neue psyeho-biologische Einheit. Was wir seit Freud yon der Entwieklung des Einzelnen wissen, gilt ebenso ffir die Phylogenese: Die fortschreitende psychische Entwicklung liegt nicht nur in der Un- terdriickung, sondern gleichzeitig auch in der Sublimierung des Trieb- haften, d. h. das Psychiseh-Primitive, das Triebhafte, das Subeorticale gewinnt in neuer Form und anderem psychischen Ausdruek immer mehr Bedeutung ffir das l~ein-Formal-BewuBte, das Corticale. Das Sub- eorticale, als altes Erbgut aus der Stammesreihe dem Menschen iiber- kommen, biologisch gesehen: Das psychisch Primitive, Triebhafte, psychologisch betrachtet vor allem in den Ph~nomenen der Affektivit~t, der Suggestibilit~t und des unter- und vorbewuBten Triehwillens sich manifestierend, schafft in eigenartiger Verschmelzung mit der letzt- differenzierten Funktion der cortiealen Assoziation neue psyeho-biolo- gische Funktionsmeehanismen. Diese subeortical-corticalen Funktions- meehanismen bilden nun die Grundlage f fir die Entwieklung yon neuen psychischen Ph~nomenen, der Affekte, des zweckbewuBten Willens, der Aufmerksamkeit u. a., also jener psychischen Ph~nomene, die nieht nur unser hSheres Gefiihlsleben, sondern auch ein hSher entwickeltes Vorstellungsleben erst ermSglichen.

Alte Kr~fte also sind es, die in neuer Formgestaltung die Entwick- lung letzter psychischer F~higkeiten bedingen. Der MSrtel zum Bau der h6chsten Spitze, (lie die Psyche erreicht, entstammt ihren tiefsten und ~iltesten Schiehten. Die subcorticale Funktion ist gewissermal~en der Motor, der den sparer entwickelten und hSher differenzierten corti- ealen Apparat erst in Bewegung setzt. Erst in dem Zusammenwirken, dem Mit- und GegeneinandersI)iel corticaler und subcorticaler Funktions- meehanismen liegt die Leistung der Psyche, je mehr, desto hSher sie ist.